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dancer’s talk

BETTINA MASUCH © FLORIAN SCHULTE

Was ist das gewagte Moment in der kommenden Saison? Ich hatte neulich ein interessantes Erlebnis, das mir gezeigt hat, dass man oft auch von falschen Annahmen ausgeht: Das Ballett am Rhein hatte im Frühjahr 2022 in einem mehrteiligen Abend das Stück “Salt Womb” von Sharon Eyal präsentiert. Ich habe mit meiner betagten Mutter die Vorstellung besucht – und dieses Stück hat ihr am besten gefallen, was ich sehr interessant fand. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass Saïdo Lelouh, wenn man noch nicht viel von urbanem Tanz gesehen hat, ebenso eine Herausforderung ist, wie Oona Doherty, die aus dem irischen Arbeitermilieu kommt und Stücke macht, die explizit gesellschaftskritisch sind. Vielleicht unterschätze ich unser Publikum – aber das wären meiner Meinung nach Stücke, die eher ein jüngeres Publikum ansprechen.

Kontinuität ist in Ihrem Programm ein wichtiges Thema. Während Ihrer achtjährigen Intendanz am tanzhaus nrw hatten Sie seit 2020 eine Kooperation mit dem Ballett am Rhein. In der Vergangenheit hat Ihre Vorgängerin am Festspielhaus St. Pölten, Brigitte Fürle, einige Male Werke von Martin Schläpfer mit dem Ballett am Rhein gezeigt. Werden Sie den jetzigen Ballettchef dieser Compagnie, Demis Volpi, ebenfalls einladen und auch mit anderen Choreographinnen, Choreographen und Compagnien die Zusammenarbeit fortsetzen? Ja, Demis Volpi und ich sind miteinander in Gesprächen. Ich schätze ihn sehr als Künstler und werde mich deshalb bemühen, dass es in einer der kommenden Spielzeiten gelingt, ihn mit seiner Compagnie einzuladen.

Ich finde es als großes Privileg meiner Arbeit, dass ich bereits an sehr unterschiedlichen Orten arbeiten durfte. Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die mich schon sehr lange begleiten, die ich kennengelernt habe, als ich sehr jung war, als die sehr jung waren, und bei denen ich auch das Gefühl habe, dass man sich ein bisschen parallel entwickelt. Ich finde es spannend, immer wieder nochmal hinzuschauen und zu sehen, was sie machen. Aber es gibt auch ein paar jüngere Künstler, wie Jan Martens, der bei uns im Programm der Saison 2022/2023 ist. Er war Artist in Residence am tanzhaus nrw. Und ich habe ihn schon seinerzeit in Utrecht als ganz jungen Choreographen gezeigt. Er arbeitet jetzt mit dem Opera Ballet Vlaanderen. “Futur proche” heißt die Produktion, die wir von ihm zeigen, und die in Avignon Premiere haben wird. Als ich Martens kennengelernt habe, hat er Miniaturen für zwei Tänzer gemacht und mittlerweile eröffnet er das Festival in Avignon im Cour d’Honneur. Ich halte ihn für sehr begabt und hoffe, dass wir ihn weiter unterstützen können.

Das Festspielhaus ist Teil des gesellschaftlichen Lebens der Stadt St. Pölten, die, trotzdem sie nicht Kulturhauptstadt wurde, auch ohne EU-Titel im Jahr 2024 mit einem großen Kunst- und Kulturschwerpunkt weiterhin den Anspruch als modellhafte Mittelstadt der Zukunft im europäischen Rampenlicht erheben wird. Synergien mit dem Kulturvermittlungs-Programm des Festspielhauses sind geplant in den Bereichen Community, Young Professionals und mit Workshop-Tagen. Es gibt mittlerweile bereits eine Arbeitsgruppe zwischen Christoph Gurk, dem künstlerischen Leider der Tangente – Festival für Gegenwartskunst, mit Marie Rötzer, der Künstlerischen Leiterin des Landestheaters, und mit mir, in der wir uns auf das Programm vorbereiten und besprechen, was auf jeden Fall passieren sollte. Es ist schön, dass wir jetzt so einen langen Vorlauf haben, um einander besser kennenzulernen und genau sehen zu können, welche Orte in der Stadt im Jahr 2024 bespielt werden sollen.

Es wird ja auch baulich einiges passieren: Die Synagoge wird rekonstruiert und das KinderKunstLabor wird eröffnet. Wir haben auch mit den Musikschulen Kontakt, weil wir den Plan haben, gemeinsam mit den Musikschulen und dem Festspielhaus eine Jugendtanzcompagnie zu gründen. Die Gespräche sind schon weit gediehen, und wir planen im Frühjahr 2023 den Startschuss zu geben. Es soll auch Residenzen im Haus geben – vor allem für lokale Choreographinnen und Choreographen. Es ist mir sehr wichtig, dass das Festspielhaus sich auch mit der österreichischen Szene vernetzt, und dass diese das Haus auch als Arbeitsort wahrnimmt.

Es gibt bereits viele Communities am Haus, die Brigitte Fürle mit der Kulturvermittlung aufgebaut hat. Gerade zu ihrem Abschied konnte man sehen, dass “alle tanzen”. Diese sehr engagierte Gruppe und auch die Chöre im Haus wollen weitermachen. Es gibt zu meiner großen Freude sehr viel, auf dem ich aufbauen und mit dem ich weiterarbeiten kann!

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Masuch, und toi, toi, toi für Ihre Künstlerische Leitung!

Tanz-Expertin Bettina Masuch im Dialog mit Ingeborg Tichy-Luger

Am 24. Februar 2023 anlässlich der Premiere von Akram Khans “Giselle” mit dem English National Ballet im Festspielhaus St. Pölten.

17.00–17.45 Uhr: dancer’s talk mit Sektempfang 18.30–19.00 Uhr: Einführungsgespräch 19.30 Uhr: Österreich-Premiere “Giselle” Im Anschluss: Einladung zur Premierenfeier Anmeldung unter tichy-luger@dancers-magazine.at