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Laurent Hilaire – Räume öffnen

Laurent Hilaire – der neue Direktor des Bayerischen Staatsballetts Räume öffnen

Der Franzose Laurent Hilaire übernahm im Mai 2022 die Direktion der Münchner Compagnie von Igor Zelensky. Im Februar 2022, mit Beginn der russischen Kriegshandlungen in der Ukraine, hatte Hilaire umgehend seinen Posten als künstlerischer Direktor des Moskauer Stanislawski-Balletts beendet und war nach Europa ausgereist. Ein Glücksfall für das Münchner Ensemble! Dass der junge Laurent Hilaire zum Ballett kam, war an sich erstmal ein Zufall. Weder stammte er aus einer Theaterfamilie noch gab es sonstige Berührungspunkte zum Ballett. Eigentlich wäre er als kleiner Junge gerne Turner geworden. Aber mit dem Umzug der Familie fand sich am neuen Wohnort kein Turnverein, sondern eine Ballettschule. Von da an ging es schnell, denn seine Lehrer schickten ihn direkt weiter an die Ballettschule der Pariser Oper. 1979 schloss er dort seine Ausbildung ab und wurde ins Ensemble des Ballet de l’Opéra de Paris engagiert. Im Jahr 1985 ernannte ihn Rudolf Nurejew nach einer Aufführung von Schwanensee zum “danseur étoile”.

Auf die Frage, was er von Nurejew gelernt habe, sagt Hilaire: “In erster Linie, dass man immer mehr als 100 Prozent dabei sein muss. Und dass immer mehr geht, als man für möglich hält. Was nicht heißt, dass man deshalb nicht mehr auf seinen Körper hört. Aber man muss arbeiten. Nurejew hat immer gesagt, er möchte das Feuer in unseren Augen sehen. Und dass es ein Privileg ist, auf der Bühne zu stehen; ein Privileg, das Verantwortung mit sich bringt. Man steht vorne im Rampenlicht. Als Étoile oder Solist geht es um dich, um deine Darstellung, deine Präsenz. Aber gleichzeitig musst du wissen, dass du nicht alleine auf der Bühne stehst, weil alles ein Zusammenspiel ist. Man muss sich also einerseits seines Egos bedienen, um etwas

darzustellen, andererseits aber auch Demut an den Tag legen – klingt paradox, aber so ist es.” In seiner Zeit als Profitänzer übernahm Hilaire die Hauptrollen unter anderem in Balletten von Pierre Lacotte, George Balanchine, Jerome Robbins, Serge Lifar, Rudolf Nurejew, Michail Fokin, Kenneth MacMillan, Roland Petit, Maurice Béjart, Merce Cunningham, Jiˇrí Kylián, William Forsythe und Angelin Preljocaj. Seine internationalen Gastauftritte führten ihn ans Royal Ballet in London, an die Mailänder Scala, das American Ballet Theatre, das Australian Ballet und das Staatsballett Berlin. Ab 2005 wechselte er die Seiten und arbeitete fortan als Ballettmeister an der Pariser Oper in enger Zusammenarbeit mit Brigitte Lefèvre, der damaligen künstlerischen Leiterin des Ballet de l’Opéra de Paris, und verantwortete den kompletten Produktionsprozess des Ensembles. 2017 verließ er Frankreich, um die Leitung des Stanislawski-Balletts in Moskau zu übernehmen. In seinem Programm zeigte er zum Teil in Russland noch unbeLAURENT HILAIRE © JULIAN BAUMANN kannte Werke von Alexander Ekman, Serge Lifar, William Forsythe, George Balanchine, Paul Taylor, Jacques Garnier, Marco Goecke, Ohad Naharin, Johan Inger, Trisha Brown, Angelin Preljocaj, Sharon Eyal, Andrey Kaydanovskiy, Max Sevagin und Hofesh Shechter und erweitere dadurch das Repertoire der Compagnie beträchtlich. Im Februar 2022 – vor dem Hintergrund der politischen Umstände – dann das abrupte Ende seiner Zeit in Russland. Bereits im Mai 2022 übernahm Laurent Hilaire die Leitung des Bayerischen Staatsballetts: in einer Zeit, die weiterhin von den Nachwirkungen der Pandemie, drängenden sozialen Fragen und den Kriegsereignissen in der Ukraine geprägt ist. Hilaire sieht aber gerade hier die Kraft des Balletts, vor diesem Hintergrund eine positive Botschaft zu vermitteln. So gab es am Staatsballett zum Beispiel einen Kurs, in dem ukrainische Kinder einmal pro Woche unter Anleitung der Ballettpädagogin in den Probensaal kommen. Die Bewegungsabläufe vermitteln ihnen ein Gefühl der Sicherheit, eine konzentrierte Ruhe verbreitet sich, es geht um Schönheit, um etwas Träumerisches, man darf man selbst sein und seinen eigenen Rhythmus finden. Und ganz wichtig: Das Tanzen macht Freude. Man verbindet sich mit einer Gruppe, man bewegt sich durch einen Raum zur Musik, man ist in einem Spiel drin. Für Hilaire gibt es kaum etwas Schöneres. Ähnliches sieht er in den Ballettaufführungen der Compagnie: Die Tänzerinnen und Tänzer können nur dann Höchstleistungen erbringen, wenn sie Unterstützung erfahren, wenn eine positive Stimmung im Raum mitschwingt. Die Reaktionen des Publikums sind für Hilaire das Zeichen, dass sich das Ballett keine Sorgen um die Zukunft zu machen braucht. Da es ohne Worte Inhalte zu vermitteln vermag, die für die heutige Gesellschaft einen wichtigen Stellenwert haben, ist es die universelle Sprache. Ballett öffnet Räume. “Und genau das brauchen wir heute”, so Hilaire.