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Von Yaks und vom Yeti

Alljährlich im Frühsommer findet in Südtirol ein tierisches Spektakel statt, ein Rinderauftrieb der besonderen Art. Prominenter Hirte: Reinhold Messner. → Mit Extrembergsteigern in die Höhen des Vinschgau

Gastarbeiter aus Zentralasien – Yaks haben keine Höhenangst, sind daher als Landschaftspfleger unzugänglicher Gebiete optimal geeignet.

Passionierter Alpinist, Naturschützer und Museumsgründer – Reinhold Messner holte die vierbeinigen Helfer aus dem Himalaya.

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Patricia Wohlgemuth (Text) Markus Kirchgessner (Fotos) An einem sonnigen Tag Ende Juni zieht Reinhold Messner mit 31 Yaks am Suldenbach entlang in eine Höhe von etwa 2400 Metern. Die zotteligen Rinder fänden ihren Weg dorthin, wo nur geübte Bergsteiger, Gämsen und Ziegen vordringen, ohne weiteres allein. In Sulden jedoch werden sie von einer riesigen Schar selbst ernannter Yak-Hirten, die den Hirtenstab durch einen Fotoapparat ersetzt haben, begleitet: Yaks in Südtirol sind eine touristische Attraktion. 74

Ebenso wie Reinhold Messner. Warum der weltbekannte Alpinist die Yaks in Südtirol überhaupt angesiedelt hat? Messner zeigt auf die satte, bunte Blumenwiese, auf der die Karawane gerade Halt macht und erklärt, dass eine derart dichte Grasnarbe der Anwesenheit der Yaks zu verdanken ist: „Sie fressen und düngen.“ Sie tun das in Höhen, wo kein Bauer mehr mähen kann und für die die einheimischen Kühe längst zu schwach und ungeübt sind. Diese wären den Anforderungen des Gebirges nicht mehr gewachsen, um gefahrlos klettern zu können. Yaks sind gewandte Kraxler. Verkarstete Hänge auf der anderen Seite der Gebirgslandschaft sind ein bild-

haftes Beispiel für Weiden, die ohne pflegerischen Einsatz der Tiere auskommen müssen und statt Wild- und Wiesenblumen nur Buschwuchs vorzuweisen haben. Die üppige Durchwurzelung des Bodens begünstigt nicht nur die Pflanzenvielfalt, sie begrenzt zudem das Abrutschen der Hänge. Die Erhaltung der alpinen Kulturschaft liegt dem Naturschützer Messner am Herzen, zu diesem Zweck siedelte er die vierbeinigen Gastarbeiter in Südtirol auch an. Obgleich Yaks domestiziert sind, steckt in ihnen noch viel ursprüngliche Wildheit. Sie sind Herdentiere und passen auf jedes Mitglied ihrer Gemeinschaft sorgfältig auf. Ihr eigensinniger Charakfood-and-farm.com

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ter unterscheidet sich deutlich von dem der einheimischen Rinder. Fragt man nun Reinhold Messner, ob er Parallelen erkennt in der Beziehung von sich zu den Einheimischen, entsprechend dem Verhältnis der hier angesiedelten Yaks zu den heimischen Kühen, so antwortet er schlicht: „Davon weiß ich nichts!“ Messner beansprucht für sich, dass er erst dann von „Wissen“ sprechen will, wenn er eine Erfahrung gemacht hat, durch eigenes Erleben in die Vielschichtigkeit einer Sache vorgedrungen ist. Über Yaks und die natürliche Wanderweidewirtschaft, die in den Höhen des Vinschgau der Landschaftspflege dient, weiß er somit annähernd alles. 3/17

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Bis zum alljährlichen Auftrieb grasen die Yaks auf einer am Fuße des fast 4000 Meter hohen Ortler gelegenen saftigen Wiese. Sie ist das Winterquartier der Tiere und befindet sich nahe dem Ort ihrer späteren Verwertung, Messners Restaurant „Yak & Yeti“, einem der wenigen Lokale im europäischen Kulturkreis, die Yakfleisch anbieten. Geschmacklich erinnert das Fleisch an eine Kreuzung von Wild, Rind, Pferd und Strauß, ist zart im Biss, reich an Eiweiß und arm an Cholesterin. In Sulden wird es in einem 350 Jahre alten Bauernhaus, dessen Stuben nach Lärchenholz duften, in überschaubarer Auswahl dargeboten. Die Karte reicht von Carpaccio

über Braten bis zum traditionellen südtiroler Schlutzkrapfen gefüllt mit Yakhack. Doch daran mag niemand wirklich denken, beobachtet man die Yaks, die, kaum öffnet man ihnen das Gatter, sich zielstrebig in Richtung Hochgebirge begeben. Zielstrebigen Schrittes begleitet auch Reinhold Messner die Tiere auf den Berg, und es scheint, als führe er die Herde an. Betrachtet man den aus mehreren Hundert Menschen bestehenden Tross, der sich auf einem Versorgungsweg bergauf schlängelt, aus der Vogelperspektive, ergibt sich folgendes Bild: vorn die Viecher, hinten die Herde. Der Yeti geht voraus. Es sieht auf jeden Fall gut aus! 75


Das „Yak & Yeti“ in Sulden wird von Küchenchef Hannes Bacher und seiner Freundin (hier mit Töchterchen und Hund) betrieben. Auf der Speisekarte Gerichte mit Seltenheitswert, etwa Yak-Carpaccio.

Hoch hinaus, Messner voraus – Yaks wandern instinktiv dorthin, wo sie Nahrung finden und es auch im Sommer nicht zu warm wird.

Angekommen auf etwa 2400 Metern kühlen sich die Yaks die Füße im Bach und legen eine Jause ein. Nun ist genügend Zeit, dem „Papa della montagna“, dem Papst der Berge, ein Autogramm zu entlocken und ihn zu fotografieren. Die meisten porträtieren sich enthusiastisch mit Reinhold Messner per Mobiltelefon am Selfiestick, dem Werkzeug der ultimativen Selbstdarstellung. „Die Seuche des dritten Jahrtausends“, findet Messner und entzieht sich dem Treiben souverän. Wenige Meter abseits sitzt er auf einem Stein und blickt in die Landschaft. Lachfalten umsäumen seine freundlichen klaren Augen. Die Erscheinung des Mannes, der schon über 76

3500 Berge bestiegen hat, ist aufrecht und ruhig. Über sich spricht er nicht, doch sobald es um die Berge und die Yaks geht, sprudeln seine Geschichten. Reinhold Messner zog 1986 allein durch den Osten Tibets. Auf diesem 1200 Kilometer langen Weg schloss er sich immer wieder Yak-Herden und deren Hirten an. Um ein Yak berühren zu dürfen, muss man mit ihnen leben, das heißt, wie die Hirten im Himalaya mit ihnen im Stall wohnen. Unter solch ursprünglichen Umständen lassen Yaks es zu, von Menschen gemolken oder gar geritten zu werden. So nah jedoch kam Messner den Yaks nie. Dennoch wurden sie Wegge-

Oben: Quicklebendig und wachsam – Yak-Kuh auf der Madritsch Alm. Die Rinder kommunizieren miteinander durch charakteristische Laute, die ihnen auch den Namen Tibetische Grunzochsen einbrachten.

fährten und zogen monatelang gemeinsam über 6000 Meter hohe Bergpässe. Messners Blick verweilt an einem der Tiere: Sam, dem stattlichen Bullen, der in seinem Fell, das einem zotteligen Wollmantel ähnelt, dasteht als warte er, dass ihm die Garderobe abgenommen würde. Das Frühsommerfell der Yaks ist keine Vorzeigetracht, denn sie verlieren gerade die Winterbehaarung. Die Mischung des Unterfells, das aus dünnen wie dicken, kurzen wie langen Haaren besteht und so den Yaks als besonders wärmende Wolle dient, fällt im Juni in unordentlichen Streifen aus. Bis zum Herbst aber, betont Messner, haben sich die Yaks über den Sommer hinweg fellmäßig glänzend und glatt herausgeputzt. Neben dieser hat Messner noch zwei weitere Yak-Herden in Südtirol aufgebaut. Eine kleine, ganz neue am Kronplatz, wo sein zuletzt eröffnetes Museum steht. Und eine beachtliche Herde mit 80 Tieren am Monte Rite beim Museum ‚Dolomites‘. Letztere schenkte er einem jungen Bauern unter der Bedingung, die Yaks im Sommer in die Höhen der Dolomiten zu entlassen. Die Herde – Yaks und Menschen – hat jetzt die Madritsch-Alm erreicht, der Auftrieb endet hier. Die Teilnehmer des Yak-Volkslaufes zerstreuen sich. Die Yaks ziehen weiter. Dem ewigen Schnee der schwindenden Gletscher entgegen. Der nächste Yak-Auftrieb mit Reinhold Messner findet in Sulden am 28. Juni statt. Mehr unter vinschgau.net und messner-mountain-museum.it

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