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“20 Jahre im österreichischen Tanzsport und nun Vize-Europameister”

TEXT: PETER KIELHAUSER

A-TEAM WM IN CHINA © HSV ZWÖLFAXING TANZSPORT

Überblickt man die vergangenen 20 Jahre seit der Gründung der beiden Tanzsportclubs HSV Wien und HSV Zwölfaxing im Heeressport, welche Entwicklungen es im österreichischen Tanzsport gegeben hat, so gilt dasselbe wie für den internationalen Tanzsport.

Das sportliche Niveau ist in dieser Zeit extrem gestiegen. Was früher eher Ausnahmetalenten vorbehalten war, ist heute auf eine wesentlich breitere Basis gestellt. Die Leistungskurve beginnt damit auch schon in jüngeren Jahren als früher und umfasst auch immer mehr Länder weltweit, was damit zu einer immer breiteren Spitze geführt hat. Aber auch die Stilentwicklung und die Ausdrucksformen gehen langsam, aber stetig weiter. So kommt es auch, dass es eine erste Tanzsportdisziplin – Breaking – zum olympischen Sport geschafft hat, wenn auch der Status einer olympischen Akkreditierung für den Turniertanzsport schon länger besteht. Die Problematik der Wertungskriterien, die sich einer elektronischen Messung entziehen, steht da klarerweise im Wege. Doch das macht diesen Sport auch so reizvoll, so emotional und steht damit dem Ballett auch näher. heute in meinen Augen damit, dass die vielen bestehenden Stilrichtungen nebeneinander, eng verknüpft mit der Musik, den Weg der Künste durch die Zeit beschreiben, während ein Sport eben Regeln zur Vergleichbarkeit benötigt und damit die künstlerische Seite begrenzt. Die Ästethik sollte aber darunter nicht leiden müssen.

In den vergangenen 20 Jahren hat es im Tanzsport neben dem Trend jünger, schneller, besser auch zum Entstehen von immer höher steigenden Altersklassen – ganz entsprechend der steigenden Lebenserwartung – geführt. Weltweit gibt es derzeit etwa 6.000 registrierte Seniorenpaare, allein davon in SEN IV (über 60/65) etwa 1.000. Die SEN V-Paare sind noch nicht weltweit registriert.

Und hier sei noch der Konnex Tanzsport zum Heeressport dargestellt. Es war der im ehemaligen k u k Marinehafen Kotor geborene und spätere österreichische Offizier Karl von Mirkowitsch, der als Vater des Turnier-Wiener Walzers mit der Entwicklung seiner Grundbewegung, die Rechtsdrehung (den “Drahrer”) mit einer Vorwärtsbewegung zu kombinieren, bezeichnet wird. Auch andere österreichische Offiziere waren nach dem 1. und auch 2. Weltkrieg im Tanzsport sehr aktiv. Dass es eine zumindest in früheren Jahren geübte Offizierstugend war, tanzen zu können, darf hier noch zusätzlich angemerkt sein. So wurden vom

A-TEAM CHOREOBEGINN EM © STEFAN STRASSENBURG

HSV Wien Tanzsport dann auch für die Militärattachees in Österreich über mehrere Jahre Tanzsportseminare vor der Ballsaison organisiert.

Doch nun zu den Tanzsportaktivitäten der beiden Heeressport Tanzsportsektionen in Wien und Niederösterreich, beheimatet in Zwölfaxing. Beide Sektionen konnten mit ihren Mitgliedern in die Weltspitze des Tanzsports vorstoßen.

Dem HSV Wien Tanzsport, gegründet mit fünf Seniorenpaaren, war es gelungen, von Anfang an eine Top-Trainerin, Natalia TschemodourovaLudwig, in seinen Reihen zu haben. Innerhalb von drei Jahren war dieser schnell wachsende Club in den Lateintänzen die Nummer 1 in Österreich in der Hauptklasse, der Allgemeinen Klasse. Zusätzlich wurde eine Jugendmannschaft aufgebaut (Schüler, Junioren I und II, Jugend), die hervorragend mit vielen österreichischen Meistertiteln aufblühte. Besonders für diese Paare wurden jährlich Turniere veranstaltet und zudem mehrere Wiener Landesmeisterschaften. Dem Spitzenpaar des Clubs, der Tochter der Trainerin, Anna Tchemodourova-Ludwig, dann eingebürgerte Ludwig und ihren Tanzpartnern, gelang es nicht nur serienhaft den Österreichischen Staatsmeistertitel zu erringen, sondern sich schrittweise in die Weltspitze vorzuarbeiten. Mit ihrem letzten Partner Zufar Zaripov, errang das Paar in den Lateintänzen vorderste Plätze bei Welt- und Europameisterschaften und Grand SlamTurnieren und einen Spitzenplatz bei den World Games in Kali bei weltweit etwa 4.000 registrierten Paaren in dieser Disziplin. Heute sind diese beiden glückliche Eltern von zwei Kindern und gehen ihren Lebensweg als Trainer und Wertungsrichter im Tanzsport weiter. Auch die regierende österreichische Staatsmeisterin in den Lateintänzen, Jaroslava Huber, kommt ursprünglich aus diesem Klub. Sie kam fast täglich im Zug von Ansfelden nach Wien, lernte im Zug und trainierte dann intensiv in einer der Kasernensäle und fuhr wieder zurück. Ein weiteres Paar, Conny Kreuter und Stefan Herzog, tanzte sich sehr rasch und erfolgreich in der Hauptklasse nach oben bis in die Sonderklasse. Von ihnen und weiteren Top-Tänzern des HSV Wien Tanzsport wird noch später zu lesen sein.

Aus den anfänglichen fünf Seniorenpaaren waren es auch viele mehr im HSV Wien Tanzsport geworden. Dazu muss erklärt werden, dass sich die “Seniorenklassen”, also alle über der Hauptklasse oder Allgemeinen Klasse in etwa 10-Jahres-Schritte gliedern – somit Altersklasse über 30, ü 45, ü 55 und über 65 und nun auch über 70 (international SEN I, SEN II usw.). In diesen Klassen bestehen wie in allen anderen Altersklasssen in sich wieder Unterklassen für entsprechende Niveaus. Auch bei den Senioren konnte der HSV Wien Tanzsport bestens punkten und erbrachte mehrere österreichische Meister in den diversen Unterklassen und auch mehrere österreichische Vizemeister in den (obersten) Sonderklassen, zu denen sich auch der Autor zählen darf.

Ein besonderes Highlight im künstlerischen und sportlichen Sinn waren die gemeinsam mit dem Ballettclub der Wiener Staatsoper und Volksoper veranstalteten Symposien zu Gemeinsamkeiten von Ballett und Tanzsport. Das erste war abwechselnd vorgestellten Ausschnitten mit Choreographien zu PasoDoble-Musik, Walzer, Tango und Rumba gewidmet. Das zweite hatte den Wiener Walzer in seinen verschie-

densten Formen zum Kern, wobei Karl Musil nicht nur den Ehrenschutz übernommen hatte, sondern auch noch persönlich auftrat. (Siehe dazu ein eigener Artikel in einem früheren DANCERS.)

Aufkommende Schwierigkeiten mit den Trainingsmöglichkeiten, die vornehmlich in Kasernen waren, erbrachten eine ruhigere Phase mit weniger Mitgliedspaaren. Seit 2022 ist der HSV Wien Tanzsport wieder vorne dabei als Mitorganisator des Vienna Dance Concourse, einem der schönsten Turniere weltweit, da er im Festsaal des Wiener Rathauses stattfindet.

Der HSV Zwölfaxing Tanzsport, unmittelbar nach dem HSV Wien Tanzsport gegründet, war zu Beginn nur Latein Formationen vorbehalten. Diese entstanden in anfänglicher Kooperation mit dem Formationstanzsportclub Perchtoldsdorf. Das A-Team des HSV Zwölfaxing konnte sich nach wenigen Jahren an die Spitze der österreichischen Latein Tanzsportformationen setzen und hält derzeit bei 16 österreichischen Staatsmeistertiteln. Bei internationalen Turnieren wie Welt- und Europameisterschaften konnten ebenfalls sehr viele Finalplätze erreicht werden. Die World Games der Latein Formationen 2013 in Taiwan brachten sogar eine Silbermedaille.

Schon im Dezember 2003 wurde das erste internationale Donaupokalturnier in Bad Vöslau durchgeführt. Dabei gelang der erstmalige Livestream des gesamten Turniers, gesponsert und realisiert von der damaligen Telecom Austria, der dann ein ganzes Jahr im Internet abrufbar stehen blieb. Der folgend jährlich durchgeführte Donaupokal hat sich zur größten internationalen Formationsturnierserie unter dem geschützten Namen “Donaupokal” bzw. “Danube Cup” entwickelt. Die ursprüngliche Idee war für die wenigen Formationen in den jeweiligen “Donauländern”, außer Deutschland, eine leistungssteigernde sportliche Konkurrenzmöglichkeit zu etablieren, was bestens gelang. Die teilnehmenden Formationen kamen aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Serbien, Rumänien und Bulgarien und der Ukraine und dazu gesellten sich dann auch Teams aus Belgien, England, Polen, Weißrussland und von Beginn an Deutschland. Es war dabei immer ein Anliegen, die Turniere möglichst vielseitig durch Ergänzung mit anderen Tanzsport-Disziplinen oder sonstigen Beiträgen wie z. B. Tänzer mit besonderen Bedürfnissen oder auch Ballett zu bereichern.

Heuer, am 26. November, wird in Purkersdorf das 19. Donaupokalturnier durchgeführt (siehe unter www.donaupokal.at). Gemäß dieser Grundidee gibt es jetzt ähnliche weitere Turniere in Ungarn und Polen und in Österreich anstatt der damaligen drei bis vier Formationsteams nunmehr bis zu 15 Teams in den Disziplinen Latein und Standard und in drei Liganiveaus, eine erfreuliche sportliche Erfolgsgeschichte.

Ganz dieser Entwicklung entsprechend konnten in HSV Zwölfaxing Tanzsport bis jetzt fünf Lateinformationen aufgebaut werden, die in der 1., der 2. und der Hobbyliga starten und diese Ligen seit ihrem Bestehen in den Lateintänzen auch meistens gewinnen konnten. So wurde die Leistungsdichte 2019 dadurch unterstrichen, dass zur WM neben dem A-Team auch das B-Team mit den Trainerinnen Daniela Heinlein und Isabella Udovc als 2. Team für Österreich entsandt wurde.

Ein großer Beitrag zu den Erfolgen kommt im zusammenwirkenden Dreieck aus dem Cheftrainer, den Sportlern und den Funktionären besonders Ersterem zu. Seit 2011 ist Stefan Herzog in dieser Funktion. So beinahe nebenbei hat er zusammen mit Tanzpartnerin Conny Kreuter 2015 die Österreichische Kürmeisterschaft gewonnen.

Cheftrainer Stefan Herzog ist auch die Erfolgsserie der Einzelpaare des Clubs in den Lateintänzen zuzuschreiben, was auch zur Steigerung der Leistungen in den Formationsteams beiträgt, da die meisten Tänzer der Einzelpaare auch in den Formationsteams tanzen. Dies bedeutet für diese aber eine noch höhere wöchentliche Stundenanzahl für Training, was neben den Stunden für Schule, Studium oder Beruf nicht hoch genug bewertet werden kann. Das Resultat ist eine oder die Spitzenposition seit einigen Jahren unter den österreichischen Tanzsportclubs in der Erfolgspunkteliste der Turniere für Lateinpaare, welche aber nicht getrennt von den Standardtänzen geführt wird. Bei den Formationen besteht eine solche Punkteliste nur über Erfolge in Bundesligaturnieren in Österreich.

Andere als turniermäßige Auftritte in der Öffentlichkeit erfolgten durch die Top-Teams z. B. auf der Seebühne in Mörbisch zu Klängen der Gardemusik, in der Hofburg schon bei vielen Offiziersbällen und bei anderen Garnisonsbällen, im Heersgeschichtlichen Museum vor den EU-Generalstabschefs im Rahmen der EU-Vorsitzes Österreichs und erst jüngst in der Sendung Dancing Stars. Hier sei angemerkt, dass in den letzten Dancing Stars Staffeln sechs der “Profis” in der einen oder anderen Form den Reihen der beiden HSV Tanzsportclubs entstammen (Stefan Herzog, Conny Kreuter, Danilo Campisi, Julia Burghardt, Florian Vana, Helene Exel).

Um im Weltkonzert der Spitzenklubs seinen Beitrag zu leisten, wurden vom HSV Zwölfaxing Tanzsport erstmals 2008 in Wiener Neustadt eine Weltmeisterschaft in den Latein Formationen ausgerichtet. 2012 folgte die Organisation einer EM in Schwechat, 2015 wiederum eine WM in Wr. Neustadt und nunmehr eine EM wieder in Schwechat. Über die dabei auftretenden Schwierigkeiten und Probleme ließen sich Bücher schreiben. Doch besonders die vergangene Europameisterschaft in Schwechat war durch die Corona-Pandemie stark überschattet, da sie ursprünglich für Ende Mai 2020 vorgesehen, durchgeplant und organisatorisch weit fortgeschritten war. Die pandemiebedingt erforderliche Absage Mitte März 2020, nur 2 1/2 Monate vorher, bei einem Planungsvorlauf von etwa einem Jahr war extrem schwierig und leider von einigen wenigen Seiten mit Unverständnis begegnet worden. Dann erfolgten mehrere Versuche einer terminlichen Verschiebung bis schlussendlich der Termin mit 28. Mai 2022 im Multiversum in Schwechat fixiert und auch realisiert werden konnte. Der Krieg in der Ukraine vergrößerte nochmals anstehende Probleme der Teilnahme der Latein Formationen aus den in Frage kommenden europäischen Ländern.

Doch mit dieser Europameisterschaft konnte im österreichischen Tanzsport Geschichte geschrieben werden. Das A-Team des HSV Zwölfaxing Tanzsport errang den 2. Platz, den Vize-Europameistertitel mit klarem Vorsprung vor dem 2. deutschen Team. Den 4. Platz erreichte das 2. österreichische Team, das A-Team des UFTSC Perchtoldsdorf. Den Sieg errang das vielfache Europa- und Weltmeisterteam des TSC Grün-Gold-Bremen aus Deutschland.

Das gesamte Organisationsteam, ausschließlich unbezahlte Idealisten, das zusammen mit den club-internen und club-nahen Helfern aus über 100 Personen bestand, konnte sich zusammen mit den Trainern und Tanzsportlern damit nicht nur über einen überaus gelungenen Event, sondern besonders über das beste Ergebnis für österreichische Formationen freuen, das jemals erreicht werden konnte.

Auf dieser Basis sind weitere 20 Jahre erfolgreichen Tanzsports bestens vorstellbar und der Autor ist sich sicher, wenn er nun seine Leitungsfunktion nach diesen schönen 20 Jahren zurücklegt, dass es nicht an neuen engagierten Funktionären, Trainern und Tanzsportlern fehlt, welche die bisherige Entwicklung erfolgreich in die Zukunft tragen werden.

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