Bayerischer Monatsspiegel #155

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Verlag Bayerischer Monatsspiegel | 46. Jahrgang 2010 | Postvertriebsstück 69234 | ISSN 1860-4561 | Einzelpreis 7,50 EUR

Ausgabe 155

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April 2010

02_2008

Titelthema: Augsburg und Schwaben Werner Weidenfeld: Helmut Kohl zum 80. Paul Kirchhof: Wettbewerb und das Maß des Rechts Peter Ramsauer: Nachholbedarf West Horst Opaschowski: Die Wohlstandswende Hugo Müller-Vogg: „Zehn Gebote“ für Unionspolitiker Jürgen Rüttgers: Die Verantwortung der Volkspartei Hubert Burda: Wall Street in Schwaben Wolfgang Heubisch: Kulturland Bayern Christine Haderthauer: Familien ermuntern Reinhard Marx: Leben in der Hoffnung


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EDITORIAL

Das Kulturland Bayern braucht eine starke Wissenschaftslandschaft: Bayerns Wissenschaftsminister Dr. Wolfgang Heubisch (r.) beim Vortragsabend beim Peutinger Collegium mit Präsident Prof. Dr. Walter Beck.

Vorwort des Herausgebers Gestern ist heute. Heute ist morgen. Gerade die Beschäftigung mit Augsburg und mit Schwaben bestätigt diesen Satz wieder. Was vor 500 Jahren in Augsburg und in Deutschland geschehen ist, wiederholt sich heute. Die Anstrengungen, die Schwaben heute unternimmt, lassen auf eine gute Zukunft hoffen. Unser Ahnherr, Konrad Peutinger, ist Augsburger, der im ausgehenden Mittelalter gelebt hat. Wir haben über ihn schon sehr ausführlich berichtet. In diesem Heft ist deshalb ein Artikel von Hubert Burda über die Fugger. Konrad Peutinger, der Chef des Hauses der Welser, und sein Wettbewerber Jakob Fugger, der Reiche, haben die Bruchstelle Mittelalter/Neuzeit mit ganz ähnlichen Probleme erlebt, wie wir sie heute sehen. Die Globalisierung kam – versprach und drohte. Amerika mit den neuen Kolonien versprach Reichtum für die Kolonialisten und Armut für die anderen. Konrad Peutinger finanzierte deshalb die erste privatwirtschaftliche „Reise“ nach Amerika. Der Buchdruck, Mitte des 15. Jahrhunderts erfunden, versprach unbegrenztes Wissen und Reichtum für die einen, Unkenntnis für alle diejenigen, die sich auch langfristig Bücher nicht leisten konnten. Damals der scheinbare Aufbruch in die Wissenswelt, ebenso wie heute. In beiden Fällen irreführend. Damals war zwar das verfügbare Wissen überschaubar, aber es war doch erst der Beginn der wissenschaftlichen Erforschung der Welt. Heute ist das verfügbare Wissen unüberschaubar. Entscheidungen, die heute getroffen werden, müssen sehenden Auges in der Gewissheit getroffen werden, dass man nicht annähernd alle Wissensquellen ausschöpfen konnte. Das verfügbare Wissen macht also nicht unbedingt sicherer, sondern vielleicht sogar eher unsicher. Ich halte deshalb den Begriff „Wissenswelt“, der heute so gerne benutzt wird, für falsch und irre-

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führend. Dieser Begriff vermittelt den Eindruck, wir wüssten Bescheid. Viel wichtiger wäre es, würde der Begriff der „Lernwelt“ sich durchsetzen. Der stetige und ständige Aufruf zum lebenslangen Lernen, zu der Aufgabe, das Wissen verfügbar, gestaltbar zu formen. Gleichzeitig müssten wir aber auch den Mut haben, allen zu sagen, dass die Unsicherheit im Umgang mit dem gegenwärtigen und dem künftigen Wissen Bestandteil der menschlichen Natur ist. Wir müssen lernen, mit der Unsicherheit zu leben, so wird vielleicht die Flucht in die scheinbare Sicherheit irrationaler Versprechen abgemildert. Vielleicht ist aber auch gerade diese scheinbare Sicherheit einer der Gründe, warum besonders Religionsgemeinschaften erstarken, die eine möglichst einfache Religion versprechen, einfache Heilsbotschaften haben? Schwaben sucht sich eine neue Identität. Die Schwaben setzen verstärkt auf neue Werkstoffe, insbesondere möchte Schwaben das Zentrum für Karbon-Produktion werden als einer der zukünftigen leichten Baustoffe in der Kfz-Industrie und in der Luftfahrt. Schwaben sucht neue Antworten – dabei wünschen wir sehr viel Erfolg. Gerade die Vergangenheit von Augsburg hat gezeigt: Die Globalisierung bringt den Erfolg. Man muss mit ihr leben, nicht gegen sie.

Ihr

Prof. Dr. Walter Beck Präsident

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INHALT

Aktuelles Editorial Kurz gemeldet

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Titelthema Augsburg und Schwaben

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Impressum

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Vorschau Das Heft 156 hat das Titelthema Gesundheit: Gesundheit auf dem Teller – Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner gibt Tipps · Gesundheit aus dem Labor – die bayerische Pharmabranche · Gesundheit muss bezahlbar bleiben – von Markus Söder · Gesundheit auf dem Papier – der Erfolg der Apotheken Umschau · Gesundheit mit Prämie? – 10 Fragen an den Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler.

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Politik & Wirtschaft

Augsburg & Schwaben

Werner Weidenfeld Machtpolitiker mit Grundsätzen

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Paul Kirchhof Wettbewerb und das Maß des Rechts | 10 Peter Ramsauer Nachholbedarf West Horst Opaschowski Die Wohlstandswende

| 13 | 16

Hugo Müller-Vogg „Zehn Gebote“ für Unions-Politiker | 20 Interview mit Jürgen Rüttgers Die Verantwortung der Volkspartei | 22 Gert Wessels Die zivile Chance der NATO

| 25

Günther von Lojewski Bonner Loch

| 27

Interview mit Conrad Tribble US-Generalkonsul in München

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Rolf Kießling Schwäbische Wanderung

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Franz Josef Pschierer Ein starkes Stück Wirtschaft

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Neues Textilmuseum Hochburg der Weber

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Karl Michael Scheufele Ein Land voller Ideen

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Hoch hinaus Allgäu Airport Memmingen

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Hubert Burda Wall Street in Schwaben

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Kurt Gribl „Wird scho was dran sei“

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Donner & Reuschel Marktkommentar | 36 Markt am Scheideweg Josef Möst Vermögenserhalt über Generationen | 38

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INHALT

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Augsburg & Schwaben

Bayern & Kultur

Leben & Genießen

Michael Weiser Der Vertraute zweier Kaiser

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Wolfgang Heubisch Freiheit für Verantwortung

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MT Aerospace AG Mit Schwaben-Technik ins Weltall | 54

Erzbischof Reinhard Marx Leben in der Hoffnung

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Peter Schmalz Von Puppen und Helis beflügelt

Philipp Lahm Gemeinsame Sprache Fußball

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Landesausstellung Bayern-Italien

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Vorschau

Interview mit Christine Haderthauer Familien ermuntern

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Veranstaltungen des Peutinger Collegiums 2010

Hannes Burger Salz würzt die Nachbarschaft

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Michael Weiser Kleiner Ort mit großen Talenten

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Für Sie gelesen Buchbesprechungen

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Schwarzes Gold Kompetenzzentrum für Carbon Angela Pfotenhauer Beten und Arbeiten Walter Kurt Schilffarth Monopol mit Vielfalt

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Hans-Joachim Epp Traumküche statt Märchenschloss | 80

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Weitere Themen im Heft 156: Angela Merkel und der Weg zur deutschen Einheit · Lust und Last des Musterschülers – ein Gespräch mit Ministerpräsident Horst Seehofer über Bayerns Spitzenstellung · Präsident Gerd Sonnleitner und Bayerns Bauern · Roland Berger und das Ehrenamt – ein Interview · Bertram Brossardt und die bayerische Wirtschaft – ein Porträt.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Werner Weidenfeld

Machtpolitiker mit Grundsätzen

Karikatur: Horst Haitzinger

Helmut Kohl zum 80. Geburtstag

1992 ist „König“ Helmut Kohl zehn Jahre im Amt und auf dem Höhepunkt der Macht: Die deutsche Einheit ist gelungen und die Säger an seinem Stuhl von Vogel bis Müntefering haben sich Blessuren zugezogen. Selbst Franz Josef Strauß kann nur verwunde(r)t von seiner Wolke blicken.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Es gibt Bundeskanzler wie Ludwig Erhard, die von Historikern gerne mal rasch übergangen werden. Zu gering scheint ihre politische und gesellschaftliche Prägekraft. Helmut Kohl dagegen ist ein Schwergewicht deutscher Politik. Er ist mehr als nur einer in der Reihe der bislang acht deutschen Bundeskanzler. Niemand, der vergessen werden kann. Und das nicht nur, weil er mit 16 Jahren die längste Zeit aller Kanzler am Schalthebel der Macht saß.

Für diese elementaren Grundüberzeugungen setzte er sich ein, für sie wäre er im Falle eines Scheiterns zurückgetreten. Als promovierter Historiker dachte er ständig in historischen Bildern, Symbolen und Vergleichen. So ist es kein Wunder, dass er immer dann besonders stark war, wenn es darum ging, sei-

Mit dem Namen Helmut Kohl verbunden sind große historische Zäsuren: Die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses und der damit verschärfte Niedergang der kommunistischen Regime, die deutsche Einheit und die damit verbundene Überwindung der Teilung Europas, dramatische Fortschritte der Integration Europas und die damit verbundene Einführung der gemeinsamen europäischen Währung, des Euro. Es sind also mehr als nur einige Fußnoten der Geschichte, die den Namen Helmut Kohl tragen – es sind große Überschriften historischer Epochen. Helmut Kohl war ein Machtpolitiker, jemand, der genau wusste, was er wollte, und seine Ziele strategisch präzise verfolgte. Wie nur wenige andere besaß er ein feines Gespür für die politische Ratio sowie das geradezu perfekte Spiel auf der Klaviatur machiavellistischer Instrumente. Gleichzeitig war er ein Mann essentieller Grundsätze. Man muss sich nur die Frage stellen, wofür und aus welchem Anlass wäre er zurückgetreten? Die Antwort: Für Europa und für Israel: Europa war für ihn nicht nur Arena deutscher Interessenvertretung. Die Einigung Europas war für Kohl immer der Schlüssel zu einem friedlichen Kontinent. In der Tradition Adenauers sah auch Kohl eine unauflösliche Verbindung zwischen deutscher und europäischer Frage. Nur mit einer Einigung Europas glaubte er, auch für Deutschland die Einheit in Freiheit vollenden zu können. Deutsche Einheit und europäische Einigung stellten für ihn „zwei Seiten der gleichen Medaille“ dar – eine Formulierung, die unmittelbar auf Konrad Adenauer zurückverwies.

Er dachte ständig in historischen Bildern, Symbolen und Vergleichen. Dass Kohl den damaligen EG-Kommissionspräsident Jacques Delors bat, beim Festakt zur deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 in Berlin die Hauptrede zu halten, ist beispielhafter Ausdruck für den Europäer Helmut Kohl.  Mit großem Engagement setzte sich Kohl nicht nur für den europäischen Integrationsprozess, sondern auch für Beziehungen Deutschlands zu Israel ein. Eckpfeiler seiner Politik war es, beide Stränge miteinander zu verbinden und Israel zu einer privilegierten Position gegenüber der Europäischen Staatengemeinschaft zu verhelfen. Israel bildete den Fokus historischer deutscher Verantwortung. Deutschland wurde so unter Kohl zum größten Freund Israels nach den USA – wie es der damalige israelische Botschafter Avi Primor selbst ausdrückte. Der junge Kohl hatte Krieg, Nationalismus, Not, Flüchtlingselend erlebt. Aus dieser Erfahrung errichtete er die Stelen seines Denkens: Freiheit, Europa, Anti-Sozialismus, Nation.

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Am 3. April feiert Helmut Kohl seinen 80. Geburtstag.

nen Überzeugungen historische Symbolkraft zu verleihen. Das Foto seines Händedrucks mit dem französischen Staatspräsident François Mitterrand auf dem Schlachtfeld von Verdun 1984 zählt zum elementaren Bildrepertoire bundesdeutscher Identität und deutsch-französischer Versöhnung. Gleichzeitig erwuchs für ihn im Erleben der schwärzesten Stunde deutscher Politik ein geradezu unstillbarer Hunger nach Politik – nach Gestaltung und Führung. Früh drängte er in Führungsämter der CDU. Er attackierte den verkrusteten Honoratiorengeist der Altvorderen und vermied keine riskante Kandidatur, falls selbst Niederlagen auf der Karrieretreppe hilfreich sein konnten. Als Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion Ludwigshafen (1960-1969) und CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Rheinland-Pfalz (1963-1969) lernte er das politische Geschäft von der Pieke auf. Die Wahl zum Landesvorsitzenden der CDU 1966 und zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz 1969 erkämpfte er sich gegen Peter Altmeier. 1973 wurde er CDU-Bundesvorsitzender, 1976 Kanzlerkandidat, bei der Bundestagswahl 1976 erzielte die Union ein Spitzenergebnis von 48,6 Prozent und doch blieb für Kohl nur der Platz des Oppositionsführers im Bundestag – aber sechs Jahre später erreichte er sein Ziel. Am 1. Oktober 1982 wurde er Bundeskanzler. Drei Faktoren sind es, die diesen bemerkenswerten Erfolgsweg erklären helfen:  Pflege der Machtinfrastruktur: Kohl war ein Meister des „stillen Regierens“ hinter den Kulissen. Konflikte trug er R

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POLITIK & WIRTSCHAFT möglichst nicht in der Öffentlichkeit aus, sein Stil war geprägt vom Abwägen und Aussitzen. Entscheidungen wurden häufig informell gefällt, offizielle Gremien verloren an Gewicht. Funktionieren konnte diese „Geheimküche der Macht“ nur, indem Kohl ein ihm loyales Netzwerk von Beratern auf allen Hierarchieebenen installierte. Entscheidend war allein, wem Kohl vertraute. So überließ er die Klärung ökonomischer Details der Wiedervereinigung beispielsweise Bundesbankvizepräsident Hans Tietmeyer – den Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl in misstrauischer Distanz umgehend.

von Weizsäcker, Roman Herzog und Johann Wilhelm Gaddum sollten ihm behilflich sein. Kohl dachte Politik in persönlichen Beziehungen. Stets suchte er den persönlichen Kontakt und Dialog, um Loyalitäten herzustellen und zu festigen. Selbst CDU-Orts- und Kreisvorsitzende überraschte er mit persönlichen Anrufen. Es ist nur konsequent, dass sich viele Stationen des politischen Lebens Helmut Kohls nur in der Kategorie von persönlichen Vertrauens- und Misstrauensverhältnissen beschreiben lassen. Mit Franz Josef Strauß focht Kohl bis zum Tod des bayerischen Barockpolitikers einen erbitterten Machtkampf aus. Aus der Sicht von Strauß fehlte Kohl der strategische Blick auf die Weltpolitik – und damit die wirkliche Qualität eines Spitzenpolitikers. Kohl blieb diese Art der Disqualifizierung nicht verborgen. In seinen Augen fehlte Strauß das wirkliche Gespür für das Äquilibrium der Macht. So entwickelte sich zwischen beiden

Karikatur: Horst Haitzinger

Zwischen Kohl und Strauß entwickelte sich eine Art Hassliebe.

„Bin gespannt, was von dem Schiff übrig bleibt, wenn die Galionsfigur mal weg ist!“ 1995 war Helmut Kohl als Kanzler und CDU-Vorsitzender in seiner Partei unangefochten. Ein Zustand, dem heute manche in der CDU nachtrauern.

 Aufbau von Netzwerken: Kohl setzte einen ungewöhnlich aus­geprägten Führungswillen um, indem er gezielt und mit langfristiger Absicht Personen seines Vertrauens an den Knotenpunkten der Macht platzierte. Kein anderer Politiker hat in Deutschland ein solch umfassendes Netz an Loyalitäten und Zweckgemeinschaften geschaffen und gepflegt. Doch bezog sich Kohls Netzwerk-Arbeit nicht nur auf Innen- und Parteipolitik. Er handelte mit gleichen Maximen auf der Bühne der internationalen Politik, ja der Welt­politik.  Bindung politischer Talente: Der „schwarze Riese“ ist schon frühzeitig, in den 60er Jahren, fest überzeugt, er werde einst Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Daher band er politische Talente ein, die über den engen Horizont seiner politischen Provinz hinausreichten. Persönlichkeiten wie Bernhard Vogel, Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf, Richard

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eine Art Hassliebe. Beide brauchten einander zum bundespolitischen Erfolg, sie mussten miteinander zurechtkommen, lehnten den anderen aber doch irgendwie als unbegabt, unzuverlässig und unkalkulierbar ab. Den Höhepunkt erlebte dieser Hahnenkampf 1980: Kohl selbst verzichtete auf seine Bundeskanzlerkandidatur. Er schlug vielmehr den Ministerpräsidenten NiedersachsensErnst Albrecht vor, der allerdings in der Bundes­ tagsfraktion gegen Strauß unterlag. Der eigentliche Verlierer hieß Helmut Kohl. Dennoch reagierte Kohl strategisch geschickt: Er stellte sich sofort in ostentativer Loyalität hinter Strauß. Kohls Kalkül war zutreffend. Er hatte bereits seit Jahren mit dem FDP-Vorsitzenden Genscher Gespräche über einen Koalitionswechsel geführt. Für die FDP war dies nicht mit einem polarisierenden Kanzlerkandidaten Strauß möglich, sondern erst nach dessen absehbaren Scheitern gegen den populären Helmut Schmidt und mangels Koalitionspartner. Für diese Zeit nach Strauß würde es nur einen Kandidaten der Union geben können: den Partei- und Fraktionsvorsitzenden Kohl. Kohls Technik der Machtausübung für die deutsche Einheit, dieses große Thema der Geschichte, erscheint bereits seit seinen ersten politischen Gehversuchen merkwürdig bekannt. Man konnte es bereits aus seiner kommunalen und landespolitischen Zeit bestens kennen. Überall ist Oggersheim. Lediglich der politische Gegenüber ist nicht mehr der Nachbar, sondern der amerikanische oder französische Präsident, die britische Premierministerin oder der sowjetische Generalsekretär. Dass der 2+4-Prozess zur Deutschen Einheit gelang, lag nicht zuletzt an dem immensen Vertrauensfundament, das Kohl vor allem beim amerikanischen Präsidenten Bush und dem sowjetischen Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Michael Gorbatschow, besaß. Kohls Netzwerke der Macht pulsierten in den Kategorien von Loyalität und Treue. Das hinderte ihn selbst aber nicht daran, immer wieder mit großer Kühle seinen fördernden Schutz zu entziehen. Ein interessantes Beispiel bot Bernhard Vogel. Er wurde von Kohl warmherzig als engster

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Bild: BPA

POLITIK & WIRTSCHAFT

Studienfreund gepriesen, als kongenialer Gefährte mit großer politischer Potenz und eindrucksvollem intellektuellem Horizont gelobt. Dies hinderte Kohl aber nicht daran, sich gegen Vogel zu stellen, als die Nachfolge Kohls in den Ämtern des Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden anstand. Heiner Geißler und Johann Wilhelm Gaddum mussten für ihren Mentor Kohl alles versuchen, den Weg für Vogel zu verstellen – ohne Erfolg, Bernhard Vogel setzte sich durch. Trotzdem blieb gerade Vogel Kohl bis zum Schluss loyal. Böse Worte über Kohl finden sich von Vogel nicht. Andere FallenGelassene avancierten dagegen wie Heiner Geißler, der auf dem „Beinahe-Putsch-Parteitag“ der CDU 1989 in Bremen auf Betreiben Kohls als Generalsekretär abgewählt wurde, zu scharfen Kritikern des Bundeskanzlers. Geradezu schicksalhaft erscheint es, dass Kohl letztlich gestürzt wurde, wie er selbst andere gestürzt hatte: durch Vertrauensentzug. Kohl hatte Angela Merkel als Talent der neuen Bundesländer entdeckt und gefördert. Er machte sie zur Ministerin und vermittelte ihr große Teile seines Erfahrungsschatzes. Er nahm sie in seine politische Familie auf. Ausschließlich in seinem Windschatten lernte Angela Merkel wie in einem Crash-Kurs westliche Politik. Einiges fügte auch Wolfgang Schäuble noch hinzu. Angela Merkel erwies sich als geradezu atemberaubend lernfähig. Aber Kohl und Schäuble hatten nicht damit gerechnet, dass eine Naturwissenschaftlerin mit dem persönlichen Erfahrungshorizont aus der DDR gravierende Elemente kühler Unabhängigkeit bewahren würde. So vollstreckte sie nüchtern und scharf den tiefen Schnitt, als Kohl und Schäuble Schwächen zeigten. Inmitten der CDU-

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Im Kaukasus gelang Kanzler Kohl (r.) 1989 sein Meisterstück: Er handelte Michail Gorbatschow (Mitte) das Ja zur deutschen Einheit ab. Mit dabei: Außenminister Hans-Dietrich Genscher (vorne l.), Horst Teltschik (l. außen), Regierungssprecher Johnny Klein (3.v.l.), daneben Finanzminister Theo Waigel, Raissa Gorbatschow und der sowjetische Außenminister Edward Schewardnaze (l. neben Kohl).

Spendenaffäre forderte sie, sich vom „System Kohl“ zu lösen. Es war dies Merkels entscheidender Karriereschritt – und die „Entlassung“ Kohls aus der Macht. Heute ist Helmut Kohl ein Monument deutscher Geschichte. Zur Liste seiner politischen Leistungen, zu deren größte die Deutsche Einheit und der Euro zählen, kommen in politischer Dialektik schmerzliche Debakel, allen voran der Parteispendenskandal, dessen abgründige Details bis heute ungeklärt sind. Einer seiner folgenreichsten Fehler war es, selbst nie einen Nachfolger aufgebaut zu haben. Mit Angela Merkel aber wird Deutschland heute von einer Bundeskanzlerin regiert, deren Karriereweg ebenso wie ihr Führungsstil ohne Helmut Kohl nicht denkbar ist. Auf den „Virtuosen der Macht“ folgte seine Schülerin, „die Sphinx der Macht“! n Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Weidenfeld, 1947 in Cochem an der Mosel geboren, ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der vielfach ausgezeichnete Politikwissenschaftler war Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, lehrte an der Sorbonne in Paris und ist ständiger Gastprofessor an der Renmin Universität in Peking.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Paul Kirchhof

Wettbewerb und das Maß des Rechts Die Finanzkrise weist einen Weg, den Verfassungsstaat und die Marktwirtschaft zu stärken

1. Die Rationalität des Leistungstausches Jeder Erwerbstätige sucht für seine Leistung die größtmögliche Gegenleistung zu erzielen, strebt täglich nach mehr Umsatz und mehr Einkommen. Dieser ungebändigte Wille zum Erwerb, zum Neuen, zum Wagnis steigert das individuelle Einkommen und sichert allgemeine Prosperität. Nestroy wird die Frage zugeschrieben: „Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?“ Der einzelne Mensch will immer mehr Kapital erwerben, die Rechtsgemeinschaft wirkt aber daraufhin, dass nicht zuviel Geld im Umlauf ist, weil eine Inflation den Wert des Geldes mindert. Geld ist geprägte Freiheit. Das Streben nach Geld ist deshalb grundsätzlich ein Streben nach Freiheit. Doch Freiheit ist in Freiheitsrechten definiert, also begrenzt. Freiheitsrechte erlauben die selbstbestimmte Entfaltung des Menschen in eigenen Angelegenheiten, geben aber grundsätzlich nicht Herrschaft über andere Freiheitsberechtigte. Ungebundene Herrschaft über andere wäre Willkür, wäre der Gegenbegriff zur Gerechtigkeit. Das individuelle Erwerbsstreben findet deshalb ein Maß in dem Tauschvertrag, der Geld nur als Entgelt gewährt, in der Gegenseitigkeit seine Rationalität gewinnt. Wer eine Ware verkaufen will, wird sie nur für einen angemessenen Preis überlassen; wer eine Ware kaufen will, wird nur für einen angemessenen Gegen-

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POLITIK & WIRTSCHAFT wert bezahlen. Ebenso werden Arbeit und Lohn in freier Vereinbarung auf einen angemessenen Leistungstausch abgestimmt. Jede Lebensaufgabe trägt ihren Sinn und ihr Maß in sich: Die Familie hat die Aufgabe, das Kind zu erziehen. Sie richtet sich dabei an Begabung, Eigenart und Aufnahmefähigkeit des Kindes aus. Die Medizin heilt den Menschen, ist sich aber stets der begrenzten Ressourcen von Diagnose, Heilmitteln, ärztlichem und pflegerischem Personal bewusst. Die Wissenschaft sucht stetig nach Wahrheit, bleibt aber im täglichen Erleben begrenzter Erkenntnisfähigkeit bescheiden. Der Markt produziert und verteilt die vom Menschen benötigten Güter, hat in der Knappheit der Güter ein systemzugehöriges Mäßigungsinstrument inne. Dieses sinnstiftende Maß scheint im Finanzmarkt verloren gegangen zu sein, wenn dort Geld gegen Geld, Geld gegen Hoffnung, sogar Geld gegen Verlusterwartung getauscht wird. Wer sein Geld für ein Paket voller ihm unbekannter, verbriefter Forderungen oder Hoffnungen einsetzt, tauscht nicht Geld gegen ein greifbares Wirtschaftsgut, sondern nähert sich dem Spiel und der Wette. Der Staat bekämpft grundsätzlich die Spielsucht beim Toto, Lotto und in der Spielbank. Beim Finanzmarkt hingegen scheint er sie eher zu fördern als einzudämmen. Diese Entwicklung bedroht das Vertrauen als Bedingung von Finanz- und Geldmarkt, gefährdet die Idee der Freiheit, treibt den Finanzmarkt in die Anonymität und damit in die Verantwortungslosigkeit, fordert eine Rückbesinnung auf die Grundidee des Wettbewerbs, drängt uns in grundsätzliche Reformen und Abhilfemöglichkeiten, erinnert an die Frage der Verteilungsgerechtigkeit und macht uns erneut die Aufgabe einer Staatsverfassung bewusst.

2. Vertrauen als Bedingung von Finanz- und Geldmarkt Unser Leben in Freiheit ist insgesamt auf Vertrauen angelegt. Dieses Vertrauen, insbesondere in das Recht, scheint gegenwärtig geschwächt. Das Recht vermittelt nicht mehr die Grundmaßstäbe des Gemeinschaftslebens. Vielmehr drückt uns eine Überfülle von Normen nieder. Deshalb sollte es in Zukunft in jedem

Der Bürger empfängt staatliche Leistungen, hält sie aber für zu gering. Rechtsbereich nur so viele Normen geben, als der zuständige Ministerialrat aktiv im Gedächtnis behalten kann. Auch das Vertrauen in den Staat ist im Schwinden. Obwohl dieser gegenwärtig dem Bürger mehr Recht und Geld gibt als je zuvor, verringert er seinen Einfluss. Er gibt den Bürgern einen Rechtsanspruch auf staatliches Geld, dessen Höhe nach den Einflüsterungen von Parteien und Verbänden zu gering bemessen ist. So empfängt der Bürger staatliche Leistungen, hält diese aber für zu gering bemessen. Dieses System entsolidarisiert. Dabei folgt der Mensch immer mehr staatlichen Anreizen, lässt damit seine eigenen Handlungsmaßstäbe verkümmern. Wenn Firmen nur noch gegründet werden, sofern der Staat Grundstücke bereitstellt und Steuern erlässt, Investitionen vorwiegend staatlichen Anreizen durch Subventionen und Steuervergünstigungen folgen, Bank- und Versicherungsgeschäfte stets auch Steuergeschäfte sind, große Firmen durch staatliche, steuerfinanzierte

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Rettungsschirme gerettet werden, während mittleren und kleineren Firmen der Griff in die Staatskasse verwehrt ist, sie deshalb in die Insolvenz geraten, so wird aus dem freien ein gelenkter Markt, aus dem freien ein gelenkter Mensch.

3. Freiheit und Wettbewerb Eine der wesentlichen Ursachen der Finanzkrise liegt darin, dass privatwirtschaftliche Verträge nicht mehr in dem Tausch von Leistungen ihren Sinn finden, sondern in der Steuerersparnis. Der Staat finanziert letztlich den Ertrag dieser Geschäfte durch Steuerverzicht, muss dann aber sein Steueraufkommen durch anderweitige Steuererhöhung decken. Insoweit wirken diese Verträge als Vereinbarung zu Lasten Dritter. Die Verträge brauchen nicht die Vernunft des Leistungstausches, sondern suchen ihren Vorteil in der steuerlichen Ungleichheit. Freiheit und Wettbewerb verlieren ihre innere Rechtfertigung. Wenn wir einmal alles vergessen, was wir von Markt und Wettbewerb wissen, uns auf eine noch unbesiedelte Insel begeben, um die beste der möglichen Wirtschaftsformen einzurichten, werden wir zunächst eine Arbeitsteilung vereinbaren. Der eine Mensch lernt, eine Hütte zu bauen, der andere, die Früchte zu ernten, der dritte, das Feuer zu hüten. Der Hüter des Feuers bietet Energie, um Früchte oder eine Hütte zu erwerben. Und der Landwirt beginnt, Früchte für den Winter zu lagern, also zu sparen. Doch bald wird dieser Markt zu eng. Der Sammler braucht nicht nur Haus und Feuer, sondern auch Pferd und Pflug. Deshalb beginnen die Tauschenden, als Gegenleistung nicht Güter anzubieten, sondern Wertzeichen. Das Geld ist erfunden. Die Kaufleute bewahren ihre Goldbestände und ihre Münzen in einem Depot auf, erhalten dafür eine Quittung, die sie berechtigt, das Hinterlegte abzuholen. Beim nächsten Kauf gehen sie ins Depot, holen ihr Gold, um es dem Verkäufer als Preis zu zahlen, der das Gold wiederum in ein Depot trägt. Da bietet sich an, doch gleich die Quittung für das Geld zu tauschen. Das Papiergeld ist erfunden. Ein wirtschaftlich talentierter Beobachter sieht, wie man durch Geld Geld verdienen kann, bedauert nun sehr, dass er selbst nicht über hinreichend Geld verfügt. Deswegen nimmt er vom Sparer Geld für einen Zins in Höhe von 3 Prozent, überlässt es dem Investor für 6 Prozent ‑ die Bank ist erfunden. Freiheit, Arbeitsteilung, Markt und Wettbewerb sind in einer modernen Gesellschaft ohne Alternative. Deswegen stehen wir nicht vor der Aufgabe, Markt und Wettbewerb zu ersetzen, sondern zu Markt und Wettbewerb zurückzufinden. Wir brauchen die intellektuelle Kraft und den langfristigen Atem, die Idee der verantwortlichen Freiheit, des Vertrauens in die Leistung und Haftung des anderen, der Sichtbarkeit und Verständlichkeit des Marktgeschehens wieder herzustellen. Wir müssen uns von der R

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POLITIK & WIRTSCHAFT Bequemlichkeit des leichten Geldes, dem Übermaß erworbenen, aber unverdienten Gewinns, der Bonuszahlung für schlechte Leistungen verabschieden.

4. Verantwortliche Freiheit Jeder Markt braucht Vertrauen. Wir vertrauen demjenigen, der nach Maßstäben handelt, die uns vertraut sind, die uns die Sicherheit geben, dass der andere verantwortlich ist für das, was er tut. Deswegen sollten wir im Finanzmarkt die Regel der christlichen Seefahrt einführen: Der Kapitän verlässt als letzter das Schiff, wenn er sein Schiff auf Sand gesetzt hat. Und weil er durch seine Fehlleistung persönlich viel riskiert, lenkt er sein Schiff sicher und verlässlich durch die Weltmeere. Freiheit meint verantwortliches Handeln mit eigener Chance und eigenem Risiko. Dabei bedeutet Freiheit Unterschiedlichkeit: Der eine arbeitet Tag und Nacht, wird deshalb reich an Geld; der

Marktwirtschaft baut auf der Bereitschaft, Eigenverantwortung zu übernehmen. andere philosophiert Tag und Nacht, wird deshalb reich an Gedanken. Die soziale Marktwirtschaft – so sagte es Ludwig Erhard – verpflichtet die freien Unternehmer, durch eigene Leistung im Wettbewerb die Gunst des Verbrauchers zu verdienen. Marktwirtschaft baut auf die Bereitschaft von Unternehmer und Verbraucher, für das eigene Schicksal Verantwortung zu tragen, nach Leistungssteigerung zu streben, Freiheit und Vorsorge zu entfalten. Das Wachstum durch Markt – seine Wandlung, Bewegung, Entfaltung und Anpassung – beruht auf dieser unternehmerischen Freiheit, die auf die Bedürfnisse des Verbrauchers ausgerichtet ist. Diese Freiheitskräfte des Marktes müssen wir wieder so entfalten, wie sie 1949 vom Grundgesetz als Antwort auf die Fundamentalkrise unseres Staates geregelt worden ist. Jeder besinnt sich auf seine eigenen Kräfte. Ein Griff in die Staatskasse ist nicht möglich. So haben wir eine gefestigte Demokratie, internationales Ansehen, ein „Wirtschaftswunder“, einen Kultur- und Verfassungsstaat gewonnen. Der Mensch ist auf seine eigene Freiheit, seine Fähigkeit, sich selbst zu helfen, zurückgeworfen worden. Dieses war erfolgreich.

5. Die Aufgabe des Verfassungsstaates In dieser Struktur einer Freiheit des Rechts, also der definierten Freiheit, kommt dem Staat die Aufgabe zu, die Freiheitsrechte zu gewährleisten, sie immer wieder zu erneuern, die freiheitlich bedingten Unterschiede schonend auszugleichen. Dieser Auftrag stellt hohe Anforderungen an die Verfassung. Stetigkeit und Entwicklungsoffenheit des Verfassungsrechts wird sichtbar, wenn wir uns die unterschiedliche Gewährleistungsintensität der einzelnen Verfassungsrechtssätze bewusst machen. Das Grundgesetz ist ein Verfassungsbaum, der gleichbleibende Wurzeln und einen unverrückbaren Stamm hat, in seinen Ästen aber beweglich ist und sich in seinen Blättern jährlich erneuert. Dieser Baum besteht aus Wurzeln, die unsichtbar im Humus europäischer Rechtstradition verborgen sind und von dort ihre

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Kraft schöpfen. Diese Wurzeln sind das christlich-abendländische Bild vom Menschen in seiner Würde, Freiheit und Verantwortlichkeit, der ins Grenzenlose weisende Wille der Aufklärung, die Welt in ihrer naturwissenschaftlichen Eigenart zu verstehen und zu verändern, der Liberalismus mit seinen politischen und wirtschaftlichen Freiheiten und dem Schutz von Privatheit, Eigentum und Ehre sowie der Sozialstaatsgedanke, der die Härten des liberalen Prinzips für den Schwachen mäßigt. Diese Wurzeln tragen einen weithin sichtbaren, unverrückbaren Stamm: Das Rechtsstaatsprinzip mit den Grundrechten, das Demokratieprinzip mit der parlamentarischen Repräsentation, die republikanische Verpflichtung auf Gemeinwohl und Gemeinverantwortlichkeit, die bundesstaatliche Untergliederung der Staatsgewalt und ein soziales Staatsziel. Aus diesem schlechthin unveränderlichen Stamm wachsen Äste, die in den Winden und Stürmen der Zeit beweglich sind, deren Beweglichkeit aber dort endet, wo die Bindung zum Stamm durch einen Bruch verloren ginge. Zu diesen beweglichen Ästen gehört im Wesentlichen das Wirtschaftsverfassungsrecht, das Finanz- und Steuerrecht, aber auch grundrechtliche Aussagen zum Arbeits-, Sozial- und Fremdenrecht. Schließlich wird das Gesamtbild dieses Verfassungsbaumes wesentlich bestimmt durch seine Blätter, die im Herbst abfallen, im Frühjahr aber in neuer Substanz wieder so nachwachsen, dass das Gesamtbild des Baumes kaum verändert wird. Zu diesen Blättern rechnet insbesondere der jährliche Staatshaushalt, der zum Abschluss eines Haushaltsjahres verbraucht ist, an dessen Stelle im nächsten Jahr aber ein neuer Haushalt tritt, der das Gesamtgesicht des Gemeinwesens bestätigt. Der einfache Gesetzgeber hat den Verfassungsbaum zu achten, der verfassungsändernde Gesetzgeber und das Europarecht haben den Stamm dieser Verfassung als unverrückbar zu respektieren, können sich aber in den beweglichen Ästen und auch in den sich stets erneuernden Blättern weitgreifend rechtlich entfalten. Dieses Bild des Verfassungsbaumes weist auf die verfassungsrechtlichen Erneuerungsinstrumente insbesondere der Freiheit und des parlamentarischen Gesetzgebers hin, den der Wähler immer wieder neu mit einem Gesetzgebungsauftrag ausstattet, damit er bessere Gesetzte mache. Auf dieser Grundlage weist die Finanzkrise einen Weg, um den Verfassungsstaat und damit die Marktwirtschaft zu erneuern. Dieser Erneuerung fordert nicht Radikalreformen oder gar Revolutionen, sondern das prinzipienbewusste Nachsteuern von Fehlentwicklungen, das in Kontinuität aus der Herkunft eine bessere Zukunft entwickelt. Wir sind für das im Hergebrachten wurzelnde Neue gut gerüstet. n Professor Dr. Paul Kirchhof ist einer der angesehensten deutschen Verfassungs- und Steuerrechtler. 1943 in Osnabrück geboren, wuchs er als Sohn eines Bundesrichters in Karlsruhe auf. Er ist Jura-Professor an der Universität Heidelberg und war von 1987 bis 1999 Bundesverfassungsrichter. 2005 gehörte er dem Wahlkampfteam von Angela Merkel an. Am 19. Juli erhält Professor Kirchhof in München die Goldene Peutinger-Medaille.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Peter Ramsauer

Nachholbedarf West Nach Aufbau Ost braucht der Verkehrsausbau im Westen mehr Mittel – Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität ausbauen Die ersten 100 Tage „Schonfrist“ sind für die neue Bundesregierung abgelaufen. Zeit für eine Standort­ bestimmung. Viele neue Schwerpunkte sind bereits gesetzt und wichtige Pflöcke eingeschlagen worden. Jetzt heißt es: Mit Vollgas weiterarbeiten! Mein Ziel ist klar: Ich will, dass die Menschen in Deutschland gut und sicher fahren, wohnen und bauen. Dafür brauchen wir gut ausgebaute Verkehrswege, lebenswerte Städte und eine starke ländliche Infrastruktur. Die christlich-liberale Regierung ist angetreten, Mobilität für alle zu ermöglichen. Zudem werden wir uns verstärkt um Umweltschutz und Energiefragen kümmern. Ich setze auf die Entwicklung alternativer Antriebe. Deutschland soll Leitmarkt für Elektromobilität werden. Wir bauen heute die besten herkömmlichen Autos der Welt. Ich will, dass wir in Zukunft auch die besten Elektroautos der Welt bauen. Wir sind eine Exportnation. Transport und Logistik gelten als weltweite Zukunftsmärkte. Deshalb werde ich in den kommenden Jahren verstärkt die Interessen der

Außenwirtschaft vertreten. Bei meiner ersten Auslandsreise habe ich mich ganz bewusst für Katar entschieden. Ich bin stolz, dass wir dort mit der deutschen Bahn ein Milliardengeschäft unter Dach und Fach gebracht haben. Dieser Abschluss zeigt: Deutsches Fachwissen und deutsche Technologie sind im Verkehrsbereich weltweit gefragt. Ich habe mir das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung selbst ausgesucht und diese Entscheidung noch keine einzige Minute bereut. Mit dem größten Investitionshaushalt aller Bundesministerien – knapp 15 Milliarden Euro – sind die Gestaltungsmöglichkeiten enorm. Diese werde ich mit aller Kraft zum Wohle des Landes nutzen. Natürlich wachsen mit diesem Amt die Begehrlichkeiten, die an mich herangetragen werden. Gerade in meinem Heimatland Bayern, wo viele wichtige Verkehrsprojekte vorangetrieben werden müssen. Zum Beispiel der sechsstreifige Ausbau der A 8 oder die Schienenstrecke MünchenMühldorf-Freilassing. Ich habe Freunden, Bürgermeistern, Landräten, Abgeordneten und Landesministern allerdings erklärt: Ich bin Verkehrsminister für ganz Deutschland. Überall, wo Bedarf besteht und wir volkswirtschaftlichen Nutzen aus einen Bauprojekt ziehen, werden wir handeln. Egal in welcher Himmelsrichtung dieser Ort liegt. R

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POLITIK & WIRTSCHAFT Ich sage aber auch: Natürlich hat der deutsche Verkehrsminister Spielräume für die Lösung drängender Probleme in seinem Heimatland. Denn in Bayern gibt es beim Erhalt und bei der Sanierung der Straßen einen Nachholbedarf. Übrigens nicht nur in Bayern, sondern in vielen Regionen Deutschlands. Nach der Wiedervereinigung 1990 waren Investitionen in den Ausbau der desolaten Verkehrsinfrastruktur in Ostdeutschland dringend notwendig. Dafür habe ich mich seinerzeit im Deutschen Bundestag mit Nachdruck eingesetzt. Die Verkehrswege im Westen mussten zwangsläufig zurückstehen. Straßen dürfen aber nicht auf Dauer auf Verschleiß gefahren werden. Deswegen müssen wir hier und heute die notwendigen Investitionen nachholen. Unsere Straßen, Schienen- und Wasserwege sind die Lebensadern unserer Wirtschaft und eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung. Investitionen in die Infrastruktur zahlen sich aus. Jeder Euro, den wir ausgeben, bringt mehr als vier Euro an volkswirtschaftlichem Nutzen. Die unionsgeführte Bundesregierung hat bereits in der vergangenen Wahlperiode gezielt zusätzliche Impulse im Hoch- und Tiefbau gesetzt und damit einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Wirtschaftskrise geleistet. Insgesamt hat der Bund mit den beiden Konjunkturpakten für die Jahre 2009 und 2010 vier Milliarden Euro für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur bereitgestellt. Davon fließen allein 265 Millionen Euro in den Straßenbau in Bayern. Wichtige Projekte, wie der sechsstreifige Ausbau der A 3, konnten dadurch weiter vorangetrieben werden. Neue, zusätzliche Ortsumgehungen werden gebaut, laufende Bauarbeiten beschleunigt, Erhaltungsmaßnahmen umgesetzt. Bayern ist eine wirtschaftliche Topregion und ein national wie international wichtiges Transitland. Unsere moderne, arbeitsteilige und hoch spezialisierte Wirtschaft ist ohne funktionierende Verkehrswege nicht denkbar. Bayern verfügt über rund 5.800 Kilometer Schienenwege und 680 Kilometer Wasserstraßen. Mit rund 2.500 Kilometer Autobahnen und mehr als 6.600 Kilometer Bundesstraßen hat Bayern zudem den größten Anteil am Bundesfernstraßennetz. In den Ausbau der bayerischen Verkehrswege hat der Bund seit 1991 mehr als 26 Milliarden Euro investiert. Kurzum: Die gut ausge-

In Bayern gibt es: 5.800 680 2.500 6.600

Kilometer Schienenwege Kilometer Wasserstraßen Kilometer Autobahnen Kilometer Bundesstraßen.

26 Milliarden Euro hat der Bund seit 1991 in den Ausbau der bayerischen Verkehrswege investiert. baute Infrastruktur ist bei uns in Bayern und in Deutschland ein wichtiges Pfund, das wir nicht verspielen dürfen. Und es ist noch viel zu tun. Die hoch belasteten Autobahnen müssen weiter ausgebaut werden. Auch bei den Schienenwegen werden wir klare Prioritäten setzen. Deshalb habe ich mit dem bayerischen Wirtschaftsminister eine enge Zusammenarbeit unserer Fachleute verabredet, an der auch

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Dr. Peter Ramsauer ist Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt­ entwicklung. Er wurde 1954 im oberbayerischen Traunwalchen geboren, ist Müllermeister, studierte Betriebswirtschaft an der LMU in München und promovierte zum Thema „Gebietsreform in Bayern“. Seit 1990 Mitglied im deutschen Bundestag, war Ramsauer von 2005 bis zu seiner Berufung ins Bundeskabinett Vorsitzender der CSU-Landesgruppe.

die Deutsche Bahn AG beteiligt ist. Dabei haben wir zum Beispiel die Strecken Nürnberg–Ingolstadt–München und Augsburg–München besonders im Blick. Hier konnten bereits große Fortschritte erreicht werden. Die noch ausstehenden Baumaßnahmen wollen wir nun mit aller Kraft vorantreiben. Für eine leistungsfähige Infrastruktur müssen wir viel Geld in die Hand nehmen. Und das tun wir. In diesem Jahr werden wir rund 12 Milliarden Euro in unsere Verkehrswege stecken – dank der Konjunkturpakete. Eine Rekordsumme. In den kommenden Jahren soll der Verkehrshaushalt auf hohem Niveau bleiben. Zugleich werden wir stärker als bisher auf neue Finanzierungswege setzen, zum Beispiel auf Öffentlich-Private Partnerschaften. Die Erfahrungen, die wir bei unseren ersten Projekten machen, sind gut. Wir haben bereits den Ausbau der A 8 zwischen der Anschlussstelle Augsburg/West und dem Autobahndreieck München-Allach im Rahmen einer ÖPP realisiert. In den nächsten Jahren wollen wir noch mehr privates Kapital mobilisieren, um weitere Projekte anzuschieben. Wir werden die anstehenden Aufgaben ideologiefrei anpacken und das Geld der Steuerzahler zielgerichtet einsetzen, damit unsere Verkehrswege weiterhin leistungsfähig und sicher bleiben. n

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AKTUELLES

Mehr Respekt

Werte-Signal

Die Bahn will sich der guten deutschen Sprache erinnern, verspricht Bahn-Chef Rüdiger Grube, nachdem ihm der CSUBundestagsabgeordnete Ernst Hinsken die Vielzahl der Anglizismen, mit denen der Konzern Weltläufigkeit vorspielt, brieflich um die Ohren gehauen hat. Nun soll es Counter, Service Point und Call a Bike an den Kragen gehen. Auch Hinskens Parteifreund und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat angeordnet, dass in seinem Haus Deutsch gesprochen und beispielsweise aus der Task Force wieder eine Projektgruppe wird. „Ich kenne kein Land der Erde“, hat sich Ramsauer geärgert, „in dem man so respektlos mit der eigenen Sprache umgeht.“

Das Bekenntnis zu Werten ist ein allgegenwärtiger Bestandteil von Sonntags­ reden. Doch nun schreitet Bayern zur Tat: 60 Partner haben sich in München zum „Wertebündnis Bayern“ zusammenge­ funden. Ein starkes und beeindruckendes Signal, „dass Werte die Grundlage unserer Gesellschaft sind“, betonte Ministerpräsident Horst Seehofer bei der Auftaktveranstaltung. Denn „Werte geben uns Wurzeln und helfen uns, Stürmen zu widerstehen“. Die bedrückende Trauer­ feier für den zu Tode geprügelten Dominik Brunner habe gezeigt, dass für junge Menschen Toleranz, Zivilcourage und Engagement keine Fremdworte sind. Unter den Partnern sind zahlreiche Stiftungen wie Roland Berger, Philipp Lahm und Eberhard von Kuhnheim, die Kirchen und zahlreiche Verbände, aber auch das Rote Kreuz und der Gewerkschaftsbund.

Flagge zeigen Ums Flagge zeigen im übertragenen Sinne geht es auch in einem Schreiben, das der ehemalige Strauß-Büroleiter und Ex-Staatssekretär Dr. Wilhelm Knittel an Staatsminister Werner Hoyer ins Auswärtige Amt schickte. Wieso, will Peutinger-Mitglied Knittel wissen, wurde im vergangenen Jahr der deutsche Pavillon auf der Biennale von Venedig ausschließlich durch den britischen Künstler Liam Gillick gestaltet, und das auch noch unter dem wenig deutschen Titel „How are you going to behave?“. Wo doch das Außenamt in einer Pressemitteilung erwähnt hatte, Deutschland sei „traditionell mit einem nationalen Beitrag vertreten“. Wieso finanziere das Amt den Pavillon in erheblichem Umfang mit, „wenn der nationale Beitrag ohne nationalen Bezug verstanden wird? Die internationalen Hallen bieten genügend Raum.“ Dazu passt, dass der deutsche Botschafter zur Pavillons-Eröffnung vor fast ausschließlich deutschen Gästen seine Ansprache auf Englisch gehalten hat. Knittel zitiert dazu einen Kommentar der FAZ: „Ein grotesken Akt der Servilität.“ Und fügt erwartungsvoll hinzu: „Vielleicht können Sie dazu beitragen, das sich diese Selbstverleugnung im Deutschen Pavillon nicht wiederholt.“

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Schlösser locken „Eine tolle Bilanz“, freut sich Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon: Trotz Weltwirtschaftskrise haben die bayerischen Schlösser, Burgen und Residenzen im vergangenen insgesamt 4,84 Millionen Besucher angelockt. Das sind fast zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee waren wieder die Publikumslieblinge. Überraschend steigerte Burghausen, die längste Burg der Welt, die Besucherzahl um 40 Prozent auf 72 884. Über 40 Millionen Euro aus Eintrittsgeldern und Vermieterlös deckten immerhin 54 Prozent der Kosten. Fahrenschon: „Ein sensationeller Wert.“

Fünf-Sterne-Land Zitate:

„Ich glaube nicht, dass Lesegeräte das schöne Papier ganz ersetzen. Ein bisschen Papier in den Fingern, das wird auch in den nächsten zehn Jahren noch gut tun.“ Angela Merkel, Bundeskanzlerin und CDUVorsitzende, wünscht sich auch in Zukunft Gedrucktes

„In der Energiepolitik geht es nicht um Wünsche, sondern um das Machbare.“ Wulf Bernotat, Eon-Vorstandsvorsitzender

„Eine Währungsunion zu vollziehen, ohne vorher eine politische Union vollzogen zu haben, ist, als würde man den Karren vor das Pferd spannen.“ Otmar Issing, Mit-Gründungsvater des Euro, über einen wichtigen Grund für die aktuellen Euro-Probleme

„Selbst George Orwell hätte sich das nicht träumen lassen.“ Ilse Aigner, Bundesministerin für Verbraucherschutz, über persönliche Daten im weltweiten Netz

„Die Union braucht Emotionen, um Identifikationen zu ermöglichen.“ Manfred Weber, Europaabgeordneter und Vorsitzender der CSU-Zukunftskommission

Im Auftrag des Manager Magazin erstellte der Standortexperte Henner Lüttich einen Europa-Atlas über die Entwicklungskraft von über 1000 Standorten von Portugal bis Lettland. „Wir wollten wissen, wie die europäische Wirtschaftsgeografie nach der Krise aussieht“, erläutert der ContorManager. Das Ergebnis gleicht einer GoldMedaille für Bayern: Unter den 25 besten Standorten Europas sind 13 in Deutschland – und davon 12 in Bayern. Hinter Luxemburg liegt München Land auf Platz 2, gefolgt von Ingolstadt (3), München Stadt (5), Regensburg (8), Starnberg (9) und Altötting (11). Untersucht wurden 25 Faktoren, darunter wirtschaftliche Dynamik und Bildungs­niveau. Ähnlich positiv verlief eine Studie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ über die Standortqualitäten der Bundesländer. „Schwächen muss man im Freistaat lange suchen“, lautet das Resultat über Sieger Bayern. Das Bild ergänzt eine Studie, wonach in Berlin jeder Fünfte, in Bayern aber nur jeder Zwanzigste auf staatliche Hilfe angewiesen ist.

Internet: www.bayerischer-monatsspiegel.de

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POLITIK & WIRTSCHAFT Horst Opaschowski

Die Wohlstandswende

Abschied vom Immer-Mehr – Generation V lebt Vertrauen, Verantwortung und Verlässlichkeit – Die Zukunftstrends in diesem Jahrzehnt

Deutschland kann sich in Zukunft seines Wohlstands nicht mehr sicher sein. Der bisherige Automatismus nach der Erfolgsformel „Mehr Wachstum gleich mehr Wohlstandsgüter gleich mehr Lebensglück“ funktioniert nicht mehr. Die Wohlstandswende ist im Lebensalltag der Deutschen angekommen und sie spüren, dass sie über Wohlstand und Wohlergehen neu nachdenken müssen. Schon für dieses Jahr zeichnet sich eine Reihe von Veränderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich ab, die 2010 prägen werden. Besonders drei Trends sind hervorzuheben: Nach der Krise ist vor der Krise: Selbst wenn es in den nächsten Monaten mit der Wirtschaft wieder langsam aufwärts geht, so wartet doch spätestens am Ende des neuen Jahrzehnts die nächste

Krise auf uns. Alles deutet darauf hin, dass uns in den nächsten Jahren ein durchschnittliches Wachstum „nahe Null“ bevorsteht und wir zeitweilig auch mit einem Minus-Wachstum rechnen müssen. Rücklagen für diese Phasen müssten heute schon gebildet werden. Das Lager der Wohlstandsverlierer wächst: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist davon überzeugt: „Für die junge Generation ist es in Zukunft viel schwieriger, ebenso abgesichert und im Wohlstand zu leben wie die heutige Elterngeneration“ 2003 waren davon 56 Prozent dieser Meinung, sechs Jahre später waren es 71 Prozent. Bei geringem oder negativem Wachstum ist mit weiteren Wohlstandsverlusten zu rechnen. 2010 wird ein Jahr neuer Maßstäbe: Zur Jahreswende gingen die Bundesbürger gestärkt aus der Krise hervor – sie stellen bescheidenere Ansprüchen an ihr Leben, aber höhere Erwartungen an Wirtschaft und Politik. Gegen Gier, Maßlosigkeit und Missmanage-

Bei Carl Spitzweg folgte die biedermeierliche Familie nicht nur beim Sonntags­ spaziergang (Gemälde von 1841) brav dem Vater. Das Rollenbild hat sich inzwischen stark verändert, doch die Familie ist und bleibt der stärkste Lebensbund.

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POLITIK & WIRTSCHAFT ment setzt die Bevölkerung ihren Wunsch nach neuen Maßstäben für einen sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Dass die Bundesbürger trotz dieser sich abzeichnenden Probleme relativ ruhig und gelassen ins neue Jahrzehnt gestartet sind, hat vor allem drei Gründe: Zum einen gewinnen Haushalten und Maßhalten an Zustimmung. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat das Konsum- und Sicherheitsdenken der Bevölkerung nach­haltig verändert. Immer mehr Verbraucher halten ihr Geld zusammen, sorgen für „eiserne Reserven“ und sparen für die eigene Zukunft. Die Konsumzurückhaltung wächst und das persönliche Anspruchs­ denken sinkt. Die Bürger nehmen Abschied vom Immer-Mehr und arrangieren sich zunehmend mit einem Leben nach Maß. Doch obwohl die Deutschen ärmer werden, sind sie nicht unglücklicher. In der Krise denken die Bundesbürger neu über Wohlstand und Wohlergehen nach. Die Erkenntnis setzt sich durch, dass ständige Wohlstandssteigerungen um keinen Deut glücklicher machen. Trotz wechselnder Wirtschafts-, Umwelt- und Bildungskrisen resignieren die Bürger nicht, sondern „wollen das Beste aus ihrem Leben machen.“ Sie besinnen sich auf urmenschliche Glücksfaktoren wie Gesundheit, Freunde und familiäre Beziehungen. Zudem fördert die Krise den Gemeinsinn. Wenn das Geld knapp wird und professionelle Dienstleistungen kaum mehr bezahlbar sind, wächst die Erfahrung des Aufeinander-Angewiesen-Seins: „Ich helfe dir, damit auch du mir hilfst.“ Die Bürger helfen sich wieder mehr selbst, statt nur auf die Hilfe des Staates zu warten. Statt wie in Wohlstandszeiten auseinanderzudriften, rücken sie enger zusammen. Eine Neubesinnung auf das Beständige findet statt – von der Renaissance der Familie über die Kontaktpflege im Freundeskreis bis zum Comeback der guten Nachbarn. Die Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit wird das neue Gesellschafts­ ideal der Zukunft sein. Geben und Nehmen gleichen sich in ihren Wirkungen an. Wobei die steigende Hilfsbereitschaft mehr aus Kalkül und weniger aus reiner Nächstenliebe geschieht. Doch dies ist für ihre positive Wirkung unerheblich. Spannend wird die Frage, nach den Zukunftstrends, die aus diesen und weiteren Beobachtungen erkennbar werden. Schon der erste dieser Trends verblüfft: Die Leistungsgesellschaft lebt. Die Bundesbürger vertreten die Auffassung, dass die Leistungsgesellschaft die bundesdeutsche Wirklichkeit am treffendsten

Die Deutschen werden ärmer, aber nicht unglücklicher beschreibt, denn erst sie schafft die Voraussetzungen für eine lebenswerte Zukunft. Die Leistungsorientierung des Lebens nimmt vor allem bei der Jugend fast explosionsartig zu. Beinahe erdrutschartig ist inzwischen der Anteil der Hedonisten, die „nur“ ihr Leben genießen wollen, zurückgegangen. In den nächsten Jahren wird die Leistungsexplosion der jungen Generation einen Höhepunkt wie seit Jahrzehnten nicht mehr erreichen. Dies wirkt sich auch über das Freizeitverhalten bis tief in die Familie aus. Nicht mehr Sport, Hobby und Urlaubsreisen stehen im Zentrum des Lebens, sondern Kinder und Familie – mit steigender Tendenz. Beständigkeit ist wieder gefragt. Der Trend zur Individualisierung des Lebens hat seinen Zenit überschritten. Die Mehrheit der jungen Leute entdeckt den Wert von Verlässlichkeit Bayerischer Monatsspiegel 155_2010

wieder. Diese wachsende Beständigkeit hat bereits die Familien erreicht: Die Ehen werden wieder stabiler und die Zahl der Scheidungen sinkt in Deutschland seit 2004 kontinuierlich. Die Familie ist also kein Auslaufmodell und die Frage „Konsum oder Kind“ wird keine wirkliche Alternative mehr sein. Wird sich die Einstellungsänderungen der jungen Generation weiter stabilisieren, werden sich die unter 34-Jährigen Zug um Zug vom Singledasein und der Kinderlosigkeit verabschieden. Auch die Arbeitswelt verändert sich gravierend: Sie wird weiblicher und die männlichen „Helden der Arbeit“ verlieren bald ihre Privilegien. Frauen bekommen zunehmend größere Berufschancen, weil sie immer besser qualifiziert sind und die Männer teilweise übertreffen. Bundesweit erzielen Mädchen und junge Frauen schon heute bessere Schulabschlüsse als ihre männlichen Kollegen. Hält die Qualifizierungsoffensive der Frauen weiter an, Vertrauen, Verantwortung, Verläßlichkeit Zusammenhalt im 21. Jahrhundert

Von je 100 Befragen halten „beim Gedanken an die Zukunft für besonders wichtig“: Hilfsbereitschaft Verlässlichkeit Vertrauen Mitmenschlichkeit Freundschaft Anstand/Benehmen Pflichtbewußtsein Respekt/Achtung Verantwortung Höflichkeit Liebe/Zärtlichkeit Freundlichkeit Menschliche Wärme

66 65 63 63 63 58 56 56 55 54 54 52 52

können die Männer im Erwerbsprozess künftig gar zur Minderheit werden. Zur Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesellt sich die Frage der Vereinbarkeit von Frauen- und Männerrollen. Rollenwechsel sind angesagt: Wem gehört in Zukunft die Haupt­ rolle des Versorgers und wem die Nebenrolle des Zuverdieners? Dies geht einher mit einem grundlegenden Beschäftigungswandel in der Arbeitswelt, der vor allem durch den demographischen Wandel in der Gesellschaft in den nächsten zwanzig Jahren ausgelöst wird. Dann heißt es nicht mehr: „Mit 50 zum alten Eisen“, sondern: „Re-Start mit 50!“ Die Wirtschaft braucht wieder ältere Arbeitnehmer. Die 50plus-Generation bekommt ihre zweite Chance. Nachhaltigkeit ist dann wieder mehr gefragt als Kurzfristigkeit, was sich bis in das Geschäftsverhalten der Unternehmen auswirken wird: Mehr langfristige strategische Planung und weniger kurzfristiges Renditedenken in Quartalsberichten, mehr abwägende Sicherheitsüberlegungen und weniger riskante Schnellschüsse. Zugleich verschiebt der demographische Wandel die Altersgrenze: Alt ist man nach Meinung der Bevölkerung erst mit 72 Jahren. Die offizielle Altersgrenze von 65 Jahren steht also nur noch auf dem Papier. Die Bundesbürger wollen in Zukunft ihre Altersgrenze selbst bestimmen und den Übergang in den Ruhestand flexibel gestalten. Fast drei Viertel (73 Prozent) aller Berufstätigen in Deutschland sind heute schon bereit, freiwillig über das 65. Lebensjahr hinaus zu arbeiten oder wieder zu arbeiten, wenn sie dadurch ihre Rente aufstocken können. Die Beschäftigten wollen einerseits mehr Geld zum Leben haben, aber auch im Alter weiter gebraucht werden, R

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also gesellschaftlich wichtig bleiben. Ein „Comeback mit 65“ steht uns bevor. Auch die Wohn- und Lebenskonzepte verändern sich grundlegend. Gemeinsam statt einsam heißt die Parole der Zukunft: Mehr-Generationenhaus und Senioren-Hausgemeinschaft statt Heimplatz und betreutes Wohnen. Der Gedanke der Wahlfamilie erlebt eine Renaissance. Die Immobilienbranche sollte sich von überhöhten Renditeerwartungen im Bereich von Sozial- und Seniorenimmobilien verabschieden. Statt nur von gigantischen „Pflegebatterien“ und Tausenden neuer Pflegeheime zu träumen, sollte realistischer weise zur Kenntnis genommen werden, dass der Zukunftstrend in eine ganz andere Richtung geht: Die Zukunft gehört dem ServiceWohnen und generationsübergreifenden Wohnkonzepten mit Dienstleistungsangeboten. Dies wird sich auch spürbar positiv auf den Bereich der Pflege auswirken. Aus diesen Trends entwickeln sich auch neue Persönlichkeiten. Die Ichlinge werden die Randerscheinungen, in Konturen zeichnet sich das Bild einer neuen Generation V ab: Vertrauen, Verantwortung und Verlässlichkeit werden als persönliche Eigenschaften immer mehr gewünscht und gelebt. Vertrauensbildung wird zur großen Herausforderung – nicht nur im zwischenmenschlichen

Familiensinn wächst und Ichlinge werden Randerscheinung. Bereich, auch im Arbeitsleben und in der internationalen Politik. Die drei V sind der soziale Kitt, der unsere Gesellschaft und die Welt zusammenhält. Gemeinsinn bürgert sich ein. Unsere Gesellschaft wird nach der Krise eine andere sein – eine solidarischere mit stärkeren Bürgern. Die aktuellen Repräsentativbefragungen der Stiftung für Zukunftsfragen weisen mittlerweile nach: Die Bürger wünschen sich eine zukunftsfähige Politik, die ihren Namen auch verdient. Zukunftspolitik ist in Deutschland mehrheitsfähig geworden: 55 Prozent der Bundesbürger fordern die Politiker auf, mehr Zukunft zu wagen: „Wenn Politiker wirklich dafür Sorge tragen, dass meine persönliche und auch die Zukunft der kommenden Generationen gesichert ist, dann bin ich bereit, vorübergehend Einschränkungen in meinem Lebensstandard hinzunehmen.“ In dieser Einstellung sind keine Unterschiede zwischen den Generationen feststellbar. Der Gedanke der Generationengerechtigkeit eint die Generationen wieder. Die Bevölkerung erwartet von der Politik mehr als Gegenwartsbewältigung und krisenbewusstes Handeln. Wenn Verlässlichkeit das neue Leitbild der Deutschen ist, dann müssen auch Politiker zu Verlässlichkeitspartnern werden. Gerade in Krisenzeiten wollen die Bürger verlässliche Antworten auf die Frage, wohin es in Zukunft geht (und nicht nur Begründungen dafür, „was gerade noch geht“). Es ist an der Zeit, die Innovationsdebatte in Deutschland zu eröffnen, um Deutschland zu erneuern: Wann, wenn nicht jetzt? Wieder einmal befinden wir uns in einer Wohlstandswende wie in den sechziger Jahren, als sich das Ende des Wirtschaftswunders in Deutschland abzeichnete und Rezession angesagt war. Und so sehen die Innovationen aus, die von den Menschen wirklich gewünscht und als zukunftsrelevant und lebensbereichernd eingeschätzt werden:

Bayerischer Monatsspiegel 155_2010

Freude bis ins hohe Alter: Generationenübergreifende Nachbarschaftshilfen sind im Kommen.

Zukunftsinnovation Arbeit: Weil der demographische Wandel bald in der Arbeitswelt ankommen wird, rufen die Deutschen nach mehr Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer (85 Pro­ zent). Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung von 66 Prozent sieht als weitere unverzichtbare Zukunftsaufgabe an, mehr Führungspositionen für Frauen zu schaffen und zu fördern. Zukunftsinnovation Familie: Über alle Lebensphasen hinweg wollen die Deutschen in Zukunft im sozialen „Wohl“-Stand leben. Ganz obenan steht der Wunsch der Bevölkerung nach „kosten­ loser“ Kinder-, Familien- und Altenbetreuung (92 Prozent). Zukunftsinnovation Soziales: Zwei Drittel der Bundesbürger (64 Prozent) halten generationsübergreifende Bau- und Hausgemeinschaften für besonders wichtig. Hier mangelt es aber bisher noch an Pilotprojekten und an guten Beispielen, die den Menschen Mut machen, in einer Gesellschaft des langen Lebens zu leben, ohne allein zu sein oder sich alleingelassen zu fühlen. Wenn mit 70 Prozent über zwei Drittel der Deutschen besondere Prioritäten in der Kommunalpolitik fordern, zeigt dies, dass sie sich politische Hilfe vor allem in ihrem unmittelbaren Umfeld erhoffen. Ein kon­kretes Beispiel dafür ist der Wunsch, vorrangig freiwillige Nachbarschaftshilfen durch Helferbörsen in Wohnquartieren zu fördern. Die Bürger wollen sich mehr helfen – wenn man sie nur lässt und dabei aktivierend unterstützt. Wenn wir in Zukunft wirklich so leben, wie wir heute schon leben wollen, dann kann aus dem „Made in Germany“ ein „Created in Germany“ werden: Die Aktivierung von Unternehmergeist und Innovationsbereitschaft, Eigeninitiative und Verlässlichkeit. In diesem Innovationsprozess wird das Wohlbefinden der Menschen wieder genauso wichtig wie das Wohlergehen von Wirtschaft und Gesellschaft. Eine solche „Vision Deutschland“ ist gelebte Innovation und keine Illusion. Denn: Eine Illusion kann man zerstören, eine Vision nie. n Professor Dr. Horst Opaschowski gilt als „Mr. Zukunft“. 1941 in oberschlesischen Beuthen geboren, promovierte er über soziale Fragen des Tourismus, war Professor für Erziehungswissenschaften in Hamburg und ist wissenschaftlicher Leiter der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen. Zum Thema „Zukunftstrends“ referierte Opaschowski bei der Winterklausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Hugo Müller-Vogg

„Zehn Gebote“

für Unions-Politiker

Karikatur: Horst Haitzinger

Wie eine bürgerlich-konservative Politik aussehen müsste

Es gärt in der Union. Das schlechte Wahlergebnis vom 27. September wirkt nach. Viele Stammwähler, aber auch große Teile der Mitgliedschaft, erkennen ihre Partei nicht wieder. Überzeugte Marktwirtschaftler haben die FDP gewählt, Konservative sich enthalten. Die Tatsache, dass sich in der CDU wie in der CSU konservative Katholiken organisieren, zeigt die tiefe Unzufriedenheit mit dem aktuellen Kurs. Den Vorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer wird vorgeworfen, Beweglichkeit mit Beliebigkeit zu verwechseln. Bei allem Unmut über die derzeitige Politik in Berlin wie in München haben die unionsinternen Kritiker bisher jedoch nicht dargelegt, wie eine Rückkehr zu den traditionellen

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In der Berliner schwarz-gelben Koalition brennt's lichterloh, doch die Bürger haben den Eindruck, in der Bundesregierung werde mehr gestritten als gelöscht. Das Ergebnis: Die Umfragewerte sinken und immer mehr UnionsAnhänger vermissen eine klare Linie. Die nebenstehende Tafel mit den „Zehn Geboten“ könnten Orientierung geben.

Unions-Werten aussehen müsste. Hier deshalb ein Versuch: Zehn Gebote für Unions-Politiker. Und eine Überprüfung, ob sie befolgt werden. Fazit: Wer sich zu diesen Geboten bekennt, kann sicherlich Mitglied in den Unionsparteien werden. Aber unter den CDUMitgliedern im Bundeskabinett wären sie wohl nicht mehrheitsfähig.

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POLITIK & WIRTSCHAFT I

Erstes Gebot: Du sollst dem Einzelnen Vorrang geben vor dem Staat oder dem Kollektiv. Das wird weitgehend befolgt. Solidarische Sicherungssysteme stehen diesem Grundsatz nicht im Wege, sind vielmehr Ausfluss des bewährten Prinzips der Subsidiarität.

II

VI

Sechstes Gebot: Du sollst das Leben schützen, auch das ungeborene, und befruchtete Eizellen nicht als „Biomaterial“ missbrauchen. Machen wir uns nichts vor: Bei der wissenschaftlichen Verwendung von Embryonen hat die CDU mit ihrem Parteitagsbeschluss von Hannover den Rubikon überschritten.

Zweites Gebot: Du sollst dafür sorgen, dass VII Siebtes Gebot: Du sollst die Schöpfung Leistung sich lohnt, und dass alle, die etwas bewahren. leisten wollen, eine Chance bekommen. Zwischen verantwortungsvoller Umweltpolitik Das wird in Sonntagsreden gerne bekräftigt – und einer Anbiederung an die Grünen (Stichaber im Alltag nicht befolgt. „Hartz IV“ ist so wort: schneller Atomausstieg) klafft eine Lücke konstruiert, dass es sich für Menschen mit ge– eine Glaubwürdigkeitslücke. ringer Qualifikation und Kindern meistens nicht lohnt, zu arbeiten. Das führt zur Ausbeutung VIII der Arbeitenden durch die Nicht-Arbeitenden. Achtes Gebot: Du sollst Ehe und Familie förIII dern – und zwar bevorzugt in der Konstellation Drittes Gebot: Du sollst denen helfen, die sich Mann, Frau und Kind(er). nicht selber helfen können – nicht denen, die Den Kampf gegen die „Verpartnerung“ hat die sich als Kostgänger des Staates wohl fühlen. Union längst aufgegeben. Noch verweigert sie Wenn wir Jahr für Jahr keine 30 000 deutschen gleichgeschlechtlichen Partnern das SteuerErntehelfer finden, sondern auf „Importe“ splitting und das Adoptionsrecht – noch. angewiesen sind, dann ist etwas faul im SozialIX paradies Deutschland. Neuntes Gebot: Du sollst tolerant sein IV und unterschiedliche Lebensweisen und Viertes Gebot: Du sollst dem Staat geben, Gebräuche tolerieren – aber nur, so weit sie was des Staates ist – aber nicht staatliche mit den Werten des Grundgesetzes übereinVerschwendung durch Steuern und Abgaben stimmen. finanzieren. Hier erweist sich die Union weitgehend Die Steuereinnahmen des Staates sind zwischen immun gegenüber dem Gutmenschen-Bazillus. 1990 und 2008 um 68 Prozent (!) gestiegen – X rund 4 Prozent im Jahr. Aber selbst UnionspolitiZehntes Gebot: Du sollst stolz sein, auf das, ker sprechen von einem Einnahmeproblem. was Deutsche geleistet haben und leisten – trotz V mancher dunkler Kapitel in unserer Geschichte. Fünftes Gebot: Du sollst auch bei Bildung und Das Unions-Bekenntnis zum deutschen VaterAusbildung Leistung fördern und Dich über das land in einem vereinten Europa ist glaubwürHerausbilden von Eliten freuen. dig. Aber im Fall Steinbach ist die CDU letztlich Steht so ähnlich in allen Unions-Papieren. vor nationalistischen Polen eingenickt – sowie Aber in Hamburg wie im Saarland hat die CDU vor den Außenministern Steinmeier und das schulische Leistungsprinzip auf dem Altar Westerwelle. schwarz-grüner Träume geopfert.

Dr. Hugo Müller-Vogg ist Publizist in Berlin und u.a. BILD-Kolumnist. Sein letztes Buch „Volksrepublik Deutschland – Drehbuch für eine rot-rot-grüne Wende“ erhält angesichts der neuen Umfragen ungeahnte Aktualität.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Interview mit Jürgen Rüttgers

Die Verantwortung der Volkspartei NRW-Ministerpräsident strebt Landtag ohne Linke an – Keine Absage an Bündnis mit den Grünen

Anfang Mai steht Nordrhein-Westfalen vor einer großen Entscheidung: Kann die CDU in der einstigen Herzkammer der SPD die Mehrheit erneut gewinnen? Oder gelingt der SPD mit Hilfe von Linkspartei und Grünen die Rückkehr an die Macht? Peter Schmalz sprach darüber mit Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Bayerischer Monatsspiegel: Vor fünf Jahren schockte Ihr Sieg in Nordrhein-Westfalen die SPD so sehr, dass es im Bund zu Neuwahlen kam. Was folgt nach dem 9. Mai in Berlin? Jürgen Rüttgers: Bei den Wahlen am 9. Mai geht es nicht um

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Berlin. Es geht darum, ob Nordrhein-Westfalen weiterhin eine stabile Regierung bekommt oder ob die SPD mit den Linken paktiert. Es geht um die Zukunft unseres Landes.

BMS: Trügt also der Eindruck, die Landtagswahl in NordrheinWestfalen verursache einen Stillstand der Politik in Berlin. Rüttgers: Ich bin verärgert, dass viele spekulieren und behaupten, politische Entscheidungen würden auf die Zeit nach dem 9. Mai verschoben. Ich habe nie gefordert, dass es bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen einen Stillstand in der Politik geben müsse. Das würde mir auch eher schaden als helfen.


POLITIK & WIRTSCHAFT BMS: Nachdem Sie das Ruder in Düsseldorf übernommen hatten, warnte die SPD vor einem sozialen Kahlschlag. Haben Sie die Erwartungen der Genossen erfüllt? Rüttgers: Die Behauptungen der SPD haben sich als falsch erwiesen. Nach fünf Jahren ist klar: Wir haben den Haushalt konsolidiert. Das hat auch jeder zu spüren bekommen, aber es hat keine sozialen Verwerfungen geben. Im Gegenteil: Wir haben so manche soziale Ungerechtigkeit, die Rot-Grün geplant hat, abgeschafft. Rot-Grün wollte 16.000 Lehrerstellen bis 2013 streichen. Das haben wir verhindert. Stattdessen haben wir draufgesattelt: 8.000 zusätzliche Stellen! Das ist soziale Politik für die Zukunft! Auch aus den Hartz-IV-Gesetzen werden wir rot-grüne Ungerechtigkeiten beseitigen. Jemand, der ein Leben lang gearbeitet hat, muss im Fall der Arbeitslosigkeit länger Arbeitslosengeld bekommen als jemand, der kaum gearbeitet hat. Und wer etwas fürs Alter zurückgelegt hat, den kann man nicht zwingen, das zuerst alles aufzubrauchen, um am Schluss in Altersarmut zu landen – genau wie der, der nie was zurückgelegt hat. Dafür haben wir uns aus Nordrhein-Westfalen in den Koalitionsverhandlungen stark gemacht. Und wir haben uns durchgesetzt. Auch in der aktuellen Diskussion über die Hinzuverdienstmöglichkeiten von Hartz-IV-Empfängern bin ich der Meinung: Leistung muss sich lohnen! Das gehört zur Chancengerechtigkeit dazu.

gesamte Breite der Gesellschaft. Wir sind die Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Das unterscheidet uns von der reinen Marktgläubigkeit der Neoliberalen. Das unterscheidet uns auch von der Staatsgläubigkeit der Linken. Wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit gehören für uns zusammen. Das macht die Identität der Union aus.

BMS: Also eine Art „neue Mitte“? Rüttgers: Wir sind die Partei der Mitte. Neu ist diese Position nicht. Ich erinnere an unsere Gründungsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die CDU ist entstanden als Volkspartei von Protestanten und Katholiken, von Unternehmern und Arbeitneh-

CDU und CSU sind die einzigen verbliebenen Volksparteien. mern, von Menschen aus allen sozialen Schichten. Keine Partei zu sein, sondern eine Union aus Liberalen, Konservativen und Christlich-Sozialen – das war und bleibt unsere große Stärke.

BMS: Geht das, was man den Markenkern einer werteorientierten Partei nennt, allmählich verloren? Rüttgers: Zum Markenkern der CDU gehört die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dazu gehört der wirksame Schutz des menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende. Dazu gehört, dass wir die Kinder in den Mittelpunkt unserer Politik stellen, die eine Chance zu sozialem Aufstieg brauchen. Dazu gehört, dass wir uns als Europapartei für mehr und nicht weniger Integration einsetzen. Dazu gehört, dass wir zu unserer Verantwortung als Teil der Gemeinschaft der freien Völker im Einsatz für den Frieden stehen. Diese Werte muss und wird die Union bewahren.

BMS: Man nennt Sie auch in Unions-Reihen den neuen „Arbeitsführer“. Ein Ehrentitel? Rüttgers: Der Begriff stammt nicht von mir, aber ich habe nichts dagegen. Mir ist es ein besonderes Anliegen, als Ministerpräsident alle Menschen in unserem Land im Blick zu haben, auch die Arbeiter. BMS: Aber der neue SPD-Chef Sigmar Gabriel schimpft Sie einen „Scheinarbeitsführer“. Rüttgers: In der Politik kommt es nicht auf die Worte an, sondern auf die Taten. Keine Regierung hat so viel für Chancengerechtigkeit getan wie meine: Wir setzen dabei auf Bildung. Denn Bildung heißt Zukunftsfähigkeit. Bildung schafft Teilhabe an Modernisierung- und Fortschrittsgewinn. Bildung ist die beste soziale Vorsorge. Deshalb schaffen wir zusätzliche Lehrerstellen. Kleinere Klassen, weniger Unterrichtsausfall, mehr Ganztagsplätze, mehr individuelle Förderung – das schafft Chancen für unsere Kinder! Seit 2005 haben wir vier neue Fachhochschulen ins Leben gerufen und acht weitere ausgebaut mit rund 10.000 zusätzlichen Studienplätzen. Und wir machen unser Bildungssystem durchlässiger. Künftig kann jeder Meister studieren. Aufstieg durch Bildung – das ist unsere Leitlinie!

BMS: Sie waren erstmals zur Klausur der CSU-Landesgruppe nach Wildbad Kreuth eingeladen. Kam es Ihnen merkwürdig 11 1 12 11 1 12 vor, dass Sie ausgerechnet vor der CSU über das Wesen der Volkspartei referieren sollten? Konnten Sie den CSU-Kollegen 74 74  CDU  89CDU 89 89 89 SPD ihnen  74 SPDMut machen? 74 neue Erkenntnisse bringenoder gar Grüne  11Grüne 11 Rüttgers: Ich war nicht das erste Mal in Kreuth, und über FDP  12FDP 12 politische Ziele und Herausforderungen  Fraktionslos 1tauschen Fraktionslos wir 1 uns als Schwesterparteien oft aus.

BMS: Rücken Sie die CDU nach links? Rüttgers: Als Volkspartei tragen wir Verantwortung für die

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CDU  89CDU SPD  74SPD Grüne  11Grüne 89 FDP  12FDP Fraktionslos 1Fraktionslos

Die schwarz-gelbe Mehrheit von 2005...

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11%

BMS: Keine Sorge, dass die CSU ihre besondere Stärke in Bayern verlieren könnte? Rüttgers: Nein. CDU und CSU sind nach dem Scheitern der SPD die einzigen verbliebenen Volksparteien – und haben als solche eine große Verantwortung.Weiche Denn seitWeiche Jahren erleben wir eine kante kante wachsende Spaltung unserer Gesellschaft. Ein Teil der wirtschaftlichen Eliten hat sich vom Rest abgekoppelt. Selbst im R 6% 8% 6% 8% 5% 11% 38%

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CDU SPD Grüne 38% FDP Linke Sonstige

38%CDU  32%SPD  11%Grüne 8%FDP 5%Linke 6%Sonstige

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... ist in den aktuellen Umfragen zerronnen.

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POLITIK & WIRTSCHAFT

Mittelstand wächst die Furcht vor sozialem Abstieg. Der Veränderungsdruck und damit die Verunsicherung der Menschen nehmen zu. Auf diese Herausforderungen müssen wir Antworten finden, die für alle Teile der Bevölkerung akzeptabel sind. Das können keine Klientelparteien leisten. Das können nur Volksparteien.

BMS: Aber traurig sind Sie nicht, wenn Ihr Kollege Seehofer in Berlin mit weniger Rückenwind landet? Rüttgers: Ich kenne meinen Kollegen Seehofer aus alten Zeiten im Kabinett Kohl. Ich schätze ihn und arbeite gern mit ihm zusammen. BMS: Stefan Mappus, der künftige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, will die Südschiene zwischen Stuttgart und München wieder stärken. Blickt man da von Düsseldorf aus nicht ein wenig neidisch Richtung Süden? Rüttgers: Warum sollten wir? Wir haben gute Beziehungen zu Bayern und zu Baden-Württemberg. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass wir im März das bayerische Kabinett in Düsseldorf zu Gast haben. Mit dem baden-württembergischen Kabinett haben wir uns im letzten Jahr getroffen. Der enge Austausch zwischen den Ländern gehört dazu. BMS: Geben Sie uns zum Schluss eine Prognose für den Wahlausgang? Rüttgers: Wir kämpfen für eine starke CDU. Und ich sehe gute Chancen, dass wir nach dem 9. Mai unsere erfolgreiche Arbeit fortsetzen können.

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Mit Blick auf den Rhein: Um die Sitze im nordrhein-westfälischen Landtag (im Bild rechts unten) geht es bei der Wahl am 9. Mai.

BMS: Mit einem Landtag ohne Linke? Rüttgers: Dafür werden wir kämpfen. Die Linke will Hausbesitzer enteignen, den Verfassungsschutz abschaffen, das Recht auf Rausch ermöglichen. Wer solche Ziele verfolgt, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, ist nicht politikfähig und gehört nicht in den Landtag. BMS: Manche Grüne träumen schon von Schwarz-Grüne an Rhein und Ruhr… Rüttgers: Ich bin kein Traumdeuter. BMS: Lieber weiter mit Schwarz-Gelb? Rüttgers: Schwarz-Gelb hat in Nordrhein-Westfalen gute Arbeit geleistet. n Dr. Jürgen Rüttgers gelang vor fünf Jahren das schier Unmögliche: Der CDU-Politiker besiegte in der einstigen SPD-Herzkammer Nordrhein-Westfalen, den roten Regierungschef Peer Steinbrück und wurde Ministerpräsident einer schwarz-gelben Koalition. Rüttgers, 1951 in Köln als Sohn eines Elektromeisters geboren, studierte Jura und Geschichte und promovierte in seiner Heimatstadt. Seit 1987 im Bundestag, holte ihn Kanzler Kohl 1994 als Bildungs­ minister in die Bundesregierung. Er bezeichnete damals die Bildungspolitik als Fortsetzung der Sozialpolitik im 21. Jahrhundert.


POLITIK & WIRTSCHAFT

Gert Wessels

Die zivile Chance der NATO Eine Nachlese zu zwei Hauptthemen der 46. Münchner Sicherheitskonferenz Gedanken zur Weiterentwicklung der NATO-Strategie hat NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in seinem Vortrag auf der 46. Münchner Sicherheitskonferenz ausgebreitet. Er betont dabei, dass die bisherige Strategie der aktuellen Situation nicht mehr genügt. Die Verteidigung des Bündnisgebietes und militärische Aktionen im Bündnisgebiet sind unrealistisch geworden. Ihre geringe Wahrscheinlichkeit rechtfertigt nicht den Aufwand, den die NATO hierfür betreibt. Andererseits wird die Sicherheit der transatlantischen Gemeinschaft außerhalb des Vertragsgebietes vielfach bedroht. Internationaler Terrorismus, Piraterie, zerfallende Staaten gefährden die global vernetzten Wirtschaftsbeziehungen und damit die entscheidende Grundlage für die Entwicklung der gesamten Staatenwelt. Diese Erkenntnis ist nicht neu; nach dem Zerfall des Warschauer Paktes hat sich die NATO schon häufiger die Frage gestellt, welche Rolle sie noch wahrzunehmen hat und welche Fähigkeiten sie planerisch, materiell und personell vorhalten muss. Doch weder der Jubiläumsgipfel der NATO im April 2009 in Straßburg und BadenBaden, noch die Rede des NATO-Generalsekretärs auf der Münchner Sicherheitskonferenz haben bisher das Ziel beschreiben und Vielseitig und für eine Armee oft unkonventionell sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr: Die Fregatte Rheinland Pfalz geleitet das Kreuzfahrtschiff MS Deutschland durch Piratengebiet (o.li.); gespannt beobachten afghanische Mädchen die Einweihung ihrer Schule (o.r.); im Kosovo kauft ein Soldat Melonen (u.li.); auch afghanische Polizisten werden für ihre neue, gefährliche Aufgabe ausgebildet (u.r.).

einen überzeugenden Weg zu einer neuen Strategie aufzeigen können. Dabei dürfen die Schwierigkeiten nicht übersehen werden. Die Interessenlage der NATO-Mitgliedstaaten ist unterschiedlich, ihre Bereitschaft, sich über das bisherige Maß hinaus zu engagieren, ist begrenzt. Finanzielle, materielle, rechtliche oder auch historische Fakten und Argumente stehen dem entgegen. Eine einvernehmliche „Zieldefinition“ ist wohl nicht in Sicht. Wenn aber das Ziel nicht klar ist, kann auch der Weg nicht beschrieben und erst recht nicht begangen werden. Vielleicht wäre es einen Versuch wert, die Anforderungen, die in den letzten 20 Jahren seit dem Fall der Mauer an die NATO gestellt worden sind, zu analysieren und dabei insbesondere die Felder aufzuzeigen, in denen die NATO aufgrund ihrer Ausrichtung, ihrer Kommandostruktur, ihrer Verfahren und ihrer Fähigkeiten nicht oder nur bedingt handlungsfähig war. Ein solcher Versuch entspricht der klassischen Vorgehensweise als erster Schritt. In einem nächsten Schritt wäre zu analysieren, welche Maßnahmen notwendig sind, um die fehlenden Fähigkeiten und Handlungsoptionen für die Zukunft sicherzustellen. Ein wichtiges, wenn nicht das derzeit wichtigste Analysethema in diesem Zusammenhang ist der Einsatz der NATO-Streitkräfte unter der Führung von ISAF in Afghanistan. Auf der AfghanistanKonferenz am 28. Januar in London haben die beteiligten 44 Nationen eine Neuausrichtung ihres Engagements beschlossen und im Wesentlichen folgende Ergebnisse erzielt: R

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POLITIK & WIRTSCHAFT • Der Schutz der afghanischen Bevölkerung und die Vermeidung ziviler Opfer werden betont. • Afghanistan übernimmt die Führungsverantwortung in der Operationsführung binnen drei Jahren und die der Sicherheitsverantwortung landesweit in den kommenden fünf Jahren. • Die afghanischen Sicherheitskräfte wachsen bis Oktober 2011 auf 171.600 Mann National Army (ANA) und auf 134.000 Mann National Police (ANP), ein weiterer Aufwuchs hängt von der Entwicklung der Sicherheitslage sowie der langfristigen Durchhaltefähigkeit in Personal und Finanzen ab. • Die internationale Staatengemeinschaft ist verpflichtet, Aufwuchs und Wirksamkeit der afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen und die Arbeiten an der nationalen Sicherheitsstrategie fortzuführen. • Ein afghanisches Friedens- und Reintegrationsprogramm wird erstellt und durch die internationale Staatengemeinschaft finanziert, ein Friedens-Loja Dschirga wird noch vor der Folgekonferenz in Kabul durchgeführt.

Afghanistan braucht erfahrene Verwaltung-Experten. Durch die Verstärkung der ISAF-Kräfte, den Aufwuchs und die anwachsenden Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte kann es gelingen, den Einfluss der Taliban zurückzudrängen und in den kommenden drei bis fünf Jahren eine mittelfristig hinreichende Stabilität und Sicherheitslage zu erreichen. Das würde eine notwendige Voraussetzung schaffen, um zivile Strukturen aufzubauen. Doch die Unterstützung der westlichen Staatengemeinschaft konzentriert sich im Wesentlichen auf den Sicherheitsaspekt; eine Unterstützung beim zivilen Aufbau ist nur in beschränktem Umfang erkennbar und wird im Wesentlichen durch Finanzmittel erbracht. Das bedeutet aber auch: Der damit finanzierte Bau von Straßen, Schulen und andere Infrastrukturmaßnahmen müssen im Wesentlichen mit Kräften aus dem Lande erfolgen. Gibt es aber genügend Fachleute im Lande? Reichen die Kräfte, um Verwaltungsstrukturen national, regional und lokal zu etablieren? Hat das Land die Fähigkeit und die Kraft, sich Regeln, Vorschriften und Gesetze zu geben, die ein geordnetes Zusammenleben erlauben? Kann es einen Führungs- und Verwaltungsapparat aufbauen, der die materiellen, organisatorischen und prozeduralen Rahmenbedingungen für eine positive, stabile und selbsttragende Entwicklung gewährleistet? Hier geben die vergangenen acht Jahren keinen Anlass für diesbezüglichen Optimismus. Es scheint vielmehr notwendig, dass ähnlich wie im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina Experten, die in den Feldern Justiz, Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Finanzen, Landwirtschaft und Wirtschaft Regierungs- und Verwaltungserfahrung haben, die örtlich Verantwortlichen unterstützen und anleiten. Im Kosovo, ein Land mit etwa 10 Prozent der Einwohner Afghanistans, hat die EU beschlossen, circa 2.000 Beamte zur Unterstützung des zivilen Aufbaus einzusetzen. Diese Zahlen sind

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nicht vollständig erreicht worden, gleichwohl sind die vor Ort eingesetzten zivilen Kräfte eine unverzichtbare Voraussetzung für den Aufbau eines zivilen, vernetzten und funktionsfähigen Regierungs- und Verwaltungsapparats. Das Kosovo ist kein Einzelfall. Das Problem der zerfallenden Staaten ist mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und dem Ende des kalten Krieges entstanden. „Failed States“ stellen ein zunehmendes Sicherheitsrisiko dar, sie sind Rückzugsräume und Ausbildungsregionen für Terroristen und Ausgangspunkte für Piraterie und internationale Kriminalität. Wäre es vor diesem Hintergrund denkbar, dass die NATO sich eine Fähigkeit schafft, zerfallene Staaten zu stabilisieren und beim Wiederaufbau zu unterstützen? Die NATO finanziert weit über zwei Millionen Soldaten mit Waffen, Ausrüstung, Infrastruktur und Betrieb. Finanziell sollte es allemal möglich sein, dass sich die NATO ein ziviles Aufbaukorps schafft, bestehend aus vielleicht 5.000 Beamten und Verwaltungsfachleuten, das zur Nation Building eingesetzt werden kann. Gegen diese Überlegung kann man sicher eine Reihe von Argumenten ins Feld führen: Die NATO ist ein Militärbündnis und hat sich bisher nie mit dem zivilen Aufbau oder Wiederaufbau von Staaten befasst. Dem ist entgegenzuhalten, dass die NATO ein politisches Bündnis ist, zwar mit erheblichen militärischen Fähigkeiten, sich aber, nach eigenem Selbstverständnis, niemals auf die militärischen Fähigkeiten reduziert hat. Man kann sicher auch die Auffassung vertreten, Nation Building sei primär eine Aufgabe der UNO, doch diese hat sich in der Vergangenheit nicht oder nur selten durch erfolgreiches aktives Handeln in Krisenregionen hervorgetan. Die UNO ist wirksam mit ihren Organisationen, ihren humanitären Beiträgen und nicht zuletzt durch die Beschlüsse des Sicherheitsrates und der UNOVollversammlung. Im ehemaligen Jugoslawien hat sie kein Ruhmesblatt beschrieben. Erfolge gab es erst, als die NATO eingegriffen hat. Darüber hinaus ist die Parallelität unabhängiger Organisationen in Einsatzgebieten selten zielführend. Aus militärischer Sicht sollte Verantwortung immer in einer Hand sein. Das erlaubt es, Sicherheit und Stabilität in einem Einsatzgebiet mit dem Wiederaufbau vernetzt als „comprehensive approach zu betrachten. Der afghanische Außenminister Spanta vertrat auf der Londoner Konferenz die Meinung, Nation Building dauere circa 10 bis 15 Jahre. Dies deckt sich mit den Erfahrungen aus dem Kosovo. Dieser Zeitansatz würde zutreffen, wenn die in London beschlossenen Maßnahmen für Afghanistan bis 2015 erfolgreich umgesetzt werden können. Gelingt dies, könnte daraus auch der Kräfteumfang abgeleitet werden, den die NATO für Aufbau oder Wiederaufbau von Staaten benötigt. n

Generalmajor Gert Wessels ist Befehlshaber im Wehrbereich IV – Süddeutschland, der aus Bayern und Baden-Württemberg besteht.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Günther von Lojewski

Bonner Loch Die ehemalige Bundeshauptstadt leidet am Phantomschmerz

„Pensiopolis am Rhein“ – „Klein-Washington“ – „Bundesstadt“ – Problemfall: Wie keine andere Stadt in der Geschichte der Bundesrepublik hat Bonn Höhen und Tiefen erlebt. Knapp zwei Jahrzehnte, nachdem sich Bundespräsident, Regierung und Parlament für einen Umzug in das wieder­vereinte Berlin entschieden haben, steht die Stadt wieder vor einer Wegscheide ihrer Entwicklung. Bonn 1949, als unerwartet die Hauptstadt der jungen Republik einzog, was war das für eine betucht-betagt-beschauliche Idylle! Ein Bahnhof, eine Rheinbrücke, ein „Bröckemännche“, das dem Nachbarn auf der „schäl Sick“ des Rheins das blanke Hinterteil zeigte. Honoratioren, von denen noch mancher in den 50er Jahren Radio, Telefon und Auto mied wie Teufelszeug, und ein „Klüngel“, für den Beethoven, Schumann, Arndt die einzigen großen Söhne der Stadt waren und der die, die jetzt zureisten und sie regieren sollten, als „Imis“ verspottete. Nur mühsam hat sich Bonn „eingerichtet“, lange hat sich der Bund mit Zuschüssen zur Entwicklung der Stadt geziert. Erst der Bau der Mauer in Berlin brachte 1961 die Wende. Danach wurde nicht mehr gekleckert und gemietet, sondern gebaut und geklotzt. Der Bund setzte seinen Ministern neue Häuser hin und dem Bundeskanzler auch; die Abgeordneten bekamen einen schicken Plenarsaal, dazu größere Büros im „Langen Eugen“ und im SchürmannBau. der noch vor seiner Fertigstellung im Hochwasser des Rheins absoff. Botschaften und Residenzen schossen aus dem Boden und Büros für die Lobbyisten. Sie habe sich, bescheinigte NordrheinWestfalens Ministerpräsident Rau der Stadt anlässlich ihres 2000. Geburtstag, „endlich eingerichtet, Hauptstadt zu sein und lange zu bleiben“.

Und dann dies: Am 9. November 1989 öffnet sich im fernen Berlin die Mauer. Zwar lassen sich die Bonner ihr Fest nicht verderben, rheinisch-fröhlich, wie es ihr Wesen ist. Aber der Anfang vom Abstieg“ ist von nun an besiegelt. Unaufhaltsam. Nach vier Jahrzehnten. Mitten im Jubiläum. Der Bund, als er mit Legislative und dem besten Teil der Exekutive auszog, hat sich in Bonn großzügig verabschiedet. Er hat mehr als den billigen Titel „Bundesstadt“ hinterlassen. Noch einmal gab es -zig Millionen. Nachgeordnete Behörden – wie das Kartellamt – mussten den Auszug kompensieren. Die Deutsche Welle zog in den Schürmann-Bau ein (und engagiert sich seitdem im kulturellen Leben nach Kräften). Auch Telekom und Post wurden abkommandiert und zu Bonns ersten DAX-Unternehmen. Das eine hat seitdem entlang der „DiplomatenRennbahn“ kräftig aufgeräumt und das andere zeigt mit einem eigenen Tower neben dem „Langen Eugen“ deutlich Flagge. Bonns Oberbürgermeisterin brachte das schon ins Schwärmen: Der Stadt gehe es finanziell besser denn je. Schließlich hatte der Bund noch versprochen, internationale Organisationen einzuwerben und für deren Unterbringung sogar das Gelände rund um das verlassene Parlament hergeschenkt. Genau hier aber zeigt sich heute, wohin Bonn sich zu entwickeln droht. Wo ein ambitioniertes „World Conference Center“ mit 352 Hotelzimmern entstehen sollte: Ein unvollendeter Neubau. Der koreanische Investor: Insolvent und flüchtig. Die Kosten: Explodiert. Der Schaden: Allein für die Kreissparkasse wenigstens 100 Millionen. Die Verträge: Schlampig. Die Kontrolle: Lückenhaft und fehlerhaft. Die Schuldfrage: Noch im Stadium des Schwarzer-PeterSpiels. Der General-Anzeiger hat es mit sorgfältigen Recherchen ans Licht gebracht. Inzwischen hat der Staatsanwalt einige R

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POLITIK & WIRTSCHAFT Beteiligte wegen Bestechung, Betrugs oder Bestechlichkeit zeitweise in Untersuchungshaft genommen; wegen des Verdachts der Untreue ermittelt er auch gegen die ehemalige Oberbürgermeisterin und zwei ehemalige städtische Projektbeauftragte. Von diesem Desaster ist es nicht weit zum nächsten, vulgo „Bonner Loch“. Getreu dem Motto, „der erste Eindruck ist immer der beste“, sollten hier einmal Besucher vor dem Bahnhof begrüßt und zum Eintritt in die Stadt eingeladen werden. Der erste Eindruck aber ist heute abstoßend. Wo großzügig niedergerissen und niedergelegt wurde und alle Chancen gegeben waren, den Bahnhof wie ein Denkmal freizustellen, den Verkehr weiträumig herumzuleiten und der Stadt städtebauliche Modernität einzuhauchen, da ist nichts als bedrückende Enge, ein Wirrwarr von Architektur, ein „City-Ring“ schmal wie eine Gasse, ein dunkles Loch. Und hinüber bis zum Bus-Bahnhof alle Penner, Trinker und Fixer der Stadt vereint. Und Kippen und Flaschen und Spritzen… „Zwei Welten“ hat auch die Journalistin Ingrid Müller-Münch in Bonn ausgemacht, im Stadttheater wurden sie gezeigt. Da ist „Krieg“ in Bad Godesberg, zwischen der zurückgebliebenen Elite und den verlassenen „Loosern“. In eben jenem Kurpark, in dem einst Eltern mit ihren Kindern Enten fütterten, Diplomaten Tennis spielten und die feine „Redoute“ zu Kammerkonzerten lud, da wollen am 24. August 2007 Abiturienten feiern, und eine Horde „Jugendlicher mit Migrationshintergrund“ fällt über sie her und schlägt ihnen mit Baseballschlägern auf die Köpfe. Müller-Münch stellt die Schuldfrage nicht; sie lässt nur Beteiligte zu Wort kom-

men, und deshalb gibt es auch kein Happyend: Hier Jugendliche ohne Job, kein Handy, keine Zukunft – dort die anderen, die all das schon von Haus aus haben. So ist das heute in der verlorenen Hauptstadt. Integration? Diesmal hatten sie Amir I., einen Muslim, zum Karnevalsprinzen ausgerufen, aber bei der traditionellen Messe im Münster sofort das Wort verboten. Gewalt? Manche bürgerliche Wohnviertel sind abends so tot und menschenleer wie der Friedhof und der Polizeipräsident denkt laut über „Bürgerwehren“ nach. Theater und Musik? Das eine ist an den Stadtrand gedrängt, über seinen Türen sammeln sich die Tauben, die denkmalgeschützte Beethovenhalle steht vor dem Abriss, nur die Oper reüssiert und ein „Festspielhaus“ muss her, wer immer es zahlt (oder nicht). Bonn, so sieht es der Betrachter, hat mit der Hauptstadt, die es nicht wirklich wollte, mehr gewonnen, als es dachte und mit deren Auszug mehr verloren, als es ahnt. n Günther von Lojewski, 1935 in Berlin geboren, promovierte in Bonn über die bayerische Bistums­ politik im 16. Jahrhundert und begann seine journalistische Karriere bei der FAZ. Als Leiter der ZDF-Nachrichtenredaktion führte er das heute-journal ein, wurde Chef der Report-Redaktion beim Bayerischen Rundfunk und wechselte 1989 als Intendant des SFB nach Berlin. Er lebt in München und engagiert sich für den Aufbau des freien Journalismus vor allem in Russland.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Interview mit Conrad Tribble

Viel Zukunftsmusik US-Generalkonsul lobt das gastfreundliche Bayern – Immer mehr amerikanische Firmen im Freistaat

Bayern ist für die USA nicht nur wirtschaftlich das wichtigste Bundesland. „Das Deutschlandbild vieler Amerikaner ist durch Bayern geprägt“, betont Conrad Tribble, der amerikanische Generalkonsul in München. Peter Schmalz sprach mit dem höchsten US-Diplomaten in Bayern. Bayerischer Monatsspiegel: Sie waren Austauschschüler in Norddeutschland und haben als Praktikant im Bundestag gearbeitet. Hatten Sie schon damals München im Blick? Conrad Tribble: Ich wollte schon damals ganz Deutschland kennenlernen und war beim meinem zweiten Aufenthalt erstmals in München. Die Stadt hat mich schon damals fasziniert, auch weil ich gerne ein Bier trinke. Aber damals hatte ich noch keine Ahnung, dass es hier einen so tollen Posten wie den Generalkonsul gibt. BMS: Spüren Sie in Bayern besonders enge Beziehungen zu Amerika? Tribble: Oh ja. Das Deutschlandbild vieler Amerikaner ist stark durch Bayern geprägt. Oktoberfest, Hofbräuhaus und Brandenburger Tor sind die großen Merkmale des Deutschlandbildes. Aber auch die Gastfreundschaft hier, die Freundlichkeit und die

Offenheit führen dazu, dass Bayern für Amerikaner das am meisten bereiste Land in Deutschland ist.

BMS: Und man sieht in und um München immer mehr Niederlassungen amerikanischer Firmen. Tribble: Das ist ein ganz wichtiger Teil der Beziehungen. Gerade in den letzten zehn, fünfzehn Jahren wurden diese wirtschaftlichen Kontakte stark ausgebaut und die Zahl der in Bayern ansässigen US-Unternehmen ist enorm gestiegen. Mittlerweile sind es über 850. Dazu gehört auch, dass der bayerisch-amerikanische Handel bereits ein Viertel des gesamten deutsch-amerikanischen Handels beträgt. Das ist erheblich. BMS: Ist das noch ausbaufähig? Tribble: Davon bin ich überzeugt, denn es sind vor allem Unternehmen mit neuen Technologien wie Microsoft, Google, Disney oder Warner Brothers, die zumindest einen Fuß in Bayern haben möchten. Auch General Electric hat sein Forschungszentrum in Garching weiter ausgebaut. BMS: Silicon Valley in Kalifornien und Isar Valley in Bayern? Tribble: Genau. Als gebürtigerer Kalifornier kann ich das nur begrüßen. Bayern ist in den Staaten als Hightech-Hochburg bekannt.

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POLITIK & WIRTSCHAFT BMS: Spielt bei diesen guten Kontakten auch die Nachkriegszeit noch immer eine Rolle, als Bayern amerikanische Zone war? Tribble: Ganz bestimmt. Mir erzählen Gesprächspartner immer wieder, dass sie oder ihre Eltern oder Großeltern auch geprägt wurden durch den Kontakt mit amerikanischen Soldaten und anderen US-Einrichtungen, wie zum Beispiel die Amerikahäuser, die nach dem Krieg oft auch ein Ersatz für die zerstörten Bibliotheken waren. Umgekehrt haben viele Soldaten auch nach ihrer Rückkehr in die Staaten eine innere Beziehung zu Bayern bewahrt. Das hilft natürlich der deutsch-amerikanischen Beziehung insgesamt. BMS: Und während immer mehr US-Truppen aus Europa abziehen, wird Grafenwöhr zum wichtigsten US-Stützpunkt ausgebaut. Auf Dauer? Tribble: Man kann nie sagen, was in 30 oder 50 Jahren sein wird. Aber für die vorhersehbare Zukunft wird Bayern der wichtigste Stützpunkt für Truppen der US-Armee in Europa bleiben. BMS: Haben Sie das Gefühl, dass diese Truppen auch willkommene Gäste sind? Tribble: Auf jeden Fall. Von allem, was ich in meiner bisher kurzen Zeit hier höre, habe ich den Eindruck, dass die amerikani-

schen Soldaten und ihre Familienangehörigen sehr willkommen sind in Bayern und dass sie sich hier auch sehr wohl fühlen. Dass also beide Seiten dies als positiv einschätzen.

BMS: Kürzlich war München durch die Sicherheitskonferenz wieder der Welt-Treffpunkt der Sicherheitspolitiker. War für Sie diesmal der merkwürdige Auftritt des iranischen Außenministers das herausragende Ereignis? Tribble: Merkwürdig war der Auftritt schon, aber er war nicht der Höhepunkt. Es gab viele Höhepunkte, die oft bilateral laufen und von denen nur wenig nach außen dringt. Zum Beispiel als sich eine Delegation aus dem Kongress mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation des BDI getroffen hat. In solchen Treffen steckt Zukunftsmusik. BMS: Demonstranten halten die Konferenz für ein Treffen von Militärs und Waffenlobbyisten. Ist die Kritik berechtigt? Tribble: Nein, das ist völlig unberechtigt. Die Sicherheitskonferenz ist ein Treffen von Politikern, Beratern und Beamten aus vielen Ländern, und sogar Vertreter der Gegner sind inzwischen mit im Saal. Diese Konferenz ist längst nicht mehr vornehmlich ein Treffen von Militärexperten, wie das vielleicht vor 30 Jahren war. Sie ist entspannter und entspricht mehr der neuen Definition

USA und Bayern – ein Dream Team • Die USA sind Bayerns wichtigster außereuropäischer Handelspartner. Fast 25 Prozent des deutsch-amerikanischen Handelsvolumens in Höhe von 130 Milliarden Dollar pro Jahr entfällt auf Bayern. • Die USA sind einer der größten ausländischen Investoren in Bayern mit etwa 850 hier ansässigen amerikanischen Firmen. • Bill Gates hat Bayern als „Europäisches HighTech-Mekka“ bezeichnet – eine Reihe von amerikanischen Firmen, wie TI und GE haben sich für eine Niederlassung in Bayern entschieden. Von den 850 US-Firmen in Bayern gehören etwa 400 zum HighTech-Bereich. • Pro Jahr kommen mehr als 550.000 Amerikaner nach Bayern. Im Jahr 2008 kamen 264.196 amerikanische Touristen nach München und waren damit die größte ausländische Besuchergruppe. • Fast 55.000 Amerikaner wohnen in Bayern. Jedes Jahr stellt das Amerikanische Generalkonsulat in München 4.200 amerikanische Pässe sowie 400 Geburtsurkunden für amerikanische Babys in Bayern aus. • Im 19. Jahrhundert wanderten 500.000 Bayern in die USA aus. In den letzten 10 Jahren wanderten 86.000 Bayern in die USA aus. • In Bayern ist das größte Kontingent amerikanischer Streitkräfte in Europa stationiert. • 2.375 bayerische Austauschschüler besuchten 2007/2008 die USA. 1.485 amerikanische Schüler kamen im gleichen Zeitraum nach Bayern. • Bayerische und amerikanische Universitäten kooperieren in mehr als 240 Austauschprogrammen

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Der gebürtige Kalifornier Conrad R. Tribble wurde im August 2009 der 50. USGeneralkonsul in München. Er studierte in Bonn, arbeitete in der US-Botschaft in Bonn und leitet vor seinem Einsatz in Bayern im Irak ein regionales Wiederaufbauteam in Ostbagdad. Tribble ist verheiratet, hat zwei Kinder und liebt bayerisches Bier.

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© Photo David Schwab

Deutsch-amerikanische Freundschaftsfeste haben Tradition.

US-Rekruten in Grafenwöhr – der Truppenübungsplatz in der Oberpfalz feiert 2010 sein 100-jähriges Bestehen.

von Sicherheit, wo nicht mehr Raketen gezählt werden und wo es nicht um Abrüstung geht. Jetzt stehen Energieressourcen und humanitäre Hilfe, Afrika und Klimaschutz im Vordergrund.

BMS: Die Sicherheitskonferenz also eher eine Art Friedens­ konferenz? Tribble: Man sollte den Namen nicht verändern, aber Sicherheit heißt Stabilität für den Frieden. Diese Sicherheit hat Europa in den letzten 60 Jahren erleben dürfen. Man sieht auch in Afghanistan, dass es ohne Sicherheit keinen Frieden geben kann. BMS: Ist die Konferenz auch wichtig für das Verhältnis zwischen Europa und Amerika? Tribble: Ganz gewiss. Das ist ein Höhepunkt im bilateralen Jahreskalender. Es ist immer eine Gelegenheit, die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu beleuchten. Dass diese Konferenz traditionsgemäß in München stattfindet, liegt auch an diesem guten Verhältnis zwischen Deutschland und den USA. BMS: Verstehen Sie die Sorgen vieler Deutscher, dass sich der US-Präsident mehr dem asiatischen Raum und dort speziell China widmen könnte? Tribble: Ich kann nachvollziehen, woher diese Sorge kommt, aber es ist ein falsches Verständnis der amerikanischen Politik. Für uns ist die Beziehung zu Europa noch immer die wichtigste. Gerade bei den Herausforderungen, in denen wir gemeinsam außerhalb Europas stehen und die nicht unbedingt militärisch zu lösen sind wie der Klimaschutz und die Finanzkrise, ist Europa nach wie vor der wichtigste Partner. Natürlich arbeiten wir auch mit anderen Partnern wie Japan oder Australien zusammen, aber wenn es wirklich darauf ankommt, wenn es um die intellektuellen und finanziellen Ressourcen geht, dann zählt Europa. Bayerischer Monatsspiegel 155_2010

Das muss man auch in Europa sehen. Dass sich der amerikanische Präsidenten auch um bilaterale Beziehungen zu China oder Russland bemüht, nimmt dieser besonderen Partnerschaft nichts. Ich sage den deutschen Partnern aber auch: Man darf dies nicht als gegeben hinnehmen. Ein neuer amerikanischer Präsident wird nicht unbedingt aus Emotion nach Europa blicken. Auch die Europäer müssen wollen und mithelfen, dass diese Beziehung aktiv und lebendig bleibt. Deutschland hat auch eine gute Beziehung zu China und wir machen uns keine Sorge, dass Deutschland deswegen von uns wegdriftet.

BMS: Wird sich der erste farbige Präsident stärker um seinen Herkunftskontinent Afrika kümmern? Tribble: Wir verstehen Afrika langfristig als eine der größten Herausforderungen für die gesamte Sicherheit. Wenn es in Afrika wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht besser geht, wird das zu einem wachsenden Sicherheitsproblem für uns und auch für Europa. Aber dies hat nicht mit Obama begonnen, sondern bereits unter George Bush. BMS: Beim Kölner Faschingsumzug war Präsident Obama als gefallener Friedensengel zu sehen. Steht er wieder auf? Tribble: Ich möchte nicht zustimmen, dass er gefallen ist. Jeder Präsident erfährt in der ersten Amtszeit einen gewissen Verlust an Zustimmung, besonders wenn er so viele Erwartungen geweckt hat wie Präsident Obama. Und er packt große Probleme an, die von anderen Präsidenten entweder ignoriert oder erfolglos versucht wurden. Die Gesundheitsreform ist dafür ein Beispiel. Zudem hatte er vom ersten Amtstag an die Finanzkrise, bei der er, egal was er macht, von der einen oder anderen Seite kritisiert wird. Und er muss noch weiter daran arbeiten und auch einen Kongress überzeugen, der ihm nicht unbedingt folgt. Obama will natürlich erfolgreich sein, aber er hat schon gesagt, er möchte lieber das Richtige versuchen und nur eine Amtszeit haben, als das Notwendige wegen einer zweiten Amtszeit nicht zu machen. Diesem Präsidenten glaube ich das. BMS: Möchte der Generalkonsul seinen Präsidenten zum nächsten Oktoberfest begleiten? Tribble: Ich würde mich riesig freuen, doch zur nächsten Wiesn erwarte ich den Präsidenten nicht. Ich hoffe aber, ihn während meiner noch drei Jahre in München herzlich begrüßen zu können. Letztes Jahr war meine Premiere auf dem Oktoberfest und ich bin gleich siebenmal mit viel Freude dort gewesen. Jetzt freue ich mich schon auf die erste Maß in diesem Jahr. n

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POLITIK & WIRTSCHAFT

Donner & Reuschel Marktkommentar

Markt am Scheideweg Trotz eines Einbruchs im ersten Quartal hat sich in der Rückschau das Anlagejahr 2009 hinsichtlich nahezu aller Assetklassen als eines der erfolgreichsten der vergangenen Dekaden erwiesen. Die Ausgangslage für 2010 jedoch ist als eher schwierig einzuordnen. Gegenwärtig versuchen insbesondere die Aktien­märkte nach der rasch erfolgten Korrektur im Januar ihre Richtung zu finden. An den Prognosen des Kapitalmarktes gemessen, ist deren Bewertung auch nicht überzogen. Allerdings haben sich insbesondere im zweiten Halbjahr 2009 die Erwartungen bezüglich der Entwicklung von Unternehmensgewinnen deutlich erhöht. Somit sind die Aussichten für die weitere Geschäftsentwicklung mittlerweile als gut einzustufen. Die „optisch“ eher moderat anmutende Bewertung der Aktienmärkte muss man daher mit einer gewissen Vorsicht bewerten. Die Bekanntgabe der Geschäftszahlen für das vergangene Jahr im Zuge der laufenden „Reporting-Saison“ zeigt, dass die hoch gesteckten Erwartungen der Kapitalmärkte bis jetzt überwiegend erfüllt werden konnten. Manche Unternehmen – beispielsweise Alcoa, das seine Zahlen

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traditionell zuerst bekannt gibt – sorgten allerdings für negative Ausreißer; so weist Alcoa, das neben Marktführer RUSAL aus Russland eine beherrschende Stellung auf dem Weltmarkt für Aluminium innehat, statt des erwarteten Gewinns von sechs Cent lediglich einen Cent aus. Insgesamt jedoch konnten in Anbetracht des bisherigen Verlaufes etwa 70 Prozent der Unternehmen aus dem S&P 500 ihre Umsatzprognosen übertreffen. Beim Gewinn nach Steuern lagen sogar etwa drei Viertel der Unternehmen über den Prognosen.

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Das Übertreffen der Analystenschätzungen konnte den Kapitalmärkten seit dem Erreichen des Hochs im Januar 2010 aber keine weiteren Impulse geben. Es gilt die Börsenweisheit „Buy the rumour, sell the fact“, wonach in den kräftig gestiegenen Aktienkursen der vergangenen Monate eine deutliche Erholung der Unternehmensgewinne bereits eingepreist ist. Seit diese sich in aktuellen Veröffentlichungen widerspiegeln, neigen Investoren zu Gewinnmitnahmen. Hinzu kommt die Verunsicherung hinsichtlich der Stabilität einiger Mitgliedsstaaten der Europäischen Währungsunion – vor allem was Griechenland, Spanien, Portugal und Italien

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POLITIK & WIRTSCHAFT anbelangt. Diese Länder könnten sich zu erheblichen Belastungsfaktoren für die wirtschaftliche Erholung Europas entwickeln. Fazit: Auch nach der erfolgten Kurskorrektur gehen wir für 2010 von einer nur seitwärts gerichteten Aktienmarkt-Entwicklung aus. Deshalb behalten wir unsere eher konservative Ausrichtung in der Assetklasse Aktien bei und bevorzugen Aktienanleihen sowie Discountstrukturen vorerst weiter gegenüber Direktanlagen. Griechenland zerrt am Geduldsfaden der EU Es gab schon sonnigere Aussichten für das Urlaubsparadies Griechenland. Letzten Informationen lag das dortige Haushaltsdefizit im vergangenen Jahr bei 12,7 Prozent, zugleich droht die Staatsverschuldung auf 125 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung zu steigen. Deshalb sind Pleite­szenarien diskutiert worden, der Euro ist unter Druck geraten, und auch an der Wall Street haben die Investoren Griechenland inzwischen im Blick. Es stellt sich die Frage, ob sich diese regionale Krise zu einem Flächenbrand für die Währungsunion entwickelt. Um die Sorge einzudämmen, versammelten sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem Sondergipfel in Brüssel, und auch die EU-Kommission trat Anfang März energisch auf die Notbremse: Sie bekundete die Bereitschaft der EU-Länder, Griechenland notfalls zur Seite zu stehen. Bis Ende 2012 muss das Mittelmeerland jedoch seine Neuverschuldung unter die höchstzulässigen 3 Prozent bringen, was einer Senkung um 75 Prozent entspricht!

seinerseits stabilisierte sich nur auf ermäßigtem Niveau. Von führenden Wirtschaftswissenschaftlern kam postwendend scharfe Kritik an den Hilfszusagen: Griechenland müsse sich selbst helfen, hieß es – was Ministerpräsident Papandreou mit einem ehrgeizigen Sparprogramm seiner Regierung auch versucht. Es sieht spürbare Einkommenskürzungen im öffentlichen Dienst, scharfe Einschnitte in das Sozialsystem und höhere Steuern vor. Ebenfalls im März berieten die EU-Finanzminister darüber, wie ihre Hilfe konkret aussehen könnte. Offizielle Finanztransfers sind dabei ausgeschlossen, denn der EU-Vertrag verbietet, dass Länder der Euro-Zone gegenseitig für ihre Staatsschulden einstehen. Fazit: Es bleibt spannend! Wer bei der Rettung Griechenlands die Stelle des erforderlichen Dritten einnehmen wird, ist noch unklar. Der Internationale Währungsfonds wäre ein Kandidat für diese Rolle. Griechenland jedenfalls scheint dazu entschlossen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Und Deutschland, als größte Wirtschaftsmacht der Eurozone, wird sich der Verpflichtung, Hilfe zu leisten kaum entziehen können. n

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Für viele Anleger sieht Entwarnung anders aus. Die Aktienmärkte versuchten sich in einer leichten Gegenreaktion, nachdem die Ängste um Griechenland und die genannten südeuropäischen Staaten in den vergangenen Wochen die Kurse unter Druck gebracht hatten; der Euro

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POLITIK & WIRTSCHAFT

Josef Möst

Vermögenserhalt über Generationen Vorausschauende Vermögensverwaltung erfordert Risikomanagement Vermögende Privatkunden stehen heute im Fokus vieler Banken, denn das Bruttogeldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland ist Ende 2009 auf rund 4,64 Billionen Euro gestiegen. Das ist der höchste Stand, den die jährliche Analyse von Allianz Global Investors bislang ermitteln konnte. Insgesamt gibt es in Deutschland heute mehr als rund 700.000 Menschen mit einem liquiden Finanzvermögen von über einer Million Euro. Gleichzeitig sind die Anleger durch die Verwerfungen der Finanzkrise stark verunsichert, denn viele von ihnen hatten auf dem Höhepunkt der Krise sehr viel Geld verloren. Dazu kommt, dass die Zahl der unterschiedlichsten Finanzprodukte und Finanzinnovationen selbst für Profis kaum noch zu überblicken ist. Hier setzt seriöses Private Banking an: Aktive Vermögensverwaltung ist mehr als ein mit Produkten von der Stange gefülltes Portfolio. Zur Verwaltung großer Privatvermögen bedarf es vielmehr einer umfassenden Strategie, die den Kunden mit all seinen Wünschen und Vorstellungen in den Mittelpunkt stellt und daraus auf den konkreten Bedarf zugeschnittene, individuelle Konzepte entwickelt. Ein weiterer wichtiger Aspekt im Private Banking ist der Zeit­ horizont. Denn hier geht es nicht darum, für das nächste Quartal die beste Rendite vorzuweisen, sondern um den langfristigen Vermögenserhalt – das heißt nicht für den nächsten Monat oder das nächste Jahr, sondern für die nächsten Jahrzehnte oder Generationen. Private Banking ist seit jeher die Kunst, jene Risiken

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zu steuern, die den langfristigen Vermögenserhalt bedrohen. Zunächst geht es um elementare Risiken, die den langfristigen Vermögenserhalt gefährden. Dazu gehören: Personenbezogene Risiken, Inflationsrisiko (Gefahr der Entwertung von Geld- und Nominalwerten), Deflationsrisiko (Gefahr der Entwertung von Sachwerten) sowie Risiko politischer Veränderungen (zum Beispiel Kriege, Umstürze, Enteignungen). Die erste Risikokategorie der personenbezogenen Risiken umfasst Ereignisse wie schwere Erkrankungen, Konflikte in der Familie oder Probleme bei der Regelung der eigenen Nachfolge.


Foto: Ulrich Mattner, Frankfurt am Main

POLITIK & WIRTSCHAFT

Lobby der Filiale in München, Odeonsplatz 2.

Josef Möst ist Direktor und Leiter der Geschäftsstelle Private Banking München des Bankhauses B. Metzler seel. Sohn & Co. KGaA. 1674 in Frankfurt gegründet, ist es die älteste deutsche Privatbank in ununterbrochenem Familienbesitz und heute eine moderne Investmentund Vermögensverwaltungsbank. Metzler Private Banking hat Geschäftsstellen in München, Stuttgart, Hamburg und im Raum Köln/Düsseldorf.

Diese Risiken sind höchst individuell und bedürfen daher auch entsprechend individueller Lösungen, zum Beispiel durch Versicherungen oder rechtliche Gestaltungen. Die anderen drei Risiken gelten jedoch in gleichem Maße für alle Vermögensinhaber. Begegnen kann man diesen Risiken allein durch Diversifikation. Strategische Gesamtvermögensallokation bedeutet also Risiko­ streuung auf mehreren Ebenen. Der erste Schritt dabei ist die Verteilung des Vermögens auf die Vermögensarten Sach- und Nominalvermögen. Letztlich lassen sich alle Vermögensgegenstände in diese Kategorien einordnen. Sach- oder Substanzvermögen

sicher auch Geld verlieren – aber eben nicht das gesamte Vermögen, sondern nur einen Teil. Den anderen Teil kann man zur aktiven Krisenbewältigung nutzen und behält immer das Heft des Handelns in der Hand. Handlungsfähig zu bleiben, Optionen und Chancen überhaupt nutzen zu können, ist in Krisenzeiten der entscheidende Vorteil.

Risiken begegnen gelingt allein durch Diversifikation.

Im Rahmen einer generationsübergreifenden Vermögensplanung ist zu empfehlen, unabhängig von der aktuellen Lage jeweils ein Drittel des Vermögens in Sach- und Nominalvermögen langfristig zu investieren. Das ist die Basisstrategie, die auch unabhängig von aktuellen Marktentwicklungen beibehalten wird. Für kurzfristigere taktische Maßnahmen eignet sich das verbleibende Drittel des Vermögens. Verkürzt heißt das: Investitionen in Aktien, Renten und Cash.

sind zum Beispiel Immobilien, unternehmerische Beteiligungen und auch Aktien, denn sie entsprechen einem realen Gegenwert. Bargeld, festverzinsliche Wertpapiere und Lebensversicherungen sind dagegen Nominalvermögen – sie sind immer der Inflationsgefahr ausgesetzt, gewinnen jedoch in einer Deflation an Wert. Beim Substanz- oder Sachvermögen verhält es sich genau umgekehrt: In deflationären Phasen verliert es an Wert, im Falle einer Inflation bietet es Schutz. Auch politische Risiken lassen sich reduzieren – hierfür bietet sich vor allem eine geografische Diversifikation an. Somit wird man in den genannten Krisen­ szenarien wie politischen Verwerfungen, Inflation oder Deflation

So banal dieser Rat zur Diversifizierung auch erscheint, so schwer ist die Umsetzung in der Praxis. Der Gestaltungsspielraum für die Vermögensaufteilung ist vielfach nur gering, da bei vielen Private Banking Kunden oft große Teile des Vermögens an das eigene Unternehmen gebunden sind. Zudem führt Diversifizierung auf den ersten Blick zu einem vermeintlichen Renditeverzicht. Das ist manchmal nur schwer auszuhalten. Deshalb ist vor allem Ausdauer erforderlich, den einmal getroffenen strategischen Entscheidungen genügend Zeit zur Reife zu geben, sowie die Bereitschaft, den für richtig erachteten Weg zielstrebig und langfristig zu gehen. n

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AUGSBURG & SCHWABEN Rolf Kießling

Schwäbische Wanderung Der heutige Bezirk ist ein Ausschnitt einer einst großen historischen Landschaft

Wer von Norden die bayerische Grenze überschreitet und auf den Regierungsbezirk Schwaben stößt, ist einiger­maßen befremdet: Schwaben in Bayern? Wie geht das zusammen? Tatsächlich findet sich heute der einzige Gebietsname „Schwaben“ nicht in dem Raum, den man ansonsten mit Schwaben identifizieren würde: mit Württemberg – nur die Schwäbische Alb als mittelgebirgiger Querriegel oder Oberschwaben als Raum zwischen Donau und Bodensee weisen dieses Grundwort auf.

Die „Sieben Schwaben“ sind über Jahrhunderte hinweg ein beliebter Schwankstoff. Populär wurden sie durch das „Volskbüchlein“ des schwäbischen Schriftstellers Ludwig Aurbacher (1784 bis 1847). In seiner Geburtsstadt Türkheim (Unterallgäu) ist ein Sieben-Schwaben Museum eingerichtet.

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AUGSBURG & SCHWABEN Der Name für den bayerischen Verwaltungsbezirk zwischen Iller und Lech, Ries und Allgäu, geht auf König Ludwig I. zurück, der – nach französischem Vorbild – 1837 die nach Flüssen benannten Sprengel der Mittel­behörden umbenennen ließ, um für die Bewohner die Identifikation mit den historischen Stämmen, die nun das neue Bayern bildeten, zu ermög­ lichen. Er wollte Identitäten schaffen, damit alle unter der Wittelsbacher Krone ihren Platz finden und sich auf diese Weise mit der Annexion zu Beginn des 19. Jahrhunderts versöhnen konnten. So gesehen, ist das heutige Schwaben ein Konstrukt und keine geografische Größe – aber das war es genau besehen schon immer, so oft es in der Geschichte für eine Raumkonzeption stand, ohne dass die Vorstellungen davon, was Schwaben bedeutet, deshalb übereinstimmen mussten. Mit dem Stamm der Alemannen verband sich der Gedanke eines ursprünglichen Siedlungsgebietes, das von den Vogesen bis an den Lech, von der Nordschweiz bis weit über die Alb reichte und mit dem sich ein frühmittelalterliches alemannisches Herzogtum verbinden ließ. Das hatte tatsächlich einen längeren Atem, denn nach der Eroberung Alemanniens durch die Franken und dem Ende des karolingischen Großreiches konstituierte sich am Anfang des 10. Jahrhundert ein neues schwäbisches Herzogtum. Freilich wurde es am Ende des 11. Jahrhunderts zwischen den Hochadelsgeschlechtern der Staufer, Welfen und Zähringer in Interessengebiete aufgeteilt. Als Herzogtum Schwaben hielt sich der Name nur bei den Staufern – doch sorgte dann die Vermischung Schwabens mit dem Reichsgut des Königsgeschlechts im 12./13. Jahrhundert dafür, dass es nach dem Ende der Staufer mit dem Tod des jungen Konradin in Neapel 1268 in Auflösung verfiel. Eine Wiederbelebung scheiterte – es gab kein Schwaben mehr als politische Größe. In dieser Zeit war aber auch Schwaben nach Norden gewandert: Hatte das Herzogtum des 10. Jahrhunderts noch eindeutig seine Vororte am Bodensee mit dem Bischofssitz Konstanz als Zentrum gesehen, so streifte Zürich bereits im 14. Jahrhundert die Zugehörigkeit zu Schwaben ab. Die Abgrenzung gegenüber der Schweiz am Bodensee war um 1500 bereits erfolgt – die gegenseitige Be-

König Ludwig I. knüpfte bewusst an die schwäbische Tradition an. schimpfung als „Kuhschweizer“ und „Sauschwaben“ sprechen Bände. Andererseits erhielt Hall im 15. Jahrhundert den Beinamen schwäbisch, um sich als ehemals staufische Stadt gegen die Herrschaftsambitionen des Bischofs von Würzburg zu wehren. Auch politische Zusammenschlüsse wie der „Schwäbische Städtebund“ seit 1376, die „Adelsgesellschaft mit St. Jörgenschild in Schwaben“ seit 1406, der „Schwäbische Bund“ von 1488 bis 1534 behielten den Beinamen „schwäbisch“, um ihre räumliche Zuordnung sichtbar zu machen. Bis zum Ende des Alten Reiches prägte schließlich der weit ausgreifende Schwäbische Reichskreis zwischen Lech und Rhein, Bodensee, mittlerem Neckar und Ries die Geschichtslandschaft Schwaben. Nun beanspruchte Ulm gegen Konstanz und Stuttgart, des Schwabenlandes Herz und Haupt zu sein, aber auch im frühen Württemberg sprach Eberhard im Bart gerne von Württemberg und Schwaben, weil sich seine Dynastie zum dort verankerten Adel zählte. Bayerischer Monatsspiegel 155_2010

Das gelb markierte Siedlungsgebiet der Schwaben im 10. und 11. Jahrhundert verschob sich im Laufe der Jahrhunderte nach Norden und ist durch die weiße Linie dargestellt.

Um und nach 1500 gerieten die gelehrten Humanisten um die Bestimmung des „alten“ Schwaben miteinander in Streit: Hervorzuheben ist der Tübinger Universitätslehrer Johannes Nauclerus, der seine aktuelle patria, sein Vaterland Schwaben, in Abgrenzung zu den Franken und Bayern sah und als topografische Grenzen die Alpen und den Rhein bestimmte. Andere votierten dafür, das Elsass einzubeziehen. In diesen Jahrhunderten war Schwaben alles andere als eindeutig bestimmbar – aber es lebte in den Köpfen. Die staatliche Neubildung in der Ära Napoleons stellte dann neue Konstruktionen in den Vordergrund: So wie das erweiterte Württemberg ein antagonistisches Verhältnis von Oberschwaben und Innerschwaben mit sich brachte, deren verschiedene Traditionen ihre spezifische Wertung und emotionale Auffüllung hatten, so finden wir im neuen Bayern eine Spannung von Bayerisch-Schwaben zu Altbayern – und nun wird auch verständlich, warum der romantische Historismus König Ludwigs I. mit der Namensgebung der Regierungsbezirke die Anknüpfung an die schwäbische Tradition bewusst einsetzte: Es geschah „in der Absicht, …die alten, geschichtlich geheiligten Marken … möglichst wiederherzustellen, die Einteilung… und die Benennung der einzelnen Haupt-Landesteile auf die ehrwürdige Grundlage der Geschichte zurückzuführen“ (Wolfgang Zorn). Der König beanspruchte auch seit 1835 den Titel eines „Herzogs in Schwaben“, begnügte sich aber dann bei seinem Majestätswappen mit den rot-weiß-goldenen Sparren der ehemaligen vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau. Erst 1923 übernahm der Freistaat Bayern den (halben) staufischen Löwen in Erinnerung an das mittelalterliche Herzogtum Schwaben. Argumentierte man im neuen bayerischen Staat des 19. Jahrhunderts mit diesem historischen Konstrukt Schwaben, so verband es sich in vielfältiger Weise wieder mit dem Ausgangspunkt: Den Alemannen. Man besann sich auf ihren angeblichen Freiheitswillen; beispielsweise in der Form des Schwanks von den Sieben Schwaben, der vom Spätmittelalter bis in die Romantik beliebt war und nun mit Ludwig Aurbacher seine humoristische literarische Form erhalten hat. Nicht selten leitete man daraus aber auch partikulare Interessen ab. Die jeweilige Dominanz der Staaten sollte damit kompensiert werden und mündete in die politische Denkfigur eines Großschwaben, die das 20. Jahrhundert in verschiedenen Varianten erlebte: etwa als Bundesstaat oder Reichsstaat Schwaben vom Elsass und der

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AUGSBURG & SCHWABEN deutschen Schweiz, Vorarlberg bis Württemberg und BayerischSchwaben, wie er 1918 im Ulmer „Schwabenkapitel“ angedacht wurde. Oder in einer Instrumentalisierung gemeinschwäbischen Bewusstseins in der Krise der 20er-Jahre und in der regionalen NS-Politik Bayerisch-Schwabens, bis hin zu einer autonomen „Schwäbisch-alemannischen Demokratie“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch das waren und blieben unrealistische Träume; realiter blieb die Illergrenze bestehen und wurde zunehmend zu einer Scheidelinie nicht nur zwischen den deutschen Staaten bzw. Ländern, sondern auch der Wahrnehmung und damit der Kulturen: Schwaben war aufgeteilt an Württemberg und Bayern. Die Ausdehnung von „Bayerisch-Schwabens“ als Erbe napoleonischer Zeit hat sich bis heute erhalten, wenn auch mit Modifikationen: Zunächst als Oberdonaukreis von 1817, seit 1837 unter Einschluss des Ries unter dem Namen Schwaben und Neuburg, weil der Rückgriff

auf das alte wittelsbachische Fürstentum Pfalz-Neuburg die Verbindung anbot, seit 1939 allerdings nur noch Schwaben. Erst seit 1944 griff die Ostgrenze mit dem Landkreis Friedberg wieder über den Lech hinaus und die Gebietesreform von 1972 erweiterte mit dem Landkreis Aichach sogar noch die oberbayerische Komponente als Hinterland der Regierungshauptstadt Augsburg, während gleichzeitig Neuburg an Oberbayern abgegeben wurde – die wirtschaftsrationale Gegenwartsorientierung der Verwaltung erhielt nun Oberhand. Was war und ist also Schwaben, zumal in Bayern? Keineswegs ein vorgegebener Raum, sondern eine Abfolge von Konstrukten, von subjektiven Zugehörigkeiten, oder anders gesagt: von Vorstellungen davon, wie sich solche in Räumen abbilden lassen. Das heutige bayerische Schwaben ist ein Ausschnitt aus einer ehemals weiterreichenden historischen Landschaft, die sich mit dem Begriff Schwaben verband. n

Professor Dr. Rolf Kießling hatte bis 2006 den Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte der Universität Augsburg inne Er ist einer der angesehensten Landeshistoriker Deutschlands und Verfasser zahlreicher Bücher. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er die „Kleine Geschichte Schwabens“, eine handliche, umfassende und ebenso kundig wie informativ geschriebene Historie über die kulturell und wirtschaftlich seit Jahrhunderten bedeutende Region. (Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 216 Seiten, 14,90 Euro)

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AUGSBURG & SCHWABEN Franz Josef Pschierer

Ein starkes Stück Wirtschaft

Innovative Unternehmen prägen den Standort Schwaben

„ ... dass dies alles eben darum in einer Art wahr ist, weil es in einer Art falsch ist.“ (Augustinus) Der bayerische Schwabe ist nun mal sehr pfiffig und sichert sich gerne gegen jeden und alles ab, so dass ich nicht umhin konnte, dem Text dieses Zitat voranzustellen. Wir bayerische Schwaben laufen leicht Gefahr, mit den Württemberger Schwaben verwechselt zu werden. Und das ist umso ärger, als dass man hierzulande schon recht ungern mit den „Gelbfüßlern“ aus dem nahen Westen in Verbindung gebracht oder eben gar verwechselt werden möchte. Zu stolz ist man doch auf die eigene Geschichte, die eigenen Traditionen und den eigenen unverwechselbaren Charme. Auch wirtschaftlich gesehen gibt es für uns keinen Grund, unser Licht unter den Scheffel zu stellen. So war Augsburg bereits im 16. Jahrhundert mit den Handelsgeschlechtern der Fugger und Welser ein wirtschaftliches Zentrum ersten Ranges. Die heute vielzitierte Globalisierung des Wirtschaftslebens war für die schwäbischen Kaufleute der frühen Neuzeit schon damals gelebte Realität. Auch weit darüber hinaus war Bayerisch-Schwaben dank seiner zentralen Lage in Europa und seiner innovativen Kraft von jeher gut positioniert. Zwar hielt das Napoleon einst nicht davon ab, vor den Senatoren der freien Reichsstadt

Flugzeugproduktion in Tussenhausen bei Memmingen: Selbst die britische Air Force fliegt Schulungsmaschinen der Firma Grob.

Augsburg etwas recht Unverschämtes von sich zu geben, indem er bemerkte: „Meine Herren, Sie haben ein schlechtes Pflaster! Ich muss Sie einem Fürsten geben“, und infolgedessen Schwaben ins bayerische Königreich eingegliedert wurde. Aber würde Napoleon heute durch Bayerisch-Schwaben reisen, wäre er bestimmt beschämt ob seiner einstigen Wertung. Denn Schwaben hat heute viel zu bieten: Es verfügt mit den Bundesautobahnen A 7, A 8 und A 96 sowie zahlreichen Bundesstraßen über eine gut ausgebaute Straßeninfrastruktur. Die gelungene Überführung des ehemaligen Militärflugplatzes Memmingerberg in einen regionalen Verkehrsflughafen mit täglichen Verbindungen in mehrere deutsche Städte sowie einem attraktiven Charterangebot ist eine Erfolgsgeschichte. Der „Allgäu-Airport“ dürfte im nächsten Jahr die 1-Million-Schallmauer bei den Passagieren durchbrechen. Defizite gibt es allerdings immer noch im Bereich der Schiene. Bei der Elektrifizierung der Bahnstrecke München-Lindau – einem Projekt von 200 Millionen Euro – dürfte zwar heuer der Startschuss fallen, Zukunftsmusik bleibt R

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AUGSBURG & SCHWABEN aber leider immer noch der wichtige Ausbau der Bahnstrecke Augsburg-Ulm. Dieses Teilstück liegt auf der europäischen Magistrale Paris-Budapest und entwickelt sich immer mehr zum Nadelöhr. Nach wie vor halten die Schwaben die Trassenentscheidung über Ingolstadt bei der Strecke München-Nürnberg für einen großen Fehler. Bei der flächendeckenden Breitbandversorgung gibt es in Schwaben leider wie in vielen anderen Regionen immer noch weiße Flecken. Das „schnelle Internet“ entwickelt sich aber immer mehr zum entscheidenden Standortfaktor. Zahlreiche Kommu-

Schwaben hat sich zum Mekka der Luftfahrt entwickelt. nen haben sich entschlossen, die Förderangebote des Freistaates in diesem Bereich in Anspruch zu nehmen. Mit Beharrlichkeit – manchmal auch Sturheit – arbeiten schwäbischen Politiker und die heimische Wirtschaft daran, diese Schwachstellen konsequent zu beseitigen. Schwabens Wirtschaft ist stark und trägt heute mit rund 14 Prozent zu Bayerns Wirtschaftswachstum bei. Ein gesunder Mittelstand in Handwerk, Handel und Industrie sowie einem breiten und qualitativ guten Angebot im Tourismus und eine bäuerliche Landwirtschaft sind die wichtigsten Säulen. Bekannt ist Bayerisch-Schwaben auch für seinen Menschenschlag, der geradezu sprichwörtlich als pragmatisch denkend und zupackend bekannt ist. Also jemand, der nicht öffentlich seinen „Schein“ poliert, sondern im Stillen an seinem „Sein“ arbeitet. Ein leiser, aber beharrlicher Tüftler und Bastler, der Vieles schnell und gut voranbringen kann, vor allem dann, wenn er zwischendurch auch auf seine geliebten Kässpatzen und andere regionale Spezialitäten zurückgreifen darf. All dies macht Bayerisch-Schwaben attraktiv sowohl für seine Bewohner als auch für seine zahlreichen Besucher und sorgt für stabile wirtschaftliche Grundlagen. Auch über viele Jahre gesehen erweist sich Bayerisch-Schwaben als ein Magnet für die Menschen. So stieg etwa die Einwohnerzahl in den letzten zehn Jahren um über drei Prozent, für die Region Augsburg wird bis 2020 ein Bevölkerungszuwachs von weiteren vier Prozent vorausgesagt. Mit seiner „Edition Bayern“ will das Haus der Bayerischen Geschichte die reiche Kulturlandschaft des Freistaats aufblättern. Das jüngste Heft beleuchtet Unterallgäu und Memmingen und richtet damit das Augenmerk auf eine alte Kulturlandschaft (Kloster Ottobeuren), die aber als Gebilde erst durch die gerade hier höchst umstrittene Gebietsreform von 1972 entstanden ist. Von kundigen Autoren beschrieben, erfährt der Leser viel über die Region zwischen dem idyllischen Oberallgäu und dem boomenden Donauraum, die mehr zu bieten hat als das genannte Kloster und den Kneippkurort Bad Wörishofen.

Unterallgäu und Memmingen Edition Bayern Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 88 Seiten, 8 Euro

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Weltweit im Einsatz: Kuka-Roboter aus Augsburg.

Dies geht Hand in Hand mit der Entwicklung in Wirtschaft und Wissenschaft, in Forschung und Lehre. In mehreren Feldern im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Luft- und Raumfahrtindustrie konnte sich die Region zwischen Iller und Lech als herausragender Standort entwickeln. Schwaben als Mekka der Luftfahrt zu bezeichnen, ist nicht übertrieben. Man denke nur an Eurocopter in Donauwörth, EADS in Augsburg, Grob Aerospace im Unterallgäu oder Lieberherr-Aerospace in Lindenberg. Zukunftsweisend ist Schwaben auch in der Faserverbundtechnologie, die in verschiedensten Branchen wie Automobil, Maschinenbau, Umwelttechnik und vor allem im Flugzeugbau immer mehr zum Einsatz kommt; für diese Bereiche haben sich mehrere Weltmarktführer in der Region angesiedelt. Wie man sehen kann: Bayerisch-Schwaben poliert sein Pflaster nach Kräften und rüstet sich somit für eine erfolgreiche Zukunft. Zugleich gilt es, die Grundlagen für gesundes Leben, Erholung und Tourismus in Umwelt und Natur zu bewahren. Die schwäbischen Landschaften sind so vielfältig wie ihre Bewohner und stellen ein wertvolles Erbe dar. Nicht nur der Alpengürtel ist ein attraktives touristisches Ziel, auch andere „Flecken“ BayerischSchwabens glänzen mit malerischen Hügellandschaften, Ehrfurcht gebietenden tiefschattigen Nadelwäldern, prachtvollen Klöstern, traumhaften Schlössern, bischöflichen Residenzen, geschichtsträchtigen Bauten und den unterschiedlichsten Menschentypen, was sofort an der großen Anzahl an Dialekten und sprachlichen Nuancen auffällig wird, denen man auf einer Reise durch die Region begegnet. Mit diesem Pfund wuchern die Schwaben. Der Tourismus ist heute ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Mit mehreren Kur- und Heilbädern ist Schwaben heute auch eine international anerkannte Gesundheitsregion. Man denke nur an die zahlreichen Kurorte, die sich um die Weiterentwicklung der Lehre des Bad Wörishofer Wasserdoktors Sebastian Kneipp verschrieben haben. In den

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AUGSBURG & SCHWABEN

Dass Bayerisch-Schwaben heute so gut im Rennen um die Zukunft steht, verdanken wir in erster Linie den tüchtigen Menschen und Unternehmen, die sich durch ein hohes Maß an Eigeninitiative und Selbsthilfe auszeichnen. Im Rahmen der Bemühungen um eine stärkere Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft durch den Aufbau und die Ansiedlung von Forschungsinstitutionen ist es gelungen, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die Fraunhofergesellschaft „mit ins Boot zu holen“: So ist in Augsburg eine Forschungsoffensive entstanden, um neue effiziente Produktions- und Automatisierungsprozesse bei der Fertigung von Faserverbundstrukturen zu entwickeln. Hierfür stellt der Freistaat Bayern in den nächsten Jahren insgesamt 53 Millionen Euro zur Verfügung. Ziel ist es, dass sich daraus bis 2014 ein süddeutsches Faserverbund-Forschungsnetzwerk von europäischem Rang entwickelt. Daneben hat sich Schwaben in den letzten Jahren auch mit Unterstützung des Freistaates bayernweit immer mehr zur führenden „UmweltKompetenz-Region“ entwickelt. Beispiele dafür sind die Ansiedlung des bayerischen Instituts für Abfallwirtschaft (BIFA), des Landesamtes für Umwelt (LfU) sowie des umwelttechnologischen Gründerzentrums in Augsburg. Mit der Universität Augsburg und den drei schwäbischen Fachhochschulen in Augsburg, Kempten und Neu-Ulm verfügt Schwaben heute über ein hervorragendes Studienangebot in vielen Disziplinen. Schwabens Landwirte produzieren in über 18.000 vorwiegend bäuerlichen Familienbetrieben qualitativ hochwertige Nahrungs­

Immer mehr Landwirte werden zu „Energiewirten“. mittel und pflegen – was leider oft vergessen wird – unter schwierigen Bedingungen eine Kulturlandschaft die gerade für den Tourismus von zentraler Bedeutung ist. Dramatisch gesunkene Erzeugerpreise, die nicht mehr Kostendeckend sind, gefährden immer mehr bäuerliche Existenzen auch in Schwaben. Zu Weltmarktpreisen lässt sich im Allgäu nicht produzieren. Mit Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete, einzelbetrieblicher Förderung, marktentlastenden Maßnahmen, Mitteln für die Absatzförderung sowie eine Entlastung bei der Agrardieselbesteuerung unterstützen der Freistaat, der Bund und die Europäische Union die heimische Landwirtschaft. Mit Nischen, wie Urlaub auf dem Bauernhof und Direktvermarktung haben sich zahlreiche Landwirte oft ein zweites und drittes Standbein geschaffen. Immer mehr Landwirte werden auch in Schwaben zu „Energiewirten“ und nutzen die Kraft der Sonne und nachwachsende Rohstoffe zur Energieerzeugung mit einer zusätzlichen Wertschöpfung für ihre Betriebe. Zur Landwirtschaft gehört in Schwaben untrennbar aber auch eine leistungsfähige Ernährungswirtschaft mit namhaften Molkereien und fleischverarbeitenden Betrieben, die ihre veredelten Produkte weltweit exportieren. Diese große

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© Westallgäuer Käsestraße

letzten Jahren hat sich Bayerisch- Schwaben verstärkt der neuen Nachfrage nach Wellness- und Vital-Urlauben geöffnet, eine Entwicklung, die sich gelohnt hat. Mit 2,8 Prozent mehr Gästeankünften als im Vorjahr konnte Bayerisch-Schwaben als einziger Regierungsbezirk in Bayern – trotz der Krise – im Jahr 2009 ein Plus verzeichnen. Mit 13 Milionen Übernachtungen liegt Schwaben bayernweit mit an der Spitze.

Sorgsam gepflegt, reift der Allgäuer Käse zu einer kulinarischen Köstlichkeit heran.

Bandbreite von traditionellen bis zu neuentwickelten Industriezweigen und der besondere Menschenschlag seiner Bewohner eröffnen Bayerisch-Schwaben gute Chancen, nach Überwindung der aktuellen Wirtschaftskrise wieder stark Tritt zu fassen. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass durch die weltweite Krise deutlich wurde, dass der hohe Anteil an Exportprodukten, bisher stets Ausweis wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, die Region besonders verletzlich macht. Dies ist nun mal die andere Seite der Medaille und man sollte sich dessen stets bewusst sein. Glücklicherweise mehren sich mittlerweile die Zeichen, dass die Krise zum größten Teil ausgestanden ist. Auch besonders stark betroffene Wirtschaftszweige wie Maschinenbau, Metall und Elektrotechnik erholen sich bereits. 38 Prozent der Industrieunternehmen rechnen mit Zunahmen, nur noch 22 Prozent mit Abnahmen bei den Auftrageingängen. Ähnliches gilt in den unternehmensnahen Dienstleistungen wie Beratungs-, Ingenieursoder IT-Dienstleistungen, wo sich der Umsatz seit Herbst 2009 positiv entwickelt hat. Ich bin daher sehr zuversichtlich, dass in Bayerisch-Schwaben die Talsohle schon durchschritten ist und wir optimistisch in die Zukunft blicken können, frei nach dem Motto Albert Schweitzers: „Du bist so jung wie deine Zuversicht, so alt wie deine Zweifel, so jung wie deine Hoffnungen, so alt wie deine Verzagtheit.“ In diesem Sinne wünsche ich meinem Schwaben ewige Jugend. n Franz Josef Pschierer, 1956 in der ehemaligen und seit 1972 von Augsburg eingemeindeten Stadt Haunstetten geboren, war Vize-Chef­ redakteur der Deutschen Handwerkszeitung und ist seit 1994 Landtagsabgeordneter der CSU. Er war Vorsitzender des Landtags-Wirtschaftsausschusses und ist seit 2003 Staatssekretär im Bayerischen Finanzministerium. Pschierer ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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AUGSBURG & SCHWABEN Michael Weiser

Hochburg der Weber Neues Museum für 200 Jahre Augsburger Textilgeschichte

Vom Biedermeier- zum Strenesse-Kleid. Das tim bietet einen spannenden Streifzug durch die Mode- und Kostümgeschichte der vergangenen 200 Jahre.

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AUGSBURG & SCHWABEN

© Photo Ekhart Matthäus / www.em-foto.de

Augsburg war eigentlich immer eine Metropole: Eine Hauptstadt im Reich der Römer, Finanz- und Handelsmetropole in der frühen Neuzeit, eine Stadt der Silberschmiede, und auch für ihre Tuche war die Stadt berühmt. Es ist kein Zufall, dass der erste aus der später weltberühmten Familie der Fugger als Weber einwanderte. Im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts neigte sich auch die Ära des „deutschen Manchester“ dem Ende zu, und ein bedeutendes Kapitel bayerischer Industriegeschichte drohte, in Vergessen­ heit zu geraten. Dies mochten einige „Textiler“, ehemalige Angestellte der alten Kammgarnspinnerei, jedoch nicht dulden. R

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AUGSBURG & SCHWABEN Links: Die ehemalige Augsburger Kammgarnspinnerei (AKS), 1836 gegründet, war der erste große Industriebetrieb der Stadt Augsburg und produzierte mit bis zu 2000 Mitarbeitern bis ins Jahr 2004. Mitte: Die Daueraustellung bietet eine packende Zeitreise durch die Welt der Mode. Mode selbst gestalten: Über vier Meter hohe Grazien dienen den Besuchern als interaktive Projektionsflächen und übersetzen die digitalisierten Stoffmuster von 1780 bis 1990 eindrucksvoll in die dritte Dimension. Unten: In der Museumsfabrik des tim rattern historische Webstühle neben modernen High-Tech-Maschinen.

Sie sammelten Maschinen und schoben die Planung eines Museums an. Jetzt, nach neun Jahren des Planens und Bauens, steht es in vollem Glanze da: das Textil- und Industriemuseum Augsburg, kurz tim, ein neuer Glanzpunkt der bayerischem Museumslandschaft, ein Kind auch des früheren bayerischen Kunstministers Thomas Goppel, jetzt eingeweiht von seinem Nachfolger Wolfgang Heubisch. Mit den Schlagwörtern „Mensch – Maschine – Muster – Mode“ umreißt das Museum sein Angebot, das nicht nur Industrie-, sondern auch Modegeschichte umfasst. Auch Tuche werden wieder gewoben, im Museumsshop sind sie erhältlich. Einer der Höhepunkte: Mittels Computer und Projektoren kann der Besucher sein Können als Modedesigner erproben. Der Grazer Architekt Klaus Kada und das Stuttgarter Atelier Brückner haben auch innenarchitektonisch Maßstäbe gesetzt, mit Sälen und Kabinetten, in denen auf 2500 Quadratmetern die Dauerpräsentation und weiteren 1000 Metern Wechselausstellungen Platz finden. Ab Ende Mai wird das tim zu einem der Schauplätze der Bayerischen Landesausstellung 2010 „Bayern – Italien“: „Sehnsucht, Strand und Dolce Vita“ ist dann das verheißungsvolle Motto im Museumsneuling. n Adresse: tim | Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg Provinostraße 46, 86153 Augsburg · www.timbayern.de

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© Photo Ekhart Matthäus / www.em-foto.de

Öffnungszeiten: Täglich außer Montag 9 – 18 Uhr Geschlossen: Faschings­dienstag, Maifeiertag, Heiligabend, 1. Weihnachtstag, Silvester


AUGSBURG & SCHWABEN Karl Michael Scheufele

Ein Land voller Ideen In Schwaben begann die Industrialisierung Süddeutschlands

Die Allgäuer Milchkuh hat Zuzug bekommen: Auch schottische Hochlandrinder fühlen sich inzwischen auf den saftig-grünen Allgäuer Alp-Wiesen wohl.

Schwaben ist nach Oberbayern, gemessen an der Einwohnerzahl der zweitgrößte Regierungsbezirk Bayerns, die Bezirkshauptstadt Augsburg die drittgrößte Stadt. Auch der Fläche nach hat Schwaben die drittgrößte Kommune Bayerns. Das ist aber nicht Augsburg, sondern Oberstdorf, gleichzeitig die südlichste Gemeinde Deutschlands. Das Gebiet zwischen Iller und Lech ist ein uraltes Siedlungsgebiet. So waren Kempten und Augsburg schon vor zweitausend Jahren Hauptstädte der römischen Provinz Rätien. Noch heute stößt man bei Tiefbauarbeiten immer wieder auf Spuren der Antike. Rätien war mit vielen Stadt- und Befestigungsanlagen sowie einem ausgeklügelten Straßennetz erschlossen, das die römische Provinz über die Alpenpässe mit Italien verband. Eine Verbindung, die auch in den folgenden

Jahrhunderten nie ganz abgerissen ist. Das sind auch zweitausend Jahre Geschichte einer Kulturlandschaft zwischen Bodensee und dem Ries. Bayerisch ist Schwaben erst seit zweihundert Jahren. Die Vielfalt der schwäbischen Geschichte zwischen Reichskrone, Kirche, mächtigen Adelsgeschlechtern, Klöstern und selbstbewussten Reichsstädten ist bis heute präsent und gegenwärtig. Die Schlacht auf dem Lechfeld 955 vor den Toren Augsburgs hat die Kräfteverhältnisse in Europa für lange Zeit bestimmt. Die Schlacht bei Höchstädt 1704 hat das Gleichgewicht der europäischen Großmächte neu austariert. Humanismus, Renaissance, Reformation haben Schwaben in der beginnenden Neuzeit geprägt. Confessio Augustana von 1530 und der Augsburger Religionsfrieden von 1555 sind R

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AUGSBURG & SCHWABEN dafür markante geschichtliche Ereignisse. Zuvor hatte der Augsburger Stadtschreiber Dr. Konrad Peutinger, der mit den großen Gelehrten seiner Zeit in Verbindung stand, den Gedanken des Humanismus verbreitet. In Augsburg wurde von den Fuggern und Welsern die Globalisierung erfunden. Und die Industrialisierung Süddeutschlands hat auch in Augsburg und Schwaben ihren Anfang genommen. Der erste Dieselmotor der Welt steht heute noch mit einer Leistung von rund zehn PS im MAN-Museum. Von Süden nach Norden, vom Allgäu bis an die Donau findet man eine Kette von Unternehmen, die in ihrem Marktsegment Weltspitze sind.

Geprägt ist Schwaben nach wie vor durch seine Landwirtschaft. Das sind nicht nur Namen wie Liebherr und Bosch, MAN, Premium AEROTECH, MT-Aerospace oder EurocopterUnternehmen, ohne die es weder Airbus-Flugzeuge noch Ariane-5-Raketen noch viele Schiffsmotoren gäbe. Schwaben ist vor allem auch ein Land der „hidden leaders“. Unternehmen des Maschinenbaus und der Metallverarbeitung, im Bereich Elektrotechnik und Elektronik, Logistik oder Dienstleistung sind hier stark vertreten und mit ihren Spezialprodukten oft Weltmarktführer. Die kleinen und mittleren Unternehmen der Industrie und des Handwerks bilden das Rückgrat der schwäbischen Wirtschaft, die in ihrer Innovationskraft vielen großen Unternehmen in nichts nachstehen. Der Ideenreichtum der schwäbischen Unternehmen ist der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Heute ist Schwaben eine der dynamischsten Regionen Deutschlands und ein Hightech-Land mit zukunftsträchtigen Branchen. Ein besonderes Zukunftsthema für Schwaben sind die Faserverbundstoffe. Schwaben ist die Kompetenzregion für diese neuen Werkstoffe. Südlich der Universität Augsburg etablieren sich Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und des Zentrums für Deutsche Luftund Raumfahrt. Hinzu kommt ein Innovationspark in unmittelbarer räumlicher Nähe für neue Hightech-Unternehmen. Schwaben knüpft mit der Faserverbundtechnologie auch an seine große Textil-Tradition an, die seit Januar dieses Jahres im Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg lebendig bleibt. Vergangenheit und Zukunft bilden eine Einheit. Geprägt ist Schwaben nach wie vor auch durch seine Landwirtschaft. 56 Prozent der Fläche sind landwirtschaftlich genutzt. Schwäbische Lebensmittelunternehmen spielen in Europa in der ersten Liga. Die Allgäuer Alpen und die Schönheit des Rieses wären ohne die Prägung durch die Landwirtschaft nicht denkbar. Eng verknüpft mit der Landwirtschaft ist der Tourismus, der einen wichtigen Baustein im wirtschaftlichen Spektrum Schwabens darstellt. So ist der Allgäuer Käse ein Premiumprodukt, und die vielen Käsereien und Alpen gleichzeitig Anziehungspunkte für die Gäste. Aber Schwaben hat noch viel mehr zu bieten. Das reicht von der Bodenseeregion mit Obstund Weinanbaugebieten sowie dem südlichsten Leuchtturm Deutschlands in Lindau, über Schloss Neuschwanstein, und Klöstern wie Roggenburg und Ottobeuren, der historischen

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Der Bezirk Schwaben Schwaben hat 10 Landkreise mit 340 Gemeinden, darunter die vier kreisfreien Städte Augsburg, Kempten, Kaufbeurer und Memmingen Fläche: 9.993,4 Quadratkilometer (Platz 3 der bayerischen Bezirke nach Oberbayern und Niederbayern) Einwohnerzahl: 1.786.483 (Rang 2 nach Oberbayern und knapp vor Mittelfranken) Durchschnittsalter: 41,3 Jahre (nach Oberbayern der jüngste Regierungsbezirk) Bevölkerungsdichte: 179 Einwohner je Quadratkilometer

Altstadt Augsburgs, das Wittelsbacher Land und die Donaustädte bis zum mittelalterlichen Stadtbild Nördlingens und vieles, vieles mehr. In Schwaben gibt es auch schon immer die Tradition, den Schwächeren, den behinderten Menschen und vom Schicksal Benachteiligten beizustehen. Im neunzehnten Jahrhundert entstanden z. B. mit der Regens-Wagner-Stiftung in Dillingen und den Ringeisen-Werken in Ursberg Sozialeinrichtungen, die heute zu den größten in Bayern zählen. Schwaben ist auch eine starke Sportregion. Die Vierschanzen-Tournee startet in Oberstdorf und auf die Erfolge des FCA und der Augsburger Panther sind wir alle stolz. Stolz sind wir aber auch auf die vielen anderen Vereine, die hervorragende Leistungen zeigen und in denen sich Ehrenamtliche in ihrer Freizeit engagieren. Ohne Ehrenamt ginge in vielen Bereichen von Kultur bis Soziales nichts. Überall in Schwaben wird das Miteinander großgeschrieben. Schwaben ist selbstbewusst und hat dazu mit seinen Städten und Dörfern auch allen Grund von den Allgäuer Hochalpen bis zum Ries. n

Karl Michael Scheufel ist Regierungspräsident in Schwaben. 1957 in Augsburg geboren, absolvierte er das Peutinger-Gymnasium, studierte in seiner Heimatstadt Jura, war im Innenministerium Pressesprecher und wurde von Ministerpräsident Stoiber zum Regierungssprecher ernannt. 2008 übernahm er das Amt des Regierungspräsidenten.

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AUGSBURG & SCHWABEN

Hoch hinaus

Allgäu Airport Memmingen steigt zur Erfolgsgeschichte auf

Hoher Besuch auf Deutschlands höchst gelegenem Flughafen: Während einer Schwabenreise macht Ministerpräsident Horst Seehofer (3.v.l.) Station auf dem Allgäu Airport und sicherte einen Investitionszuschuss von 3,3 Millionen Euro zu. Begleitet wurde der Regierungschef von Finanzstaatsekretär Franz Pschierer (2.v.l.).

Die Kanzlerin war schon da und auch der Bundespräsident landete bereits mehrfach auf Deutschlands höchst gelegenem Flughafen, der gute Aussichten verspricht. Denn der Allgäu Airport Memmingen zählt zu den Senkrechtstartern in Schwaben. Schaffte er es doch in kurzer Zeit, alle Erwartungen und selbst seine eigenen Prognosen zu übertreffen. So flogen allein im Jahr 2009 rund 812.000 Passagiere von und nach Memmingen. Im Vergleich zum Vorjahr entsprach dies einer Steigerung von rund 75 Prozent. Einhergehend mit diesem Passagierwachstum wurde in 2009 auch das Ziel eines wirtschaftlich ausgeglichenen Betriebs erreicht. Es sind die kurzen Wege, die schnellen Abfertigungszeiten, das kostengünstige Parken und natürlich die Direktflüge zu attraktiven Zielen im In- und Ausland. So verzeichnet der Sommerflugplan 2010 insgesamt 23 Reiseziele, die direkt ab Memmingen erreicht werden können. Zu ihnen zählen national die Städte Berlin und Bremen, international unter anderem London, Dublin, Stockholm und Oslo. Die Fluggesellschaft TUIfly fliegt in diesem Sommer im Auftrag großer Reiseveranstalter von Memmingen nach Mallorca, Antalya und Heraklion auf Kreta sowie erstmals auf die griechische Insel Rhodos. Neu sind Flüge mit Ryanair ins portugiesische Faro, nach Malaga und nach Trapani auf Sizilien. Wieder aufgenommen in den Sommerflugplan werden Alghero auf Sardinen, Pisa sowie Reus bei Barcelona. Neu ist auch die wöchentliche Verbindung mit Sun Express ins türkische Antalya. Im Herzen Schwabens gelegen, bringt der Allgäu Airport seine Gäste der Welt ein Stück näher. Die gute Verkehrsanbindung über die ausgebaute B 17 und die Autobahnen A 96 und A 8 sorgt für eine reibungslose An- und Abreise und macht den Flughafen zu einer echten Alternative gegenüber seinen großen Brüdern in Stuttgart und München. Weitere Informationen: www.allgaeu-airport.de

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AUGSBURG & SCHWABEN Hubert Burda

Wall Street in Schwaben Jakob Fugger unterhielt den größten multinationalen Konzern seiner Zeit

Vor fünf Jahrhunderten hat ein Mann Weltgeschichte geschrieben. Er hat die globale Wirtschaft mehr verändert als irgendjemand vor ihm. Die Rede ist von Jakob Fugger (1459-1525), dem größten Unternehmer seiner Zeit. Er stammte aus Augsburg, das er zum Mittelpunkt des Fuggerschen Imperiums machte. Das Europa um 1500 war im Umbruch, die Welt stand an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit: Johannes Gutenberg erfand den Buchdruck, und Christoph Kolumbus entdeckte Amerika. Die Erde als Globus: Das neue Weltbild wandelte das Bewusstsein und die Wahrnehmung der Menschen. Auch der Handel erfuhr eine fundamentale Veränderung. Es war, als ob eine neue Zeitrechnung begonnen hätte. Augsburg, damals aufgrund seiner geographischen Lage als Nabel Deutschlands bezeichnet, und Venedig prägten Jakob Fuggers unternehmerisches Geschick. Als gerade 14-Jähriger kam er nach Venedig, dem Mittelpunkt des Handels mit dem Orient. Die deutschen Kaufleute vertrieben Stoffe, Seiden, feinste Tücher, Glas­waren, Medikamente und Gewürze. Im deutschen Handelshaus in Venedig wurden damals Millionen umgesetzt. Hier lernte Jakob die Waren und Händler kennen, aber auch eine vollkommen neue Form des Rechnungswesens: die doppelte Buchführung. Mit ihrer Hilfe ließen sich komplizierte Rechnungsvorgänge darstellen, ein bedeutender Fortschritt gegenüber der mittelalterlichen Buchführung. Aber nicht nur das Rechnungswesen veränderte sich. Mit dem Italiener Francisco de Tassis (Franz von Taxis) und seinem Bruder wurde zum ersten Mal ein auf Stafetten beruhendes Postsystem aufgebaut. Dieses System war eine wichtige Voraussetzung für den Handel zwischen Augsburg und Venedig.

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Kreativ, offen und voller Innovationskraft nutzte Jakob Fugger (1459 - 1525) die Veränderungen s einer zeit.Unser Bild zeigt den Kaufmann in einem Porträt von Albrecht Dürer, das in der Staatsgalerie Augsburg hängt.


Die Schiffe der Fugger befuhren die damals bekannten Handelsrouten zwischen Amerika, Europa und Indien.

Die Fuggerei in Augsburg wurde 1521 gegründet und gilt als die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt.

Der Handel war die Grundlage des Fuggerschen Erfolges. Ebenso wichtig wie die Waren war der Geldverkehr über ganz Europa hinweg. So entstanden neben Venedig und Mailand schon bald die Fugger-Faktoreien in Nürnberg, Frankfurt, Rom und Antwerpen und mit ihnen ein einzigartiges und vor allem schnelles Informationssystem.

lich die Lage zu seinen Gunsten verändern konnte? Die Frage von Wahlversprechen und Geld ist alt und aktuell zugleich.

Geldtransfer verlangt Vertrauen, Zuverlässigkeit, Kreditwürdigkeit und einen guten Namen. Für all das waren die Fugger bekannt; und eben diese Eigenschaften legten den Grundstein für die enge Beziehung zum Hause Habsburg. Die fruchtbare Beziehung der beiden Häuser gipfelte in der Finanzierung der Kaiserwahl von Karl V., einem Enkel Maximilians. Aus der erfolgreichen Zusammenarbeit der Fugger mit den Habsburgern entwickelte sich eine geschäftliche Beziehung, die ihren ersten Höhepunkt in dem wirtschaftlich effizienten Bergbau in Tirol fand. Das Genie Jakob Fugger hatte hier neue Chancen gewittert. Sein Fokus galt nunmehr neuen Produktions- und Absatzmärkten, wie den gewaltigen Silber- und Kupfervorkommen in Tirol, über die das Haus Habsburg verfügte. Münz- und Schürfrecht lagen beim königlichen Hause, und mit viel Geschick kamen auch hier Jakob und seine Brüder ins Geschäft. Aufgrund moderner Technik dominierten die Fugger nach kurzer Zeit den Silber­ handel in Tirol. Wie es ein Historiker ausdrückte: Die Fugger hatten die Lizenz zum Gelddrucken. Jakob Fugger lieferte Kaiser Maximilian die notwendige Liquidität. Die ehrgeizige Politik der Habsburger führte allerdings zu einer riesigen Verschuldung – eine Gefahr auch für das Fugger-Imperium. Mit der Erschließung der Seewege erstreckte sich der Fuggersche Handel bald auf die ganze Welt. Zum Geschäft in Venedig kam nun der Handel mit den spanischen Besitzungen in Amerika. Jakob Fugger managte den zu seiner Zeit größten multinationalen Konzern. Mit der Wahl von Karl V. 1519 zum Kaiser war Jakob schließlich auf dem Höhepunkt seiner merkantilen Tätigkeit. Augsburg war die Wall Street ihrer Zeit und, was die Schnelligkeit der Wirtschaftsnachrichten anging, so aktuell wie Reuters oder Bloomberg. In Büchern über die Familie Fugger wird deren einzigartiger Erfolg oft nur auf die Tatsache zurück geführt, dass Jakob die Kurfürsten bestochen habe, dass sie sozusagen gar nicht anders konnten, als den Kaiser zu wählen. Ist das ein so ungewöhnliches Phänomen? Ist McCain nicht auch mit sehr viel mehr Geld in den Wettlauf ums Weiße Haus gestartet als Barack Obama, der durch Google und Facebook und das Brechen aller Spendenrekorde mit 160 Millionen Dollar plötz-

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Clinton hatte 1992 zu George W. Bush gesagt: „It’s the economy, stupid.“ Ich denke, um Wirtschaftlichkeit – Geschäft und Geld  – darum ging es damals und heute. Die Kurfürsten sagten sich: Wer uns mehr Geld gibt, den machen wir zum Kaiser. Fugger war in der Lage, dieses Geld zu beschaffen. Für die kleinen Staaten, für die Verteidigung des Landes, für die Entwicklung der Wirtschaft. Dennoch ist es keine Frage, dass für die Absatzpolitik und die neuen Märkte die Wahl Karls V. für das Haus Fugger große Vorteile brachte. Jakob Fugger erlebte Zeiten großen Umbruchs, und er verstand die Veränderungen als Chance. Die Strömungen dieser Epoche spiegelten sich in seinem Leben – in seinem unternehmerischen Handeln und in seinem sozialen Engagement wie dem Bau der Fuggerei, der ältesten bestehenden Sozialsiedlung der Welt. Die Welt um 1500 – eine Schwellenzeit, genau wie heute. Die Parallelen zum 21. Jahrhundert liegen auf der Hand. Ein überhitztes Finanzsystem, Geld­mengen, Kredite, neue Finanzprodukte. Und schließlich die revolutionäre Kraft des Buchdrucks und die Erschließung neuer maritimer Verbindungen: Beides ist für uns vergleichbar mit der Erfindung des Internets. Die Seefahrtswege um die Welt sind heute das globale Netz, das Venedig und Antwerpen, Lissabon und Danzig, Genua und Sevilla in Nano-Sekunden verbindet. Jakob Fugger ist mit Kreativität, Offenheit und Innovationskraft mit den Veränderungen seiner Zeit gegangen. Er nutzte die neuen Distributionswege, schöpfte bis dato kaum genutzte Ressourcen, baute ein hervorragendes Informationssystem auf und pflegte sein weltumspannendes Netzwerk. Neue Produkte, neue Absatzwege, neue Zielgruppen – dieses gilt genauso heute für uns in einer Zeit, in der weltweit viel Unsicherheit herrscht. n Professor Hubert Burda wurde 1940 in Heidelberg geboren, studierte in München Kunstgeschichte und baute den Verlag seines Vaters zu einem großen europäischen Medien-Konzern mit Sitz in München aus. Sein spektakulärster Erfolg war die Gründung des Nachrichtenmagazins Focus. Der Text ist eine Zusammenfassung des Festvortrags „Jakob Fugger: Unternehmer in Zeiten des Umbruchs“. Burda hat für „überragende publizistische Erfolge“ die Jakob-Fugger-Medaille erhalten.

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AUGSBURG & SCHWABEN Kurt Gribl

„Wird scho was dran sei“

Foto: Siegfried Kerpf, Stadt Augsburg

Die Schwaben-Metropole Augsburg blickt auf eine 2000 Jahre lange und reiche Geschichte zurück

Vor seinem Arbeitsplatz, dem prachtvollen Renaissance-Rathaus: Dr. Kurt Gribl ist seit Mai 2009 Oberbürgermeister von Augsburg. Der 45-jährige Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht wurde in der Schwaben-Metropole geboren.

Augsburg! Das ist nicht einfach nur eine Stadt - wenngleich auch die drittgrößte in Bayern. Augsburg: Die Stadt der Fugger, Mozarts, Brechts und der Puppenkiste, des Dieselmotors, der Flugzeugindustrie und der modernen Carbonfasertechnik, auch Friedensstadt mit einem Feiertag im Jahr mehr als andere Städte (!) und FCA-Stadt auf dem Sprung in die 1. Bundesliga (!!). Die Stadt Augsburg, dieses vielfältig pulsierende Herz Schwabens an Lech und Wertach gelegen, das zugegeben auch seine ganz besonderen Eigenheiten hat, macht meistens ihrem Ruf als „nördlichste Stadt Italiens“ alle Ehre und bietet ihren Bewohnern einfach ein gutes (Lebens)Gefühl. Augsburg, das ist Botanischer Garten, Zoo, Plärrer und Sonnenbaden am Kuhsee – „aber fei erschd, wenn d´afa rum is.“ Die afa, also die Augsburger Frühjahrsausstellung, ist als große Verbraucher- und Trendschau für alle Fuggerstädter ein unbedingtes „must“.

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In Augsburg ist man selbstredend nicht „zuhause“, sondern „dahoim“. Eine Pfütze heißt „Batschlach“ und wo sprachlich das nachfragende „ach nee?“ klar als norddeutsche Floskel erkennbar ist, identifiziert sich der Hiesige mit einem verwunderten „heu?“ wahlweise auch „hoi?“ unzweifelhaft als „Augschburger“. Augsburger Mundart ist überall auch als solche erkennbar. Beredte Beispiele etwa aus der Welt des Fußballs sind Helmut Haller oder Bernd Schuster, auch Gerd Müller gehört zur Ball-Liga – obwohl der als gebürtiger Nördlinger ja ein „Rieser“ und eigentlich wieder etwas ganz anderes ist. Wir legen hier eben Wert auf regionale Herkunft und Identität. Augsburgs berühmtestes Beispiel dafür heißt ohne Frage Bertolt Brecht, dessen englische Einlassungen vor dem amerikanischen McCarthy-Ausschuss nicht nur inhaltlich von allergrößtem Unterhaltungswert, sondern vor allem sprachlich eine hinreißende Hommage an seine Heimatstadt sind. Oder „vatterstadt meines papa“, wie das „Wolferl“ Augsburg


AUGSBURG & SCHWABEN als die Geburtsstadt seines Vaters, Leopold Mozart, immer bezeichnet hat. Augsburg ist eine Stadt, die ihre Wurzeln pflegt und die es versteht, Potenzial daraus zu schöpfen. Gut, das war im Fall von Brecht nicht immer so. Aber das hat sich gewaltig geändert. Hätten wir sonst ein Brecht-Festival? Mozart steht sowieso außer Frage und was Augsburg sonst noch an kulturellen Vorzügen und Werten zu bieten hat, deckt die gesamte Palette von den römischen Ursprüngen über die Zeit als Freie Reichsstadt bis in die Gegenwart ab. Das prächtige Silber, das bei uns im 16. Jahrhundert für Fürsten und Könige in aller Welt gefertigt wurde, ist von unschätzbarem musealem Wert. Vor allem ist das Design für manche Kanne und Schale noch immer angesagt. Wer in anderen Städten einen Blick in situierte Antiquitätenläden wirft, wird nicht selten auch silberne Prunkstücke „Augsburger Machart“ entdecken. Da keimt dann schon Bürgerstolz auf, den wir Augsburger durchaus empfinden, aber eben nicht damit hausieren gehen. Wenn etwa der neue Popkulturbeauftragte der Stadt die Szene großartig aufmischt und vernetzt und deshalb plötzlich auch in Hamburg und Berlin zur gefragten Person wird, dann heißt es hier: „Ja mei - wird scho was dran sei, an dem“, was lapidar klingt, aber in Wirklichkeit als großes Kompliment gemeint ist. Aus wirtschaftlicher Sicht haben Augsburgs Wurzeln und was daraus gewachsen ist eine ganz spezielle Dimension. Mit Jakob Fugger (1459-1525), genannt „der Reiche“, kann Augsburg auf ein historisch ebenso einmaliges wie erfolgreiches Vorbild für

Innovationen legten den Grundstock zum Industriestandort Augsburg. einen frühen Global Player verweisen. Er war nicht nur der bedeutendste Vertreter seiner Familie in Augsburg, sondern auch der größte europäische Handelsherr der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Emsiges Werkeln, Tüfteln, Tun und Machen, Handeln und Geschäftemachen, vor allem aber Erfindungen haben in Augsburg Tradition und prägen den Geist dieser Stadt bis heute. Zu ihrer Wirtschaftsgeschichte gehören bahnbrechende Innovationen, die den Grundstock für Augsburg als international bedeutenden Industriestandort gelegt haben: Rudolf Diesel konstruierte hier den nach ihm benannten Motor, Carl Linde entwickelte eine Kältemaschine, die er bei der Maschinenfabrik Augsburg in Auftrag gab und Willy Messerschmitt produzierte erstmals ein Düsenflugzeug in Serie. Kein Wunder, dass sich Augsburg zu einem führenden Produktionsstandort für Maschinenbau sowie Mechatronik und Automation entwickelt hat. Darüber hinaus ist Augsburg in den 90er Jahren im Zuge der Clusterpolitik der Bayerischen Staatsregierung die führende Umweltstadt im Freistaat geworden. Hier haben zahlreiche Firmen ihren Sitz, die mit modernen Technologien und UmwelteffizienzLösungen als integrale Bestandteile der Produktionstechnik Kosten sparend produzieren. Vor diesem Hintergrund ist das Kompetenzzentrum Umwelt (KUMAS) entstanden. Dessen Ziel ist, mit Umwelttechnologien in Bayern nachhaltig Wertschöpfung zu ge-

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nerieren und qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu wird das Umwelt-Know-How von Unternehmen, Universitäten, Fachhochschulen und anderen Bildungseinrichtungen sowie Behörden und Gebietskörperschaften effektiv verknüpft und gefördert. Auch das Landesamt für Umwelt (LfU) – die zentrale Fachbehörde für Umwelt- und Naturschutz, Geologie und Wasserwirtschaft in Bayern - hat seinen Sitz in Augsburg. Wir können aber nicht nur mit Umwelttechnik, sondern auch mit ökologischen Maßnahmen punkten. Oft geht beim Thema „Öko“ der Blick hinüber nach Baden-Württemberg, ins Stammland der Grünen. Ich weise dann immer gerne darauf hin, dass wir den dort verpflichtenden Wert zur Reduzierung des CO2 -Ausstoßes in Augsburg schon vor fünf Jahren erreicht haben. Auch unsere Wurzeln als traditionsreiche Fliegerstadt werden gepflegt und auf die Zukunft hin entwickelt. Nicht von ungefähr heißt der Wirtschaftsraum auch Aerospace Area Augsburg, wo von Flugzeugteilen und –motoren bis hin zur Carbonfaser alles produziert wird. Augsburg ist dabei, sich zum führenden „Bayerischen Zentrum für Ressourceneffizienz“ zu entwickeln. So entsteht in unmittelbarer Nähe zur Universität mit dem künftigen „Innovationspark Augsburg“ Raum für dynamische Entwicklungs- und Forschungsprozesse sowie für Netzwerke zwischen Unternehmen, die alle gleichermaßen vom Einsatz der Faserverbund-Technologie profitieren. Auch die Ansiedlung der beiden Forschungseinrichtungen mit dem DLR-„Zentrum für Leichtbauproduktionstechnologie“ und der Fraunhofer-Projektgruppe „Funktionsintegrierter Leichtbau“ sind wesentliche Bestandteile des Zentrums für Ressourceneffizienz. Auf dem rund 80 Hektar großen Areal könnten bis zu 6000 Arbeitsplätze entstehen. In Rufweite davon hat Premium Aerotec (früher EADS) die neue Fertigungshalle gebaut, in der die Seitenschalen für das neue Langstreckenflugzeug A350 XWB gebaut werden. Hier heißt das Zauberwort „schwarzes Gold“, wie die Carbonfaser auch genannt wird. Der extrem leichte Hochleistungsverbundstoff hat für den Flugzeugbau und die Automobilindustrie enorme Bedeutung. Je leichter die Maschinen sind, desto weniger Kraftstoff wird verbraucht, was Kosten spart und damit einen Wettbewerbsvorteil bedeutet. Der Einsatz von Carbonfasern als speziellem Gewebe weist nicht zuletzt auch auf die lange Tradition Augsburgs als Textilstadt hin, die die Stadt noch bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts wirtschaftlich und kulturell geprägt hat. Mit dem Staatlichen Bayerischen Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim), das jetzt als erstes Landesmuseum in Augsburg eröffnet wurde, wird ein wichtiges Kapitel bayerischer Wirtschaftsgeschichte dokumentiert. „Du, des Kloid is aber jetzt fei scho net ganz wiascht“, sagt eine Augsburgerin zu ihrem Begleiter und schaut dabei sehnsüchtig in ein Schaufenster. „Moinsch?“, sagt er schwäbisch zurückhaltend, worauf sie schon die Ladentür öffnet. Diesen Dialog kann man nicht erfinden. Macht er doch in seiner Echtheit deutlich, dass es vielleicht nicht immer leicht ist, Augsburger zu verstehen, dass sich Augsburger aber klar bewusst sind: „Wir sind auch wer!“ Und dass das stimmt, hat Augsburg schon mehr als 2000 Jahre lang bewiesen. n

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BAYERN & KULTUR

Michael Weiser

Der Vertraute zweier Kaiser Conrad Peutinger – der brillante Jurist, Politiker und Gelehrte aus Augsburg Es war Augsburgs goldene Zeit. Hier saßen die Kaufleute, die ihr Netz über die gesamte bekannte Welt gespannt hatten und in deren Handelsimperien die Sonne schier nicht unterging, allen voran die Fugger und Welser. Hier liefen die Einnahmen aus Bergwerken in ganz Europa zusammen, von hier floss das Geld, das die Kür des Kaisers schmierte. Und was hätte die Augsburger besser von ihrem Rang als europäische Metropole überzeugen können als die Tatsache, dass der Kaiser selbst sich immer wieder in der alten Stadt aufhielt, zu politischen Geschäften ebenso wie zu Festen und zum Geldbeschaffen? Die Augsburger durften sich – in gegenseitiger Abhängigkeit – dem Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wahrlich besonders verbunden fühlen, ihrem Schuldner, Förderer und Schutzherr. Hätte das Reich in jenen turbulenten Zeiten an der Schwelle zur Renaissance so etwas wie eine Hauptstadt gekannt – man hätte sie an Lech und Wertach besuchen können. Der Mann, der viel zum Glanz jener Tage beitrug, hieß Conrad Peutinger, als brillanter Jurist, Politiker und Gelehrter einer der bedeutendsten Söhne Augsburgs. 1465 geboren, stammte er aus einer Kaufmannsfamilie, die seit über hundert Jahren in der Stadt ansässig war. Nach seinem Jurastudium in Italien trat er in die Dienste der Reichsstadt und rückte 1497 als Stadtschreiber an die Spitze der Verwaltung. Er führte nicht nur die städtischen Protokolle und Akten, sondern sprach als promovierter Jurist auch bei schwierigen Rechtshändeln ein wichtiges Wort mit. Außerdem war

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er so etwas wie Augsburgs Außenminister: Bei Reichstagen, aber auch gegenüber dem Schwäbischen Bund oder dem Kaiser vertrat er den Stadtstaat. Ein derart verantwortungsvolles Amt spricht für die Hochachtung, die auch die Patrizier Peutinger entgegengebrachten. Übrigens hatte Peutinger auch von der Hochzeit mit Margarete von Welser profitiert: Der Bund mit der Tochter eines der reichsten und angesehensten Augsburger Geschlechter hievte ihn in die Schicht knapp unterhalb des reichen Stadtadels. Schon während seines Jurastudiums war Peutinger mit dem Humanismus in Berührung gekommen und hatte sich mit römischen Inschriften und Altertümern beschäftigt – ein Interesse, dem er später in Augsburg treu blieb. Wohlgemerkt, es handelte sich um lateinische Schätze: Griechisch lernte er erst spät. Mit zahlreichen Großen seiner Zeit wurde er bekannt. Er verkehrte mit Gelehrten wie Conrad Celtis, Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus, erfreute sich aber auch bei Fürsten wie Friedrich dem Weisen großer Achtung. Gut vernetzt würde man den Juristen heute wohl nennen. Statt mit Xing und Facebook pflegte Peutinger seine Kontakte mit zahllosen Briefen und auf Reisen. Vor allem zu den Habsburgern entwickelte Peutinger ein enges Verhältnis. Schon 1488 war er Maximilian begegnet, dem „letzten Ritter“. Wenige Jahre darauf schon gehörte er zu den engsten Beratern des Herrschers, der ihm den Titel eines Doktors beider Rechte verlieh und ihn mit zahlreichen politischen und diplomatischen Aufgaben betraute.


BAYERN & KULTUR Der spätere Kaiser hatte allen Grund, sich mit dem Vertreter Augsburgs gut zu stellen: Maximilians aufwendiger Lebensstil, seine Liebe zum Prunk, aber auch seine zahlreichen Kriege verschlangen Unsummen. Immer mehr Gulden streckten die superreichen Fugger dem erlauchten Schuldner vor. Der hielt sich schließlich so oft in der Reichsstadt auf, dass er dort gleich ein Haus erwarb. Insgesamt über zweieinhalb Jahre verbrachte Maximilian, den man schließlich den „Bürgermeister von Augsburg“ nannte, in der Metropole, wobei er auch Ausflüge etwa nach Memmingen nicht verschmähte. Der stets klamme Habsburger wusste, dass im reichen Schwaben viel Geld zu holen war. In einer Zeit, da moderne Staatsstrukturen sich erst herauszubilden begannen, war der persönliche Kontakt viel, wenn nicht alles. Die Zeiten waren turbulent und voller Unruhe. Doch verhandelt wurde weiterhin in stillen Kämmerchen – und das oft mit dem gewieften und doch bei allen hoch angesehenen Juristen Peutinger. Es war die Zeit des Frühkapitalismus, in denen einzelne Familien kleinere Betriebe verdrängten, die Konkurrenz aus dem Feld schlugen und unglaubliche Summen anhäuften. So finanzstark wie die hundert größten deutschen Unternehmen des ausgehenden 20. Jahrhunderts zusammengenommen, schätzt der Wirtschaftsjournalist Günther Ogger allein die Fugger. Die Kritik an Syndikaten und Monopolen wuchs und drohte in Unruhen zu münden. Auf verschiedenen Reichstagen machte man Anstalten, die Macht der großen Handelshäuser einzuschränken. Es war vor allem der scharfsinnige und dem Reichtum ver-

Der Spin Doctor an der Schwelle zur Renaissance. pflichtete Peutinger, der – lange vor John Locke - das Gewinnstreben theoretisch untermauerte und legitimierte: „Es ist ehrenhaft, dem eigenen Nutzen zu dienen, denn es gereicht allen Reichen, Provinzen und Herrschaften zum allgemeinen und besonderen Vorteil, und auch der Staat hat ein Interesse an reichen Untertanen.“ Ohne die gewaltigen Mittel der Handelsherren müsse man wichtige Felder der Wirtschaft brachliegen lassen. So aber würden große Unternehmungen gestartet, die Handelsströme nach Augsburg gelenkt und Arbeit für viele geschaffen. Der Kaiser, durchaus abhängig von Fugger und Co., tat das seine, den Streit zugunsten des freien Marktes zu entscheiden. Von Peutinger konnte der Kaiser kein Geld erwarten, aber etwas nicht minder Wertvolles: Prestige und Legitimation. Als ein Spin Doctor an der Schwelle zur Renaissance redigierte und unterfütterte Peutinger die Ruhmes- und Erinnerungsliteratur für den Herrscher, war beteiligt an Maximilians Selbstdarstellungen im „Weiskunig“ und „Theuerdank“ und organisierte die Arbeit der Künstler und Handwerker für das Innsbrucker Grab Maximilians (der dann allerdings in Wien die letzte Ruhe finden sollte). Das Bildprogramm des Kenotaphs dürfte Peutinger ebenfalls mitbestimmt haben. Er machte sich an eine Kaisergeschichte, die von Caesar bis Maximilian reichen sollte – damit hätten die Habsburger ihre Abstammung letztlich bis auf den trojanischen Helden Aeneas zurückführen können. Auch in profaneren Angelegenheiten griff Maximilian auf die Dienste Peutingers zurück: Einmal beauftragte er ihn mit einer Auflistung antiker Frauennamen, zur Benennung von – Kanonen! Wie innig der Kontakt zwischen Kaiser und dem Diplomatengelehrten war, berichtet der Münchner

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Mit der „Augsburger Konfession“ wurde Luthers Prothestantismus am 25. Juni 1530 als Staatsreligion anerkannt.

Historiker Andreas Gößner: Einmal hieß die knapp vier Jahre alte Peutinger-Tochter Juliane den Herrscher auf lateinisch willkommen. Bei einem anderen Kaiserbesuch krönte 1517 Maximilian den Dichter Ulrich von Hutten zum Poeta Laureatus, und Peutingers Tochter Konstanze flocht den Kranz. Peutinger spielte auch in einer Angelegenheit von weltgeschichtlicher Tragweite eine Rolle: Er gehörte zu den Männern, die im persönlichen Gespräch mit Martin Luther die Risse in der Kirche zu kitten versuchten. Peutinger selbst hatte das Treiben in Rom schon lange vor Luther harsch kritisiert – allerdings unbeschwert von theologischen Einwänden. „Die Tatsachen werden verdreht, Entscheidungen werden gefällt nur aus der Absicht, dem Interesse der Bürgerschaft entgegenzusein; und dies alles geschieht unter dem Schein der Religion“, schrieb er. „Denn ich erblicke die ganze römische Kurie so mit aller Verderbnis angefüllt, dass der Ehrenhaftigkeit kaum mehr ein wenig Raum bleibt. Alles sehe ich hier käuflich, von ganz oben bis ganz unten. Man lobt die Intrige, die Verstellung, die Speichelleckerei.“ Peutinger begrüßte Luther in aufrichtiger Sympathie, hoffte allerdings, die Kirchen möge schiedlich-friedlich reformiert werden, durch einträchtiges Zusammenwirken von Kaiser und Konzil. Dieser mittlere Weg aber war eine Sackgasse. Die Fronten verhärteten sich, der Kaiser ergriff Partei, und unter Karl V. – auch mit ihm war Peutinger vertraut – steuerte das Reich auf Zeiten der Konfrontation zu. Als Peutinger, mittlerweile ins Patriziat aufgestiegen und von Karl V. mit dem erblichen Adel belohnt, im Dezember 1547 starb, hatte jener katholische Karl die evangelischen Fürsten im Schmalkaldischen Krieg niedergerungen. Schon wenige Jahre später schlug das Pendel auf die andere Seite aus, im Religionsfrieden von Augsburg 1555 durften beide Seiten nochmals hoffen, ein Auskommen gefunden zu haben. Die Bibliothek Peutingers, vielleicht die größte private Büchersammlung nördlich der Alpen, ist längst in der Staatsbibliothek aufgegangen. Was erinnert heute noch an Conrad Peutinger? Eine Tafel an seinem Wohnhaus, unweit des Augsburger Doms, einige historische Schriften, römische Altertümer, vor allem aber jene wertvolle römische Straßenkarte, die ihm Conrad Celtis vermacht hatte, die berühmte „Tabula Peutingeriana“. Und das Peutinger Collegium trägt seinen Namen, das noch heute in seinem humanistischen Sinne dem freien Austausch der Gedanken frönt. n Michael Weiser, 43, gebürtiger Münchner, studierte an der LudwigMaximilian-Universität München Geschichte und Politik. Er war Redakteur beim Münchner Merkur und leitet das Kulturressort beim Bayernkurier.

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AUGSBURG & SCHWABEN

Mit Schwaben-Technik ins Weltall

MT Aerospace aus Augsburg lässt  „Ariane“ abheben

„Krisenzeiten öffnen neue Perspektiven für innovative Industrien. Gute Ideen, Lösungen für große Herausforderungen und mehr Effizienz sind gefragt. Die Luft- und Raumfahrt ist für die deutsche Wirtschaft ein entscheidender Wachstumsmotor. Unser Unternehmen kann weiter wachsen und der Technologiestandort Bayern, an dem mehr als 50.000 Menschen mit Luft- und Raumfahrt beschäftigt sind, bietet uns dafür beste Voraussetzungen“, so Hans Jürgen Steininger. Der Vorstandsvorsitzende des Augsburger Technologie­unternehmens MT Aerospace AG vertritt einen der wichtigen europäischen Player in diesem Geschäft. Im beschaulichen Augsburg wird viel getan, um sich mit neuen Entwicklungen und hocheffizienten Fertigungstechnologien gegen europäische und weltweite Konkurrenz durchzusetzen. Mit großem Erfolg: Bei MT Aerospace wurden seit 2005 rund 180 der heute 700 Arbeitsplätze neu geschaffen, die Gesamtleistung stieg um gut 70 Prozent. Entscheidend war dabei das Know-how aus 40 Jahren Forschung und Entwicklung, gepaart mit dem Pragmatismus eines mittelständischen Unternehmens, das von kurzen Wegen und schnellen Entscheidungen profitiert. Die MT Aerospace AG ist heute ein unverzichtbarer Partner in wichtigen europäischen Programmen der Luft- und Raumfahrt: von Ariane bis Airbus. Weltweit gehören viele der großen Hersteller zu ihren Kunden.

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© ESA - S. Corvaja 2005

Knowhow aus Bayern fliegt mit: Start einer Ariane-Rakete vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana.


AUGSBURG & SCHWABEN Es begann mit der europäischen Erfolgsgeschichte „Ariane“ Seit 1969 ist MT Aerospace fester Bestandteil des bedeutendsten europäischen Raumfahrtprogramms: der Trägerrakete „Ariane“. Als größter deutscher Zulieferer versorgt der Mittelständler die Europa-Rakete mit Tanks und Strukturbaugruppen für durchschnittlich sieben Träger pro Jahr. Dazu leisten nicht allein die Mitarbeiter am Entwicklungs- und Fertigungsstandort Augsburg ihren Beitrag. Auch die Experten der MT-Tochtergesellschaft am Weltraumbahnhof Kourou in

Höchste Präzision zu niedrigstem Gewicht: Ein Tankdom der Zentralstufe der Ariane 5 (rechts) wird von innen zur optischen Geometrievermessung vorbereitet (links). Bild rechts: Tankdom für die Zentralstufe der Ariane 5.

Französisch-Guyana sorgen für den wirtschaftlichen Betrieb des europäischen Trägers Ariane 5. Vor rund 30 Jahren knallten dort beim Start der ersten ArianeRakete die Sektkorken. Es war die Geburtsstunde der europäischen Raumfahrt, als die 47 Meter lange Rakete mit 1,85 Tonnen Nutzlast in den Orbit abhob. Der erfolgreiche Flug ins All bewies den damaligen Raumfahrtnationen USA und Sowjetunion, dass auch die Europäer in der Lage sind, ein Raketenprogramm zu stemmen. Diese „Ariane 1“ wurde kontinuierlich weiterentwickelt. Seit 2002 bis heute fliegt die bisher leistungsfähigste Version, die Ariane-5-Rakete, die Satelliten mit einem Gewicht von bis zu 9,1 Tonnen transportieren kann. Seit dem ersten Ariane-Start in 1979 wurden die Raketentriebwerke inzwischen an die 200 Mal erfolgreich gezündet. Sechs bis sieben Mal pro Jahr befördern die Ariane-Träger Satelliten oder Transportlast für die internationale Raumstation ISS in den Weltraum. Bis ins Jahr 2014 hat sich die Betreibergesellschaft „Arianespace“ mit insgesamt 35 bestellten Ariane-5Trägerraketen die Weiterführung der Starts gesichert.

Trägerrakete aus, darunter Tanks und lasttragende Strukturen. Damit steuert das Unternehmen außerhalb von Frankreich den größten Lieferanteil zur Hardware der europäischen „Ariane“ bei. Übernommen hat sie ihn von den MAN-Werken, aus denen die MT Aerospace AG im Jahr 2005 hervorging. Wer einen Blick in die High-Tech-Fertigung von MT Aerospace wirft, bekommt ein Gefühl für die Dimensionen des Endprodukts „Ariane“, die Präzision und Leidenschaft der hoch qualifizierten Mitarbeiter für ihr Produkt. Mit modernsten Technologien werden 20 Meter hohe Feststoff-Motorengehäuse aus dünnwandigem Hochleistungsstahl geformt, 5 Meter große Aluminium-Schalen zu Treibstofftanks für Flüssigwasserstoff verschweißt und Faserverbundbauteile in komplexe Tragstrukturen integriert.

Europa hält am Raketenprogramm fest Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten halten die Europäer an einem eigenen Raketenträgersystem fest. Es ist die Voraussetzung für einen unabhängigen Zugang Europas zum All. Grund genug für den schwäbischen Systemlieferanten MT Aerospace, ebenfalls weiter auf seine Stärken zu bauen. Und dies tut er konsequent: „Um auch zukünftig ein gefragter Entwicklungsund Fertigungspartner zu sein, setzen wir auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte, einen permanenten Ausbau unserer Fähigkeiten sowie auf die Weiterentwicklung modernster Technologien“, erklärt Hans Jürgen Steininger. „Für die neue Ariane-Oberstufe, die ab 2016 fliegen soll, entwickeln wir beispielsweise einen neuen Treibstofftank, der 20 Prozent leichter sein wird.“ Der Blick in die Zukunft Mit Entscheidungen über Raumfahrtprojekte werden strategische Weichen gestellt, die für die Rolle Deutschlands in Europa und die hier ansässige Industrie auf Jahrzehnte hin wirken. Diesen Aspekt der Langfristigkeit verdeutlicht das Ariane-Programm eindrucksvoll. So erstaunt es nicht, dass das Augsburger Unternehmen schon jetzt seinen Blick in die Zukunft richtet – auf die nächste Generation der Ariane-Rakete. Ein Nachfolgemodell der Ariane 5 kann die Arbeitsplätze am Standort Augsburg für 30 bis 40 Jahre sichern. Ob das Ariane-6-Programm tatsächlich verwirklicht wird, entscheidet die Europäische Weltraumbehörde in den nächsten Jahren. Für die MT Aerospace AG ist es daher wichtig, bereits heute neue Technologien aufzubauen, die dem Unternehmen eine vielversprechende Rolle in diesem Zukunftsprojekt ermöglichen und die Hightech-Branche im Freistaat weiter stärken. n www.mt-aerospace.de „Ohne unsere Bauteile käme Europa nicht ins All“: Hans Jürgen Steininger, seit 2007 Vorstandsvorsitzender der MT Aerospace AG in Augsburg.

Größter Zulieferer der „Ariane“ – mit Sitz in Augsburg „Ohne die hier produzierten Bauteile käme Europa nicht ins All. Von uns ist daher höchste Zuverlässigkeit bei Termin und Qualität gefordert“, betont MT Aerospace-Vorstandschef Steininger. Was der mittelständische Zulieferer tagtäglich produziert, macht zusammengerechnet immerhin 10 Prozent der Bayerischer Monatsspiegel 155_2010

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AUGSBURG & SCHWABEN Peter Schmalz

Von Puppen und Helis beflügelt Donauwörth entwickelte sich zu einem starken Wirtschaftsstandort Optimal im Dreieck zwischen Nürnberg, Augsburg und Ulm gelegen, hat sich Donauwörth zu einem starken Wirtschaftzentrum in Nordschwaben entwickelt. Dafür stehen beispielhaft zwei Namen: Die weltweit berühmten KätheKruse-Puppen und die weltweit erfolgreichen EurocopterHubschrauber. „Bei 18 000 Einwohnern“, sagt Oberbürgermeister Armin Neudert (CSU) stolz, „haben wir in der Stadt über 12 000 Arbeitsplätze.“ Das Römische Reich war gerade zerfallen, als um das Jahr 500 herum Fischer am Zusammenfluss von Donau und Wörnitz ihre Siedlung aufschlugen, und das erste Jahrtausend war fast vollendet, da wurde die erste Donaubrücke eröffnet. Was, lange bevor München seine Isar-Brücke bekam, den Handel zwischen Regenburg und Ulm beflügelte. Im Mittelalter wohlhabend, sank jedoch die Bedeutung der einst Freien Reichsstadt. Erst nach dem Krieg, der noch im April 1945 schwere Zerstörungen brachte, begann anfangs langsam und dann stürmisch der neue Aufschwung. „Die Donauwörther haben klug und beherzt ihre Chancen erkannt und genutzt“, urteilt Georg Schmid, der im Landtag die CSU-Fraktion anführt und der bei Wahlen in Donauwörth schon bayerischer Stimmenkönig wurde. Zwei Ereignisse haben dem Aufschwung Flügel gegeben: Käthe Kruse floh mit ihrer berühmten Puppenproduktion vor den Kommunisten aus dem sachsen-anhaltischen Bad Kösen nach Donauwörth, wo heute drei erfolgreiche Geschäftszweige arbeiten: die Puppensparte, die Baby- und Kleinkinderabteilung und der Bereich Mode. Zudem locken wechselnde Ausstellungen ins Käthe-Kruse-Museum, das im ehemaligen Kapuzinerkloster untergebracht ist. Mit 65 Mitarbeitern vor Ort (weitere 500 Frauen nähen die wertvollen Puppen in Lettland) trägt der Betrieb nur wenig zur Gesamtzahl der örtlichen Arbeitsplätze bei, doch seine Puppen verbreiten den Namen der Stadt um den Erdball und veranlassen Tausende aus dem In- und Ausland, alljährlich die Geburtsstadt der kleinen Kuschelkinder zu besuchen.

Zugewandert aus der Sowjetzone: Die in aller Welt begehrten Käthe-Kruse-Puppen.

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AUGSBURG & SCHWABEN

Schwarzes Gold Region Augsburg wird Kompetenzzentrum für Carbonfaser

Gehört zur Erfolgsgeschichte von Donauwörth: Der Kampfhubschrauber „Tiger“, ein Produkt von Eurocopter.

Interessierte aus aller Welt lockt auch Eurocopter. Der Hubschrauber-Produzent, eine hundertprozentige Tochter des Luftund Raumfahrt-Konzerns EADS, ist nicht nur Weltmarktführer bei den zivilen Helikoptern, er entwickelt und baut auch die modernsten Militärhubschrauber. Der Kampf-Heli „Tiger“ und das Transport-Modell „NH90“ sind nur zwei Beispiele dafür. Von den 16 000 Beschäftigen an 18 Standorten arbeiten 5 400 in Donauwörth, das mittlerweile als „Hubschrauberstadt Europas“ bezeichnet wird. Schon 1952 begann hier der Flugzeugbau. Vor allem mit der Wartung, dem Lizenzbau und später mit der Komponentenfertigung für Airbus wurden die Bilanzbücher gefüllt.

„Klug und beherzt die Chancen erkannt und genutzt“. Das ist noch heute ein wertvolle Betriebszweig – so werden in Donauwörth für den großen A 380 die Türen gefertigt und auch die Tankschalen für die Europarakete Ariane. Der Durchbruch in neue Dimensionen gelang, nachdem 1992 das deutschfranzösische Unternehmen Eurocopter geschmiedet wurde. Über 10 000 Eurocopter-Hubschrauber fliegen für über 2 800 Kunden in 140 Ländern. Um einen 20-Milliarden-Auftrag wird gerade in Indien gefochten. Und wie sehr die Großen auch die Kleinen beflügeln, zeigt der Erfolg des Projektentwicklers MR Plan. Firmengründer Claus Mayer, einst Eurocopter-Angestellter, arbeitet nach dem Motto „Gut geplant ist schon gewonnen“. Sein erst 15 Jahre altes Unternehmen ist heute mit 90 Mitarbeitern ein international tätiger Spezialist für Fabrikplanung und Projetmanagement. Mayers Mannschaft liefert nicht nur die Hülle, sondern optimiert die Prozessabläufe, wobei Kosteneffizienz und höchstmögliche Flexibilisierung angestrebt werden. Sein jüngstes Projekt: Ein neues Airbus-Werk in Augsburg, in dem mit dem Zukunftswerkstoff Carbon gearbeitet werden wird. Der Erfolg der örtlichen Unternehmen wirkt sich auch erfreulich auf die Stadtkasse aus. Vor acht Jahren zum Oberbürgermeister gewählt, übernahm Armin Neudert mit 24 Millionen Euro einen relativ niedrigen Schuldenstand. Und obwohl die Stadt seither rund 40 Millionen investiert hat, konnten nochmals rund 10 Millionen Schulden abgebaut werden. „Schwaben“, schmunzelt Georg Schmid, „können halt mit Geld umgehen.“ n www.donauwoerth.de

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Der einstige Textilstandort Augsburg und Schwaben treibt neue Blüten: Mit dem Werkstoff Carbon knüpft man an die vergangene Webertradition an und schafft ein wirtschaftliches Potenzial für die Zukunft. Faserverbundwerkstoffe werden heute vor allem im Flugzeugbau, für Sportgeräte und in der Medizintechnik verwendet. Werkstoffe aus Carbonfasern sind wesentlich leichter als andere Materialien und bieten dank ihrer hohen Festigkeit dennoch Stabilität und Sicherheit. Carbon gilt als Werkstoff der Zukunft. Schon spricht man vom „Schwarzen Gold Schwabens“. Die Region ist bereits gut gerüstet: In Meitingen bei Augsburg sitzt mit der SGL Group, Europas größter Hersteller der Mikrometer dünnen Carbonfasern, die Fraunhofer-Gesellschaft und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) forschen vor Ort, zudem öffnet bald der neue “Augsburg Innovationspark“. Wissenschaftler und Praktiker aus den Unternehmen arbeiten im Schulterschluss daran, das schwarze Gold und seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten zu optimieren. Vorteil des Standortes Schwaben ist, dass sich hier viele Anwender tummeln, wobei mit Premium Aerotec, EADS Military Air Systems (beide in Augsburg), Eurocopter, MT Aerospace (beide in Donauwörth), Grob in Mindelheim oder Liebherr Aerospace im Allgäu. die Luft- und Raumfahrt besonders stark vertreten ist. Aber auch Kuka (Roboter), manroland AG (Druckmaschinen oder die Autobauer BMW und haben großes Interesse an der Massenfertigung von Carbonteilen. Im nächsten Schritt soll die bisher weitgehend auf geringe Stückzahlen und Manufaktur ausgelegte Produktion zur Serienreife, beispielsweise in der Automobilindustrie, gebracht werden. Denn die zukunftsträchtigen, mit neuen Antriebssystemen ausgestatteten Pkw und Lkw müssen Gewicht sparen – Faserverbundwerkstoffe sind hier ein vielversprechender Ansatz. Auch im Maschinenbau setzt man auf den korrosionsbeständigen, schwingungsfesten und leitfähigen Werkstoff Carbon. Seit drei Jahren sind Unternehmen und Wissenschaft zudem durch den „Carbon Composites e.V.“ (CCeV), einen Interessensverband mit inzwischen fast 100 Mitgliedern, vernetzt. „So wird Augsburg“, lobt Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil, „national und international ein Dreh- und Angelpunkt für CFK-Technologien.“ n DK Viel dünner als ein Menschenhaar, biegsam, reißfest und hitze­ beständig: Die Carbonfaser ist ein Werkstoff des 21. Jahrhunderts.

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Photo: M.L.Preiss/Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn

AUGSBURG & SCHWABEN

Angela Pfotenhauer

Beten und arbeiten Auch der Bundespräsident schätzt das Kloster Roggenburg

Der rote Bauhelm ist ein starker Farbkontrast zum langen weißen Gewand, dem traditionellen Habit eines Prämonstratenserpaters. Für Pater Gilbert gehört der Helm seit Monaten zur alltäglichen Kleiderordnung. Er ist ihm Pflicht und Schutz, wenn der Provisor – also der Ökonom – des Roggenburger Konvents von seinem Klosterzimmer aus nur wenige Meter hinüber zur Großbaustelle geht, wo er als Bauherr darüber wacht, dass die im vergangenen Jahr begonnen Arbeiten am Konventsgebäude zügig vorangehen. Bis 2014 sollen die umfangreichen Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein, die schon im vorigen Jahrhundert in der barocken Klosterkirche begonnen wurden. Sand im Sommerrefektorium und ein lärmender Bagger im Hof gehören inzwischen zum Alltag der kleinen Klostergemeinschaft von 14 Chorherren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, eines der prächtigsten Barockklöster Bayerns für die nächsten Generationen zu bewahren. So wird die alte Kloster-Regel „ora et labora“ für den Konvent unter der Leitung von Abt Hermann Josef Kugler noch jahrelang eine große Herausforderung bleiben. Wobei er und seine Patres sich höchster Aufmerksamkeit gewiss sein dürfen: Im Oktober vergangenen Jahres besuchte Bundespräsident Horst Köhler das Kloster, begleitet von Theo Waigel, zu dessen 70. in der schwäbischen Klosteranlage eine Karikaturenausstellung eröffnet wurde. Der Ex-Bundesfinanzminister

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aus dem nahen Ursberg ist ein engagierter Förderer des Klosters. Und Horst Köhler hatte 1998 schon als Sparkassenpräsident eine Million Mark dem Kloster zukommen lassen. Die mächtige Klosteranlage liegt auf dem höchsten Punkt der waldreichen Region südlich von Neu-Ulm. Zum beliebten Kinderparadies „Legoland“ sind es 20 Autominuten. Ihr Ursprung geht auf Norbert von Xanten zurück, der im 12. Jahrhundert Diplomat am Kaiserhof war und als Wanderprediger zum Ordensgründer wurde. 1120 gründete er im Tal von Premontré bei Laon (nördlich von Reims) eine Gemeinschaft, die sich am Stil der Urkirche orientierte. Die Prämonstratenser bildeten – im Unterschied zu den Mönchen – nach der Augustinusregel eine klösterliche Gemeinschaft von Priestern mit Ordensgelübde. Roggenburg geht auf eine Stiftung des Grafen Bertold von Bibereck aus dem Jahr 1126 zurück, die ersten Prämonstratener kamen aus dem Kloster Ursberg. Großer Waldbesitz bildete das wirtschaftliche Fundament für die prächtige Barockanlage, die im 18. Jahrhundert errichtet wurde. Mit der Säkularisierung kam jedoch auch für Roggenburg das Ende des klösterlichen Lebens. Militär besetzte 1802 die Anlage, der Konvent wurde aufgelöst und der letzte Abt seines Amtes enthoben. Der Wald fiel in Staatsbesitz, wo er heute noch ist. Erst 1982 kehrte langsam wieder geistliches Leben in die alten Mauern zurück. „Mit zwei Patres sind wir hierher gezogen“, erinnert sich Pater Gilbert. R

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AUGSBURG & SCHWABEN Zehn Jahre später wurde das Kloster ein abhängiges Priorat der niederbayerischen Abtei Windberg. Inzwischen leben 14 Chorherren in Roggenburg, die das Klosterleben tatkräftig und auch zum Nutzen der gesamten Region ausgebaut haben. Eine Bildungsstätte für Familie, Umwelt und Kultur ist entstanden, ein Museum und eine Klostergaststätte wurden eröffnet und der Prälatengarten hergerichtet. Das Klosterhotel ist bei Familien beliebt, im Klosterladen werden auch Weine aus klösterlichem Anbau angeboten. Das geistliche Kulturangebot der 14 Chorherren lockt Interessierte und Meditationsbesucher aus Nah und

Die Roggenburger Patres sind die jüngste Klostergemeinschaft in Bayern. Fern. Ein illustrer Freundes- und Förderkreis, zu dem auch der CSU-Ehrenvorsitzende Waigel zählt, steht den Patres tatkräftig zur Seite. Mit einem bemerkenswert niedrigen Altersdurchschnitt von 40 Jahren ist Roggenburg die jüngste Klostergemeinschaft in Bayern. Prior Pater Rainer sieht bei all dem Wirbel und Trubel der letzten Monate und in der räumlichen Einschränkung für sich und seine Mitbrüder keineswegs nur eine Belastung. Er empfindet die – nicht zuletzt auch finanziell für die Gemeinschaft schwierige – Gesamtsanierung als willkommene Aufforderung,

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) ist eine private Stiftung mit Sitz in Bonn. In diesem Jahr kann sie auf ihr 25-jähriges Bestehen zurückblicken: Seither konnte die DSD bei 3.600 Projekten mit mehr als 430 Millionen Euro helfen. In Bayern unterstützt sie bislang 147 Kulturdenkmale, darunter fünf Klöster wie das hier vorgestellte in Roggenburg. Die Stiftung ist vor allem auf Spenden angewiesen, erhält jedoch auch erhebliche Hilfe durch die Lotterie GlücksSpirale und die Rentenlotterie von Lotto. www.denkmalschutz.de

nicht nur die Gebäude, sondern auch das innergemeinschaftliche Leben zu erneuern und zu überdenken. Gerade in der äußeren Veränderung sieht er für die traditionsreiche und bald 890 Jahre alte Chorherrengemeinschaft eine Chance, sich wieder verstärkt auf die Grundlagen des Ordens zu besinnen. Sich wieder nach innen wenden, während das Äußere gereinigt wird. Sich auf das Wesentliche besinnen, während der Alltag den Menschen fordert. Gereinigt im wörtlichen Sinne wurde im Kloster Roggenburg seit 2009 tatsächlich vieles; die Gäste können schon nach wenigen Monaten Sanierungsarbeit über die neu erstrahlte Farbenpracht der mehr als 250 Jahre alten Deckenfresken im Kapitelsaal und im Sommerrefektorium staunen. Den Löwenanteil der Sanierungskosten, die mit 18,8 Millionen Euro veranschlagt werden, tragen der Freistaat Bayern, das Bistum Augsburg, der Bezirk Schwaben, der Landkreis Neu-Ulm und die Gemeinde Roggenburg. Die große Herausforderung für die 14 Patres, die selbst sehr bescheiden leben, besteht jedoch darin, den enormen Eigenanteil von 3,7 Millionen Euro durch Spenden von Privatleuten, Firmen und Institutionen aufzubringen. So hat im August vergangenen Jahres die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den Konvent mit einem Fördervertrag über 150.000 Euro unterstützt, die Kurt-und-Felicitas-Viermetz-Stiftung gab für die Renovierung 150.000 Euro. Um den gesetzlich vorgeschriebenen Eigenanteil aufzubringen, arbeiten die Chorherren intensiv daran, den Bildungs-, Kulturund Restaurantbetrieb ebenso wie alle Angebote rund um Seelsorge, Gottesdienste, Tagungen und Konzerte aufrecht zu erhalten. „Für uns“, sagt Pater Gilbert, „ist es wichtig, dass Roggenburg während der gesamten Sanierung das beliebte Zentrum für Bildungs-, Jugend-, Familien- und Sozialarbeit bleibt, zu dem es sich in den vergangenen 30 Jahren entwickelt hat.“ n www.kloster-roggenburg.de Dr. Angela Pfotenhauer, geboren 1963 in Köln, Bauhistorikerin, arbeitet als Buchautorin zu kulturhistorischen Themen. Unter anderem erscheint von ihr seit zehn Jahren die Buchreihe „monumente edition“, die von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz herausgegeben wird.

Photos: M.L.Preiss/Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn

Eingebettet im schwäbischen Jura liegt das 1126 gegründete Kloster Roggenburg im Landkreis Neu-Ulm (rechts unten). Sorgsam wird das Deckengemälde im Kapitelsaal restauriert (rechts oben). Das Sommerrefektorium wird seit Frühjahr 2009 saniert, bis 2014 sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein (links).

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AUGSBURG & SCHWABEN Walter Kurt Schilffarth

Monopol mit Vielfalt Schwabens bunte Medien-Palette

Auf den ersten Blick ist Bayrisch-Schwaben von dem, was man Medien-Vielfalt nennt, meilenweit entfernt. Während um die Lesergunst in München fünf große Tageszeitungen kämpfen, ruht das Land zwischen Allgäu und Donau fest in der Hand eines einzigen Verlagshauses. Die Augsburger Allgemeine wurde mit der der Lizenz Nr. 7 im Spätsommer 1945 von der amerikanischen Militärregierung als Schwäbische Landeszeitung aus der Taufe gehoben. Von da an ging’s steil bergauf. Die Gesamtauflage beträgt heute 340.000 verkaufte Exemplare. Mit ihren 24 Heimatausgaben ist die AZ – vor der Süddeutschen Zeitung und dem Münchner Merkur – Bayerns größte Abo-Zeitung; in der Bundes-Rangliste glänzt man auf Platz drei. Eine ernsthafte Konkurrenz hat es im Laufe der Jahre nur einmal gegeben. 1964 wollte das Fürstenhaus von Waldburg zu Zeil, Eigentümer der in Leutkirch (Oberschwaben) erscheinenden Schwäbischen Zeitung, den zum Verkauf stehenden Allgäuer übernehmen. Der vierjährige „Zeitungskrieg“ um die Presse-Hoheit im Alpenland endete mit der Gründung des Allgäuer Zeitungsverlags. AZ und Fürst einigten sich 1968 friedlich auf je eine Hälfte der Anteile, wobei der Mantelteil der acht im Allgäu erscheinenden Ausgaben von der Augsburger Zentralredaktion geliefert wird. Nach dem Motto, die beste Konkurrenz ist die, die man sich selber macht, verstand es die Verlegerfamilie Frenzel-Holland neben dem Geschäft der Tageszeitung sowie einer Vielzahl von Anzeigenblättern eine hochmoderne Medienpalette zu etablieren, die bundesweit beispielhaft ist. Das Online-Angebot (augsburger-allgemeine. de) zählt zu den erfolgreichsten Internet-Angeboten der deutschen Regionalzeitungen. Monatlich kommt man auf etwa 2,5 Millionen Internet-Besuche, der Verlag im Allgäu (all-in.de) verzeichnet 700.000 Klicks. Dazu kommen Beteiligungen an regionalen TV-Stationen, Lokalradio-Sendern, Media-Produktionsgesellschaften sowie Druckereien und Logistik-Unternehmen. Die von Verlegerin Ellinor Holland mit großem Engagement geleitete Stiftung „Kartei der Not“ ist eines der wichtigsten Hilfswerke für Bedürftige im Regierungsbezirk Schwaben. In dem Buch „Lizenz Nr. 7 – Die Geschichte der Augsburger Allgemeine“ schildert Haug von Kuenheim die schwäbische Erfolgsgeschichte. Ja, fragt sich der Beobachter, ist denn da vielleicht auch noch Platz für andere, nicht dem Hause AZ zugehörige Medien? In der Tat. Im Raum Neu-Ulm, an Bayrisch-Schwabens westlichem Rand, liest man die Südwest-

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presse (Auflage 63 000), im früher altbaierischen Aichach hält sich tapfer die Aichacher Zeitung (Auflage 8 600), sonntags sorgt in der Region Augsburg seit drei Jahren das Gratis-Blatt Neue Sonntagspresse (Auflage 50 000) für Furore und im gleichen Verbreitungsgebiet und darüber hinaus steckt die Stadtzeitung einmal wöchentlich in jedem Briefkasten. Bald den 40. Geburtstag feiern kann das Augsburg Journal. Mit durchschnittlich 148 farbigen Seiten dominiert das beliebte Stadt-

Schwäbischer Zeitungskrieg brachte neues Verlagshaus. magazin klar den Markt der Monats-Publikationen und bereichert den Blätterwald obendrein mit dem begehrten „Augsburg Jahrbuch“ sowie Hochglanz-Extra-Ausgaben zu gesellschaftlichen Highlights wie dem Augsburger Opernball. Gelegentlich zählt auch den BayernTeil der Süddeutsche Zeitung zur schwäbischen Medien-Landschaft. Manchmal auch als Organ unfreiwilligen Humors, wenn der stets auf provinzielle Schwachstellen Schwabens fixierte Berichterstatter den Namen des Augsburger Oberbürgermeisters verwechselt. Man braucht kein Google-Experte zu sein, um im Internet unter „augsburg“ fündig zu werden. Aktuelles gibt es hier sogar von einer lokalen Online-Zeitung. Und nicht zu vergessen das flotte FunkProgramm von „Radio Fantasy“, welches sich vom Teenie-Workshop zum angesagten Kult-Sender der jungen Augsburger gemausert hat. Fazit: Die unbestrittene Vorherrschaft der Augsburger Allgemeinen als Zeitung des Tages lässt kreativen Medienmachern immer noch beträchtliche Entfaltungsmöglichkeiten, von denen vor allem im lokalen Bereich reichlich Gebrauch gemacht wird. In der Summe also – auf den zweiten Blick – steht Bayrisch-Schwaben, was die sogenannte Medien-Vielfalt betrifft, doch ganz gut da. n Walter Kurt Schillffarth, 1938 in Augsburg geboren, begann bei der Augsburger Allgemeinen, gründete 1964 die Wochenzeitung Schwäbische Neue Presse und machte sich als Verleger selbstständig. Neben mehreren Blättern gründete er 1987 dem Lokalsender Radio Kö und ist heute Herausgeber des Monatsmagazin Augsburg Journal.

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BAYERN & KULTUR Wolfgang Heubisch

Freiheit für Verantwortung Plädoyer für eine liberale Wissenschaftspolitik für Bayern

„Die Zukunft war früher auch besser“, hat unser bayerischer Philosoph Karl Valentin gesagt. Verfolgt man die derzeitige Diskussion in Politik, Gesellschaft und Medien, müsste man ihm fast Recht geben. Aus vielen Bereichen unserer Gesellschaft vernehmen wir die Forderung, ja den Zwang nach „Wandel“, „Veränderung“ und „Reform“. Und das – spätestens mit den weltweiten Problemen auf den Finanz- und Wirtschaftsmärkten – unter der großen Überschrift „Krise“. Die Menschen, ja die gesamte Gesellschaft soll oder muss sich verändern. Gerade in einer Zeit, die von Ungewissheit, Ratlosigkeit und Pessimismus geprägt ist. Doch wie kann der Wandel in der Krise gelingen? Echter Wandel ist für mich nicht die R

Seiner Zeit weit voraus war Albrecht Berblinger, besser bekannt als Schneider von Ulm. Sein Hängegleiter war flugfähig, doch bei der Vorführung 1811 fehlte die notwendige Thermik.

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BAYERN & KULTUR von äußeren Umständen erzwungene Veränderung. Sondern – im Sinne von Barack Obama verblüffend einfacher Formel „Change we can believe in“ - ein innerer Prozess, der Zukunft bewusst gestalten will, der sich selbst Ziele setzt, in dem sich die Akteure weiterentwickeln und: zu dem wir uns frei entscheiden. Hier liegt wohl der Schlüssel. Unser Weg in die Zukunft kann gelingen mit einem neuen, unvoreingenommenen und kreativen Blick auf das Bekannte und der neuen Einstellung, den Wandel gestalten zu wollen. Ist diese Einstellung wirklich neu? Der Blick zurück in unsere Geschichte zeigt uns: Aus Bereitschaft und Fähigkeit, Neues zu erfinden, erwuchsen die kulturellen Zentren Europas. Auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelte sich spätestens im 18. Jahrhundert eine Kultur steter Innovation. Dabei ging

Vision der „Wissensgesellschaft“ mit Leben erfüllen. es übrigens schon früh neben dem Streben nach Erkenntnis auch um wirtschaftliche Interessen. Auf den Märkten lebendiger Städte kamen Menschen und Kulturen zusammen, um im Wettbewerb das Neue, das Bessere anzubieten. Die wichtigste und zutiefst menschliche Voraussetzung für den echten Wandel in unserer Geschichte ist das Streben nach individueller Freiheit. Sie führte letztlich zur Idee der Demokratie als Grundlage unseres Gemeinwesens. Die Wissenschaft sorgt auch heute für Innovation und Fortschritt. Sie wirkt – wie die Kunst – an der Schwelle vom Bekannten zum Unbekannten, vom Bisherigen zum Neuen und vom Heute zum Morgen. Denn das Wissen in den Köpfen der Menschen ist unser wichtigster Rohstoff. Und ich halte es als eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit, die Vision der „Wissensgesellschaft“ mit Leben zu füllen. Das bedeutet, Visionen zu entwerfen und auch umzusetzen, Theorie und Praxis zu vereinen und dabei den politischen Entscheidungsträgern beratend zur Seite zu stehen. Konrad Peutinger wäre auch heute ein gefragter Mann – gerade als damaliger Vordenker der freien Marktwirtschaft und des freien Welthandels. Heute müssen wir verstärkt die geistigen Stärken unseres Landes im globalen Wettbewerb herausarbeiten und die sich daraus ergebenden Innovationen auf den Weltmarkt tragen. So verstanden ist eine zukunftsweisende Wissenschaftsschulpolitik auch Standortpolitik. Die bayerische Wirtschaft braucht hervorragend ausgebildete Hochschulabsolventinnen und -absolventen, denn sie garantieren für Innovationen und sichern nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit bayerischer Unternehmen. Bayern hat sich dabei in der Vergangenheit einen Vorsprung erarbeitet, doch ich möchte unmissverständlich darauf hinweisen: Dieser Vorsprung ist in Gefahr! Deswegen muss der Modernisierungsprozess an unseren Universitäten und Fachhochschulen mit aller Kraft fortgesetzt werden – auch oder gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Unsere Hochschulen müssen fit sein im internationalen Wettbewerb. Denn gerade für Bayern ist die Wissenschaft auch als Wirtschaftsfaktor von größter Bedeutung. Doch Forschergeist, Kreativität und Neugier können sich nur dort entfalten, wo politische und institutionelle Rahmenbedingungen dies zulassen. Wir müssen für Neues Freiräume schaffen und

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brauchen daher individuelle, passgenaue Lösungen statt starrer Vorgaben. Zudem müssen wir Barrieren abbauen – in den Köpfen und in den Amtsstuben. Auch das Verhältnis zwischen dem Staat sowie den Hochschulen und Forschungseinrichtungen muss sich wandeln. Damit die Hochschulen künftig autonom handeln können, will ich den Hochschulen Schritt für Schritt die rechtlichen Handlungsspielräume erweitern. Eine spezifisch bayerische Hochschullandschaft, wie sie mir vorschwebt, ist profiliert in individuellen Traditionen und Stärken, interdisziplinär und mit der Wirtschaft vernetzt, in Bayern und in den Regionen verwurzelt, in Forschung und Lehre international eingebunden und: sich selbst gestaltend – im Sinne eines steten echten Wandels. Meine Vision ist nicht die Gleichmacherei. Sie führt zum zentralistisch ausgerichteten, dominanten Staat. Der Einzelne tritt dabei zwangsläufig in den Hintergrund. Diese Zusammenhänge hat schon Alexis de Tocqueville im Jahr 1831 formuliert. Wir tun gut daran, für Individualität und Vielfalt einzutreten. Wer aber gibt dem „freien Lauf“ die Richtung und wer setzt der Freiheit Grenzen? Dürfen wir die Verantwortung abschieben auf den Staat, der alles richten – sprich: zahlen – soll? Auf die Politik, die im Zweifel an allem schuld ist? Oder einfach generell „auf die da oben“? Nein, so leicht können wir es uns nicht machen. Liberale Politik will nicht die Freiheit von Verantwortung, sie will die

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BAYERN & KULTUR

Fotostelle der Universität Augsburg

oder ein behindertes Kind erziehen. Doch trotz zum Teil massiver Proteste gerade in letzter Zeit bleibt für mich das grundsätzliche „Ja“ zu den Studienbeiträgen nicht verhandelbar.

Absolventen eines Elitestudiengangs 2009 an der Universität Augsburg.

Freiheit zur Verantwortung! Wer mehr Freiheit zugesteht, kann auch mehr Verantwortung fordern – und schenkt dabei mehr Vertrauen. Ja, ich habe Vertrauen in unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ich bin auch überzeugt, dass unsere Hochschulen die Herausforderungen, die vor uns stehen, meistern – bei all den Schwierigkeiten, die ich ganz bestimmt nicht klein reden will. Spitzenleistungen in der Wissenschaft lassen sich nicht staatlich verordnen und planen. Dafür aber brauchen wir keinen schwachen, sondern im Gegenteil einen starken Staat. Es ist für mich kein Zeichen von Stärke, sich überall einmischen zu wollen – und dabei bürokratische Hürden und Bremsen zu erzeugen. Die wichtigen Leitlinien der Hochschulreform heißen deshalb für mich Dezentralisierung, Bürokratieabbau und Subsidiarität. Übrigens: Im Sinne einer ganzheitlichen Reform will ich auch gemeinsam mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Selbstver-

Bologna-Prozess führt zum gemeinsamen europäischen Hochschulraum. ständnis meines Ministeriums weiterentwickeln. Denn wer die Reform weiterdenkt, wird folgerichtig feststellen, dass sich auch das Verhältnis zwischen Staat und Hochschulen zumindest in Teilbereichen wandeln muss von einem hoheitlichen Verhältnis hin zu einem weitgehend partnerschaftlichen. Unstrittig ist aber auch: Der Staat bleibt für die Gesamtsteuerung verantwortlich. So ist es demokratisch und verfassungsrechtlich legitimiert und so will es die Gesellschaft. Um meine grundsätzlichen Gedanken zur Wissenschaftspolitik in Bayern zu veranschaulichen, will ich beispielhaft und schlaglichtartig einige konkrete Maßnahmen aus dem Hochschulbereich nennen: Das Berufungsverfahren von Professorinnen und Professoren wurde bereits geändert. Bisher lag das Berufungsrecht beim Wissenschaftsminister. In Zukunft, so hat der Landtag im vergangenen Jahr beschlossen, kann sich jede Hochschule das Berufungsrecht probeweise übertragen lassen. Das bedeutet mehr Autonomie und Flexibilität. Auch die Befreiungsmöglichkeiten bei den Studienbeiträgen haben wir bereits erweitert. So muss von zwei studierenden Kindern künftig nur noch eines Studienbeiträge zahlen und Studierende aus Familien mit drei oder mehr kindergeldberechtigten Kindern sind von den Beiträgen befreit. Das Höchstalter wurde von 25 auf 27 Jahre angehoben. Keine Beiträge zahlen auch Studierende, die ein Kind unter achtzehn Jahren Bayerischer Monatsspiegel 155_2010

Darüber hinaus haben wir den Kreis der Studienberechtigten erweitert. Absolventinnen und Absolventen der Meisterprüfung können den allgemeinen Hochschulzugang bekommen, Berufs­ tätige nach erfolgreichem Abschluss einer zweijährigen Berufsausbildung und dreijährigen Berufspraxis steht der fachgebundene Hochschulzugang offen. Und wir werden den Bologna-Prozess fortführen – und dabei nachbessern! Trotz Studentenproteste kann es auch hier kein Zurück geben, denn die Kernziele dieser umfassendsten Reform der Lehre an den deutschen Hochschulen sind richtig. Sie sorgen für mehr Mobilität, kürzere Studienzeiten und höhere Qualität. Mit einem „Ausklinken“ würden wir Bayern hochschulpolitisch auf das internationale Abstellgleis stellen. Bei all den Entwicklungen und Diskussionen im eigenen Land dürfen wir heute nie die europäische Dimension aus dem Blick verlieren. Der Bologna-Prozess führt zu einem gemeinsamen europäischen Hochschulraum, der für die Lehre ebenso wichtig ist wie für die Forschung. Schon heute können einzelne europäische Staaten alleine mit den Forschungseinrichtungen in den USA oder einigen asiatischen Staaten nicht mehr konkurrieren. Wir müssen deshalb nicht nur an einem gemeinsamen Wirtschaftsraum arbeiten. Wir brauchen auch einen gemeinsamen Wissenschaftsraum. Ich würde mir wünschen – und ich will alles dazu beitragen –, dass Impulse in diese Richtung einen „bayerischen Zungenschlag“ haben. Wer die Zukunft gestalten will, muss nicht nur überzeugt, kreativ und mutig zum Wandel bereit sein. Er braucht auch überzeugte, kreative, mutige und verlässliche Partner. Die Politik allein – egal welche Farbe – wird die Aufgaben, die in Staat und Gesellschaft vor uns liegen, nicht schaffen. Auch die gesellschaftlichen Kräfte sind gefordert. Ich vertraue dabei auf die, die durch ihr Engagement beweisen, dass es ihnen um mehr geht, dass sie weiter denken und dass sie auch bereit sind, mehr zu leisten. Intensiver Austausch und eine Kultur des Dialogs sind hierfür die unbedingte Voraussetzung. Das Peutinger-Collegium mit seinen gewachsenen und wertvollen Netzwerken in den entscheidenden Bereichen unseres Landes – in Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und insbesondere Wissenschaft – möchte ich gerne dazuzählen. Mit Karl Valentin habe ich begonnen, schließen will ich mit Perikles, dem Staatsmann aus dem antiken Athen. Von ihm stammt der Satz: „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ n

Dr. Wolfgang Heubisch ist Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. 1946 in München geboren, studierte Heubisch an der LMU Betriebswirtschaft und Zahnheilkunde und wurde niedergelassener Zahnarzt. Bevor der 2008 zum Wissenschaftsminister berufen wurde, war er Präsident der Freien Berufe in Bayern und Vizepräsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Der vorstehende Beitrag basiert auf einem Vortrag, den der Minister vor dem Peutinger Collegium in München gehalten hat.

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BAYERN & KULTUR Erzbischof Reinhard Marx

Leben in der Hoffnung Der 2. Ökumenische Kirchentag in München: In Gemeinschaft und Differenz

Der 2. Ökumenische Kirchentag vom 12. bis 16. Mai 2010 in München nimmt die Herausforderungen unserer Zeit in den Blick. Christinnen und Christen der verschiedenen Konfessionen in Deutschland wollen diese Herausforderungen im Lichte des Glaubens an Jesus Christus deuten und Impulse für eine, dem Menschen würdige Welt entwickeln. Das Leitwort für diese Tage ist einer Stelle aus dem ersten Petrusbrief entlehnt: „Damit ihr Hoffnung habt!“ Die Hoffnung der Christinnen und Christen gründet sich auf Gott, der den Menschen und ihrer Welt nicht fern ist, sondern sich in ihrer Geschichte zeigt, den Weg mitgeht und ihnen Orientierung gibt. Unüberbietbar wird Gott sichtbar in seinem Sohn Jesus. Indem er ihn aus dem Tod zum Leben bringt, zeigt Gott, dass mit ihm menschliches Leben nicht endet, sondern selbst über den Tod hinaus, Hoffnung und Zukunft bestehen kann.

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BAYERN & KULTUR Christliche Hoffnung ist die Perspektive, die über den Tag hinaus weist und sich nicht allein auf menschliche Fähigkeiten und Kompetenzen stützt. Sie vertraut darauf, dass Gott Zutrauen hat in die Menschen und nicht will, dass menschliches Leben und Handeln in die endgültige Katastrophe führt. Getragen von dieser Hoffnung sind Christen und Christinnen Realisten: Sie können die Welt und sich selbst realistisch wahrnehmen. Nicht schwarz malen und nicht schön reden! Sie sind skeptisch gegenüber allen Heilsverheißungen, die nur auf menschliches Können und technische Lösungen setzen. Genauso aber haben sie Vertrauen zum Menschen, dass er Verantwortung übernehmen und die Welt so gestalten kann, dass der Schwache und Ausgegrenzte Möglichkeiten zur Teilhabe am gemeinsamen Leben findet und die Ressourcen dieser Welt auch noch zukünftigen Generationen dienen können. Deshalb beteiligen sie sich am gesellschaftlichen Diskurs und bringen eine Hoffnungsperspektive ein, die weiterführt als sich zu beschränken auf die Suche nach neuen Regelungen und politischen Ordnungsmaßnahmen. Die Krise der Finanzsysteme zeigt dies überdeutlich. Die ordnungspolitische Diskussion ist in Gang gekommen und neue, internationale Regelungen und Sicherungssysteme gelten nicht

„Um innovativ neu denken zu können, braucht es zuerst eine innere Freiheit“. mehr als Phantastereien. Noch wichtiger ist aber, dass deutlich geworden ist: jedes System lebt von Voraussetzungen, die es selbst nicht schaffen kann. Das gilt auch für die Soziale Marktwirtschaft. Sie ist bleibend darauf angewiesen, dass sie von den Wertvorstellungen, die im vor-politischen wie vor-ökonomischen Feld ausgebildet werden, immer wieder bestärkt und korrigiert wird. Die Gefahr besteht, dass in unser Finanz- und Wirtschaftssystem „business as usual“ wieder einkehrt, und sich gerade das Zeitfenster für diese notwendige Reflexion wieder schließt. Ohne Vertrauen und ohne moralische Impulse werden wir aber keine wirklichen nachhaltigen Lösungen finden. Der Ökumenische Kirchentag bietet auch die Chance, sich diese Zeit zur Analyse und Reflexion zu nehmen, miteinander nachzudenken über die Grenzen von Interessengruppen hinweg, und in Handlungsempfehlungen bis hin zu konkreten Umsetzungen zu gießen, was unserer Zeit Not tut und Not wendet: Verantwortung zu entdecken nicht nur für sich, sondern auch für das Gemeinwohl. Solidarität durchzubuchstabieren in unserem Land und mit allen Menschen in dieser Welt. Den Menschen in seiner Würde zu erkennen und ihn in seiner Freiheit, aber auch in seiner Gestaltungsmöglichkeit ernst zu nehmen. Die Zuordnung der verschiedenen Akteure, vom Einzelnen über Gemeinschaften, Einrichtungen, Verbände, Unternehmen bis hin zum Staat, wieder in ein rechtes Maß zu bringen. Christinnen und Christen haben hier wesentliches beizutragen, weil sie sich letztlich verantwortlich wissen vor Gott. Es geht aber nicht nur um die „Zulieferung“ von Werten aus christlichem Glauben. Die gestalterische Kraft christlichen Glaubens entspringt der Erfahrung der Nähe Gottes im eigenen Leben. Seine Nähe trägt und befreit aus der kleinlichen und egoistischen Sorge um sich selbst und die eigene Zukunft. Deshalb

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ist es Christinnen und Christen möglich, sich mit Ideen, Vorstellungen und konkretem Tun an der menschlichen Gestaltung unser Welt zu beteiligen, so dass alle Menschen Zukunft haben, nicht nur sie selbst. Um wirklich innovativ neu denken zu können, braucht es zuerst eine innere Freiheit, die der christliche Glaube eröffnen kann und es braucht eine Hoffnung, die aus den Quellen schöpft, die menschliche Möglichkeiten übersteigen. Wir wollen dies auf dem Ökumenischen Kirchentag versuchen und tun dies als Christinnen und Christen verschiedenster Kirchen. Dies ist neu, denn bisher gilt in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland das Zusammenwirken katholischer und evangelischer Christen schon als Ökumene. Aber die Christenheit ist vielfältiger. So beteiligen sich erstmals sehr aktiv orthodoxe Gläubige genauso wie Baptisten, Methodisten und Anglikaner, die alle weltweit gesehen zu den großen christlichen Gemeinschaften zählen. Alle versuchen gemeinsam sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen, wissend, dass auch unter ihnen die Einheit in allem noch nicht erreicht ist. Auch dies wird Thema des Ökumenischen Kirchentages sein. Zentrale Fragen sind noch offen und ungeklärt: Wie soll denn die Zielgestalt einer christlichen Einheit aussehen und welcher wesentlichen sichtbaren Elemente und Überzeugungen bedarf sie? Darüber werden wir auch über den 2. Ökumenischen Kirchentag hinaus im Gespräch bleiben. Für die katholische und orthodoxe Kirche ist das Ziel die sichtbare Einheit in der Feier der heiligen Eucharistie, die die Krönung des ökumenischen Weges ist. Dieses Ziel liegt noch vor uns, ja über dieses Ziel sind wir uns im Grunde nicht einig. Gemeinsam ist uns allen aber, dass Einheit nicht mit Uniformität verwechselt werden kann. Es geht nicht darum, dass der andere so wird wie man selbst ist. Wir wollen katholisches, evangelisches, orthodoxes Profil behalten, aber nicht im ständigen Widerspruch zueinander, sondern als Vertiefung und Bereicherung füreinander. Leben in Gemeinschaft und Differenz ist die Herausforderung der Kirchen. Je mehr es ihnen gelingt, desto stärker wird dies auch zu einem Zeichen für unsere gesamte Welt, die ja auch nicht uniform, sondern vielfältig und mit Lebensmöglichkeiten für alle bleiben und werden soll. Zum 2. Ökumenischen Kirchentag, der spannend und anregend werden wird, sind alle eingeladen. Nutzen wir die Chancen, den er für die Kirchen und die Gesellschaft bietet. n Dr. Reinhard Marx ist seit 2007 Erzbischof von München und Freising. Er wurde 1953 in Geseke (Kreis Soest) geboren, studierte Theologie in Paderborn und Paris, wurde 1979 zum Priester geweiht und 1996 zum Weihbischof von Paderborn ernannt. Vor München war er Bischof von Trier. Dr. Marx gilt als sozial engagierter Theologe und hat im vergangenen Jahr – anspielend auf seinen Namensvetter Karl Marx – das Buch „Das Kapital“ veröffentlicht.

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BAYERN & KULTUR Philipp Lahm

Gemeinsame Sprache Fußball WM als Startschuss für einen ganzen Kontinent

Am 11. Juni beginnt mit dem Spiel von Gastgeber Südafrika gegen Mexiko die Fußballweltmeisterschaft. Wir starten zwei Tage darauf gegen Australien. Es gibt Experten, die jetzt schon sichere Tipps haben, wer am Ende ganz oben steht. Spanien wird immer wieder als Topfavorit genannt, Argentinien und Brasilien ohnehin. Ich überlasse das dem Geschehen auf dem Platz. Mir ist wichtig, dass auch die Menschen in Afrika wenigstens bei dieser WM auf der Gewinnerseite stehen. Im Juni 2007 war ich dort, im Austragungsland der WM. Ich wollte mir einen eigenen Eindruck verschaffen und auch einen Blick auf das Leben der Menschen werfen, abseits des Quartiers der Nationalmannschaft. Ich bin auf eine riesige Begeisterung gestoßen. Die Vorfreude auf das Großereignis hat das Land geeint. Ob bei offiziellen Vertretern des Fußballverbands, in der Deutschen Schule Johannisburg oder beim spontanen Fußballspiel in Townships mit Jugendlichen spürt man die Hoffnung der Menschen, die mit dem Fußball als Sport und dem Fußballereignis der Weltmeisterschaft verbunden ist. Die Menschen in Südafrika, vor allem die Jugend, wollen der Welt ihr Potenzial vor Augen führen. Sie kämpfen um die Chance, sich zu entwickeln und zu entfalten. Ich möchte für Verständnis für Südafrika und den gesamten Kontinent werben. Afrika zu unterstützen, heißt für mich, konkrete Hilfe zu leisten und unsere Erfahrungen mitzuteilen, ohne den Men-

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BAYERN & KULTUR schen unseren deutschen Lebensstil aufzudrängen. Afrika und seine Menschen werden ihren Weg finden. Aber: Ohne Hilfe haben sie kaum eine Hoffnung. Bei meinem Besuch in Südafrika habe ich auch die Not der Jugendlichen gesehen. Mehrere Male habe ich zusammen mit Jugendlichen und Kindern Fußball gespielt – der Fußball war unsere gemeinsame Sprache. Das ist der Sport in Südafrika, gerade für junge Menschen. Aber sie benötigen einfachste Unterstützung, denn natürlich ist in den Elendsvierteln weder Geld für Training vorhanden, noch für Ausbildung – geschweige denn für Ausflüge zu Fußballspielen mit Mannschaften aus benachbarten Townships oder gar zu Turnieren. Mir wurde dadurch noch stärker klar, wie wichtig es ist, junge Menschen zu fördern. Das möchte ich mit meiner Stiftung tun. In Deutschland, aber eben auch in Afrika. Ich bin in München aufgewachsen, in einer behüteten Umgebung, inmitten meiner Familie. Mir standen alle Mittel zur Verfügung, um ein erfolgreicher Profi zu werden. Ich hatte Glück. Und nun gebe ich etwas davon zurück. Meine Stiftung unterstützt Projekte und Initiativen, die sich auf Kinder und Jugendlichen aus unterprivilegierten Familien konzentrieren. In Südafrika liegt der Schwerpunkt auf Initiativen, die durch Aktivitäten im Jugendsportbereich soziale Strukturen aufbauen, für Bildung und Ausbildung arbeiten und über Aids aufklären. Gerade der Kampf gegen den HI-Virus liegt mir sehr am Herzen. In Swasiland, wo Aids quasi eine ganze Generation tötete, traf ich ein 13-jähriges Mädchen, das seine Geschwister allein großzog. Ich brauchte lange, um meine Eindrücke

halbwegs zu verarbeiten. Mittlerweile haben wir schon erste Ergebnisse vorzuweisen. In der Nähe von Johannesburg haben wir zwischen zwei Townships einen Sportplatz gebaut, um die Kinder von der Straße zu holen. Die Eröffnung im vergangenen Jahr war für alle Beteiligten ein Riesenerlebnis. Es geht um Sport – und um mehr als das. Über das Training hinaus werden Wege aufgezeigt, damit die Jugendlichen im Leben weiterkommen. Dazu gehören unter anderem Gesundheitsprogramme und Aids-Prävention. Klar, ich wünsche den Menschen in aller Welt bei dieser WM einfach Freude und unvergessliche Augenblicke, wenn sie ihrer Mannschaft die Daumen drücken und mitfiebern. Für mich ist der Anpfiff für das Eröffnungsspiel aber mehr als der Auftakt für einen sportlichen Wettkampf der Superlative. Ich hoffe, dass man diese Partie als Startschuss in Erinnerung behält – als Startschuss für Südafrika und den ganzen Kontinent. n Info: www.philipp-lahm-stiftung.de Philipp Lahm, 26, FC Bayern-Spieler und in München-Gern geboren, ist Mitglied der deutschen Fußballnationalmannschaft. 2007 gründete er die Philipp-Lahm-Stiftung für Sport und Bildung mit dem Ziel, benachteiligte Kinder und Jugendliche zu fördern.


BAYERN & KULTUR

Bayern-Italien Landesaustellung würdigt die engen Verbindungen über die Alpen

München und manchmal auch Regensburg werden gerne als nördlichste Städte Italiens bezeichnet. Und nicht nur bei der Schickeria gehört es zum guten Ton, bei einem „Italiener“ Stammgast zu sein und mit dem Wirt auf „Du“ zu stehen. Die Beziehungen zwischen Bayern und Italien sind insgesamt freilich vielfältiger und tiefer. Vor allem sind sie alt: Seit der Eroberung des Voralpenlandes durch die Römer sind die Alpen offenbar eher verbindendes Element denn Kulturscheide.

Zwei Kleine, die groß herauskamen: Michelangelos „David“ auf der Piazza della Signoria in Florenz und ein BMW-Isetta. Der Kabinenroller ist ein Produkt enger bayerisch-italienischer Kooperation und führte frühe Italien-Urlauber über die Alpen.

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© BMW Group, Sparte Tradition, München

Ein dankbares Thema auch für das Haus der Bayerischen Geschichte, das seine Landesausstellung 2010 in Füssen und Augsburg den engen Beziehungen zwischen Bayern und Italien widmet.


© Kopenhagen, Thorvaldsens Museum

© Valerio d’Isep, Augsburg

© Pinacoteca, Museo Riva del Garda

BAYERN & KULTUR Legionäre zogen nach Norden, bayerische Prinzessinnen zu den Langobarden, und mancher Bayer focht mit Rom Sträuße aus – siehe Ludwig der Bayer, der sich mit dem Papst so über Kreuz legte, dass München für kurze Zeit ein Zentrum und Zufluchtsort der europäischen, papstkritischen Philosophie wurde. Die Italiener lehrten die Deutschen das Bankewesen, die Augsburger wiederum die Welschen das Handeln: Jakob Fugger lässt grüßen. Und den Einfluss Benedikts von Nursia auf ganz Europa im allgemeinen und das klösterreiche Bayern im speziellen kann man kaum hoch genug schätzen. Die vielfältigen kulturellen Wechselwirkungen bis zur Neuzeit illustriert die Ausstellung in St. Mang in Füssen. Auf das vielleicht fruchtbarste Kapitel des künstlerischen und intellektuellen Austausches im 16. Jahrhundert, im Zeitalter der Renaissance, konzentriert sich eine Teilausstellung im Maximilianmuseum in Augsburg. Dem Thema „Sehnsucht, Strand und Dolce Vita“ ist die Ausstellung im tim in Augsburg vorbehalten. Die Entstehung der modernen Staaten Bayern und Italien zwischen Montgelas und Garibaldi kann man dort verfolgen, sich vom hohen Stellenwert Italiens als künstlerischer Sehnsuchtsort überzeugen. Begegnungen im Sport, aber auch im Krieg spielen hier eine Rolle, aber stärker noch der wechselseitige Magnetismus. Die Deutschen suchten Geschmack, Mode und Sonne Italiens, die Italiener wiederum die Wirtschaftskraft der Teutonen: Die Integration italienischer Gastarbeiter war eine schwierigere Aufgabe als man es heute glauben mag. Auch die Eltern oder Großeltern des heutigen Schickerika-Mode-Italieners kamen vielleicht als Fremde in das Land, das sich heute einen Alltag ohne Italiener schon gar nicht mehr vorstellen mag. n MW Der Gardasee war und ist der Sehnsuchtsort vieler Bayern, hier beginnt für sie Italien. Unser Bild zeigt ein Gemälde von Ludwig Gebhardt „Ansicht von Torbole am Gardasee“ (oben).

© Kunstsammlungen und Museen Augsburg

Mit erst 16 Jahren starb der Hohenstaufer Konradin, ein gebürtiger Bayer, in Süditalien. Das Bild (o.r.) zeigt ein Gipsmodell für eine Grabbstatue. Der blaue Glaskrug aus römischer Produktion wurde in Cambondunum (Kempten) gefunden (u.l.). 1543 wurde Konrad Peutingers Frau Margarete in frommer Bekleidung gemalt. Peutinger, ein großer Kenner der Antike, besaß eine umfassende Sammlung römischer Münzen (u.r.). Eine blonde Grazie am Strand von Viareggio – in den 50er Jahren wurde Italien zum Traumziel der bayerischen Urlauber (u.).

Bayerische Landesausstellung Bayern-Italien 21. Mai 2010 bis 10. Oktober 2010 von 9.00 bis 17.30 Uhr Veranstalter: Haus der Bayerischen Geschichte, Stadt Füssen, Stadt Augsburg, Staatliches Textil- und Industriemuseum. Informationen: Haus der Bayerischen Geschichte, Tel. 0821 3295-0 Anmeldung zu Führungen: 0821 45057457 © Strobel / SZ Photo

© Archäologische Staatssammlung München / Manfred Eberlein

Gelati an der Noris: Ernesto Santin vor seiner Eisdiele in Nürnberg (o.l.).

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BAYERN & KULTUR Interview mit Christine Haderthauer

Familien ermuntern Die Mutter bleibt fürs Baby die wichtigste Bezugsperson

Bayern will das kinderfreundlichste Land in Deutschland werden. Was kann die Politik dazu leisten, was aber müssen Wirtschaft und Bürger dazu beitragen? Und warum zögern viele junge Menschen, sich den großen Wunsch nach Familie und Kindern zu erfüllen? Peter Schmalz sprach mit Christine Haderthauer, der bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen.

ja auch notwendig ist, weil ein Gehalt nicht mehr ausreicht, wird auch die Möglichkeit der elterlichen Unterstützung bei den Hausaufgaben oder bei der Wahrnehmung von Freizeitangeboten wie Musik oder Sport sehr eingeschränkt. Dies muss in Ganztagesangeboten mit aufgefangen werden. Kinderfreundlichkeit misst sich also nicht an einem festgelegten Standard, sondern muss immer wieder neu erarbeitet werden.

Bayerischer Monatsspiegel: Bayern soll das kinderfreundlichste Land in Deutschland werden. Wann ist ein Land kinderfreundlich? Christine Haderthauer: Das verändert sich mit der Zeit. Wir stehen heute vor anderen Herausforderungen als vor zehn oder zwanzig Jahren. Was früher selbstverständlich im Familienverbund geschehen ist, wird heute weit mehr von der Gesellschaft übernommen. Während es früher gang und gäbe war, dass Schüler nachmittags zuhause waren, wird heute – nicht zuletzt wegen der Erwerbstätigkeit beider Eltern – die Nachmittagsbetreuung gewünscht. Wir bauen deshalb die Hort- und Schulangebote entsprechend aus. Gehen Vater und Mutter arbeiten, was bei vielen

BMS: Und wie weit ist Bayern von diesem Anspruch noch entfernt? Haderthauer: Wir sind schon sehr gut, aber vieles wird noch nicht so sichtbar. Sehr viele Zuständigkeiten, gerade die für die Jugendhilfeplanung aber auch die familienunterstützenden Angebote von Beratungsangeboten über die Zurverfügungstellung einer bedarfsgerechten Kinderbetreuung bis hin zur Bauplanung liegen ja in den Kommunen. Da passiert viel, aber manches ist auch noch zu wenig abgestimmt und schlecht vernetzt, oftmals gibt es unterschiedliche Konzepte für die gleiche Idee. Wir wollen deshalb einen Standard schaffen, auf den sich die Familien verlassen können, wo immer sie in Bayern leben.

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BAYERN & KULTUR BMS: Zum Beispiel? Haderthauer: Es gibt in jeder Kommune Beratungsangebote für die Familie. Bei den einen heißen sie Elternschule, bei den anderen ist es ein Müttertreff. Ich möchte jetzt bayernweit Familien­ stützpunkte fördern, wo die Kommunen ihre Angebote unter einem Dach vernetzen. Diese Stützpunkte werden dann zu einer Marke, wo die Familie alles findet, was es an Unterstützungsmaßnahmen gibt. BMS: Wann beginnen Sie damit? Haderthauer: Der Ausbau dieser Familienstützpunkte beginnt bereits in diesem Jahr. Seit 2009 fördere ich außerdem den Ausbau eines bayernweiten Netzes von Koordinierenden Kinderschutzstellen. Hier vernetzen wir alle, die mit Familien zu tun haben, vom Kinderarzt bis zur Schuldnerberatung, damit es schneller erkannt wird, wenn Familien Probleme haben und ihnen paßgenau geholfen werden kann. Wir wollen damit keine Bevormundung der Familien, sondern möglichst frühzeitig helfen, wenn Eltern überfordert sind. BMS: Wir sprechen von der Politik. Ist Kinderfreundlichkeit aber nicht auch eine Herzenssache einer Gesellschaft? Haderthauer: Das ist richtig. Politik kann dies nicht alleine schaffen, aber sie soll schon den Anspruch haben, Einstellungen bewusst zu machen und zu befördern. Ich erlebe, dass die Gesellschaft sich als kinderfreundlich bezeichnet und dass sich die Menschen für Kinderthemen sehr interessieren. Dann aber wird

Nicht länger diejenigen abwerten, die sich bewusst Zeit fürs Kind nehmen. doch oft gegen Kinderinteressen gehandelt. So wird Familienfreundlichkeit häufig als Etikett dafür verwendet, junge Eltern nach der Geburt des Kindes schnell wieder arbeitsmarktgängig zu machen. Ob das immer im Interesse der kleinen Kinder ist, steht auf einem anderen Blatt. Wir müssen den Mut haben, uns von Vorurteilen zu lösen. Wir sollten endlich aufhören, diejenigen abzuwerten, die sich bewusst Zeit nehmen für Kinder und auch für eine geraume Zeit auf den Beruf verzichteten. Es kann nicht sein, dass nur der, der neben der Familie Vollzeit arbeitet, zu den Gewinnern in dieser Gesellschaft zählt. BMS: Also muss der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem 1. Lebensjahr nicht unbedingt ein Maßstab für Kinderfreundlichkeit sein? Haderthauer: Nicht unbedingt. Kinderfreundlich wird das erst, wenn wir es verbinden mit dem Betreuungsgeld, durch das wir die ideelle Wahlfreiheit familiärer Modelle und damit das Kind in den Mittelpunkt stellen. Denn nicht jedes Kind profitiert in jedem Alter von einer außerfamiliären Betreuung, auch wenn diese im Interesse der Wirtschaft sein mag. Hinzu kommt: Ein Krippenplatz kostet den Steuerzahler monatlich circa 1000 Euro. Für mich ist das Betreuungsgeld auch ein Signal der Wertschätzung für Eltern, die die Betreuung ihrer Kinder bis zum dritten Geburtstag eigenverantwortlich organisieren. BMS: Und nicht wenig Mütter entscheiden sich bewusst für die Kindererziehung und zumindest zeitweise gegen den Beruf. Haderthauer: Genau. Zum Glück sagen die meisten Eltern „Wir bekommen unser Kind doch nicht, um es sofort wieder in

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Die Mutter ist für das Baby die wichtigste Bezugsperson.

eine außerfamiliäre Betreuung zu geben, sondern weil wir es als Glücksfaktor für unser Leben empfinden, wen wir Zeit mit unseren Kindern verbringen können“. Das ist eine wunderbare Form von Kinderfreundlichkeit, die unsere Gesellschaft stützen und begleiten muss. BMS: Könnten die Unternehmen noch mehr helfen, Kind und Beruf besser zu vereinbaren? Haderthauer: Natürlich könnten und müssten sie dies tun. Das ist eines der Ziele der „Allianz Familiensinn“, die ich in Bayern ins Leben rufen möchte. Es sollen alle Kräfte der Gesellschaft dazu beitragen, dass Mütter oder Väter, die Familienzeit nehmen, nicht länger zu den Verlierern gehören. BMS: Ist nicht in den ersten Jahren die Bindung zu Mutter und Vater besonders wichtig? Haderthauer: So ist es. Wir sprechen viel über Bildungschancen, was enorm wichtig ist. Dabei wird aber oft übersehen, dass dafür die erste Grundlage ist, dass das Kind in frühen Jahren verlässliche Bindungserfahrungen erleben konnte. Die aber kann ich nicht außerhäuslich bei noch so guten Betreuern machen, sondern nur im engen Beziehungsgeflecht der Familie. Meist sind es mangelnde Bindungserfahrungen, die zu Persönlichkeitsproblemen bei Jugendlichen, bis hin zu Bildungsversagen, führen. Die später dadurch verursachten „Reparaturkosten“ oder Folgekosten, nicht nur in der Jugendhilfe, sind enorm. BMS: Ist das Wort „Herdprämie“ eine Diffamierungsvokabel? Haderthauer: Ohne Zweifel. Wer sie verwendet, hat keine Ahnung davon, wie wichtig Eltern für ihre Kinder sind. Wem an Kindern etwas liegt, der sollte ihnen nicht strukturell die für sie im Kleinkindalter wichtigsten Personen, ihre Eltern, vorenthalten. Die Krippe kann viel, aber sie kann Eltern nie ersetzen. Von denen, die das Wort Herdprämie geprägt haben, wird leider oft über Einund Zweijährige geredet wie über Kleinwagen, die man zum Waschen und Polieren in die Werkstatt gibt und dann versehen mit sozialen Kernkompetenzen und Sprachkenntnissen wieder abholt. BMS: Wird mit der besonderen Betonung der Problemfälle, die es zweifelslos gibt und immer gab, die große Mehrheit der Eltern in ein schiefes Licht gebracht? Haderthauer: Das sehe ich in Hunderten von Zuschriften, wo sich Eltern bei mir bedanken, dass ich das Thema Betreuungsgeld vorantreibe und endlich über Eltern rede, die kein Problemfall sind. Und das sind weit über 90 Prozent. Es ist ein Phänomen unserer Mediengesellschaft, dass die wenigen Problemfälle hochgezoomt werden und die vielen verantwortungsvollen liebevollen Familien keine Beachtung finden. Und gerade diese Familien haben eine Anerkennung der Gesellschaft verdient. R

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BAYERN & KULTUR BMS: Verstehen Sie Eltern, die meinen, der Staat solle sich nicht so viel einmischen? Haderthauer: Das verstehe ich sehr gut. Ich bin mir einer bedenkliche Entwicklung sehr bewusst: Je mehr der Staat sich einmischt, desto eher können Eltern versucht sein, ihre Elternverantwortung dem Staat abzugeben. Das kann auch bei durchaus positiv gedachten Bemühungen geschehen, wie zum Beispiel beim Frühstück, das bereits in manchen Schulen angeboten wird. Kürzlich sagte mir eine Mutter, die sich sonst sehr um ihren Sohn kümmert, seit es in der Schule Frühstück gibt, frühstücke der Sohn dort und sie müsse sich die Arbeit nicht mehr machen. Wir müssen also aufpassen, dass wir mit wohlmeinenden und für belastete Kinder wichtigen Angeboten nicht gleichzeitig Signale aussenden, dass elterliche Verantwortung entbehrlich sei. BMS: Vermittelt die Betreuungsdiskussion nicht auch den Eindruck, als sei die Familie ein gesellschaftliches Auslaufmodell? Haderthauer: Bei manchen Diskussionsbeiträgen dazu kann man tatsächlich diesen Eindruck bekommen. Zum Glück ist das Gegenteil der Fall. Wir wissen aus allen Umfragen und Studien, dass bei jungen Menschen Familie noch immer das wichtigste Lebensziel ist und gerade in Zeiten der Krise eine Renaissance erreicht hat. Umso wichtiger ist es, dass wir Raum geben, damit Familie gelebt werden kann. Statt jungen Menschen Familie durch falsche Rahmenbedingungen den Wunsch strukturell abzugewöhnen, sollten wir ihnen helfen, diese große Sehnsucht zu verwirklichen. BMS: Da scheint ja einiges schief zu laufen, denn viele junge Leute zögern, sich den Wunsch nach Familie und Kindern zu erfüllen. Haderthauer: Wir laufen tatsächlich seit Jahren in eine Gesellschaft, die sich Kinder abgewöhnt, weil Lebensentwürfe, in denen Kindern Priorität eingeräumt wird, sowohl durch unserer Sozial­versicherungssysteme, als auch beispielsweise durch das neue Unterhaltsrecht entwertet werden. Dem folgt das soziale Ansehen, das bei dem aushäusig berufstätigen einfach höher

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ist, das bei dem, der für einige Jahre zuhause arbeitet und Kinder erzieht. BMS: Dann heißt es: Nur Hausfrau … Haderthauer: Kürzlich sagte eine Mutter zu mir: „Wenn ich in einem Hotel das Frühstück zubereite, habe ich Beruf und Ansehen, wenn ich aber das gleiche zuhause für meine Familie ma-

„Mit dem Betreungsgeld stärken wir die Interessen der Kinder“. che, zählt es nicht.“ Wird die Arbeit in der Familie aufgewertet, beispielsweise auch durch die Rente, dann werden damit zugleich auch die weiblichen Lebensentwürfe insgesamt aufgewertet und mehr Männer trauen sich so zu leben, wie es ihren Vorstellungen entspricht, das heißt, mit viel höheren Zeitanteilen, in der Familie. BMS: Bundespräsident Horst Köhler hat in einer Tutzinger Rede gesagt, Familie sei, wo Kinder aufwachsen. Stimmen Sie ihm zu? Haderthauer: Nicht ganz, in einem Waisenhaus wachsen auch Kinder heran. Für mich gehört schon der Verwandtschaftsverbund dazu, und dabei hat die Ehe eine herausgehobene Stellung, denn sie ist der geeignete Raum, in dem Kinder sich entwickeln können. Wir sollten aber nicht zu viel Energie in die Strukturdebatte verschwenden, was denn nun Familie sei und was nicht, sondern uns auf das konzentrieren, was inhaltlich in Familien geschieht. Und da bin ich wieder bei Horst Köhler: Überall, wo im Familienverbund Verantwortung für Kinder übernommen wird, egal ob das die klassische Ehe oder eine Patchwork-Familie ist, muss man dies stützen und schützen. Christine Haderthauer (auf unserem Bild besucht sie einen Kindergarten), ist ist Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Die 47-Jährige hat in Würzburg Jura studiert, wurde Rechtsanwältin in Ingolstadt und schaffte eine steile politische Karriere: Kaum Landtagsabgeordnet wurde sie CSU-Generalsekretärin, kaum Ministerin, wird ihr zugetraut, erste Ministerpräsidentin in Bayern zu werden.


BAYERN & KULTUR gilt das Motto „Kein Abschluss ohne Anschluss“, es führen viele Wege zur Hochschulreife und in immer mehr Branchen werden Fachkräfte dringend gesucht. Doch wenn sich schon die Eltern der vermeintlichen Perspektivlosigkeit hingeben, ist es unglaublich schwer ihren Kindern Leistungswillen zu vermitteln.

Bayern soll das kinderfreundlichste Land in Deutschland werden.

BMS: Familie ist mehr als nur die Aufzuchtanstalt für die nächste Generation. Sie gibt Erfahrungen, Traditionen und Werte weiter. Geht uns das Gefühl dafür verloren? Haderthauer: Da droht uns in der Tat ein großer Verlust. Das beginnt bei den Ritualen wie den gemeinsamen Mahlzeiten am Tisch, was nicht mehr selbstverständlich ist. In manchen Familien isst jeder in seinem Zimmer vorm Fernseher. Und es geht weiter bis zur Wertevermittlung. Dazu zählen beispielsweise auch banal erscheinenden Dinge, wie das gemeinsame Singen,

Heute sind die Aufstiegschancen besser als früher. Reimen oder Vorlesen. Zwei Drittel der Familien mit unter zehnjährigen Kindern lesen nicht mehr vor. Das ist alarmierend. Zum kinderfreundlichen Bayern gehört für mich auch, dass wir die Familien ermuntern und auch auffordern, ihre Aufgabe als vorrangiger Ort der Weitergabe von Werten und von Traditionen wieder intensiver nachzukommen und ihnen vermitteln, wie wichtig in diesem Zusammenhang scheinbar banale Tätigkeiten sein können, wie das gemeinsame Essen, Singen oder eben Vorlesen oder einfach gemeinsame Unternehmungen oder Gespräche. Das ist gelebte Zuwendung und damit unersetzliche Beziehungsarbeit. BMS: Kinder aus sozial schwachen Familien gelten von vornherein als die großen Verlierer ohne Aufstiegschancen. Haderthauer: Leider hat diese Ansicht Konjunktur. Aber schauen wir uns doch einmal um, wie viele erfolgreiche soziale Aufsteiger wir kennen, viele von uns sind selbst welche. Denken sie an Erwin Huber oder auch Horst Seehofer. Nach dem zweiten Weltkrieg bestand ganz Deutschland aus dem was man heute sozial schwache Familie nennen würde. Es liegt nicht am Geld allein, es liegt vor allem an Einstellungen, ob man Perspektiven hat oder nicht. Früher haben Eltern Aufstiegswillen vermittelt: „Aus Dir muss etwas Besseres werden, Du musst Dich anstrengen, damit Du nach oben kommst.“ Leistung und Anstrengung waren nichts Unanständiges sondern ein Ziel. Heute ist das kein Thema mehr. Perspektivlosigkeit wird als unabänderliches Schicksal hingenommen. Dabei sind die Aufstiegschancen heute besser als früher. Auf bayerischen Schulen

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BMS: War das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Kinderbeträgen eine Ohrfeige für den Gesetzgeber? Haderthauer: Hartz IV war von Anfang an vielen Stellen fehlerhaft und ist, auch weil es falsch angelegt war, leider von vielen nicht mehr als Hilfe in einem vorübergehenden Zustand sondern als Lebensstil auf Dauer angesehen worden. Wenn für ein System wirklich viel Geld ausgegeben wird, muss auch im Interesse derer, die das System mit ihren Steuern finanzieren, eine nachvollziehbare Bedarfsermittlung gemacht werden. Wenn aber nicht einmal bei den Leistungsempfängern eine Akzeptanz entsteht und diese es mit Zustimmung der Bevölkerung als ungerecht bezeichnen, dann wurden Fehler gemacht. Obwohl ich es immer schade finde, wenn die Politik zum Jagen getragen werden muss, freue ich mich über das Urteil. Der frühere SPD-Bundessozialminister Scholz hatte es mehrfach abgelehnt, die Kindersätze zu überarbeiten. Ich gehe davon aus, dass die neue Bundesregierung das Urteil jetzt zügig umsetzen wird. BMS: Die Vokabel Soziale Kälte hat Saison. Zu Recht? Haderthauer: Nein. Ich kann das auch nicht verstehen. Wir haben das bestausgestattete Sozialsystem weltweit. Zu uns kommen immer noch zu viele Menschen nicht wie nach Amerika, um Karriere zu machen, sondern wegen unseres Sozialsystems. Wir haben es versäumt, deutlich zu machen, auf welch hohem Niveau wir die Risiken im unteren Bereich abfedern. Wir lassen uns zu sehr auf eine defizitäre Diskussion ein, die den Blick auf das tatsächlich Geleistete versperrt. BMS: Ist dies zu ändern auch eine Aufgabe der neuen Sozialkommission, die Ministerpräsident Seehofer kürzlich eingesetzt hat? Haderthauer: Ich werde in dieser Sozialkommission darauf achten, dass nicht nur über die gesprochen wird, die Leistungen empfangen, sondern auch über die riesige Leistung, die diejenigen erbringen, die diese Leistungen von ihren Steuern und Abgaben finanzieren. Auch das gehört zur sozialen Gerechtigkeit in einer Gesellschaft. BMS: Eine Sozialministerin wird oft mit Leid und Not konfrontiert. Gibt es aber auch Momente, von Glück und Freude? Haderthauer: Da gibt es viele. Zum Beispiel Menschen zu treffen, dem man helfen konnte, schwierige Situationen zu meistern. Was mich unglaublich gefreut hat, ist dass meine Erfindung, das Programm des bezuschussten Mittagessens an den Ganztagsschulen für bedürftige Kinder so ein Erfolgsmodell geworden ist. Da gab es vorweg viele Bedenken vor einem neuen Bürokratiemonster wie dem Büchergeld. Aber es ist total bürokratiearm und wird super angenommen. Von vielen Eltern habe ich die Rückkopplung bekommen, dass sie ihre Kinder jetzt diskriminierungsfrei an Bildungsangeboten teilnehmen lassen können. Auch das ist ein Mosaikstein im kinderfreundlichen Bayern. n

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BAYERN & KULTUR Hannes Burger

Salz würzt die Nachbarschaft „Goldenen Steige“ im Säumerland zwischen Bayerwald und Böhmerwald wiederbeleben Tausend Jahre sind immer ein guter Grund zum Feiern. Das raue Bergmassiv nördlich der Donau, das wir heute auf deutscher Seite Bayerischer Wald und auf tschechischer Böhmerwald nennen, hieß vor 1000 Jahren „menschen­leerer Nordwald“. Heuer wird beiderseits der Grenze das „Millennium“ des Beginns der Erschließung und Kolonisierung des Gebietes mit Salzhandels-Karawanen gefeiert. Kleine Siedlungen der Kelten im Nordwald gab es zwar schon zu Zeiten der Römerherrschaft, ebenso Handelspfade durch die Grenzberge zwischen Bayern und Böhmen. Niemand weiß aber, wann erste Handelszüge versuchten, Salz, das „weiße Gold“, von Passau aus auf Tragpferden nach Südböhmen zu bringen.

Man weiß nur, dass im April 1010 Kaiser Heinrich II. dem Frauen­kloster Niedernburg in Passau mit einer Urkunde neben Ländereien auch die Einnahmen vom „böhmischen Zoll“ geschenkt hat: die erste Bestätigung der lukrativen Handelszüge über die „Goldenen Steige“ oder „Guldensteige“. An denen entstanden Siedlungen und Märkte von Passau in den heutigen Landkreis Freyung-Grafenau. Diese gelangten Jahrhunderte lang ebenso zu wirtschaftlicher Blüte wie mehrere Zielorte in Südböhmen: Prachatitz, Winterberg, Bergreichenstein, Wallern und Budweis. Die von Lanzenknechten begleiteten Karawanen hießen „Säumer­züge“, weil Saum sowohl Traglast als auch Grenze bedeutet. Das auf Booten über Salzach und Inn aus Hallein und Reichen­hall hergebrachte Salz wurde von Passau und Schärding

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Kasperské Hory

(Bergreichenstein)

Vimperk

(Winterberg)

Prachatice

Kvilda

(Prachatitz)

(Außergefild)

Kubová Hut‘ (Kubohütten)

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Waldhäuser

Volary Str áz ny´ St. Oswald-Riedlhütte (Wallern) (Kuschwarda) Philippsreut Maut Grafenau Ceské Zleby Bischofsreut(Bömisch Röhren) Hinterschmiding Freyung Grainet ˆ

Waldkirchen Fürsteneck

Passau (Pasov)

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Tittling Röhrnbach


BAYERN & KULTUR aus mit Wagen und „Saumpferden“ nach Böhmen transportiert und von dort Korn, Hopfen, Pelze und Glas zurück. Das Mittelalter hindurch gab es Konkurrenz und Streit zwischen den Passauer Fürstbischöfen und den Herzögen von Bayern, denn die ließen ihren Salzhandel auf eigenem „Guldensteig“ von Schärding über Vilshofen und Grafenau abwickeln, um dem Fürstbischof keine Maut zahlen zu müssen. Als die Habsburger im 17. Jahrhundert das Salzgeschäft über Bayern nach Böhmen verboten, brach auch der übrige Handel zusammen – und damit der Wohlstand im Säumerland. Doch in diesem Jahrtausend wurde über den Grenzsaum nicht nur Handel getrieben, sondern ja auch Kunst und Handwerk, Musik und Literatur ausgetauscht, gewandert, geschmuggelt und gewildert, geliebt, geheiratet und geerbt. Zur 600-Jahrfeier der Stadterhebung nahm Grafenau 1976 die Tradition der Säumerzüge mit einem alljährlichen Fest wieder auf. Inzwischen erinnert beiderseits der Grenze rund ein Dutzend historischer Feste an die Blütezeit der Region. Aber zum Millennium einen gemeinsamen Festspielsommer zu inszenieren, hinderte sie ihr traditionelles Kirchturmdenken. Doch politisch wollen die Kommunen am „Goldenen Steig“ auf Initiative des Freyunger Bürgermeisters Olaf Heinrich heuer zum Jubiläum und 20 Jahre nach der Grenzöffnung an die langen Zeiten guter Nachbarschaft im Säumerland anknüpfen. Diese wurden von Verletzungen durch Kriege und gegenseitige Vertreibungen, durch Nationalismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert in den Hintergrund gedrängt. Bei den Alten heilen die Wunden langsam, bei den Jungen müssen Kontakte über die Grenze komplett neu aufgebaut werden, besonders über die Sprachgrenze. Ältere Tschechen sprechen meist noch Deutsch, das für alltägliche Verständigung reicht, die jungen lernen aber eher Englisch. Von den Deutschen versteht

Ministerpräsident Seehofer bereitet Staatsbesuch in Prag vor. auch an der Grenze kaum jemand tschechisch. Die Sprachbarriere ist bei der Jugend nur mit Anstößen über die Schulen langsam abzubauen. Um die Spannungen und bisherige „Sprachlosigkeit“ zwischen Prag und München zu beenden und die Kooperation zu verbessern, will Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in diesem Jahr einen Staatsbesuch in Prag vorbereiten, wo heuer eine neue Regierung gewählt wird. Engere Zusammenarbeit und grenzüberschreitende Entwicklungsprojekte, insbesondere zwischen dünn besiedelten und wirtschaftlich gleich schwachen Kommunen in Niederbayern und Südböhmen, setzen aber nicht nur Verständigungswillen und EU-Fördergelder voraus, sondern oft auch staatliche Abkommen auf Regierungsebene. Ende März will Seehofer in Freyung an einer Konferenz der Bürgermeister beiderseits des „Goldenen Steiges“ teilnehmen. Er möchte sich ihre Wünsche und Ideen zu den Bereichen Infrastruktur, Tourismus und Sprachförderung anhören und zu dem Thema sprechen: „Gute Nachbarschaft beginnt vor der Haustüre.“ Gute Nachbarschaft wurde schon öfter beschworen – zuletzt 2008 von den Ministerpräsidenten Beckstein und Topolanek. Im Mai Bayerischer Monatsspiegel 155_2010

2009 war Tschechiens Staatspräsident Václav Klaus in München. Er wurde da mit der Goldenen Medaille des Peutinger-Collegium ausgezeichnet, mit der Persönlichkeiten geehrt werden, die sich für Demokratie und Freiheit eingesetzt haben. Der Wirtschaftswissenschaftler Klaus, von 1992 bis 1997 tschechischer Ministerpräsident und seit 2003 Staatspräsident, gilt als Motor für den marktwirtschaftlich orientierten Reformkurs in Prag nach dem Ende des Eisernen Vorhangs.

Wohlstand durch Salzhandel.

Im Vordergrund stehen Kennenlernen und aktuelle Sachfragen. Die Entwicklung des gemeinsamen Wirtschaftsraumes auf der traditionellen Industrieachse von Nürnberg, Regensburg und Deggendorf über Cham nach Westböhmen bis Pilsen und Prag ist bisher mit direkten Nachbarschafts-Projekten recht gut vorangekommen. Dazu tragen die Autobahn und mehrere Grenzübergänge für Pkw, Lkw und Bahnlinien bei. Letztere führen alle – auch die von Deggendorf über Bayerisch Eisenstein – nach Westböhmen und Pilsen. Nachholbedarf bei der Verkehrs-Infrastruktur besteht vor allem zwischen Nieder­bayern und Südböhmen, konkret im Säumerland zwischen Passau, Freyung und Budweis. Gute Zusammenarbeit herrscht bei den Nationalparken und der IHK, aber nicht im Tourismus. Es gibt nur einen Auto-Grenzübergang (B 12), keine Bus- oder Bahnlinie. Die nachhinkender Entwicklungen im Grenzgebiet zu entwickeln, eine abgestimmte Energiepolitik und gemeinsame Ziele in der EU bieten Seehofer genug Gesprächsstoff. Zur Wiederbelebung braucht das historische Säumerland politisches Salz aus München und Prag; aber auch Pfeffer würde nicht schaden. n Hannes Burger, 1937 in München-Schwabing geboren, war Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung und Bayern-Korrespondent der WELT. 22 Jahre lang schrieb er die Salvator­reden für den Stark­ bier­anstich auf dem Nockherberg. Heute lebt er im Bayerischen Wald und trägt den Ehrentitel „Botschafter Niederbayerns“.

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BAYERN & KULTUR Michael Weiser

Kleiner Ort mit großen Talenten Oberammergau bereitet sich auf die diesjährigen Passionsspiele vor

Die Passion in Oberammergau ist nicht das älteste Spiel, aber das mit der längsten und eindruckvollsten Tradition. Die Entstehungsgeschichte klingt nach Romanstoff. Sie führt in den Dreißigjährigen Krieg, eine Zeit schlimmster Not, mit Krieg, Zerstörung, Hunger. Im

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Photo: Passionsspiele Oberammergau 2000

Der Mann glüht von innen heraus. Man hat es im Winter gesehen, bei den Freilichtproben: Eine nicht zu dicke Jacke hing von den Schultern Christian Stückls, die obersten Knöpfe seines Hemdes standen offen. Die Anderen auf der Bühne, hartgesottenes Bergvolk, waren für die Freiluftproben mitten im Winter eingemummelt wie für eine Hochgebirgstour und traten doch nach zwei, drei Stunden fröstelnd von einem Bein aufs andere. Christian Stückl übersieht auch jetzt, nach Monaten harter Proben, geflissentlich alle Zeichen von Ermüdung und feilt weiter, mit den Händen wedelnd wie ein Dirigent: „Fredi, ganz gelassen sag deinen Text, und schau einem jeden ganz ruhig in die Augen.“ Passionsspiel ist was anderes als Theater: Es ist Ehre, Mission, Härtetest. „Da raus“, sagt Stückl und meint die fußballfeldbreite Bühne im Oberammergauer Passionsspielhaus, „geht keiner wegen des Geldes.“


„Irgendwann möchte ich auch mal Jesus sein“. Volk tummeln sich Hunderte auf der Bühne, darunter Dutzende Kinder. Disziplin erwächst da aus Hingabe. Schon die Vorstellung der Hauptdarsteller gut ein Jahr vor der Premiere ist ein Ereignis, zu dem schon auch mal der Ministerpräsident anreist. Das ganze Dorf scheint sich dann vor dem Passionsspielhaus zu drängen und auf eine Tafel zu starren, wo mit Kreide die Namen der Darsteller notiert werden. Und da kann es geschehen, dass bei solchen Gelegenheiten auf der Bühne ein Dreikäsehoch steht und ins Mikrofon sagt: „Irgendwann möcht ich mal Jesus sein.“ Großes Schauspiel gibt es hier nicht nur in Dekaden. In den Jahren zwischen den Passionsspielen arbeiten die Oberammergauer an ihrer Bühnenform, mit Theater, Oratorien, biblischen Stoffen im Breitwandformat. Bühnenbildner, Schauspieler, Musiker werden über Jahre hinweg für den großen Auftritt herangezogen und das seit Jahrhunderten - wohl deswegen konzentriert sich in dem kleinen Ort großes Talent. Bei aller Begabung, allem Engagement: Das Passionsspiel ist kein Selbstläufer, die Oberammergauer müssen es sich jedes Mal neu erstreiten. „Krieg in Oberammergau“ titelte eine Boulevardzeitung, als 1990 der junge Spielleiter Christian Stückl die Gemüter entzweite. Besetzung, Text, Bühnenbild – immer gibt es Stoff zum Diskutieren. Vor dem diesjährigen Spiel ging es unter anderem darum, wann Jesus sterben soll. Nicht mehr am späten Nachmittag, wie bisher, sondern erst spät am Abend, so hatte es sich Stückl in den wuscheligen Dickkopf gesetzt. Als glühender Theatermann denkt er auch an den Effekt. Es gab eine Abstimmung im Dorf, er setzte sich durch. Die Uhrzeit ist nicht die einzige

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Bei Massenszenen wie hier „Jesus im Tempel“ bevölkern Oberammergauer jeden Alters die Bühne.

Neuerung. Seit Jahren bemüht sich der 48-Jährige, den Text zu modellieren. Auch die verbliebenen antisemitischen Passagen hat er getilgt, in engem Zusammenwirken mit jüdischen Verbänden. Und dabei blieb er nicht stehen. „Wenn man’s genau nimmt, ändert sich alles“, sagt Stückl, „es gibt neue Szenen, neue Kostüme, neue Sachen auch in der Musik.“ Und Jesus? Wird vielschichtiger, fordernder. „Er wird nicht streiten noch schreien und man wird seine Stimme nicht hören auf den Gassen“, zitiert der bibelfeste Spielleiter Matthäus. „Und daher stelle ich ihn mir unglaublich geradlinig vor, kompromisslos, einer, der seine Botschaft unbeirrt vorträgt, aber eben nicht laut und fordernd.“ Andreas Richter und Frederik Mayet heißen die Hauptdarsteller, auf die sich ab 15. Mai die Blicke der Besucher richten werden. Die beiden verkörpern abwechselnd den Jesus. Mayet ist ein junger bärtiger Mann mit sanften Augen und sanfter Stimme, der sich der Gestalt des Erlösers in wochenlangen Proben näherte. „Ein Rabbi, ein Lehrer“ will er sein, kein Revoluzzer, „ganz unbeirrbar, einer der sich nicht einschüchtern lässt.“ Wer in Zeiten der Finanzkrise einen zornigen Jesus erwartet hätte, einen, der zum Aufstand gegen Mammon aufruft, sieht sich also enttäuscht. Auch das ist typisch für Oberammergau, 376 Jahre nach dem ersten Spiel: Der Zeitgeist kommt hierher höchstens mal zum Urlaub. Mitspielen aber darf er nicht. n Die Oberammergauer Passionsspiele finden vom 15. Mai bis 3. Oktober statt. Karten unter www.passionspiele2010.de © Thomas Dashuber / Passionsspiele Oberammergau 2010

Das Spiel ist längst eine globale Marke. Mehr als eine halbe Million Besucher strömte vor zehn Jahren zu den rund hundert Aufführungen, viele reisten aus den USA an, wo das Spiel so bekannt sein soll wie das Hofbräuhaus. Die Seattle Times berichtet voller Staunen: „1633 wütete die Pest in Oberammergau – und die Einwohner zahlen heute noch für ihre Heilung.“ Stimmt so nicht ganz, die Passion bringt Millionen ein. Geld, das die hoch verschuldete Gemeinde gut gebrauchen kann. Rund 2500 Oberammergauer sind an dem Spiel beteiligt, hinter der Bühne oder als Volk, als Römer, Hohepriester, als Maria Magdalena, als Pilatus oder eben Jesus. Die Männer lassen sich die Haare nicht mehr schneiden und rasieren sich nicht mehr – bis auf die Römer, was deren Rollen sehr begehrt macht. Bei Proben mit dem

Photo: Passionsspiele Oberammergau 2000

Jahre 1633 schlich sich, von Heimweh getrieben, der Tagelöhner Kaspar Schisler aus dem vom Krieg schwer getroffenen Loisachtal nach Oberammergau und schleppte die Pest ein. Jeder Zehnte erlag dem schwarzen Tod, rund 80 Menschen. Auf dem Höhepunkt gelobten die Oberammergauer, alle zehn Jahre ein Spiel vom Leiden des Erlösers aufzuführen, wenn Gott nur endlich sein Strafgericht beendete. Die Seuche, so sagt es die Überlieferung, erlosch daraufhin. Und die Oberammergauer beeilten sich, ihrem Gelübde nachzukommen. 1634 erlebte das Spiel seine Uraufführung, und seit 1680 findet es immer zum vollen Jahrzehnt statt. 1770 wurde es im Zuge der Aufklärung verboten, um schon bald wieder Urständ zu feiern. Dem Todesboten ist längst verziehen: Eine Straße trägt seinen Namen.

Die Macher der Passionsspiele (v.l. Michael Bocklet, Otto Huber, Christian Stückl, Markus Zwink, Stefan Hageneier).

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FÜR SIE GELESEN

Hermann Simon

33 Sofortmaßnahmen gegen die Krise Wege für Ihr Unternehmen Campus-Verlag, 203 Seiten, 24.90 Euro Prof. Dr. Hermann Simon hat bereits beachtete Bücher wie „Hidden Champions des 21. Jahrhunderts“, „Der gewinnorien­ tierte Manager“ und „Unternehmenskultur und Strategie“ veröffentlicht. Der Vorsitzende der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners weiß, worüber er spricht. Die gegenwärtige Krise ist eine Absatzkrise. Die Kaufverweigerung der Kunden führt zu Entlassungen und Zug um Zug um Rückgang. Verlierer sind vor allen Dingen Restaurants, Hersteller von Industriegütern, der Tourismus und die Bau- und Autoindustrie. Zulegen können in der Krise aber das Bildungswesen, die Baumärkte, Lebensmittelhersteller oder Energielieferanten. Drei Faktoren gibt es, die eine schnelle Wirkung in der Krise erzielen können: Die Kosten, die Absatzmenge und der Preis. Kosten sparen ist immer gut, dazu braucht man aber Weitblick und muss scharf rechnen können. Wer nur Preise senkt, um mehr Käufer zu locken, schneidet sich ins eigene Fleisch. Simon rechnet anhand konkreter Fälle genau vor, welche Maßnahmen sinnvoll sein können und welche nicht. Niemand weiß wirklich, wann die Krise zu Ende ist und wie sie verlaufen wird. Simon hält keine Einzelmaßnahmen, wie beispielsweise Arbeitslohnkürzung oder Arbeitszeitkürzung, für sinnvoll, sondern eine Kombination mehrerer Maßnahmen. Es ist besonders wichtig, wenn der Arbeitgeber mit der Belegschaft langfristig plant und lieber flexible Arbeitszeitenregelungen einführt, als kurzfris-

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tig Mit­arbeiter entlässt. Er verweist auf das Beispiel des Landmaschinenherstellers Claas, der eine Wochenarbeitszeit zwischen 24 bis 51 Stunden vereinbart hat. Das lässt eine flexible Regelung zu. Gefragt ist insbesondere Kreativität. So bietet beispielsweise Hyundai den Käufern, die arbeitslos werden, an, dass sie den finanzierten oder geleasten Wagen zurückgeben können. Oder der deutsche Heizungshersteller Vaillant bietet in USA den Kunden an, die neue Heizung mit dem Geld zu bezahlen, das sie durch die erzielten Energieeinsparmaßnahmen übrig haben.

Im Wachstumsstreben sieht Glück keinen Wegweiser in die Zukunft und fürchtet, die Versäumnisse insgesamt seien so groß, dass Kurskorrekturen längst nicht ausreichten, sondern ein gesellschaftlicher Kulturwandel einen Neubeginn schaffen müsse. Da kann zu spannenden Debatten auch auf dem im Ökumenischen Kirchentag im Mai in München führen. Zuvor aber ist der „neue Glück“ Pflichtlektüre. PS

Insgesamt ein Buch, das sehr konkrete Maßnahmen vorschlägt und deshalb gerade für die Mittelstands-Unternehmer eine anregende Lektüre darstellt. WB

Josef Kraus

Ist die Bildung noch zu retten? Eine Streitschrift Herbig Verlag, 2254 Seiten, 16,95 Euro

Alois Glück

Warum wir uns ändern müssen Wege zu einer zukunftsfähigen Kultur Herbig Verlag, 222 Seiten, 19,95 Euro Er wird gern als Querdenker bezeichnet, doch treffender wäre wohl, ihn einen wachsamen Mahner zu nennen. Da konnte er schon manchem Regierungschef unbequem werden. Nun legt der frisch gekürte Präsident des Zentral­ komitees der deutschen Katholiken eine Mahnschrift vor, die es in sich hat: Dem geradezu freundlichen Untertitel „Wege zu einer zukunftsfähigen Kultur“ setzt er die Herausforderung „Warum wir uns ändern müssen“ voraus. Und begründet das „Warum“ mit Erkenntnissen, die provokant wirken und durchaus auch so gemeint sind. Wie der Satz, die „größte Gefahr für die Demokratie ist der satte, distanzierte Wohlstandsbürger“.

Eine Streitschrift nennt der Autor sein Buch, und wer Karl Kraus kennt, der weiß: Er meint es auch so. Der Leiter eines Gymnasiums im niederbayerischen Vilsbiburg leitet seit vielen Jahren den Deutschen Lehrerverband und hat mit seiner Sorge um die Richtung, die der der deutsche Bildungsweg gegangen ist, nie einen Hehl gemacht. „Eine sprachgewaltige Angriffslust“, bescheinigt Hans Zehetmair dem Chef-Lehrer, mit dem er als Kultusminister schon manchen Disput ausgetragen hat. Kraus spricht von Egalitarismus, der um sich greife und alle Kinder gleich machen wolle; von einem pädagogischen Machbarkeitswahn, der alle Kinder gleich begabt machen wolle; von einer Gefälligkeitspädagogik, die sich in einer hysterischen Stressdebatte ums G8 zeige; von der Quotenfalle, die zu einer planwirtschaftliche Steigerung der Abschlüsse führe. Er plädiert dagegen für Freiheit auch in der Bildung, die wichtiger sei als Gleichheit; für Eigenverantwortung auch der Schulen, die wichtiger sei als der bildungspolitische

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FÜR SIE GELESEN Zentralismus. Er wirbt für die deutsche berufliche Bildung, die besser sei als ihr Ruf und in der zwei Drittel aller Jungen ausgebildet werden. Und er kämpft für Leistung in der Schule und für mehr Selbstbewusstsein: „Wir müssen uns wieder auf unsere Stärken und auf das Bewährte besinnen.“ Eine Streitschrift, die ein Weckruf ist. mpw

stöberte er in Archiven, beschrieb die den hochgerüsteten Dauer-Alarmzustand der Nationalen Volksarmee und die Brutalität der Roten Armee, die sich beim sozialistischen Brudervolk als uneingeschränkte Herrscher auf fremden Boden aufgespielt und fern von jeder juristischen Handhabe waren. Eindrucksvoll auch sein späteres Buch über die westlichen Besatzungsmächte. Nun hat Koop ein kleines Handbuch vorgelegt, das in sechs Kapiteln den Weg in den NS-Staat erklärt, der lange vor Hitler begonnen hatte, mit Nazi-Mythen wie der Mär vom Kampf gegen die Arbeitslosigkeit aufräumt und der im Holocaust-Teil auch darlegt, wie weit das Wissen über Vertreibung und Vernichtung der Juden verbreitet war. Ein kleines Buch nur, doch ein wichtiges gegen das Vergessen. PS

hat. Ein lehrreiches Buch zum besseren Verständnis – gerade wegen der noch immer nicht vollständig überwundenen jüngsten Vergangenheit. mpw

Jörg Schönbohm

Wilde Schwermut Erinnerungen eines Unpolitischen Landtverlag, 464 Seiten, 29,90 Euro

Volker Koop

Nationalsozialismus Wissen, was stimmt Herder Verlag, 128 Seiten, 8,95 Euro Der Münchner Prozess um John Demjanjuk, den mutmaßlichen Aufseher im Vernichtungslager Sobibor, wird voraussichtlich das letzte große Holocaust-Verfahren sein, bei dem noch Zeitzeugen auftreten und von dem unmenschlichen Grauen berichten können, das der Rassenwahn der Nationalsozialisten angerichtet hat. Auch der Zentralrat der Juden bereitet sich gerade auf einen Führungswechsel vor, bei dem Charlotte Knobloch als Überlebende des Nazi-Terrors die Bühne verlässt und mit ihrem wahrscheinlichen Nachfolger erstmals ein nach dem Krieg Geborener zum höchsten jüdischen Repräsentanten in Deutschland gewählt wird. Wenn die Jahre bis 1945 aus dem unmittelbar oder zumindest mittelbar Erlebten hinübergleiten ins Geschichtsbuch, müssen an Stelle der mündlichen Überlieferung künftig verlässliche Fakten helfen, zum einen das Unfassbare auch als Mahnung in Erinnerung zu halten, zum anderen aber auch, Mythen erst gar nicht entstehen zu lassen. Der in Berlin lebende Autor Volker Koop hat schon nach der Wende begonnen, der bald aufkeimenden DDR-Nostalgie mit fundierten Tatsachen entgegen zuschreiben. Bienenfleißig

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Hand Dieter Zimmermann

Tschechien C. H. Beck Verlag, 256 Seiten, 18 Euro Unter dem Titel „Die Deutschen und ihre Nachbarn“ geben Altkanzler Helmut Schmidt und Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker eine auf zwölf Bände angelegte Reihe heraus, in der anerkannte Experten über Kultur, Politik und Geschichte der jeweiliegn Länder berichten. Nun liegt der Band „Tschechien“ vor, verfasst von dem in Prag mehrfach ausgezeichneten Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmermann. Kenntnisreich und anschaulich schildert er das Werden eines Landes, breitet die vielfältigen, engen und über lange Zeit fruchtbaren Verbindungen zwischen Prag und Deutschland aus und schildert die schlimmen Verwüstungen, die ein aufwallender Nationalismus auf beiden Seiten angerichtet

Ein General, der schreibt, das verspricht nicht unbedingt eine prickelnde Lektüre. Und schon gar nicht, wenn der schnoddrig-knappe Tonfall des Jörg Schönbohm in den eigenen Ohren noch nachklingt. Doch ihm ist ein deutsches Geschichtsbuch von großer Qualität gelungen. Das beginnt im preußischen Bürgertum des vergangenen Jahrhunderts und gibt Einblicke in das Leben der Bundeswehr im Kalten Krieg. Doch richtig spannend wird es nach der Wende: Jörg Schönbohm wird nach Straußberg östlich von Berlin abkommandiert, wo er friedlich die Nationale Volksarmee der DDR aufzulösen und die in demokratischer Zeit verwendbare Teile in die Bundeswehr zu integrieren hat. Nach erfülltem Auftrag hängt er die goldgeschmückte Uniform in den Schrank, wird Innensenator in Berlin und schließlich Innenminister und CDUVorsitzender in Brandenburg. Doch die zerstrittene Partei zu befrieden, erweist sich als Mission Impossible. Einen besonderen Reiz erhält das Buch durch Schönbohms Ehefrau Eveline, deren Eltern mit den seinen befreundet waren, so dass man sich von Kindesbeinen an kannte und der gemeinsame Lebensweg schon lange vor der Hochzeit begann. Sie fügt immer wieder Passagen aus ihrer Sicht ein und ergänzt und erweitert dadurch die Sicht. Eine moderne und wahrhaftige Familiensaga. PS

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LEBEN & GENIESSEN Hans-Joachim Epp

Traumküche statt Märchenschloss Schlossanger Alp geographisch und kulinarisch auf höchstem Niveau

Eigentlich, so träumte Ludwig II., sollte hier im Allgäu oberhalb von Pfronten auf Deutschlands höchster Burgruine Falkenstein ein Märchenschloss noch schöner als Neuschwanstein entstehen. Doch die leere Schatulle und der frühe Tod des Monarchen ließen das Projekt über opulente Planskizzen nicht hinauswachsen. Geblieben sind die Ruine und unter ihr eine sonnige Bergwiese, 1130 Metern hoch gelegen und vom Volksmund Schlossanger getauft. Dennoch wurde dort oben ein kleines Märchen wahr: Der zu Ludwigs Zeiten schiefe Stadl verwandelte sich im Laufe der letzten Jahrzehnten zu einem Höhepunkt kulinarischer Genüsse. Seit dem Ersten Weltkrieg im Familienbesitz, wurde aus der hölzernen Alm, im Schwäbischen „Alp“ genannt, eine Käserei, ein Touristenlager und schließlich das Berghotel Schlossanger Alp mit vier Sternen: Ein alpenländisches Haus, liebevoll und rustikal stilsicher in Architektur und Interieur, mit Suiten und Wellnessbereich, Bibliothek und Kinderparadies. Diesem erstaunlichen, in Generationen gewachsenen Werk setzt Eigner-Tochter Barbara

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Schachtner (Bild oben) die kulinarische Krone auf: Sie geht auf Wanderschaft durch die Küchen der deutschen Sternetempel, ist bei Barreis und im Tantris, legt sie in Heidelberg ein Jahr Wanderpause ein und kehrt von dort 1989 mit dem Küchenmeisterbrief und Bräutigam Bernd Ebert auf die Alp zurück. Seit der Heirat trägt sie den Doppelnamen Schachtner-Ebert, bringt die Kinder Beatrice, Bettina und Bastian zur Welt und legt in der Küche die Messlatte zur Meereshöhe passend hoch. Ehemann Bernd ist für die Getränke und den Service verantwortlich. Die tagtäglich erbrachten Leistungen der Küchenmannschaft kann man am besten so charakterisieren: Deutsche Küche saisongerecht komponiert, die Produkte kommen bevorzugt aus der Allgäuer Region, auf der Karte gilt Ehrlichkeit statt Schnickschnack. Vergeblich sucht man den Dialog von rosa gebratener Gänsestopfleber mit gehobelten Perigordtrüffeln auf Calvadosspiegel. Stattdessen wird Tipp: Wildentenconfit mit Apfel und Zimt

geboten. Das in grobe Stücke geschnittene und mit Äpfeln und Zwiebeln gekochte Entenfleisch, meist Keule, erhält seinen aus-


LEBEN & GENIESSEN gewogenen Geschmack durch die im Mörser leicht zerdrückten Gewürze: Pfefferkörner, Wacholderbeeren, Pimentkörner, Zimtstange und Lorbeerblätter, die mit Meersalz vermischt werden. Die Mittagskarte ist überschaubar und enthält fast ausschließlich Allgäuer Spezialitäten, die auch in zwei Dreigang-Menüs zu 19,80 E zusammengefasst werden. Tipp: Oft genügt eine Vorspeise. Hier wird dem Liebhaber der feinen Landhausküche „Das Dreierlei vom Allgäuer Landschwein“ empfohlen: Schweinebäckle auf Linsenvinaigrette, Blutwurstsäckchen am Krautsalat und Schweinebauch mit Apfelmeerrettich (14,90 E). Die Beilagen sind mild abgestimmt. Feiner Balsamico-Essig, fruchtiger Apfel, der dem Meerrettich die Schärfe nimmt, und ein nicht zu rassiger Krautsalat belassen dem jeweiligen Hauptdarsteller den Vorrang.

Das Abendangebot der Küche enthält rund 20 Möglichkeiten und verlangt vom Gast Entscheidungsfreudigkeit. Hier gilt die bewährte Grundregel, zunächst den Hauptgang zum Protagonisten des Diners zu bestimmen. Und dann erst zu wählen unter den vier Vorspeisen, drei Suppen und zwei Zwischengerichte.

Der Weinkeller des Hauses ist ein Blickfang für die Gäste. Einsehbar, aufgeräumt und gut bis sehr gut bestückt. Eine beeindruckende Vinothek, alle bedeutenden Weinanbaugebiete Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Österreichs ergänzt durch die wesentlichen aus Übersee (Australien, Chile und Südafrika) sind mit ihren besten Rebsorten und Jahrgängen vertreten. Die knapp zwei Dutzend Ausschankweine, alle auf gutem bis sehr gutem Zechniveau, liegen preislich zwischen 4,10 E bis 12,00 E je Viertelliter. Tipp: 2008er Chardonnay, vom Winzer Thomas Seeger, Badische Wein­ straße (8,50 E), der so manchem Südtiroler seine Grenzen aufzeigt.

Eine gute Alternative zu den rund 200 Kreszenzen, die in 0,75 L-Flaschen angeboten werden, die meisten von ihnen im Preisband von 19,00 bis 49,00 E. Ein für Weinfreunde seltenes und wahrscheinlich nur hier preiswertes Genusserlebnis ist aus dem Jahrhundertjahrgang 2004 der Amarone Classico Costasera aus dem italienischen Veneto für 65,00 E.

Tipp: Die Rehterrine und der leicht geräucherte Hirschschinken auf mariniertem Blaukraut mit winterlichen Blattsalaten und Balsamico­ kirschen (15,50 E). Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen Blaukraut und Balsamicokirschen.

Wieder angesagt ist es, einem guten Mahl einen adäquaten Digestif folgen zu lassen, auf bayerisch „schnapseln“. Diesen Trend nimmt die Spirituosenkarte auf. Knapp 100 verschiedene Wässer, Geiste, Brände, alle Spielarten der Destillation, stehen

Köstliche Einstimmung bringen auch die Suppen: Eine Kartoffelsuppe nach Omas Rezept mit Speck und Brotwürfeln (6,50 E), die durch ihre Konsistenz und die geschmackliche Abrundung mit Majoran und Rosmarin beeindruckt. Oder eine Meerrettichrahmsuppe mit gebratener Blutwurst, der wir Brust und Keule von der Taube auf Erdartischockenragout mit Rotweinsauce und Kartoffel­krapfen folgen lassen.

zur Auswahl und werden statt in 2 cl als 3 cl ausgeschenkt. Kein großer Name fehlt, aber auch so mancher Newcomer wie der Bayerische Whiskey Slyrs vom Schliersee hat seinen Platz in der Bar gefunden.

Das Täubchen, mit Meersalz sowie Paprika leicht gewürzt und auf den Punkt gebraten, bietet mit dem Erdartischockenragout eine rundum erfreuliche optische und geschmackliche Einheit, die durch die beim Braten gezogene und mit Rotwein abgelöschte Sauce vervollkommnet wird. Empfohlen und getrunken wurden zu den Gängen vom Jahrgang 2008 der Silvaner aus dem unterfränkischen Winzerkeller Sommerach und der Lemberger von Thomas Seeger aus dem badischen Leimen. Dass Kernobst und Schokolade zusammenpassen, weiß jeder Feinschmecker, dass aber „Dreierlei von Schokolade“ mit einem frischen Birnenkompott sich zu vollendeter Harmonie vereinen, bewies das Dessert unseres Dreigang-Menüs (inklusive Getränke 74,00 E).

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Keine Kritik? Heute nicht. Schwachstellen hätten gesucht werden müssen. Doch wer erlebt, wie über Nacht mit dem Neuschnee auch das Almniveau noch einmal um einen Meter steigt, lässt es dabei bewenden und genießt das Erfahrene und die wilde Romantik der Alp. n Barbara und Bernd Schlachter-Ebert Schlossanger Alp Berghotel · Am Schlossanger 1 · 87459 Pfronten Tel. 08363/914550 · info@schlossanger.de · Kein Ruhetag

Hans-Joachim Epp ist Sachverständiger für das Hotelwesen und Mitglied der Chaîne des Rôtisseurs Oberbayern.

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Veranstaltungen des Peutinger Collegiums

Ein herzliches Willkommen vor vollbesetzen Saal: Der Präsident des Peutinger Collegiums, Prof. Dr. Walter Beck (Bild r.), begrüßt im Montgelas-Palais des Bayerischen Hofs Bayerns Wissenschaftsminister Dr. Wolfgang Heubisch (Bild l. Mitte) Unter den aufmerksamen Zuhörern in der ersten Reihe von links: Botschafter Dr. Helmut Liedermann, Prof. Dr. Eva Ruhnau und Prof. Dr. Ernst Pöppel.

Großer Dank für die ordnende Hand im Hinter­grund: Über Jahrzehnte organsierte Frau WernerTreutlein das Büro des Peutinger Collegiums. Nachdem sie nun in den Ruhestand getreten ist und Elisabeth Eibach ihre Nachfolge angetreten hat, dankte ihr Peutinger-Präsident Prof. Dr. Walter Beck mit einem prachtvollen Blumenstrauß.

Engagierte Diskutanten: Oben spricht Chefredakteur Peter Schmalz (Bayerischer Monatsspiegel) mit Minister Heubisch, im Hintergrund ist der Straubinger Verleger Prof. Dr. Martin Balle (Straubinger Tagblatt) zu sehen. Im Bild darunter diskutieren Rechtsanwalt Dr. Axel Heublein und Ex-Staats­ sekretär Dr. h.c. Alfred Bayer (r.). Kündigt an, den Wissenschaftsstandort Bayern auszubauen: Minister Dr. Wolfgang Heubisch am Rednerpult. Das Referat brachte auch viel Gesprächsstoff für Prof. Dr. Ernst Pöppel sowie für Ra Dr. Klaus Leipold, Aufsichtsratsmitglie bei TSV 1860 München undund Kayser-Threde-Manager Kai Lenfert (Bilder unten von links).

Prof. Dr. Franz Josef Gießibl, Inhaber des Lehrstuhls für experimentelle Nanophysik Uni Regensburg; er hat im Dezember 2009 den Preis der Karl-Heinz Beckurts-Stiftung erhalten für Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirschaft.

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VORSCHAU

Veranstaltungen des Peutinger Collegiums 2010

Dienstag, 13. April 2010 Henning von der Forst, persönlich haftender Gesellschafter der Fürst Fugger Privatbank KG

Montag, 18. Oktober 2010 Prof. Dr. Harald Lesch, Astrophysiker, Naturphilosoph, Institute for Astronomy and Astrophysics, Ludwig-Maximilians-Universität München

Montag, 31. Mai 2010 Dr.-Ing. Manfred Bayerlein, Vorstandsmitglied, TÜV Süddeutschland. Abend zusammen mit dem Wirtschaftsbeirat Bayern.

Montag, 29. November 2010 Dr. Ludwig Spaenle MdL, Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus

Mittwoch, 16. Juni 2010 Dr. rer. pol. h.c. Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg

Montag, 19. Juli 2010 Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a. D., Direktor des Institutes für Finanz-und Steuerrecht Universität Heidelberg. Überreichung der „Goldenen Peutinger-Medaille“. Laudatio: Georg Fahrenschon MdL, Staatsminister der Finanzen

Impressum Redaktion Peter Schmalz (Chefredakteur) Julius Beck Schellingstraße 92 · D-80798 München redaktion@bayerischer-monatsspiegel.de Leserbriefe an die Redaktion oder an leserbriefe@bayerischer-monatsspiegel.de Verlag & Anzeigen Bayerischer Monatsspiegel Verlagsgesellschaft mbH Schellingstraße 92 · D-80798 München Tel: +49 89 600 379-66 · Fax: +49 89 600 379-67 www.bayerischer-monatsspiegel.de Herausgeber Prof. Dr. Walter Beck, Peutinger Collegium Gestaltung, Realisierung & Anzeigen NBB GmbH · Ridlerstraße 33 · 80339 München www.nbbgmbh.de

Donnerstag, 23. September 2010 Dr. Thomas Enders, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luft-und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI), CEO von Airbus

Bayerischer Monatsspiegel 155_2010

Druck Stulz Druck und Medien GmbH · Bodenseestr. 226 81243 München · www.stulz-druck-medien.de

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