ecoLife0901_auszug

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ecolife

1/09 www.eco-life.info CHF 9.60

bewusst schön leben

Frösche küssen Der Naturgarten ist zurück

Guten Flug Für Ferien mit Köpfchen

Traktor mit Biopower Dieser Fruchtsaft ist smooth

Grün gibt Gas Die Zukunft gehört dem Auto ohne Benzin



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1/09 ECOLIFE EDITORIAL

Wir wollen Begeisterung wecken Mit unserem Magazin ecoLife setzen wir auf spannende Themen rund um ökologische, wirt­ schaftliche und soziale Nachhaltigkeit. Wir behaupten keck: Damit liegen wir im Moment gold­ richtig. Dazu genügt ein Blick auf eine kleine Auswahl von Schlagzeilen aus den letzten Wochen: Die ETH Lausanne plant auf ihrem Areal die grösste Solaranlage der Schweiz. Das Unter­ nehmen Maxmakers ist nicht nur bei der Realisierung einer Null-Energie-Stadt in Abu Dhabi aktiv, sondern möchte auch in Dübendorf ein solches Projekt lancieren. Auf dem idyllischen Jaun­pass zwischen Bern und Fribourg könnte ein gigantischer Windpark entstehen. Die Finanzkrise v­ erändert die Wirtschaft derzeit fundamental und macht sie – wie wir fin­ den – wesentlich menschlicher. In Bern wird geplant, auf einem Hochhaus die bisher leistungs­ fähigste auf privater Basis realisierte thermische Solaranlage zu installieren. Basel-Stadt will als erster Kanton künftig nur noch Strom aus erneuerbarer Energie nutzen. US-Präsident Barack Obama sieht die Förderung umweltfreundlicher Energieträger als zentralen Pfeiler für den wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes. Das sind Themen, die für ecoLife interessant sind. Und es gibt noch viele mehr. Wir wollen solchen Projekten und Ideen eine Plattform geben, die Menschen dahinter vorstellen, ihre Geschichten erzählen, ihrer Leidenschaft Raum geben. Unser Ziel ist es, optimistische, positive und genussreiche Artikel zu veröffentlichen. Glücklich sind wir, wenn ecoLife auf diese Weise Ihre Begeisterung für eine nachhaltige Lebensweise weckt. Trotzdem hat unser Magazin keinen leichten Start. In wirtschaftlich unsi­cheren Zeiten ein neues Projekt wie dieses zu starten, hat sehr viel Mut gebraucht. Und nun verlangt es uns Durchhaltewillen ab. Wir sind optimistisch. Zusammen mit Ihnen wollen wir ecoLife stark machen. Sie helfen uns, wenn Sie das Heft abonnieren. Wenn Sie eine Anzeige schalten. Wenn Sie es weiterempfehlen. Wenn Sie uns mitteilen, was Sie gut oder weniger gut finden oder worüber Sie gerne in ecoLife lesen möchten. In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger wurde Migros-Chef Herbert Bolliger kürzlich gefragt: «Verkauft sich Bio auch in der Krise?» Bolliger antwortete: «Ein überzeugter BioKäufer bleibt dabei.» Solche Aussagen spornen uns an, ecoLife zu machen. Wir sehen das vor­ liegende Heft als dynamischen Start in ein ereignisreiches 2009. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns auf dem Weg begleiten.

Karin Stich Verlagsleiterin ProfilePublishing


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ecoThemen 3 Editorial Wir wollen Begeisterung wecken. 8 Reisen Ferien sind wunderbar. Deshalb floriert die ­Reisebranche. Was können wir aber tun, damit auch andere von unserem Urlaub profitieren? 14 Auto Das Auto ist eine Erfindung, die zu sehr geliebt wird, als dass man auf sie verzichten könnte. Aber Autofahren wird anders werden.


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33 8 Reisen: Damit sich das Geschäft mit dem Fernweh für alle lohnt, ist fairer Tourismus gefragt. Entsprechende An­ gebote boomen. 23 Beauty: Scheinbar urplötzlich erwachte die Naturkosmetik aus ihrem Dornröschenschlaf und schaffte den Sprung vom Holzregal im Bio­ laden in die Kosmetikabteilung nobler Kaufhäuser. 33 Persönlich: Gabi Hildesheimer ist Co-Geschäftsführerin von Öbu, dem Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaf­ ten. «Die Zukunft der Wirtschaft ist nachhaltig. Oder sie ist gar nicht.»

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23 Beauty Von traditionellen Luxusmarken anfangs b­e­ lächelt, schreibt die grüne Kosmetik Jahr für Jahr zweistellige Zuwachsraten im sonst ­stagnierenden Kosmetikmarkt. 26 Geld Vor mehr als 13 Jahren hat Reto Ringger den nachhaltigen Vermögensverwalter SAM ge­ gründet. Im ecoLife-Interview blickt er zurück und wagt Zukunftsprognosen. 30 Handel Seit knapp sechs Jahren stehen die TraktorFruchtgetränke in den Verkaufsregalen. Am Anfang sah es aus, als ginge alles schief. 33 Persönlich Gabi Hildesheimer, Co-Geschäftsführerin Öbu

34 Natur & Garten Noch vor wenigen Jahren wurden sie als schräge Vögel verspottet. Heute ernten Naturgärtner dank stilvollen Wohlfühlgär­ten und hohem Ökofachwissen immer mehr Aner­ken­nung. 42 Klimaschutz Die Wirtschaftskrise sei keine Gefahr für den Klimaschutz, gibt sich myclimate-Geschäfts­ führer René Estermann im ecoLife-Interview überzeugt. 46 Abo & Wettbewerb Abonnieren und geniessen. Profitieren Sie von unserem interessanten Einstiegsangebot mit Zusatzgeschenk.


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Das Auto wird grünund

blau

Das Auto ist eine Erfindung, die zu sehr geliebt und benötigt wird, als dass man auf sie verzichten könnte. Aber Autofahren wird anders werden. Stephan Hauri*

Wenn Holland irgendwann unter Wasser steht, Sylt von der Landkarte verschwunden ist und verheerende Wirbelstürme übers Schweizer Mittelland fegen, dann sind diese drei wahrscheinlich die Schuldigen: Strassenverkehr (mit einem Anteil von rund 30 %), private Haushalte (22 %) und die Indu­ strie (21 %) sind die grössten CO2-Erzeuger der Welt. Ob uns diese schrecklichen Klimaszenarien wirklich drohen, ist umstritten. Klar ist aber: Der Ausstoss von Kohlendioxid (CO2) hat sich als Mass

für den Energiebedarf etabliert. Wo Maschinen laufen, entsteht dieses Gas, das – wird es bei der Verbrennung fossiler Brenn- und Treibstoffe emittiert – als Treibhausgas wesentlich zur globalen Erwärmung beiträgt und damit natürliche Klimaveränderungen beeinflussen kann. Die gängige Parole heisst deshalb: CO2-Emissionen müssen eingeschränkt werden. Bei den Motorfahrzeugen lässt sich der Hebel dabei vergleichsweise leicht ansetzen. Sie sind tech-


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nisch in kürzerer Zeit zu optimieren als industrielle Prozesse oder Heizungen. Zudem ist die amtliche Überwachung vergleichsweise einfach. Weil der Strassenverkehr sowohl bei den Personenwagen als auch – stärker noch – bei den Nutzfahrzeugen in den kommenden Jahren weiter wachsen wird, legen die Fahrzeughersteller grössten Wert auf das Entwicklungsziel Energieeffizienz. Der CO2-Ausstoss eines Personenwagens ist mittlerweile zum Mass (fast) aller Dinge geworden.

Vom Mikrohybrid zum Elektroauto    Wer nicht aufs Auto verzichten kann oder will, hat beim Kauf eines neuen Fahrzeuges schon heute reichlich Möglichkeiten, bezüglich CO2-Ausstoss ein Zeichen zu setzen. Alternativ angetriebene Autos boomen. «Grün» heisst die Devise bei den Autobauern, «Blau» in den Typenbezeichnungen symbolisiert Sauberkeit und Nachhaltigkeit. Am Automobilsalon in Genf (5. bis 15. März 2009) bietet sich die Gelegenheit, auf kleinem Raum und in kurzer Zeit das aktuelle

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Space Up Blue heisst die elektrisch angetriebene Konzeptstudie von VW, die Designelemente des legendären Bully der 50erJahre zitiert.

Angebot an ökologisch optimierten Fahrzeugen unter die Lupe zu nehmen. Konzentriert findet man umweltfreundliche Fahrzeuge im erstmals aufgebauten «grünen Pavillon» in Halle 3. Ausserdem findet während des Salons zum zweiten Mal das International Advanced Mobility Forum (IAMF) statt – eine Tagung, bei der Spezialisten für alternative Antriebsformen den Stand der Technik aufzeigen. Seit Langem werden Automotoren nicht mehr in erster Linie auf maximale Leistungen getrimmt, sondern auf optimierte Effizienz; also die bessere Umsetzung der im Treibstoff enthaltenen Energie in Antriebsleistung. Dabei wären noch viel grössere Fortschritte erzielt worden, hätten nicht – oft fragwürdige – Sicherheitsanforderungen und Komfort­ ansprüche immer mehr Gewicht in die Fahrzeuge gebracht. Den ersten Schritt in Richtung neue Antriebsformen haben vor rund zehn Jahren Toyota und Honda mit serienmässigen Hybridfahrzeugen gemacht: Die Modelle Prius und Civic fuhren mit

In der technischen Entwicklung weit fortgeschritten: das GM-Elektrofahrzeug, hier als Opel Flextreme.

Benzinmotor und Elektromaschine; einmal als Vollhybrid, der auch rein elektrisch fahren kann, einmal als sogenannter Mildhybrid, bei dem der Elektromotor ausschliesslich als Drehmomentverstärker agiert. Neuer Anlauf mit Biotreibstoff     Ebenfalls als Se-

rienautos sind Gasfahrzeuge erhältlich. Diese werden entweder von Erdgas in komprimierter Form (CNG, Compressed Natural Gas) oder von Autogas (LPG, Liquefied Petroleum Gas) angetrieben. Weil sich mit den an Bord speicherbaren Gasreserven nur eine beschränkte Reichweite von 200 bis 300 Kilometern erzielen lässt, sind diese Fahrzeuge ausnahmslos für den bivalenten Betrieb ausgelegt; sie fahren sowohl mit dem emissionsgünstigen Gas als auch mit konventionellem Benzin.


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einzelne besonders progressive Unternehmen, sondern sämtliche grösseren Autohersteller. Sie haben sich in den meisten Fällen mit Technikpartnern verbunden, mit denen sie Komponenten für eine vollständig neue Art von Autos entwickeln, fertigen und vertreiben wollen. GM entwickelt Batterien für das Elektroauto Chevrolet Volt beziehungsweise Opel Flextreme zusammen mit dem südkoreanischen Elektrokonzern LG. Mercedes hat mit dem deutschen Elektronik-­

Stephan Hauri

Für viel Wirbel haben eine Zeit lang auch die Biotreibstoffe gesorgt. Das sogenannte E85 enthält im Benzin einen 15-prozentigen Anteil an Ethanol, ein Alkohol, der aus Pflanzen hergestellt wird und den CO2-Ausstoss reduzieren hilft. Biodiesel enthält zwischen 5 und 30 % pflanzliche Anteile und bringt ebenfalls CO2-Verbesserungen. Weil die Ethanolherstellung jedoch vielerorts die Nahrungsmittelproduktion konkurrenziert und Pflanzenöle im Dieseltreibstoff in vielen Fällen aus produktionstechnischen Gründen nicht über alle Zweifel erhaben sind, schafften die Biotreibstoffe bis heute den Durchbruch nicht. Neue Herstellungsverfahren, bei denen politisch korrekte und technisch unbedenkliche Rohstoffe eingesetzt werden, machen heute jedoch Biotreibstoffe möglich, die durchaus in der Lage sind, den Verbrennungsmotor in der näheren Zukunft noch umweltfreundlicher werden zu lassen. Einen vollständigen Ersatz für die fossilen Treibstoffe können E85 und Co. allerdings nicht gewährleisten.

Elektrosportler aus dem Tessin: Lampo von Protoscar.

Renaissance des E-Mobils

Wesentlich grössere Chancen werden dem reinen Elektrofahrzeug eingeräumt. Das ist erstaunlich, denn in der jüngeren Vergangenheit verliefen gross angelegte Versuchsprogramme, aber auch Einzelvorstösse mit Kleinstfahrzeugen, unbefriedigend bis katastrophal. In der ersten Hälfte der 90er-Jahre wurden in der Schweiz und in Deutschland aufwenige Feldversuche durchgeführt. Die geringe Reichweite der Elektrofahrzeuge sowie die Komforteinbussen und besonders die hohen Anschaffungspreise vermochten jedoch bestenfalls einige Ökofreaks zum Kauf bewegen. Fossile Treibstoffe waren noch immer sehr billig zu haben, die konventionelle Automobiltechnik ausgereift; also war schlicht niemand bereit, auf teure Experimente mit unsicheren Zukunftschancen zu setzen. Seit der Veröffentlichung des UN-Klimaberichtes und dem aktuellen wirtschaftlichen Einbruch in der altehrwürdigen Autoindustrie haben sich die Voraussetzungen verändert: Nach dem Motto «Krisen sind auch Chancen» – oder in diesem Fall ganz konkret: Innovationstreiber – bereiten sich die Autoentwickler auf ein neues Zeitalter des Elektroautos vor. Mit vereinten Kräften soll das Fahrzeug ohne Auspuffgase nun serienreif gemacht werden. Beteiligt an diesem Vorhaben sind nicht mehr nur

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spezialisten Evonik zusammen die Li-Tec gegründet, die Lithium-Ionen-Batterien für den Einsatz im Automobil optimieren wird. VW hat sich mit dem gleichen Ziel mit Sanyo gepaart, während der Zulieferer Bosch mit Samsung zusammenarbeitet. Weitere Kooperationspartner sind Peugeot-­Citroën/Mitsubishi und GS Yuasa sowie Toyota und Panasonic. Steckdose statt Zapfhahn    Elektroautos stehen

derzeit in grosser Zahl auf jeder Automesse. Allerdings stecken die meisten von ihnen noch in den Kinderschuhen, einige kommen auch eben erst aus dem Gebärsaal. Aber die etablierten Autobauer drän­gen mit Nachdruck in die neue Lücke: Der Chevy Volt dürfte schon bald als Serienfahrzeug in den Verkaufsräumen stehen, weitere GM-Modelle werden folgen. Ähnliches versprachen auch die beiden anderen ehemals Grossen des US-amerikanischen Automobilbaus: Ihre Modelle mit Markennamen Chrysler, Dodge, Jeep und Ford dürften allerdings noch einige Zeit benötigen, bis sie für den Serienstart bereit sind.


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Schon «am Band» entsteht jedoch der kalifornische Sportwagen Tesla, der dank fulminantem Beschleunigungsvermögen die meisten Unkenrufe zum Verstummen gebracht und viele Prominente zum Kaufen bewegt hat. Ab Mai wird er auch der europäischen Klientel angeboten. In gewohnt unauffälliger Art haben Hersteller in Japan und China Stromautos entwickelt. Im Land des Lächelns gibt es als Vollelektroautos bereits den Mitsubishi MIEV, den Subaru e1, den Nissan Cube, den Toyota iQ EV und von Honda – erstmals überhaupt aus Se-

Stephan Hauri

Elektrisch, offen, schnell: Der Tesla Roadster überzeugt durch rasante Fahrleistungen.

rienfertigung – ein Brennstoffzellenauto namens FCX Clarity. Unter den Chinesen, die sich in der jüngeren Vergangenheit im Automobilbau mehr als unzimperliche Fälscher denn als Innovatoren einen Namen gemacht haben, hat Hersteller BYD schon vor etlichen Jahren in Richtung Elektroantrieb eingespurt und ­neben den konventionellen Fahrzeugen Batteriesysteme und sogar das jüngst vorgestellte Elektroauto e6 entwickelt. Natürlich hat auch die europäische Autogilde den Weg in Richtung Elektroantrieb unter die Räder genommen. BMW erprobt mit kleinen Flotten in den USA und – zusammen mit Energieversorger Vatten­fall – in Berlin den Mini E, der anstelle eines Verbrennungsmotors mit Batteriepaket und 150-kWElektromaschine ausgestattet ist. Mercedes macht dem Smart in mehreren europäischen Metropolen elektrische Beine und wird Fahrzeuge der kommenden A- und B-Klassen als Blue-Zero-Version ebenfalls mit Elektromotor anbieten. Aus dem VW-Konzern dürften ebenfalls schon in etwa zwei Jahren erste Serienelektroautos rollen: Mit dem kultigen Konzeptfahrzeug Space Up Blue lässt sich nach heutigem Entwickungsstand maximal 100 km weit und bis zu 120 km/h schnell fahren.

Ein Elektro-Golf erprobt ausserdem in Berlin die Twin-Drive-Technik von VW. Exoten aus der Schweiz    Selbstverständlich haben auch die Schweizer – rund 175 Jahre nach dem Start des ersten Elektromotors – Autos mit Elektroantrieb erfunden oder geprägt. Der Tessiner Batteriehersteller MES-DEA stattet einen Renault Twingo I, einen Fiat Panda und einen Smart mit 30-kWElektroantrieb und den im eigenen Haus entwickelten Zebra-Batterien aus. Interessenten haben jedoch über eine gesunde Portion Idealismus und eine nicht zu dünne Brieftasche zu verfügen: Diese CO2Bremsen kosten nämlich über 40 000 Franken und warten mit ziemlich bescheidenen Fahrleistungen auf – Technikvorläufer eben. In bereits seriennahem Zustand hat der in St. Niklausen am Vierwaldstättersee entwickelte Mindset vor wenigen Wochen mit Erfolg erste Probefahrten auf Berliner Strassen absolviert. Schon im kommenden Jahr will das Entwicklerteam dem unkonventionellen Leichtbau-Elektromobil zum Produktionsstart verhelfen. Designspezialist und Ideenlieferant Protoscar aus dem Tessin stellt auf der Messe am Lac Léman einen attraktiv geformten Elektrosportwagen namens Lampo vor. Mit den fast 200 kW aus den beiden Elektromtoren soll es dem Tessiner Sportwagen an Leistung jedenfalls nicht mangeln. Die Hochschule Rapperswil zeigt in Genf eine Neuversion des E-Mo, eines offenen Leichtbaufahrzeuges für die Stadt, das Platz für drei Personen bietet. Der Kleinwagen Think City aus Norwegen, der erst seit Kurzem auch ausserhalb Skandinaviens verkauft wird, bietet bezüglich Reichweite und Fahrleistungen beachtliche Alltagsqualitäten – aber leider könnte seine Produktion aus finanziellen Gründen schon bald wieder enden. Aus der Designschmiede Pininfarina stammt ein zusammen mit Batteriespezialist Bolloré entwickeltes Elektroauto mit der Modellbezeichnung B 0, dessen serienmässige Herstellung noch in diesem Jahr anlaufen soll. Keine Frage: Wir werden bald schon ganz anders Auto fahren.

*Stephan Hauri ist Technik-Redaktor der «Automobil Revue».



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Auf der gr端nen Welle ins Gl端ck

Michael Wehrli und Philippe Schenkel geben Vollgas mit Bio-Antrieb: Seit knapp sechs Jahren stehen ihre Traktor-Fruchtgetr辰nke in den Verkaufsregalen, seit zwei Jahren beschert ihnen der Bioboom auch Gewinn. Dabei sah es am Anfang so aus, als ginge alles schief. Pia Sch端pbach


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Das Traktor-Team in aller Hergottsfrühe am Altstetter Waldrand (v. l. n. r.): Tania Bisaz (Büro), Margrit Schenkel (Finanzen), Sandra Bognanni (Aussendienst), Michael Wehrli (Gründer, Verkauf, Marketing) und Philippe Schenkel (Gründer, Rezept-Austüftler)

«Und dann heisst es ausgerechnet Traktor – das kann ja nicht gut gehen.» Freunde von Philippe Schenkel und Michael Wehrli glaubten weder an den Produktnamen noch an deren Plan, in der Schweiz einen Smoothie zu lancieren. Smoothies sind dickflüssige Fruchtsäfte. Wehrli gibt ihnen ein bisschen recht: «Der Convenience-Bereich ist der unpopulärste Bereich, um sich selbständig zu machen.» Der Markt ist gesättigt, der Getränkebereich am innovativsten, die Haltbarkeit der Produkte begrenzt. Zudem sind die teuersten Plätze im Laden ausgerechnet diejenigen im Kühlregal. Doch die beiden glaubten an ihr Traktor-Fläschli mit dem Biofruchtsaft ohne Zucker und ohne Konservierungsstoffe. Und sie glaubten an den Namen. «Als mein Bruder und ein Kollege diesen Namen vorschlugen, wussten wir sofort, das passt. Denn der Traktor holt die Früchte dort, wo sie wachsen, und bringt sie dann in die Stadt.» Der Lack blättert nur vom Tischblatt    Heute, nach knapp sechs Jahren, verdienen die beiden mit ihrem Produkt endlich Geld. Michael Wehrli sitzt am ovalen Holztisch im Büro der Traktor Getränke AG in Zürich. Der Lack blättert vom Tischblatt. Wehrli erinnert sich an die Anfänge. An den Tag, an dem Philippe Schenkel nicht nur mit einem Diplom in Betriebswirtschaft aus London zurückgekommen ist, sondern auch mit ein paar Flaschen Smoothies: Diese hierzulande nahezu unbekannten Fruchtsäfte mit fein pürierten Fruchtfleisch wollte er gemeinsam mit seinem früheren Studienkollegen Wehrli auch in der Schweiz einführen. Die beiden experimentierten mit verschiedenen Früchten, pürierten und mischten diese, bis sie 15 Rezepturen zusammenhatten. 30 Kollegen testeten diese an einem Experimentierabend. «Das war ein skurriler Abend, plötzlich hatten alle eine Idee, welche Früchte man noch mischen könnte», erzählt Wehrli. Die Kombinationen Mango/Passionsfrucht und Brombeere/Heidelbeere siegten damals.

1000 Hürden bis zum ersten Saft    Noch

heute zählt die exotische Variante zu den meistverkauften Traktor-Säften, den Beerenmix gibts allerdings nicht mehr. «Da war noch ein bisschen Banane drin und mittlerweile wissen wir, dass viele Leute diese süssliche Note nicht mögen.» Welche Früchte auch immer in die Fläschli gepresst werden: Hauptsache, sie sind bio. Darauf setzten die beiden von Beginn weg. Auch wenn das bedeutet, dass ihre Smoothies teuer sind, drei bis vier Franken pro Fläschli. Dass nicht nur Bio draufsteht, sondern auch Bio drin ist, überprüft die auf Inspektion und Zertifizierung spezialisierte BioInspecta. Ein Jahr dauerte es vom ersten Gespräch der zwei Umweltwissenschafter, bis das erste Traktorfläschli im Laden stand. «Es gab 1000 Hürden, die wir nehmen mussten. Einigen macht das Angst, wir hingegen fassten Feuer.» Die grösste Hürde war es, jemanden zu finden, der die Säfte abfüllt. Erst überlegten die beiden gar, eine eigene Anlage bauen zu lassen. Nach vielen Telefonaten fand Schenkel die Herisauer Molkerei Forster. Doch wie das Startkapital von 150 000 Franken aufbringen? Nach einer «schwierigen Geschichte mit einem Financier», mit dem sich die beiden letztlich überwarfen, sprangen die Familie und Freunde ein. «Sehr viele haben mit kleinen Beträgen mitgemacht.» Das war einen Monat vor dem Start, als die Flaschen bestellt und die Rohstoffe parat waren. Mittlerweile sind aus den 24 Aktionären 53 geworden. Mittlerweile wird in Herisau an drei Tagen für Traktor produziert statt wie früher während lediglich drei Stunden pro Woche. Und mittlerweile beliefern Partnerfirmen beispielsweise Globus, Manor oder Reformhäuser mit den Produkten.

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HANDEL

Auch andere Engagements    Wehrlis Handy klin-

gelt. Am anderen Ende ist Sandra Bognanni, eine der vier Mitarbeitenden. Wehrli geht im kleinen Büro auf und ab. Vor einem der Bildschirme sitzt Philippe Schenkel; der Mann, der die Finanzen im Griff hat, gerne kocht und immer wieder neue Traktor-Rezepte austüftelt. Michael Wehrli kümmert sich vor allem um den Verkauf und das Marketing. Nach dem Telefonat setzt er sich wieder an den Tisch. Eine Mitarbeiterin habe sich beklagt, sagt er und erzählt: «Die Traktor Getränke AG hat eine Debakelwoche hinter sich.» Erst seien 6000 Flaschen falsch etikettiert gewesen, am Tag danach fiel der Drucker aus. Das bescherte den Traktor-Leuten Zusatzarbeit bis tief in die Nacht, denn die Flaschen mussten fürs Ausliefern parat sein. «Sandra hat sich beklagt, weil wir sie nicht angerufen und um ihre Mitarbeit gebeten haben.» Das freut Wehrli. «Wir können keine Knüllerlöhne zahlen. Aber da spürt man doch, dass wir alle am gleichen Strick ziehen.» Schenkel und er arbeiten nicht hundert Prozent für Traktor. Philippe Schenkel ist Verwaltungsrat bei einem Partnerbetrieb, Michael Wehrli ist beim Unternehmen seiner Familie engagiert. «So sind wir nicht zu festgefahren», findet Wehrli. Kein Wachstum um jeden Preis    Die ersten drei Traktor-Jahre waren schwierig. «Wenn du auch an der dritten Generalversammlung sagen musst, dass das Kapital aufgebraucht ist, dann ist das ungemüt-

Welche Früchte auch immer in die Fläschli gepresst werden: Hauptsache, sie sind bio. Darauf setzte Traktor von Beginn weg.

lich.» Schenkel und Wehrli schwitzten Blut. Wurde es ganz eng, zahlten sie sich selber ein halbes Jahr lang nur die Hälfte des Lohnes aus. «Aufgeben war aber nie ein Thema», betont Wehrli. 2007 verdienten sie zum ersten Mal Geld. Seither steigt der Umsatz weiter. Wehrli erwartet, dass er dies auch 2009 tut. Die Traktor Getränke AG will nicht um jeden Preis wachsen, sondern klein und sympathisch bleiben und auf finanziell gesunden Beinen stehen. «Wir wollen nicht bei jeder Krise Angst haben. Und wir möchten die Dis­tribution in der Schweiz ausbauen.» Wehrli hätte aber auch nichts dagegen, würde der Name Traktor hierzulande dereinst so bekannt wie «Freitag», die Tasche aus Lastwagenblachen. Im Wandregal des Traktor-Büros stapeln sich leere Smoothie-Flaschen aus aller Welt. Daneben die eigenen. Auf jedem Traktor-Fläschchen hats Platz für «Spinnereien», wie es Wehrli formuliert. Denn bei Traktor kommt es nicht nur auf den biologischen Inhalt an, sondern auch auf die Verpackung. Um den Bezug zur Schweiz zu demonstrieren, sind alle Landessprachen auf einer Flasche vertreten: die Geschichte in Deutsch, die Inhaltsstoffe in Französisch, die Zusatzinformationen in Italienisch. Und auf jedem Produkt steht: Scurlattar bain! «Gut schütteln» auf Rätoromanisch. Das PET-Fläschli besteht teilweise aus rezykliertem PET. Und für ­jeden verkauften Saft überweist Traktor seit 2005 einen Rappen an die Stifung myclimate (siehe ­Interview in dieser Ausgabe von ecoLife). Den «grünen Ideen» verdankt die Traktor Getränke AG wohl auch die seit zwei Jahren schwarzen Zahlen. Wehrli spricht von der grünen Welle und der Zielgruppe der «Lohas» (Lifestyle of Health and Sustainability). Momentan sei es in, gesund zu leben, sinnvolle Produkte zu kaufen und auf die Umwelt zu achten. Sähen die Leute einen Mehrwert, seien sie auch bereit, mehr Geld für ein Produkt wie Traktor auszugeben. Die Durchschnittskunden von Traktor sind zwischen 25 und 45 Jahre alt, vorwiegend Frauen, urban, berufstätig und sie sind sensibilisiert auf lokale sowie auf Bio- und Frischprodukte. «Werben tun alle Smoothies-Hersteller gleich», sagt Wehrli. «Doch unsere Kunden sollen spüren, dass bei Traktor viel Herzblut drinsteckt.» Auffallen wollen die Traktor-Fahrer, wie sie sich selber nennen, nicht nur mit den «Spinnereien» auf den Fläschli, sondern auch mit ihrer Homepage. Darauf erzählt ein Texter mit Hang zur Satire die Traktor-Geschichte. Blickt Michael Wehrli zurück auf diese Geschichte, sagt er: «Das Einzige, woran wir nie gezweifelt haben, ist am Namen. Traktor – das vergisst niemand.»



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Wenn rinzessinn wieder Frösche küs

Noch vor wenigen Jahren wurden sie als schräge Vögel verspottet. Heute ernten Naturgärtner dank stilvollen Wohlfühlgärten und hohem Ökofachwissen immer mehr Anerkennung. Gabriela Bonin*


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Adam Weiss/Getty Images

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Archiv-Foto W&R/Irja Fortmann

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In jener Welt, wo noch alles heil ist, tummeln sich Käfer, surren Libellen, toben Ronja Räubertochter und Biene Maia durch die Wildnis. Da schnarchen Igel, flattern Fledermäuse, küssen Prinzessinnen Frösche: In den Kinderbüchern gibts das noch – draussen vor unseren Haustüren siehts anders aus: In zubetonierten Siedlungen, auf englischem Rasen oder auf mickrigen Balkonen kreucht und fleucht nichts mehr. So hält die Rückbesinnung Einzug. Immer mehr Menschen, die ein Stückchen Grün besitzen oder verwalten, fragen sich, ob man die verlorene Natur denn nicht wieder zurück holen kann. Doch, man kann: mit Naturgärten. Ein grosser Prozentsatz der unbebauten Flächen ist in privater Hand – also in unseren Gärten. Einzelnen Berechnungen nach ist dieser Anteil grösser als alle Naturschutzgebiete zusammen. Allerdings sind noch die meisten Privatgärten mit steriler Standardbegrünung und oft auch mit exotischen Pflanzen bestückt – beides zeugt von geringem ökologischen Wert. Demgegenüber zeigen Forschungsresultate der Sheffield-Universität in England, dass naturnah gehaltene Gärten einen erheblichen Beitrag zur Förderung der Biodiversität leisten können. Hierzulande sind zum Beispiel mehr als 1000 heimische Pflanzenarten geeignet, in Gärten gepflanzt zu werden. Viele in der Natur bedrohte Arten befinden sich darunter. Ein Grossteil unserer Tierwelt ist zudem auf heimische Wildpflanzen als Nahrungsspender angewiesen. Wer indes in unseren Breitengraden Exoten wie etwa Sommerflieder, Aufrechte Ambrosie oder Essigbaum pflanzt, verdrängt damit die heimischen

Naturgarten-Links Vergibt Zertifikate für Naturgärtner: www.bioterra.ch Zeigt einen repräsentativen Naturgarten: www.kkl-uffikon.ch Informiert über einheimische Wildpflanzen: www.wildpflanzen.ch Zeigt Schweizer Flora: www.wsl.ch/land/products/webflora/welcome-de.ehtml Animiert zum Natur-Quiz-Spiel: www.biofotoquiz.ch Informiert über Solitärbienen und Hummeln: www.wildbienen.de Informiert über Schmetterlinge: www.schmetterling-raupe.de Grösste Indoor-Gartenmesse Europas: www.giardina.ch Grösster Anbieter von Schweizer Wildpflanzen: www.wildstauden.ch Grösste Naturgärtnerei Europas: www.gartenland.ch Naturgartenstudien der Sheffield University: www.bugs.group.shef.ac.uk Bietet Ausbildung für Naturgärtner: www.iunr.zhaw.ch Schweizer Pionier für naturnahe Weidenbauten: www.sanftestrukturen.de

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Pflanzen und Tiere – die aggressiven Fremdlinge nennt man «invasive Neophyten». Sie tragen weltweit zum Rückgang der biologischen Vielfalt bei. Stilvolle Gartenräume    Ein Naturgärtner kennt

diese komplexen Zusammenhänge und nimmt bei der Gartenplanung darauf Rücksicht – kein Wunder, dass sein Fachgebiet in diesen Zeiten an Terrain gewinnt: Naturnahe Gärten machen zwar erst schätzungsweise fünf Prozent unseres gesamten Siedlungsgrüns aus, haben sich aber als ernst zu nehmender Trend etabliert. Das zeigt sich allein schon darin, dass gewisse Ideen der Naturgartenbewegung inzwischen auch von herkömmlichen Gärtnern aufgenommen werden. Selbst Grossverteiler Coop hat 2008 eine «Bau + Hobby»-Broschüre über invasive Neophyten publiziert und einige der Fremdlinge konsequent aus dem Sortiment gestrichen. Vor dreissig Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Entstanden ist die Idee der Naturgärten damals in einer ideologisch beeinflussten Öko- und Weltverbesserungsphase. Inzwischen hat sich die Naturgartenbewegung professionalisiert und den heutigen Bedürfnissen angepasst. Selbst in der Wortwahl versucht man das Radikale abzuschwächen – bevorzugt wird nicht mehr von «Naturgärten», sondern von «naturnahen Gärten» gesprochen. Die meisten Anhänger haben ihr Birkenstock-Image abgestreift. Sie versuchen der Gratwanderung gerecht zu werden, nachhaltig zu arbeiten und zugleich die Kundenwünsche nach stilvollen Gartenräumen, nach Lifestyle und Genuss gerecht zu werden. Genuss ergibt sich in einem naturnahen Garten quasi von selbst: Denn eine solche dynamische Oase animiert dazu, die Natur wieder mehr wahrzunehmen und sich daran zu erfreuen. So biete ein naturnaher Garten vielen Besitzern das Gefühl von «Urlaub zu Hause», sagt Naturgärtner Christoph Winis­ törfer aus Malters (LU). Wenn sich Schmetterlinge und Grashüpfer vor der Haustür tummeln und Vögel zirpen, dann kreiere dies eine «Wellness-Atmosphäre mit Genusseffekt». Zudem muss ein naturnaher Garten nicht so geordnet sein und streng gepflegt werden wie ein herkömmlicher Grünraum. Statt dass die Besitzer fortlaufend mähen, schneiden, jäten, eindämmen und der Natur entgegenwirken, lehnen sie sich getrost auf ihrem Liegestuhl zurück und lassen ihr ihre Dynamik (hin und wieder pflegen aber auch sie – sonst würde unweigerlich Wald entstehen). So preisen sich diese Naturfreunde denn auch gerne als Individualisten, Geniesser und Entdecker. Da diverse Untersuchungen zeigen, dass Kinder sich in einem naturnahen Umfeld besser entwickeln, sorgen solche Gärten ausserdem für die «artgerechte Haltung von Kindern».


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Keine Furcht vor Spinnengebein    Die Naturgärtnerszene gibt sich also bewusst locker; sektiererisches Auftreten ist passé. «Wir sind keine schrägen Vögel mehr», sagt Patricia Willi von der Wildstaudengärtnerei in Eschenbach (LU), die hierzulande bekannteste und grösste Anbieterin von einheimischen Pflanzen. Sie hat von den rund 3000 einheimischen Pflanzen rund 500 im Angebot. Heute seien Fachwissen und klare Prinzipien zwar weiterhin unerlässlich – Willi arbeitet streng nach «Bio Suisse»und «Demeter»-Kriterien – die ideologische Färbung habe indes der Freude Platz gemacht: «Ich will Gartenbesitzer sensibilisieren und sie vor allem für die Schönheit unserer einheimischen Pflanzen begeistern». Ähnlich sieht es auch Peter Steiger von «Pulsatilla» aus Rodersdorf (SO), einer der Einmannbetriebe aus den Anfängen der Bewegung: Für ihn

­ asiere seine Arbeit nicht auf Ideologie – sie mache b ihm einfach Spass, nicht zuletzt, weil die Kundschaft sich sehr für sein Tun interessiere und engagiert mitgärtnere. Dieser freudigen Entwicklung zum Trotz – Kritiker gibt es weiterhin: So stören sich beispielsweise Liebhaber von herkömmlichen Gärten an Nachbars anarchischem Wildwuchs und monieren, dass der Besitzer zu faul sei zum Jäten. Liegenschaftsverwalter fürchten, eine Naturgartenanlage würde in ihrer Siedlung als ungepflegt abgestempelt; herkömmliche Gärtner fühlen sich provoziert, da ja auch sie durchaus mit der Natur arbeiten und nicht etwa «künstliche» Gärten bauen. Ausserdem fürchten sich viele Menschen vor Spinnengebein und Schlangenbrut. Kein Zweifel: Natur lebt. Wer gerne alles unter Kontrolle hat, sich vor Algen im Schwimmteich ekelt und kein Kriechgetier zu sehen wünscht, wird sich mit Gänsehaut aus einem Naturgarten stehlen. Dennoch weiss auch der Schweizer Gärtnerverband «Jardin Suisse» die einst schrägen Aussenseiter zu schätzen: Zentralvorstand Ueli Leuthold bezeichnet sie als «nicht mehr wegzudenkende Spezialisten, die einen wertvollen Beitrag an die Gartenkultur leisten». So lobt er vor allem ihr hohes Fachwissen. Das Angebot an Schulung wurde erst kürzlich aus-

ZenShui/Frederic Cirou/Getty Images

Archiv-Foto W&R/Irja Fortmann


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gebaut. Das Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen der Hochschule Wädenswil (ZAHW), das schon seit 17 Jahren einen Naturgartenlehrgang anbietet, hat neu vor wenigen Monaten einen zusätzlichen Lehrgang gestartet, der es Gärtnern ermöglicht, sich in diesem Gebiet zum «Obergärtner/Typ Naturgartenspezialist» weiterzubilden.

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Gute Ideen an der Giardina    Nebst professionel­

lerem Auftreten überzeugen die Naturgärtner inzwischen auch mit ästhetischen und stilvollen Gartenkonzepten. Patrick Allmann, Initiant und Mitorganisator der europaweit führenden Garten-IndoorMesse Giardina erinnert sich: Als er 1999 mit der Winkler & Richard AG aus Wängi TG zum ersten Mal eine Naturgärtnerei einen Giardina-Schaugarten bauen liess, war dies angesichts des Lifestyleverwöhnten Publikums noch ein gewagtes Vorhaben. Es wurde aber zu einem Riesenerfolg, wie Allmann sagt. Seither ist die W&R an jeder Giardina vertreten und gewinnt für ihre Sonderschauen immer wieder die begehrten Giardina-Awards. Heute ist sie laut eigenen Angaben mit über 30 Angestellten und über 200 Kundengärten, die sie regelmässig pflegt, die grösste Naturgärtnerei in Europa. Allmann ist überzeugt: «Die W&R hat bewiesen, dass naturnahe Gärten durchaus Stil haben können. Sie erfüllt hohe Ansprüche an ästhetische Gestaltung und bringt immer wieder avantgardistische Elemente ein». Dadurch habe sie ihrer Bewegung als Wegbereiter einen grossen Dienst» erwiesen. In ihrem Schaugarten an der diesjährigen Garten- und Lifestylemesse Giardina zeigt die W&R, wie man mit wenig Raum, also etwa in städtischen Verhältnissen, kleine naturnahe Oasen schaffen kann (die Giardina findet vom 18. bis 22. März 2009 im Messezentrum Zürich statt). Unterschlupf für Echsen    Angesichts der zunehmenden Nachfrage nach Naturgärten drängte es sich für die Spezialisten auf, Richtlinien für eine Zertifizierung zu erstellen und sich in einem starken Verband zu organisieren. Vor einem Jahr schlossen sich daher die 45 Mitglieder des Vereins Naturgärten (VNG) mit dem Verband Bioterra zusammen. Anhand eines Bioterra-Zertifikates (vergleichbar mit Demeter-Grundsätzen) haben Kunden Gewähr, dass ihre naturnahe Anliegen korrekt umgesetzt werden. Bioterra verlangt, dass Naturgärtner konse­ quent für nachhaltige, lebendige, biologische und dynamische Lebensräume sorgen. So bieten beispielsweise Trockenmauern Unterschlüpfe für Echsen; Wildblumenwiesen locken Schmetterlinge an; Naturpools beherbergen Lurche – zahlreiche «Obdachlose» finden hier also wieder eine Heimat. Naturgärtner berücksichtigen auch, dass beispielsweise eine Mauerbienenart ihren Larven ausschliesslich die Pollen des Natterkopfs verfüttert, dass 63 Vogelarten die Beeren des heimi-


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Beinah vergessene Welt    Keine Sorge: Um na-

schen Schwarzen Holunders fressen (während lediglich drei Arten diejenigen des eingeführten Kirschlorbeers mögen). Sie erklären ihren Kunden, dass eine protzige Rhododendron-Blüte keinem Tier Nahrung gibt, während eine Salweide zwar nur bescheidene Blüten aufweist, mit ihr aber über 300 Tierarten etwas anfangen können.

Prominente wollen mehr Naturgenuss    Bloss, was tun, wenn der Gartenfreund nun mal Forsythien oder Magnolienbäume mag? Beide sind für unsere Fauna und Flora ein Nullwert. Peter Richard, Inhaber der W&R gibt sich pragmatisch: «Wenn jemand trotz unserer Aufklärung diese Pflanzen liebt, dann lasse ich ihm selbstverständlich seine Freude.» Sein Berufskollege Peter Steiger sagt, er nehme bei Privatkunden auch auf solche Wünsche Rücksicht, bei Renaturierungen in der Landschaft halte er sich indes streng an heimische Pflanzen. So arbeiten die Naturgärtner letztlich wie alle Dienstleister – sie tragen den Bedürfnissen ihrer Kundschaft Rechnung. Was meist nicht schwer fällt, weil sie in der Regel eine interessierte, lernwillige, gut ausgebildete Kundschaft aus dem privaten und öffentlichen Bereich haben. Wie ein Privatgarten auszusehen hat, das entscheiden zu rund drei Vierteln die Frauen. Allmann hat an der Giardina beobachtet, dass es insbesondere die Frauen sind, die positiv auf Naturgärten reagierten, «oft ohne jegliche Ideologie, sondern einfach, weil sie sich von der Atmosphäre angesprochen fühlen.» Zunehmend sind es auch Prominente, die auf mehr Naturgenuss schielen. Prince Charles macht in seinem Garten von Highgrove als der berühmteste biologisch gärtnernde Prinz für naturnahe Gärten gute Werbung; in der Grünanlage der deutschen Abtei Münsterschwarzach hat der Benediktinerpater Anselm Grün einen Schwimmteich anlegen lassen; hierzulande weiss man von Konzertorganisator André Bechir und von Kunstsammler Ueli Sigg, dass sie auf naturnahe Elemente in ihrem Garten setzen. Auch das bekannte Kolumnistenpaar der Coop-Zeitung «Schreiber vs. Schneider» hat sich im letzten Jahr eine naturnahe Oase geleistet.

turnahe Elemente in die Welt zu setzen, braucht man weder ein grosses Portemonnaie noch eine eigene Grünfläche – es reichen dazu einige wenige Franken für die Samen einer Wildblume sowie ein paar Quadratzentimeter Fenstersims für einen Blumentopf. Das fundierte Nachschlagwerk «Flora Helvetica» führt sämtliche einheimischen Pflanzen auf; auch geben einschlägige Websites Auskunft für die geeignete Wahl von Balkon-, Terrassen- und Gartenpflanzen (siehe Link-Liste). Die Kosten für einen kompletten naturnahen Garten eines Einfamilienhauses liegen in der Regel zwischen 30 000 bis 60 000 Franken. Für einen Schwimmteich muss man mit rund 60 000 bis 70 000 Franken rechnen. Als Kolumnist Steven Schneider den Kostenvoranschlag von W&R für seinen neuen Garten studierte, fand er dies «verdammt viel», so schrieb er in einer seiner Kolumnen. Schreiber und Schneider rechneten und dachten nach ... Monate später schrieb Schneider in einer weiteren Kolumne, er habe sich nun entschieden, Wildbienen zu retten, und zwar «verdammt viele». Seit er nun seinen Naturgarten hat, spielen seine zwei Töchter in einer Welt voller Käfer, Bienen und Grashüpfer. Sie füttern mit Hingabe «ihren» Igel. Noch haben sie keine Kröten geküsst, bei Bedarf könnten sie das aber demnächst in Uffikon (LU) tun. An Ostern eröffnet dort der sogenannte «Tempelhof»: das ist ein 113 000 Quadratmeter grosses Gelände, das Ästhetik und Ökologie, Ethik, Kunst und Nachhaltigkeit verbinden will (früher bekannt als KKL Uffikon). Dort erbauen derzeit alle Bioterra-zertifizierten Naturgärtner im Kollektiv einen 1120 Quadratmeter grossen Naturgarten samt Teichen. Darin sollen unter anderem die vom Aussterben bedrohten Glöggli-Frösche (Geburtshelferkröten) ein sicheres Zuhause finden. Sie verbreiten ein angenehmes, helles, flötenreines «üh..üh..üh», dessen Klang an ein Glockengeläut erinnert. Fehlen bloss noch Elfen, die zum Glockenspiel tanzen – und schon erinnert das an eine beinah vergessene heile Welt.

*Gabriela Bonin, 41, ist freie Journalistin. Sie betrieb bis vor Kurzem Öffentlichkeitsarbeit für die Naturgärtnerei Winkler & Richard AG.


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Archiv-Foto W&R.

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