crescendo Standard 01/2018

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AUSGABE 01/2018 FEBRUAR – MÄRZ 2018

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GAUTIER CAPUÇON Wunderbar ungezähmter, französischer Cello-Prinz

FILMMUSIK So klingen Mickey Mouse, Westernheld, Tramp und Jedi-Ritter!

Lisa Batiashvili Mit zwölf verließ die Georgierin ihre Heimat, um ein neues Leben zu beginnen. B47837 Jahrgang 21 / 01_2018

KURT WEILL FEST DESSAU

23. Februar bis 11. März 2018 „Kurt Weill auf die Bühne!“ Till Brönner, Ilja Richter, Dagmar Manzel, Vision String Quartet, Jochen Kowalski, Jan Josef Liefers u.a.


Exklusive Musikreisen mit der ZEIT

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Freuen Sie sich mit ZEIT REISEN auf die musikalischen Höhepunkte des Sommers 2018! Unsere Musikexperten begrüßen Sie herzlich und haben ein spannendes Rahmenprogramm und interessante Begegnungen für Sie ausgewählt. Sichern Sie sich jetzt einen der begehrten Plätze!

Besuchen Sie die Bayreuther Festspiele mit der einmaligen Akustik des von Richard Wagner konzipierten Festspielhauses. Sichern Sie sich begehrte Karten für eine der Aufführungen. Gezeigt wird unter anderem Yuval Sharons Neuinszenierung des »Lohengrin«. Musikexperte Gregor Lütje begleitet Sie! Termin: 4. – 7.8.2018 Preis: ab 3.745 €

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Opernreise nach Graz und Maribor Graz, die traditionsreiche Hauptstadt der Steiermark, ist ein städtebauliches Juwel. Sie erleben in der Oper Tschaikowskis »Eugen Onegin« und im Stefaniensaal einen Liederabend mit René Pape. Anschließend fahren Sie ins slowenische Maribor, wo Sie bei Bellinis »La Sonnambula« Belcanto-Klängen lauschen. Termin: 12. – 16.4.2018 ab 1.590 €

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Holland Festival in Amsterdam Amsterdam im Juni – das Holland Festival versammelt internationale Stars der Klassik: Sehen Sie Erwin Schrott, Bryn Terfel und Simon Rattle in Konzert und Oper. Genießen Sie große Aufführungen im Concertgebouw und in der Niederländischen Oper. Ein Fest für Musikliebhaber! Welkom! Termin: 4. – 7.6.2018 Preis: ab 1.530 €

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Festspiele Baden-Baden Baden-Baden vereint französische Eleganz mit badischer Gastlichkeit. Erleben Sie mit Peter Davids Architektur und Lebensart der Belle Époque, die hier noch immer lebendig zum Vorschein kommen. Der perfekte Ort also, um Anna Netrebko in »Adriana Lecouvreur« sowie dem Mariinsky Orchester zu lauschen! Termin: 20. – 24.7.2018 Preis: ab 2.290 €

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Wir beraten Sie gern! Ihre Ansprechpartnerin: Lena Böhlke www.zeitreisen.zeit.de/musikreisen

040/32 80-455

Fotos: Bayreuth Marketing & Tourismus GmbH; Jiyang Chen; Hans-Samsom; Vladimir Shirkov; Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg

Bayreuther Festspiele


BILD – TON – MACHT Liebe crescendo-Leser, im Rahmen des #MeToo-Skandals um sexuelle Übergriffe von Prominenten ist nach Hollywood nun auch die Klassikwelt betroffen: Nach James Levine geriet Dirigent Charles Dutoit in den Fokus, der wegen Anschuldigungen durch mehre Künstlerinnen gerade sein Amt als Künstlerischer Direktor des Royal Philharmonic Orchestra niedergelegt hat. Die Dimension des Skandals macht mich sehr betroffen und lässt viele Fragen über Macht und Machtmissbrauch offen. Erschreckt hat mich aber auch die Undifferenziertheit, mit der die öffentliche Debatte vielfach geführt wird und bei der von Flirt bis schwerer Vergewaltigung alles in einem Topf landet – für die Opfer ein Hohn! Auf unserer Website www.crescendo.de finden Sie lesenswerte Essays unserer Kolumnisten Axel Brüggemann und Moritz Eggert zum Thema. WINFRIED HANUSCHIK Herausgeber

Eine andere, eine positive Form der Macht in Form von Wirkmacht und emotionaler Kraft finden wir jenseits ihrer Produzenten in der Kunst selbst. Hier sind Hollywood, Off-Filmszene und Klassikwelt seit rund 100 Jahren eine großartige Symbiose eingegangen. Stellen Sie sich Ihren Lieblingsfilm einmal ohne Musik vor! Umgekehrt funktionieren viele Filmmusiken sogar ganz ohne ihre Bilder. Nicht umsonst füllen Filmmusikkonzerte große Säle und ganze Stadien und sind inzwischen fester Bestandteil des Repertoires. In unserem Themenschwerpunkt „Filmmusik“ beschäftigen wir uns mit einigen Meilensteinen dieser Kunst. Außerdem stellen wir ihnen die faszinierende schottische Schlag­zeugerin Evelyn Glennie vor, die – fast ganz ertaubt – mit ihrem Körper zu hören gelernt hat, aber auch den französischen Cellisten Gautier Capuçon und die junge Bratscherin Hiyoli Togawa. Für unseren Lebensart-Teil lassen wir Sie diesmal von Geiger Matthias Well bekochen und entführen Sie nach Sevilla ins Herz Andalusiens. Mit herzlichen Grüßen

F OTO S TITE L : S A M M Y H A RT; B AC H F ES T L E I P ZI G ; KU RT-W E I L L- F O U N DATI O N

Ihr Winfried Hanuschik

IHRE ABO-CD? In der Premium-Ausgabe dieser Zeitschrift finden Sie an dieser Stelle die crescendo Abo-CD – eine exklusive Leistung unseres crescendo Premium-Abonnements. Darauf hören Sie die Musik zu den Artikeln, die im Heft rot gekennzeichnet sind. Eine Inspiration für Ihre Ohren! Mittlerweile ist bereits die 70. CD in dieser Premium-Edition erschienen. Haben wir Sie neugierig gemacht? Dann testen Sie crescendo Premium! Die erste Ausgabe schicken wir Ihnen kostenlos. Dazu die crescendo Abo-CD. Ganz ohne Kaufverpflichtung. Bestellen Sie per Telefon: +49-(0)89-85 85 35 48, auf www.crescendo.de/abo. Info auf Seite 34.

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Februar – März 2018

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P R O G R A M M

Sir Simon Rattle

An Imaginary Orchestral Journey

Begleiten Sie Sir Simon Rattle auf der Reise zu seinen Lieblingswerken von Joseph Haydn. Für weitere Informationen, besuchen Sie alwaysmoving.lso.co.uk/aioj und begeben Sie sich auf Ihre eigene, imaginäre Reise mit dem Orchester.

Ab 2. Februar im Handel LSO0808 | Hybrid SACD note1-music.com

lsolive.co.uk

08 LISA BATIASHVILI Sie war elf, als ihre Eltern Georgien verließen, um ihr in Deutschland eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

15 DANIEL MÜLLER-SCHOTT Für sein aktuelles Album adaptierte der Cellist Werke, die ursprünglich für andere Instrumente geschrieben wurden.

STANDARDS

KÜNSTLER

HÖREN & SEHEN

08 LISA BATIASHVILI Sie spielt georgische Musik, damit die Menschen ihr Land kennenlernen

15 D IE WICHTIGSTEN EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION

03  PROLOG Der Herausgeber stellt die Ausgabe vor 06  07

OUVERTÜRE Klassik in Zahlen Playlist Cornelius Obonya

22 IMPRESSUM 26 R ÄTSEL & LESERBRIEFE 50 HOPE TRIFFT … Albrecht Mayer Exklusiv nur in crescendo Premium   BLICKFANG Guggenheim Museum Bilbao OUVERTÜRE Dr. Goeths Kuriosa Die lustige Welt der Spielanweisungen Ein Anruf bei … Ricarda Fuss Ensemble Mit unseren Autoren hinter den Kulissen MELDUNGEN Mariss Jansons, Nicholas Milton, Alexandre Desplat, Christian Thielemann

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10 GAUTIER CAPUÇON Wenn er Cello spielt, wird jeder Muskel zum Spiegel der Emotion 12 EVELYN GLENNIE Die fast ganz ertaubte Star-Schlagzeugerin hört mit ihrem Körper 14 HIYOLI TOGAWA Der jungen Bratscherin geht es um Innerlichkeit und Ausdruckskraft Exklusiv nur in crescendo Premium EIN KAFFEE MIT … Robert Menasse

PAAVO JÄRVI Über Estland als Fenster zu Europa und die Kunst des Loslassens

SONYA YONCHEVA Als Künstler braucht man heute ein dickes Fell!

16 ATTILAS AUSWAHL Top-Nachwuchs und Klassiker ganz neu Exklusiv nur in crescendo Premium UNERHÖRTES & NEU ENTDECKTES Gottfried von Einem

BAGLAMA Die Mystik der türkischen Langhalslaute

EXKLUSIV FÜR ABONNENTEN Hören Sie die Musik zu u­ nseren Texten auf der ­crescendo Abo-CD – exklusiv für Abonnenten. Infos auf den Seiten 3 & 34

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Februar – März 2018

F OTO S : N A N C Y H O ROW IT Z ; S A M M Y H A RT; U W E A R E N S

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‘Bahnbrechendes Temperament’ BachTrack

07 CORNELIUS OBONYA Der österreichische Schauspieler und ehemalige Salzburger „Jedermann“ verriet uns seine private Playlist.


›Die kleinen Bassgiganten‹ Audio Test 4/17

35 BACHFEST LEIPZIG Mit mehr als 160 Veranstaltungen greift das Festival tief in die Schatzkiste des barocken Großmeisters.

36 FILMMUSIK Mickey Mouse, Westernheld, Sternenkrieger und Massenmörder – so bekommen sie ihre Musik.

44 SEVILLA Mit Dirigent und crescendoKolumnist John Axelrod ins lebendige Herz Andalusiens.

ERLEBEN

SCHWERPUNKT

LEBENSART

27 DIE WICHTIGSTEN TERMINE UND VERANSTALTUNGEN IM HERBST

36 FILMMUSIK Von der Kinoorgel der Stummfilmzeit bis zur Blockbuster-Sinfonie

44 SEVILLA Flamenco, Stierkampf und maurische Paläste mit Dirigent John Axelrod

32 KURT WEILL FEST DESSAU „Weill auf die Bühne!“, er ist der musikalische Superheld des „kleinen Manns“

40 DAVID REICHELT Im Studio des Deutschen Filmmusikpreisträgers

48 STARS KOCHEN FÜR CRESCENDO Geiger Matthias Well mit Saltimbocca

35 BACHFEST LEIPZIG Der berühmte Thomas­ kantor hatte eine Liebe für opulente Zyklen

F OTO S : A N D R E A S B ITES N I C H ; F O R N A S E T TI

Exklusiv nur in crescendo Premium FAUST FESTIVAL MÜNCHEN Über 500 Veranstaltungen – eine Stadt im Faust-Fieber!

42 KOMMENTAR Axel Brüggemann über den neuen Mut der Musikfilmwelt Exklusiv nur in crescendo Premium QUIZ Wie gut kennen Sie die Welt der Filmmusik? STUMMFILM MIT LIVEMUSIK Orgelimprovisation live zur Leinwand

Made in Germany

8/17

Exklusiv nur in crescendo Premium DESIGN-MEKKA MAILAND Gelebtes Stilbewusstsein im Hotel Gallia und bei Fornasetti WEINKOLUMNE John Axelrod über den Rebensaft für echte Jedi-Ritter

FLIMMERFIEBER Filmmusikkomponisten im Kurzinterview

KONZEPT/GRÖSSE

›Traumlautsprecher, die nicht viel kosten … bassstark, erstaunlich viel Panorama für die kompakte Bauweise … Preis/Leistung: überragend‹ Audio Empfehlung 8/17 Nur direkt vom Hersteller www.nubert.de nuLine 244: nur 15 cm Frontbreite und gerade mal 87 cm hoch; 250/160 Watt. Schleiflack Weiß, Schwarz oder Nussbaum-Furnierversion. 625,- Euro/Box (inkl. 19% MwSt, zzgl. Versand) ■

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WOHER KOMMT EIGENTLICH … ... die Musik im Film?

EMPFEHLUNG

GROSSES HÖRKINO Die aktuellsten Film­- musikalben und mehr

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Mehr Klangfaszination


O U V E R T Ü R E

KLASSIK IN ZAHLEN

135

Vorstellungen spielten die New Yorker Philharmoniker im Jahr 2017. Damit sind sie laut Statistik des Portals Bachtrack das fleißigste Orchester der Welt.

8.076 Musiker kamen im Dezember 2017 im Seouler Gocheok Sky Dome zusammen, um n­ eben ­koreanischen Werken Elgars Pomp and ­Circumstances zu spielen. Weltrekord für das größte Orchester!

71 Mio.

Australische Dollar (rund 47 Mio. Euro) kostete die Renovierung des berühmten Opernhauses in Sydney. Es wurde am 7. Januar nach sechsmonatigem Umbau wiedereröffnet.

212

Mal wird der stampfende, dissonante Akkord am Anfang in Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ wiederholt.

NEWSTICKER Horn-Flashmob: Am 9.2. lädt das Festival Carnaval du Cor zum riesigen Horn-Flashmob auf den Münchner Marienplatz ein: Um 16.30 Uhr treffen sich Hornisten aller Art, um den Pilgerchor aus Tannhäuser und Der Mond ist aufgegangen zu musizieren. +++ #MeToo: In der öffentlichen Diskussion um sexuelle Übergriffe Prominenter geriet neben James Levine nun auch der Schweizer Dirigent Charles Dutoit in den Fokus: Nach Missbrauchsvorwürfen mehrerer Künstlerinnen trat Dutoit als Künstlerischer Direktor des Royal Philharmonic Orchestra zurück. +++ Zubin Mehta sagt ab: Wegen einer Schulteroperation muss der 81-jährige indische Star-Dirigent bis März pausieren. Seine Konzerte mit den Berliner Philharmonikern übernehmen in Berlin Bernard Haitink und beim Gastspiel im Leipziger Gewandhaus Vasily Petrenko. +++ Mariss Jansons ist nun auch eine Tulpe: Zum 75. Geburtstag des lettischen Dirigenten Mariss Jansons (siehe auch S. 28) benannten Blumenzüchter aus Lettland und den Niederlanden eine neue Tulpensorte nach ihm. Sie blüht in kräftigem Orange mit gelbem Rand. 6

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Februar – März 2018


PLAYLIST

F OTO: N A N C Y H O ROW IT Z

Er war der Salzburger „Jedermann“ und tritt regelmäßig am Wiener Burgtheater auf. Uns verrät der österreichische Schauspieler Cornelius Obonya, welche Musik ihn privat berührt und inspiriert.

1. Samuel Barber: Adagio for Strings Ich habe das Stück geschenkt bekommen, als ich zwölf Jahre alt war, und konnte überhaupt nichts damit anfangen: zu ernst, zu langsam. Dann wurde ich pubertär. Da hat’s dann eingeschlagen. Seitdem mein liebster Track fürs Gefühl! Es wurde direkt nach der Nachricht vom Tod des US-Präsidenten Theodore Roosevelt im Radio gespielt. Das hat den Ruhm des Stückes unendlich vermehrt . Und es passt: Ausdruck der großen Trauer nach dem Tod des Mannes, der Amerika durch den Krieg brachte.

BEETHOVEN & SCHOSTAKOWITSCH DER ZYKLUS SÄMTLICHER SINFONIEN MIT DER DRESDNER PHILHARMONIE UND MICHAEL SANDERLING

2. Leonard Bernstein: Ouvertüre zu „Candide“ Ich mag Exaltiertheit,Tempo und die wunderbare Geschichte dahinter. W   arum auch immer, aber ich höre es gerne bei der Vorstellung, durch eine Winterlandschaft zu fliegen. Den verrückten Klang, die kleinen Turbulenzen, die in mir ausgelöst werden, habe ich immer genossen und genieße sie noch immer.

Mit den beiden „Erstlingen“, den Sinfonien Nr. 1 von Ludwig van Beethoven und Dmitri Schostakowitsch, legen Chefdirigent Michael Sanderling und die Dresdner Philharmonie nach der Veröffentlichung der beiden Sechsten sowie der Dritten von Beethoven und Zehnten von Schostakowitsch bereits die dritte CD der Gesamteinspielung aller Sinfonien beider Meister vor.

3. Eminem Eminem hat die harte Poesie, die diese Welt und die Zustände in ihr richtig beschreibt. Rap sollte als Lyrik anerkannt werden, er hätte es schon lange verdient. Und immer wieder ist es Eminem, der die Musik dazu schreibt, macht, spricht, die mein Herz höherschlagen lässt. 4.Tom Waits: Chocolate Jesus Erst meine Frau hat mich auf Tom Waits gebracht. Ich kannte ihn vom Namen her und hatte immer begeistert über ihn reden gehört, hauptsächlich von Kollegen an der Schaubühne im Berlin der 90er.  Aber Waits hatte bei mir nie gezündet. Dann kam meine Frau, und der Kopf ging auf für diese Art von Humor. Ganz besonders für dieses Stück, das dem inter­ natsgeschädigten Mann gezeigt hat, was subversiver Witz wirklich ist.Tom Waits ist heilig. 5. Ennio Morricone: Soundtrack zu „Es war einmal in Amerika“ Einer der schönsten Filme, die jemals eine Leinwand geadelt haben. Und diese Musik beherrscht die Geschichte, die erzählt wird, das Jahrhundert, in dem sie spielt, und die Seele, in die dieser Film eindringt, wie ein kaltes Messer in warmes Fleisch. Sie begleitete mich durch diese Geschichte, durch die Menschen, die der Film beschreibt, durch alles. Sehnsucht nach Amerika,  Abscheu vor Amerika, Liebe und Tod, Freude und Wollust in Amerika. Einmalig. Einzig. Ewig.

Beethoven: Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21 Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10

Heinrich Heine, Robert Schumann: „Das lyrische Intermezzo“, Klemens Sander, Cornelius Obonya, Uta Sander (Ars Produktion)

Michael Sanderling | Dirigent Dresdner Philharmonie

Track 8 & 9 auf der crescendo Abo-CD: Dein Angesicht von Schumann & Sie saßen und tranken am Teetisch von Heine

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K Ü N S T L E R

ZAUBER UND MÄRCHEN­

F OTO: S A M M Y H A RT

„ES GIBT KEINEN SCHÖNEREN ORT ALS ZU HAUSE. UNSER LEBEN BEDEUTET, AUF REISEN ZU SEIN UND IN HOTELS ZU NÄCHTIGEN, OHNE UNS AN ETWAS BINDEN ZU KÖNNEN“

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Februar – März 2018


Als die Violinistin Lisa Batiashvili zwölf Jahre alt war, gaben ihre Eltern in Georgien alles auf, um ihr in Deutschland eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

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VON RUTH RENÉE REIF

rau Batiashvili, Ihre Karriere als Violinistin gehört zu den beeindruckendsten der Gegenwart. 1979 in Tiflis geboren, 1995 als jüngste Teilnehmerin in der Geschichte Preisträgerin beim Internationalen Jean-Sibelius-Geigenwett­ bewerb, danach Konzerte in aller Welt mit den renommiertesten Orchestern. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? Lisa Batiashvili: Da spielten mehrere Aspekte eine Rolle. Musik nahm bei meinen Eltern einen wichtigen Platz ein. Mein Vater ist Geiger und war mein erster Lehrer. Meine Mutter ist Pianistin. Die Leidenschaft für die Musik war mir angeboren. Als meine Eltern dann entschieden, Georgien zu verlassen, alles zurückzulassen – ihre Arbeit, ihre Freunde, ihre Namen – und ohne Sprachkenntnisse, ohne Arbeitsgarantie nach Deutschland zu gehen, gab mir das einen Schub. Ich war nicht einmal zwölf Jahre alt. Aber in diesem Augenblick rückten mir mein Leben, meine Aufgabe und meine Ziele deutlich ins Bewusstsein. Mir wurde klar, dass alles geschah, um mir eine gute Ausbildung und eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Fühlten Sie sich unter Druck? Nein, ich spürte einfach nur Verantwortungsgefühl. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geriet Georgien in einen Bürgerkrieg und eine große Krise. Deutschland nahm mich damals auf wie ein eigenes Kind. Daraus wollte ich das Beste machen. Durch den Sibelius-Wettbewerb lernte ich die fantastischen finnischen Musiker kennen. Mit ihnen spielte ich meine ersten Konzerte. Sie ermöglichten es mir, in gemäßigtem Tempo weiterzukommen und Erfahrungen zu sammeln. Die Geige spielten Sie bereits mit zwei Jahren und standen mit vier Jahren auf der Bühne. Wie fanden Sie zu Ihrem Instrument? Mein Vater unterrichtete zu Hause Kinder. Die wollte ich nachahmen. Ich verbrachte aber auch viel Zeit damit, Klavier zu spielen, zu komponieren oder meinem Vater zuzuhören, wenn er mit seinem Quartett spielte. Zur georgischen Musik haben Sie nach wie vor enge Beziehungen. Was verbindet Sie mit ihr? Die georgische Musik bringt mir Kindheitsgefühle und Erfahrungen in Erinnerung. Sie besitzt eine eigene Persönlichkeit. Sie ist stark von der Volksmusik beeinflusst. Spielt man georgische Musik, erhält man direkten Zugang zur georgischen Natur. In den 90er-Jahren war mein Land in Deutschland unbekannt. Wenn ich sagte, ich komme aus Georgien, hatte kaum jemand eine Ahnung, wo das liegt. Ich spiele georgische Musik, damit die Menschen mein Land kennenlernen. Auf Ihrem neuen Album „Visions of Prokofiev“ wenden Sie sich nun einem russischen Komponisten zu … Prokofjew ist für mich deshalb so faszinierend, weil ich in seiner Musik das Verlangen nach einem Zuhause spüre. Es gibt keinen schöneren Ort als zu Hause. Wir Musiker haben selten die Möglichkeit, es zu genießen. Unser Leben bedeutet, auf Reisen zu sein und in Hotels zu nächtigen, ohne uns an etwas binden zu können. Prokofjew war bei seinen Reisen immer auf der Suche nach einem Ort, an dem er sich zu Hause fühlte. Dadurch wurde seine Musik so persönlich und verträumt. Ich verbinde mit ihr Zauber und Märchen. Sie vermittelt eine unglaubliche und

zauberhafte Realität, seine Realität. Ich empfinde so viel Empathie und Sympathie für ihn. Sein Erstes Violinkonzert, das auf Ihrem Album mit dem ­Chamber Orchestra of Europe unter Yannick Nézet-Séguin zu hören ist, haben Sie bereits mit 13 Jahren zum ersten Mal gespielt. Wie kam das? Mein Lehrer Mark Lubotsky war Schüler von David Oistrach gewesen. Schostakowitsch, Prokofjew, Schnittke waren das erste Repertoire, das er unterrichten wollte. Zu dieser Musik hatte er wahnsinnig viel zu sagen, und er erkannte, dass meine Natur mit ihr eine Harmonie findet. Prokofjews Musik ist so ausdrucksstark und theatralisch und besitzt so viele verschiedene Farben. Um das alles zu verstehen und wiederzugeben, muss man erst einmal erwachsen werden. Das Konzert wurde zu Ihrem „Markenzeichen“. Sie haben es oft gespielt, aber erst jetzt aufgenommen … Das war ein Herzensprojekt. Ich spielte beide Violinkonzerte Prokofjews mit dem Chamber Orchestra of Europe und NézetSéguin bereits im Konzert. Da fanden sich zwischen den Auftritten des Orchesters einige Aufnahmetage. Nézet-Séguin ist einer meiner allerliebsten Musiker. Diese Aufnahme ist das Zusammenspiel einer Musik, die ich liebe, und eines Dirigenten, zu dem ich eine besondere Verbindung habe. Prokofjew schrieb das Erste Violinkonzert 1917 in Paris, also während der Revolution. Das Zweite Violinkonzert, das ebenfalls auf dem Album ist, entstand 1935 in Madrid kurz vor seiner endgültigen Rückkehr in die Sowjetunion. Was unterscheidet die beiden Werke? Sie erzählen zwei verschiedene Geschichten von Prokofjew. Das Erste Violinkonzert ist leichter, feiner, impressionistisch. Es ist überirdische Musik. Am Ende des Stücks führt sie uns in den Himmel. Im ersten Satz des Zweiten Violinkonzerts spürt man dagegen die Erinnerung an den Krieg. Die Musik ist irdisch. Wir bewegen uns in einer neuen Ära von Prokofjews Leben und Schreiben. Tanz und Walzer aus den Balletten Romeo und Julia und Cinderella sowie der Große Marsch aus der Oper Die Liebe zu den drei Orangen wurden von Ihrem Vater arrangiert und ausgewählt. Begleitet er Ihre Karriere als Ratgeber? Als lieber Papa und guter Freund, bei dem ich mir Ratschläge hole. Er hat ja schon so viel gespielt. Schostakowitsch und viele große Komponisten kannte er persönlich und führte ihre Musik zum ersten Mal auf. Er ist ein Mensch, dem ich vertraue und der mich niemals damit belasten würde, seine Meinung zu äußern, wenn ich ihn nicht darum bitte. Welcher Komponist liegt Ihnen außerdem so am Herzen, dass Sie seine Musik aufnehmen wollen? Sehr beschäftigen mich Schubert, Schumann und Mozart. Ich möchte aber nicht nur klassische Musik aufnehmen. Für meine nächste Aufnahme suche ich etwas Ausgefallenes. Anders Hillborg schrieb mir ein Violinkonzert, das ich 2016 spielte. Es ist fantastisch und vermittelt eine Atmosphäre, die an den Kosmos denken lässt. ■ „Visions of Prokofiev“, Lisa Batiashvili, Yannick Nézet-Séguin, Chamber Orchestra of Europe (DG) 9


K Ü N S T L E R

DER PRINZ EISENHERZ DES CELLOS Aus einem mittelalterlichen Ort in den französischen Alpen stammend, eroberte sich Gautier Capuçon die Begeisterung von Millionen von Zuhörern: unfehlbar, geradlinig, weltoffen und mit spektakulärer Expressivität. VON VERENA FISCHER-ZERNIN

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F OTO S : F E L I X B RO E D E / WA R N E R C L A S S I C S

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nterm Eiffelturm haben sie eine Bühne aufgebaut, mit schon fortgeschritten. Ein stärkerer Antrieb für den Jüngsten lässt Sternchenhimmel und Mood-Beleuchtung. Das Orches- sich kaum denken. Aude gab das Klavierspielen später auf, die beiter rollt einen Klangteppich aus, dann setzt der Cellist ein: strahlen- den Brüder jedoch entwickelten sich kometenhaft. „Meine Eltern des Lächeln, weiße Smokingjacke. Schon während er die ersten haben uns nie gezwungen“, erzählt Capuçon, „aber wenn ich sechs Töne von Massenets Méditation de Thaïs aufglühen lässt, schwen- Stunden geübt hatte, hat meine Mutter durchaus angedeutet, dass es ken die Menschen draußen auf dem Marsfeld ihre Handytaschen- auch noch mehr hätten sein können.“ lampen, und als das Stück verlischt, Hübsch, die Geschichte vom Brübricht die Menge in Jubel aus wie bei der-Duo. Und dem Fortkommen dieneinem Rockkonzert. lich. Ihr Paradestück ist das DoppelkonWenn sich ein klassischer Musiker zert von Brahms, den Anschluss an den für so ein populäres Format hergibt, Älteren hat Gautier früh geschafft. An kann er sich darauf gefasst machen, von seine Lehrer erinnert er sich: „Sie haben den Vertretern einer elitären Kunstaufsich enorm für mich eingesetzt. Statt fassung an den Pranger gestellt zu wermich nach ihrem Bild zu formen, haben den. Die Attribute sind schnell bei der sie mir geholfen, ich selbst zu werden.“ Hand: oberflächlich, anbiedernd, unseMit 14 Jahren wechselt er nach Paris zu riös. An Gautier Capuçon perlt so etwas Philippe Muller, mit 16 zieht er ganz in ab. Auch abseits des Open-Air-Konzerts die Hauptstadt. „Das Studentenleben ist er sich nicht zu schade, das breite habe ich aber erst in Wien kennengePublikum anzusprechen. Als Juror der lernt“, erzählt er. „Ich ging mit Freunden französischen Fernsehshow „Prodiges“ feiern und hörte Musik von Scott Jop(„Wunderkinder“) erreicht er Millionen, lin.“ Sein Lehrer dort war Heinrich da begleitet er schon mal eine kleine BalSchiff, wie Philippe Muller ein Schüler lerina mit dem berühmten Schwan von des legendären André Navarra, der mit „WENN ICH SECHS STUNDEN Saint-Saëns. seinem singenden Ton und einer spielMögen die Puritaner auf ihn eintechnischen Beherrschung bis ins GEÜBT HATTE, HAT MEINE dreschen, Capuçon ist als Interpret über kleinste Detail Generationen von Cellis­MUTTER ANGEDEUTET, den Verdacht einseitiger Seichtigkeit ten geprägt hat. erhaben. Mit seinen 36 Jahren hat er alle Vielleicht ist es kein Zufall, dass DASS ES AUCH NOCH MEHR Stationen absolviert, die es für eine WeltCapuçon sich beim Spielen ähnlich krea­HÄTTEN SEIN KÖNNEN“ karriere braucht. Er konzertiert mit türlich gibt wie einst der ungezähmte Martha Argerich, dem Quatuor Ebène Heinrich Schiff. Seine Miene ist in einem und den Wiener Philharmonikern. Seine Zustand der Dauerexpressivität. Er Diskografie zeugt von seiner Liebe zur Kammermusik, es finden schnauft und stülpt die Lippen vor, er schickt dem Dirigenten flesich aber auch die Cellokonzerte von Haydn, Schostakowitsch und hentliche oder auch zornige Blicke, je nach Affekt. Andererseits Lutosławski darin. Kurz, Capuçon kann es sich leisten, ein Album überlässt er in der Musik selbst nichts dem Moment. Phrasierungen nur mit Lieblingsstücken herauszubringen. „Intuition“ erscheint im und Übergänge sind schlüssig, aber es ist zu hören, dass er jedes Februar und präsentiert gleichsam auf dem Silbertablett, dramatur- Detail bewusst setzt. Seine Palette reicht vom verhangenen Après un gisch lose gefügt, lauter cellistische Pralinen: Salut d’amour von rêve von Fauré über das Flirren des Popper’schen Elfentanzes bis zu Elgar ist dabei und die Vocalise von Rachmaninow, der Schwan und einem fast bruitistischen Zugriff bei Piazzollas Grand tango. Der Thaïs, aber auch Musik von Scott Joplin und Piazzolla. Bogen kontrolliert die Saiten seines Goffriller-Cellos, ohne sie je „Die Auswahl ist ganz und gar persönlich“, sagt Capuçon an freizulassen. einem Wintermorgen beim Interview in der Hamburger SpeicherGenauso unfehlbar ist seine Außendarstellung. Kein Skandal, stadt, er kommt gerade aus Paris. „Ich habe schon jahrelang davon nirgends. Stattdessen schwärmt er von seinen beiden Töchtern. Als geträumt, eine Platte mit Charakterstücken zu machen und damit ihn eine Fernsehjournalistin einmal fragte, wen er, wenn er es eine Geschichte zu erzählen – oder eigentlich mehrere Geschichten. bestimmen könnte, auf einem Geldschein verewigen ließe, erwiAus meiner Kindheit, meinen frühen Pariser Jahren mit meinem derte er: „meine Frau“. Sogar dass er vor Jahren mit einem Burn-out Lehrer Philippe Muller oder meiner Studentenzeit in Wien.“ Der zu kämpfen hatte, erzählt er leichthin – liegt so eine Krise länger zierliche Mann versinkt fast hinter dem riesigen Holztisch, doch zurück, ist sie nicht mehr karrieregefährdend, sondern interessant. wendet er sich seinem Gegenüber auf diese geschmeidige Weise zu, Er habe sie allein durchgestanden, sagt Capuçon. Es habe sie niedie in Deutschland das Etikett französischer Höflichkeit trägt. Alle mand außer ihm selbst bemerkt. Er mache jetzt wieder Sport, achte paar Sekunden kämmt er sein kinnlanges schwarzes Haar mit den auf seinen Schlaf und meditiere regelmäßig: „In der Rückschau ist Fingern zurück zum Eisenherz-Haarhelm. es genial. Ich bin an meine Grenzen gekommen, aber diese ErfahCapuçons Biografie wirkt, als folge sie einem geheimen Bau- rung hat es mir auf lange Sicht ermöglicht, noch weiterzugehen.“ plan. Der Mann mit dem Ritternamen und der Ritterfrisur stammt Ein Resultat dieser Transformation ist das aus Chambéry in den Alpen, das im Mittelalter Sitz der Herzöge Album „Intuition“. So nahtlos fügen sich die von Savoyen war. Geprägt haben ihn die Bergwelt und ein offenDinge im Leben des Gautier Capuçon. ■ kundig glückliches Familienleben voller Musik. Als Gautier mit vier „Intuition“, Gautier Capuçon (Erato) Jahren zum Cello griff, waren die zehn Jahre ältere Schwester Aude Termine: 17.3. Elmau, Schloss; 20.3. Hamburg, Elbphilharmonie am Klavier und der fünf Jahre ältere Bruder Renaud an der Geige 11


K Ü N S T L E R

DIE HÖRMEISTERIN ­ Seit ihrem zwölften Lebensjahr ist Evelyn Glennie nahezu taub. Dennoch hört kaum jemand intensiver als die schottische Schlagzeugerin – mit ihrem gesamten Körper! VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL

F OTO: P H I L I P P R ATH M E R

Zuhören hält Evelyn Glennie für die größte Herausforderung in unserem heutigen Leben

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Februar – März 2018


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bsolute Stille gibt es nicht, davon ist Evelyn Glennie kunstwerk, das die Hörer sinnlich und rauschhaft in den Bann zieht. überzeugt. Die Welt ist für Glennie stattdessen ein Kos- Erlebt man Glennie auf der Bühne, erübrigen sich alle Fragen und mos an Vibrationen, der wummert und raunt, zittert Zweifel und man begreift: Wer wirklich hören will, muss fühlen! und bebt. Am liebsten wäre es der schottischen SchlagJene Musikerin, die ihre Karriere einst im schottischen Nordzeugerin, dieser Text würde ausschließlich ihre Musik behandeln: osten auf der Snare Drum begann und die in den 1980er-Jahren ihr meisterhaftes Spiel mit den Percussion-Instrumenten, das einem noch gegen einigen Widerstand an der Royal Academy of Music in mit seiner schwirrenden Virtuosität den Atem raubt, oder jene London aufgenommen wurde, hat heute alles erreicht: Sie hat einen magischen Momente, in denen die Marimba unter ihren wirbeln- Grammy und zahlreiche weitere Preise gewonnen, wurde in den den Händen zu singen beginnt. Aber ein Artikel ausschließlich über britischen Adelsstand erhoben und mit 15 Ehrendoktorwürden von ihre Musik wäre zu kurz gegriffen. Denn Evelyn Glennie ist seit britischen Universitäten geehrt. Sie besitzt eine riesige Sammlung ihrer Jugend weitgehend taub und ihre Biografie nicht nur die mit über 2.000 Instrumenten und ist als erste Vollzeit-Solo-PercusGeschichte einer herausragenden Musikerin, sondern auch eine fas- sionistin der Welt gefragter denn je. Als wagemutige Pionierin leitet zinierende Studie darüber, was „Hören“ bedeutet. Glennie bei all ihren Projekten, ob solistisch oder kammermusikaEvelyn Glennie kam 1965 lisch, ob in der Klassik oder im im Nordosten Schottlands, Jazz, die pure und sinnliche nahe Aberdeen auf die Welt Freude am vibrierenden Klang. „ICH HABE MEINEN KÖRPER ALS und wuchs auf einem Bauern„Ich mag dieses Gefühl sehr: RIESIGES OHR ENTDECKT“ hof auf. Früh entdeckte sie die neugierig um die nächste Ecke Welt der Töne und Harmonien zu gucken oder die nächste Tür für sich, spielte Mundharmozu öffnen und gespannt zu nika, später Klavier und Klarinette. Mit zwölf Jahren lernte sie im schauen, was sich dahinter verbirgt und was es alles für MöglichkeiSchulorchester zum ersten Mal Percussion-Instrumente kennen ten gibt.“ Vor Kurzem hat Glennie eine neue Tür in ihrem Leben und war wie gebannt. „Ich fand das unglaublich interessant: die geöffnet und zusammen mit dem Gitarristen Jon Hemmersam, dem unterschiedlichen Instrumente, die Vielfalt. Als ich dann mit dem Geiger Szilárd Mezei und dem Pianisten Michael Jefry Stevens das Unterricht begonnen habe, war schnell klar: Die Chemie zwischen „Core-tet Project“ gestartet und ein Improvisationsalbum aufgemir und dem Instrument ist perfekt“, erzählt Evelyn Glennie. nommen. Außer Hemmersam kannte Glennie vorher keinen der Die lebensfrohe Frau mit den langen grauen Haaren und der Musiker, und doch begann die Kraft der Musik von Beginn an zu prägnanten Stimme sitzt an einem Nachmittag im Dezember in wirken: „Wir haben uns einfach hingesetzt und angefangen“, erzählt ihrem Büro in London und blickt mit wachen Augen in die Kamera. Glennie. „Wir haben nichts diskutiert, wir haben einfach nur Wüsste man nichts von ihrem Handicap, käme man kaum auf die gespielt.“ Das Ergebnis ist ein experimentelles und vielfarbiges Idee, dass Evelyn Glennie nurmehr über ein Hörvermögen von etwa Album, das stilistische Grenzen spielerisch außer Kraft setzt. Mal 20 Prozent verfügt. Das Interview findet via Skype statt, nur selten wild und abenteuerlustig, mal zärtlich lauschend durchforsten die benötigt die Künstlerin Unterstützung durch ihre Agentin. Die vier Musiker improvisatorische Welten und locken neue, nie zuvor meiste Zeit liest sie von den Lippen ab und antwortet mit reicher gehörte Klänge hervor. Gestik und in druckreifen Sätzen. Evelyn Glennie hat hörbar ihren eigenen Platz im Kosmos der Als die Schlagzeugerin das erste Mal mit Percussion in Kontakt Vibrationen gefunden. Längst sind es nicht mehr nur ihre einzigarkam, war ihr Hörsinn bereits stark beeinträchtigt. In den folgenden tige Präsenz im Spiel und ihre fesselnde Ausdruckskraft, die die Jahren ging er immer mehr zurück. Anfangs stellte Evelyn Glennie Musikwelt bereichern. Vielmehr inspiriert Glennie mit ihrer umfasdie Musik immer lauter, um über ihre Hörgeräte noch möglichst viel senden Musikalität und Sinnlichkeit dazu, das eigene Verständnis von ihr zu erhaschen. Bis ihr Percussionlehrer sie eine völlig andere von Musik zu überdenken und scheinbar selbstverständliche WahrWahrnehmung von Musik lehrte. Damals bat er Glennie, ihre Hör- nehmungsmuster infrage zu stellen. Wie nehmen wir Melodien, geräte abzunehmen und die Hände auf die Wände des Unterrichts- Harmonien und Rhythmen wirklich wahr? Welche Rolle spielen zimmers zu legen. Dann spielte er Pauke und Glennie sollte sich dar- unsere Ohren? Und ab welchem Moment sprechen wir eigentlich auf konzentrieren, was sie fühlte. Nach und nach begann sie, die von Musik? „Wenn wir zum Beispiel nur die erste Note von BeethoMusik an ihrem gesamten Körper zu empfinden – in den Beinen, vens 5. Sinfonie spielen – ist das nun Musik oder ist das Klang? Es ist dem Bauch, dem Nacken, vibrierend, pulsierend und unmittelbar. immerhin die erste Note von Beethovens 5. Sinfonie!“, gibt Evelyn Für Evelyn Glennie war das ein Schlüsselmoment: „Ich habe mit Glennie zu bedenken und lacht. Für sie ist eine Unterscheidung einem Mal gemerkt: Ja, ich kann Klang wirklich spüren! Da habe ich irrelevant. Wirklich wichtig ist ihr das intensive, ganzheitliche verstanden, dass der wichtigste Teil des Klangs nicht der Anschlag Hören – jene menschliche Fähigkeit, die Musik erst möglich macht. ist, sondern die Resonanz.“ Schien die Musik zuvor mit zunehmen- Dabei geht es nicht nur um die Wahrnehmung von Tönen. „Die der Taubheit immer weiter von ihr wegzurücken, hatte Glennie mit größte Herausforderung in unserem heutigen Leben ist es zuzuhöeinem Mal einen neuen, direkten Zugang zu ihr entdeckt. Bald legte ren“, beobachtet Glennie. „Wir müssen einander zuhören lernen. sie ihre Hörgeräte ab und konzentrierte sich ganz auf das spürende Das heißt nicht zwingend, einem Klang zuzuhören, sondern präsent Hören. Als wäre jede Pore auf Empfang gestellt, schulte sie sich in der und achtsam zu sein und sich selbst und die anderen Menschen Wahrnehmung der Resonanz von Klängen. „Ich habe meinen Kör- wirklich wahrzunehmen.“ per als riesiges Ohr entdeckt“, schildert Glennie. Nie zweifelte sie Und was hat es dabei mit der Stille auf sich? „Stille ist ein daran, Schlagzeugerin werden zu können. „Wenn ich nicht hören Klang“, sagt Evelyn Glennie, „und ich denke, man kann sich ihm könnte, könnte ich keine Musikerin sein“, bemerkt Glennie schlicht. annähern. Dieser Klang kann nervös sein oder einsam, friedvoll Mehr gibt es dazu aus ihrer Sicht nicht zu sagen. oder dunkel, traurig oder glücklich. Stille ist eine fantastische Sache, Entsprechend vehement hat sich Glennie seit jeher gegen eine die alle möglichen Emotionen in sich trägt. Sie ist Vermarktung als taubes Wunderkind und bestaunenswerte Attrakein wichtiger Klang, den wir alle respektieren tion auf der Bühne gewehrt. Das beste Mittel gegen die Sensationssollten.“ ■ gier der Menge war und ist bis heute ihr Spiel: Direkt und span„The Core-tet Project“, Evelyn Glennie, Jon Hemmersam, nungsvoll, ungemein energiegeladen und mit prickelnder Präzision Szilárd Mezei, Michael Jefry Stevens (Naxos) erschafft Glennie an ihren Instrumenten ein farbenreiches Gesamt13


K Ü N S T L E R

Hiyoli Togawa

F OTO: A N N E H O R N E M A N N

Newcomer

EIN KLANG WIE SCHOKOLADE Für die junge Bratscherin Hiyoli Togawa ist das Spiel auf ihrem Instrument wie nach Hause zu kommen. Darüber hinaus tanzt und malt sie leidenschaftlich. VON CORINA KOLBE

Ü

ber ihr Instrument spricht Hiyoli Togawa wie über einen guten Wein. „Der Klang der Bratsche hat etwas Urwüchsiges, Erdiges. Manchmal schmecke ich sogar Schokolade heraus.“ Das Musizieren führe sie mit allen Sinnen zur Natur zurück, selbst mitten in einer Großstadt. Neben Trommeln und Marimbas sitzen wir in dem geräumigen, schallgedämpften Studio in Berlin, das sie sich mit ihrem Ehemann, dem Schlagzeuger Alexej Gerassimez, teilt. „In dieser Stadt muss man sich ständig neu erfinden. Hier werden genau die Energien freigesetzt, die wir für unsere kreative Arbeit brauchen.“ Togawa, die als Tochter eines Japaners und einer Australierin in Düsseldorf aufwuchs, entdeckte als Teenager ihre Leidenschaft für die Bratsche. Wenn die Eltern, beide professionelle Musiker, nicht zu Hause waren, holte sie heimlich ein Instrument ihres Vaters hervor. „Vorher hatte ich Geigenunterricht, der mich allerdings nicht besonders begeisterte. Als ich dann zum ersten Mal die Bratsche in die Hand nahm, hat mich der dunklere Klang der C-Saite sofort fasziniert. Ich erinnere mich noch genau an die Schwingungen, die plötzlich durch meinen Körper hindurchgingen.“ An der Kölner Musikhochschule erhielt sie bei Rainer Moog und Antoine Tamestit den nötigen technischen Schliff, bevor sie ihre Studien in Belgien beim Artemis Quartett und anschließend bei Hariolf Schlichtig in München fortsetzte. Togawa tritt inzwischen als Solistin und Kammermusikerin in Europa und Asien auf, manchmal gemeinsam mit ihrem Mann, der als Percussionist ebenfalls international gefragt ist. Im vergangenen August hat sie in Lappland ein Solostück uraufgeführt, das der finnische Komponist Kalevi Aho für sie geschrieben hat. Beim Label Naxos erscheint im 14

Januar ihr Debütalbum mit frühromantischen Viola-Sonaten von George Onslow und Felix Mendelssohn Bartholdy sowie sechs Nocturnes von Johann Wenzel Kalliwoda, die sie mit der Pianistin Lilit Grigoryan aufgenommen hat. „Das Klangspektrum der Bratsche vereint unterschiedliche Pole, die Höhen und Tiefen des Lebens. Immer wenn ich mein Instrument spiele, habe ich das Gefühl, nach Hause zu kommen“, sagt Togawa. „Auf diese Reise in mein eigenes Inneres möchte ich das Publikum mitnehmen. Dieser Wunsch gibt mir überhaupt erst den Antrieb dazu, in unserer Zeit Musik zu machen.“ Einige Jahre lang musizierte die umtriebige Künstlerin im Quartett, bevor sie neue Herausforderungen suchte. „Allein schon wegen meiner multikulturellen Herkunft habe ich so viele unterschiedliche Seiten, dass mir die Kammermusik als Ausdrucksmittel nicht ausreicht.“ Nach dem Turniertanzen, dem sie sich früher intensiv widmete, spielt inzwischen die Malerei in ihrem Leben eine immer wichtigere Rolle. „Ein technisch anspruchsvolles Programm zu präsentieren, ist nicht alles. Die Zuhörer wollen vor allem erfahren, was uns als Musiker innerlich bewegt. Man muss echt sein“, ist sie überzeugt. „Ich könnte mir beispielsweise ein Projekt vorstellen, das Bogenstriche mit Pinselstrichen oder mit Tanz zusammenbringt. Auch das wäre ein Teil meines Ichs.“ ■ Onslow, Mendelssohn, Kalliwoda: „Romantische Sonaten für Viola“, ­Hiyoli Togawa, Lilit Grigoryan (Naxos) Track 2 auf der crescendo Abo-CD: Violinsonate F-Dur op. 16, Nr. 1. II. Andante von Onslow

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HÖREN & SEHEN Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz Attila Csampais Auswahl (Seite 16) crescendo-Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören? Kein Problem: Auf www.crescendo.de finden Sie unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören!

Daniel Müller-Schott

Wunderbar geklaut „Offen sein für die Musik jeder Epoche und deren Übertragung auf andere Instrumente“ ist das Credo des Cellisten Daniel Müller-Schott, der sich aktiv für die Erweiterung seines Repertoires einsetzt. Komponistengrößen wie Sir André Previn und Olli Mustonen widmeten ihm bereits ihre Werke. Für sein neues Album sah sich der Cellist zur Abwechslung aber im bereits existierenden Repertoire anderer Instrumente um. Das Violinkonzert in G-Dur von Joseph Haydn, aber auch das berühmte Adagio des Bach’schen E-Dur Violinkonzerts interpretiert Müller-Schott auf seinem Instrument neu und schwingt sich dabei agil in jede Höhe hinauf. Besonders sträflich wurde das Soloinstrument Cello jedoch von einem ignoriert: Mozart. So ist auf der Aufnahme neben dem Adagio für Violine und Orchester auch das Oboenkonzert des Komponisten zu finden – von Mozart selbst für Flöte bearbeitet, die Ecksätze von George Szell für den großen Cellisten Feuermann umgeschrieben. Das fehlende Adagio sowie die Kadenzen schrieb Müller-Schott selbst seinem Instrument auf den Leib. Mit romantisch angehauchtem Ton und herausragend präziser Technik beweist er dabei, dass er und sein Cello echte Alleskönner sind. SK

F OTO: U W E A R E N S

SOLO Bach, Haydn, Mozart: „#CelloReimagined“, Daniel Müller-Schott, l’arte del mondo (Orfeo) Track 5 auf der crescendo Abo-CD: Konzert für Violine und Orchester E-Dur Nr. 2 BWV 1042

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H Ö R E N & S E H E N

Empfehlungen von Attila Csampai

TOP-NACHWUCHS UND KLASSIKER GANZ NEU … bestimmen Attila Csampais Februar-Auswahl

Anzahl der Komplettaufnahmen überschaubar geblieben, und es überwiegt das etüdenhafte Ringen mit der unspielbaren Materie, Bruno Philippe, Tanguy de Williencourt sodass auch das Zuhören zur Qual werden kann. Nichts davon in (Harmonia Mundi) Hadelichs neuer, lupenreiner, beängstigend perfekter InterpretaTrack 6 auf der crescendo Abo-CD: tion: Ich kenne keine Aufnahme, in der jemand diese 24 Dämonen Nacht und Träume D. 827 von Schubert so mühelos, so beschwingt, so einfühlsam und so musikalisch Man glaubt es kaum, aber es gibt sie noch, die zwingend „gezähmt“ hätte, sodass aller Schrecken, alle Anstrenqualifizierte Nachwuchsförderung durch die Schallplattenindus­ gung, alles Etüdenhafte sich in arienhafte Anmut, in Schönheit trie. Ein französisches Independent-Label geht mutig voran und und sanfte Trauer verwandeln. So wird auch die ganz besondere schickt zwei einheimische Top-Talente ins Rennen: Cellist Bruno Magie, die damals von ihrem Urheber ausging, hier auf verführePhilippe und Pianist Tanguy de Williencourt kombinieren Beet- rische Weise wiederbelebt: ein Album mit hohem Suchtfaktor und hovens virtuose Kreutzer-Sonate mit Schuberts lyrischer Arpeggio­ ein Geiger mit Riesenpotenzial. ne-Sonate und bestehen die Prüfung grandios. Die Cello-Version der Violinsonate Beethovens wurde erst 1990 in einem Antiquariat FRÉDÉRIC CHOPIN: „GHOSTS“ Nino Gvetadze (Challenge Classics) wiederentdeckt: Carl Czerny schuf 1822 eine exzellente TranskripTrack 7 auf der crescendo Abo-CD: tion, die den dramatischen Furor des Werks fast noch besser Walzer in A-Dur op. 34 Nr. 2 umsetzt. So liefern sich die beiden technisch perfekten Solisten einen packenden, jugendlich-ungestümen Dialog auf Augenhöhe, „Ghosts“ nennt die aus Georgien stammende denn das eine Oktave tiefer spielende Cello ist dem Klavier hier ein Pianistin Nino Gvetadze ihr neues Chopinebenbürtiger, dunkel-sonorer Kontrahent. Bei der SchubertAlbum, in dessen Mittelpunkt ihre düsterSonate, die eigentlich für eine große, harfenähnliche Gitarre kom- nachdenkliche Deutung der Préludes des polnischen Klavierrevoponiert wurde, übt sich Philippe aber in nobler, fast zärtlicher lutionärs steht: Sie beschwört auf ihrem erstaunlich dunkel klinZurückhaltung und gibt so dem arg strapazierten Opus seinen genden Steinway-D-Flügel die Geister der Vergangenheit und ursprünglichen liedhaft-innigen Charakter zurück: Von diesem deutet diese 24 enigmatischen Miniaturen als Traumbilder der großartigen, hochmusikalischen Duo wird man bestimmt noch Nacht, als poetische Reflexionen über die unausweichliche Exishören. tenz des Todes. Damit entwirft die in Amsterdam lebende Pianistin die dunkle Gegenwelt etwa zu der jugendlich ungestümen, NICCOLÒ PAGANINI: 24 CAPRICES lebendig pulsierenden Referenzeinspielung Ivo Pogorelichs aus Augustin Hadelich (Warner) dem Jahr 1989, die entschieden allen Todesgedanken trotzte. In den Staaten ist Augustin Hadelich längst Auch Gvetadze erzählt uns eine zusammenhängende Geschichte, kein Unbekannter mehr. Der 1984 in Italien setzt 24-mal die Schönheit des Gedankens und das Drama der geborene Sohn deutscher Eltern begann als Verzweiflung gegen das drohende Nichts. Doch sie entlockt diesen Geigen-Wunderkind, erlitt mit 15 bei einem „Vorspielen“ eine tiefe spirituelle Kraft, die sofort auch den Hörer Unfall schwerste Verbrennungen, kämpfte sich bannt und ihn die eigentliche tragische Größe dieser Nachtstücke zurück und gewann mit 22 den Violin-Wettbewerb von Indiana- erleben lässt. Ob Chopin damit schon früh ein schmerzliches polis. Danach eroberte er schnell die Konzertsäle der USA und Resümee seines kurzen Lebens ziehen wollte, wie sie im Booklet zuletzt auch Europas. Für sein Debütalbum bei Warner hat er sich meint, ist dennoch fraglich: Dass diese Aphorismen aber die für Paganinis 24 Capricen op. 1 entschieden, dem wohl schwierigs- Essenz seines Schaffens und seiner musikalischen Weltsicht darten und bizarrsten Etüden-Zyklus für Violine solo, der auch viele stellen, das unterstreicht diese fesselnde Einspielung auf besonKomponisten beeinflusst und angeregt hat. Gleichwohl ist die dere Weise. 16

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ZE I C H N U N G : S T E FA N S TE IT Z

BEETHOVEN: KREUTZER SONATA; SCHUBERT: ARPEGGIONE SONATA


FRANZ SCHUBERT: SYMPHONIES NOS. 2 & 5 Antwerp Symphony Orchestra, Philippe Herreweghe (PHI)

Bis heute hält sich der Vorwurf, Schuberts frühe Sinfonien seien „nur“ gekonnte Nachbildungen der Werke seiner großen Vorgänger Haydn und Mozart, und im Grunde nichts Eigenes. Bis heute gelten nur die Unvollendete und die Große C-Dur als bedeutende Meisterwerke. Jetzt hat Philippe Herreweghe, der Feingeist unter den großen Pionieren des Originalklangs, sich die Zweite und die Fünfte vorgenommen und beide B-Dur-Arbeiten des Teenagers Schubert mit dem Antwerp Symphony Orchestra so zärtlich und feurig wiederbelebt, dass man sich fast fremdschämen möchte für die dummen Vorurteile früherer Generationen. Natürlich spürt man in beiden Werken den starken Einfluss seiner erklärten Vorbilder. Doch bahnt sich schon im Kopfsatz der Zweiten Sinfonie Schuberts ganz eigener, lyrisch sich ausbreitender, flächiger Satzbau seinen eigenen Weg, der durch Herreweghes drängenden, aber immer wunderbar transparenten und jugendlich pulsierenden Klangfluss einen ganz eigenen Charakter gewinnt und fast ungetrübte Aufbruchsstimmung verbreitet: So glückt dem 19-jährigen Schubert im Andante der Fünften Sinfonie einer der schönsten, innigsten Sätze seines gesamten Schaffens, ein einzigartiges Juwel musikalischer Schönheit. Herreweghe weiß das, trägt aber auch hier nicht zu dick auf, bleibt nobel, warmherzig und empfindsam. FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: STRING SYMPHONIES VOL. 2 L’Orfeo Barockorchester, Michi Gaigg (cpo)

Es besteht kein Zweifel, dass Felix Mendelssohn zu den größten Junggenies der Musikgeschichte zählt: Seine ersten zwölf Streichersinfonien, die er zwischen seinem 11. und 13. Lebensjahr schuf, sind das beste Beispiel für sein unglaubliches Talent. Jetzt hat das in Linz beheimatete L’Orfeo Barockorchester, das sich auf historischen Ins­ trumenten bislang auf die Musik des Spätbarock und der Klassik konzentrierte, die zweite Folge der Mendelssohn’schen Jugendsinfonien vorgelegt. Und wie schon beim ersten, 2015 erschienenen Album, besticht das nur aus 16 Streichern (plus einem Fortepiano) bestehende Kammerensemble auch diesmal durch seinen trocken-geschärften, ungemein prägnanten Musizierstil, der totale Transparenz mit sehr flotten Tempi kombiniert. So rücken statt frühromantischer Heimeligkeit mehr die historischen Wurzeln dieser Jugendarbeiten – also Bach’scher Kontrapunkt und vorklassischer Sturm-und-Drang-Furor – in den Vordergrund. Mit warmen, satten Sounds hat Michi Gaiggs ausgeschlafene Truppe wenig im Sinn, sie verströmen eher den rauen, aber herzlichen Charme von rigorosen Aufklärern, die hier die unterschiedlichen Einflusssphären eines solchen Junggenies und die revolutionären Umbrüche jener unruhigen Zeit deutlich machen wollen. TCHAIKOVSKY: SYMPHONY NO. 6 „PATHÉTIQUE“ MusicAeterna, Teodor Currentzis (Sony)

Unter den jüngeren Dirigenten ist der Grieche Teodor Currentzis derzeit der mit Abstand aufregendste: In kurzer Zeit machte er das im fernen Ural liegende Opernhaus von Perm zu einem neuen Zentrum visionärer Theaterarbeit, und seine Studioproduktionen der drei Da-Ponte-Opern Mozarts wurden weltweit als neue Referenzen gefeiert. Jetzt greift der designierte neue Chef des SWR Symphonieorchesters auch nach sinfonischen Ehren. Mit seinem MusicAeterna Orchester hat er sich gleich das größte Juwel russischer Sinfonik vorgenommen, Tschaikowskys genialische, von Todesahnungen durchwirkte Sechste Sinfonie, von der es unzählige gute Einspielungen gibt. Dennoch schafft es der 45-jährige Exzentriker, dieses nationale Heiligtum komplett neu zu vermessen und ihm seine wahre erschütternde Größe zurückzugeben, indem er mit rigoroser Detailgenauigkeit und extremer Dynamik dessen wahre Seelenabgründe freilegt, jenseits allen vordergründigen Pathos. Allein seine wunderbar pulsierende Piano- und Pianissimokultur zu Beginn der Sinfonie ist beispiellos, und die Zusammenbrüche in der Durchführung entladen ein unerhörtes Verzweiflungspotenzial. Diese tiefe innere Tragik des Werks findet ihren bitteren Ausgang im düsteren Schluss-Adagio, das Currentzis als vergeblichen Todeskampf deutet. Nach diesem schonungslosen Selbstbekenntnis versteht jeder, warum Tschaikowsky nur wenige Tage nach der Uraufführung die Welt verließ. 17


H Ö R E N & S E H E N

SOLO

ORCHES­ TER

Frank Peter Zimmermann

Peter Racine Fricker

Im Banne Bachs Die mehrsätzige Musik Johann Sebastian Bachs stellt den Interpreten vor enorme Herausforderungen. Einerseits muss der Künstler die verschiedensten Affekte vermitteln, die von Freudentänzen bis zu Klagegesängen auch sämtliche Zwischennuancen enthalten können. Weiterhin ist die kompositorische Struktur neben der geforderten Virtuosität und Klarheit im Ausdruck stets so transparent, dass dem Zuhörer nicht das kleinste Detail entgeht, weder intonatorische Unsauberkeiten noch Unstimmigkeiten im Ensemblespiel. Um Schwierigkeiten dieser Art brauchen sich weder Frank Peter Zimmermann noch die Berliner Barock Solisten Sorgen zu machen. Die Einspielung der Violinkonzerte überzeugt durch künstlerische Präzision, virtuose Leichtigkeit und Hingabe im Ausdruck. Mit seinem zarten, schlanken und lebendigen Klang gelingt es Zimmermann, die Zuhörer von Anfang an ha lten in seinen Bann zu ziehen. US r Abonnent er Als neue (siehe S. 34) Sie diese CD

Johann Sebastian Bach: „Violinkonzerte“, Frank Peter Zimmermann, Serge Zimmermann, Berliner Barock Solisten (Hänssler) Track 3 auf der crescendo Abo-CD: Konzert in d-Moll BWV 1052. III. Allegro

Großmeister der ­Originalität Der junge Peter Racine Fricker (1920–90) galt in den 1950er-Jahren neben Britten und Tippett als Englands interessantester Symphoniker. Stilis­ tisch stammt der Seiber-Schüler kaum aus der britischen Tradition, sondern erweist sich als höchst origineller Weiterentwickler des Expressionismus solcher Meister wie Bartók, Berg oder Blacher. Handwerklich ein Großmeister mit fantastischer Beherrschung des Orchesters und der Fähigkeit, große Formzusammenhänge in unorthodoxer Weise zu schaffen, wird er hier mit Rundfunkmitschnitten der zwischen 1948 und 1966 entstandenen Sinfonien Nr. 1–4 sowie zwei kürzeren Werken vorgestellt (Nr. 3 und 4 erstmals auf Tonträger). Als Symphoniker können ihm in seiner Zeit in England allenfalls Robert Simpson, Bernard Stevens und Havergal Brian zur Seite gestellt werden, und wer Bartók, Schos­takowitsch, Karl Amadeus Hartmann oder Dutilleux liebt, sollte hier unbedingt zugreifen. CS

F OTO: H A R A L D H O F F M A N N

Peter Racine Fricker: „Symphonies 1–4“, Bryden Thomson, Albert Rosen, BBC Northern Symphony ­Orchestra (Lyrita)

Münchner Philharmoniker

Apotheose der ­Weltverlorenheit

Wilhelm Furtwängler

Sensationsfund Am 26. August 1953 stand Wilhelm Furtwängler in Luzern zum letzten Mal am Pult des Schweizerischen Festspielorchesters. Der Mitschnitt von Robert Schumanns tragisch düsterer Manfred-Ouvertüre galt lange Zeit als verschollen, bevor er zufällig in einem Archiv entdeckt wurde. Beim Label Audite ist er jetzt erstmals auf Tonträger erschienen. Das Album enthält außerdem Liveaufnahmen der am selben Abend aufgeführten Schumann-Sinfonie Nr. 4 und der Eroica von Ludwig van Beethoven. Letztere Werke wurden zum ersten Mal auf Basis der originalen Rundfunkbänder editiert; für bisherige Veröffentlichungen war ein privater Mitschnitt auf Kassette verwendet worden. Furtwängler näherte sich der Musik aus einer inneren Dringlichkeit heraus, die beim Anhören dieser Aufnahmen spürbar wird. Im Adagio-Satz der Schumann-Sinfonie beispielsweise brodeln Emotionen, die nie in übertriebenes Pathos münden. Ein empfehlenswertes Album, nicht nur für Furtwängler-Fans. CK

Schumann: „Manfred Overture & Symphony No. 4“, Beethoven: „Symphony No. 3 Eroica“, ­Wilhelm Furtwängler, Swiss Festival Orchestra (Audite)

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Die zweite Folge der Münchner Philharmoniker beim eigenen Label mit Konzertmitschnitten unter Sergiu Celibidache (nach den unübertrefflichen Aufnahmen von Schuberts Unvollendeter und Dvořáks Sinfonie Aus der Neuen Welt) überrascht mit Gustav Mahler. Und tatsächlich sind die Kindertotenlieder das einzige Werk Mahlers, das Celibidache aufgeführt hat. Mit Brigitte Fassbaender wird alles in feinster Weise ausgestaltet, die Tragödie entfaltet sich in erschütternder Weise als Apotheose der Weltverlorenheit, es wird ein unentrinnbarer Spannungsbogen zelebriert. Richard Strauss’ Tod und Verklärung erfährt in der prachtvoll durchgehörten, hellwach ausbalancierten und aufgrund kammermusikalisch geschulter, kontrapunktisch und harmonisch bewusst artikulierender Sanglichkeit eine rundherum stimmige und fesselnde Referenzaufführung. CS

Mahler: „Kindertotenlieder“ & Strauss: „Tod und Verklärung“, Sergiu Celibidache, Münchner Philharmoniker (MPHIL)

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ORCHES­ TER

Göteborgs Symfoniker

Edelmut statt Muskelspiel

Seit 2013 ist Kent Nagano neben seinen Tätigkeiten als Generalmusikdirektor in Hamburg und Orchesterchef in Montréal auch Erster Gastdirigent der Göteborger Symphoniker, des schwedischen Nationalorchesters. Ungewöhnlich sauber und detailverliebt durchleuchtet er hier mit den Göteborgern die Partitur von Strauss’ Heldenleben, als wäre es große Kammermusik, und erzielt dabei auch berückend weiche Pianoklänge. Nagano will keinen musikalischen Superhero-Blockbuster mit neuesten Spezialeffekten inszenieren, sondern liebt eher den nüchternen, präzisen Zugriff: Was er am Monumentalen spart, investiert er in Genauigkeit. Des Helden Walstatt klingt deshalb nicht wie ein Oktoberfest-Walkürengetümmel, sondern vergleichsweise schlank und elastisch. Konzertmeisterin Sara Trobäck verwandelt sogar die Sottisen des großen Violinsolos noch in klangvolle Geschmeidigkeit. Ganz ähnlich auch Naganos Absichten mit Tod und Verklärung: Noblesse am Sterbebett. WW

Richard Strauss: „Ein Heldenleben“, „Tod und Verklärung“, Göteborgs Symfoniker, Kent Nagano (Farao) Track 1 auf der crescendo Abo-CD: Tod und Verklärung op. 24. I. Largo

Sarah Wegener und Götz Payer

Meeresluft, Wasserwelt Was für die Deutschen der Wald ist, das ist für die Briten das Meer – und von diesem haben sich die Sopranistin Sarah Wegener und der Pianist Götz Payer zu einem Liedprogramm inspirieren lassen. Sie präsentieren Lieder von englischen und nordischen Komponisten, aber auch aus der Feder von Schubert, Brahms und Strauss. Denn nicht nur vom Wald haben sich die deutschen Dichter faszinieren lassen, sondern auch von Seen, Flüssen und eben dem Meer. Leider verrät nur der Album-Titel „… into the deepest Sea!“ die nasse Gemeinsamkeit, die Liedtexte sind nicht abgedruckt. Schade! Denn dem Meer möchte man gerne nachspüren, lesend und hörend ja sowieso. Eine Stärke der Aufnahme ist es, im Zweifelsfall ohne dieses Motto auszukommen – durch geglückte Interpretation und den geradezu nahtlosen Zusammenschluss von ausdrucksvoller Stimme und farbenreichem Klavier. UH

Schubert, Brahms, Sibelius u. a.: „… into the deepest Sea!“, Sarah Wegener, Götz Payer (CAvi) Track 10 auf der crescendo Abo-CD: Solveigs Sang op. 23 Nr. 19 von Grieg

LIED

T SC H A N O N DA V I D F OT O: S I M

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H Ö R E N & S E H E N

Minguet Quartett

SOLO

Glutvoll Es gibt Gerüchte, die sind einfach nicht aus der Welt zu schaffen, auch wenn sie alles andere als zutreffend sind. Im Falle des österreichischen Erzromantikers Robert Fuchs war es ein Bonmot seines Komponistenkollegen Josef Hellmesberger, der den letzten Satz von Fuchs’ Fünfter Serenade mit den Worten „Fuchs, die hast du ganz gestohlen“ kommentierte, obwohl das Werk als Hommage an den „Walzerkönig“ gedacht war und alles andere als ein Plagiat ist. Der Nachwelt waren solche Feinheiten egal, der Ruf schien zementiert, zumal Fuchs auch noch gut mit Johannes Brahms befreundet war und gerne als dessen Epigone tituliert wurde. Die Einspielung der ersten vier Streichquartette durch das Minguet Quartett könnte daran vielleicht etwas ändern, denn die vier Musiker plädieren so glutvoll und überzeugend für diesen Komponisten, dass man sich ihrem Spiel einfach nicht zu entziehen vermag. Auf die Fortsetzung darf man getrost gespannt sein. GK

Robert Fuchs: „Complete String Quartets“, Minguet Quartet (MDG)

KAMMERMUSIK

Daniel Hope

Grandioser Fabulierer Mozart als Tableau vivant. Hope spielt nicht, er malt. Einem Vermeer gleich setzt er Lichtpunkte, die dem Vertrauten das Unvertraute zurückschenken. Wo bei anderen Interpretationen Mozarts in der Routine allzu häufiger Wiederholung alle Farbenflut verebbt, zaubert Hope ungeahnte Nuancen. Als brillanter Fabulierer begibt er sich im Zwiegespräch mit dem kongenialen Zürcher Kammerorchester auf wundersame Reise zu Mozarts Drittem Violinkonzert. Es ist eine Reise durch die Zeit, die – neben Gluck, Salomon und Mysliveček – Mozart das gleichfalls arienhafte Violinkonzert Hob. VIIa:4 Haydns gegenüberstellt. Wissend, dass Mozarts letztes Violinkonzert KV 219 in ein Alla turca mündet, wird das Alla turca seiner Klaviersonate in der Bearbeitung für Violine zur perfekten Zugabe dieses Albums. Hope ist in seiner fluoreszierender Leichtigkeit einfach grandios! SELL

„Journey to Mozart“, Daniel Hope, Zurich Chamber ­Orchestra (Deutsche Grammophon)

Tabea Zimmermann, Jörg Widmann, Dénes Várjon

Märchen aus unsicheren Zeiten Märchen als um Muster früheren Erzählguts geht. Schumann dagegen, der zur Entstehungszeit mit seiner Legendenoper Genoveva rang, bannte intellektuelle Sehnsucht nach dem Wunderbaren in musikalische Sätze mit Fantasiepotenzial: Salonkultur zwischen Brüder Grimm und Ludwig Richter. DIP

„Es war einmal ... Märchenerzählungen von Robert Schumann und Jörg Widmann“, Tabea Zimmermann, Jörg Widmann, Dénes Várjon (myrios classics) Track 4 auf der crescendo Abo-CD: Märchenerzählungen für Klarinette, Viola und Klavier op. 132. III. Ruhiges Tempo mit zartem Ausdruck

F OTO: F R A N K RO S S B AC H

Er ist ein begehrter Klarinettist und heftig akklamiert als Gewandhauskomponist. Dort repräsentiert Jörg Widmann am gleichen Ort wie einstmals Robert Schumann die musikalische Gegenwart. Das war der Anlass zur Gegenüberstellung der Weltersteinspielung von Widmanns eigenen fünf Stücken im Märchenton mit den musikalischen Märchenbildern und -erzählungen des Romantikers. Tabea Zimmermann, Dénes Várjon und der selbst mitspielende Komponist nähern sich den Kostbarkeiten dieser liebevollen Edition mit verträumter Gelassenheit. Diese Idyllen in ungewöhnlicher Besetzung sind ein lyrischer Kampf der Poesie gegen die Prosa des Alltags. Jörg Widmann verbirgt in seinen fünf Sätzen, dass es ihm weniger um echte

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Aktuelle

Hiromi & Edmar Castaneda

Explosive Saitenspiele Die japanische Pianistin Hiromi zählt seit 15 Jahren zu den aufregendsten Virtuosinnen des Fusion-Jazz-Rock: In ihrem rasanten Spiel verdichten sich alle großen Jazz-Pianisten von Art Tatum bis Chick Corea, und ihre stilistische Vielfalt ist einfach berauschend. Ihr neuestes Album enthält den Mitschnitt ihres ersten Auftritts mit dem ähnlich explosiven kolumbianischen Harfenisten Edmar Castaneda beim Jazz-Festival in Montreal im Juni 2017. Diese exotische Kombination von wesensverwandten Saiten-Instrumenten birgt für zwei solche Hexenmeister ein völlig neues Experimentierfeld für fantastische Dialoge und unerhörte Klangmischungen. Höhepunkt des Albums ist eine 30-minütige Suite, in der die beiden in schönster impressionistischer Lautmalerei die Naturkräfte beschwören: Luftschwingungen, grunzende Erdhügel und perlende Wasserspiele münden in einen vulkanischen Feuertanz, der uns nach Südamerika entführt und mit Piazzollas Libertango seinen befreienden Abschluss findet: ein elektrisierendes Album. AC

JAZZ

NEUHEITEN bei Sony Classical

Sonya Yoncheva | Das Verdi Album Einmal mehr beweist die ECHO Klassik Preisträgerin auf ihrem neuen Album mit VerdiArien, über welche Ausnahmestimme sie verfügt. Begleitet wird sie vom Münchner Rundfunkorchester.

Hiromi & Edmar Castaneda: „Live in Montreal“ (Telarc) Oscar Peterson in memoriam

Liebeserklärungen an Oscar Oscar Peterson war neben Art Tatum der bedeutendste Jazz-­Pianist des 20. Jahrhunderts: Als „Maharadja der Tasten“ prägte er über sechs Jahrzehnte das virtuose Klavierspiel und beeinflusst durch seine unzähligen Aufnahmen bis heute alle nachfolgenden Pianisten-Generationen. Zu seinem zehnten Todestag hat seine Witwe Kelly nun einen illustren Kreis von klavierspielenden Peterson-Verehrern zu sich nach Kanada eingeladen und sie gebeten, über ausgewählte Kompositionen ihres Mannes zu improvisieren. Im Lauf eines Jahres folgten 14 Top-Pianisten ihrem Ruf und hinterließen 37 Liebeserklärungen an Oscar, die jetzt in einer audiophilen 3-CD-Edition erschienen sind. Neben Altmeistern wie Monty Alexander, Kenny Baron, Ramsey Lewis und Chick Corea ließen sich auch jüngere Piano-Cracks wie Benny Green, Gerald Clayton, Justin Kauflin oder Japans Klavierhexe Hiromi vom Zauber von Oscars eigenem Bösendorfer-Flügel inspirieren und erweckten dabei auch unveröffentlichte Titel Petersons zu neuem Leben. Herauskam eine wunderbare, in jedem Moment tief empfundene, von purer Seelenenergie durchflutete Hommage von lauter Großmeistern an ihr hochverehrtes Idol und eines der bewegendsten Klavieralben der letzten Jahre. AC

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Anita Rachvelishvili Die junge Mezzosopranistin gilt als derzeit beste Carmen. Auf ihrem ersten Album präsentiert sie Arien aus Carmen, Il Trovatore, Cavalleria Rusticana, Don Carlos u.a., begleitet vom Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai. Erhältlich ab 02.03.18

www.anitarachvelishvili.com

„Oscar, with Love – 14 Pianisten spielen Oscar Peterson“ (Two Lions Records)

Nuria Rial | Vocalise

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky

Mann aus Porzellan Um Tschaikowskys Leben als elektrisierende Geschichte zu erzählen, muss nichts hinzugefügt werden: Zwischen Überempfindlichkeit und Angstzuständen, unglücklicher homosexueller Liebe und quälendem Heimweh, Lampenfieber und Menschenscheu irrt er – emotional ein „Mann aus Porzellan“ – rastlos durch ein Russland zwischen Cholera und Zarenkritik. Der BR setzt mit Tschaikowsky nun seine Reihe von Hörbiografien berühmter Komponisten fort. Autor Jörg Handstein hat ein packendes Hörbuch von großer Informationsdichte geschaffen, durchweg gut gelesen etwa von Tatort-Kommissar Udo Wachtveitl oder Schauspieler Stefan Wilkening. Die unzähligen kurzen Musikbeispiele machen gewaltig Lust auf Tschaikowsky-Musik im Ganzen, ein Verlangen, das auf der vierten und letzten CD der Box sogleich gestillt wird: Sie enthält die berühmte, neun Tage vor Tschaikowskys Tod vollendete Sinfonie Nr. 6 „Pathétique“ und das wenig bekannte Chorwerk Die Nachtigall – natürlich „hauseigen“ gesungen und gespielt vom Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons. MG

HÖRBUCH

Erhältlich ab 02.02.18

„Tschaikowsky. Der Wille zum Glück. Eine Hörbiografie von Jörg Handstein“, Udo Wachtveitl, Stefan Wilkening (BR Klassik) 21

Nuria Rial und die 8 Cellisten des Sinfonieorchesters Basel haben Werke von Piazzolla, Villa-Lobos, Casals und Vivancos eingespielt.

Erhältlich ab 09.02.18

www.nuriarial.com

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IMPRESSUM VERLAG

SOLO

Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11 info@crescendo.de, www.crescendo.de Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring

Martin Helmchen

HERAUSGEBER

Analytisch, präzise, klug

Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de

VERLAGSLEITUNG Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de

ART DIRECTOR Stefan Steitz

REDAKTIONSLEITUNG Dr. Maria Goeth (MG)

REDAKTION „ERLEBEN“ Ruth Renée Reif (RR)

SCHLUSSREDAKTION Maike Zürcher

KOLUMNISTEN John Axelrod, Axel Brüggemann, Attila Csampai (AC), Daniel Hope, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)

MITARBEITER DIESER AUSGABE Roland H. Dippel (DIP), Verena Fischer-Zernin (VFZ), Malve Gradinger (GRA), Ute Elena Hamm (UH), Julia Hartel (JH), Sina Kleinedler (SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Guido Krawinkel (GK), Jens Laurson (JL), Arno Lücker (AL), Anna Mareis (AM), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Alexander Rapp (LXR), Antoinette Schmelter-Kaiser (ASK), Barbara Schulz (BS), Uta Swora (US), Mario Vogt (MV), Dorothea Walchshäusl (DW), Walter Weidringer (WW), Daniel Windheuser (WIN)

VERLAGSREPRÄSENTANTEN

AUFTRAGSMANAGEMENT Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de

GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE Nr. 21 vom 09.09.2017

DRUCK Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig

VERTRIEB PressUp GmbH, Wandsbeker Allee 1, 22041 Hamburg www.pressup.de

F OTO: G I O RG I A B E RTA Z ZI

Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Kulturbetriebe: Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de

Erbaut sind sie fast aus dem Nichts: aus einem kleinen Walzer des eitlen und nicht allzu seriösen Verlegers namens Anton Diabelli. Der hatte 1819 alle namhaften „vaterländischen“ Komponisten gebeten, ihm eine Variation darauf zu komponieren. Franz Schubert lieferte brav eine Variante wie auch der erst zwölfjährige Franz Liszt. 1823 folgte Beet­ hoven, eher lustlos, anfangs wollte ihn der „Schusterfleck“ nicht inspirieren. Doch dann war es um ihn geschehen – und Diabelli zahlte gut. 33 Variationen entstanden, einer „der größten Berge, die man als Pianist erklimmen kann“, sagt Martin Helmchen. Klug und analytisch sind seine Ausführungen im Booklet wie auch seine Interpretation. Beethovens systematische Zerlegung, ja regelrechte Skelettierung von Diabellis munterem Tanz folgt Helmchen mit absoluter Konsequenz und Präzision. Gleichzeitig gelingt es ihm, Gegensätzliches und Gemeinsames unter einem Bogen zu vereinen – eine unglaubliche Verausgabung seiner introvertierten Künstlerpersönlichkeit. TPR

Ludwig van Beethoven: „Diabelli Variations“, Martin Helmchen (Alpha)

ERSCHEINUNGSWEISE crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert­häusern, im Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei­träge bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.

ABONNEMENT Das crescendo Premium-Abo umfasst sieben Ausgaben inklusive­„crescendo Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende Premium-CDs und kostet EUR 55,- pro Jahr inkl. MwSt. und Versand (Stand: 01.01.2017). Versand ins europ. Ausland: zzgl. EUR 3,- je Ausgabe Bank-/Portospesen. Zahlung per Rechnung: zzgl. EUR 4,90 Bearbeitungsgebühr. Kündigung: nach Ablauf des ersten Bezugsjahres jederzeit fristlos. Abo-Service crescendo, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen Telefon: +49-89-85 85-35 48, Fax: -36 24 52, abo@crescendo.de Verbreitete Auflage: 76.295 (lt. IVW-Meldung 1I/2017) ISSN: 1436-5529 geprüfte Auflage

(TEIL-)BEILAGEN / BEIHEFTER: Gewandhaus Leipzig Zeitverlag

DAS NÄCHSTE CRESCENDO ERSCHEINT AM 16. MÄRZ 2018.

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crescendo unterstützt

LIED Paul Armin Edelmann

Schuberts Liebesgeschichten Der künstlerische Ansatz, den Bariton Paul Armin Edelmann bei seinem „Schubert Album“ verfolgt, könnte überzeugender nicht sein: Als „Erzähler“ möchte er uns die Geschichten nahebringen, die der Komponist in seinen Liedern festgehalten hat. Und dabei das, was wir hören, fühlen oder assoziieren, uns überlassen. Abgesehen von dieser überaus klugen, im besten Sinne uneitlen Haltung hat Edelmann eine großartige Stimme, wie geschaffen für das Lied und dessen feine Nuancen. Die meist bewegten Geschichten, die er für das Album ausgewählt hat, kreisen um Liebe und Liebesleid (so etwa Bei dir allein oder An mein Herz) – aber auch Prometheus und der rätselhafte Leiermann aus der Winterreise sind dabei. Ein fesselnder Querschnitt durch Schuberts Liedschaffen – hörenswert auch für all jene, die ihren Lieblingsinterpreten eigentlich schon gefunden haben. JH

„The Schubert Album“, Paul Armin Edelmann, Charles Spencer (Capriccio) Track 11 auf der crescendo Abo-CD: Greisengesang op. 60 Nr. 1 D 778

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Februar – März 2018


F OTO : U W E A R E N S

SOLO Emmanuel Tjeknavorian

Eleganz, Temperament und Virtuosität Ein wahrlich virtuoses Programm für Violine solo hat Emmanuel Tjeknavorian für sein Debütalbum zusammengestellt. Neben erwartbarem Repertoire wie Bachs Chaconne oder Ysaÿes Fünfter Sonate bringt der 22-jährige Österreicher mit armenischen Wurzeln auch ein Werk seines Landsmanns Christoph Ehrenfellner (*1975) zu Gehör, das Elemente der spätromantisch-virtuosen Tonsprache mit alpenländischer Volksmusik kombiniert. Tjeknavorian meistert diese enorm fordernden Stücke absolut souverän. Bei manchen Geigern zerfällt die Bach-Chaconne in lauter einzelne Episoden, Tjeknavorian spielt sie wie aus einem Guss, mit schlankem biegsamen Ton, tänzerischer Eleganz und profundem strukturellen Verständnis. Groß und romantisch interpretiert er Prokofjews Sonate, stupend brillant die aberwitzig schwierige Letzte Rose von Heinrich Wilhelm Ernst. Ein beeindruckendes Debüt, das neugierig macht auf mehr. MV

© Jean-Baptiste Millot

Nicolai Lugansky

„Solo“, Emmanuel Tjeknavorian (Sony) KAMMERMUSIK

Ensemble Raro

Es rappelt im Ethnokarton HMM 902339

Wer Komponisten wie Ahmed Saygun, Béla Bartók oder George Enescu in die Ethnoschublade der Musik des 20. Jahrhunderts stecken will, darf das getrost – wenn es den Einstieg in ihre Musik erleichtert. Die Zuordnung stimmt im Großen und Ganzen, und wo sie beengt, bricht die Musik schon von selbst aus. Die Erste Rumänische Rhapsodie von George Enescu fühlt sich hörbar wohl in dieser Schublade: Die Musik fliegt nur so dahin – ein Zigeunermusik-Imitat, das einen vom Hocker reißt und in dieser Klavierquartettfassung von Thomas Wally noch authentischer und direkter erscheint als in Enescus Orchesterversion. Intimere, nachdenklichere Töne werden in Enescus angespannt-romantischer Dritten Violinsonate und Bartóks Miniatur Ein Abend am Lande angestimmt. In den von Gilles Apap und Diana Ketler ganz großartig gespielten Bartók’schen Rumänischen Volkstänzen dominiert die Lyrik – bis auf die zwei furiosen, gewitzten und gewürzten Schlusssätze. Träumerisch-schön post-Brahmsisch rundet die Nocturne Ville d’Avrayen für Klavierquartett das Programm ab. JL

Sergej RACHMANINOW 24 Preludien Rachmaninow hat das Genre der Preludien mit seiner grenzenlosen musikalischen Erfindung und seinen furchterregenden technischen Anforderungen zum höchsten Grad an Perfektion erhoben. In seiner ersten Aufnahme für harmonia mundi meistert Nikolai Lugansky die Herausforderung glänzend und bietet ein Programm der schönsten Werke in seinem Repertoire. Ein Höhepunkt pianistischer Zauberei!

George Enescu, Béla Bartók: „Rhapsodie Roumaine“, Ensemble Raro, Gilles Apap, Diana Ketler (Solo Musica) 23

harmoniamundi.com


H Ö R E N & S E H E N

TANZ

Rudolf Nurejew

Tanzbesessen

F OTO: W I E N E R S TA AT S B A L L E T T, A S H L E Y TAY LO R

So viel Tanz war nie! Natürlich wird in allen Don-Quixote-Versionen zu Ludwig Minkus’ gezielt ballettbestimmter Musik herzhaft viel getanzt. Aber Rudolf Nurejew hielt sich 1966 in seiner Fassung für das damalige Wiener Staatsopernballett nicht nur eng an die Petipa-Urfassung von 1869/71. Bei allem, von ihm auch bestens bedienten, Komödien-Humor um den skurrilen „Don Q.“ und seinen Sancho Pansa, lebte Nurejew hier seine Tanzbesessenheit voll aus. Ob das Liebesgeplänkel ­z wischen Kitri und Basil – in Weltklasseformat von Maria Yakovleva und Denys Cherevychko dargeboten –, ob Seguidillas und Fandangos oder hochklassische ­Dryaden-Königin mit Gefolge: Alle Solo-Variationen, die zahlreichen Pas de deux bis zu den Pas de cinq und sogar die großen Ensembles sind geradezu schwindelerregend kompliziert-schrittdicht in der Fußarbeit gestaltet, dabei so tänzerisch beweglich im Oberkörper, dass man Manuel Legris’ geschliffen tanzendem, von Dirigent Kevin Rhodes temperamentvoll angefeuerten Wiener Staatsballett nur dankbar sein kann, dieses Nurejew-­ Vermächtnis so sorgsam zu pflegen. GRA

Ludwig Minkus: „Don Quixote“, Rudolf Nureyev, Wiener Staatsballett (Cmajor) Dorothee Mields

Martha Argerich

Gefühlsfülle

Argentinische Klaviermagierin

Ob Liebe oder Hass, ob Trauer oder Furcht: Die Sprache der Musik vermag jedes noch so menschliche Gefühl auf ihre eigene Art und Weise in Szene zu setzen. Das Album „La dolce vita“ würdigt mit Claudio Monteverdi einen wahren Meister der musikalischen Affektdarstellung. Mal begleitet vom Basso continuo, mal von obligaten Streichern und Bläsern erweckt Sopranistin Dorothee Mields weltliche wie geistliche Madrigale des venezianischen Komponisten zum Leben. Zusammen mit der faszinierend transparent und vital aufspielenden Lautten Compagney – Leitung Wolfgang Katschner – schwelgt Mields in einem intensiven Kosmos der Emotionen. Mal glückstrunken, mal schmerzvoll, mal verführerisch, mal verzweifelt gelingt der Sängerin mit virtuoser Leichtigkeit und betörender Wärme im Klang eine beeindruckende musikalische Huldigung von nichts Geringerem als dem Leben selbst in seiner ganzen emotionalen Fülle. DW

Unter den unzähligen Aufnahmen der beiden Konzerte von Chopin gibt es nur wenige, die einen vom ersten Klaviereinsatz an so fesseln und elektrisieren wie die, die Martha Argerich mit ihrem Ex-Ehemann Charles Dutoit 1998 in Montréal zu wahren Vulkanausbrüchen der Leidenschaft verdichtete! Dagegen wirken fast alle männlichen Konkurrenten wie zahme Weicheier. Damit unterstrich die argentinische Klavierhexe ein weiteres Mal ihre Fähigkeit, das wirkliche emotionale Potenzial dieser beiden Jugendwerke so deutlich und entschieden in flammende Klangrede zu verwandeln, dass neben aller Schönheit auch das Seelendrama und das revolutionäre Pathos beider Konzerte den Hörer durchfluten. Hier agiert eine Totalmusikerin, ein echtes Orakel, die entschieden den Ton, die Richtung vorgibt und Orchester wie Dirigenten in ihren Bann zieht. Nach diesem Feuerwerk der gebündelten Leidenschaft ist man ein anderer, und deshalb sollte sich jeder Vinyl-Freak das tadellos gepresste Doppelalbum nicht entgehen lassen. AC

BAROCK

Chopin: „Piano Concertos Nos. 1 & 2“, Martha Argerich, Charles Dutoit, Orchestre Symphonique de Montréal (Warner)

Claudio Monteverdi: „La dolce vita“, Dorothee Mields, Lautten Compagney, Wolfgang Katschner (dhm)

OPER

Christian Thielemann

Mit Sammlerwert

F OTO: O F S F O R S TE R

Ja, Karajan war auch Opernregisseur. 1967 zeigte er seine Walküre bei den allerersten Salzburger Osterfestspielen. Christian Thielemann, profunder Wagnerianer, Anbeter des Gestrigen und einst Karajan-Assistent, lud die Regisseurin Vera Nemirova fünfzig Jahre danach ein, Karajans „Vision“ von damals im nachgebauten Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen an Ort und Stelle zu reanimieren. Das Resultat: Eine pomadige post-mortem-Allianz von Leni Riefenstahl und Wolfgang Wagner, zu der Nemirovas Regie so gut passt wie Erwachsene auf einen Kinderspielplatz. Thielemanns Staatskapelle bietet dagegen einen nussigen Wagner-Klang. Aus dem souveränen Sänger-Ensemble bebt Vitalij Kowaljow als Schmerzensmann Wotan heraus. Die Bildtiefenschärfe dürfte ­brillanter sein, der Sound von Orchester und Solisten rückt dem Hörer allerdings wohlig auf die Pelle. Eine DVD mit ganz merkwürdigem „Sammlerwert“. AL

Richard Wagner: „Die Walküre“, Christian Thielemann, Staatskapelle Dresden, Vera Nemirova (C Major) 24

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Februar – März 2018


heidelberger frühling 18

17.03.–21.04.18 17.03.–21.04.18 internationales internationales musikfestival musikfestival

Jean-Guihen Queyras I Mahler Chamber Orchestra I Gabriela Montero I Sol Gabetta I Igor Levit I Steven Isserlis Marc-André Hamelin I Isabelle Faust I Georg Nigl I Sir András Schiff I Elisabeth Leonskaja I Irish Chamber Orchestra Francesco Tristano I Richard Galliano I Matthias Goerne I Markus Hinterhäuser I Anna Prohaska I Il Giardino Armonico ˙ David Fray I City of Birmingham Symphony Orchestra I Rudolf Buchbinder I Anna Stéphany I Mirga Gražinyte-Tyla Mark Padmore I Sarah Maria Sun I Anna Lucia Richter I Isabelle Druet I Fazıl Say I Tara Erraught I Grigory Sokolov Goldmund Quartett I Armida Quartett I Iiro Rantala I Johannes Moser I Daniele Gatti I Thomas Hampson u.v.a. Gründungspartner:

Kostenloses Programmbuch unter: Tel. 06221 - 584 00 12 oder www.heidelberger-fruehling.de

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R Ä T S E L

GEW I N NSPI EL Wer verbirgt sich hinter diesem Text?

K AR A JA N M A NIE Im Dezember verlosten wir über crescendo-Facebook eine große Karajan-Box (Gewinner: Eric Dietenmeier, München). Völlig überwältigt haben uns die mehreren hundert Leserkommentare dazu, was sie persönlich mit Karajan verbinden. Ob im Positiven oder Negativen, dieser Mann hat eine ganze Generation von Musikliebhabern begleitet und geprägt!

„Trotz meiner riesigen ­Erfolge gibt es über ­manches auch geteilte Meinungen“

In Italien geboren, kam ich nach meinem Trompeten- und Chormusikstudium als Musikassistent zum Rundfunk. Als Theaterkomponist arrangierte ich Musik und dirigierte Bands und Orchester. Ich brauchte Geld und dachte, Filmmusik zu schreiben wäre eine gute Idee. Aber ich bewarb mich bei niemandem in der Filmindustrie. Ich dachte: „Ein Filmemacher muss mich bitten, weil er glaubt, dass das, was ich schreibe, gut ist.“ Und so geschah es, dass ein Regisseur mich ansprach, dann noch einer, noch einer und so weiter. Denn meine Musik war anders als diese traditionell sinfonischen Kompositionen aus Hollywood. Bei mir riefen Eulen, heulten Kojoten, erklangen Maultrommeln, Pfiffe und Schreie. Mein Stil galt als ungewöhnlich innovativ, sodass sich viele andere Komponisten an mir orientierten, Metallica, Andrea Bocelli und Bruce Springsteen meine Musik coverten und ich Hitparaden­ erfolge feiern durfte. Besonders mit meinem Freund aus Kindertagen verband mich eine außergewöhnliche Zusammenarbeit. Unsere Filme wurden ein Erfolg, denn er verstand, dass Filmmusik Raum braucht, um sich entfalten zu können. „Der Film muss der Musik diese Zeit geben, um sich zu entwickeln.“ Ich schrieb Kammermusik, Kantaten, Messen und natürlich die Soundtracks zu über 500 Filmen, gewann diverse Preise für mein Schaffen und wurde mit dem Ehren-Oscar für mein Lebenswerk ausgezeichnet. Wenn man sich durch die Filme blättert, an denen ich gearbeitet habe, sieht man, dass ich ein Spezialist für Western, Liebesfilme, politische Filme, Actionfilme, Horrorfilme und so weiter bin. Mit anderen Worten: Ich bin gar kein Spezialist, weil ich alles gemacht habe. Ich bin ein Musikspezialist. ■

RÄTSEL LÖSEN UND JOHN WILLIAMS GEWINNEN! Was ist hier gesucht? Wenn ­S ie die Antwort kennen, dann schreiben Sie Ihre Lösung unter dem Stichwort „Alltags-Rätsel“ an die crescendo-­Redaktion, Rindermarkt 6, 80331 ­M ünchen oder per E-Mail an ­ gewinnspiel@crescendo.de. Unter den richtigen ­Einsendungen verlosen­wir die CD-Box „John Williams, Conductor. 20 Complete Albums” (Sony). ­Einsendeschluss ist der 01.03.2018. Die Gewinnerin unseres letzten Alltagsrätsels ist Monika Schedelmann, Oberbibrach. Die Lösung war „Gioachino Rossini“.

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crescendo-Herausgeber Winfried Hanuschik mit der gewichtigen Box des „Anstoßes“

Ulli H. Als Kind habe ich ihn Beethoven dirigieren sehen. Habe immer Gänsehaut, wenn ich es wieder höre. Giuseppe S. Die Musik wurde von Italienern erfunden, Karajan hat sie verewigt. Karsten S. Ich kann mich an ein Interview mit Herrn von Karajan erinnern (1988?). Er war und wirkte alt. Man sah ihm seine Schmerzen an. Aber diese jungen Augen und Emotionalität, als er über das Neujahrskonzert 1987 sprach. Das hat mich unendlich berührt und hat ihn mir in einem völlig neuen Licht dargestellt. Ein großer Maestro mit allen Facetten. Aber im Grunde scheu und verletzlich, unendlich diszipliniert und willensstark. Ein Mensch und großartiger Musiker. Ursula S. Von meinem ersten Gehalt habe ich damals Beethovens Sinfonien gekauft. Wenn ich eine Schallplatte aus der Kassette nahm, sagte meine Mutter oft: „Das machst du feierlich.“ Carsten K. ... Ein Altnazi, der nie zu seinem schändlichen Benehmen vor 1945 gestanden hat ... Ein Lackaffe, den die Branche viel zu lange zur unangreifbaren Ikone hochstilisiert hat, weil sich mit seinem Namen viel Geld verdienen ließ – und offenbar leider immer noch lässt. Nicole F. ... Ich habe ein großes Faible für diesen exzentrischen, charmanten, überheblichen Mann. Diese Haare, diese schnarrende Stimme! Irini S. Mit Karajan verbinde ich das totalitäre Moment der Schönheit ... Wenn ich seitdem seine Aufnahmen höre, kriege ich Gänsehaut, denn dann sehe ich das Orchester vor mir, wie es fast schon Wunder vollbringt, weil er/sie will und es vor allem kann – und vorne steht dieser Mensch, der sagt: „Ein Orchester hat keinen Klang, den macht der Dirigent.“

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Februar – März 2018


ERLEBEN Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im Februar und März im Überblick (ab Seite 28) Kurt Weill Fest Dessau: Bettlerkönig, Kabarett und das wilde Berlin der 20er-Jahre (S. 32) Bachfest Leipzig: Der Festival-Gigant rund um den berühmten Thomaskantor (Seite S. 35)

16. Februar bis 27. Mai, Frankfurt am Main

F OTO: P R I VATE CO L L EC TI O N , © VG B I L D - KU N S T B O N N , 2 018 & A M P ; TH E ES TATE O F J E A N - M I C H E L B A S Q U I AT. L I C E N S E D BY A RTES TA R , N E W YO R K

VOM GRAFFITISPRAYER ZUM STAR DER KUNSTWELT – BASQUIAT

Jean-Michel Basquiat: „Dos Cabezas“, 1982

„Verkaufen Sie Ihre Werke immer noch für einen Dollar?“, sollen die Worte gewesen sein, mit denen Andy Warhol am 4. Oktober 1982 Jean-Michel Basquiat in seinem Atelier zu empfangen geruhte. Als triumphales Dokument der lange herbeigesehnten Verbindung malte Basquiat „Dos Cabezas“, ein Porträt von Warhol und sich selbst. Noch in derselben Nacht überbrachte es Basquiats Assistent dem verehrten Übervater. Basquiat wurde 1960 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren. Sein Aufstieg zu einem der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts verlief beispiellos. Vom Graffitisprayer, der in SoHo und im East Village seine mit „SAMO“ bezeichneten Sprüche hinterließ, avancierte er zum gefeierten Star der

Kunstwelt. Sein Leben, angetrieben von dem Verlangen nach Anerkennung und gemartert von Selbstzweifeln, war kurz. In seiner kaum ein Jahrzehnt währenden Karriere formte er aus Abstraktion und figürlichem Malen, Einflüssen afrikanischer Kunst und französischer Lyrik einen einzigartigen Stil. Mit beißender Kritik wandte er sich in seinem Werk gegen Machtstrukturen, Rassismus und Ausgrenzung. 1988 starb er an einer Überdosis Drogen. Anlässlich der 30. Wiederkehr seines Todes zeigt die Ausstellung „Boom for Real“ über 100 seiner Gemälde, Zeichnungen, Notizbücher und Objekte sowie Filme, Fotografien, Musik und Archivmaterial. Frankfurt am Main, Schirn Kunsthalle, www.schirn.de

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E R L E B E N

Februar/März 2018

DIE WICHTIGSTEN VERANSTALTUNGEN AUF EINEN BLICK Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals 4. März Beginn des Vorverkaufs, Berlin

17.1. BERLIN KOMISCHE OPER Blaubart / J. Offenbach 2.2. BERN (CH) KONZERTTHEATER The Medium / G. Menotti 2.2. COBURG LANDESTHEATER Die Geschichte vom Soldaten / I. Strawinsky 3.2. AUGSBURG THEATER Prima Donna / R. Wainwright 3.2. CHEMNITZ THEATER Das Rheingold / R. Wagner 3.2. DRESDEN STAATSOPERETTE Frau Luna / P. Lincke 3.2. LINZ (AT) LANDESTHEATER Fausts Verdammnis / H. Berlioz 3.2. TRIER THEATER Die heimliche Ehe / C. Cimarosa 4.2. WIESBADEN STAATSTHEATER Jeptha / G. F. Händel 4.2. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS Idomeneo / W. A. Mozart 8.2. BASEL (CH) THEATER Die Dreigroschenoper / K. Weill 8.2. ULM THEATER Elektra / R. Strauss 9.2. GERA GROSSES HAUS Die Entführung aus dem Serail / W. A. Mozart 10.2. BERLIN STAATSOPER Sommertag / N. Brass 10.2. GERA BÜHNE AM PARK Weiße Rose / U. Zimmermann 10.2. KASSEL STAATSTHEATER Jenufa / L. Janáček 10.2. PFORZHEIM THEATER Endstation Sehnsucht / A. Previn 11.2. BERLIN STAATSOPER Tristan und Isolde / R. Wagner 11.2. KARLSRUHE STAATSTHEATER Roméo et Juliette / C. Gounod 16.2. BERLIN STAATSBALLETT Don Quixote / L. Minkus 16.2. KARLSRUHE STAATSTHEATER Alcina / G. F. Händel 16.2. WIEN (AT) THEATER Saul / G. F. Händel 117.2. NÜRNBERG STAATSTHEATER Idomeneo / W. A. Mozart

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F OTO: M O N I K A R IT TE R S H AU S

PREMIEREN

ABSCHIED SIR SIMON RATTLE

„Die Geschichte Simon Rattles und der Berliner Philharmoniker begann an einem trüben, nasskalten Herbsttag 1987“, erzählt die Orchesterchronik. Sie berichtet von seinem Debüt mit Mahlers Sechster Sinfonie. Und sie verrät auch, dass er damals lieber Mahlers unvollendete Zehnte dirigiert hätte. Die aber durfte er erst 1996 und 1999 aufführen, und da war von einem „spirituellen Gemeinschaftserlebnis“ und „stehenden Ovationen“ die Rede. Einige Wochen zuvor – am 23. Juni 1999 – war er als neuer Chefdirigent bekanntgegeben worden. Die Abstimmung war eine „Niederlage für die Traditionalisten“. Denn Rattle stand für Erneuerung. „Die Zeiten ändern sich, die Menschen ändern sich, also sollte es die Musik auch tun“, lautete seine Devise. Sie wurde zum Hauptmotiv seiner Arbeit. Die Chance, den nächsten Teil seines Lebens mit dieser unvergleichlichen Gruppe von Virtuosen zu verbringen, sei, so Rattle damals, eine aufregende Aussicht. Vieles geschah in jenen Jahren: Rattle etablierte ein Education-Programm, das dem Orchester Preise und Ehrungen bescherte. 2007 – im Jahr ihres 125-jährigen Bestehens – wurden das Orchester und Rattle zu Internationalen UNICEF-Botschaftern ernannt. Im Sommer endet Rattles Amtszeit. Abermals mit Mahlers Sechster nimmt er am 19. und 20. Juni seinen Abschied. Die Konzerte werden in der Digital Concert Hall übertragen, und das Konzert am 20. Juni ist im Kino zu sehen. Berlin, Philharmonie, 19. und 20.6., www.berliner-philharmoniker.de

18.2. HALLE OPER Die Dreigroschenoper / K. Weill 21.2. BERLIN DEUTSCHE OPER L‘Arlesiana / F. Cilea 23.2. MEININGEN STAATSTHEATER Carmina Burana / C. Orff 24.2. COTTBUS STAATSTHEATER Don Giovanni / W. A. Mozart 24.2. ESSEN THEATER Hans Heiling / H. Marschner 24.2. KÖLN OPER Der Kaiser von Atlantis / V. Ullmann 24.2. MÜNSTER STAATSTHEATER Angels in America / P. Eötvös 24.2. WIEN (AT) STAATSOPER Ariodante / G. F. Händel 25.2. FRANKFURT OPER L‘Africaine / G. Meyerbeer 1.3. ERFURT THEATER La Calisto / F. Cavalli 2.3. DESSAU ANHALTISCHES ­T HEATER Die Dreigroschenoper / K. Weill 3.3. GIESSEN STADTTHEATER La forza del destino / G. Verdi 3.3. KOBLENZ THEATER Das schlaue Füchslein / L. Janáček 3.3. LÜNEBURG THEATER Carmen / G. Bizet 3.3. WUPPERTAL OPERNHAUS Julietta / B. Martinů 3.3. GRAZ (AT) OPER Ariane et Barbe-Bleue / P. Dukas 4.3. BERLIN STAATSOPER Salome / R. Strauss 4.3. KÖLN OPER Manon / J. Massenet 4.3. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS Lunea / H. Holliger 8.3. OSNABRÜCK THEATER Apollo und Hyacinth / W. A. Mozart 9.3. BASEL (CH) THEATER Der Goldkäfer / D. Fujikura 10.3. BASEL (CH) THEATER Der Spieler / S. Prokofjew 10.3. DARMSTADT STAATSTHEATER Die Sache von Makropulos / L. Janáček 10.3. DORTMUND THEATER Nabucco / G. Verdi 10.3. FREIBURG THEATER Angels in America / P. Eötvös

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Februar – März 2018


10. Februar

F OTO S : J E N S G E R B E R ; J O N A S W E R N E R- H O H E N S E E; U W E A R E N S ; D E B O R A H F E I N G O L D / S O N Y; K A RTA L K A R AG E D I K ; RO M A N N OV IT ZK Y; TH I LO B EU; F E R N A N DO M A RCO S ; F R A N K F U RT C A R I C AT U R A - M U S EU M ; M A R KU S R Ä B E R ; TO B I A S SC H U LT; C H R I S TI A N DO P P E LG AT Z ; B U N D ES J U G E N DO RC H ES TE R

HAMBURG DIE ARABISCHE PRINZESSIN Nichts will Jamil, der Sohn eines armen Fischers, lernen. Alle Lehrer verzweifeln an ihm. Mit seiner Schönheit und seiner lieblichen Stimme aber erobert er das Herz der Prinzessin Amirah. Sie spürt ein solches Verlangen nach ihm, dass sie beschließt, ihn, koste es, was es wolle, zu einem Prinzen zu machen und zum Mann zu nehmen. Paula Fünfeck schrieb das Libretto. Anna-Sophie Brüning schuf mit Musik des 1826 verstorbenen Komponisten Juan Crisós­ tomo de Arriaga und arabischen Klängen ein Opernpasticcio. Die Uraufführung erfolgte 2009 in Ramallah. Jetzt ist das Stück auf der Opera Stabile, der kleinen Bühne der Hamburger Staatsoper, unter der musikalischen Leitung von Wolf Tobias Maximilian Müller und in der Regie von Anja Bötcher-Krietsch zu sehen. Narea Son aus dem Opernstudio spielt die Prinzessin. Als Jamal steht ihr Sascha Emanuel Kramer zur Seite. Hamburg, Staatsoper, 10. (Premiere), 11., 13., 14., 16., 17., 18., 20., 21., 23., 24., 25., 27. und 28.2., www.jung-staatsoper.de

14. Februar 2018

John Dowland Shakespeare in Love Paula Murrihy (Mezzosopran) Eamonn Bonner (Tenor) Eamonn Sweeney (Laute)

18. Februar bis 23. März

15. April 2018

LEIPZIG GEWANDHAUSORCHESTER „Meine Träume wurden wahr.“ Mit diesem Satz beschrieb Andris Nelsons seine Berufung zum 21. Gewandhauskapellmeister. Begeistert äußerte er sich über die große Tradition und den besonderen Klang des Orchesters, das zu den ältesten der Welt zählt. Seine Amtseinführung feiert er mit vier Festwochen rund um den 275. Geburtstag des Orchesters. Elf Konzerte dirigiert er mit fünf verschiedenen Programmen. Am 11. März, als 1743 das erste Konzert stattfand, dirigiert er Bruckners Siebte Sinfonie sowie ein neues Werk von Jörg Widmann. Umrahmt werden die Festwochen von zwei Gastspielen: einem Konzert der Berliner Philharmoniker unter Zubin Mehta und einem der Wiener Philharmoniker unter Daniel Barenboim. Leipzig, Gewandhaus, www.gewandhausorchester.de

10. und 11. Februar

BERLIN PYGMALION Der Bildhauer Pygmalion verliebt sich in seine Statue. Die Barockzeit liebte mythologische Themen auf der Bühne. Jean-Philippe Rameau gestaltete aus dem antiken Mythos einen Tanzakt. Die von Amor zum Leben erweckte Statue beginnt zu tanzen: Menuett, Gavotte, Chaconne, Passepied, Rigaudon und Sarabande. Das Ensemble Akademie für Alte Musik widmet sich dem Stück in zwei Sonderkonzerten. Rameaus Musik zeichnet sich durch eine dichte, farbenvolle Instrumentation sowie eine an Harmonien reiche Klangsprache aus. Tenor Cyril Auvity singt die Partie von Amor, die der Statue übernimmt Deborah Cachet. Am Pult steht Paul Agnew. Berlin, St.-Elisabeth-Kirche, www.akamus.de

23. März

STUTTGART DIE FANTASTISCHEN FÜNF Als Abschiedsgeschenk für den scheidenden Ballettintendanten Reid Anderson versteht sich dieser Ballettabend. In den über zwei Jahrzehnten seiner Intendanz brachte er über 60 Choreografien zur Uraufführung. „Die fantastischen Fünf“ vermittelt einen Eindruck von der choreografischen Vielfalt seiner Amtszeit und versammelt jene Künstler, die ihm besonders am Herzen liegen: Marco Goecke, den er 2005 zum Haus-Choreografen des Stuttgarter Balletts ernannte, Katarzyna Kozielska, Louis Stiens, Roman Nowitzky und Fabio

Bratsche und Gesang Und ein Etwas strahlt aus Ihnen Christiane Karg (Sopran) Antoine Tamestit (Viola) Malcolm Martineau (Klavier)

www.kunstklang-feuchtwangen.de Kartentelefon 09852 904 44

24.

30. März bis 8. April 2018

BAYREUTHER OSTERFESTIVAL MIT

Eröffnungskonzert, Matineen, Symphoniekonzert, Orgelkonzert, Jazz & Festivalbrunch

Ostersonntag, 1. April, 20 Uhr

SYMPHONIE KONZERT Ordenskirche St. Georgen

WEITERE INFORMATIONEN UNTER www.osterfestival.de Tickets bei den örtlichen Vorverkaufsstellen und online unter www.eventim.de

10.3. KIEL THEATER Götterdämmerung / R. Wagner 10.3. COBURG LANDESTHEATER Pinocchio / P. Valtinoni 10.3. GRAZ (AT) OPER Candide / L. Bernstein 11.3. BONN THEATER Echnaton / P. Glass 11.3. HAMBURG STAATSOPER Messa da Requiem / G. Verdi 11.3. WIESBADEN STAATSTHEATER Arabella / R. Strauss 15.3. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZTHEATER Weiße Rose / U. Zimmermann 16.3. BRAUNSCHWEIG ­STAATSTHEATER Elektra / R. Strauss 16.3. LÜBECK THEATER Die tödliche Blume / S. Sciarrino 16.3. WIEN (AT) THEATER

BAYREUTHER OSTERFESTIVAL

Der Besuch der alten Dame / G. v. Einem 16.3. HEIDELBERG THEATER Faust / C. GounodBAYREUTHER OSTERFESTIVAL 17.3. HOF THEATER Alcina / G. F. Händel 17.3. LEIPZIG OPER Tannhäuser / R. Wagner 17.3. MAINZ STAATSTHEATER Don Carlo / G. Verdi 17.3. NÜRNBERG STAATSTHEATER Die Soldaten / B. Zimmermann 24.3. KAISERSLAUTERN PFALZTHEATER Das Leben eines Wüstlings / I. Strawinsky 25.3. MANNHEIM NATIONALTHEATER Pelléas und Mélisande / C. Debussy

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E R L E B E N

Adorisio. Designierter Nachfolger Andersons ist Tamas Detrich, der bereits seit 2004 als sein Stellvertreter agiert. Stuttgart, Schauspielhaus, 23. (Premiere) und 28.3., 10., 21., 25. und 29.4. sowie 17.7., www.stuttgarter-ballett.de

23. März, Dessau

DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY

24. März bis 2. April

BADEN-BADEN OSTERFESTSPIELE

F OTO: C L AU D I A H E YS E L

Elisa Gogou

„Ich liebe meine Tänzer. Sie haben etwas in sich, etwas Göttliches, etwas, das sie treibt“, beschreibt Choreograf Tomasz Kajdański seine Arbeit. Er habe eine Idee, eine Vision. Die versuche er den Tänzern zu vermitteln und sie mitzunehmen, sodass gemeinsame Ideen und Bewegungen entstünden. Es sei wie bei einem bunten Glasfenster: „Die Form der einzelnen Glasscheiben ist vorgegeben. Aber es ist das Licht, das sie lebendig macht. Die Tänzer bringen das Licht in die Inszenierung.“ Kajdański erzählt Geschichten in seinen Balletten. Mit seiner neuen Arbeit wendet er sich Oscar Wilde zu. Dessen Roman inspirierte bereits Waclaw Orlikowsky zu einem Ballett. Lord Henry Wotton, der das Leben selbst zum Kunstwerk stilisieren möchte, verführt den faszinierend schönen Dorian Gray zum rücksichtslosen Ausleben seiner Jugend. Für die Erfüllung des Wunsches, statt seiner möge das Bildnis altern, das Basil Hallward von ihm gemalt hat, gibt Dorian Gray seine Seele. So wird das Bild zum „Spiegel seiner Seele“ und trägt „die Bürde seiner Schande“. In diesem Spannungsfeld von Ästhetizismus und mystischem Symbolismus entwickelt Kajdański seine Choreografie. Für die Musik, dirigiert von Elisa Gogou, wählte er Alexander Skrjabin, der mit seinen ekstatischen, rauschhaften Klängen die Welt verändern wollte. Dessau, Anhaltisches Theater, 23. (Premiere), und 31.3., 7. und 22.4. sowie 26.5. und 17.6., www.anhaltisches-theater.de

KÜNSTLER JOHN AXELROD 17.,18.3. Essen, Philharmonie

DANIEL BARENBOIM 11., 15., 18., 25.2., 3., 11., 18.3. Berlin, Staatsoper 23., 24.2. Berlin, Philharmonie 4.3. Berlin, Pierre Boulez Saal

LISA BATIASHVILI 1., 2., 3.2. München, Gasteig 3.4. Wien (AT), Musikverein

GAUTIER CAPUÇON 17.3. Elmau, Schloss 20.3. Hamburg, Elbphilharmonie

HILARY HAHN 2., 3., 4.2. Zürich (CH), Tonhalle Maag 11.3. Essen, Philharmonie 12.3. Berlin, Konzerthaus 15.3. Wien (AT), Konzerthaus 17.3. Hamburg, Elbphilharmonie 18.3. Hannover, Congress Centrum 19.3. München, Philharmonie

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DANIEL HOPE 1.2. Berlin, Konzerthaus 20.2. Elmau, Schloss 21.2. München, Prinzregententheater 22.2. Braunschweig, Stadthalle 23.2. Hannover, NDR Sendesaal 24.2. Düsseldorf, Tonhalle 25.2. Bielefeld, Oetkerhalle 26.2. Berlin, Konzerthaus 27.2. Hamburg, Elbphilharmonie 28.2. Zürich (CH), ZKO Haus

ALBRECHT MAYER 2.2. Mannheim, Rosengarten 25.2. Friedrichshafen, Graf Zeppelin Haus

SOL GABETTA 12.3. München, Philharmonie 13.3. Berlin, Philharmonie 18.3. Heidelberg, Kongresshaus 19.3. Köln, Philharmonie

MATTHIAS GOERNE 16.2. Wien (AT), Konzerthaus 18.2. Aachen, Krönungssaal 1.3. Hamburg, Elbphilharmonie 8.3. Berlin, Pierre Boulez Saal

Die Kurstadt im Schwarzwald feiert. Ensembles der Berliner Philharmoniker und das Bundesjugendorchester laden mit Béla Bartóks Tanzspiel Der holzgeschnitzte Prinz zu einem Musikfest. Bei den 6. Osterfestspielen mit den Berliner Philharmonikern wird die ganze Stadt zur Bühne. Ins Festspielhaus kommen die Mezzo­ sopranistin Elīna Garanča mit Liedern von Strauss, Berg und Ravel, Bariton Gerald Finley mit Schubert sowie der Pianist Krystian Zimerman und die Geigerin Vilde Frang. Zur Eröffnung steht Wagners Parsifal auf dem Programm. Dieter Dorn inszeniert mit Stephen Gould in der Titelrolle und Evelyn Herlitzius als Kundry. Am Pult steht Sir Simon Rattle. Baden-Baden, verschiedene Spielorte, www.festspielhaus.de

11. März

BONN ECHNATON Neue Blickwinkel eröffnen – das erwartet man von Inszenierungen, die Künstler aus anderen Bereichen vornehmen. Laura Scozzi arbeitete als Choreografin, ehe sie mit ihren Regiearbeiten für Furore sorgte. Mit Echnaton widmet sie sich dem dritten Teil von Philip Glass’ Operntrilogie, die mit Einstein und Gandhi drei Leitbilder aus Naturwissenschaft, Politik und Religion porträtiert. Echnaton interessiert Glass als Begründer des Monotheismus im 14. Jahrhundert v. Chr. Der Pharao der 18. Dynastie und Gatte von Nofretete verehrte die Sonnenscheibe Aton. In altägyptischer Ikonografie erscheint er als Hermaphrodit, und seine Partie wird von dem Countertenor Benno Schachtner gesungen. Als Nofretete steht Susanne Blattert auf der Bühne. Für die Gesangstexte stützt Glass sich auf altägyptische sowie hebräische Quellen, um auf die Verbindung zur jüdisch-christlichen Tradition hinzuweisen. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Stephan Zilias. Bonn, Oper, 11. (Premiere), 16. und 23.3, 12., 21. und 29.4., 9., 13. und 31.5. sowie 14., 20. und 28.6., www.theater-bonn.de

IGOR LEVIT 25.2. München, Prinzregententheater 28.2. Innsbruck (AT), Congress Center 7.3. Regensburg, Audimax

PAAVO JÄRVI 15., 16., 17.3. Bremen, Die Glocke 19., 20.3. Wien (AT), Musikverein 30., 31.3. Bremen, Dom

SIMONE KERMES 11.3. Coesfeld, Theater 14.3. München, Prinzregententheater

XAVIER DE MAISTRE 4.2. München, Prinzregententheater 27.2. Berlin, Pierre Boulez Saal 28.2. Ludwigshafen, Feierabendhaus 4.3. Leer, Theater an der Blinke 5.3. Düsseldorf, Tonhalle 6.3. Hamburg, Elbphilharmonie 8.3. Bremen, Die Glocke 10.3. Hannover, Landesfunkhaus des NDR

DOROTHEE MIELDS 2.2. Wien (AT), Konzerthaus 13., 14.2. Dresden, Staatsoper 15.2. Dresden, Frauenkirche

27.2. Kleve, Stadthalle 11.3. Wien, Musikverein 17.3. Frankfurt, Alte Oper

DANIEL MÜLLER-SCHOTT 14.2. Frankfurt, Alte Oper 3.,4.3. Bern (CH), Kursaal 11.3. Donaueschingen, Strawinskysaal 13.3. Gauting, Bosco 14.3. Grünwald, August Everding Saal 19., 20.3. München, Bayerische Staatsoper 24.3. Hamburg, Elbphilharmonie

STEFAN TEMMINGH 10.3. Mörfelden-Walldorf, Bürgerhaus

MATTHIAS WELL 19.2. München, Herkulessaal

SONYA YONCHEVA 4.2. Genève (CH), Grand Théâtre 7.2. Dortmund, Konzerthaus

FRANK PETER ZIMMERMANN 2.2., 11.3. Köln, Philharmonie 3.2. Essen, Philharmonie 1., 2.3. Frankfurt, Alte Oper

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Februar – März 2018


16. bis 25. März

F OTO S : J E N S G E R B E R ; J O N A S W E R N E R- H O H E N S E E; U W E A R E N S ; D E B O R A H F E I N G O L D / S O N Y; K A RTA L K A R AG E D I K ; RO M A N N OV IT ZK Y; TH I LO B EU; F E R N A N DO M A RCO S ; F R A N K F U RT C A R I C AT U R A - M U S EU M ; M A R KU S R Ä B E R ; TO B I A S SC H U LT; C H R I S TI A N DO P P E LG AT Z ; B U N D ES J U G E N DO RC H ES TE R ; B E ATR I C E WAU L I N / S O N Y C L A S S I C A L

BERLIN MAERZMUSIK „Ich möchte ihnen ein Gesicht geben, nicht nur den ertrunkenen Körpern an Europas Küsten, sondern auch den Lebenden, die, ohne Identität nicht länger als lebend erkennbar, durch Europa wandern“, erläutert Georges Aperghis seine neue Komposition migrants. Mit Texten aus Joseph Conrads Erzählung Herz der Finsternis und von heute Geflüchteten hat er drei Interludien zu Leoš Janáčeks Tagebuch eines Verschollenen geschrieben. Die beiden Sopranistinnen Agata Zubel und Christina Daletska sowie das Streicherensemble Resonanz unter Emilio Pomàrico bringen sie zur Uraufführung. Als Festival für Zeitfragen versammelt MaerzMusik unter der Leitung von Berno Odo Polzer Musikkünstler, die Zeit auch als politische Kategorie verstehen, als eine Erfindung im Dienste weltanschaulicher und wirtschaftlicher Interessen. Berlin, verschiedene Spielorte, www.berlinerfestspiele.de

23. Februar bis 29. Juli

MÜNCHEN FAUST-FESTIVAL Noch ein Jahr vor seinem Tod schrieb Goethe in einem Brief über den Faust, dass das Ganze „ein offenbares Rätsel bleibe, die Menschen fort und fort ergötze und ihnen zu schaffen mache“. Sein Leben lang hatte ihn der Stoff beschäftigt, dem er bereits als Kind in einem Puppenspiel begegnet war. Das Faust-Festival präsentiert fünf Monate lang Veranstaltungen zum Thema „Faust“. In Konzerten, Theaterund Tanzvorstellungen, Filmvorführungen und Ausstellungen zeigen Mitwirkende ihre Projekte. „Du bist Faust“ ist der Titel einer Ausstellung in der Kunsthalle. Unzählige Künstler befeuerte die Dichtung zu eigenen Schöpfungen. Gezeigt werden rund 150 Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Fotografien, Vertonungen und Filme. Der Ausstellungsparcours folgt dem Aufbau des Dramas und führt durch die Handlung. Zu Faust II gibt es die Illustrationszyklen von Max Slevogt, Franz Stassen und Max Beckmann zu sehen. München, Kunsthalle, www.kunsthalle-muenchen.de

nen. Nacho Duato, der Intendant des Staatsballetts Berlin, der diesen Sommer – verärgert über die Politik – vorzeitig Berlin verlässt, beauftragte ihn, eine Neudeutung des Klassikers Don Quixote zur Musik von Ludwig Minkus zu erarbeiten. Minkus komponierte die Musik für das Bolschoi-Theater und den Choreografen Marius Petipa. Dessen Fassung, die im 20. Jahrhundert rekonstruiert wurde, blieb bis heute eine Ikone. Für Ullate ist sie die historische Folie, vor der seine Interpretation sich entfaltet. Als Liebespaar Kitri und Basil tanzen Polina Semionova und Marian Walter sowie alternativ Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru. Im Graben leitet Robert Reimer das Orchester der Deutschen Oper Berlin. Berlin, Deutsche Oper, 16. (Premiere), 18. und 22.2., www.staatsballett-berlin.de

28. Februar

LUDWIGSHAFEN XAVIER DE MAISTRE UND LUCERO TENA Zwei geniale Virtuosen haben einander gefunden. Nach einem Auftritt in Madrid begegnete der Harfenist Xavier de Maistre der KastagnettenSpielerin Lucero Tena. Begeistert von ihrer Persönlichkeit und ihrem Temperament, schlug er ihr vor, gemeinsam aufzutreten. Tena war eine berühmte Flamencotänzerin. Nach Beendigung ihrer Tanzkarriere widmete sie sich ganz den Kastagnetten und erarbeitete ein Repertoire. Spanische Komponisten wie Enrique Granados, Isaac Albéniz, Manuel de Falla und Francisco Tárrega bestimmen die gemeinsame musikalische Reise „Serenata Española“. De Maistre zeigt in seinem Spiel das gesamte klangliche Spektrum der Harfe mit allen seinen Farben. Die Harfe habe orchestrale Dimensionen, bekräftigt er. „Man kann einen breiten und vollen Ton bilden, diese ätherischen Klänge erzeugen, die man so gut kennt, oder die Harfe rhythmisch wie ein Schlaginstrument spielen.“ Ludwigshafen, BASF-Feierabendhaus, www.basf.de/kultur

11. März

MÜNCHEN LES VÊPRES SICILIENNES Er ist der neue Star der Theaterwelt: Antú Romero Nunes, 1983 in Tübingen geboren und ausgebildet an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Seine Arbeiten wurden zu Theaterfestivals eingeladen, und Intendanten aus dem ganzen Land wollen ihn an ihre Bühnen holen. Für Verdis Oper Les vêpres siciliennes kommt er nach München. Seine Arbeitsweise beschreibt er als offenen Prozess. Die Darsteller sollten sein Konzept verstehen, aber auch ihre Vorstellungen einbringen. Er biete nur eine Spielwiese, „und dann spinnt das Kollektiv“. Zu seinem Münchner Kollektiv gehören Carmen Giannattasio in der Rolle der Hélène, Helena Zubanovich als ihre Vertraute Ninetta, Bryan Hymel als Henri und George Petean als Guy de Montfort. Die Musikalische Leitung hat Omer Meir Wellber. München, Bayerische Staatsoper, 11. (Premiere), 15., 18., 22. und 25.3. sowie 26. und 27.7., www.staatsoper.de

16. Februar

BERLIN DON QUIXOTE Choreograf Víctor Ullate beeindruckt mit seinen Neuinterpretationen von Ballett-Klassikern. Als Hauptinterpret von Maurice Béjart ließ er sich von dessen Nachschöpfungen und Erneuerungen inspirieren. Eine Lehre fürs Leben habe er aus der Zusammenarbeit gewon-

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THOMAS FLEISCHMANN

Dank an das Leben Leben auf den Punkt gebracht: große Lieder von Beethoven bis Verdi. Der Bass Thomas Fleischmann führt uns zurück an die Quelle unserer Menschlichkeit.

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E R L E B E N

Vision String Quartet

„WACH AUF, DU ­V ERROTTETER CHRIST!“ Das 26. Kurt Weill Fest Dessau feiert in 48 Veranstaltungen das pulsierende Musikleben der Berliner 20er-Jahre. VON RUTH RENÉE REIF

„Hast du eigentlich die Dreigroschenoper schon gesehen? Es ist genannt Mackie Messer, den sein Schwiegervater, der Bettlerkönig wirklich ein schönes Stück und sicher das beste, was mir bisher Peachum, an den Galgen bringen will, mit dem Anhaltischen Thegelungen ist“, freute sich Kurt Weill über den Riesenerfolg und die ater zur Aufführung. Festspielintendant Gerhard Kämpfe blickt Beifallsstürme, die ihm die neuerliche Zusammenarbeit mit Ber- der Inszenierung erwartungsvoll entgegen: „Mit Ezio Toffolutti, tolt Brecht bescherte. Unter Hochdruck hatten die beiden im süd- einem Schüler von Benno Besson, konnten wir einen exzellenten französischen Saint-Cyr an dem Werk gefeilt. Weill suchte, zu Regisseur gewinnen.“ Als „Gegenstück“ zeigt das Festspiel eine einer Urform von Oper zu gelangen, leicht sangbar und mit fassli- zeitgenössische Neufassung jener Beggar’s Opera von John Gay, die cher Melodik. Was er schuf, war ein neues Genre des musikali- Brecht und Weill als Vorlage diente. Moritz Eggert schrieb eine schen Theaters. Musik mit zahlreichen Anspielungen an bekannte Titel aus dem „Weill auf die Bühne!“ lautet denn auch Great American Songbook wie I Wanna Be KURT WEILL FEST DESSAU das Motto des Kurt Weill Fests Dessau. AnlässLoved by You von Herbert Stothart, Harry 23. Februar bis 11. März lich der 90. Wiederkehr seiner Uraufführung Ruby und Bert Kalmar, Diamonds are a Girl’s Informationen und Kartenservice: kommt das Stück um die glückliche Errettung Best Friend von Jule Styne und Leo Robin oder Tel.: +49-(0)341-14 990 900 www.kurt-weill.de des Londoner Straßenräubers Macheath, Tea for the Tillerman von Cat Stevens. Gezeigt 32

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F OTO S : TI M K LO EC K E R ; H A N N ES C A S PA R ; U L L A LO M M E N ; M AT TH I A S H E Y D E; P H I L I P G L A S E R

Ilja Richter

Till Brönner

La BETTLEROPERa

wird die fulminante Aufführung von La BETTLEROPERa in einem Gastspiel der Köllner Oper Berlin mit der TanzTheaterKompagnie Balletto Civile, dem Ensemble Freiraum Syndikat und Moritz Eggert. Kämpfe leitet das Festspiel in diesem Jahr zum ersten Mal. Als „primus inter pares“, wie er es nennt, steht er in einem vierköpfigen Team. Es sei ein Glücksfall, schwärmt er. Mit Johannes Weigand, dem Generalintendanten des Anhaltischen Theaters und Theatermann mit großer Erfahrung, Markus L. Frank, dem Generalmusikdirektor des Hauses und exzellentem Musiker, sowie dem Kurt-Weill-Spezialisten Jürgen Schebera kämen vier unterschiedliche Qualitäten zusammen. Was Kämpfe, der in Berlin als erfolgreicher Konzertmanager tätig ist und Kontakte zu vielfältigen Künstlern unterhält, bewog, nach Dessau zu kommen, ist die Begeisterung für Weill und „diese unglaublich kreative Zeit der Berliner 20er-Jahre“. Eine kulturelle Explosion habe damals stattgefunden. Sich bei der Planung eines Festivals in diesem Umfeld zu bewegen, sei eine großartige Herausforderung. Fasziniert ist Kämpfe von der bis heute ungebrochenen Strahlkraft, die Weills Musik besitzt. All die Künstler, mit denen er quer durch die musikalischen Genres gesprochen habe, hätten Weill sofort als anregendes Thema angesehen. „Jeder beschäftigte sich offenbar irgendwann mit der Musik von Kurt Weill.“ Im Eröffnungskonzert spielt der Trompeter Till Brönner, Artist in Residence des Festspiels, mit der Anhaltischen Philharmonie Dessau Auszüge aus der Brecht-Weill-Oper Aufstieg und

Dagmar Manzel

Fall der Stadt Mahagonny sowie weitere Meisterwerke von der Klassik bis zur Gegenwart. Auch Jan Josef Liefers und seine Band Radio Doria bauen in ihr Song-Programm Weill-Titel ein. Dagmar Manzel erinnert mit ihrem Hollaender-Programm „Menschenskind!“ an die Anfänge des literarisch-politischen Kabaretts in Deutschland, während Jochen Kowalski sich mit dem Salon­ orchester Unter’n Linden dem Kabarett und dem Film der 20erJahre widmet. 48 Veranstaltungen bringen Musik in Theater, Sakralbauten, Museen und historische Stätten von „Cis-Schwein“, wie Weill seine Geburtsstadt scherzhaft nannte, Magdeburg, Halle an der Saale, Wörlitz, Gröbzig und Zerbst. „Wir wollen auch die Herkunft Weills als Sohn einer jüdischen Familie wieder in den Fokus rücken“, betont Kämpfe. Ein Programm geistlicher Musik, das junge Künstler einbindet, führt in die Synagogen von Gröbzig und Halle an der Saale. Und ein Symposium zum 100. Jahrestag der Künstlervereinigung Novembergruppe setzt sich mit der Arbeit der Künstler und Musiker auseinander, die nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches mit ihrer Kunst am Aufbau einer demokratischen Gesellschaft mitwirken wollten. Den krönenden Abschluss der Festspiele bildet der Auftritt von Ute Lemper. Begleitet vom MDR Sinfonieorchester, singt sie die großen Brecht-WeillSongs aus der Dreigroschenoper und der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny sowie J’attends un navire, in dem die nach Südamerika entführte Marie Galante aus der gleichnamigen Oper ihr Heimweh beklagt. n 33


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Johann Sebastian Bach: ­Violinkonzerte. Frank Peter Zimmermann, Serge Zimmermann, Berliner Barock Solisten (Hänssler Classic)

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Februar – März 2018

Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com

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F OTO: B AC H F ES T L E I P ZI G , W W W. M A L ZKO R N F OTO. D E

E R L E B E N

BACH-SCHATZKISTE Das Leipziger Bachfest nähert sich mit exzellenten Interpreten, spannenden Programm­ konzepten und über 160 Veranstaltungen dem Faszinosum des großen Meisters an. VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL

Er ist der musikalische Heilige der Stadt: Als Thomaskantor hat Interpreten sind weltweit führende Bach-Experten vor Ort, darunJohann Sebastian Bach die Musikgeschichte der Stadt Leipzig ter Ton Koopman, Hans-Christoph Rademann, Thomaskantor maßgeblich geprägt. Die Namen Bach und Leipzig sind bis heute Gotthold Schwarz und Masaaki Suzuki. Für John Eliot Gardiner, die Schlüssel zu einer besonders reich gefüllten Schatzkiste an ein- der seit 2014 das Amt des Präsidenten des Bach-Archivs in Leipzig zigartigen Tonschöpfungen. Beim Bachfest der Stadt Leipzig wird innehat und diesen besonderen Konzertreigen initiiert hat, ist der diese Kiste Jahr um Jahr aufs Neue geöffnet und ihr kostbarer Kantaten-Ring ein Herzensprojekt: „Bachs Kantaten sind der MitInhalt in unterschiedlichster Art und Weise dargeboten. telpunkt, das wahre Zentrum von Bachs Kirchenmusik. Und desIn diesem Jahr lautet das Motto des Leipziger Bachfests halb bin ich überglücklich, dass all diese wunderbaren Kollegen an ­„Zyklen“. Johann Sebastian Bach hatte eine besondere Vorliebe für der ,Uraufführung‘ des Kantaten-Rings beim Leipziger Bachfest zyklische Formen und Werkgruppen, konnte er in ihnen doch 2018 mitwirken werden“, so Gardiner. ­systematisch die musikalischen Gestaltungsmöglichkeiten eines Wesentlich verantwortlich für die intensive Leipziger Bachbestimmten Motivs, eines Themas oder einer speziellen Gattung Pflege war Felix Mendelssohn Bartholdy, der die Stadt als Gewanderforschen. Beim Bachfest werden unter anderem ein Passions- hauskapellmeister ebenfalls musikalisch sehr geprägt hat. EntspreZyklus und Aufführungsserien mit den Brandenburgischen Kon- chend ist im Rahmen des Bachfests auch ihm eine eigene Reihe zerten, dem Wohltemperierten Klavier, den Goldberg-Variationen gewidmet. sowie den Suiten für Violoncello solo zu erleben sein. Neben diesem spannenden musikalischen Seitenblick sorgen Ein monumentales Highlight krönt das Eröffnungswochen- Wissenschaftler des Bach-Archivs und ausgewiesene Gastreferenende. Wie andernorts die Opern Wagners werden beim „Leipziger ten und Bach-Experten für weitere aufschlussreiche Perspektiven Kantaten-Ring 2018“ innerhalb von 48 Stunden 30 ausgewählte auf den barocken Großmeister und begleiten die verschiedenen geistliche Kantaten Bachs in insgesamt Veranstaltungen mit Vorträgen und BACHFEST LEIPZIG 8. bis 17. Juni zehn Konzerten aufgeführt, die im Konzerteinführungen. Auf dem LeipziInformationen und Kartenservice: Gesamtkontext musikalisch ein komger Markt findet zudem ein großes Bach Tel.: +49-(0)341-91 37 300 bachfest@bach-leipzig.de | www.bachfestleipzig.de plettes Kirchenjahr nachzeichnen. Als Open Air statt. n 35



Filmmusik

DER SOUNDTRACK DER FLIMMERWELT! Sie dröhnen, romantisieren, zitieren und lassen schweigen. Sie beschwören Vorahnungen und schaffen Gewissheiten. Eine Reise in die Welt der Filmmusik von Dr. Caligari bis Spiel mir das Lied vom Tod. VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL

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rell und spitz stoßen die hohen Violinen zu, messer- den Ohren, und vor meinen Augen stehen die Helden und sind mir scharf sausen die Geigen-Glissandi herab, es kreischt böse […] Ich stehe sehr spät auf, mit schwerem Kopf und unpasund sägt, „fortissimo, brutale“, wie es in der Partitur senden Gefühlen. Es kriechen mir unanständige Gedanken in den von Bernard Herrmann (1911–1975) steht. 53 „Cuts“ in Kopf, etwa: Ich hätte mich für 134 Rubel an das ,Sevzapino‘ verkauft 136 Sekunden, die Frau in der Dusche wird regelrecht zerhackt. und sei nun zum Kinopianist geworden.“ Das Komponieren frus­ Man sieht es nicht in Hitchcocks Psycho – aber die Musik lässt trierte ihn: „ein Trommelschlag beim Eintritt eines neuen Helden; es hören. Ob Messerzücken, Kuss oder Cliff-Hanger: Nichts geht ein munterer energischer Tanz für die positiven Helden, ein Foxim Film ohne Musik. Sie verstärkt Gefühle und Fantasien und trott für die ,Zersetzung‘ und eine muntere Musik für das glückliche lässt Menschen umso lieber ins Kino gehen. Schon zu Stumm- Finale“. Dennoch wird er 40 Filmmusiken schreiben. filmzeiten: 1917 wurden täglich 14 Milli„Keine Hure liebt je ihren Freier, und onen Tickets verkauft, in Paris 1915 allein sie will ihn so schnell wie möglich loswerim Oktober ganze 1,6 Millionen – fast die den, sobald sie ihre Dienste bereitgestellt Hälfte der damaligen Einwohnerzahl. KURT WEILL FÜHLTE SICH ALS hat. Das ist mein Verhältnis zu Hollywood. Regelrechte Stummfilmkathedralen Ich bin die Hure“, brachte es Kurt Weill auf HURE HOLLYWOODS wurden erbaut, wie das Roxy Theatre in New den Punkt. Dennoch gelang es KomponisYork, dessen spektakulär goldenes Auditoten, auch eigenständige Musik zu schreiben, rium fast 6.000 Sitzplätze fasste. Kinoorgeln wie Paul Hindemith für Im Kampf mit dem produzierten alle Klangfarben und GeräuBerge (1921) oder Eric Satie für René Clairs sche, dazu ein Orchester von 110 Mann nebst gemischtem Chor und Entr’Acte (1924). Saties Musik ist so absurd wie der Film selbst, ein Vokalsolisten. Ob Mozart, Massenet, Weber oder Sibelius, Wagner musikalisches Kaleidoskop, das nie zum Puzzle wird. Passend dazu oder Bizet: Die Musik wurde an die Stimmung und das „Cue sheet“ die Aufforderung an das Publikum: „Bringen Sie schwarze Sonnenangepasst, die von den Produzenten herausgegebene Liste der Stel- brillen mit. Oder etwas, mit dem Sie die Ohren verstopfen können.“ len, an denen Musik stattfinden sollte. Eine Revolution löste 1927 die Erfindung des Tonfilms aus. Die Freizügig der Umgang mit dem kompositorischen Material: auf das neue Lichttonverfahren standardisierte Filmrolle war billiger „Das Motiv für Caligari holten wir uns bei Straussens Till Eulen- als der Unterhalt eines Kinoorchesters, der seinerzeit 200.000 Dolspiegel“, schildert Filmkomponist Ernö Rapée 1919 die Suche nach lar jährlich verschlang. Kleine Kinos konnten sich nun die (einmapassender Musik für Das Cabinet des Dr. Caligari. „Um Cäsar, den lige) Anschaffung eines Projektors für 15.000 Dollar leisten. MusiTräumer, zu etikettieren, pumpten wir uns ein bisschen was von ker aber wurden über Nacht arbeitslos. Debussys Nachmittag eines Fauns.“ In kleinen Kinos führte ein PiaFritz Langs legendärer Film M von 1931 nutzt die Sprache des nist durch den Film. Schlager, Gassenhauer, Ragtime oder Opern- Stummfilms und verbindet sie mit den neuen Errungenschaften. medleys, jedes Genre musste er parat haben – inklusive ein „Ach- Er setzt die bis dahin illustrierende Filmmusik dramaturgisch ein: tung! Gefahr!“ signalisierendes Tremolo. Musik, die an jeder Stelle Immer, wenn der Kindermörder einem Mädchen begegnet, wenn abgebrochen oder verlängert werden konnte. in ihm Mordgedanken aufsteigen, pfeift er die Melodie von In der „Wir brauchten das Geld bitter nötig“, beschreibt Dmitri Schos- Halle des Bergkönigs aus Griegs Peer-Gynt-Suite. An der Melodie takowitsch, wie er Anfang der 20er-Jahre in Leningrad im „Aurora“ wird der blinde Händler, der dem Mädchen einen Luftballon verseine „Muggen“ verdiente. Seinem Lehrer Glasunow versicherte er, kauft, die Gefahr erkennen. „dass ich kein Lotterleben treibe; die Sache steht schlimmer. Mit der Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 schöpfen viele DrehbuchArbeit am Cinematograph bin ich völlig aufgeschmissen […] Wenn autoren ihre Stoffe aus Presse- und Gerichtsakten, die die korrupte ich nach Hause komme, [klingt mir] immer noch die Kinomusik in amerikanische Justiz und Politik und die soziale Misere anprangern. 37


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Es ist die Stunde des Film noir, seine unwiederbringliche Pracht. Mit Wagners WalSujets vertragen keine Musikretusche. kürenritt ziehen amerikanische Soldaten in Misere als sarkastische Karikatur setzt Apokalypse now in den Vietnam-Krieg. Chaplin genial in Moderne Zeiten 1936 Meist bedient sich Filmmusik der Stanin Bild und Musik um. Der Held als dardvokabeln. Beethovens Für Elise steht für hilfloses Zahnrädchen im Produktionskleinbürgerliche Enge, ein Wiegenlied für getriebe spricht nicht, dafür die Musik: Muttergefühle, Spieldosenmusik für amerikaMuntere Quicksteps folgen den eintönische Weihnacht, Trompeten für die Helden, nigen, immer schnelleren Bewegungen Oboen-Lieblichkeit für ländliche Atmosphäre, des Arbeiters am Fließband. „MickeyBlues auf verstimmtem Klavier für liederliche Mousing“ nannte sich das Verfahren, Kneipenstimmung, behäbige Streicherpracht jede Bewegung musikalisch zu verplus Cembalo für aristokratisches Milieu. Hordoppeln. „Der Schauspieler kann seine ror, wenn die Kontrabassklarinette klingt. Und Augenbraue nicht hochziehen“, witzelte die Stille? Meisterhaft setzt Ennio Morricone sie Aaron Copland, „ohne dass die Musik in Spiel mir das Lied vom Tod ein, zwiihm dabei hilft.“ Und meinte damit schen schwelgerischen Orchesterpassanicht Chaplin, sondern Max Steiner, gen und dem berühmten Mundharmoder diese Methode exzessiv betrieb. Doch Steinika-Motiv. ner (1888–1971), einstiger Schüler von Gustav Heute aber dominiert die volle Mahler, war auch ein begabter Komponist, wie Dröhnung, wie Hans Zimmers „Wall-toseine Musik zu Vom Winde verweht (1939) zeigt. Wall Score“-Methode: Ein Großteil des Drei Stunden Musik inklusive Ouvertüre, in Films wird mit Musik unterlegt. Zimmer zwölf Wochen komponiert, dank Aufputschmitweiß sich zu vermarkten – jedenfalls besteln. 16 Leitmotive und über 300 Einzelnumser als György Ligeti, dessen Werke ohne mern, die er geschickt aus Motiven des musisein Wissen in Kubricks 2001: Odyskalischen MGM-Firmensignets entwickelte, das see im Weltraum „verarbeitet“ wurden. jeden Film als „musikalisches“ Markenzeichen Ligeti hatte nichts dagegen, wäre aber einleitet. Während Steiners Musik vorwiegend gerne dafür honoriert worden. „Sie werillustrativ bleibt, brachte Franz Waxmann (1906– den ihren Prozess in Frankfurt, Wien 1967) eine psychologisierende Ebene hi­ nein. und London gewinnen“, schrieb ihm seiSein chromatisches Rebecca-Thema aus dem nerzeit MGM zynisch. „In Los Angeles gleichnamigen Hitchcock-Film von 1940, taucht aber können wir ihn 20 Jahre dauern lasnur kurz auf, bleibt dennoch präsent, in variiersen. Wollen Sie lieber jetzt 1.000 Dollar?“ ter Form, wie ein Geist, der durch die Zimmer Schließlich bekam er 3.000 Dollar. wandelt – der Protagonistin Rebecca ähnelnd, Einen Blick in die harten Arbeitsdie tot ist und dennoch die Handlung bestimmt. bedingungen gab bereits Roland-Manuel In Spiel mir das Lied vom Tod wird Stille, in Kongenialer Höhepunkt der Zusammen1947: Filmmusik-Komponisten werden Citizen Kane musikalische Auflösung zum Stilmittel arbeit zwischen Regisseur und Komponist ist wie „Maler“ bestellt, „um AusbesserungsHerrmanns Musik zu Orson Welles’ Citizen Kane arbeiten in einer (fertigen) Wohnung (1941). Eine formal gleichbleibende Frühstücksszene zeigt den Ver- durchzuführen“. Dann „sieht sich der unglückliche Musiker, verfall von Kanes erster Ehe. Erste Einstellung: langsamer sentimenta- sehen mit einer Stoppuhr, begleitet von einer mitleidvollen Cutteler Walzer für das liebende Paar. Zweite Einstellung: burlesk-heitere rin, einem heillosen Durcheinander gegenüber, dem Rohschnitt des Variation. Das Paar scherzt. Dritte Einstellung: aufgeregte Variation. Films“. Der Regisseur gibt zu verstehen, „der Sonnenaufgang am Emily ist nun strenger angezogen, die Stimmung gereizt. Vierte Ein- Anfang der dritten Filmspule“ funktioniere nicht, „eine ausdrucksstellung: Disput zwischen den Eheleuten, die einstige Walzermelo- volle Sinfonie von 20 Sekunden Länge“ müsse her. Dann noch ein die ist in Rede und Gegenrede aufgeteilt. Fünfte Einstellung: offe- schönes Cello-Solo, um eine missratene Szene zu retten. Telefoner Streit. Das Dies-Irae-Motiv klingt an. Sechste Einstellung: Lichte nisch werde man ihm die endgültige Länge der Sequenzen mitteilen. Walzerfetzen erinnern an das einstige Glück. Die Melodie hat sich „Acht Tage und acht Nächte sitzt unser Mann an 40 Minuten Musik aufgelöst wie die Ehe. … unterbrochen von Telefonanrufen der Cutterin, die ihm mitteilt, Deskriptiv und psychologisierend ist auch die Musik von Mik- dass der Vorspann nun doch länger werde … dass die eine Sequenz lós Rózsa zu Billy Wilders Das verlorene Wochenende (1945). Eine von Rolle 7, für welche die Musik schon fertig ist, … unter den Tisch zirpende Violine ahmt die Laute der Mäuse nach, die der Trinker im falle.“ Dann hört der Komponist lange nichts, bekommt eines Tages Delirium zu sehen glaubt. Solche Eindringlichkeit ist selten. Meist eine Einladung zur Filmpremiere. „Dort ist die Überraschung hart ist Filmmusik reines „Illustrationsmaterial“, auch die bereits kom- … Das Geräusch des Krans überdeckt die Musik, die ursprünglich ponierte. Im Spiritismus-Schinken Der Exorzist (1972) gibt’s Musik den Lärm der Stadt nachzeichnen sollte … Die ursprünglich für von Webern, Penderecki und Henze, frei nach J. S. Bach: Wo immer das Shakespeare’sche Theater geschriebene elisabethanische Musik der Böse die Hand im Filmspiel hat, dort ist „ein teuflisch Geplärr wurde dem Streit im Postamt unterlegt: charmanter Einfall des und Geleier“, wo immer der Gute, da schwelgt das Orchester. Regieassistenten … Noch vor dem Ende der Vorführung ergreift der Ausnahmen bestätigen die Regel: Kunstvoll verzahnt Stanley Komponist die Flucht.“ Kein einfacher Beruf also. Und dann noch Kubrick in Barry Lyndon die Duellszenen mit Händels Sarabande der Spott. „Wo soll denn um Himmels Willen mitten auf dem Ozean d-Moll. In Wilders Boulevard der Dämmerung erscheint die alternde Musik herkommen?“, lästerte Hitchcock, als er eine Szene auf See Diva zu Bachs d-Moll-Toccata; die Musik unterstreicht einstige, inszenierte. ■ 38

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Filmmusik

HOLLYWOODSOUND – DAS QUIZ Wie gut kennen Sie die Klangschmiede des Film-Olymp? VON MARIA GOETH

Bei welchem Filmmotiv dachte Regisseur Steven Spielberg zunächst, sein Filmkomponist John Williams hätte sich einen Scherz erlaubt? A) Indiana Jones B) Der weiße Hai C) Jurassic Park

C

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Wie viele Minuten lang eröffnet der Film Spiel mir das Lied vom Tod mit nichts als ­Umgebungsgeräuschen – ohne Musik, ohne gesprochenes Wort? A) 13 B) 5 C) 9

CM

MY

CY

CMY

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Bei welchem Film wurden in den amerikanischen Kinos Warnschilder aufgehängt, da er an zentraler Stelle zehn Sekunden Stille enthält, die von Besuchern für einen technischen Defekt gehalten werden könnten? A) Herr der Ringe – Die zwei Türme B) Gladiator C) Star Wars – The Last Jedi

Welcher berühmte Filmkomponist hat einen Gastauftritt im legendären Video des Songs Video Killed the Radio Star, mit dem der Musiksender MTV 1981 sein Programm aufnahm? A) James Cameron B) Danny Elfman C) Hans Zimmer

Welches Instrument spielt in Thomas Newmans Oscar-nominierter Musik zum Spielfilm American Beauty eine Hauptrolle? A) Maultrommel B) Marimba C) Tuba Die Lösungen lauten B, A, C, C, B

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F I L M M U S I K

DER KLANGTÜFTLER Gerade hat David Reichelt den Deutschen Filmmusikpreis gewonnen. In seinem Studio lüftet der Komponist einige Geheimisse seiner Zunft.

F OTO: DAV I D R E I C H E LT

VON MARIA GOETH

D

„FÜR SKURRILE MUSIKWELTEN

a liegt es also, eines der trumente aneinander: von armeniRÄUME ICH AUCH MAL MEINE Epizentren der Filmmuscher Duduk über chinesische Xiao bis GANZE KÜCHE AUS UND SAMPLE sik. Im lauschigen Münchzur irischen Tin Whistle und moderner Stadtteil Waldtrudering nem Xaphoon. KLÄNGE DARAUS“ passiere ich hübsche Häuserreihen mit Jetzt will ich es wissen. Wie gepflegten Vorgärten. Ich bin auf dem genau komponiert man eine FilmmuWeg zu David Reichelt, preisgekrönter Film- und Fernsehkompo- sik? Wie verläuft der Arbeitsprozess? „Das ist sehr unterschiednist und zusammen mit Sängerin Caroline Adler frischgebacke- lich“, betont Reichelt. Bei manchen Projekten steigt er früh ein, ner Gewinner des Deutschen Filmmusikpreises – ausgezeichnet bekommt bereits die erste Drehbuchfassung des Films und verwurden sie für den lyrischen Titelsong in Matthias Langs deut- folgt die gesamte Entwicklung mit. Manchmal passiert das erst schem Fantasy-Streifen König Laurin. sehr spät. Gerade „pitcht“ Reichelt für eine Fernsehserie, bewirbt An der Tür zur Ideenschmiede nimmt mich der perfekt sich also dafür mit einem Musikkonzept. Der Film ist fertig abgegestylte 31-Jährige herzlich in Empfang. In Erwartung eines dreht. Er muss also „nur“ noch den richtigen Sound zum Material irgendwie gearteten Produktiv-Chaos, verblüffen mich Klarheit, finden. In der Regel entscheiden Produzent und Regisseur, wer Modernität und Aufgeräumtheit des Ortes, der Studio und Pri- eine Musik zum Film komponieren soll. Reichelt arbeitet den fervatwohnung in einem und in dessen Edelstahlküche eine akku- tigen Film mehrere Male durch. Manchmal hat der Cutter bereits rate Teesammlung aufgereiht ist. Das Arbeitszimmer wird von sogenannte „Temp-Tracks“ daruntergelegt, vorübergehend eingeeinem Schreibtisch mit drei großen Bildschirmen, einer auszieh- setzte Musik aus anderen Filmen, die ihm bei seinem Schneidebaren Klaviatur und einigen hochwertigen Lautsprechern domi- Rhythmus hilft. Reichelt ignoriert diese manchmal lästigen Fülniert. In einem Schrank versteckt sich ein Mini-Aufnahmestu- ler elegant, um etwas Neues zu schaffen. Er setzt sich ans Klavier, dio, das Reichelt selbst mit Akustikmodulen ausgekleidet hat. spielt, komponiert und notiert erst einmal einige simple Themen, Auf einem niedrigen Holzregal reihen sich exotische Flötenins­ die melodische und harmonische Kernaussage. Diese Themen

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Filmmusik

F OTO S : S PA R K L I N G P I C T U R ES / I VA N P O L E T TI (3); S PA R K L I N G P I C T U R ES / J U L I A N CO RO M I N ES ; S PA R K L I N G P I C T U R ES / F E L I X VO N P O S E R (2)

Für den Film König Laurin schuf David Reichelt eine märchenhafte musikalische Fantasiewelt

entwickelt er dann weiter, macht sich eine schematische Auflis- Zuspielungen zu einem idealen Raumklang „vermengt“. tung, wie er den Film gestalten möchte: Wo soll überhaupt Musik Heute ist Reichelt zunehmend gut im Geschäft, doch auch erklingen und für was soll sie stehen? Dabei sind der Regisseur für ihn war aller Anfang schwer. Er komponiert, seit er sechs und später die Produzenten involviert, mit denen Reichelt über Jahre alt ist, obwohl keiner in seiner Familie Musik machte. In Spannungsbögen und Strukturen debattiert. der Schule schrieb er Musik für die Theatergruppe. Die Symbiose Dann wird „ausproduziert“, also orchestriert, gegebenenfalls zwischen Bild und Musik faszinierte ihn. Doch es sollte zermürSolisten involviert und tatsächlich eingespielt. „Wenn ich nicht bende 19 Aufnahmeprüfungen dauern, bis Reichelt seinen Platz explizit den Charakter von elektronischer Musik treffen will, in der Kompositionsklasse von Filmmusiklegende Enjott Schneinehme ich alles selbst auf“, so Reichelts Ehrgeiz. „Ich baue nicht der (Herbstmilch, Schlafes Bruder, Stalingrad) fand. „Es gab keine mit Samples reale Instrumente nach. Das erreicht nie die 100 Pro- Alternative für mich! Das wollte ich machen“, so Reichelt, deshalb zent einer echten Interpretation“. Für gängige Instrumente hat er kämpfte er, bis es vier Jahre später endlich klappte. eine Stammbesetzung aus seinem Netzwerk, die er „zusammenteDoch dann folgten erste kleine, unbezahlte Projekte, etwa lefoniert“ und Stück für Stück bei sich im Studio aufnimmt. Vie- mit der Hochschule für Fernsehen und Film in München und les spielt Reichelt dabei höchstpersönMusik für Werbespots zum Geldverlich ein, so ist er etwa leidenschaftlidienen. Peu à peu baute Reichelt sein cher Saxofonist oder übernahm in der Netzwerk auf. Es kam eine erste Reihe „SELBST MUSIK ZU SCHAFFEN, märchenhaften Fantasiewelt von König – die bayerische Fernsehserie HinWAR MEIN GRUNDSÄTZLICHES Laurin verschiedene ethnische Instrudafing –, in der er die Intrigen und die mente. „Ich habe schon während der Verschrobenheit der Dorfbewohner ­BEDÜRFNIS!“ Schulzeit Instrumente gesammelt“, im schrillen, reduzierten Jazzsound strahlt Reichelt. „Ich liebe es, neue zu auf Schlagzeug, Bass und Saxofon – lernen! Hier im Studio habe ich gerade Letzteres von Reichelt selbst gespielt über 50 verschiedene. Für skurrile Musikwelten räume ich auch – widerspiegelte. „Die Drogenrauschszenen bei Hindafing sind mal meine ganze Küche aus und sample Klänge daraus. Oder ich musikalisch betrachtet sehr wild“, lacht er. Die insgesamt 4,5 gurgle oder singe mit morgendlicher Reibeisenstimme und ver- Stunden Filmmaterial sind nach ihrer Fernsehausstrahlung 2017 zerre das zu synthesizerartiger Musik.“ nun auf Netflix zu sehen. Für die opulenten Orchesterklänge der Laurin-Produktion Und jetzt? Ist der Deutsche Filmmusikpreis für König Laurin hatte Reichelt für zwei Tage das Babelsberger Filmorchester zur ein höhnischer Triumph? „Nein“, bleibt Reichelt bescheiden. „Das Verfügung. „Das war für die Aufnahme von einer ganzen Stunde gibt nach all den Kämpfen und den vielen komplett durchgearbeiOrchestermusik sehr knackig“, gesteht Reichelt. „Da muss man teten Jahren Kraft und setzt einiges in einem frei. Es war ein übereffizient arbeiten. Ich habe die Musik so arrangiert, dass sie von wältigendes Gefühl, und da sind an diesem Abend schon ein paar guten Musikern beim ersten Mal zu spielen ist und Themenvari- Freudentränen geflossen.“ ationen hintereinander aufgenommen werden.“ Als reines FilmAktuell sitzt Reichelt in den Startlöchern für einen weiteren musikorchester sind die Babelsberger gewöhnt, „auf Klick“ ein- Kinofilm, La Palma. Es geht darum, was Liebe bedeutet, um ein zuspielen – also einen Klicktrack auf ihre Kopfhörer bekommen, Pärchen, das kurz vor der Trennung steht und es noch einmal mitder eine zeitlich absolut passgenaue Einspielung gewährleistet. einander versuchen will. Und sein Wunschtraum? Na, wenn HolBeim Dirigent läuft außerdem in einem Bildschirm der Film mit, lywood anklopfen würde, wäre das schon nicht der beispielsweise zusätzlich mit Countdowns zum Abwinken schlecht. Vielleicht einen Titelsong für James von Schlussakkorden versehen ist. Diese richtet Reichelt selbst Bond schreiben …? ■ ein, der hier zum Produktionsleiter wird. Beim anschließenden „König Laurin. Original Motion Picutre Soundtrack“, David Reichelt Mischen dieser „Hybridproduktionen“ werden dann Orchester(Rough Trade) klang, unabhängig davon eingespielte Solisten und elektronische 41


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Der Axel-Brüggemann-Kommentar

DER NEUE MUT DER MUSIKFILMWELT

Das Scandic Hotel am Potsdamer Platz verwandelt sich jedes kontinuierlich weniger über Klassik berichten. Die Met in New Jahr für einige Tage in ein gigantisches Multiplexkino. In dunk- York macht seit Jahren vor, dass ein Kino durchaus ein Raum sein len Räumen flimmern noch nicht gesendete Dokumentationen, kann, in dem das Publikum bekommt, was es an vielen Stadt­ Konzert- und Opernmitschnitte über die Leinwände. Regisseure, theatern oft vermisst, einen Ort mit musikalischer Weltklasse Autoren und Produzenten nehmen Stellung zu ihrer Arbeit. An mit einem menschlichen Rahmenprogramm, in dem die Künstden Stehtischen im Foyer wird debattiert, ler hautnah zu erleben sind. Das Kino gestritten und verhandelt. Auf der Avant ist zur legitimen Erweiterungszone des Première treffen sich Filmschaffende aus Opernhauses geworden, durch das die DAS BEWEGTBILD allen Ländern, um ihre neuen ProdukWeltklasse in jedem Kaff zu Hause sein IST LÄNGST tionen aus dem Bereich der Musik vorkann. ZUM TEIL EINES zustellen. Die Gästeliste ist international. Die wachsende Größe der Avant Neben den großen deutschen Sendern Première zeigt auch, dass die audioNEUEN JOURNALISMUS kommen die BBC aus England, RAI aus visuellen Medien dabei sind, die DeuGEDIEHEN Italien, TV-Stationen aus Japan, Tschetungshoheit über die Repräsentation der chien, Finnland, Schweden, Frankreich, klassischen Musik in breiten Teilen der Kroatien, Litauen, Russland, der Schweiz Öffentlichkeit zu übernehmen. Dort, wo oder Österreich. Und natürlich sind wichtige Produktionsfirmen weniger ausgestrahlt wird, schließen neue Anbieter die Lücken wie die Unitel aus München vor Ort, signed media aus Hamburg, durch On-demand-Angebote, und selbst private Stationen wie accentus music aus Leipzig, arthaus oder Naxos. Und es kommen Servus-TV oder Sky setzen zunehmend auf klassische Musik, da zahlreiche Orchester und Thea­ter wie die Berliner Philharmoni- sie begreifen, dass es sich um eine attraktive Nische handelt. Mehr ker, das Göteborg Symphonieorchester, die Tschechische Philhar- noch, jetzt, da ich diese Kolumne für crescendo schreibe, denke monie oder die Opéra National aus Paris, um ihre Programme ich an jene Zeit zurück, als es noch wirkliche Pionierarbeit war, vorzustellen. Letzteres sagt vieles über den Zustand der Filmbran- bewegte Bilder und ein gedrucktes Magazin miteinander zu verche in der klassischen Musik: Sie denkt vernetzt, in einem großen binden. Miteinander – und immer mehr Häuser werden selbst zu multiAngefangen hat alles beim ECHO KLASSIK, als der medialen Playern. He­rausgeber dieser Zeitschrift beschloss, die Veranstaltung backDie Zeiten, in denen ein oder zwei Fernsehsender darüber stage mit einer Kamera zu begleiten. Das ist jetzt über zehn Jahre entschieden, was die Menschen sehen, sind vorbei. Die techni- her. Wir hatten keine Erfahrung, spürten aber schnell, dass das schen Voraussetzungen, um eine Aufführung aufzuzeichnen, sind für uns neue Medium in der Lage war, vollkommen neue Kommuüberschaubar, und an Ausspielplattformen fehlt es nicht: Im Netz nikationswege zu erschließen. Schaut man sich die Beiträge von ist zwar noch immer kaum Geld zu verdienen, aber darum geht es damals an, gerät man heute ins Schmunzeln: lange Haare, wenig vielen Häusern auch weniger als um allgemeine Aufmerksamkeit Licht, wackelige Kameras, schlechte Auflösung, ja im ersten Vorin Zeiten, in denen das Zeitungs-Feuilleton und andere Medien spann ist noch Rolando Villazón als Beleuchter mit einer Hotel42

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ZE I C H N U N G : S T E FA N S TE IT Z

Auf der „Avant Première“ in Berlin treffen sich internationale Musikfilmmacher – und haben die unglaublichen Chancen ihres Mediums erkannt.


Filmmusik

lampe in der Hand zu sehen. Ebenso wie bei den ersten Blogs von Und das schafft man besonders, wenn das aufwendige Filcrescendo, die zu Hause am Schreibtisch zusammengeschnitten men gleich mehrere Ziele verfolgt. Das Ideal einer aufwendigen wurden. Kleiner Insider: Ein für uns gesungenes „crescendo“ von Begleitung eines Klassik-Events erstreckt sich nicht mehr darin, Rolando können Sie bis heute im Abspann der crescendo-Videos es einfach nur abzufilmen, zu senden und zu vergessen, sonhören (www.youtube.de/crescendomagazin). Jetzt, zehn Jahre dern möglichst viel Material zu sammeln, mit dem weitgehend später, ist längst klar: Print und Bewegtbild schließen einander zeitlose Dokumente geschaffen werden: Backstage-Interviews, nicht aus, sondern ergänzen und befruchten sich gegenseitig. Die Probe­a rbeit, Meisterklassen, Interpretationsanalysen oder musiFilme vom ECHO KLASSIK werden inzwischen hochprofessio- kalische Erläuterungen werden parallel zur Aufführung gedreht nell und in HD-Fernsehstandard produziert – jedes Mal treffen und stehen danach für vielseitige Neuverwertungen zur Verfüwir über 30 Künstler zu Kurzgesprägung. Primäres Ziel ist es, den aktuchen. Allein auf der Internetseite ellen Erfolg der Live-Veranstaltungen crescendo.de sind inzwischen weit allgemein zugänglich zu machen und über 50 Folgen von „crescendo trifft …“ somit auch eigene „Stars“ aufzubauen, DAS KINO IST ZUR LEGITIMEN zusammengekommen, zum Teil mit etwa die Sopranistin Anja Harteros, schwindelerregenden Klickzahlen und, die kaum auf CD, wohl aber auf zahl­ERWEITERUNGSZONE DES OPERNverteilt über verschiedene Seiten, mit reichen DVDs begeistert. In der FilmHAUSES GEWORDEN, DURCH DAS mehreren 100.000 Zuschauern (zum branche scheint es inzwischen wieder Beispiel, wenn Joyce DiDonato über um Dinge zu gehen, die lange vergesDIE WELTKLASSE IN JEDEM KAFF ZU Donald Trump redet). In der Rubrik sen wurden: Kontinuität, das Denken HAUSE SEIN KANN „Mein erstes Mal“ sprechen Künstler in großen Zeiträumen und die wahre über ihre ersten Begegnungen mit der Pflege von Künstlern, ihren RessourMusik, Attila Csampai stellt regelmäcen, ihren Möglichkeiten und ihren ßig seine Lieblingsplatten im Video Karrieren. vor und die leitende crescendo-Redakteurin Maria Goeth und der Außerdem haben die audiovisuellen Medien begriffen, dass Blockflötist Stefan Temmingh treffen sich zum Kochen mit Klas- sie sich in einer vernetzten Welt miteinander vernetzen müssen. sik-Stars. Auf Veranstaltungen wie der Avant Première kommen Bühnen Klar, all diese Formate ersetzen kein Fernsehen, aber sie zei- und Orchester mit den Produzenten, Fernsehsendern, mit Kinos, gen, wie das Bewegtbild längst zum Teil eines neuen Journalismus Regisseuren und Autoren ins Gespräch, um gemeinsam Zukunftsgeworden ist. Viele Leser kommen über Facebook oder andere pläne auszuhecken. Derartige Ansätze werden auf der diesjährisoziale Medien zum ersten Mal in Kontakt mit Musik (manche gen Avant Première viele zu sehen sein. Filme, die international wissen gar nicht, dass es crescendo auch in gedruckter Form gibt). funktionieren, die sich auf das Archiv des Aufgenommenen stütWenn ich nun diese zehn Jahre zurückblicke wird eines klar: zen und gleichsam in der Gegenwart stehen, Filme, in denen es Print, Video, Internet, Film, Streaming. Aus dem Printmagazin um das Miteinander aller Institutionen geht, die in der Klassik ist ein Klassikmedium gewachsen, das über die verschiedenen eine Rolle spielen, um das Publikum so nahe wie möglich an die Kanäle viel mehr Menschen erreicht als früher. Kunst zu bringen. Vor zwei Jahren saß der Chef der Unitel, Jan Mojto, auf An den Stehtischen im Foyer des Scandic Hotels wird es auch einem Podium der Avant Première. Früher war es sein Geschäfts- dieses Mal darum gehen, wie die Kraft des eigentlichen Opernmodell, Filme und Konzerte für große öffentliche Sender aufzu- oder Konzertabends im Film abzubilden ist, egal für welches nehmen und die Rechte daran zu verkaufen. Heute denkt er ganz Medium, ob für das Fernsehen, die DVD oder den Stream. Klar anders: „Wir nehmen die wichtigen Dinge auf “, sagte Mojto, „was ist, dass alles dort beginnen muss, wo auch für das Publikum die sich verändert hat, sind die Möglichkeiten, sie auszuspielen: Das Magie einsetzt: beim Veranstalter, im Konzert- oder im Opernkann der Fernsehsender sein, dass können neue Klassik-Kanäle haus. Natürlich wird das Bewegtbild niemals die Möglichkeit im Netz sein, dass können Homepages von Zeitungen sein oder haben, ein Live-Event in New York, an der Bayerischen Staatsoper, natürlich Anbieter wie Netflix, die das neue Fernsehen ins Netz bei den Bayreuther Festspielen oder in der Berliner Philharmonie verschoben haben.“ Klar wird bei derartigen Aussagen, dass wir abzubilden, wie es wirklich ist. Auch hier zählt schließlich noch die Berichterstattung über Musik nicht mehr eindimensional den- das Wort Roland Barthes’, dass jeder Reproduktion am Ende die ken können, dass das Sehen und Hören zum Lesen dazugehört, Aura des Originals fehlen wird. Das Fernsehen hat aber die Mögdass es unterschiedliche Situationen für unterschiedliche Formen lichkeit, eine andere, eigene Aura zu schaffen, die jener im Theater der Erzählweise gibt – und dass alle Medien auf diese Erkennt- nicht im Wege steht, im Gegenteil, sogar neugierig auf das Theanis reagieren müssen. Die Zeitung mag dabei der Grundpfeiler ter macht: die Aura dessen, was der Konzert- oder Opernbesucher sein, der die Geschichte des eigenen Unternehmens transportiert, nicht zu sehen bekommt, das Detail, den Zoom, den Blick hinter die mit ihrer Premium-Ausgabe zum gemütlichen und intensiven die Kulissen, das exklusive Gespräch mit den Künstlern. All das Lesen verführt – eine Visitenkarte. Das Bewegtbild ist dabei eine kann das Fernsehen, und es ist dabei, diese Qualität zu perfektioErweiterung, eine Chance, Menschen an Orten zu erreichen, die nieren, seine Kräfte zu bündeln, um mit dem Abenteuer der klasfür klassische Zeitungen und Zeitschriften längst unerreichbar sischen Musik so viele Menschen wie möglich zu begeistern und sind. zu berühren. ■ 43


L E B E N S A R T

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F OTO S : CO N S O RC I O T U R I S M O D E S E V I L L A ( 7 ); D I EG O D E L S O; K ATH E R I N A K N E ES

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1) Torre del Oro 2) Der Eingang der Stierkampfarena Real Maestranza 3) Alcázar 4) Plaza España 5) Flamenco 6) Sevillanische Keramikkunst 7) Nachtleben in Sevilla 8) Süße spanische Köstlichkeiten 9) Traditionelle Tapas

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DIE GANZE STADT DUFTET NACH ZUKUNFT UND PERSPEKTIVE

Sevilla Maurische Paläste, Flamenco, Stierkampf und Paradies der Meeresfrüchte – mit Dirigent und crescendo-Kolumnist John Axelrod durch Andalusiens Hauptstadt. VO N K AT H E R I N A K N E E S

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ienvenida!“ tönt es durch die HotelDie Muscheln mit Öl und Zitrone zergehen auf lobby. Auftritt John Axelrod. Sonnender Zunge, es folgt gegrilltes Schwertfischfilet mit brille, Künstlerschal und ein wilder Gemüse und ein Teller mit Artischocken zum Lockenkopf unter einem weißen Hut. Niederknien – dazu gibt es Rotwein. John AxelDer amerikanische Dirigent ist ein rod strahlt. Gutes Essen ist neben Musik seine ex­trovertierter Vollblutbühnenmensch und kann es große Leidenschaft. 1994 war der Dirigent sogar crescendo-Autorin Katherina gar nicht erwarten, „sein“ Sevilla zu zeigen. Seit für kurze Zeit Leiter des Robert Mondavi Wine Knees mit John Axelrod 2014 ist John Axelrod in seiner Funktion als musiand Food Center in Costa Mesa in Kalifornien. kalischer und künstlerischer Leiter des Real „Mit dem Essen ist es wie mit der Musik“, bekennt Orquesta Sinfónica de Sevilla der erste und einzige Generalmusik- er. „Wenn die Qualität nicht absolut hervorragend ist, macht mich direktor Spaniens, und das Hotel Vincci la Rabida in der Calle Cas- das kreuzunglücklich, aber wenn die Qualität stimmt, bin ich der telar ist so etwas wie sein zweites Zuhause, wenn er in Sevilla ist. glücklichste Mensch der Welt.“ Von dort aus startet der Spaziergang durch die von der Sonne in Als das Real Orquesta Sinfónica de Sevilla 1991 von Vjekoslav goldenes Licht getauchten Gassen. „Auf der Plaza de Molviedro Šutej gegründet wurde, bestand es aus 23 Musikern, die Šutej aus blühen jedes Jahr für zwei Wochen die Jacaranda-Bäume und ver- Osteuropa mitgebracht hatte. In den letzten 25 Jahren hat sich das wandeln den kleinen Platz in ein märchenhaftes violettes Blüten- Gesicht des Klangkörpers jedoch völlig verändert. Das liegt auch meer“, erzählt John Axelrod und hält inne. „Sevilla ist für mich aus daran, dass man in Sevilla viel für den Nachwuchs tut, berichtet vielen Gründen die schönste Stadt der Welt.“ Nach wenigen Schrit- John Axelrod begeistert. „Hier wimmelt es von guten Jugendorten erreichen wir die „La Azotea“, ein kleines Tapaslokal in der chestern wie in keinem anderen Land. Neun Nachwuchsorchester Calle Zaragoza, in dem John Axelrod mit großem Hallo den Besit- gibt es momentan in Sevilla und die Qualität ist enorm. Die jungen zer begrüßt und sogleich kulinarische Pläne schmiedet. „Wir müs- Musiker brennen für das, was sie tun, und ich kann hier wirklich sen unbedingt Fisch essen, dieser Ort hier ist das Paradies für Lieb- etwas bewegen. Die ganze Stadt duftet nach Zukunft und Perspekhaber von Meeresfrüchten; besseren Fisch und bessere Muscheln tive und ist zugleich tief verwurzelt in ihren Traditionen. Das ist bekommt man sonst nirgendwo, nicht mal in Japan.“ Gesagt, getan. eine unglaublich reizvolle Mischung!“ 45


L E B E N S A R T

Tipps, Infos & Adressen Reiseinformationen rund um einen Besuch in Sevilla.

Musik & Kunst

Essen & Trinken

Übernachten

Wer tiefer in die jüdische Geschichte der Stadt eintauchen möchte, besucht das Centro de Interpretación Judería de Sevilla und macht einen geführten Rundgang durch das jüdische Viertel: www.juderiadesevilla.es

Landestypische Tapas in gemütlichem Ambiente bietet die Abaceria Puerta Carmona: Calle Tintes 1, 41003 Sevilla

Das 4* Hotel Vincci la Rabida verbirgt sich in einem Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert mitten im Zentrum von Sevilla. Das Frühstück ist fantastisch und der Blick von der Dachterrasse des Restaurants überwältigend: https://de.vinccilarabida.com

In der Carbonería kann man jeden Abend authentische Flamencovorstellungen erleben: www.lacarbonerialevies.blogspot.de

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Liebhaber von Meeresfrüchten erleben in der oft mittags schon gut gefüllten La Azoteca echte Geschmacksexplosionen: www.laazoteasevilla.com/es

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Februar – März 2018

F OTO S : CO N S O RC I O T U R I S M O D E S E V I L L A ; J Y N U S ; K ATH E R I N A K N E ES ; CO N S O RC I O T U R I S M O D E S E V I L L A

John Axelrod kann selbst auf Nach dem Essen geht der eine bewegte und vielseitige KarriStreifzug durch die Stadt weiter, und ere zurückblicken. 1966 wurde er in aus John Axelrod sprudeln in Hülle Houston in Texas geboren und nach und Fülle Informationen zu Sevillas musikalisch geprägten Kindertagen Geschichte. Er ist nicht nur ein bereits mit 16 Jahren von seinem künstlerischer Visionär, der den Mentor und Vorbild Leonard BernBlick in die Zukunft richtet, sonstein höchstpersönlich unter die dern blickt auch wissbegierig Fittiche genommen. Später stuzurück. „Die Stadtflagge von Sevilla dierte er Musikwissenschaften an trägt den Text ,NO 8 DO‘“, erzählt der Harvard University, Jazzklavier er, „und die Ziffer 8 symbolisiert ein in Boston und Dirigieren in St. Wollknäuel.“ Diesen rätselhaften Petersburg, arbeitete in Amerika als Text findet man überall in Sevilla – La Giralda – einst Minarett, Künstleragent und Artists and an Gebäuden, Laternen und sogar heute Glockenturm der Kathedrale von Sevilla Repertoire Manager für verschieauf Polizeiautos. Entschlüsseln lässt dene Plattenfirmen, gründete in seiner Heimatstadt das Orchestra sich das Wortspiel mit „No me ha dejado“ – „Du hast mich nicht X und kam schließlich als Assistent von Christoph Eschenbach verlassen“, eine Anspielung auf den kastilischen König Alfons X., nach Deutschland. John Axelrod nippt an seinem Wein und streckt der sich für die Treue der Stadt bedankte, weil er nach seiner Entdrei Finger in die Luft. „Drei Menschen sind dafür verantwortlich, thronung im Jahr 1282 in Sevilla im Exil leben durfte. dass ich überhaupt nach Europa gekommen bin“, erzählt er. „Meine Auf dem Spaziergang grüßt John Axelrod hier und da StraOma, meine Frau und Christoph Eschenbach.“ Er lacht. Mittler- ßenmusiker, die Luft ist warm und weich, das Licht glänzt auf den weile hat John Axelrod über 150 Orchester dirigiert und war musi- hellen Steinen der Kirchen und Häuser. Phönizier, Römer, Westgokalischer Leiter des Theaters Luzern, des l’Orchestre National des ten, Mauren, Juden und Christen waren schon hier in Sevilla zu Pays de la Loire und der Filmmusik-Gala „Hollywood in Vienna“. Hause, das alles spiegelt sich im Stadtbild wider. Auch der Alcázar Der Spagat, den er seit November 2014 als Generalmusikdirektor von Sevilla, der mittelalterliche Königspalast, der bis heute von der in Sevilla täglich vollführen muss, ist eine neue Herausforderung, spanischen Königsfamilie genutzt wird, ist optisch noch von seiner denn der Dirigent kann sich nicht nur auf die musikalische Arbeit maurischen Baugeschichte geprägt. Doch viel faszinierender findet mit seinem Orchester konzentrieren, sondern wird auch in politi- John Axelrod die Legenden, die sich in den Gassen östlich der sche Entscheidungen einbezogen, die sich auf die Planung seines Kathedrale zugetragen haben, im Barrio de Santa Cruz, wo bis ins Spielplans auswirken. Zudem muss er alle künstlerischen Visionen 15. Jahrhundert hinein die jüdische Bevölkerung der Stadt lebte, immer wieder rechtfertigen. „Das ist manchmal ein Kampf gegen bevor die Judería ab 1391 wiederholt von blutigen Pogromen bürokratische Windmühlen“, sagt er und lacht. „Aber nur wenn erschüttert wurde und viele ihrer Bewohner ermordet wurden. man große Träume hat, kann man auch etwas erreichen.“ Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde das jüdische Viertel wieder


Termine

FÜR GLOBETROTTER Gen Süden Monte-Carlo und Umgebung

Dank der wunderbaren Gracia Patricia wartet das steinige Steuerparadies an der Côte d’Azur jährlich im Frühjahr mit musikalischen Besonderheiten auf. Die Musik unserer Zeit zur Geltung zu bringen, ist der Ehrgeiz des Musik- und Tanzfestivals Printemps des Arts de Monte-Carlo. „Das Konzert, das seit einigen Jahrzehnten erstarrt ist und in seiner Form nicht mehr unseren jungen Generationen entspricht, muss sich weiterentwickeln“, betont Marc Monnet, Komponist und künstlerischer Leiter. Als Composer in Residence hat er den Komponisten Yan Maresz eingeladen. Zudem stehen drei Uraufführungen auf dem Programm. Auch eine Opernentdeckung gibt es: Les quatre petites filles von Edison Denisov nach dem gleichnamigen Theaterstück von Pablo Picasso. Monte-Carlo, verschiedene Spielorte, 16.3. bis 29.4., www.printempsdesarts.mc

Nizza Nach emotionaler Wahrheit strebt die Regisseurin Irina Brook. Sich wahrhaftig einem Werk anzunähern, habe nichts mit dessen Entstehungszeit oder Kontext zu tun, sondern mit den Gefühlen der Menschen, die sich nicht verändert hätten. Dazu müsse man genau hinhören, die Szene folge dem Klang. Mit Vannina Santoni und Eric Fennell in den Titelpartien inszeniert sie an der Opéra de Nice Gounods Roméo et Juliette. Am Pult steht Alain Guingal. Nizza, Oper, 21. (Premiere), 23., 25. und 27.3., www.opera-nice.org

Aix-en-Provence Auch Cézannes Geburtsstadt bietet Musik nicht nur im Sommer. Renommierte Künstler versammeln sich zum Osterfestival. Der Violinist Gérard Poulet vom Pariser Konservatorium ist im Kreise seiner Schüler Renaud Capuçon, Amanda Favier, Anne Gravoin und vieler anderer zu erleben. Das Orchestre Nationale de France unter seinem Chefdirigenten Emmanuel Krivine bringt anlässlich der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Debussy dem großen Impressionisten eine Hommage dar. Und ein Porträtkonzert stellt den Komponisten Éric Tanguy vor. Aix-en-Provence, verschiedene Spielorte, 26.3. bis 8.4., www.festivalpaques.com

Zef Pavaci ist für John Axelrod nicht nur der musikalische Fels in der Brandung seines Orchesters, sondern auch ein Freund, mit dem er hemmungslos künstlerische Zukunftspläne schmieden kann. Schließlich ist es Mitternacht. „Wie wäre es mit einer Kutschfahrt? Das muss man hier einfach machen.“ John Axelrods Augen blitzen vergnügt, von Müdigkeit keine Spur. Also los. Vor der Kathedrale warten zehn Kutschen in filmreifer Kulisse, und das Hufgeklapper ist ein stimmungsvoller Begleiter durch die laue Nachtluft. Erstmal gibt es einen Abstecher ins Seefahrer-, Torero- und Flamencoviertel Triana auf der anderen Seite des Guadalquivir. Der Blick über den Fluss hinweg bietet eine reizvolle neue Perspektive. Zurück im Zentrum leuchtet die Stierkampfarena La Maestranza am Paseo Cristóbal Colón mit ihren weiß-rotbraun-ockergelben Mauern in der Dunkelheit. Sie wurde im 18. Jahrhundert gebaut und zählt zu den schönsten und ältesten des Landes. Von dort ist es nur noch ein Katzensprung zur letzten Station des Tages. John Axelrods Arbeitsplatz, das Teatro de la Maestranza, liegt friedlich im nächtlichen Schein der Laternen. „Wenn ich es musikalisch ausdrücken müsste, würde ich sagen, Sevilla ist kein Allegro, aber auch kein Largo.“ John Axelrod lächelt versonnen: „Sevilla ist ein Andante.“ ■

HOTELTIPP

Das Sonnalp in den Dolomiten

F OTO: S O N N A L P

aufgebaut und ist als Schauplatz romantischer Opern wie Der Barbier von Sevilla, Figaros Hochzeit oder Carmen weltberühmt geworden. Die zweistöckigen andalusischen Häuschen und die lauschigen Plazas mit Brunnen und Orangenbäumen verströmen heutzutage Behaglichkeit. Pittoreske Balkone mit Geranien und gekachelte Innenhöfe zieren die schattigen Gässchen, die von hübschen kleinen Läden und Cafés gesäumt werden. Am südlichen Ende des Barrio de Santa Cruz befinden sich die nach dem Sevillaner Maler Esteban Murillo benannten wunderschönen Jardines de Murillo, die 1911 entstanden sind und die Obst- und Gemüsegärten des Real Alcázar in eine prächtige Grünanlage verwandelt haben. Gigantische Bäume spenden dort Schatten und laden zum Verweilen und Staunen ein. Auf dem Rückweg zum Hotel geht’s noch vorbei an der Kathedrale Santa María de la Sede, der drittgrößten Kirche der Welt, die mit ihrem imposanten Glockenturm schon aus weiter Ferne ein echter Blickfang ist. Vom Restaurant auf der Dachterrasse des Vincci la Rabida hat man einen überwältigenden Blick über die Stadt, der besonders zu späterer Stunde eine theatrale Magie entfaltet. Zum Abendessen gibt es Tintenfisch mit viel Knoblauch, einen kräftigen Rotwein und Besuch vom Konzertmeister. Der Geiger Paçalin

Das markante Profil des Latemar-Gebirgszugs kennen Sie wahrscheinlich von Dolomiten-Postkarten und Ski-Übertragungen. Hier, nur 20 Minuten von Bozen, und gefühlt am Ende der Welt, liegt Obereggen, eine kleine Gemeinde mit gerade mal 110 Einwohnern, die Kinder mitgezählt. Wer die Ruhe der Natur sucht und Kraft in ihr tanken möchte, ist hier im Südtiroler Eggental bestens aufgehoben. In der Gästekarte für 38 Euro pro Woche sind die Busse und Bergbahnen zu allen Dolomitengipfeln inbegriffen! Schlafen kann man am besten im inhabergeführten Genießerhotel Sonnalp mit seiner renommierten Gourmetküche von Zwei-Hauben-Koch Martion Köhl. Dazu der einzigartige Ausblick: vorne die satt blühende Almwiese, im Hintergrund der Latemar und die Wanderwege direkt vor der Haustür – viele davon perfekt zum Radeln mit dem E-Bike. Im Dezember sind nun die neuen stylishgemütlichen Junior- und Superiorsuiten fertig geworden. ■ UNSER TIPP: Die Dolomitenrundfahrt mit dem Chef des Hau-

ses persönlich. Preis: pro Person im DZ inkl. HP ab 99 Euro Infos und Kontakt: www.sonnalp.com, Tel. +39-0471-61 58 42

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L E B E N S A R T

Saltimbocca mit Reis CRESCENDO – H I E R K O C H E N D I E S TA R S

F OTO S : M A R I A G O E TH

„ESSEN HAT BEI UNS IMMER EINE GROSSE ROLLE GESPIELT, WEIL MEINE MUTTER AUS FRANKREICH KOMMT“ MATTHIAS WELL

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Februar – März 2018


S A LT I M B O C C A M I T R E I S Z U TAT E N F Ü R 2 P E R S O N E N Reis für 2 Personen 2 mittelgroße Zwiebeln Olivenöl 4 dünne Kalbfleischscheiben Salbeiblätter roher Parmaschinken Weißwein Salz, Pfeffer 1 Suppenwürfel ½ Becher Schlagsahne Den Reis nach Packungsangabe kochen. Die Zwiebeln klein schneiden und in Olivenöl andünsten. Die Kalbfleischscheiben vorne und hinten mit Salbeiblättern bedecken und mit dem Schinken belegen. Fleisch auf beiden Seiten für etwa 2 Minuten scharf anbraten und mit Weißwein aufgießen. Mit Salz und Pfeffer würzen, Suppenwürfel und die Sahne zugeben. Reis und Fleisch zusammen servieren und mit etwas Salbei und Zwiebelstücken dekorieren. Das Video zum Rezept finden Sie unter: www.youtube.de/crescendomagazin

• M AT T H I A S W E L L GEIGER Der junge bayerische Geiger Matthias Well studierte in München bei Sonia Korkeala und Mikyung Lee. 2017 gewann er den Fanny Mendelssohn Förderpreis Hamburg, was ihm die Realisierung seines Debüt-Albums mit Trauermusiken aus aller Welt ermöglichte. Für uns kochte er in der Küche von crescendo-Chefkoch und Blockflötist Stefan Temmingh (links im Bild).

Matthias Wells aktuelles Album: Bach, Piazzolla, Seress u. a.: „Funeralissimo“, Matthias Well, Maria Well, Zdravko Živkovič (Genuin)

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H O P E

T R I F F T

Daniel-Hope-Kolumne

KEINE AMERIKANISCHEN ­VERHÄLTNISSE, BITTE!

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Daniel Hope und Albrecht Mayer mit Rachel Harnisch und Sebastian Knauer beim Neujahrskonzert 2017/18 in Zürich

wäre schade, wenn wir amerikanische Verhältnisse einreißen ließen, in denen Musik einem sehr kleinen, elitären Kreis vorbehalten bleibt. In unserem gemeinsamen Silvesterkonzert hast du eine fantastische Paraphrase von Klemcke über eine Donizetti-Arie gespielt. Wie wichtig ist es dir, das Repertoire für die Oboe zu erweitern? Einerseits gibt es ein riesiges Repertoire für die Oboe. Allein das 18. Jahrhundert hat so viele Oboenkonzerte hervorgebracht wie für Flöte, Klarinette, Trompete, Bratsche und Horn zusammen. So viele Originalwerke, die nur darauf warten, gespielt zu werden! Andererseits gibt es viele Stücke, die irgendwo liegen und nicht gespielt werden. Ohnehin sind da nicht so viele reisende, konzertierende Oboisten auf dem Markt und die werden meistens eben doch für das Strauss- oder Mozart-Oboenkonzert oder das Bach-Doppelkonzert mit Geige angefragt. Das ist schade, denn das Repertoire ist unerschöpflich – in allen Epochen! Du hast neulich mit I Musici di Roma eine fantastische Tournee gemacht. Trotzdem wurde in einer Kritik nur über deine

Schuhe berichtet. Journalisten haben Gott sei Dank in Deutschland noch eine gewisse Meinungsfreiheit. Trotzdem spiegelt das, was in Kritiken geschrieben wird, weder das wider, was im Konzert an Spannung oder Stimmung spürbar war, noch die Meinung des Publikums. Bei 2.500 Leuten in einer ausverkauften Berliner Philharmonie, die vielleicht begeistert waren, kann der Kritiker vorher etwas Schlechtes gegessen haben, und es gefällt ihm nicht. Das lesen dann 50.000 Leute, die nicht im Konzert waren, und denken: „Das war aber ein grauenhaftes Konzert.“ Man darf nicht erwarten, dass eine Kritik ein Abbild des Konzerts ist! Ist es erlaubt, dass ein Künstler auf eine Kritik – zum Beispiel als Kommentar auf seiner Website – reagiert? Da bin ich konservativ und hatte auch viel Glück in meinem Leben. Trotzdem muss jeder von uns auch mal eine schlechte Kritik einstecken. Und wir müssen uns eingestehen, dass nicht jedes Konzert gleich gut ist, das wäre unmenschlich. Wenn eine Kritik nicht beleidigend wird, würde ich darauf nicht reagieren. Bei Beleidigungen würde ich wohl andere Maßnahmen ergreifen. Ich würde nicht selbst antworten, es gibt genügend Fans, die leidenschaftlich für mich in die Bresche sprängen. Dein Rat für einen jungen talentierten Oboisten am Karrierebeginn? Offensichtlich ist es nur wenigen vergönnt, ein solistisches Leben als Oboist zu haben. Deshalb sollen sie ihr ganzes Herzblut und ihre Leidensfähigkeit zusammenraffen und so viel arbeiten, wie es geht! Und auf den Zug aufspringen, wenn er vorbeifährt! n www.crescendo.de

Februar – März 2018

F OTO: DA N I E L H O P E , P R I VAT

Daniel Hope: Neulich wurde ich im Flugzeug von einem plastischen Chirurgen angesprochen. Er erzählte mir, dass deine Musik ihn so inspirieren würde, dass er immer dazu arbeitet. Durch dein letztes Album hätte er die schönsten Lippen seines Lebens gebaut. Was bedeuten dir solche Komplimente? Albrecht Mayer: Das ist ein sehr schönes Kompliment. In einer Zeit, in der sich das Gefühl für und die Kenntnis um die klassische Musik stark verändert haben, versuche ich, nicht nur für Menschen Musik zu machen, die klassische Musik über alles lieben und sich bestens auskennen, sondern auch für Menschen, die sich vielleicht nach der Arbeit, nach der Schule oder dem Kochen einfach nur entspannen wollen, die von Klassik gar keine Ahnung haben. Es ist en vogue, über den Zustand der klassischen Musik zu sprechen; oft werden große Schwierigkeiten prophezeit … Glücklicherweise haben wir beide keine Probleme, große Säle zu füllen. Aber wenn ich sehe, dass der meiste Musikunterricht in Deutschland entweder stark eingeschränkt ist oder gleich ganz ausfällt, macht mir das Sorgen. Auf der anderen Seite erlebe ich auf meinen Auslandsreisen zum Beispiel in Japan, China oder – um ein krasses Beispiel zu bringen – in der Türkei volle Säle mit jungen Leuten, die großen Spaß an der klassischen Musik haben – ein Gegensatz zu unserem Abonnementpublikum mit oft sehr reifen Menschen, die sich hochpreisige Tickets leisten können. Ich frage mich, ob wir nicht ein kleines bisschen umdenken sollten. Wir wissen, dass Deutschland eigentlich ein Hochkulturland ist und vor allem war. Es

ZE I C H N U N G : S T E FA N S TE IT Z

Daniel Hope im Gespräch mit Oboist Albrecht Mayer über Hochkultur, Meinungsfreiheit und den Umgang mit Kritik.


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