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Die „England-Eroberer“ Händel, Haydn, Mendelssohn – drei Jubilare, eine Disziplin: das Oratorium VO N C H R I S T O P H S C H LÜ R EN

Foto: Oper Leipzig

Archetyp „Messias“ Händel konzentrierte sich in London, nachdem seine Opernprojekte trotz aller Erfolge mehrfach in Kämpfen und Intrigen aufgerieben worden waren, auf das Oratorium, was sich im Nachhinein als Glücksfall für die Geschichte herausstellen sollte. Auslöser war der beispiellose Erfolg der Uraufführung seines

„Messiah“ 1 in Dublin. Kaum ein anderes Musikstück kann mit der Durchschlagskraft und dem pompösen Glanz des den ersten Teil beschließenden „Halleluja“ wetteifern. Als es erklang, stand King George II. auf, und seither ist es Tradition in England, sich beim „Halleluja“ zu erheben. Von Händel stammt eine ganze Reihe weiterer, großartiger Oratorien, darunter „Judas Maccabäus“, „Israel in Ägypten“, „Solomon“ und „Jephta“. Haydn und Beethoven erschauerten vor Ehrfurcht, wenn Händels Name fiel. Und die Engländer feierten ihn, den einstigen Deutschen, als ihren größten Komponisten.

Sprungbrett zum Weltruhm Joseph Haydns späte Sinfonien sind ebenso Ergebnis seiner Zeit in London wie die zwei letzten großen Oratorien aus seiner Feder. Diesen voran war eines seiner eigenartigsten und wundervollsten Werke gegangen: „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“. Die Anlage der „Sieben letzten Worte“ ist ohne Vorbild. (Haydn: „Die Aufgabe war keine von den leichtesten.“) Sieben langsame Sätze, umrahmt von einer Introduktion und dem abschließenden „Terremoto“ (Erdbeben). Zunächst handelte es sich um ein reines Orchesterwerk für den Karfreitagsgottesdienst 1 in der Höhlenkirche zu Cádiz. Darauf schrieb Haydn eine Fassung für Streichquartett, die heute zum meistgespielten aus seiner Feder zählt. 1 hörte Haydn auf der Durchreise in Passau eine Bearbeitung mit Chor, worauf er seine eigene Oratorienfassung dieses Werks erstellte. Es ist überliefert, dass er die „Sieben letzten Worte“ für seine beste Komposition hielt, wobei er dies sagte, bevor er „Die Schöpfung“ (1796-98) und „Die Jahreszeiten“ (17991801) schrieb. In beiden Stücken fand Haydn

unerhört Raum für kühne Er�ndungen, seien es das visionär die „Schöpfung“ eröffnende „Chaos“ für Orchester alleine oder die Wetterwechsel in den „Jahreszeiten“. Dort begegnet der überraschte Hörer selbst dem Thema aus der „Paukenschlag-Sinfonie“ wieder: in der Frühlingsarie „Der Landmann hat sein Werk vollbracht“ – ja, das hat der greise Haydn tatsächlich in hinreißender Weise.

Romantik pur Schon in jungen Jahren reiste Mendelssohn nach Großbritannien und konzertierte dort mit größtem Erfolg. Bald hatte er eine große Anhängerschaft auf der Insel. Die Gattung verdankt ihm zwei Oratorien. „Paulus“ entstand 1- und war in seiner Anlehnung an Bach, mit den gliedernden Chorälen, in Deutschland zunächst beliebter. Erst 1 vollendete er „Elias“, der im selben Jahr in Birmingham als „Elijah“ uraufgeführt wurde. Wenig später starb Mendelssohn, gerade einmal jährig. Man hat zu Recht viel am Textbuch herumgemäkelt. Doch die Musik hat in ihrer hymnischen Kraft, ihren dramatischen Ausbrüchen, ihren elegischen Räumen stets das Publikum in Bann geschlagen. „Elias“ verbindet barocke Stilelemente mit klassischer Form und romantischem Sehnsuchtsempfinden. Es ist Mendelssohns musikalisches Vermächtnis und hat im 1. Jahrhundert nicht seinesgleichen. Angesichts der Händel-, Haydn-, Mendelssohn-Jubiläen müsste 2009 eigentlich zum Jahr des Oratoriums erklärt werden – und augenzwinkernd vielleicht auch zum Jahr der deutschen England-Eroberung (was natürlich so nicht stimmt, denn Händel ist eher umgekehrt von England erobert worden und avancierte 1727 sogar zum Bürger des Königreichs Großbritannien...). //

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Am 1. Mai 1, vor  Jahren, starb Joseph Haydn, zeitloses Vorbild in den Königsgattungen der Orchester- und Kammermusik, der Sinfonie und des Streichquartetts in Wien. Knappe vier Monate vorher, am . Februar 1, wurde in Hamburg Felix Mendelssohn Bartholdy geboren, der künftige Wunderknabe der deutschen Romantik. Damals war es gerade  Jahre her, dass Georg Friedrich Händel, der wie kein anderer deutscher Tonsetzer vor ihm internationalen Ruhm und Erfolg ernten konnte, am 1. April 1 in London gestorben war. Vieles unterscheidet diese drei Komponisten, deren Gedenktage vor der Tür stehen, und erstaunlich vieles ist ihnen gemeinsam. Händel, Haydn und Mendelssohn brachten es allesamt in ihrer Heimat zu großem Ansehen, doch der eigentliche Durchbruch zur Weltkarriere gelang ihnen in London. Als wahrhaft religiös empfindende Menschen, die zugleich die Sinnlichkeit der Welt liebten und mit der Fülle ihres Schaffens bereicherten, fanden sie zu besonderer Bündelung und Entfaltung ihrer Kräfte – in einem Feld, das die Enge kirchlicher Dogmen überstieg: im Oratorium. Händel, Haydn und Mendelssohn sind die erfolgreichsten Oratorienkomponisten der Geschichte. Dies hat auch mit ihrer Af�nität zur britischen Insel zu tun, jenem Land, wo das Oratorium eine unvergleichliche Popularität erlangte.


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