Bayerischer Monatsspiegel #153

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Verlag Bayerischer Monatsspiegel | 45. Jahrgang 2009 | Postvertriebsstück 69234 | ISSN 1860-4561 | Einzelpreis 7,50 EUR

Ausgabe 153

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September 2009

Titelthema: Metropolregion Nürnberg Günther von Lojewski: Die Nacht, als die Mauer fiel Ilse Aigner: Im Rhythmus der Natur Wolfram Weimer: Steinmeier ist nicht schuld Peter Schmalz: Seehofers klare Kante Charlotte Knobloch: Zurück in der Stadt Günther Beckstein: Franken und Bayern Karl-Theodor zu Guttenberg: Franken mit Kämpferqualität Václav Klaus: Positive Nachbarschaft Peter Gauweiler: Vom Geschlecht der Ruhestörer Hannes Burger: Brüchige Glasstraße


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Karikatur: Horst Haitzinger

EDITORIAL

Demokratien denken kurzfristig. Darauf hat schon Alexis de Tocqueville 1831 in seinem Buch „Über die Demokratie in Amerika“ hingewiesen. Er beschreibt auch das Verhältnis von Gleichheit und Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft und spricht sich für den Vorrang der Freiheit aus. Die Gleichheit hat zwei Tendenzen: Ist sie eine formale Gleichheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, führt sie den Menschen in die Freiheit. Ist sie die materielle Gleichheit, eine Gleichmacherei, so führt sie zu einem starken zentralistisch organisierten Staat, gegen den sich das Individuum nicht mehr wehren kann. Dieses Spannungsverhältnis hat nichts an Aktualität verloren: Die einen kämpfen für die Freiheit mit allen ihren Risiken in sozialer Verantwortung. Die anderen sind für die Gleichmacherei. Bei der PDS geht es bis zu dem Slogan „Reichtum für alle“. Norbert Bolz nimmt dieses Spannungsfeld in seinem Buch „Diskurs über die Ungleichheit“ auf (Seite 81). Demokratie denkt kurzfristig. Dennoch reden wir alle von der Nachhaltigkeit, davon, dass wir unsere Erde für unsere Enkel bewahren müssen. Das fordert zu langfristigem Denken auf. Sind die demokratischen Staaten dazu langfristig wirklich in der Lage? Prof. Peter Höppe von der Münchener Rückversicherung AG hat sich in seiner Rede vor dem Peutinger-Collegium mit dem langfristigen Problem der künftigen Geo-Risiken intensiv auseinandergesetzt (Seite 20).

Unser Schwerpunkt hat die Metropolregion Nürnberg im Fokus (ab Seite 32). „Heimlich und leise“ hat sich dieser Bereich zu einem Wirtschaftszentrum in Bayern entwickelt. Besonders reizvoll ist es auch deshalb, weil gerade diese Region vielfache Vernetzungen zu Tschechien zeigt. Deshalb war der Abend mit dem tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus ein Highlight (Seite 60). Als leidenschaftlicher Kämpfer für die Freiheit stößt er nicht überall auf Gegenliebe. Noch ein letztes Wort zu dem Phänomen „Guttenberg“ (Seite 40): Ein 2500 Jahre altes chinesisches Wort mag manches erklären: „Jemand fragte: Wenn der Edle redet, dann schafft er Literatur; wenn er handelt, dann schafft er Tugend. Wie kommt das? Ich antwortete: Weil er prall ist im Inneren, ist er prächtig im Äußeren“. Yang Hiung

In diesem Sinn

Prof. Dr. Walter Beck Präsident Peutinger Collegium

Titelseite Bei seiner Eröffnung im Jahr 2002 war der transparent-elegante Business-Tower in Nürnberg mit 135 Metern Bayerns höchster Büroturm. Einen großen Teil der 34 Geschosse nutzt die Nürnberger Versicherung, mehrere Etagen hat auch das Communication Center Nürnberg gemietet.

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INHALT

Aktuelles Editorial Kurz gemeldet Titelthema Metropolregion Nürnberg

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Vorschau Das Heft 154 hat den Schwerpunkt Finanzen: Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon über sparsames Wirtschaften in schwieriger Zeit · Die Banken als Partner der Unternehmen im neuen Aufschwung: Ein Gespräch mit Bankenverbands-Vorstands Manfred Weber · Ist Gold so wertvoll, wie es glänzt? Eine Analyse · Und vieles mehr rund ums Geld.

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Politik&Wirtschaft

Metropolregion Nürnberg

Günther von Lojewski „Wir machen alles auf“

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Günther Beckstein Franken und Bayern

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Ilse Aigner Im Rhythmus der Natur

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Ulrich Maly Im Zentrum Europas

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Hugo Müller-Vogg Wahlkampf mit Gretchenfrage

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Keimzelle für Erfolg und Innovation

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Wolfram Weimer Steinmeier ist nicht schuld

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Karl-Theodor zu Guttenberg Franken mit Kämpferqualität

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Martina Fietz Sag’ leise Servus

| 16

Ivan Steiger Groß im kleinen Format

| 42

Peter Schmalz Klare Kante

Ein Zug wird kommen

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Wo die Kanzlerin feiert

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Siegfried Balleis Raum für starke Köpfe

| 48

Erich R. Reinhardt Im Zukunftstal der Medizin

| 50

Michael Hohl Kultur und Kult-Tour

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„Unternehmer bleibt Herr im Haus“

| 54

Peter Höppe Naturgefahren durch Klimawandel | 20 Charlotte Knobloch Jüdisches Leben kehrt in die Stadt zurück

| 24

Reuschel & Co. Marktkommentar Vorsicht vor allzu hohen | 28 Erwartungen Johannes Friedrich Kommunist bittet zum Tischgebet | 30

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INHALT

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Metropolregion Nürnberg Bayern&Kultur

Leben&Genießen

Markus Stodden Himmlisches Bräu aus Franken

Hans-Joachim Epp Gasthaus „Altes Bad“

Artur Steinmann Paradies für Feinschmecker und Weinliebhaber

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Bayern&Tschechien Václav Klaus Positive und produktive Nachbarschaft

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Peter Schmalz Frischer Wind für Europas Opernbühnen

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Hannes Burger Brüchiger Glasstraße

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Dank und Respekt – Bundeswehr-Gelöbnis in München

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Veranstaltungen des Peutinger Collegiums

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Vorschau Veranstaltungen des Peutinger Collegiums

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Peter Gauweiler Vom Geschlecht der Ruhestörer

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Walter Beck Bayern und Tschechien

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Michael Weiser Selbst Voltaire lernte Bayreuth zu schätzen

Weitere Themen im Heft 154: Benediktiner-Erzabt Notker Wolf über die soziale Verantwortung der Manager · Hugo Müller-Vogg analysiert Berlins Start in die nächsten vier Jahre · Wie entwickelt sich der Wirtschaftsbeirat der Union? Ein Treffen mit Präsident Otto Wiesheu.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Günther von Lojewski

„Wir machen alles auf“ Vor 20 Jahren: Die Mauer fällt und keiner ist darauf vorbereitet – Erinnerungen an eine historische Nacht

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POLITIK & WIRTSCHAFT Es ist, anno ‘89, vor gerade zwanzig Jahren, natürlich ein glücklicher Zufall und sonst nichts, dass mein beruflicher Wechsel von München nach Berlin und der Fall der Mauer zeitlich nahezu zusammentreffen. Zur Überraschung vieler hat mich der Rundfunkrat des Senders Freies Berlin (SFB), gegen den erklärten Willen des gerade ins Amt gekommenen „Regiermeisters“ Walter Momper, zum Intendanten gewählt. Und so kehre ich im Hochsommer 1989 dahin zurück, wo ich 1935 geboren, 1948 während der Blockade ausgeflogen und seitdem nur sporadisch zu Besuch gewesen bin. Wo aber für einen politischen Journalisten die Musik spielt. Weil ein Eiserner Vorhang eine ganze Stadt teilt, weil hier der Fokus des Kalten Krieges ist und die Schnittstelle zwischen Ost und West, zweier Ideologien und zweier politischer Systeme. Nachdem ich bereits vor, während und nach der Konferenz von Helsinki die Bedeutung und die Wirkung elektronischer Medien einzuschätzen gelernt hatte, reizt mich die Aufgabe in Berlin besonders. Über die Sendemasten des SFB, aus der Mitte der DDR und weit in das Land hinein, will ich jetzt beitragen, dass die Deutschen, die in Unfreiheit gehalten werden, mehr über Grundund Freiheitsrechte sowie über den Alltag des „Klassenfeindes“ im Westen erfahren, als dem Regime in Ost-Berlin und seinen Medien lieb sein kann. Als Ungarn die Grenze zu Österreich öffnet oder DDR-Bürger über die Deutsche Botschaft in Prag per Bahn mitten durch ihren Staat ausreisen: Da erfahren die Menschen in der DDR auf Weisung der Partei in „ihren“ Medien – nichts. Als sie montags rund um die Kirchen zu demonstrieren beginnen, müssen sie das, um wahrgenommen zu werden, so einrichten, dass Kuriere ihr Filmmaterial gerade rechtzeitig zur Hauptnachrichtensendung nach West-Berlin bringen können, für die „Tagesschau“. Wenn einer Schutz vor Repressionen sucht, tut er dies vor Kameras und Mikrofonen - von ARD und ZDF. Nicht zufällig ist zuletzt „Pressefreiheit“ eine der wichtigsten Forderungen derer, die die DDR noch glauben reformieren zu können. Vergeblich, das Ende der DDR und mit ihr ihrer staats- und parteieigenen Medien ist nicht mehr aufzuhalten. Am 9. November ist es so weit, plötzlich und unerwartet. Der Tag wird nicht nur zu einer bis dahin nie dagewesenen Herausforderung deutscher Politik, sondern auch zur Bewährungsprobe für den öffentlichrechtlichen Rundfunk der Bundesrepublik. An vorderster Front: Der Sender Freies Berlin in der „Frontstadt“. Bundeskanzler Helmut Kohl weilt gerade in Warschau, und bei ihm sind unsere besten Journalisten und Techniker, Kameras und Mikrofone. Walter Momper amüsiert sich an diesem Abend in Berlin im Springer-Hochhaus, wo das „Goldene Lenkrad“ verliehen wird. In Ost-Berlin tagen Politbüro und Zentralkomitee der SED erstmals unter der Leitung des neuen Generalsekretärs Egon Krenz, um die explosive Situation im Land zu entschärfen. Nichts deutet auf den Vorabend einer Revolution hin. Eine neue Regelung auf der Tagesordnung des ZK zur (beschränkten) Ausreise ins Ausland steht zwar nicht auf der Tagesordnung, wird vom Innenminister nach altem Ritus aber den Parteigremien zur Absegnung vorgelegt und „eher beiläufig“ zur Kenntnis genommen. Günter Schabowski, zuständig für Agitprop, geht damit um 18 Uhr vor die internationale Presse. Æ

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POLITIK & WIRTSCHAFT

Den „Knüller“ hebt er sich bis zum Schluss auf. Da antwortet er auf eine Frage des italienischen Korrespondenten Riccardo Ehrmann: „Es ist heute, soviel ich weiß, eine Entscheidung getroffen worden … und deshalb, äh, haben wir uns entschlossen, heute, äh, eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, äh, auszureisen.“ Nachfrage: „Ab wann tritt das in Kraft?“ Schabowski zögernd: „Die Genehmigungen werden unverzüglich erteilt.“ Ungläubig setzt Ehrmann noch einmal nach: „Und wann tritt das in Kraft?“ „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Mit diesen Worten stößt Günter Schabowski einen weltgeschichtlichen Prozess an. „Blitz“- und „Eil“-Meldungen der Agenturen verbreiten die Nachricht, und bei Springer ist die Party „over“. Zumindest für Walter Momper und mich. Der eine rast mit Eskorte davon, der andere macht in der Vorahnung auf ein historisches Ereignis noch einen kurzen Zwischenstopp am geschichtsträchtigen Checkpoint Charly. Unser beider Ziel ist freilich dasselbe: Das Fernsehzentrum des SFB. Als ich dort ankomme, hat Momper in der „Abendschau“ bereits sein erstes Interview gegeben; das erste von zahllosen in dieser Nacht. „Dies ist der Tag, auf den wir lange gewartet haben“, hat er zu Jochen Sprentzel gesagt. Der erfahrene (Sport-)Journalist hilft an diesem Abend als Moderator aus und glaubt noch an einen „Spaß“, als man ihm ins Studio zuruft: „Die Mauer geht auf. Momper kommt.“ Jetzt wartet Momper auf den nächsten Auftritt in der „Tagesschau“. Um ihn herum ein hektisches Kommen und Gehen. Als wollte jeder, der nur laufen kann, an diesem Abend im Sender dabei sein, mit Kamera und Mikrofon helfen, dass die Mauer wirklich „unverzüglich“ aufgeht und die Stadt die Umklammerung abwirft, unter der auch sie alle seit Jahrzehnten physisch und mental gelitten haben. Sie sollten in dieser Nacht die ganze Welt mit Bildern und Texten versorgen.

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Ich verabrede mit Horst Schättle, dem Fernsehdirektor, der erst wenige Tage zuvor ins Amt gekommen ist, dass er sich vorerst um die Berichterstattung im Dritten kümmere. Eine seiner schwierigsten Aufgaben wird sein, die Personalvertretung zu überzeugen, dass die Arbeitszeitordnung wohl außer Kraft zu setzen sei. Ich selbst suche das Notwendige in der ARD zu veranlassen, die ich besser kenne als er. Dabei stoße ich telefonisch in München auf einen Chefredakteur, der von nichts noch nichts weiß, aber auch nicht bereit ist, Heim und Brotzeit für eine Aktualisierung seines „Tagesthemen“-Kommentars zu verlassen. So verpassen nicht wenige Fernseh- und Hörfunkprogramme ein historisches Ereignis. Auch die DDR-Führung ist, wie wir heute wissen, von der schnellen Reaktion der elektronischen Medien im Westen überrascht, gleichsam überholt worden. In Ost und West werden die Menschen von „Abendschau“ und „Tagesschau“ informiert, und nun machen sie sich auf, diesseits und jenseits der Mauer „unverzüglich“ zu sehen, was die neue Ausreiseregelung meint. In OstBerlin aber befindet sich die Nomenklatura auf dem Heimweg ins Promi-Ghetto Wandlitz und ist nicht zu erreichen für die, die an der Grenze noch keine Anweisungen haben, aber bald Hunderttausenden Herandrängender gegenüber stehen und die Verantwortung übernehmen sollen, dass eine friedliche Demonstration nicht in ein Blutbad mündet. Es ist der DDR-Grenz-Oberstleutnant Görlitz, der schließlich entscheidet: „Wir fluten jetzt … Wir machen alles auf.“ Walter Momper hält sich zu diesem Zeitpunkt noch immer im SFB auf. Instinktiv hat er erkannt, wo sein Platz an diesem Abend ist, und allmählich, je öfter er sich selbst auf den Monitoren sieht, so hat er später erzählt, begreift er auch, dass es wohl „etwas Historisches“ sein müsse, an dem er selbst gerade teilhat. Nur einmal verlässt er das Haus kurz für eine Sondersitzung des Senats.

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Ratlose DDR-Grenzsoldaten vor DDR-Bürgern, die voller Freude auf der Mauer tanzen; Rotkäppchen-Sekt-Duschen für jubelnde Menschen und auch für Autos, die erstmals ohne Grenzkontrolle von Ost nach West fahren dürfen; Tränen des Glücks in der Nacht des 9. November, als die kommunistischen Diktatoren in Ostberlin dem Freiheitsdrang ihrer Bürger nachgeben mussten. Dem Mauerfall folgte knapp ein Jahr später die deutsche Einheit.

Danach teilt seine Stellvertreterin Ingrid Stahmer vor der Presse mit, man rechne „so mit tausend bis zweitausend Besuchern in den nächsten Tagen“. Es werden Millionen. Nur, es ist wie verhext, wo immer unsere Reporter um diese Zeit erscheinen, bringen sie noch keinen einzigen „Ausreisenden“ vor ihre Mikrofone und Kameras. Auch Robin Lautenbach nicht, der, als Hanns-Joachim Friederichs mit ein wenig Verspätung die „Tagesthemen“ anmoderiert, gerade am Übergang Invalidenstraße steht. Da, im letzten Augenblick, kommen ihm wenigstens die ersten Augenzeugen zu Hilfe: An der Bornholmer Straße seien sie auf ein Pärchen gestoßen, „sie sind uns um den Hals gefallen, und wir haben alle gemeinsam geweint“. Wenig später spreche ich in den „Tagesthemen“ den Kommentar: „Heute besteht Anlass zur Freude. Kein Anlass für Häme oder Rechthaberei. Nicht die einen Deutschen waren klüger und fleißiger, sondern die anderen 40 Jahre länger mit Unfreiheit geschlagen. An ihnen ist jetzt wiedergutzumachen, was an Millionen gutgemacht wurde, die bereits 1945, aus ihrer Heimat vertrieben, nach Westdeutschland kamen … Wiedervereinigung? ‚Nie davon reden, immer daran denken’, so sind die Franzosen einmal mit einem Stück verlorenen Landes umgegangen. Die Perspektive unserer Tage heißt Europa.“ Es wird eine „waaahnsinnige“ Nacht ohne Ende. Ost und West fallen sich in die Arme, jubeln und weinen, singen und trinken und tanzen auf der Mauer und verpesten mit Trabis die Luft. Dass sie den Verkehr in der Stadt tatsächlich zum Erliegen bringen, wie Walter Momper befürchtet hat, kümmert niemanden. Wirte schenken kostenlos Punsch aus, und als der neue Tag die Nacht ablöst, gibt es Kaffee, „Sonderwürste“ und Semmeln umsonst. So viel grenzenlose, ungetrübte Freude kann einer Generation nur einmal beschieden sein.

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Über all das hat der SFB in dieser Nacht und in den folgenden Tagen zu berichten. Rund um den Globus laufen unsere Bilder. Bis die ganze Fernsehwelt ihr Personal und Equipment ans Brandenburger Tor gebracht hat, leistet der SFB zusätzlich weit über einhundert Mal internationale Produktionshilfe. Der ARD stellt er allein am 10. November mehr als 150 Hörfunk-Beiträge zur Verfügung, im Fernsehen in zehn Tagen nicht weniger als 140 Sondersendungen. Darunter am Sonntag, 12. November, eine spontane Matinee der Berliner Philharmoniker mit Daniel Barenboim und von 14 Uhr bis Mitternacht ein Rockkonzert mit Joe Cocker, Udo Lindenberg und Nina Hagen, das der Sender selbst veranstaltet. Weltgeschichte ist, wie wir heute wissen, aus dem geworden, was mutige Bürger in der DDR im Herbst 1989 in Gang gesetzt haben. Der Mauer-Öffnung folgten die deutsche Wiedervereinigung, der Zerfall der Sowjetunion, der Zusammenbruch des Warschauer Paktes und des Comecon, der Niedergang des Marxismus-Leninismus und zu guter Letzt die Selbstbefreiung aller osteuropäischen Staaten und ihre Rückkehr in die europäische Gemeinschaft. ■

Günther von Lojewski, 1935 in Berlin geboren, promovierte in Bonn über die bayerische Bistumspolitik im 16. Jahrhundert und begann seine journalistische Karriere bei der FAZ. Als Leiter der ZDF-Nachrichtenredaktion führte er das heute-journal ein, wurde Chef der Report-Redaktion beim Bayerischen Rundfunk und wechselte 1989 als Intendant des SFB nach Berlin. Er lebt in München und engagiert sich für den Aufbau des freien Journalismus vor allem in Russland.

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POLITIK & WIRTSCHAFT

Ilse Aigner

Im Rhythmus der Natur Bauern zwischen Tradition und Zukunftschancen

Unsere bäuerliche Kultur hat tiefe und erfolgreiche Wurzeln. Bauern haben die Bevölkerung ernährt und ernähren sie immer noch. Die Bauern waren dem stetigen Wechsel der Witterung ausgesetzt und mussten dennoch ihr Überleben sichern. Sie wussten, dass sie für die Zukunft vorsorgen müssen. Sie wussten, dass, was auch immer verdient wird, in den eigenen Hof gesteckt wird, um die eigene Lebensgrundlage zu erhalten. Die Bauern waren deshalb auf der „sicheren“ Seite und haben Neuerungen zunächst immer recht skeptisch beurteilt. Die Kartoffel ist ein recht berühmtes Beispiel dafür. Als sie aus Südamerika in Europa ankam, wurde sie mehr als 100 Jahre lang von den Bauern missachtet. Ihr wurden giftige Eigenschaften zugeschrieben, sie galt als Arme-Leute-Essen, das keinen Markt hatte. Erst der Befehl des preußischen Königs Friedrich II. zum Anbau der Kartoffel, um Hungersnot zu vermeiden, brachte den Durchbruch. 씮

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POLITIK & WIRTSCHAFT Heute gibt es in Deutschland mehr als 220 verschiedene Kartoffelsorten. Alle wurden sie durch Kreuzungen gezüchtet und so genetisch verändert. Dieses Verfahren ist für die Bauern also nichts Neues. Dennoch gibt es in einigen Regionen Deutschlands erheblichen Widerstand gegen die Gen-Kartoffel, auch wenn ihre Stärke ausschließlich für die wirtschaftliche Produktion verwendet werden soll. Ich habe ganz bewusst gegen vielfache Widerstände den Versuchsanbau genehmigt. Zusammen mit der Firma Bayer haben wir ein Konzept durchgesetzt, das optimalen Schutz gewährleistet: Die Anbauflächen wurden verkleinert, die Felder werden Tag und Nacht bewacht, ein großer Schutzzaun sichert sie zusätzlich. All das habe ich durchgesetzt, weil es für die Zukunftssicherung unserer Bauern notwendig ist, solche Versuche qualifiziert durchzuführen. Sollte sich herausstellen, dass diese Kartoffel nun tatsächlich erheblich mehr Stärke produziert und dadurch wirtschaftlich besser genutzt werden kann (sie ist ja nicht zum Verzehr vorgesehen), dann bedeutet das, dass unsere Bauern damit einen höheren Ertrag erwirtschaften, also mehr Einnahmen erzielen können. Gerade in dem unglaublichen Spannungsfeld der EU zwischen den billig produzierenden Staaten und dem teuer produzierenden Deutschland ist ein solcher Schritt möglicherweise entscheidend, um die wirtschaftliche Sicherheit der Bauern zu verbessern. Der Schlüssel ist also die Verbindung zwischen Wissenschaft und bäuerlicher Kultur. Gerade Bayern war hier immer Vorreiter. Schon im 19. Jahrhundert hat König Maximilian II. den Chemiker Justus von Liebig nach Bayern geholt. Er hat den Nitrophosphatdünger erfunden, der zu einer unglaublichen Produktivitätssteigerung geführt hat, womit die Bauern auf lange Zeit ihre Lebensgrundlage sichern konnten. Gerade hier war es auch die Verbindung zwischen Wissenschaft und Landwirtschaft, die beiden Erfolg gebracht hat. Es brauchte allerdings

seine Zeit, bis dieser Dünger von den Bauern auch wirklich akzeptiert wurde. Die Bauern sind vorsichtig im Umgang mit neuen wissenschaftlichen Ergebnissen, die ihnen präsentiert werden. Das ist durchaus verständlich. Ich selbst habe beinahe 10 Jahre im Bundestag für die Förderung der Wissenschaften gekämpft. Das hat mir gezeigt: Unsere Wissenschaftler arbeiten sorgfältig und ihre Ergebnisse sind enorm wichtig für Deutschland und für Bayern. Es ist kein Zufall, dass gerade Bayern Spitzenstandort für die wissenschaftliche Forschung in Deutschland ist. Eine Spitzenstellung, die Bayern auch auf dem Sektor der grünen Gen-Technik halten soll und wird. Und es ist meine Aufgabe,

„Wir waren früher schon schlauer als andere morgen sein werden.“ dafür zu sorgen, dass unsere Landwirte die Ergebnisse der Wissenschaft voll nutzen können. Weder für unsere Wissenschaftler, noch für unsere Bauern soll gelten: „Schlauer werden wir später.“ Nein, ich werde deshalb gerade im Interesse unserer Bauern die Geldmittel für die wissenschaftliche Erforschung der grünen Gen-Technik deutlich erhöhen. Denn für uns soll gelten: „Wir waren früher schon schlauer als andere morgen sein werden.“ Die Tatsache, dass die weiße und rote Gen-Technik heute nicht mehr wegzudenken ist, verpflichtet mich zu einer solchen Konsequenz. Die Zukunftschance der grünen Gen-Technik darf ich nicht leichtfertig verwerfen. Das sind aber keine Glaubensfragen. Es sind Entscheidungen, die wir auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis und wirtschaftlicher Überlegungen treffen werden. Auch hier gilt in der gegenwärtigen politischen Diskussion: „Was heute ist, ist morgen von gestern.“

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POLITIK & WIRTSCHAFT Wir müssen also offen bleiben. Dies ist eine demokratische Grundhaltung für uns Konservative. Nur wer offen bleibt, kann den Zukunftsfragen erfolgreich begegnen. Wir wissen um die Werte der Vergangenheit, wir wissen aber auch, dass wir unsere Freiheit nutzen müssen, um uns in Zukunft zu entwickeln. Es ist kein Zufall, dass gerade jetzt in diesem Tal der Tränen die Wirtschaftsprognosen für Deutschland recht günstig sind. Das Schweizer Zukunftsinstitut Prognos kommt in einer Vorausschau bis zum Jahr 2025 zu dem Ergebnis, dass Deutschland zwar bis 2011 eine schwierige Zeit haben wird, danach aber wieder wie in der Vergangenheit wachsen wird. Die Schweizer sehen Deutschland 2025 weltweit auf Platz 4 nach den USA, Japan und China. Auch das Roland Berger Consulting sieht Deutschland als Gewinner aus der Krise hervorgehen. „Made in Germany“, sagen sie, wird wieder mehr Anerkennung erlangen. Dies muss auch für unsere Landwirte gelten: Wenn wir mit deutscher wissenschaftlicher Gründlichkeit den Nachweis bringen, dass grüne Gen-Produkte sicher und zugleich nützlich sind, wird das Vertrauen, das die Welt in deutsche Industrieprodukte setzt, auch auf diese deutschen Gen-Produkte

Für mich ist es eine der wichtigsten Aufgaben, die bäuerliche Familie zu sichern und zu schützen. Wir werden deshalb alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Bauern auf dem Land eine sichere Existenzgrundlage zu geben. Die Prognosen sagen uns, dass die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft abnehmen werden, während die Produktivität ständig steigt – nicht zuletzt durch die Erkenntnisse der Wissenschaft. Das ist aber schon seit 100 Jahren so und wird wohl so bleiben. Bei unseren im Vergleich zu anderen EU-Staaten hohen Kosten ist das auch prinzipiell die richtige Tendenz: Durch Verringerung der Arbeitskosten wird der Ertrag gesteigert. Gerade deshalb ist es entscheidend, das Leben und die Familie auf dem Land weiterhin zu unterstützen und besonders lebenswert zu gestalten. Im Zeitalter des Internet heißt dies, dass wir gerade in der Landwirtschaft eine optimale Anbindung erreichen müssen. Ich habe deshalb erreicht, dass wir die Mittel für die Verbesserung der Infrastruktur auf dem Lande drastisch anheben werden, damit bis spätestens 2011 eine volle Versorgung mit dem schnellen Internet möglich ist.

übertragen. Wir sichern damit unseren deutschen Bauern und den deutschen Firmen langfristig gesehen einen wichtigen Anteil am Weltmarkt. Unsere deutschen Bauern haben es im Rahmen der Europäischen Union schon schwer genug, den Wettbewerb zu bestehen. Nehmen wir nur den Milchpreis, der nicht nur von der EU, sondern auch vom Weltmarkt beeinflusst wird. Vor Jahresfrist gab es noch 40 Cent für den Liter, heute ist dieser Preis durch die weltweite Produktion fast auf die Hälfte gefallen. Zu diesem Preis aber können viele Bauern in Deutschland nicht mehr rentabel produzieren. Wobei der Kampf um die Milchquote nicht weiterhilft, denn sie wird sowieso nicht voll ausgenutzt. Ich werde alles tun, um den Bauern in dieser katastrophalen Situation zu helfen. Es gibt aber keinen Zweifel, dass eine solche Hilfe nur eine Übergangslösung sein kann, denn eine dauerhafte Bezuschussung verbietet die EU. Langfristig müssen wir an einer tragfähigen Lösung arbeiten. Entweder kann die Milch bei uns noch günstiger produziert werden oder wir müssen die Milchwirtschaft durch andere Produktionszweige ergänzen oder ersetzen.

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Sie sehen also: Das Spannungsfeld in der Landwirtschaft greift sehr weit. Deshalb ist mir nicht bang um die Bauern. Sie leben noch in einem natürlichen Rhythmus und haben den Weg in die Zukunft zum Teil schon vorweggenommen, weil sie sich ihrer bewährten Traditionen bewusst geblieben sind und so auch Irrwege vermieden haben. Von den Bauern lernen heißt daher überleben lernen. Das ist gut für uns alle. ■ Ilse Aigner ist Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die 44-Jährige Oberbayerin hat Elektrotechnik gelernt und arbeitete bei Eurocopter an der HubschrauberEntwicklung. Seit 1998 ist sie Mitglied im Bundestag und folgte im Oktober vergangenen Jahres Horst Seehofer ins Bundeskabinett nach, der nach Bayern gewechselt war. Ilse Aigner verbindet Charme mit Durchsetzungkraft und wird von den Bauern als kompetente Gesprächspartnerin geschätzt. Der Beitrag beruht auf einem Vortrag Aigners vor dem Peutinger Collegium.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Hugo Müller-Vogg

Die SPD hat ein Problem mit der Glaubwürdigkeit: Wie hältst Du es mit der Linkspartei?

Drei Landtagswahlen genau vier Wochen vor der Bundestagswahl: Da wird jedes Ergebnis gleich mehrfach auf seine Bedeutung für den 27. September hin analysiert. Deshalb eines vorweg: Regionale Besonderheiten haben bei dieser Generalprobe für den 27. September eine ganz gewichtige Rolle gespielt – und zwar in allen drei Ländern. In Thüringen wie im Saarland ist die CDU in der Wählergunst tief abgestürzt. Sie zahlte damit zum einen den Tribut, den – kurz über lang – jede Partei entrichten muss, die mit absoluter Mehrheit regiert. Zum anderen kamen jeweils besondere Umstände hinzu. An der Saar hatte Ministerpräsident Peter Müller in letzter Zeit den Eindruck erweckt, es ziehe ihn eigentlich nach Berlin. Das blieb den Bürgern nicht verborgen. Hinzu kam, dass Ex-Ministerpräsident Oskar Lafontaine „dahem“ noch immer sehr populär ist. In Thüringen wiederum spielte der tragische Skiunfall, bei der durch das Verschulden von Ministerpräsident Dieter Althaus eine Frau ums Leben gekommen ist, eine große Rolle. Die Art und Weise, wie Althaus dies selber im Wahlkampf thematisierte, hat sicherlich manchen Wähler irritiert. Doch schon vorher hatte die Regierung Althaus einiges an n Pleiten, Pech und Pannen zu bieten. Persönliches gab in Sachsen ebenfalls den Ausschlag, wo Stanislaw Tillich und die CDU sich souverän behaupteten. Tillich schadeten die „Enthüllungen“ über seine Aktivitäten in der Ost-CDU nicht. Im Gegenteil: Ostdeutsche Wähler wissen, dass man sich in der DDR arrangieren musste, wenn man beruflich überleben wollte. Drei ganz unterschiedliche Ergebnisse, also. Dennoch gibt es auch klare Trends mit Blick auf die Bundestagswahl. So ist die FDP der strahlende Sieger: Sie machte Schwarz-Gelb in Dresden möglich, geht mit erheblichem Rückenwind in den Endspurt zur Bundestagswahl. Gewonnen hat auch „Die Linke“. Sie sitzt jetzt auch an der Saar in einem westdeutschen Landtag. Gleichwohl zeigen ihre Verluste in Sachsen, dass die Wirtschaftskrise ihr nicht automatisch die Wähler zutreibt. Die CDU hat in zwei Ländern die absolute Mehrheit verloren. Das zeigt, dass es offenbar keinen Bundestrend gab, der regionale Schwächen ausgleichen konnte. Auch das starke Engagement von Angela Merkel half nicht. So, wie in den Umfragen auf Bundesebene eine große Lücke zwischen den Zustimmungsraten zur Kanzlerin und denen zur CDU klafft, so konnte Merkel ihre Popularität auch in den Ländern nicht auf ihre Partei übertragen. Wie schwer die Niederlage der CDU wiegt, muss sich jedoch erst

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Die Sozialdemokraten haben – wie schon bei der Europawahl – die erhoffte Trendwende nicht geschafft. In Sachsen in etwa gleichauf mit der FDP, in Thüringen keine großen Zugewinne und erhebliche Verluste an der Saar: Ein Aufbruch sieht anders aus. Da wirkten die „Siegesfeiern“ am Wahlabend doch wie schlechte Inszenierungen. Mit Blick auf den 27. September ist bei den drei Landtagwahlen also noch gar nichts entschieden worden. Allenfalls wurde all denen, die Schwarz-Gelb schon für eine ausgemachte Sache hielten, sehr deutlich vor Augen geführt, dass niemand unberechenbarer und launischer ist als seine Majestät, der Wähler. Noch eine Folge der Landtagswahlen: Der Bundestagswahlkampf wird durch ein neues Thema belebt, nämlich durch die Frage von Rot-Rot-Grün. SPD und Grüne können sich das im Saarland sehr wohl vorstellen, in Thüringen mit Einschränkungen. Das

Karikatur: Horst Haitzinger

Wahlkampf mit Gretchenfrage

noch zeigen. Im schlimmsten Fall muss die Union in Saarbrücken und in Erfurt in die Opposition. Das würde die politische Landschaft deutlich verändern, zumal es nach diesen Wahlen im Bundesrat ohnehin keine schwarz-gelbe Mehrheit mehr gibt.

zwingt beide Parteien zu einem Spagat: Kuscheln mit Lafontaine in Saarbrücken, aber scharfe Anti-Linke-Rhetorik im Bund. Die SPD darf sich also nicht wundern, wenn die ehemalige hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti bis zum Wahltag durch die Diskussionen geistert. Schließlich ist es noch keine zwei Jahre her, dass der Wortbruch in Hessen Bestandteil der SPD-Strategie war. Dies wurde damals von der SPD-Spitze abgesegnet – auch vom heutigen Kanzlerkandidaten Frank-Walter-Steinmeier. Der beteuert zwar, im Bund auf keinen Fall mit Lafontaine, Gysi & Genossen zu koalieren. Sehr glaubwürdig ist das aber nicht. ■

Dr. Hugo Müller-Vogg, Publizist und u.a. BILDKolumnist. Sein neustes Buch: „Volksrepublik Deutschland – Drehbuch für die rot-rot-grüne Wende“, Olzog-Verlag. www.hugo-mueller-vogg.de.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Wolfram Weimer

Karikatur: Horst Haitzinger

Steinmeier ist nicht schuld

Die Taucher Über Frank-Walter Steinmeier politische Witze zu machen, ist derzeit so billig wie Österreichscherze im Weltfußball. Der Außenminister wirkt nach dem SPD-Dauerdebakel von Ypsilantis Crashversuch bis Schmidts Dienstwagenfahrt angezählt. Während Angela Merkel so beliebt ist wie sonst nur die Sonne oder das Sandmännchen, fällt das politische Berlin lästernd über die „Schlaftablette“ Steinmeier her. Im Vergleich zu Gerhard Schröder wirke er wie ein Hauskätzchen neben einem Löwen, wie ein Pfandbrief neben einem Turbo-Zertifikat, wie eine Nagelfeile neben einer Kettensäge. In der SPD halten darum viele die Bundestagswahl schon für verloren. Müntefering mahnt, man solle im Saloon nicht auf den Mann am Klavier schießen. Doch das befolgt keiner mehr. Die Parteilinke feuert unter den Tischen aus allen Pistolen gegen „den letzten Schröderianer“. Steinmeier solle jetzt „die Abschlussquittung für die Agendapolitik“ kassieren, und dann stehe der Generationenwechsel an. Vor allem Wowereit, Nahles und Gabriel bereiten sich auf die Zeit nach Müntefering, Struck und Stein-

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meier vor. Hinter den Kulissen des Willy-Brandt-Hauses geht es bereits um die innerparteiliche, nach links drängende Macht nach dem 27. September. Beim großen Steinmeier-Bashing übersehen sie, dass das Problem der SPD tiefer reicht. Der Kandidat oben auf dem Balkon ist nicht das zentrale Problem, es brechen ihr unten die Fundamente weg. Die SPD verliert ihre klassischen Milieus. Die formierte Arbeiterschaft Marke Kohlekumpel schwindet. Die mobile Dienstleisterschaft der Sorte CallcenterAgent ist unpolitisch, häufig Nichtwähler. Der bürgerliche Mittelstand wählt den Hybridmotor der deutschen Politik: Angela Merkel (Sozialdemokratin und Christdemokratin in einer Person). Die Aufsteiger und Tatmenschen streben zur FDP, das sentimentale Bildungsbürgertum optiert Grün. Was bleibt? Zwischen einer Union, die in der Großen Koalition sozialdemokratisiert ist, und einer Linkspartei, die den Neosozialismus salonfähig macht, werden der SPD die Räume eng. Wie eingekeilt verliert sie den Verstand an die Merkel-Union, das Herz an die Lafontaine-Linke. Sie ist eine Art Wikipedia ihrer selbst geworden – sie referiert sich noch, lebt aber nicht mehr. In diesem

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POLITIK & WIRTSCHAFT Spaltungsdrama haben die Schröderianer mit ihrem Beck-mussweg-Putsch noch einmal zugeschlagen, doch programmatisch ist ihnen die Partei nicht mehr gefolgt. Deshalb wirkt das AgendaDoppel Steinmeier-Müntefering so einsam. Zudem verlieren die Sozialdemokraten die Intellektuellen. „Der Geist steht links“, hieß es in der alten Bundesrepublik. „Der Geist steht links, aber rechts bewegt er sich“, tönte es in den Neunzigern. Heute steht der Geist weder links noch rechts, er weht, wohin er will. „Linke Intellektuelle“ – das klingt nach unlustigen alten Herren, gestrig wie Gamaschen und Lebertran. Das kulturelle Vorfeld der Sozialdemokratie, einst ein flirrendes Avantgardemilieu von Schriftstellern und Künstlern, ist dem Mief von AOK- und Gewerkschaftsfunktionären gewichen. Hinzu kommt, dass die Merkel-Republik genau so ist, wie sich frühere Generationen der Sozialdemokratie ihr Traumland gemalt hätten. Darum mutiert die SPD zur defensiven, strukturkonservativen Formation, sie wirkt ständig satt und pausbäckig, obwohl sie immer kleiner wird. Die Faszination des Wollens, die Magie der Verheißung ist ihr abhandengekommen. Verräterisch für dieses Dilemma ist das fehlende Modernisierungsversprechen der Partei. Sozialdemokratischsein hieß im 20. Jahrhundert auf der Seite des Fortschritts stehen. Seit zwanzig Jahren aber haben sich die linken Parteien Europas als Retardierungsinstanzen profiliert. Sie wollen den Modernisierungsschub der Globalisierung bremsen, sind technologiekritisch geworden und stehen nicht mehr aufseiten der avant-

gardistischen Evidenz. Man wittert um die SPD ein Milieu der Bedenken und Ängste, keines der Verheißungen und Visionen. Die Steinmeier-Demontage, ja das serielle Verschleißen ihrer Führungsfiguren ist daher ein Symptom für ein pathologisches Defizit an Identität: Die SPD frisst ihre Häupter, weil sie um sich selbst nicht mehr weiß. Sie vollzieht eine Selbstkannibalisierung als Sublimation des Klassenkampfes. Kurt Beck klagte zu Recht über das irre Wolfsrudel der reinen Machtbeißer, das ihm die Ehre geraubt habe. Die Selbstverletzungsrituale erinnern inzwischen an die Schlussphase der Ära Kohl bei der Union. Kurzum: Steinmeier hat keine intakte Partei hinter sich. Die SPD wirkt wie implodiert. Ihre Machtbasis ist seit Jahren unterspült, sie hat Tausende von Mandaten verloren und viele Zehntausende Mitglieder. Es ist also nicht Steinmeier, der die Partei von der stolzen Volkspartei zur „Heulsusentruppe“ (Steinbrück) hat degenerieren lassen. Seine Mission ist keine Kanzlerkandidatur, sondern ein Notarztjob. Die SPD zerfällt nicht von oben, sondern von innen. ■ Dr. Wolfram Weimer ist Herausgeber und Chefredakteur von „Cicero“. Seine aktuellen Kommentare lesen Sie unter www.cicero.de. Kürzlich ist sein neues Buch „Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit“ im Gütersloher Verlagshaus erschienen.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Martina Fietz

Viele politische Hochkaräter verlassen den Bundestag

Mit dem Ende der Großen Koalition gibt es in Berlin viele besorgte Mienen bei den Sozialdemokraten. Sollten sich die schlechten Umfragewerte am Wahlsonntag im September bestätigen, wird ihre Fraktion im Bundestag deutlich kleiner ausfallen als gegenwärtig. Einige der Abgeordneten bangen darum schon jetzt um ihr Mandat. Doch selbst wenn die im Bundestag zwischen Grünen und Linkspartei angesiedelten Plätze zahlenmäßig nicht geringer ausfallen sollten, die politischen Schwergewichte werden fehlen. Denn etliche sozialdemokratische Spitzenpolitiker, die in den vergangenen Jahren die SPD-Politik dominierten, kandidieren nicht mehr. Peter Struck hört auf. Der Fraktionschef, der seit 2005 durch die Duz-Freundschaft mit seinem Amtskollegen Volker Kauder von der Union maßgeblich zum Funktionieren der Großen Koalition beitrug, hatte sich frühzeitig entschieden, nicht mehr anzutreten. Der Mann, der leidenschaftlich gern Motorrad fährt, will sich in Zukunft etwas mehr Zeit fürs Private nehmen. Abgesehen davon ist er der Meinung, mit 66 sei es angemessen, das Feld Jüngeren zu überlassen. Ausschlaggebend für die Entscheidung war allerdings auch, dass Struck die Belastungen des politischen Spitzenamtes nicht weiter hinnehmen wollte. 2004 hatte er einen leichten Schlaganfall erlitten. In seiner letzten regulären Sitzungswoche schien ihn wohl doch ein wenig Wehmut zu befallen. Er werde sich in Zukunft nicht nur im heimatlichen Uelzen aufhalten, sondern weiterhin in Berlin auftauchen, schien er sich selbst Mut zuzusprechen. Struck will sich verstärkt in die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung einmischen. Der

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Mann, der in seinen Anfangsjahren im Parlament noch Herbert Wehner erlebte, fremdelt allerdings nach wie vor mit der Berliner Republik. „Es ist hektischer geworden im letzten Jahrzehnt“, bedauert er. „Die Medien berichten in Echtzeit über Entscheidungen der Politik. Der Austausch von Argumenten wird nur noch als Streit kommuniziert, Nachdenken als Zögern verstanden. Der enorme Zeitdruck, unter dem die Medien stehen, hat sich auf die Politik übertragen“, sagt er. Auch der zweimalige Alterspräsident (2002 und 2005) geht: Otto Schily verabschiedet sich mit 77 Jahren aus der aktiven Politik. Seinen Parteien hat er es nie leicht gemacht. Den Grünen nicht, die er mit gründete, ebenso wenig wie der SPD, der er sich Ende der achtziger Jahre anschloss. Irgendwie war Schily immer ein Außenseiter – mit Anzug und Krawatte bei den Grünen in den Achtzigern ebenso wie im Gewand des „schwarzen Sheriffs“ später bei der SPD. Der Rechtsanwalt, der als Verteidiger der RAF-Mitglieder Horst Mahler und Gudrun Ensslin gegen den aus seiner Sicht zu machtvollen Staat kämpfte, sorgte als Bundesinnenminister konsequent für den Ausbau desselben und arbeitete dabei oft so eng mit seinem bayerischen CSU-Amtskollegen Günther Beckstein zusammen, dass dieser augenzwinkernd meinte, Schily sei sein gelehrigster Schüler. Dass Schily für die SPD in München-Land kandidierte, dort stets verlor, aber über die Landesliste abgesichert war, blieb fast ebenso unbemerkt, wie Schily selbst über seine politische Wahlzweckheimat wenig Aufhebens machte. Anders Renate Schmidt, ein fränkisches Urgewächs. Seit 1980 im Bundestag, nahm sie sich 1994 eine weißblaue Auszeit mit dem erklärten Ziel, erste bayerische Ministerpräsidentin zu werden.


POLITIK & WIRTSCHAFT Doch sie scheiterte zweimal an Edmund Stoiber und kehrte 2002 als Ministerin – für „Gedöns“, wie Gerhard Schröder damals verkannte - in die Bundespolitik zurück. Wenn sie nun Abschied nimmt von der aktiven Politik, ist ihr immerhin gewiss, dass ihre zentrale politische Idee weiterlebt. Schließlich kann sich die einstige SPD-Familienministerin nicht über das Programm ihrer Nachfolgerin Ursula von der Leyen beklagen – allenfalls darüber, dass die Lorbeeren für eine familienfreundliche Politik inzwischen von der CDU eingesammelt werden. Gemeinsam mit ihr verlässt ein weiterer prominenter Bayern-Sozi die politische Bühne: Auf den Fernsehbildern, die Sozialdemokraten zeigen, die um deutliche Worte nicht verlegen sind, wird künftig der rote Pullover von Ludwig Stiegler fehlen. Wenn der langjährige Vorsitzende der bayerischen SPD sich mit 65 nach fast zwanzig

„CSU-Landesgruppe gleicht Verlust an Altersweisheit durch jugendliche Frische aus.“ Jahren aus dem Bundestag verabschiedet, will er sich verstärkt seiner Familie und seiner Bibliothek widmen und das „Leben im Reich der Freiheit“ genießen. Auch den bayerischen Landesvorsitz hat er an seinen 36-jährigen Ziehsohn Florian Pronold übergeben und sich dabei zugleich entschuldigt für den desolaten Zustand der Bayern-SPD, die längst Charakter und Stärke einer Volkspartei verloren hat. Zwei „rote“ Namen, die schon wie Vergangenheit klingen, werden ebenfalls mit nächsten Bundestagshandbuch nicht mehr erwähnt sein: Walter Riester, gelernter Fliesenleger aus dem Jahrgang 1943 und langjähriger Vize der IG-Metall hört, nach nur sieben Jahren in der Bundespolitik auf. Doch sein Terminkalender bleibt gut gefüllt, denn er ist geschätzt als Vortragsredner über das nach ihm benannte Rentenmodell. Ebenfalls untrennbar mit der Ära von Gerhard Schröder verbunden ist Hans Eichel, der im April 1999 für den aus allen Ämtern geflüchteten Oskar Lafontaine in die Bundesregierung eingetreten war. Ein Karrieresprung für einen Mehrfach-Verlierer: Erst war Eichel aus dem Amt des Oberbürgermeisters von Kassel gewählt worden, später hatte ihn Roland Koch aus der hessischen Staatskanzlei verdrängt. Doch dann 2005 erneut die Enttäuschung: Der „Spar-Hans“ wollte gerne in der Großen Koalition die Haushaltskonsolidierung fortsetzen, jedoch kam der Anruf von Franz Müntefering, dass Peer Steinbrück, der Verlierer von NordrheinWestfalen, den Job übernehmen solle. Eichels Glaubwürdigkeit hatte gelitten, weil es mit dem Sparen lange nicht klappte. Nun kann er sich in Bayern trösten: Als Nachfolger von Theo Waigel hat Eichel kürzlich die Leitung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie in Tutzing übernommen. Doch nicht nur die Sozialdemokraten verlieren große Namen in ihren Reihen. Der CDU ergeht es ähnlich, wenngleich zahlenmäßig weniger heftig. Der prominenteste Aussteiger bei der Union ist ohne Zweifel Friedrich Merz. Auch wenn Karl-Theodor zu Guttenberg mittlerweile dem Wirtschaftsflügel von CDU und CSU wieder ein überzeugendes Gesicht verleiht, müssen die Schwesterparteien künftig auf eines ihrer größten politi-

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schen Talente verzichten. Sein Scharfsinn und seine rhetorische Brillanz sind kaum zu ersetzen. Merz sagt, er wolle nach dem 27. September „als normaler Mensch leben und arbeiten“. Seit geraumer Zeit schon ist der 53-jährige Jurist in einer renommierten Anwaltskanzlei tätig, zudem locken Freizeitwochenenden im schönen Oberbayern. Sein Abschied von der Politik gründet in seiner Dauerfehde mit Angela Merkel. Sie hatte ihn 2002 vom Fraktionsvorsitz verdrängt. Persönliche Verletzungen und ausgeprägtes Konkurrenzdenken auf beiden Seiten ließen seither kein gedeihliches Miteinander mehr zu. Ob der Rückzug des Sauerländers aus der Politik ein Abschied für immer ist, bleibt abzuwarten. Der Name Merz wird immer wieder von all denen genannt, die erwarten – oder hoffen -, dass sich neben der CDU eine neue bürgerliche Kraft auftut. Auch Helmut Kohls „Agent 008“ wird nicht noch einmal kandidieren. Bernd Schmidbauer, der seinen Spitznamen seiner Tätigkeit als Geheimdienstkoordinator verdankt, wurde im Mai siebzig und meint, da sei es Zeit, von der aktiven Politik Abschied zu nehmen. Allerdings hat die Partei bei dieser Entscheidungsfindung offenbar etwas nachgeholfen, da Jüngere zum Zuge kommen sollen. Aus freier Entscheidung geht Georg Brunnhuber, der einflussreiche Vorsitzende der baden-württembergischen Landesgruppe. Der 61-Jährige hatte 2000 Angela Merkel ermutigt, den Parteivorsitz zu ergreifen: „Konservativ sind wir allein. Du musst uns die Frauen bringen“, riet er damals. Die CSU-Landesgruppe muss ebenfalls in der nächsten Legislaturperiode auf bekannte Namen verzichten. Maria Eichhorn kandidiert nicht wieder. Mit großer Beharrlichkeit hat sie in ihren 19 Jahren im Bundestag für den Lebensschutz, für die Rechte von Frauen und eine effiziente Drogenpolitik gekämpft. Kurt Rossmanith gehörte dem Hohen Haus 29 Jahre lang an. Stets war der Verteidigungspolitiker in seinem Wahlkreis Ostallgäu direkt gewählt worden – 2005 beispielsweise mit stolzen 60,2 Prozent der Erststimmen. Sein prominentestes Mitglied hat die Landesgruppe allerdings bereits im vergangenen Jahr verloren: Damals verabschiedete sich Horst Seehofer aus dem Amt des Bundesagrarministers in die bayerische Staatskanzlei und übernahm zugleich auch noch den CSU-Vorsitz. Doch gerade die CSU kann in Berlin auch auf beachtlichen Jugend-Zuwachs bauen: Stoibers Kanzlerwahlkampf überraschte 2002 viele junge Christsoziale mit Tickets nach Berlin. Sie haben sich zu einem Netzwerk gefunden, was manchem bei der Karriere bereits förderlich ist. Darunter CSU-General Alexander Dorbindt, seine Vize-Generalin Dorothee Bär und JU-Chef Stefan Müller. Ganz vorne aber der Shootingstar der deutschen Politik, Wirtschaftsminister „KT“ zu Guttenberg. Nicht jede Fraktion kann den Verlust an Altersweisheit in solchem Maße durch jugendliche Frische ausgleichen. ■ Martina Fietz studierte Geschichte, Publizistik und Politikwissenschaften an der Ruhr-Universität in Bochum, war Parlamentarische Korrespondentin der Tageszeitung Die Welt und Chefkorrespondentin der Welt am Sonntag. Seit 2004 ist Martina Fietz Parlamentarische Korrespondentin des Debattenmagazins Cicero.

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POLITIK & WIRTSCHAFT Peter Schmalz

Klare Kante Horst Seehofer attackiert die FDP und will Rot-Rot verhindern – Szenen eines Wahlkampfs

Ein Wahlkampf paradox im Endspurt: Die Kanzlerin hat höchste Popularitätswerte und muss doch bangen, dass die Stimmen für die schwarz-gelbe Wunschkoalition reichen; die SPD rutscht bei drei Landtagswahlen vier Wochen der Bundestagswahl auf ein historisches Tief und jubelt über einen „schönen Tag“; in Bayern koaliert Horst Seehofer mit der FDP und hat sie dennoch im Wahlkampf zum Hauptgegner erkoren; der SPD-Kanzlerkandidat beteuert unentwegt, diesmal (noch) nicht mit den Linken zu koalieren und kaum einer glaubt ihm. Ein Stimmungsbericht. In der Süddeutschen war zu lesen, die Wirtschaft würde mit dem Ministerpräsidenten Horst Seehofer fremdeln, mancher sehne sich gar nach seinem Vorvorgänger zurück. Demnach müsste dieser Abend im Nürnberger Sheraton-Hotel für den CSU-Chef einer derer sein, die ein Wahlkämpfer lieber meidet: Der Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft hat zu ihrer Jahrestagung Seehofer als Festredner geladen. Doch der tut schon eingangs, was er mit stetem Erfolg gerne tut: Er witzelt über sein Image als „Herz-Jesu-Populist“ mit sozialer Schlagseite. Der Hauch Selbstironie bringt Lacher und bereitet den Boden, auf dem der Redner sein wirtschaftspolitisches Credo ausbreiten kann: Marktwirtschaft mit großer sozialer Verantwortung. Dazu gehört ebenso die Zusage, nach der Wahl würden Ungereimtheiten der Erbschaftssteuer beseitigt, wie die Zusicherung, er werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, der Steuererhöhungen vorsieht. Das bringt Beifall im Minutentakt, gelegentlich mischt sich sogar ein „Bravo“ darunter. Den Mittelständlern aus ganz Deutschland gefallen die bayerischen Arbeitslosenzahlen von unter fünf Prozent, und sie staunen, wenn Seehofer hinzufügt: „Und bei mir daheim in Ingolstadt sind es sogar nur zwei Prozent.“ Und sie nehmen es zustimmend zur Kenntnis, dass Bayern in diesem Jahr mit 3,6 Milliarden Euro jeden zehnten Euro seines Etas in den Länderfinanzausgleich gibt und Seehofer selbstbewusst hinzufügt: „Wenn wir so zum Wohlergehen unseres Vaterlandes beitragen, dürfen wir auch etwas mitreden.“ Und da, meint er augenzwinkernd, handelt er in voller Übereinstimmung mit der Kanzlerin. Angela Merkel würde öffentlich kaum widersprechen und ihre Gedanken allerhöchstens über die Mundwinkeln verraten, doch

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die Beiden, die anfangs wenig Zuneigung füreinander empfinden konnten, haben längst einen guten Draht zueinander gefunden, der fester bindet als nur das übliche „Du“. Wobei durchaus hilfreich ist, dass die Kanzlerin erkannt hat, wie schädlich für die gesamte Union es war, als sie Günther Beckstein und Erwin Huber in deren schwerem Landtagswahlkampf vor einem Jahr die kalte Schulter gezeigt hat. Der Absturz der CSU drohte ihr Projekt „Schwarz-Gelb“ in Gefahr zu bringen. Auch dies hat Angela Merkel im Kalkül, wenn sie beispielsweise Seehofers Drängen beim Europa-Begleitgesetz in Brüssel zu hinterlegen verspricht und ihr Ohr stärker den Sorgen der Bauern öffnet. Und wenn sie über Seehofers Attacken auf die FDP kein öffentliches Wohlwollen äußert, so weiß sie durchaus, dass ihre weitere Kanzlerschaft umso sicherer ist, je besser das CSU-Ergebnis ausfällt, mit dem schon früher schwächelnde CDU-Zahlen abgefedert werden mussten. Seehofer wiederum strebt mit seinem straffen Wahlkampf für die CSU insgeheim die 50-ProzentMarke an, womit er sein Rettungswerk krönen könnte. Hatte er aber früher gerne über erreichbare Prozente räsoniert und die Marke bis auf 60 hochgeschraubt, so ist er inzwischen weise genug, darüber kein öffentliches Wort mehr zu verlieren.

Nächste SPD-Generation hofft auf eine rot-rot-grüne Mehrheit. Dafür sagt er gern, bei der Europawahl habe man die bayerische SPD bei einem Ergebnis von 12 Prozent „abgenagt bis auf die Knochen“, und „jetzt machen wir uns an die Knochen“. Viel zu holen ist dort zwar nicht mehr, doch die starken Sprüche eignen sich als Motivationspillen fürs eigene Parteivolk, das sich nur dann zu Wahlkampfbegeisterung hinreißen lässt, wenn der Chef persönlich kommt oder der Jung-Star Karl-Theodor zu Guttenberg erscheint. Zudem gilt es für ihn, den Roten möglichst viele Stimmen abzujagen und auch dadurch eine rot-rot-grüne Mehrheit zu verhindern. Denn sollte es diese rechnerisch geben, davon ist Seehofer überzeugt, wird die SPD mit Hilfe der Linken nach der Macht greifen. Allen Beteuerungen zum Trotz. Ypsilanti lässt grüßen. Und so hat es durchaus einen Sinn, wenn Müntefering und Steinmeier den für die SPD desaströsen Ausgang der Landtagswahlen mit im Schnitt gerade mal 18 Prozent bejubelten. Denn außer in Sachsen, wo sich die SPD bei zehn Prozent eingenistet hat, haben sich in Thüringen und im Saarland rot-rote Optionen eröffnet. Sobald der ohnehin schwache Bündnisteil der Grünen, der aus der ehemaligen DDR-Bürgerbewegung kommt, seine Aversion gegen die zur Linken umgetaufte SED überwunden hat, kann sich eine Mehrheit links des bürgerlichen Lagers bilden. Die nachrückende SPD-Generation mit Nahles und Wowereit wartet nur auf diese Chance. Diese von den voraussichtlich künftigen Tätern noch geleugnete Option ist der tiefere Grund, weshalb Seehofer für den Endspurt des Wahlkampfs das ruppige Motto aufgegeben hat: „Klare Kante zeigen.“ Ein Satz, den auch die Mittelständler in Nürnberg mit Szenenbeifall belohnen. ■ Horst Seehofer angriffslustig – nicht nur am längsten Tischkicker der Welt.

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© obs/Holzabsatzfonds

POLITIK & WIRTSCHAFT

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POLITIK & WIRTSCHAFT Peter Höppe

Naturgefahren durch Klimawandel

Die Münchener Rück war nach allem, was wir wissen, das erste Unternehmen, das den Klimawandel angesprochen hat. Das war bereits 1973 anlässlich einer Publikation zu Hochwasser. Heute ist der Klimawandel als wichtiges Thema für die Versicherungswirtschaft anerkannt. Versicherungsanalysten haben den Klimawandel als das zurzeit größte Risiko für die Versicherungswirtschaft eingestuft, da er lange anhalten wird und einen signifikanten Einfluss auf die Versicherungen hat. Wir unterscheiden drei Typen von Naturgefahren: Es gibt zum Einen die extraterrestrischen Naturgefahren, also jene, die außerhalb des Systems Erde ihren Ursprung haben, zum Beispiel Meteoriten, die auf die Erde fallen oder auch Sonnenstürme, die das Erdmagnetfeld beeinflussen. Zweitens die geophysikalischen Naturkatastrophen, die aus der Erde kommen. Zu ihnen zählen Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis. Drittens gibt es die wetterbedingten Naturkatastrophen aus der Atmosphäre, wie Sturm, Überschwemmungen, Hagel, Blitze, Lawinen oder niederschlagsbedingte Erdrutsche. Zwischen den ersten Beiden und dem dritten besteht ein großer Unterschied: bei den ersten Beiden haben die menschlichen Aktivitäten ziemlich sicher keinen Einfluss auf Entstehung und Intensität. Bei den Naturgefahren aus der Atmosphäre deuten

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POLITIK & WIRTSCHAFT mittlerweile viele Belege darauf hin, dass die menschlichen Aktivitäten ein Änderungsrisiko verursacht haben. Die Gefährdungssituation durch Naturkatastrophen hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert und die Schadenspotenziale haben neue Dimensionen erreicht.

„Von 1980 bis 2008 registrieren wir einen signifikanten Anstieg von jährlich etwa 15 auf mehr als 35 Naturkatastrophen.“ Ich möchte dies mit einigen Beispielen verdeutlichen und beginne mit der bisher teuersten Naturkatastrophe in Deutschland, mit den Überschwemmungen im August 2002 in Sachsen, die gesamtwirtschaftlichen Schäden von 16 Milliarden Euro verursacht haben. Nur ein Jahr später kam mit der Hitzewelle die größte humanitäre Katastrophe in Europa seit Hunderten von Jahren, die nachweislich mehr als 70 000 Europäern das Leben kostete. Die Klimatologen haben ausgerechnet, dass der Sommer 2003 ein 450-jährliches Ereignis für Deutschland war. Dann eine der global größten Naturkatastrophen der letzten Jahrhunderte: Der Tsunami im Indischen Ozean im Dezember 2004 mit über 200 000 Todesopfern und 2,7 Millionen Obdachlosen. Rückblickend auf die vergangenen 300 Jahre sieht man, dass sich pro Jahrhundert etwa drei große Tsunamis ereignet haben, im Durchschnitt also alle 30 bis 40 Jahre. 2005 meldete Indien einen Wetterrekord: Am 26. Juli fiel in der Region Mumbai mit 944 mm der höchste 24-stündige Niederschlag! Das ist mehr als der Jahresniederschlag in München. Die Bilanz des himmlischen Wasserfalls: Mehr als 1000 Tote und volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von fünf Milliarden Dollar. Und dann im selben Jahr 2005 die bisher global teuerste Naturkatastrophe, der Wirbelsturm Katrina, Ende August. Die volkswirtschaftlichen Schäden betrugen 125 Mrd. Dollar. Dieser Sturm kostete 1300 Menschen das Leben. Man muss in der US-Geschichte über 100 Jahre zurückgehen, um zu einem ähnlich tödlichen Sturm zu kommen. 2005 war insgesamt auch ein Rekordjahr, was die Anzahl von 28 benannte Tropenstürme, der alte Rekord lag bei 21. Den Meteorologen sind damals sogar die Namen ausgegangen, weil die Weltmeteorologische Organisation traditionell für jede Saison nur Listen mit 21 Namen vorbereitet. Im Januar 2007 folgte mit Kyrill der bisher teuerste Wintersturm in Deutschland. Er forderte 49 Todesopfer und zehn Milliarden Dollar Schäden, von denen 5,8 Milliarden versichert waren. Im selben Jahr gab es die teuersten Überschwemmungen in Großbritannien, verursacht durch zwei Ereignisse mit Gesamtschäden von jeweils vier Milliarden Dollar, davon drei Milliarden versichert. Und in diesem Jahr gab es auch wieder ein größeres Ereignis in Australien. Dort war es eine der tödlichsten Katastrophen in der australischen Geschichte mit 173 Toten und 1,3 Milliarden Dollar Gesamtschäden. Das waren die Buschbrände in Victoria, entzündet als Folge einer der größten Dürren, die wiederum durch absolute Temperatur-Rekorde ausgelöst wurden. Um diese großen Naturkatastrophen aus den letzten Jahren einzuordnen, sind statistische Analysen erforderlich. Die Münchener Rück hat weltweit die größte Datenbank über Naturkata-

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strophen. Seit 1980 haben wir eine systematische Datensammlung aller globalen Naturereignisse, die zu relevanten Schäden geführt haben. Das sind etwa 600 bis 900 pro Jahr, insgesamt sind in dieser Datenbank mehr als 26 000 dieser Ereignisse dokumentiert. Von 1980 bis 2008 registrieren wir einen signifikanten Anstieg von jährlich etwa 15 auf mehr als 35 Naturkatastrophen. Wir hatten im letzten Jahr die höchste Zahl verheerender und großer Naturkatastrophen. Während die Zahl der geophysikalischen Katastrophen seit 1980 nur leicht anstieg, sehen wir bei Naturkatastrophen, die aus der Atmosphäre kommen, also bei Stürmen und Überschwemmungen, einen weit stärker ausgeprägten Trend. Bei den Überschwemmungsereignissen von etwa 100 auf mehr als 300 in den letzten 30 Jahren. Dies ist für uns ein Mosaikstein für die Beweisführung, dass Veränderungen in der Atmosphäre beim Anstieg der Intensität und Frequenzen der Naturkatastrophen eine Rolle spielen. Wir brauchen nicht den globalen Maßstab, um diese Trends bei den Naturgefahren zu erkennen. Selbst hier in Deutschland, das zumindest von den größten Naturkatastrophen verschont bleibt, sehen wir eine Veränderung in den letzten Jahrzehnten. Von 1970 bis zum letzten Jahr stiegen die schadensrelevanten Ereignisse von etwa 10 pro Jahr auf etwa 30, wobei vor allem Stürme und Unwetter eine große Rolle spielen. Der größte Schadentreiber ist der Bevölkerungszuwachs. Wenn wesentlich mehr Menschen auf der Erde leben, sind auch mehr Menschen von Naturkatastrophen betroffen. Aber auch mit dem gestiegenen Lebensstandard gibt es höhere Werte, die vernichtet werden können, was die Schäden in die Höhe treiben. Auch wenn immer mehr Menschen in Mega-Cities und in Ballungsräumen leben, hat das ebenso höhere Anfälligkeiten zur Folge wie die verstärkte Besiedlung von Regionen mit hohem Risikopotenzial. Ein gutes Beispiel dafür ist Florida. In Florida, wo 1920 einhunderttausend Menschen lebten. Jetzt sind es 19 Millionen.

Der erwartete Anstieg der Temperaturen in diesem Jahrhundert – ausgehend vom Mittelwert der Temperaturveränderungen zwischen 1988 - 1999

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POLITIK & WIRTSCHAFT Doch etwa drei bis vier Prozent des jährlichen Schadenanstiegs kann nicht durch diese soziodemografischen, sozioökonomischen Faktoren erklärt werden. Hier bietet sich zunächst die Erklärung an, dass in der Atmosphäre, wo diese Naturkatastrophen entstehen, sich etwas geändert hat. Dies ist der Fall, das Klima hat sich bereits geändert. Ein Bericht des Weltklima-Rates IPCC zeigt, dass es keinen Kontinent gibt, in dem in den letzten 100 Jahren die Jahresmitteltemperatur nicht angestiegen ist. Aus den Messwerten ergibt sich eine Erwärmung, die wir nicht mehr mit natürlichen, in der Klimatologie bekannten Faktoren erklären können. Dieser Umstand hat zu der Aussage des Weltklimarates geführt: Wir sind uns sehr sicher, dass die globale Erwährung der letzten Jahrzehnte auf menschliche Aktivitäten zurück zu führen ist. Es ist belegt, dass die CO2 -Konzentrationen aufgrund des Verbrennens von fossilen Energieträgern in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen sind. Analyse von Eisbohrkernen von der Zeit 650 000 Jahre vor heute bis heute zeigen, dass es immer Schwankungen der CO2 -Konzentration gab. Interessanter Weise fallen diese Veränderungen auch immer mit Warm- und Kaltphasen zusammen: War es kalt, waren die CO2 -Konzentrationen niedriger, war es warm, lagen sie höher. Aber es gab innerhalb dieser 650000 Jahre nie eine Phase, in der die CO2 -Konzentration auch nur annähernd so hoch war wie heute. Wir finden daher in der Klimageschichte auch kein passendes Klima zu der CO2– Konzentration, die wir heute haben.

Klimawandels haben sich die Oberflächentemperaturen der Weltmeere in den für die Entstehung der tropischen Wirbelstürme bedeutenden Regionen bereits um ein halbes Grad erhöht. Von all bekannten Faktoren, die größere Stürme beeinflussen, kann nur der kontinuierliche Anstieg der Meeresoberflächentemperaturen der letzten 35 Jahre die Zunahme der Sturm-Intensitäten in den sechs Ozeanbecken erklären. Jetzt haben wir schon fast eine geschlossene Beweiskette. Durch den anthropogenen Klimawandel haben sich die Meeresoberflächen erwärmt, was zu intensiven Tropenstürmen geführt hat. Das wird auch zum ersten Mal in dem vierten Sachstandbericht

Die erwärmte Meeresoberfläche facht die Tropenstürme an. des Weltklima-Rates zusammengefasst. Im Bericht zuvor, der 2001 erschienen ist, waren die Belege noch nicht ausreichend. Über den weiteren Fortgang der globalen und auch regionalen Temperaturen macht sich der Weltklimarat keine Illusionen: Egal, wie viel CO2 in den nächsten 10 oder 20 Jahren emittiert wird, es hat keinen signifikanten Einfluss mehr auf das Weltklima der nächsten beiden Dekaden. Der Klimawandel für die nächsten 20 Jahre ist bereits programmiert, wir können nichts mehr dagegen tun. Dagegen haben wir bis zum Ende dieses Jahrhunderts durchaus noch Einflussmöglichkeiten. Bei schnellen Reduktionen

Anzahl der Ereignisse mit Trend 45

40 35

Anzahl

30 25 20

15

Der Anstieg der Naturkatastrophen in Deutschland von 1970 - 2008.

10 5

1980

1982

1984

1986

Geophysikalische Ereignisse (Erdbeben, Tsunami, Vulkanausbruch)

1988

1990

1992

Meteorologische Ereignisse (Sturm)

1994

1996

22

2000

Hydrologische Ereignisse (Überschwemmung, Massenbewegung)

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Nun zur Verbindung von Naturkatastrophentrends und Klimawandel. Es gibt eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien, die diese Verbindung herstellen. Eine britische Studie von 2004, in Nature veröffentlicht, hat gezeigt, dass der menschliche Einfluss das Risiko einer Hitzewelle wie 2003 in Europa mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits wenigstens verdoppelt hat. Es ist also schon kein 450-jährliches Ereignis mehr, sondern ein 225-jährliches. Wenn man jetzt mit Klimamodellen in die Zukunft schaut, zum Beispiel in das Jahr 2050, dann ist alle zwei bis drei Jahre ein solcher Sommer wie 2003 zu erwarten. Auf Grund des

1998

2002

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2006

2008

Klimatologische Ereignisse (Temperaturextreme, Dürre, Waldbrand) Stand: März 2009

der Emissionen könnten wir hier in Mitteleuropa die Erhöhung der Jahresmitteltemperatur in der Größenordnung von etwa zwei bis drei Grad Celsius begrenzen, im Extremfall von ungebremsten Emissionen könnten es bis sechs Grad Celsius werden. Durch den Klimawandel ändert sich aber nicht nur die Temperatur, sondern auch die Niederschlagsmuster. Für Deutschland kann das bedeuten: Wir werden im Sommer etwas weniger Niederschlag bekommen, dafür im Winter mehr. Insgesamt wird sich der Jahresniederschlag bei uns nicht wesentlich ändern, der Mittelmeerraum dagegen wird mit deutlich weniger Regen auskommen müssen.

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Die Klimaveränderung verursacht auch in Europa immer wieder Umweltkatastrophen. Wie hier im Paznauntal in Tirol.

Als dritter Faktor wird durch den Klimawandel die Meereshöhe beeinflusst. Bereits im letzten Jahrhundert ist der Meeresspiegel ist um circa 20 Zentimeter angestiegen. Neuere Studien zeigen, dass er im Laufe dieses Jahrhunderts mindestens um weitere 50 Zentimeter, maximal um 1,40 Meter ansteigen wird. Hauptursache dafür ist, dass sich das erwärmende Meerwasser ausdehnt, während schmelzende Gletscher daran nur einen sehr geringen Anteil haben. Würde aber das Eis in Grönland schmelzen, dann würde der Meeresspiegel um etwa sechs Meter ansteigen, würde gar das antarktische Eis gänzlich schmelzen, könnte der Meeresspiegel um weitere 70 Meter ansteigen. Dies alles gab es schon in der Erdgeschichte, doch das ist einige Millionen Jahre her. Was erwartet die Deutsche Meteorologische Gesellschaft für Deutschland bis 2040? Es wird um etwa. 1,7 Grad wärmer; es wird häufigere und stärkere Hitzeperioden geben, öfters Trocken- und Dürreperioden, die Alpengletscher werden einen Großteil ihrer Masse verlieren, Gewitter werden intensiver, Blitze viel häufiger, die Sommer trockener, die Winter etwas feuchter und es wird eine Tendenz zu heftigeren Stürmen geben. Die Münchener Rück hat vor drei Jahren das Thema Klimawandel als strategisches Thema definiert. Wir wollen in unserer Klimastrategie aber auch die Chancen nutzen, die der Klimawandel bietet. Das sind vor allem Produkte auf dem Weg in CO2 -arme Wirtschaftsformen. Hier gibt es einige Produkte, wie zum Beispiel eine Versicherungsdeckung, die Kyoto-Multi-Risiko-Police. Sie deckt Risiken für Investoren die in Kyoto-Mechanismen investieren wollen, wie zum Beispiel die so genannten CleanDevelopment-Mechanismen. Große Chancen gibt es auch im Bereich der erneuerbaren Energien. Hier gibt es traditionelle Versicherungsmöglichkeiten, aber auch zunehmend Versicherungen wie die so genannte Performance-Deckung solcher Anlagen. Das ist bei erneuerbaren Energien für Investoren wichtig, weil Sonne und Wind variable sind, mal gibt es eine gute, mal eine schlechte Saison. Um solche

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Schwankungen auszugleichen, gibt es diese „Delivery-Guaranties“. Oder als ganz neues Produkt eine 15-jährige Leistungsgarantie für Photovoltaik-Anlagen, die wir zusammen mit einem Produzenten für solche Anlagen entwickelt haben. Wir sind überzeugt: Der Klimawandel ist eines der größten Probleme für die Menschheit in diesem Jahrhundert. Wir wollen Lösungen liefern, wir wollen helfen, dieses Problem zu meistern. Konsequenterweise wollen wir nicht mehr zu diesem Problem selbst beitragen und haben uns deshalb verpflichtet, klimaneutral zu werden. Bis 2012 wollen wir dieses Ziel für die gesamte internationale Rück-Versicherungsgruppe erreichen, am Standort München sogar bereits Ende dieses Jahres. Der Klimawandel findet bereits statt. Er kann leider nur noch gebremst werden, wir können ihn nicht mehr stoppen. Naturkatastrophen nehmen dramatisch an Zahl und Ausmaß zu und das Schadenspotential erreicht neue Größenordnungen. Viele Studien sehen eine kausale Verbindung zwischen dem Klimawandel und den zunehmenden Naturkatastrophen. Wir müssen uns sowohl an die unvermeidbaren Veränderungen anpassen als auch die Ursachen reduzieren. Klimawandel hat hohe ökonomische Relevanz, Klimaschutzmaßnahmen, wenn man sie langzeitig bilanziert, rechnen sich. Das Management des Klimawandels eröffnet eine Vielzahl von wirtschaftlichen Chancen, vor allem für diejenigen, die die ersten sind, die diese Technologie zur Verfügung stellen können. Dazu sind wir hier in Deutschland wirklich sehr gut aufgestellt. Wir sollten diese Chancen nutzen. ■ Prof. Dr. Dr. Peter Höppe, 1954 in Haßfurt bei Schweinfurt geboren, leitet den Bereich GeoRisikoForschung der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft. Zuvor lehrte und forschte er im Bereich Biometeorologie und Umweltrisiken an der Ludwig-MaximiliansUniversität in München. Er ist auch treibende Kraft bei dem 400-Milliarden-Projekt, mit dem Europa Solarstrom aus der Sahara gewinnen will.

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PMETROPOLREGION OLITIK & WIRTSCHNÜRNBERG AFT

Interview mit Charlotte Knobloch

Jüdisches Leben kehrt in die Stadt zurück Neue Münchner Synagoge war Initialzündung – Klare Worte aus Rom und Brüssel notwendig

Die neue Synagoge in München hat dem jüdischen Leben in Deutschland wieder Konturen gegeben und einen Dialog in Gang gesetzt, der Vorurteile abbaut, erklärt die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, im Interview mit dem Bayerischen Monatsspiegel. Sie erwartet eine klare Distanzierung der katholischen Kirche von der Piusbruderschaft und fordert deutliche Worte der EU gegen antisemitische Tendenzen in manchen neuen Mitgliedsstaaten. Das Interview führte Peter Schmalz Bayerischer Monatsspiegel: Kürzlich besuchte der Papst den Nahen Osten. War die viel beachtete Reise wieder ein kleiner Schritt zum erhofften Frieden? Charlotte Knobloch: Die Begeisterung der Bevölkerung in Israel über diese Reise hat sich in Grenzen gehalten. Es hatten sich einige kritische Punkte angehäuft, wie die tridentinische Messe oder der Umgang mit der Piusbruderschaft, zu denen Erklärungen erhofft wurden, die aber nicht gekommen sind. Zu loben aber ist, dass Papst Benedikt XVI. sich beim Betreten israelischen Bodens sehr vehement gegen den Antisemitismus ausgesprochen hat. Aber einige Themen, die uns bei einem deutschen Papst wichtig gewesen wären, wurden nicht angesprochen. BMS: Zum Beispiel? Knobloch: Ich hätte mir eine deutliche Distanzierung von der Piusbruderschaft gewünscht, die jüdische Menschen als Gottesmörder bezeichnet und einen Holocaust-Leugner in den eigenen Reihen duldet. BMS: Kann der Vatikan noch nacharbeiten? Knobloch: Das kann ich bei der gegenwärtigen Linie, die der Vatikan eingeschlagen hat, kaum erkennen. Doch für uns ist auch wichtiger, dass wir wieder einen Dialog mit den örtlichen Vertretern der christlichen Religionen haben. Das Gespräch mit den Protestanten war ja nie unterbrochen, aber nach den Vorgängen um die Judenmission bei der tridentinischen Messe

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Die Ohel-Jakob-Synagoge ist eine neue Attraktion im Herzen von München. Seit ihrer Eröffnung im November 2006 wurde sie von mehr als 100 000 Menschen aller Konfessionen besucht.

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und um die Piusbruderschaft samt Williamson war für mich momentan keine Gesprächsbereitschaft mehr vorhanden. Das ist noch nicht ausgeräumt, doch nach den positiven Aussagen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken gegenüber der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland würde ich mich sehr freuen, wenn wir wieder zu einem Dialog finden würden.

BMS: Beunruhigt Sie die Entwicklung im Iran? Knobloch: Die israelische Bevölkerung sieht im Iran eine äußerst große Gefahr. Und die Aussagen des iranischen Diktators heizen den Antisemitismus immer wieder an. BMS: Droht die Gefahr, dass der Antisemitismus in dieser Region gesellschaftsfähig wird? Knobloch: Die Anrainerstaaten wie auch die weiter entfernten Staaten sind absolut keine Freunde des Iran und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie sich der Holocaustleugnung Teherans anschließen. Sie wissen, dass der Holocaust stattgefunden hat. Auch hier hat sich der Iran isoliert, doch das interessiert den Machthaber nicht. BMS: Macht es Ihnen Sorge, dass man auch eine Entfremdung zu den USA feststellen kann? Knobloch: Das sollte man nicht zu ernst nehmen. Die Amerikaner wissen, dass Israel der einzige gefestigte Staat in dieser sehr gefährdeten Region ist. Auf der anderen Seite wissen auch die Israelis, dass sie in Amerika einen verlässlichen Freund haben. Wir müssen auch zu einem erträglichen Zusammenleben mit den Palästinensern kommen, das wohl nur über eine Zwei-Staaten-Lösung möglich sein wird. Weder für mich noch für die Mehrzahl der Politiker in Israel ist es fraglich, dass es eines Tages dazu kommen wird. Als größtes Problem auf diesem

„Zusammenleben mit den Palästinensern ist nur mit Zwei-Staaten-Lösung möglich.“ sicher schwierigen Weg sehe ich die Terrororganisation Hamas. Ob und wie sie einzubinden ist, das wird eine wichtige Aufgabe der internationalen Politik sein.

BMS: Kehren wir nach München zurück. Wir sitzen hier mit Blick auf die neue Synagoge. Sie fügt sich nicht nur mit ihrer Architektur harmonisch in das Zentrum der Stadt ein, sondern sie ist auch von den Bürgern positiv aufgenommen worden. Spüren Sie diese Auswirkungen? Knobloch: Für mich war es wichtig, dass wir mit der neuen Synagoge wieder eine Symbiose in der Stadt herstellen, wie sie bis 1938 sichtbar war: Auf den alten Bildern sieht man die damalige Hauptsynagoge im Blick verbunden mit dem Wahrzeichen von München, den Türmen der Frauenkirche. Diesen Blickkontakt haben wir wieder hergestellt. Zugleich ist es gelungen, eine ehemalige Wüste inmitten der Stadt, wo nur ein staubiger Kinderspielplatz war, umzuwandeln in ein neues, lebendiges Stadtviertel, das Anger-Viertel, das vor allem von der nichtjüdischen Bevölkerung der Stadt mit Freude angenommen wurde. Ich habe manchmal den Eindruck, auf dem Jakobsplatz ist mehr los als auf dem Marienplatz. BMS: Mit der neuen Synagoge als Anziehungspunkt. Knobloch: Vor allem hat sich die Befürchtung vieler, hier werde

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„Wünsche mir einen sicheren Weg zu einer wirklichen Normalität“: Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, wurde 1932 in München geboren und überlebte den Holocaust auf einem fränkischen Bauernhof. Eine ehemalige Hausangestellte ihrer Eltern hatte sie als ihre uneheliche Tochter ausgegeben. 1945 kehrte sie mit ihrem Vater, der im Krieg Zwangsarbeiter war, nach München zurück. Sie heiratete und bekam drei Kinder. Seit 1985 ist Charlotte Knobloch Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, seit 2006 auch Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.

ein abweisender Hochsicherheitstrakt errichtet, nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, die Möglichkeit, die Synagoge zu besichtigen, wird erfreulich stark angenommen. Seit der Eröffnung hatten wir bereits über 100 000 Besucher, von Schülern bis zu Seniorengruppen. Ich bin sehr glücklich darüber, denn das Miteinander, das ich immer wollte, findet hier statt.

BMS: Auch in Würzburg wurde eine neue Synagoge eingeweiht, in Fürth gab es eine große Ausstellung über das jüdische Leben. Kann man von einem Aufblühen des Judentums sprechen? Knobloch: Interessanterweise hat die Popularität der neu eröffneten Synagoge hier am Jakobsplatz eine Initialzündung ausgelöst. Im ganzen Bundesgebiet ist man aufgewacht und hat das Thema „Jüdisches Leben in unserer Stadt“ aufgenommen. Und so sind in vielen Ländern, auch in den neuen Bundesländern, neue jüdische Zentren eröffnet und Synagogen geplant, restauriert oder gebaut worden. Das jüdische Leben in diesem Land hat wieder Konturen und muss sich nicht mehr in den Hinterhöfen verstecken. Es entstand ein Dialog, durch den auch viele Vorurteile abgebaut werden konnten. BMS: Also auch eine Motivation für die eigenen Leute? Knobloch: Das ist hochinteressant: Durch die auch wegen ihrer Architektur sehr gelobte Synagoge spüren wir ein viel regeres Interesse unserer eigenen Mitgliedern, an den Gottesdiensten teilzunehmen. BMS: Nun haben wir in Bayern eine besondere Situation: Erzbischof Marx, Landesbischof Friedrich, Präsidentin Knobloch – ein religiöser Dreiklang? Knobloch: Es ist ein hundertprozentiger Zweiklang, der hoffentlich wieder zu einem Dreiklang werden wird. Erzbischof Marx ist ja noch neu hier, aber er ist sehr offen, freundlich und entgegenkommend. Doch jetzt müssen wir erst einmal das Gespräch mit dem neuen Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, führen, in dem wir sicher neue Erkenntnisse zu dem doch recht laxen Umgang des Vatikan mit der Piusbruderschaft erhalten werden. Wir sind schon daran interessiert, dass die katholische Kirche, die sehr viele Menschen erreicht, die klare Aussage macht, dass das Miteinander mit dem Judentum für sie eine höhere Priorität hat.

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PO OLITIK & WIRTSCHAFTT BMS: Kann man trotz der benannten Probleme schon von einer Normalität sprechen? Knobloch: Normalität ist ein sehr gewichtiges Wort. Wir haben jahrzehntelang in einem Nebeneinander gelebt. Das neue Miteinander erleben wir ja erst seit ungefähr fünf Jahren. Daraus kann eine Normalität entstehen. Doch dafür wird es auch notwendig sein, dass der Rechtsradikalismus keine Chance mehr haben wird, neonazistisches und antisemitisches Gedankengut zu verbreiten. Wenn dagegen nicht entschlossener vorgegangen wird, sehe ich noch einen langen und mühsamen Weg vor uns. Wir müssen ja nur sehen, wie sich der eine Rechtsradikale im Münchner Stadtrat benimmt. BMS: Aber die demokratischen Parteien haben ihm ihre Abscheu gezeigt. Knobloch: Das genügt nicht. Wenn er die Möglichkeiten, die die Demokratie ihm gibt, derart missbraucht, sollten Demokraten auch das Verbot der NPD nicht scheuen und auch härtere Maßnahmen als bisher ergreifen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Wäre das Abhören von Telefonaten nicht möglich gewesen, wären wir am Tag der Grundsteinlegung der Synagoge mit 500 Ehrengästen in die Luft gegangen. Wenn man heute diese Möglichkeiten untersagt, dann habe ich damit ein großes Problem.

©R Richar chard d Huber Huber

BMS: Für die junge Generation wird der Holocaust mehr und mehr zu einem Ereignis aus dem Geschichtsbuch. Verschwindet damit auch die Einmaligkeit der Nazi-Verbrechen aus dem nationalen Bewusstsein? Knobloch: Wir haben leider zu spät damit begonnen, dass Zeitzeugen aus ihrem Leben berichten – positiv wie negativ. Ich

Der unterirdische Gang der Erinnerung nennt die Namen der deportierten und ermordeten Münchner Juden.

kann, neben vielem Negativen, positiv berichten, dass Menschen mich gerettet haben, Max Mannheimer kann nur negativ berichten über seine Leiden in den Konzentrationslagern. Mit diesen persönlichen Erlebnissen können wir sehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber die Ära der Zeitzeugen geht dem Ende entgegen. Dann wird es noch mehr als heute darauf ankommen, dass im Unterricht die Kenntnisse und auch das Bewusstsein über diese Schreckensjahre vermittelt werden. Dabei aber darf auf keinen Fall geschehen, was ich manchmal in den Schulen

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erlebe: Dass den jungen Menschen eine Schuld zugewiesen wird. Ich sage immer: Ihr habt keine Schuld an den Untaten derer, die vor Euch gelebt haben. Aber ich bitte Euch, übernehmt die Verantwortung für die Zukunft, damit so etwas nie wieder passieren kann. Das ist eine große Verantwortung, denn auch

„Verantwortung für die Zukunft übernehmen, damit so etwas nicht wieder passiert.“ damals konnte sich keiner vorstellen, dass passieren könnte, was dann geschehen ist. Ich frage mich oft, was da geschehen ist, dass die Mitbewohner unseres Hauses uns an einem Tag noch gegrüßt haben und am nächsten Tag waren wir für sie nicht mehr existent.

BMS: Demnächst steht ein besonderer Zeitzeuge in München vor Gericht. John Demjanjuk ist der Beihilfe zum Mord in 27 900 Fällen angeklagt. Kann der Prozess helfen, das Unbegreifliche besser zu verstehen? Knobloch: Durch den Fall Demjanjuk wurde ich erst aufmerksam darauf, dass es noch andere Demjanjuks gibt, die von ausländischen Gerichten verurteilt wurden, aber in der Bundesrepublik ungestört leben können, weil sie nicht ausgeliefert wurden. Dafür habe ich großes Unverständnis. Im Fall Demjanjuk erwarte ich ein Verfahren und ein Urteil, wo die Taten im Vordergrund stehen und nicht das Alter. BMS: Kann der Prozess auch zur Geschichtsstunde werden? Knobloch: Das wird eine Aufgabe der Medien sein. Sie müssen so darüber berichten, dass die jungen Leute die Berichte mit Interesse lesen und sich so ihr eignes Urteil bilden können. BMS: Vor allem in östlichen Nachbarländern erleben wir zurzeit eine Welle von Radikalismus, gepaart mit Antisemitismus. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorge? Knobloch: Sehr große sogar. Wenn – wie mir berichtet wurde – in orthodoxen Kirchen in Russland das Buch „Die Weisen von Zion“ ausliegt, dieses Pamphlet aus dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts mit gefälschten Dokumenten über eine angebliche Weltverschwörung der Juden, dann ist es kein Wunder, wenn wieder Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wachsen, wie wir das gegenwärtig in Tschechien und Ungarn erleben. Der Antisemitismus in den Kirchen ist die größte Gefahr. Die Regierungen dieser Staaten müssen beweisen, dass sie in der Lage sind, ihre Länder an dem Geist der Europäischen Union auszurichten. Hier ist die französische Regierung in ihrem Bemühen, den auch dort aufflammenden Hass zu beschwichtigen, ein nachahmenswertes Beispiel. Gerade gegenüber den neuen Mitgliedstaaten erwarte ich ein deutliches Wort aus Brüssel, das bislang aber leider ausgeblieben ist. BMS: Haben Sie noch ein besondere Ziel für Ihre Amtszeit? Knobloch: Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, einen sicheren Weg in die Zukunft zu bereiten, damit wir Deutsche, egal ob Christ, Jude, Moslem oder Atheist, zu einer wirklichen Normalität im Zusammenleben finden. ■ Termine und Einzelheiten zu den Führungen durch die neue Münchner Ohel-Jakob-Synagoge unter: anmeldung@ikg-m.de


AKTUELLES

Gut vernetzt

„Forschergeist und Umsatzkraft zusammenbringen“: Bayerns Cluster-Förderminister Martin Zeil (Wirtschaft, li.) und Dr. Wolfgang Heubisch (Wissenschaft).

Seit drei Jahren knüpfen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ein unsichtbares Netz über Bayern, dessen Erfolge durchaus vorzeigbar sind. „Die Cluster-Offensive Bayern ist eine Erfolgsgeschichte für Wirtschaft und Beschäftigung in Bayern“, meinte Ministerpräsident Horst Seehofer bei einem Cluster-Kongress in Nürnberg. Die enge Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft leiste besonders bei mittelständischen Betrieben einen wesentlichen Beitrag für neue Produkte, neue Märkte und neue Arbeitsplätze. Zwei Drittel der beteiligten Unternehmen sind Mittelständler, was eine enorme Breitenwirkung der Offensive erkennen lässt. Besonders hervorzuheben sei die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft, betonte Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP): „Es ist wichtig, Forschergeist und Umsetzungskraft zusammenzubringen – denn die beste Idee bringt nichts, wenn sie in der Schublade verstaubt.“ www.cluster-bayern.de

Günstiger buchen Vor erst acht Jahren in Nürnberg gegründet, ist hotel.de bereits der bekannteste Online-Hotelreservierungs-Service in Deutschland, den neben Privatkunden immer häufiger auch kleine und mittelständische Unternehmen in Anspruch nehmen. „Das gestiegene Kostenbewusstsein wird auch in Zukunft das Reisemanagement beeinflussen, und die Kunden werden zunehmend auf kostengünstige Online-Lösungen umstellen“, zeigt sich

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Heinz Raufer, Gründer und Vorstandschef von hotel.de, zuversichtlich. Bei der elektronischen Buchung können die Kunden unter mehr als 210 000 Hotels weltweit wählen, wobei ihnen stets die günstigsten Preise angeboten werden. Nach einem stürmischen Wachstum in den vergangenen Jahren hat allerdings die Krise auch Spuren hinterlassen, vor allem die Zahl der Geschäftsreisen sank deutlich. Doch nach einem schlechten ersten Quartal ist der Optimismus zurückgekehrt: Der Umsatz steigt um 21 Prozent, womit der erste Halbjahr mit 15,4 Millionen Euro nur knapp unter dem Vorjahreswert von 15,9 lag. Raufer: „Wir werden das herausfordernde Gesamtjahr 2009 zu einem positiven Abschluss bringen.“ Allerdings sank die Mitarbeiterzahl von 527 auf 416.

Rückkehr zur Wertarbeit Es sind vorerst nur 15 neue Arbeitsplätze, aber die Nachricht lässt aufhorchen: Die Kuhl-Projektmanagement GmbH verlagert ihre Produktion von Izmir in der Türkei ins unterfränkische Aschaffenburg und fertigt dort künftig unter der Marke „dikay51“ maßgeschneiderte Hemden und hochwertige Accessoires. Am neuen Hauptsitz werden neben der Produktion auch Logistik, Vertrieb und Verwaltung gebündelt. Auch ein neues Schulungszentrum ist geplant. Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollen rund 50 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. „Wir produzieren auf höchsten Qualitätsstandards, wofür fachliche Expertise und handwerkliche Erfahrung erforderlich sind“, meint Firmenchef Dieter Kuhl. „Dafür bietet der Standort Aschaffenburg mit seiner langen Tradition in der Bekleidungsproduktion die besten Voraussetzungen.“ Zufrieden zeiget sich auch Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil: „Hier punktet Aschaffenburg mit exzellenter Infrastruktur und hochqualifizierten Arbeitsplätzen im harten Standortwettbewerb.“

Echte Bilanz Nachhaltigkeit wurde zum Modewort einer vom ökologischen Gewissen geplagten Gesellschaft. Ihr wird die Lust am Biosprit verdorben, wenn dafür Regenwälder brandgerodet werden. Und sie

Zitate: „Ich kann mir vorstellen, dass Du mich und uns nicht jeden Tag verstehst.“ Horst Seehofer, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, zu Angela Merkel

„Nur das zu tun, was gesetzlich nicht verboten ist, das ist eine Minimalethik.“ Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, zur Moral vieler Banker

„Wir haben zu viele Betrachter der Unvollkommenheit unserer Gesellschaft und zu wenige Macher, die sich mit den Unvollkommenheiten auseinandersetzen und alles ein bisschen zum Guten wenden.“ Bundeskanzlerin Merkel über das Ehrenamt

„Der Schulhof des 21. Jahrhunderts ist im Internet zu finden – nur mit dem Unterschied, dass die ganze Welt zuschauen kann.“ Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner warnt Jugendliche daher mit der Kampagne „Watch your web“

erschrickt bei der Nachricht, dass für eine Tasse Kaffee 140 Liter Wasser verbraucht werden. Agrarwissenschaftler der TU München haben sich die Nachhaltigkeit zum Forschungsthema gemacht. In jahrelanger Detailarbeit haben sie Indikatoren und Modelle entwickelt, die Umweltbilanz von Agrarbetrieben zu analysieren, zu bewerten und zu optimieren. „Damit“, so Professor Kurt-Jürgen Hülsberger vom Lehrstuhl für Ökologischen Landbau in Weihenstephan, „können wir alle wesentlichen Umweltwirkungen der Landwirtschaft erfassen.“ Bereits 80 deutsche Betriebe ließen im Praxistest ihre tatsächliche Ökobilanz testen. Auf der Basis der wissenschaftlichen Ergebnisse hat die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) inzwischen ein Zertifizierungssystem nach europäischer DIN-Norm aufgebaut. Werden die Zielwerte eingehalten, bekommt der getestete Betrieb die Auszeichnung „Nachhaltige Landwirtschaft - zukunftsfähig“. Zwei Bäckereiunternehmen überprüfen schon, wie nachhaltig ihre Getreide-Zulieferer wirtschaften. www.nachhaltige-landwirtschaft.info

Internet: www.bayerischer-monatsspiegel.de

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POLITIK & WIRTSCHAFT

Reuschel & Co. Marktkommentar

Vorsicht vor allzu hohen Erwartungen Die Berichtssaison hat den Aktienmärkten in den letzten Monaten als einer der stärksten Treiber deutliche Kursanstiege beschert: Der DAX beispielsweise erreichte bei 5481 Punkten ein neues Jahreshoch. In den USA überraschten über 70 Prozent der Unternehmen mit einer besser als erwarteten Entwicklung. Das ist der höchste Wert seit Jahren und auch deutlich über dem langfristigen Durchschnitt. Auch die Ausblicke der Unternehmen haben sich leicht verbessert, wobei allerdings auf eine Prognose häufig noch verzichtet wurde. Obwohl es für die derzeitige Rezession keinen wirklich vergleichbaren Zeitraum in der Vergangenheit gibt, den man als Muster übertragen könnte, dürften die massiven weltweiten monetären und fiskalischen Impulse noch eine Zeit lang wirken und der Konjunktur weiter auf die Beine helfen. Dabei ist jedoch angesichts der noch vorhandenen Ungleichgewichte (Verschuldungsgrade, Handelsbilanzdefizite) davon auszugehen, dass die Erholung nicht sehr ausgeprägt sein und das

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konjunkturelle Wachstum auf Jahre hinaus unter dem Durchschnitt liegen wird. Die diversen globalen Hilfspakete in Verbindung mit einer kurzfristigen Erholung durch den Lagerzyklus sorgten dafür, dass nach den ersten vorsichtigen Hoffnungszeichen nun auch die „harten Daten“ eine Besserung anzeigen. Die Investoren setzten bereits frühzeitig auf die – wie auch immer geartete – Erholung, was durch aufwärtsgerichtete Gewinnrevisionen der Analysten (und natürlich auch durch Prognosen der Volkswirte) gestützt wird, die ihre vorsichtige Grundhaltung aber nur zögerlich aufgeben.

Reuschel & Co. Privatbankiers ist eine der führenden Privatbanken Deutschlands. Sie verbindet die persönliche Atmosphäre und das individualisierte Leistungsangebot eines renommierten Bankhauses mit der Expertise eines internationalen Netzwerks.

Im Rückblick bescherte der August den Anlegern an den globalen Kapitalmärkten erfreuliche Gewinne. Vor allem Aktien- und Rohstoffinvestitionen waren gefragt. Die hohe Nachfrage resultierte unter anderem aus den besser als erwartet ausgefallenen Konjunkturdaten. So hat sich z. B. im Euro-Raum das Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal auf dem

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POLITIK & WIRTSCHAFT Niveau des Vorquartals stabilisiert. Wichtige Länder wie Deutschland und Frankreich zeigten sogar wieder bescheidene Zuwachsraten. Auch in den USA gab es vereinzelte Lichtblicke, wie erste durch Sondereffekte verursachte Lebenszeichen am Häusermarkt und spürbar verbesserte Arbeitsmarktdaten im Monat Juli. Allerdings ist der Optimismus noch begrenzt: Die Ausgangsposition der für das Wirtschaftswachstum ungemein wichtigen US-Verbraucher ist nach wie vor zerbrechlich. Von dieser Seite sind auf absehbare Zeit kaum nennenswerte Impulse zu erwarten.

trend noch intakt. Der Kursanstieg hat bei vielen immer noch zu vorsichtig positionierten Anlegern den Performancedruck erhöht und viele Investoren quasi dazu „gezwungen“, sich wieder am Markt zu engagieren. Dieser liquiditätsgetriebene Schwung könnte in Folge unattraktiver Renditen im Geld- bzw. Rentenmarkt noch eine Zeit lang anhalten. Vorsichtiger stimmt dagegen z. B. ein technischer Stimmungsindikator, der zur Vorhersage von Trendwenden im Aktienmarkt herangezogen wird – das so genannte Sentiment, das noch nicht in einem stark positiven Bereich angekommen ist.

Die Rentenmärkte präsentierten sich anders als in den Vormonaten und trotz rückläufiger Risikoaversion ebenfalls in freundlicher Verfassung. Anhaltende – in Großbritannien sogar noch aufgestockte – Kaufprogramme der Notenbanken sowie der auch auf mittlere Sicht günstige Inflationsausblick haben zu dieser Tendenz entscheidend beigetragen.

Gefragt ist jetzt der flexible Anleger, der sowohl kurzfristiges Überschießen, als auch von Nachrichten getriebene Korrekturen für sich nutzen kann. Wer dies nicht kann, sollte den defensiven Weg wählen und mit Sicherheitsbarrieren und Discountstrukturen arbeiten. ■

Ausblick In der nächsten Zeit könnten die Aktienmärkte für den Fall, dass die Erholung durch positive Makrodaten bestätigt wird, kurzfristig noch ein geringfügiges Kurspotenzial aufweisen. Insgesamt besteht aber die Gefahr zu hoher Erwartungen, was zu einem späteren Zeitpunkt vom dann höheren Niveau zu einer stärkeren Korrektur von bis zu 20 Prozent führen könnte. Es gilt jetzt als Anleger weiterhin flexibel zu sein und Tradingmöglichkeiten (Käufe in Schwäche) zu nutzen. Hier ist trotz aller nachlassenden Dynamik der Aufwärts-

Ihre Ansprechpartner: André Will-Laudien (Investment Center) +49 (0)89 2395-1649 Stefan Blaukat (Pressesprecher) +49 (0)89 2395-1296

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POLITIK & WIRTSCHA AFT Landesbischof Johannes Friedrich

Kommunist bittet zum Tischgebet Christliche Regionen finden großen Zulauf in China – Größtes Problem ist der Mangel an Theologen

Christen sind in China eine Minderheit. Nur etwa fünf Prozent der chinesischen Bevölkerung sind Christen. Etwa 16 Millionen sind unter dem Dach des staatlich kontrollieren „Chinese Christian Council“ organisiert, geschätzte 40 Millionen besuchen nichtregistrierte „Hauskirchen“, schließlich gibt es noch 12 Millionen Katholiken. So gering der Anteil der Christen an der Bevölkerung auch ist, so hoch im Kurs steht christliches Gedankengut. Alle Gottesdienste, die wir besuchten, waren bis auf den letzten Platz gefüllt, manchmal mehr als 1000 Menschen. Von Gottesdienst-„Besuchern“ kann ich eigentlich nicht

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mehr sprechen, alle waren begeisterte „Mitwirkende“, die die Predigt mitnotierten und bei den Liedern so laut mitsangen, dass sie die Orgel übertönten. Das größte Problem für die chinesischen Kirchengemeinden ist nicht mehr die kommunistische Regierung, sondern der gravierende Mangel an ausgebildeten Theologinnen und Theologen. So wird verständlich, dass in manchen ländlichen Regionen die Tätigkeit von Wunderheilern, christlicher Glaube und Elemente traditioneller chinesischer Religion abenteuerlich vermengt werden. Die Geschichte der Christen in China begann bereits im 7. nachchristlichen Jahrhundert, als Missionare der Assyrischen Kirche des Ostens nach China kamen. Im 17. und 18. Jahrhundert reisten jesuitische Missionare nach China – worauf kürzlich eine große Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum hin gewiesen hat – und im 19. Jahrhundert drängten die Missionsgesellschaften der protestantischen Kirchen aus England und Europa nach China. Die Gegenbewegung kam mit der Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976. Unter Mao Zedong wurden alle christlichen Aktivitäten in den Untergrund gedrängt. Das Christentum stand unter dem Generalverdacht, Einfallstor für westliche Ideologie zu sein. Die Konsequenzen sind heute noch zu spüren: Die kommunistische Regierung unterstützt zwar die kontrollierte Ausübung der Religionen zum Aufbau einer „harmonischen Gesellschaft“, legt aber großen Wert darauf, dass alle Religionen unabhängig bleiben von Ein-

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Fotos: © Johannes Minkus

China ist ganz anders! Dieser Satz fasst am besten meine Eindrücke zusammen nach einer 14tägigen Chinareise und vielen Begegnungen mit chinesischen Christen. China ist ein Land der Gegensätze und Ungleichzeitigkeiten: Neben den wirtschaftlichen Boomregionen an der Küste haben wir ländliche Provinzen besucht, wo Bauernfamilien in Hütten mit gestampften Lehmboden wohnen. Da war der hohe kommunistische Regierungsbeamte, der uns zum Gebet vor dem Essen aufforderte, und dann die junge Dozentin an einem christlichen Seminary, die den rigiden Regierungskurs der Ein-Kind-Familie verteidigte. Anders könne man einer noch rascher wachsenden Bevölkerung nicht Herr werden, meinte sie. Oder ob wir vielleicht eine bessere Idee hätten? Ein Land der Gegensätze, was kein Wunder ist angesichts einer Bevölkerung von 1300 Millionen.


POLIITIK & WIRTSCHAFT

Die neue Hinwendung zum Glauben füllt die Kirchen in China. Bemerkenswert für die Gäste aus Bayern war, dass alle Gottesdienstbesucher laut mitsingen, die meisten den Bibeltext mitlesen und viele sogar die Predigt mitschreiben (Bild rechts oben). In den Räumen einer Bibelschule in Nanjing wurde eine Art Summerschool für Kirchenmusik eingerichtet. Hier lernen junge Gläubige, die in den Kirchengemeinden ehrenamtlich tätig sind, Instrumente zu spielen und zu Singen (oben Mitte). Nach dem Sonntagsgottesdienst in einer Gemeinde in Nanjing: Landesbischof Dr. Johannes Friedrich verabschiedet gemeinsam mit einer jungen chinesischen Pfarrerin die Kirchgänger (oben links). Kein Grund mehr zum Bibel-Schmuggeln: Die Amity-Druckerei, die zur kirchennahen diakonisch ausgerichtete Amity-Foundation gehört, hat seit 2004 bereits über 40 Millionen chinesische Bibeln gedruckt (rechts).

flüssen aus dem westlichen Ausland. So hält auch das Chinese Christian Council daran fest, dass man heute in China im „post-denominational“ Zeitalter lebe, das heißt, die protestantischen Denominationen wurden abgeschafft. Das führte dazu, dass der chinesische Staat heute fünf „Religionen“ anerkennt: Den Daoismus, den Hinduismus, den Islam, das Christentum und den Katholizismus. Von breiten Teilen der Bevölkerung werden die christlichen Gemeinden jedoch vor allem aufgrund ihres sozialen Engagements geschätzt. Eine kirchliche Sozialagentur ist die Amity Foundation mit Sitz in Nanjing. Sie arbeitet zusammen mit Kirchengemeinden schwerpunktmäßig in der HIV/Aids-Prävention und bei Projekten für sozial benachteiligte Kinder und Behinderte, organisiert Fortbildungen für Bauern in den armen Provinzen, oder unterstützt ökologische Projekte wie den Bau kleiner Biogasanlagen. Die Stiftung unterhält auch eine große Druckerei in Nanjing, die seit 2004 bereits über 40 Millionen Bibeln in chinesischer Sprache gedruckt hat. Die Amity Foundation erhält keine Regierungsgelder, sondern finanziert sich durch Fundraising oder Unterstützung von außen; ein wichtiger Geldgeber ist der Evangelische Entwicklungsdienst. Zu meiner Überraschung zeigt eine Gruppe in China großes Interesse an christlicher Theologie, von der ich es nie erwartete hätte: Viele chinesische Intellektuelle stellen sich die Frage, was den Westen so erfolgreich gemacht hat. Sie informieren sich

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über die Philosophie Kants und Hegels, sehen aber auch das Christentum als Erfolgsfaktor der westlichen Welt. So wächst unter der Akademikerschaft die Anzahl der „Kulturchristen“. Staatliche Universitäten bieten für diese Gruppe religionswissenschaftliche Vorlesungen und Diskussionsgruppen an. Beeindruckt haben mich die Ernsthaftigkeit und die Leidenschaft, mit der chinesische Christen ihren Glauben leben. China ist anders – der weitere Weg der chinesischen Kirchen wird spannend zu beobachten sein. Doch als bayerische Landeskirche wollen wir nicht nur beobachten, sondern mitgehen. Seit über 20 Jahren pflegen wir Kontakte und Austausch zu den chinesischen Christen. Ich bin sicher: der gemeinsame Weg wird uns beide bereichern. ■ Dr. Johannes Friedrich, 1948 in Bielefeld als Sohn eines evangelischen Theologie-Professor geboren, studierte in Erlangen und Tübingen Theologie. Er begann als Pfarrer in Nürnberg und war sechs Jahre lang Probst an der Erlöserkirche in Jerusalem. 1999 wurde er zum evangelischen Landesbischof in Bayern gewählt. Sein besonderes Engagement gilt dem Verständnis zwischen den Religionen. Dr. Friedrich ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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METROPOLREGION NÜRNBERG Günther Beckstein

Franken und Bayern Über Unterschiede, Anekdoten und eine gute Stammes-Ehe zu beider Nutzen Es gibt viele Geschichten, die einen gewissen Unterschied zwischen Franken und Altbayern erkennbar werden lassen. Eine davon spielt in einer Zeit, in der es hierzulande noch Könige gab: Als die Nürnberger Justizbehörden an einem Septembertag des Jahres 1916 ihren neuen Justizpalast einweihten, war König Ludwig III. persönlich nach Nürnberg gereist, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. An Würde fehlte es dem Einweihungsakt keineswegs, lediglich der sich anschließende kulinarische Teil im Nürnberger Rathaus fiel ungeachtet der königlichen Anwesenheit eher – sagen wir es einmal so – übersichtlich aus. Die Presse berichtete damals: „Es ging ohne die sonst unvermeidlich gewesene äußerliche Prachtentfaltung und es ging auch ohne das übliche Festmahl. An dessen Stelle trat ein Imbiss, der in seiner Art von einer geradezu spartanischen Einfachheit war. Stehenden Fußes nahm man ein paar talergroße dünne Brotschnittchen mit fleischlosem Belag zu sich und trank ein Glas Bier dazu, so ungefähr, wie man im Automat rasch eine kleine Stärkung nimmt. Aber gerade in dieser Einfachheit, der der König sich ebenso unterwarf wie alle anwesenden Vertreter aller Schichten der Bürgerschaft, Æ

Der Nürnberger Kaufmann Martin Behaim fertigte 1492 einen Globus, der als die älteste erhaltene Darstellung der Erde in Kugelgestalt gilt. Er zeigt westlich von Europa noch nicht Amerika, das Kolumbus in selben Jahr entdeckt hatte, sondern Zipangu, wie Japan damals hieß. Unser Bild zeigt eine Nachbildung aus dem 19. Jahrhundert.

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war das charakteristischste Moment des Tages zu erblicken.“ Nun wäre es überzogen, von dieser Geschichte auf die Empfänge zu schließen, die man heute mitunter erlebt, und den Nürnbergern die zweifelhafte Ehre zukommen zu lassen, die Begründer des genügsamen Staatsempfangs schlechthin zu sein. Gleichwohl aber wirft die Anekdote aus der bayerischen Königszeit ein Licht auf ein gewisses fränkisches Selbstverständnis: Als sparsam würden wir Franken uns beschreiben, in eigener wie in öffentlicher Sache, als abgeneigt dem Übermäßigen und erst recht dem Überflüssigen. Der königliche Gast aus München mag an jenem Eröffnungstag im Jahre 1916 auf diesen Charakterzug durchaus verwundert reagiert haben. Von sich gewiesen aber hat er die talergroßen Brotschnitten mit dem fleischlosen Belag offensichtlich nicht. Mit einem Schmunzeln wird er sich gedacht haben: „So sind sie halt, die Franken.“ Ja, so sind sie halt, und man könnte noch eine Menge weiterer Dinge aufzählen, die die Nürnberger, die Ansbacher, die Bayreuther und die Würzburger so ganz anders sehen und so ganz anders machen als die Münchner, die Landshuter, die Regensburger und die Augsburger. Diese Dinge führen immer wieder zu Irritationen. Welche das im Einzelnen waren, sind oder sein könnten, das auszuführen überlässt der Zeitzeuge bereitwillig und mit einem Augenzwinkern dem Zeitanalytiker. So viel sei aber gesagt: Die eine oder andere Irritation war schon recht überflüssig. Aber immerhin: Es ist in der Geschichte Bayerns im 20. Jahrhundert nie mehr so weit gekommen, dass in Teilen Frankens „Vivat-Preußen“-Rufe zu hören waren, so wie das zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Fall gewesen war, als die ehemalige Reichsstadt Nürnberg und viele andere Gebiete des alten Fränkischen Reichskreises in das Königreich Bayern eingegliedert wurden. Im Gegenteil: Undenkbar wäre es heute, dass die Menschen in Franken aufgrund eines empfundenen Antagonismus zu den Altbayern plötzlich Sehnsucht nach einem Anschluss an Berlin bekämen! Franken bereichert mit seinen Kunstschätzen und Bauwerken ganz Bayern: Die Würzburger Residenz, 1945 von Bomben zerstört, wurde nach ihrem Wiederaufbau zum Weltkulturerbe ernannt.

Mit dem MP3-Player Musik hören, wo immer man geht und steht. Er wurde am Fraunhofer Institut in Erlangen entwickelt, doch die Marktchancen nutzten Firmen in Fernost.

Denn wenn wir ehrlich sind: Die fränkisch-altbayerische Gegensätzlichkeit entbehrt eines echten Gegensatzes. Zu lange gehen die verschiedenen bayerischen Stämme bereits einen erfolgreichen gemeinsamen Weg, zu dicht verwoben sind sie miteinander längst, zu wertvoll ist ihr aller Beitrag zu unserer gesamtbayerischen Identität, als dass die bestehenden Unterschiede das viele Gemeinsame auch nur annähernd überdecken könnten. Längst ist es doch so, dass die fränkische Identität ganz wesentlich als fränkische Identität in Bayern empfunden wird. Kaum hätte das fränkische Wir-Gefühl, wie wir es heute haben, eine so positive Entwicklung genommen, wenn wir uns nicht immer wieder den Oberbayern und den

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METROPOLREGION NÜRNBERG Niederbayern, den Oberpfälzern und den Schwaben gegenüber hätten behaupten müssen. Womöglich wären wir ohne die kleinen Sticheleien aus München gar nicht so selbstbewusst, wie wir sind, und hätten – noch schlimmer – schon längst das Zurücksticheln verlernt! Mit einem Wort: Bayern braucht Franken und Franken braucht Bayern. Das als Überschrift für diesen Beitrag ausgewählte Begriffspaar „Franken und Bayern“ ist daher weit mehr als nur ein Arbeitstitel. Es ist, weil es die richtige Konjunktion „und“ enthält, Programm. Lediglich über die ordnungsgemäße Reihenfolge der beiden Stammesbezeichnungen kann man sich unterhalten – aber auch das, bitte, immer mit jenem Augenzwinkern, mit dem Ludwig III. wohl in sein fleischloses Brötchen gebissen hat!

© Siemens AG

Weniger Strahlen, bessere Sicht: Die von Siemens in Erlangen entwickelten Computertomographen gelten unter Mediziner als Weltspitze.

Apropos Ludwig: Gerade die Wittelsbacher haben sich um Franken in hohem Maße verdient gemacht. Dies gilt für die Wirtschaftsförderung in den neu hinzugewonnenen Gebieten ebenso wie für Gesellschaftsentwicklung und Kulturpflege. Als partes pro toto seien hier nur die Kanal- und Eisenbahnprojekte Ludwigs I., die mehrfache Ausrichtung der Bayerischen Landesausstellung in Nürnberg und die massive Förderung des Germanischen Nationalmuseums durch den kunst- und kulturliebenden König Max II. genannt. Aber auch in der Gegenwart können sich die Franken über mangelnde Aufmerksamkeit nicht wirklich beschweren. Vor allem in den letzten Jahren und Jahrzehnten wurden viele Projekte ins Franken hat den Zug der Zeit schneller als andere erkannt: Am 7. Dezember 1835 fuhr die erste deutsche Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth.

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Sehe, was die technische Zukunft bringt: Die Landesaustellung 1906 in Nürnberg präsentiert den Besuchern die neuesten Maschinen.


METROPOLREGION NÜRNBERG Leben gerufen und Weichenstellungen vorgenommen, die für die Weiterentwicklung der drei fränkischen Regierungsbezirke eine große Impulskraft entfaltet haben. Das mag unter anderem an dem Gewicht fränkischer Stimmen in München liegen. Seit jeher bekleiden die Franken mit der ihnen eigenen Hartnäckigkeit wichtige Ämter in München – auch das Amt des Ministerpräsidenten ist bisweilen in fränkischer Hand! Das liegt aber auch an dem Anspruch der in Bayern politisch Verantwortlichen, alle Landesteile gleichermaßen zu berücksichtigen. Selbst wir Franken, die wir mit Lob nicht gerade um uns werfen, müssen dieses Bemühen anerkennen.

Bayern, Du kannst froh sein, dass Du die Franken hast. geprägt. Das fränkische Bürgertum dagegen verdiente im Handel und Gewerbe sein Geld. Nürnberg war gar eine der ersten Städte, deren wirtschaftliche Struktur ganz wesentlich durch eine frühe Industrialisierung bestimmt wurde! Die Aufgeschlossenheit und die Tatkraft, die Errungenschaften städtischen Lebens und der erfinderische Antrieb dieser Neubayern entfalteten eine Dynamik, die Bayern einen großen und kraftvollen Schub nach vorne gab. Denn auch so sind sie, die Franken: Dynamisch, kraftvoll und innovativ! Nicht ohne Grund traten Erfindungen wie die Taschenuhr, der Globus und letztlich auch der MP3-Player ihren Siegeszug durch die Welt von Franken aus an. Wesentliche Impulse kamen von diesen Neubayern darüber hinaus zum Aufbau einer modernen Verwaltung: Die preußische Ära von Ansbach und Bayreuth hatte in Franken die hardenbergschen Grundsätze moderner Verwaltungsarbeit bekannt gemacht. Hardenbergs Verwaltungsreform in Ansbach und Bayreuth brachte ein neues, leistungsfähiges Beamtensystem mit sich, die Trennung von Justiz und Administration, eine systematische Wirtschaftsförderung und eine ganz gezielte Bildungsoffensive, griff also damals schon diejenigen Themen auf, die noch heute auf der politischen Agenda ganz oben rangieren. Montgelas hat diese Ideen übernommen und weiterentwickelt. Der Weg Bayerns zum modernen Staat, er war eine erste Gemeinschaftsleistung des neuen Bayern für das neue Bayern! Überflüssig zu erwähnen, dass die Franken für das aufstrebende Bayern auch kulturell eine echte, eine immense Bereicherung waren und sind. Ohne überheblich klingen zu wollen – aber das, was die drei fränkischen Regierungsbezirke an landschaftlichen Reizen, an Veranstaltungen und an Schätzen und Sehenswürdigkeiten zu bieten haben, ist ein kulturelles Erbe, das weltweit seinesgleichen sucht. Ich meine damit nicht nur Weltkulturstätten wie die Bamberger Altstadt, die

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Das deutsche Schatzhaus: Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg.

Würzburger Residenz und den Limes, oder die vielen hundert und tausend Burgen und Fachwerkhäuser, die den fränkischen Landschaften und Orten ihr besonderes Gesicht verleihen. Ich meine damit auch die großen Musikveranstaltungen und Festspiele, unsere berühmten und gerühmten Chöre, unsere Museen und Theater und überhaupt alles das, was Franken so lebens- und seine Menschen so liebenswert macht. Bayern, deine Franken! Du kannst froh sein, dass du sie hast. Sie machen dich reich und schön durch ihre Schätze. Sie halten dich fit und jung, weil sie sich einmischen, weil sie mitmischen und weil sie dich ab und zu auch einmal aufmischen. Außerhalb deiner Grenzen bekennen sie sich ohne Wenn und Aber zu dir und würden nicht ein böses Wort über dich kommen lassen. Nach noch besseren Bayern als den Franken musst du lange suchen. Ich glaube, du weißt das selbst am besten. Würde sonst diese Ehe schon so lange bestehen? Franken und Bayern: Das sind zwei, die sich gefunden haben ■

© Harald Sippel

Und in aller Bescheidenheit: Dieses Bemühen ist mehr als nachvollziehbar. Denn Franken und seine Bewohner haben einiges zu bieten, auf das Bayern schwerlich verzichten kann. Schon vor 200 Jahren, als ein großer Teil des alten Fränkischen Reichskreises an Bayern fiel, war das den Menschen wie den Monarchen sehr bewusst. Bayern war zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch fast ausschließlich landwirtschaftlich

Dr. Günther Beckstein, 1943 in Hersbruck geboren, studierte in Erlangen und München Jura und promovierte zu dem Thema „Der Gewissenstäter im Strafrecht und Strafprozessrecht“. Als bayerischer Innenminister beeinflusste Beckstein maßgeblich die deutschen Sicherheitsgesetze. Als Nachfolger von Edmund Stoiber wurde er bayerischer Ministerpräsident, kandidierte aber nach der letzten Landtagswahl nicht mehr für dieses Amt. Beckstein ist Landtagsabgeordneter und arbeitet wieder als Rechtsanwalt.

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METROPOLREGION NÜRNBERG Ulrich Maly

Im Zentrum Europas Die Metropolregion bringt Bürgern und Unternehmen Chancen und Vorteile

Vor vier Jahren, am 28. April 2005, wurde der Großraum Nürnberg in den Rang einer „Europäischen Metropolregion“ erhoben. Im Gespräch mit dem Bayerischen Monatsspiegel zieht der Ratsvorsitzender der Europäischen Metropolregion Nürnberg (EMN), Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly, eine positive Bilanz: Die Region wird neu wahrgenommen und bringt den Bürgern Vorteile.

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Bayerischer Monatsspiegel: Wie gut kann eine Region in vier Jahren zusammenwachsen? Ulrich Maly: Erstaunlich gut. Heute arbeiten in den Gremien der Metropolregion insgesamt rund 300 Unternehmer, Kulturvertreter, Touristiker, Wissenschaftler und Marketingfachleute aus der gesamten Metropolregion zusammen. Schon dies zeigt eine neue Qualität regionaler Vernetzung. Im Rat der Metropolregion treffen sich zwei Mal im Jahr rund 50 Oberbürger-


METROPOLREGION NÜRNBERG Oder nehmen Sie die Regionalkampagne „Original Regional aus der Metropolregion“, die mit Plakaten, Präsentationen und Messeauftritten aufmerksam machen soll auf die Fülle von regionalen Spezialitäten und Produkten, die frisch und qualitativ hochwertig sind. Für ihre Herstellung werden überwiegend regionale Rohstoffe verwendet und sie tragen aufgrund kurzer Transportwege zum Klimaschutz bei. Damit wollen wir das Bewusstsein unserer Bürgerinnen und Bürger für diese regionalen Schätze stärken und sie natürlich auch zu überzeugten Käufern dieser Produkte machen. Und nicht zuletzt wollen wir mit der Metropolregion auf die Radarschirme der Entscheider. Das Prädikat „Europäische Metropolregion“ ist unsere Eintrittskarte in die „Champions League“. Es mobilisiert und bündelt die Kräfte in der Region und macht damit ein schlagkräftiges Lobbying möglich. Heimatverbunden: Ulrich Maly wurde 1960 in Nürnberg geboren, studierte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Wirtschaftspolitik und promovierte zum Thema „Wirtschaft und Umwelt in der Stadtentwicklung. Seit 1984 SPD-Mitglied, wurde Maly 2002 zum Oberbürgermeister von Nürnberg gewählt. Der verheiratete Vater von zwei Kindern ist der erste Ratsvorsitzende der „Europäischen Metropolregion Nürnberg“.

meister, Landräte und Bürgermeister und können so auch in überregionalen Gremien die gemeinsamen Interessen besser vertreten. Wer hätte vorhersagen können, dass das Forum Wissenschaft – gegründet in Zeiten der Exzellenzinitiative und unter hohem Konkurrenzdruck – so schnell und erfolgreich einen jährlichen Wissenschaftstag der Metropolregion auf die Beinen stellen würde? In Bayreuth hatte der Wissenschaftstag über 500 Unternehmer, Wissenschaftler und Politiker für die Teilnahme gewinnen können. Tourismusbörsen, internationale Messeauftritte und Stellungnahmen zu politischen Planungen auf Bundes- und europäischer Ebene sind schon fast zur Routine geworden.

BMS: Sind sich auch Stadt und Land näher gekommen? Maly: Für mich ist bemerkenswert, wie stark sich die „Kohäsionskraft“ in der Metropolregion Nürnberg in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat. Förderlich dafür war sicher, dass die ländlichen Räume bei der politischen Willensbildung im Rat der Metropolregion eine große Rolle spielen. Die StadtLand-Partnerschaft in unserer Region gilt bundesweit als exemplarisch. BMS: Was bringt die Metropolregion den Bürgern? Maly: Nehmen Sie den Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) als Beispiel. Er will mittelfristig das gesamte Gebiet der Metropolregion bedienen und sich flächenmäßig zum zweitgrößten Verkehrsverbund nach Rhein-Main entwickeln. Dies wird für den Bürger bedeuten, dass er umweltfreundlich und unkompliziert per Streifenkarte von Kitzingen bis an die tschechische Grenze und von Coburg bis Weißenburg-Gunzenhausen unterwegs sein kann. Diese Erweiterungsdynamik wird begleitet vom „EntdeckerPass“, der ab Oktober angeboten wird. Diese All-Inclusive-Karte mit Rabatten für bestimmte Freizeit- und Kulturangebote lädt die Bürger auf eine Entdeckungsreise in die Metropolregion ein. Damit lässt sich „Fernweh ganz nah“ stillen.

Bayerischer Monatsspiegel 153_2009

BMS. Gibt es Unterschiede zu den anderen Metropolregionen in Deutschland? Maly: In der Tat sind die elf deutschen Metropolregionen sehr unterschiedlich. Frankfurt am Main als internationaler Bankenstandort, Berlin als Bundeshauptstadt, Hamburg als Medienstandort usw. In diesem Reigen profiliert sich die Metropolregion Nürnberg am klarsten durch ihre Gateway-Funktion. Die geozentrale Lage im erweiterten Europa und eine gute Infrastruktur und Einbindung in die europäischen und internationalen Verkehrsnetze beschreiben eine zentrale Funktion, die die Metropolregion Nürnberg in der globalen Wirtschaft einnimmt. Vor kurzem wurden uns die überragenden Potenziale der Metropolregion als Logistik-Region durch ein Fach-Gutachten bestätigt. Neben dieser wirtschaftlichen Betrachtung, ist es sicherlich die ausgezeichnete Lebensqualität, die unsere Region charakterisiert. Wir genießen alle Vorteile, die die großen Ballungsräume bieten, ohne aber mit ihren üblichen Nachteilen zurecht kommen zu müssen. Aufgrund unserer polyzentralen Raumstruktur und starken Zentren und Entwicklungsachsen auch außerhalb der Städteachse Nürnberg-Fürth-Erlangen ist die Umweltqualität hoch und die Mobilität gut. Die Lebenshaltungskosten sind noch immer bezahlbar.

BMS: Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft der Metropolregion? Maly: Ich würde mich freuen, wenn sich die Bürger in der Metropolregion in der Zukunft noch stärker als Europäer und Weltenbürger definieren würden. Dies gilt auch ganz besonders für die Nürnberger, die schon im Mittelalter mit der ganzen Welt Handel getrieben haben. Und mit der Initiative „Heimat für Kreative“ wollen wir unsere unbestrittenen Standortqualitäten wie hohe Lebensqualität und die Verwurzelung in Tradition und Geschichte sichern. Diese Wurzeln reichen in ländlichen Räumen traditionell tiefer als in den großen Städten, was man sicher als ein Mehr an Heimat verstehen kann. „Original Regional“ wird deshalb auch in Zukunft wichtig bleiben. Und wir wollen alle Arten der Kreativität, die in unserer Region stecken, aufdecken und entwickeln. Deshalb bereiten wir eine Studie zur Kreativ- und Kulturwirtschaft in der Metropolregion vor. Dass die Menschen in unserer Region kreativ sind, zeigt der vierte Platz bei den Patentanmeldungen in Deutschland. ■

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Wer als Fahrgast Halt sucht in der Straßenbahn in Innsbruck oder Stockholm, im portugiesischen Porto oder im türkischen Eskisehir, der greift zu einer Stange aus dem mittelfränkischen Ansbach. Und wenn die Lokführer in den Cockpits der chinesischen Hochgeschwindigkeitszügen CRH3 vor der blenden Sonne geschützt sind, dann verdanken sie das einem Beschattungssystem, das ebenfalls aus der ehemaligen Residenzstadt kommt. Beides entwickelt und produziert die Firma Viehbeck Engineering+Systemtechnik, von Günther Viehbeck 1996 gegründet und heute im Ansbacher Technologie- und Innovationszentrum TIZ einer von mehreren Unternehmen, die ohne große öffentliche Aufmerksamkeit weltweit erfolgreich sind. Das TIZ, vor sechs Jahren gegründet, hat sich zum Magneten für innovative Firmen und Existenzgründer entwickelt. Rund sieben Millionen Euro hat die Stadt Ansbach 2003 in das TIZ investiert. Gut angelegte Geld, wie sich schnell herausgestellt hat: Heute sind mehr als 90 Prozent der 6000 Quadrat-

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meter großen Fläch an Unternehmen, Existenzgründer und Forschungseinrichtungen vermietet. Die Tendenz ist trotz der aktuellen Wirtschaftskrise steigend. 29 Unternehmen aus den Bereichen Kunststoff, Multimedia oder unternehmensnahen Dienstleistungen haben sich im TIZ und im umliegenden Technologiepark angesiedelt und 160 Arbeitsplätze geschaffen. Auch die Hochschule Ansbach ist mit einer Lehrfabrik vertreten. Und ein Weltmarktführer ist auch darunter: Das Unternehmen Pro-Aqua International produziert und vertreibt Systeme, die auf Wasserbasis Räume reinigen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Staubsaugern werden Staub und Schmutz in Wasser gebunden. Nach dem Motto: „Nasser Staub kann nicht fliegen.“ Für seine Produkte hat Pro-Aqua bereits zahlreiche internationale Preise erhalten. Und eine besondere Anerkennung steht der Firma, die 2005 ihren Firmensitz nach Ansbach verlegt hat, ohnehin zu: Um die Qualität zu sichern, wird ausschließMW lich in Deutschland produziert. ■

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METROPOLREGION NÜRNBERG Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg g

Die Region muss sich auf ihre Stärken besinnen und diese selbstbewusst nach außen tragen

Die Chinesen verwenden zwei Pinselstriche, um das Wort „Krise“ zu schreiben. Ein Zeichen steht dabei für Gefahr, das andere für Gelegenheit. So wird das Doppelgesicht der Krise deutlich, und wir sollten uns davor hüten, die Chance zu verkennen, die in jeder Lage steckt, und somit die Gelegenheit nutzen, sogar gestärkt aus dieser schwierigen Situation hervorzugehen. „Krisen können ein produktiver Zustand sein“, hat Max Frisch einmal gesagt. Man müsse ihnen nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Für mich heißt das: Nicht durch Pessimismus kommen wir aus der Krise, sondern nur durch Mut, Zuversicht, Durchhaltevermögen und Kreativität. Es ist genau diese Lebenshaltung, die man in Franken nicht lange suchen muss. Denn in unserer Heimatregion bringen wir einen Erfahrungswert mit, den andere nicht haben: Wir wissen, was Strukturwandel bedeutet. Weil wir uns damit mehr als andere auseinandersetzen mussten, haben wir eine Kämpferqualität entwickelt, die in anderen Teilen unseres Landes vielleicht nicht vorhanden ist. Stets hat Franken die Herausforderungen, die ihr die Geschichte gestellt hat, gut bewältigt. Ich denke beispielsweise an

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METROPOLREGION NÜRNBERG die Öffnung des Eisernen Vorhangs vor zwanzig Jahren. Vereinzelt hat es Angst und Verzagtheit gegeben, doch insgesamt herrschte die Haltung vor, die Öffnung der Grenzen als Chance zu sehen. In der Tat profitieren längst alle Seiten vom gegenseitigen Handel – sowohl was den Austausch Frankens mit Sachsen als auch den mit Tschechien betrifft. Ich freue mich, dass dieses Heft des „Bayerischen Monatsspiegels“ genau diesen Aspekt und die Nachbarschaft zu Tschechien in den Mittelpunkt seiner Berichterstattung rückt, zeigt dieses Thema doch auf das stärkste Pfund, mit dem Franken wuchern kann: seine zentrale Lage in Europa. An den wichtigsten Verkehrsachsen von Nord nach Süd, von West nach Ost gelegen, kann die Region seine Position inmitten des riesigen EU-Binnenmarkts für die Zukunft nutzen. Schon heute ist Nürnberg der wichtigste Umschlagplatz für Güter in Süddeutschland. Ich möchte, dass diese Region sich auf ihre eigenen Stärken besinnt und sie mit der gebotenen Portion Stolz und Selbstvertrauen nach außen trägt. Ganz Franken, vor allem aber die Metropolregion Nürnberg, hat sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich sehr dynamisch entwickelt. Sie konnte hierbei auf einen zukunftsträchtigen Branchenmix setzen. Die wirtschaftlichen Kernkompetenzen liegen in den Bereichen Verkehr und Logistik, Information und Kommunikation, Automatisierungs- und Produktionstechnik, Energie, Medizin

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und Pharma, Leitungselektronik und Umwelt sowie innovative Dienstleistungen. Immer mehr gewinnt auch der Tourismus an Bedeutung. Viele sprechen von einem „Automation Valley“ und „Medical Valley“ in Mittelfranken. Das ist alles nur möglich durch das enge Miteinander von Wirtschaft und Wissenschaft in der Region. Über 150 000 Unternehmen sind in der Metropolregion Nürnberg zuhause, darunter auch zahlreiche international tätige „Hidden Champions“, also Weltmarktführer aus dem Mittelstand. Wie stark die Unternehmen sind, zeigt die hohe Exportquote in der Metropolregion Nürnberg mit rund 40 Prozent. Nun bekommt freilich auch Franken die Finanz- und Wirtschaftskrise zu spüren. Vor allem die Exporte sowie die Automobilzulieferer sind betroffen. Um eine Brücke für einen neuen Aufschwung zu errichten, hat die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmenpakete mit einem Volumen von insgesamt 80 Milliarden Euro geschnürt. In Bayern läuft die Umsetzung des Konjunkturpakets plangemäß. So werden rund 620 Millionen Euro in die energetische Sanierung von Schulen investiert, rund 100 Millionen Euro in den Straßenbau und weitere 240 Millionen Euro in die Modernisierung der Hochschulen. Die drei fränkischen Regierungsbezirke erhalten aus dem Konjunkturpakt II Mittel in Höhe von 473 Millionen Euro. So nutzen wir die Krise als Chance: Franken stellt sich für die Zukunft auf. Um auf Dauer Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern, müssen wir freilich die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft befolgen. Der Franke Ludwig Erhard hat treffend formuliert, dass in der Wirtschaft der Staat nur die Rolle eines Schiedsrichters übernehmen könne, das Spiel selbst müssten die Unternehmen bestreiten. Doch heute rufen viele Menschen nach dem Staat. Allerdings kann er alleine die Krise nicht meistern. Alle Akteure müssen mitwirken: Bürgerinnen und Bürger, Unternehmer und Arbeitnehmer, Mittelstand und Handwerk - alle müssen zusammenstehen. Dabei bleibt es vorrangige Aufgabe der Unternehmen selbst, die Krise zu überwinden. Langfristig muss sich ein Unternehmen selbst retten. Der Staat kann dabei allenfalls Hilfe leisten. Er ist nicht der bessere Unternehmer – und auch nicht der bessere Banker. Zudem gilt es die Lehren der Vergangenheit zu befolgen: Gerade die Reformen der letzten Jahre haben uns stark gemacht. So hat die Senkung der Lohnzusatzkosten Unternehmen und Arbeitgebern mehr Spielraum gegeben. Die Bürokratie wurde abgebaut und die Steuern gesenkt. Neue Arbeitsplätze sind entstanden. Das ist der Weg, den wir auch in Zukunft beschreiten müssen. ■

Dr. Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, am 5. Dezember 1971 in München geboren, ist CSU-Bundestagsabgeordneter sowie CSUBezirksvorsitzender Oberfranken und seit Februar Bundesminister für Wirtschaft und Technologie. Nach einem dreimonatigen Intermezzo als CSUGeneralsekretär ist der 37-Jährige der jüngste Bundeswirtschaftsminister in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch sein Aufstieg ist einmalig: praktisch aus dem Stand wurde zu Guttenberg, von Freunden kurz „KT“ genannt, neben der Bundeskanzlerin zum beliebtesten deutschen Politiker. Der Vater zweier Töchter ist mit Stephanie Gräfin von Bismarck-Schönhausen verheiratet.

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METROPOLREGION NÜRNBERG Ivan Steiger:

Groß

im kleinen Format

ist „ein großer Moralist im kleinen Format“ schreibt die FAZ über den tschechisch-deutschen Karikaturisten, der seit 1972 nahezu täglich im Politikteil des Frankfurter Blattes zu finden ist. Seine Familie stammte ursprünglich aus Franken, doch nach dem Dreißigjährigen Krieg sind die Steigers nach Mähren ausgewandert und wurde so „Unterthanen“ der Habsburger. Ivan Steigers Vater wurde auch ein Opfer der Vertreibung der Sudetendeutschen: Nachdem diese Volksgruppe aus dem Land getrieben war (S. 68), fehlten im Sudetenland die Arbeitskräfte. Der Vater war ein erfolgreicher Fabrikant und Großhändler in Prag, also nach kommunistischer Lesart ein Kapitalist. Er wurde enteignet und nach Böhmen zwangsumgesiedelt, wo er als Bergmann arbeiten musste. Auch sein Sohn Ivan musste ins Kohlebergwerk, bis er die Erlaubnis bekam, an der Prager Filmhochschule zu studieren. Seine ersten Zeichnungen veröffentlichte er 1964 in der Süddeutschen Zeitung. Seiner großen Leidenschaft für antikes Spielzeug verdankt München das Spielzeugmuseum, das 1983 eröffnet wurde. Wir freuen uns, künftig auch im Bayerischen Monatsspiegel Werke von Ivan Steiger veröffentlichen zu können.

Zwei gute Seelen am Ufer, Acryl, Tusche und Sand auf Malplatte, 50 x 60 cm

Ironman, Acryl und Sand auf Leinwand, 90 x 70 cm

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Der blaue Ziegenbock, der Einsiedler und Quanten-Schaum, Acryl auf Leinwand, 140 x 100 cm

Zwei gleichlaufende Zust채nde des Denkens, Acryl und Bleistift auf Leinwand, 30 x 40 cm

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METROPOLREGION NÜRNBERG

METROPOLREGION NÜ ÜRNBERG

Nürnberg pflegt enge Kontakte nach China – Zielbahnhoff für die e geplanten Contaiiner-Züge aus Peking Für Chinesen ist das Wort Nürnberg ein Zungenbrecher mit gleich zwei rollenden R. Doch sie haben Abhilfe gefunden und nennen die Frankenmetropole nun auch für chinesische Ohren wohlklingend „Niulúnbao“. Das ist schon deshalb für die deutsch-chinesische Partnerschaft von Vorteil, weil das Reich der Mitte Nürnberg immer stärker zu einem starken Europa-Stützpunkt ausbaut. „China sieht in Nürnberg eine geeignete ‚Schaltstelle‘ für Europa-Aktivitäten“, sagt Armin Siegert, bei der Nürnberger Industrie- und Handelskammer zuständig für die internationalen Beziehungen Seit der Partnerschaftsvertrag zwischen der blühenden südchinesischen Sonderwirtschaftszone Shenzhen vor zwölf Jahren unterzeichnet wurde, hat sich ein enges Geflecht wirtschaftlicher, kulturelle und wissenschaftlicher Bande geknüpft. Das ist am Universitätsstandort der Metropolregion zu sehen, wo die 900 eingeschrieben chinesischen Studenten die größte Nationalitätengruppe unter den 7000 ausländischen Kommilitonen stellen. Die Wertschätzung Frankens zeigt Peking auch dadurch, dass es neben Berlin in Nürnberg das zweite Konfuzius-Institut, eine Art chinesisches Goethe-Institut, in Deutschland installierte. Dazu passt, dass Nürnbergs Staatsoper (Staatstheater) im vergangenen Jahr bereits zum zweiten Mal in China mit großem Erfolg aufgetreten ist. Die engsten Kontakte aber hat die Wirtschaft geflochten. Armin Siegert zählt die wichtigsten Meilensteine dieser nunmehr zwölfjährigen Partnerschaft auf: „Ein erstes deutsch-chinesisches Wirtschaftssymposium in Shenzhen; die Eröffnung des Europa-Büros der Stadtregierung von Shenzhen in Nürnberg im Jahr 2000; ein erstes deutsch-chinesisches Technologieforum im vergangenen Jahr in Nürnberg mit mehr als 100 chinesischen Unternehmern.

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Zudem beteiligte sich Bayern auf Initiative der IHK Nürnberg für Mittelfranken bereits neun Mal mit einem Gemeinschaftsstand an der China Hi-Tech Fair in Shenzhen.“ Im November wird die Metropolregion ohne finanzielle Unterstützung des Freistaats an der Hi-Tech-Messe mit einem eigenen Stand teilnehmen. Jährlich bis zu 60 Delegationen aus allen Provinzen Chinas besuchen die IHK zu Fachgesprächen, innerhalb von vier Jahren sollen 1100 junge Chinesen bei der IHK zu Umwelt- und Energiemanagern ausgebildet werden. Die ersten 100 haben ihren Lehrgang bereits erfolgreich abgeschlossen. „Ziel unsere Initiative ist es“, erläutert IHK-Manager Siegert, „chinesische Unternehmen beim Energiesparen zu unterstützen und deutsche Umwelttechnik in China zu platzieren.“ Aus der Metropolregion sind bereits 600 Unternehmen

In 17 Tagen von Peking nach Nürnberg: Chinesischer Güterzug mit einer modernen Lokomotive von Siemens.


METROPOLREGION NĂœRNBERG im China-Geschäft aktiv, Ăźber 200 sogar langfristig Ăźber Vertretungen, Niederlassungen, Produktionsstätten oder Joint Ventures. Siegert: „Das Engagement unserer Firmen hat sich innerhalb von fĂźnf Jahren mehr als verdoppelt. Dabei Ăźbernehmen namhafte China-Dienstleister wie die GfK, RĂśdl&Partner und die NĂźrnbergMesse BrĂźckenfunktionen gerade fĂźr Mittelständler, die an China interessiert sind.“ Eine ganz besondere Verbindung läuft auf einem ungewĂśhnlich langen Weg. Genau genommen Ăźber 10 500 Kilometer Eisenbahnschienen. Vor drei Jahren haben IHK und Stadt NĂźrnberg mit dem

Pekinger Stadtbezirk Changping vereinbart, in den Bereichen Verkehr und Logistik zu kooperieren. Damit wurde das Projekt „China Landbridge“ initiiert. „Das bedeutet, in 15 Tagen mit dem Containerzug von Peking Ăźber die Mongolei, Belarus und Polen nach NĂźrnberg“, freut sich Armin Siegert und zählt die Vorteile

auf: Im Vergleich zum Seeweg die halbe Zeit, rund 75 Prozent gĂźnstiger als mit dem Flugzeug, mit dem bisher ein erheblicher Teil des deutsch-chinesischen Handels abgewickelt wird, und mit 95 Prozent weniger CO2-AusstoĂ&#x;. Bis zu fĂźnf ZĂźge mit jeweils 88 bis 100 Containern kĂśnnten wĂśchentlich aus China in NĂźrnberg ankommen, erwartet der IHK-Manager. Die guten China-Connections haben NĂźrnberg geholfen, bei dem gigantischen Zukunftsprojekt einen besonderen Stich zu machen. Neben den ZielbahnhĂśfen Hamburg, wegen des Hafens, und Duisburg, wegen des Ruhrgebiets, wurde NĂźrnberg als Knotenpunkt und Verteilzentrum fĂźr den SĂźden bis weit nach Italien hinein ausgewählt. FĂźr NĂźrnbergs Wirtschaftsreferenten Roland Fleck eine groĂ&#x;e Chance fĂźr die Metropolregion: „Hier bei uns soll die LandbrĂźcke fĂźr ContainerzĂźge zwischen China und Europa durchlaufen.“ Die Franken sind bereits gut darauf vorbereitet: Am Hafen wurde fĂźr 27 Millionen Euro eine neue Anlage zum Containerumschlag vom Zug auf den Lkw gebaut, ein weiteres Terminal baut die Deutsche Bahn fĂźr 32 Millionen Euro. Bereits fĂźnf TestzĂźge sind erfolgreich gerollt. Mit einem der ZĂźge hatte Fujitsu Siemens im Oktober vergangenen Jahres 50 Container mit Bauteilen aus China zu seinen Werken in Augsburg und Worms bringen lassen. „Alles hat hervorragend geklappt“, bestätigt eine Sprecherin des Konzerns. Es gab keinerlei StĂśrungen, und der Zeitplan wurde eingehalten.“ Eigentlich sollte der regelmäĂ&#x;ige Zugverkehr schon rollen, doch die Weltwirtschaftskrise hat den Start verzĂśgert. „In ein bis zwei Jahren wird es wohl soweit sein“, erwartet Armin Siegert. Manfred Werner

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METROPOLREGIION NÜR RNBERG

Wo die Kanzlerin feiert Nürnberg ist mit Messe, Airport und Hafen ein attraktiver Metropolen-Standort

Die Nürnberger Messe ist Bundeskanzlerin Angela Merkel wohlvertraut. Im Februar ist sie aus Berlin an die Noris gekommen und gratulierte der Spielwarenmesse zum 60. Geburtstag. Was sie gleich noch verband mit der Erwartung, von dieser Messe möge ein positives Signal gegen die Krise ausgehen. Fünf Monate und an einem besonderen Tag später kam die Kanzlerin erneut in die weiten Messehallen: Am 17. Juli feierte sie gemeinsam mit der Schwesterpartei auf dem CSU-Parteitag ihren 55. Geburtstag und durfte sich von CSU-Chef Horst Seehofer umschmeicheln lassen: „Angela, Du bist unser bestes Stück.“ Die Nürnberger Messe hat sich in den vergangenen 35 Jahren aus bescheidenen Anfängen heraus rasant entwickelt und zählt heute weltweit zu den 15 größten Messeplätzen, in Europa rangiert sie unter den Top Ten. 1974 wurde das Messezentrum im Süden der Stadt eröffnet, vor sechs Jahren kam das moderne, mit allen technischen Raffinessen ausgestattete CongressCenter CCN Ost dazu. Allein über 400 Millionen Euro investierte die Stadt im vergangenen Jahrzehnt in die Messe. Geld, das gut angelegt ist: Rund 27 000 Aussteller zeigen jährlich auf 160 000 Quadratmetern Hallenfläche und 75 000 Quadratmetern Freifläche ihre aktuellen Produkte und locken damit über 1,2 Millionen Besucher an, von denen 180 000 aus dem Ausland anreisen. Das treibt einen mächtigen Jobmotor an, der rund

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METROPOLREGION NÜRNBERG den Airport Nürnberg zu einem modernen Topziel ausbauen zu können, wird die Start- und Landebahn in den nächsten Jahren generalsaniert. „Um den Flugbetrieb so wenig wie möglich zu beeinträchtigen“, erläutert Geschäftsführer Krüger, „haben wir uns gegen eine Komplettschließung entschieden.“ Stattdessen wird die 2 700 Meter lange Bahn bis zum Jahr 2015 sukzessive erneuert und mit neuester Technik wie neuer Anflugbefeuerung ausgestattet.

15 000 Vollzeitarbeitsplätze sichert und für mehr als die Hälfte der Hotel-Übernachtungen in Nürnberg sorgt. „Aber nicht nur im Messebereich ist Nürnberg sehr gut aufgestellt“, betont Roland Fleck, der Wirtschaftsreferent der Stadt und zugleich Geschäftsführer des Forums „Wirtschaft und Infrastruktur“ der Metropoleregion. „Die Stadt ist auch ein starker Standort im Tagungs- und Kongresswesen, einem Wirtschaftszweig mit viel Zukunft.“ Eine wissenschaftliche Untersuchung hat erstaunliche Ergebnisse erbracht: Bis zu 25 000 Tagungen, Seminare und Kongresse mit insgesamt gut 1,6 Millionen Teilnehmern erwirtschaften 215 Millionen Euro. Auch ein Erfolg der 2003 gegründete „Kongress Initiative Nürnberg“. Das damals anvisierte Ziel, Nürnberg nach München und Frankfurt zum drittgrößten süddeutschen Kongress-Standort auszubauen, ist mittlerweile erreicht.

Auch der Nürnberger Hafen konnte der Wirtschaftskrise trotzen und verzeichnete 2008 bei allen Verkehrsträgern wie Schiff, Bahn und Lastwagen einen Zuwachs beim Güterumschlag von sechs Prozent auf über 14 Millionen Tonnen. Beigetragen zu diesem Erfolg haben auch private Investitionen von 67 Millionen Euro, mit denen im vergangenen Jahr Neuansiedlung und Ausbau bestehender Logistikanlagen finanziert wurden. Für Harald Leupold, Geschäftsführer des Hafen Nürnberg-Roth GmbH, ein Beleg für „die hohe Qualität und Attraktivität des Güterverkehrszentrums“. Der Hafen ist das größte multifunktionale Dienstleistungs- und Logistikzentrum Süddeutschlands. Vor allem ist es gelungen, Bahn, Schiff und Lkw optimal zu vernetzen. Gerade der Bahnverkehr, für den es im Hafengelände 42 Kilometer Gleisanlagen gibt, und der Schiffsumschlag an den insgesamt 5 750 Metern langen Kais erlebten im vergangenen Jahr mit einem jeweiligen Plus von fast 13 Prozent eine regelrechten Aufschwung.

Diesen Platz zu sichern, soll auch das Airport Business Center mithelfen, das bis 2012 am Nürnberger Flughafen entstehen soll. „Damit“, so Fleck, „wollen wir den Flughafen zum internationalen Meeting-Point der Metropolregion Nürnberg entwickeln.“ Der Airport im Nordwesten der Stadt ist ohnehin eine Attraktion für die Metropolregion und hat sich so positiv entwickelt, wie dies bei der Eröffnung im April 1955 selbst von Optimisten nicht vorhersehbar war. Nachdem Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm mitten in den Äckern des Knoblauchslandes den deutschlandweit ersten, nach dem Krieg auf neuem Gelände gebauten Verkehrsflughafen eingeweiht hatte, zögerte die Lufthansa noch, den Neuling ins Streckennetz aufzunehmen. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis der Kranich-Carrier den Linienverkehr Frankfurt-Nürnberg Düsseldorf eröffnete und damit den Startschuss zum Aufstieg gab.

Die zentrale Lage in Europa, die optimale Infrastruktur, die multimodale Anbindung und die internationale Vernetzung sind auch der Grund, weshalb der international tätige Rio-TintoKonzern die Noris-Stadt als europäischen Umschlagplatz für das feinkörnige Borat gewählt hat. Das hochsensible Granulat, das weder mit Wasser noch mit anderen Stoffen in Berührung kommen darf, ist ein wichtiger Bestandteil für Dämmstoffe, Düngemittel sowie die Keramik- und Glasproduktion. Es wird im kalifornischen Death Valley abgebaut und per Schiff durch den Panamakanal über den Atlantik nach Rotterdam gebracht, wo es auf Binnenschiffe mit Ziel Nürnberg umgeladen wird. Allein 300 Tonnen werden hier jede Woche in Silo-Containern per Bahn ins italienische Verpöne gebracht, von wo es an Düngemittel-, Dämmstoff- und Keramikfabriken in ganz Italien verteilt wird.

Der Durchbruch kam nach der Wende, als Air Berlin seinen Flugbetrieb startete und Nürnberg zu seinem großen Drehkreuz ausbaute. Vor allem das Winterangebot mit Flügen in warme Urlaubsziele erwies sich als „stärkster Wirtschaftsfaktor“, wie Airport-Chef Karl-Heinz Krüger bei der Vorlage des jüngsten Geschäftsberichts formulierte. Trotz der Wirtschaftskrise, die im Flugverkehr deutlich Spuren hinterlässt, konnte Nürnberg im vergangenen Jahr ein leichtes Passagierwachstum von 0,7 Prozent auf 4,274 Millionen Fluggäste registrieren. Auch der Konzernumsatz lag mit 94,7 Millionen Euro leicht über den Erwartungen. Besonders erfolgreich ist wieder der Sommer: Während der sechswöchigen Sommerferien flogen über 250 000 Urlauber von Nürnberg aus zu über 60 sonnigen Ferienzielen. Um das Wachstum auch künftig bewältigen zu können und

© Air Berlin GmbH

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Und auch schon für den nächsten Winter wird vorgesorgt: In einer 2 600 Quadratmeter großen Schüttguthalle werden Tonnen von Streusalz gelagert, das per Schiff oder Bahn angeliefert wird und an einer „Salztankstelle“ von den Streufahrzeugen der UmManfred Werner gebung direkt abgezapft werden kann. ■

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METROPOLREGION NÜRNBERG Siegfried Balleis

Raum für starke Köpfe Die Kommunen sind die großen Gewinner der Metropolregion

Die interkommunale Zusammenarbeit im Kernbereich der Europäischen Metropolregion Nürnberg hat eine vergleichsweise lange Tradition. So verständigten sich bereits 1970 die Oberbürgermeister der Städte Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach auf einen regelmäßigen Gedanken- und Informationsaustausch. Es war die Geburtsstunde der sogenannten NKS, der Nachbarschaftskonferenz der Städte. Eine Art Vorläufer der Metropolregion. Dieses Forum „operierte“ so erfolgreich, dass nach und nach die berufsmäßigen Stadträte dem institutionalisierten Meinungsaustausch nutzten. Den Beginn machten dabei die sozusagen schon kraft Amtes für Veränderungen besonders aufgeschlossenen Kulturreferenten der Städteachse. Ihnen folgten die Wirtschaftsreferenten, später die Bau- und. Planungsreferenten. Inzwischen gibt es in nahezu allen Politikbereichen einen regelmäßigen Informationsaustausch, der sich übrigens keineswegs nur in der einen oder anderen Problemsituation bewährt. Vielmehr ist er zu einer allseits uneingeschränkt geschätzten Grundlage eines verlässlichen Miteinanders im kommunalpolitischen Alltag geworden. Parallel zu diesen reinen Gesprächskreisen bildeten sich in den Folgejahren zwischen den vier genannten Nachbarstädten im mittelfränkischen Großraum Zweckverbände heraus, um kooperativ die größeren gemeindlichen Aufgaben besser zu planen und zu erfüllen. Den Anfang machte der öffentliche Nahverkehr mit dem bis heute sehr erfolgreichen Verkehrsverbund im Großraum Nürnberg. Erwähnt sei auch der für die Abfallentsorgung zukunftsweisende Zweckverband im Landkreis Erlangen-Höchstadt. Bereits Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erkannte man schließlich zunehmend die Notwendigkeit, in einem auch für die Kommunen immer globaler definierten Standortwettbewerb die Marketinganstrengungen der vier Städte zu bündeln und PR-Strategien im Verbund auch international auszurichten. Doch bis die gemeinsame Plattform geschaffen war, bedurfte es noch vieler Æ Große Persönlichkeiten beeinflußen von jeher die Geschicke der Region, wie Markgraf Friedrich, der Gründer der Universität Erlangen.

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METROPOLREGION NÜRNBERG Anstrengungen, zum Teil auch nicht immer einfacher Antworten auf emotional besetzte Fragen – vor allem bei der Diskussion um den künftigen gemeinsamen Namen. In mehreren Arbeitskreisen, auch in engen Kontakten mit der Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken, vor allem aber auf der Ebene der städtischen Wirtschaftsreferenten floss – wenn man das so flapsig sagen darf – viel Schweiß der Edlen, bis es dann schließlich im Juli 1996 soweit war und in Anwesenheit des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber unter viel Beifall der Verein „Die Region Nürnberg e.V.“ aus der Taufe gehoben werden konnte. Seiner Satzung entsprechend verfolgt der Verein ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts „Steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung. Im Mittelpunkt stehen dabei Maßnahmen zur Aufklärung der Öffentlichkeit „über das wirkliche Bild und die hohe Lebensqualität der Region Nürnberg, die Förderung des Heimatgedankens, die Steigerung des Interesses an der Region Nürnberg in anderen Regionen und bei der im eigenen Raum lebenden Bevölkerung, die Stärkung der Zusammenarbeit innerhalb der Region Nürnberg, die Förderung landeskundlicher, sozialer, kultureller, künstlerischer, sportlicher und wissenschaftlicher Aktivitäten sowie die Förderung innovativer Kräfte in der Region Nürnberg“. Um gemeinsam stark nach außen auftreten zu können, schien es aber zunächst angezeigt, sich der eigenen Fähigkeiten und Bedeutung bewusst zu werden und die typisch fränkische Zurückhaltung aufzugeben. In den ersten vier Jahren seines Bestehens legte der Verein deshalb seinen Tätigkeitsschwerpunkt darauf die Stärken der Region zu identifizieren und nach innen zu kommunizieren. Dieser Schritt war vor allem deshalb so wichtig, weil sich die Region bis Mitte der 90er Jahre zumeist nur klagend als der ewig Benachteiligte gegenüber dem Münchner Raum präsentierte und dabei – völlig unnötigerweise – jegliches Selbstbewusstsein vermissen ließ. Fortan sollte es heißen: Wir sind ein „Raum für starke Köpfe“. Eine Plakatkampagne mit den Konterfeis zahlreicher Prominenter aus der Region bot dazu attraktive Identifikationsmöglichkeiten an. Ab dem Jahr 2000 richteten die PR-Verantwortlichen des Vereins ihren Blick dann zunehmend auf die internationale Ebene. Was schließlich 2003 dazu führte, dass die Metropolregion dem Netzwerk der europäischen Groß- und Ballungsräume METREX beitrat. Der Wunsch, nun auch offiziell als Metropolregion anerkannt zu werden, stieß zunächst auf Ablehnung. In der Landeshauptstadt vertrat man - ein letztes Mal - die Auffassung, dass in Bayern nur der Region München ein entsprechendes Prädikat zustehe. Doch bei einer Sitzung in Ansbach griff das bayerische Kabinett beschied den Antrag positiv. Am und seit diesem Tag unterstützte nun auch der Freistatt die Initiative. Am 28.April 2005 war das Ziel erreicht, gemeinsam mit den Räumen RheinNeckar, Hannover und Bremen wurde die Region Nürnberg in den Kreis der bisherigen sieben Metropolregionen aufgenommen. Und am 12. Mai 2005 erfolgte die feierliche Unterzeichnung der Charta der Europäischen Metropolregion Nürnberg in der Orangerie des Erlanger Schlosses. Neues bringt auch immer Bedenken mit sich. So fürchteten vor allem die Vertreten der eher ländlichen Gebiete um ihre Interes-

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sen auch ihren gebührenden Platz in der Metropolregion. Doch mittlerweile haben sich die großen und vor allem konkreten Vorteile herumgesprochen. Die Europäische Metropolregion Nürnberg bietet für die jeweiligen Mitgliedsstädte viele konkrete Vorteile. So lassen sich beispielsweise Forderungen nach dem Ausbau von Verkehrsinfrastruktur und der F&E-Infrastruktur durch gemeinsames Lobbying leichter durchsetzen. Die Bürgermeister und Landräte können dabei den gemeinsamen politischen Willen des Rates mit rund 50 Kommunalvertretern in die Waagschale werfen. Darüber hinaus sind viele Zukunftsthemen nur regional anzupacken und nicht isoliert durch einzelne Kommunen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Bewerbung im Spitzencluster-Wettbewerb Medical Valley Metropolregion Nürnberg. Zudem ermöglichen gemeinsame Messeauftritte der Metropolregion es einzelnen Kommunen, auch auf großen, teureren Messen dabei zu sein; so zum Beispiel auf der wichtigen Expo Real in München. Gemeinsame EU-Projekte bedeuten für die einzelne Kommune weniger Aufwand bei der Antragstellung und Projektabwicklung; so gibt es beispielsweise in der Metropolregion ein europäisches Strukturfonds-Projekt (ESF), durch das Einzelhändler in sieben Kommunen qualifiziert werden. Die Metropolregion bietet Erfahrungsaustausch, mehr Aufmerksamkeit und Stärkung eigener kommunaler Projekte, wie dies gegenwärtig beim Projekt „Familienfreundlichste Wirtschafts-

„Unsere Metropolregion ist ein Segen für ganz Franken.“ region Deutschlands“ praktiziert wird. Ein Auftritt mit der Metropolregion verstärkt auch das eigene Image: So präsentiert sich Bayreuth mit der Metropolregion Nürnberg in Brüssel bei den Open Days und im Oktober 2009 als High-Light der Abendveranstaltung in der Bayerischen Vertretung. Projekte der Metropolregion stärken Wirtschaft und Arbeitsplätze in einzelnen Kommunen, so zum Beispiel im Tourismus mit dem Entdeckerpass der Metropolregion, der den Binnentourismus stärken und durch Regionalkampagnen wie „Original Regional“ die Aufmerksamkeit auf regionale Erzeuger lenken soll. Schließlich nutzt Marketing für die Metropolregion Nürnberg auch den einzelnen Kommunen wie dies mit der Initiative „Heimat für Kreative“ geschieht, durch die nachhaltig Fachkräfte angeworben und vor allem an die Region gebunden werden sollen. Aus all dem ergibt sich: Die Metropolregion ist ein Segen für ganz Franken. ■ Dr. Siegfried Balleis, 1953 in Nürnberg geboren, studierte an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg Betriebswirtschaftslehre, promovierte im Bereich Politik und Kommunikationswissenschaften und begann seine berufliche Laufbahn bei Siemens. 1988 wurde der CSU-Politiker zum Wirtschaftsreferenten der Stadt Erlangen berufen und 1996 erstmals zum Oberbürgermeister der Universitätsstadt gewählt. Das Amt hat Balleis seither ununterbrochen inne.

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METROPOLREGION NÜRNBERG Erich R. Reinhardt

Medicall Valley entwickelt sich zu eiiner der führende en Medizinregionen der Welt

Globale Trends stimulieren das Marktwachstum und bestimmen die Chancen der Medizintechnik. Die demographische Entwicklung lässt erwarten, dass bis 2050 fast 50 Prozent mehr Menschen auf der Erde leben. Gleichzeitig steigt unsere Lebenserwartung – aber auch die Prävalenz bestimmter Erkrankungen. Das führt zu einem wachsenden Bedarf an Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation. In der Europäischen Metropolregion Nürnberg (EMN) streben mehr als 180 hochinnovative Medizintechnikunternehmen mit über 16 000 Beschäftigten an, von diesem Marktwachstum zu profitieren. Insgesamt haben im Medical Valley EMN über 500 Unternehmen mit Medizintechnik zu tun. Ihr Umsatzwachstum führte von 2000 bis 2007 zu einem Wachstum der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 15 Prozent, circa 2.500 Arbeitsplätze sind zusätzlich entstanden. Allein Siemens Healthcare, mit seinem Headquarter im Medical Valley EMN, erwirtschaftete 2008 einen Umsatz in Höhe von rund 11 Milliarden Euro. Das wissenschaftliche Potenzial des Medical Valley EMN markieren 18 Hochschulen mit 90.000 Studenten und jährlich ca. 9.000 Hochschulabsolventen sowie 1.500 Doktoranden. Das Thema Medizintechnik spielt eine zentrale Rolle in zehn Sonderforschungsbereichen, fünf DFG-Forschergruppen, vier Stiftungsprofessuren sowie zahlreichen interdisziplinären Æ

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In Erlangen wurde 2009 der neue Computertomograph „CT-AS“ vorgestellt. Bilder des menschlichen Körpers können in einer bislang kaum für möglich gehaltenen Qualität und Detailgenauigkeit dargestellt werden. Das wichtigste für die Patienten: Es geht in einer atemberaubend kurzen Zeit, erfasst auch funktionelle Parameter und führt zu deutlich minimierter Strahlenbelastung.

© Siemen e ens n AG G


METROPOLREGION NÜRNBERG Forschungszentren und Graduiertenkollegs. 22 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, wie das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (das größte Fraunhofer-Institut in Deutschland) und das Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, unterstreichen das gute Wissenschaftsklima. Auf die Medizintechnik bezogene Schwerpunkte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) sind die diagnostische Bildgebung, computerassistierte Diagnostik und Therapie, Optische Technologien, Biomaterialien, Molekulare Diagnostik, Modellierung, Simulation und Medizintechnikbewertung. Die „Graduate School in Advanced Optical Technologies“ (Exzellenzinitiative) mit ihrem Fokus auf Optik und optischen Technologien und der Exzellenz-Cluster „Engineering of Advanced

Innovative Produkte für eine bessere Gesundheitsversorgung. Materials“ unterstreichen die Schwerpunktsetzung. Neu eingerichtete Lehrstühle wie „Biomimetische Materialien“, „Medizinische Biotechnologie“ oder „Bioverfahrenstechnik“ und ein neues „Interdisziplinäres Zentralinstitut für Medizintechnik“ sowie das „Interdisziplinäre Zentrum für Public Health“ stärken den Schwerpunkt weiter. Diese Topographie der Hochschul- und Forschungslandschaft im Medical Valley EMN sichert nachhaltig die Versorgung der Clusterunternehmen mit Fachkräften. Abgerundet wird der Medizintechnik-Cluster durch eine im internationalen Wettbewerb gut positionierte Versorgungslandschaft mit 43 Krankenhäusern in unterschiedlicher Trägerschaft. Die Innovationskraft des Medical Valley EMN bildet sich in der hohen Gründungsdynamik ab. Seit dem Start der Clusteraktivitäten im Jahr 1996 konnten etwa 100 Firmengründungen verzeichnet werden, darunter auch die Gewinner von bundesweiten Gründer- und Businessplan-Wettbewerben (z.B. Wavelight, HumanOptics). In der Studie „Hightech-Gründungen in Deutschland – Trends, Strukturen, Potenziale“ des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vom Mai 2008 belegt das Cluster den zweiten Platz. Das Innovationszentrum Medizintechnik Pharma (IZMP) in Erlangen steht beispielgebend für das Innovationspotenzial des Medical Valley EMN im Medizintechnikbereich: Es ist eines der erfolgreichsten Gründerzentren Deutschlands mit 35 Firmen und 250 neu geschaffenen Arbeitsplätzen seit 2003. Finanzielle Schubkraft bringt ein regional und branchenspezifisch investierender Venture Capital Fonds (medTech Capital Fonds), für zusätzliche Motivation sorgt das netzwerk|nordbayern, das seit zehn Jahren einen der erfolgreichsten Businessplan-Wettbewerbe Deutschlands durchführt. Um die Vernetzung zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesundheitsversorgung zielgerichtet zu optimieren und damit die Innovationszyklen neuer Medizintechnikprodukte zu verkürzen, wurde am 1. Januar 2007 der Medical Valley EMN e.V. gegründet. Die Mitgliederstruktur des Vereins ist geprägt durch Akteure aus Wissenschaft, außeruniversitärer Forschung, Unternehmen, Dienstleistern/Zulieferern, Gesundheitsversorgung, Investoren, Politik und Aus- und Weiterbildung. Das gemeinsame Ziel ist die strategische Weiterentwicklung zum „Exzellenz-

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zentrum für Medizintechnik“. Schon heute sind einzelne Akteure im Cluster weltbekannte und internationale Trendsetter in spezifischen medizintechnischen Produktkategorien und Forschungsergebnissen. Diese Spitzenstellungen sollen ausgebaut und die Marke „Medical Valley EMN“ international positioniert werden. Aktuell nimmt das Medical Valley EMN im SpitzenclusterWettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung teil. Dabei haben sich die Unternehmen im Medical Valley EMN zu dem gemeinsamen Ziel verpflichtet, nur solche innovativen Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen, welche die Effizienz der Gesundheitsversorgung überprüfbar steigern. Nur wer die Wechselwirkungen zwischen Medizintechnik und Gesundheitssystem versteht, kann technologische Innovationen rasch und zielgenau entwickeln. Es geht darum, sowohl die Lebenszykluskosten für innovative Medizinprodukte als auch deren Auswirkungen auf alle Gesundheitsausgaben in definierten Behandlungspfaden zu erfassen. Dafür ist es unabdingbar, dass Ingenieure, Informatiker, Physiker, Biologen und weitere Medizintechnikexperten mit Ärzten, Gesundheitsökonomen und Pflegewissenschaftlern eng verzahnt arbeiten. Dieses Potential ist in unserer Metropolregion vorhanden. Gelingt es, dies weiter zu fördern, hat das Medical Valley EMN beste Chancen, für die Medizintechnik weltweit das zu werden, was Silicon Valley einmal für die IT-Branche war. ■ Kontakt: ida.ruckriegl@medical-valley-emn.de www.medical-valley-emn.de

Prof. Dr. Erich Reinhardt, 1946 im badenwürttembergischen Öhringen geboren, studierte in Stuttgart Elektrotechnik, begann 1983 bei Siemens und führte ab 1994 den damals angeschlagenen Medizin-Bereich des Konzerns zum technischen und wirtschaftlichen Erfolg. Dem Siemens-Vorstand gehörte er von 2001 bis 2008 an. Seither engagiert er sich beim Aufbau des Medical Valley in Erlangen.

Für den jungen Kurt Höller (Bild) ist Erlangen „die deutsche Bundeshauptstadt der Medizin“. Diesen Ruf weiter auszubauen, hat er an der Universität Erlangen-Nürnberg einen neuen Bachelor-Studiengang „Medizintechnik“ organisiert, der im Wintersemester starten wird. In sechs Semestern lernen die Studenten, das aktuelle Wissen der Ingenieurswissenschaften mit der direkten klinischen Anwendung zu verknüpfen. „Das wird unserem Medical Valley einen zusätzlichen Impuls geben“, meint der 29jährige Diplomingenieur, der bei seinem Elektrotechnik-Studium in Erlangen auch den Schwerpunkt Medizintechnik belegt hatte.

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METROPOLREGION NÜRNBERG

Michael Hohl

Kultur und Kult-Tour Metropolregion Nürnberg ist Heimat und Treff der Kreativen

Licht und Raum bringt Hans-Peter Reuter auf der Leinwand zum Leuchten. Der Künstler war lange Jahre Professor an der Nürnberger Akademie für Bildende Künste (oben) – Musikanten aus aller Welt kommen zum alljährlichen Barden-Treffen an die Noris (unten).

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Aberr, so m muss man sich fragen, war Nürnberg nicht schon immer eine A Art rt Metropolregion? Ich sehe sie alle mit dem Kopf nicken, die grroß oßen n Meister des 15. Jahrhunderts. Vorneweg das Malergenie A lb lbre r cht Dürer, gefolgt von Hans Sachs, dem Schuhmacher und Po Poet e en im Schulterschluss mit dem begnadeten Bildhauer Veit Sto toßß und dem Skulpturier Peter Vischer

Foto: Björn Gundermann

Sie ist farbenfroh wie ein Regenbogen, der sich über die weite Franken-Region spannt. Sie ist vielfältig in ihren Leistungen, so reich facettiert, dass es schier unmöglich ist, sie mit kurzen Worten zu beschreiben: Die Europäische Metropolregion Nürnberg. Ein Vergleich mag da helfen. Als eine Bühne könnte man sie bezeichnen, als e ne Schau- und Kulturbühne schier grenzenloser Funktiei on,, ei on e ne Wirtschaftsbühne mit unzählig vielen tüchtigen Ak kteuren, mit großem Spielplan.


METROPOLREGION NÜRNBERG – und nicht zuletzt dem Erfinder der mechanischen Uhr, Peter Henlein. Mit einer Schweinsborste hat erseinerzeit die Ur-Uhr in Gang gesetzt. Das Netzwerk von damals ist heute enger und kommunikativ perfekt geknüpft. Was rausgeht an Ideen, geht rein. Was rein geht, geht raus. Input und Output in wechselseitigem Duett. Wohlgemerkt, alle Städte im Verbund sollen davon profitieren. Mehr noch: Alle die Städte im Verbund können sich, jede für sich, in aller gebotenen Vielfalt verwirklichen. „Meine“ Stadt Bayreuth kann da für andere gelten. Richard Wagner, davor die Markgräfin Wilhelmine, der romantische Dichter Jean Paul, Franz Liszt, Mozarts Bäsle, sie alle haben ihre tiefen Spuren hinterlassen, auf denen wir und unsere Gäste heute noch wandeln. Würzburg etwa, und seine Bürger können sich des Meisters Mozart in jährlichen Festwochen erfreuen. Und das barocke Ambiente hat kein Geringerer geschaffen als Balthasar Neumann. Ansbach, die im Duett mit Bayreuth verbundene Markgrafenstadt, hat mehr zu bieten als die traurige Geschichte des armen Findelkindes Kaspar Hauser, der hier seine letzte Ruhe gefunden hat. Gerne will ich hier doch vorab einen kleinen Ausflug durch Franken zum Thema „Heimat der Kreativen“ machen. Hier lebende Vertreter der bildenden Künste mit klingenden Namen sind etwa Diet Sayler (Nürnberg), Hans-Peter Reuter (Lauf) oder Werner Knaupp (Ernhofen). Die konstruktive Kunst und Poesie vertritt beispielsweise Eugen Gominger (Rehau). Aus der Welt der Musik gäbe es so viele aufzuzählen, dass jeder Versuch einigermaßen gerecht zu berichten, schon im Ansatz stecken bleibt. Als Top-Scorer möchte ich deshalb nur die Orchester in Bamberg, Hof und Nürnberg nennen. Zu einer Kulturregion gehört aber auch kulturelle Bildung. Museen mit Einmaligkeitsstatus. Sie alle zu nennen, würde den Rahmen sprengen, deshalb seien nur stellvertretend erwähnt: Die Diözesanmuseen in Bamberg und Würzburg, das Jüdische Museum in Fürth, das Germanische Nationalmuseum und das Museum Industriekultur in Nürnberg, die Fayence- und Porzellan-Sammlung Ludwig in Bamberg, das Richard-Wagner-Museum in Bayreuth, die Kunstsammlungen der Veste Coburg, das Geburtshaus Levi Strauss in Buttenheim und viele, viele mehr. Frei von Zwängen haben sich Kultur und Wirtschaft entwickelt, wobei frühzeitig der interkulturelle Aspekt eine wichtige Rolle gespielt haben mag. Freie Reichsstadt auf der einen Seite, protestantische Markgrafen und der Erzbischof auf der anderen. Obwohl, oder besser, weil es programmatische Leitlinien, aber keine starren inneren Strukturen gibt, strahlt Nürnberg unter den elf Europäischen Metropolregionen in Deutschland als Leuchtturm. Das Erfolgsrezept heißt: geschichtsreich und geschichtsbewusst, zugleich aber neugierig und offen für Neues. Eben genau die Geisteshaltung, die Kreative anzieht. Keine Enge, keine Zwänge. Dies würde dem selbstgesetzten Anspruch der Metropolregion, Heimat der Kreativen zu sein, zuwider laufen. Franken gibt den fruchtbaren Nährboden für die Kunst und jene, die sie schaffen, die sie vertreten und pflegen. Wo noch finden sich so viele Museen, Theater, Musikvereine und Orchester von Rang, wie etwa die Bamberger Symphoniker? Wo noch sind Folklore, Klein- und Großkunst so reich und tief

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Filigranes mit Wasserfarbe und Tusche auf Papier: Das naturgetreue „Große Rasenstück“, von Albrecht Dürer 1503 gemalt.

verwurzelt? Die Maler, die bildenden Künstler, sie sind nicht zu zählen. Das blaue Ei des Hans-Peter Reuter beispielsweise, steht für so manches der unkonventionellen Moderne. Und die tausendfache Reminiszenz des Professors Hörl an Albrecht Dürer und dessen Hasen, an Richard Wagner und dessen Hund Russ, sie regen an und auf zugleich. Und längst hat Bamberg sich an die besonders körpersatte Europa von Fernando Botero gewöhnt. Und davor die Leda mit dem Schwan desselben Künstlers aus der Stadt verbannt. Einen besonderen, eigenen Blick verdient der Aspekt der „Festivalregion“. Das Forum Kultur der EMN ist gerade dabei, eine Liste der regelmäßig durchgeführten Veranstaltungsreihen in der Metropolregion aufzustellen. Vom Flaggschiff, den RichardWagner-Festspielen in Bayreuth über die Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel, das Poeten-Treffen in Erlangen, die Bach-Woche in Ansbach bis zum Bardentreffen in Nürnberg. Diese schier unglaubliche, kreative Leistung ist auch Beleg für die tiefe, historisch hergebrachte Verankerung der Kultur in der Bürgerschaft unserer Region. Sie ist ein großer und spannender Kulturraum. Einladen will ich all jene, die sich inspirieren, begeistern, befruchten lassen möchten von all dem Guten und Schönen, welches die Metropolregion in sich birgt. „Die Kunst hat kein Vaterland“, meint Carl Maria von Weber. Wohl aber eine Heimat, möchte ich hinzufügen: Die Metropolregion Nürnberg. ■ Dr. Michael Hohl wurde 1959 in Lahnstein (Rheinland-Pfalz) geboren, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Als gelernter Bankkaufmann kam er 1981 nach Bayreuth, studierte Jura, wurde 2002 Präsident der Rechtsanwaltskammer Bamberg und gewann 2006 die Bayreuther Oberbürgermeisterwahl mit 57,3 Prozent. Dr. Hohl ist auch politischer Sprecher des Forums Kultur in der Europäischen Metropolregion Nürnberg.

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METROPO OLREGION NÜRNBERG

„Unternehmer bleibt Herr im Haus“ Bayerische Beteiligungsgesellschaft hilft dem Mittelstand, die Eigenkapitalquote zu stärken

Die BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft einer der größten deutschen Beteiligungskapitalgeber für den Mittelstand und damit gerade in Zeiten der Krise ein wichtiger Partner für viele Unternehmen. Die meisten der Partnerunternehmen realisieren einen Jahresumsatz von drei bis 100 Millionen Euro. Seit ihrer Gründung 1972 hat die BayBG mit über 300 Millionen Euro investiert. Ein Gespräch mit Sonnfried Weber, dem Sprecher der Geschäftsführung der BayBG Bayerischen Beteiligungsgesellschaft. Bayerischer Monatsspiegel: Ein mittelständischer Unternehmer braucht Geld, aber die Banken wollen ihm keines geben. Wäre er bei Ihnen richtig? Sonnfried Weber: Das kommt darauf an. Implizit entnehme ich der Frage, dass Beteiligungskapital und Kredit als zwei sich ausschließende Finanzierungsalternativen angesehen werden – so in der Art: „Wenn ich keinen Kredit erhalte, dann nehme ich halt Beteiligungskapital.“ Das sind aber keine sich gegenseitig ausschließende, sondern sich gegenseitig ergänzende Finanzierungsvarianten. Kredit und Eigenkapital, also auch Beteiligungskapital, gehören zusammen wie linker und rechter Schuh: Beteiligungskapital ist wirtschaftliches Eigenkapital, erhöht so die Bonität des Unternehmens und ermöglicht damit vielfach erst den Zugang zu Fremdkapital. BMS: Aber Sie haben doch einen anderen strategischen Ansatz als ein Fremdkapitalgebe? Weber: Ja. Beteiligungskapital ist haftendes Eigenkapital, das

nachrangig und ohne dingliche Sicherheiten zur Verfügung gestellt wird. Das heißt, dass wir anders „rangehen“. Natürlich prüfen auch wir die aktuelle wirtschaftliche Situation des Unternehmens. Im Fokus unserer Betrachtung steht aber das langfristige Erfolgspotenzial des Unternehmens und nicht so sehr sein aktuelles Rating und seine vorhandenen Sicherheiten.

BMS: Das Engagements stärkt Ihrer Gesellschaft stärkt also die Eigenkapitalbasis der Untenehmen. Wie hoch sollte die optimale Eigenkapitalquote sein? Weber: Das hängt vom Geschäftsmodell ab, ein Handelsunternehmen kommt sicherlich mit einer niedrigeren Eigenkapitalquote aus als ein anlageintensives Produktionsunternehmen. Creditreform empfiehlt als Faustregel eine Eigenkapitalquote von 30 Prozent. BMS: Verliert ein Unternehmen mit der Beteiligungsgesellschaft als externen Eigenkapitalgeber nicht seine Unabhängigkeit? Weber: Nein. Bei einer offenen Beteiligung gibt es die Möglichkeit einer Minderheitsbeteiligung. Stille Beteiligungen beinhalten keine operativen, gesellschaftsrechtlichen Mitspracherechte: Der Unternehmer bleibt Herr im Haus. BMS: Sie investieren also weiter in den Mittelstand. Bei wie vielen Unternehmen hat sich die Bayerischen Beteiligungsgesellschaft denn in den – sagen wir vergangenen sechs Monaten – engagiert? Weber: Im ersten Halbjahr 2009 haben wir in mehr als 40 heimische Unternehmen über 20 Millionen Euro investiert. ■

Partner des Mittelstands Dr. Sonnfried Weber (Bild) leitet die BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft seit 2001 als Sprecher der Geschäftsführung. Die Gesellschaft wurde 1972 gegründet und ist mit 540 Partnerunternehmen einer der größten deutschen Beteiligungskapitalgeber für den Mittelstand. Mit ihren Beteiligungen und Venture Capital-Engagements ermöglicht die BayBG den Unternehmen, Expansions- und Innovationsvorhaben umzusetzen, Gesellschafterwechsel oder Unternehmensnachfolge zu regeln sowie die Kapitalstruktur zu optimieren oder Turn-around-Projekte durchzuführen. Die BayBG engagiert sich in Form von stillen und/oder offenen Beteiligungen.


METRO OPOLREGION NÜRNBERG Markus Stodden

Himmlisches Bräu aus Franken Weiches Wasser und karge Böden garantieren sorgen für Bier-Qualität – Weltweit höchste Brauereidichte

Dass die Engel im Himmel zuweilen ihr artgerechtes Getränk namens Manna satt sind, kann als literarisch belegt gelten. Fragt dann ein Manna-müder Engel den lieben Gott fragt, wo er denn etwas anderes, womöglich auch himmlisch Gutes bekommen könnte, wird dieser ihn auf die Erde nach Franken schicken. Denn dort hat Gott schließlich alles hingeschaffen, was es für ein göttliches Bier braucht: Wunderbar weiches Quellwasser und ein Jura-Gebirge, auf dem eiweißarme Gerste gedeiht. Und nicht zuletzt hat er dort einen Menschenschlag angesiedelt, der es verstand, das Bierbrauen zu einer hohen Kunst zu entwickeln. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass in der Kulmbacher Gegend schon zwischen 600 und 800 vor Christus Bier gebraut wurde. Reste davon entdeckten Forscher, als sie im Jahr 1935 bei Ausgrabungen in einem hallstattzeitlichen Hügelgrab bei Berndorf Scherben einer Amphore untersuchten. Eine erste Urkunde, die Bier erwähnt, stammt aus dem Jahr 1339. Sie bezog sich auf ein Brauhaus in einem Augustinerkloster, das Burggraf Johann II. von Nürnberg gegründet hatte. Die Mönche scheinen ihr Bier über die Maßen genossen zu haben, weswegen der Graf den Papst um die Entsendung des Augustinergenerals bitten musste, um die Ausschweifungen der Klosterbrüder unter Kontrolle zu bringen. All dies und vieles andere zum Thema Bier in Franken ist im Bayerischen Brauereimuseum in Kulmbach zu lesen und zu sehen.

Zwei Monate vor der Münchner Wies’n treffen sich die Franken Ende Juli zur Kulmbacher Bierwoche. In diesem Jahr wurde sie zum 60. Mal gefeiert.

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METROPOLREGION NÜRNBERG Mit rund 200 Brauereien verfügt der Regierungsbezirk Oberfranken über die höchste Brauereidichte der Welt. Mehr als tausend unterschiedliche Biere werden dort erzeugt. Sie sind als Feinschmeckerprodukte keineswegs hauptsächlich für den Export bestimmt, sondern werden in erster Linie vor Ort genossen. Davon zeugen die zahlreichen Bierfeste in vielen kleinen und einigen größeren Orten, die alljährlich auch Tausende von Gästen anziehen. Als die berühmtesten gelten die Kulmbacher Bierwoche, die Erlanger Bergkirchweih und das Forchheimer Annafest. Aber auch auf dem flachen Land kennte jeder Ort seine „Kärwa“ (Kirchweih), bei der das Bierzelt den Mittelpunkt bildet. Dort schenken meist kleine auch kleine Familien-Brauereien eigens eingebraute Sorten aus, auf deren Vielfalt die Oberfranken stolz sind.

Zu einem Rundgang durch 3000 Jahre Bierkultur lädt das Kulmbacher Biermuseum ein. Das Mönchshof-Bräu (oben rechts, 2. von links ist unser Autor Markus Stodden) trägt die traditionsreiche Herkunft des bayerisches Bieres im Namen.

Dass die Vielfalt ihrer Biere den Franken heilig ist, wussten auch die Verantwortlichen der großen Brauereien, die sich, dem wirtschaftlichen Zwang folgend, auch hier immer enger zusammenschließen mussten. So entstanden zwar wie in Kulmbach große Brauhäuser, die aber im Gegensatz zu manchen Großbrauereien in anderen Regionen bewusst kaum Einheitssorten anbieten, sondern die jeweiligen Traditionen der vereinigten Brauereien weiter pflegen und ausbauen und sich als Sortimentsbrauerei definieren. Allein die Namen zeugen schon vom reichhaltigen Angebot: Vom Pils und die hellen und dunklen Biere über das Rauchbier und den unfiltrierten und ungespundeten Bieren bis zu Spezialitäten wie Zwickelbier oder Kellerbier und nicht zuletzt zu den eigenen Saison- oder Festbieren. Grundlage für alle Braukunst sind die Rohstoffe – und mit denen ist Franken, wie gesagt, gesegnet. Für helle Biere braucht man weiches, mildes Wasser mit möglichst niedriger Karbonhärte. Das Kulmbacher Quellwasser bringt es beispielsweise auf einen Wert von 1,7. Münchner, Dortmunder Wasser weist dagegen einen 15-mal höheren Kalkgehalt auf. Zudem wächst auf den kargen Böden von Frankenwald, Fichtelgebirge und Jura sehr eiweißarme Gerste, die Malz von hoher Qualität liefert. Und die traditionellen Hopfenanbaugebiete liegen „vor der Tür“, womit für die Frische des Produkts gesorgt ist. Damit aus den Rohstoffen bestes Bier in verschiedenen Sorten entstehen kann, bedarf es umfangreicher handwerklicher Fertigkeiten, die sich in Franken einer Jahrhunderte alten Tradition entwicklen konnten und die immer wieder durch neue Ideen und Techniken verfeinert

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wurden. Neue Entwicklungen waren hier stets willkommen. Eine ganz besonders wichtige hat ein Oberfranke vorangebracht: Der in Berndorf bei Kulmbach geborene und in Thurnau in Oberfranken aufgewachsene Carl von Linde erfand 1877 die Kältemaschine und revolutionierte damit das gesamte Braugewerbe. Bis dahin konnte Bier nur in Gewölben und Kellern einigermaßen kühl und frisch gehalten werden. Nun aber wurde es möglich, nicht nur zu bestimmten Jahreszeiten und Anlässen zu brauen, sondern das ganze Jahr über – Bier wurde haltbar, konnte gelagert und gut gekühlt auch in die Ferne exportiert werden. Was den Ruf des fränkischen Bieres weiter festigte und es zu einem krisensicheren Wirtschaftsfaktor werden ließ. Der Wohlstand, der auf diese Weise entstand und entsteht, kommt der fränkischen Bevölkerung nicht nur durch die zahlreichen Arbeitsplätze in den Brauereien und Mälzereien oder im Vertrieb zu Gute. Die Brauereien sind auch als Sponsoren im kulturellen, sozialen und sportlichen Bereich aktiv. Viele gesellschaftliche Projekte wären ohne die Förderung durch die großen Brauereien kaum oder nur eingeschränkt möglich. Beispielsweise unterstützt die Kulmbacher Brauerei mehr als 300 Vereine. Auch der 1. Fußball-Club (FC) Nürnberg hätte einen großen Sponsor weniger: Kein Wunder, dass die „Clubberer“ ihren Wiederaufstieg in die erste Bundesliga ausgiebig mit Freibier aus Kulmbach gefeiert haben. ■ Das Bayerisches Brauerei- und Bäckereimuseum in Kulmbach ist täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Info: www.bayerisches-brauereimuseum.de

Markus Stodden, 46, ist Marketing- und Vertriebsvorstand bei der Kulmbacher Brauerei AG, die zum Brauerei-Imperium der Münchner Schörghuber-Gruppe gehört. Geboren im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr und Vater von vier Kindern war Stodden bei Apollinaris und Schweppes in Hamburg ebenfalls für Marketing und Vertrieb zuständig, bei A. Racke in Bingen war er Vertriebsdirektor.

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METROPOLREGION NÜRNBERG Bierkultur in Franken Bayerisches Bier ist weltberühmt. Was sich aber noch nicht überall herumgesprochen hat: Das Zentrum der bayerischen Bierkultur liegt in Oberfranken, der Region mit der höchsten Brauereidichte der Welt! Die Biervielfalt und Bierkultur über die Grenzen Oberfrankens hinaus und auch international bekannt zu machen, hat sich der Verein Bierland Oberfranken e.V. zur Aufgabe gemacht. Das Besondere: In der Vereinigung sind kleine Handwerksbrauereien ebenso vertreten wie die Kulmbacher Brauerei AG. Mehr als 100 Betriebe engagieren sich mittlerweile in dem 2004 gegründeten Verein für das gemeinsame Produkt und ihre Region. Auf der Webseite www.bierland-oberfranken.de findet sich interessanter Lesestoff zu Bier und Region, BrauereiPortraits, dazu Tipps und Hinweise auf Feste und Veranstaltungen, Bierwanderungen oder Fahrradtouren durch die Region sowie ein Jahres-Veranstaltungskalender. Mitglied bei Bierland Oberfranken kann jeder werden. Informationen bei Bierland Oberfranken e.V., c/o Handwerkskammer Oberfranken e.V., Kerschensteiner Str.7, 95448 Bayreuth. ■

Deftige Kost und 13 Maß Bier: Eine Postkarte aus dem Jahr 1903 schickt stimmungsvolle Grüße von der Erlanger Bergkirchweih, Deutschlands ältesten und Bayerns größten Bierfest nördlich der Donau.

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METROPOLREGION NÜRNBERG Artur Steinmann

Paradies für Feinschmecker und Weinliebhaber Im Norden Bayerns, mitten im Herzen Deutschlands, liegt am Main und seinen Nebenflüssen das malerischromantische Weinland Franken. Schmuck renovierte mittelalterliche Städte und Dörfer entlang des Maines und am Westhang des Steigerwaldes prägen den Charakter der Landschaft. Der Gast und Weinliebhaber wird sich rasch wohlfühlen hier inmitten der hügeligen Weinberge, der kultivierten Gastlichkeit mit gepflegten Hotels, Weinkellern und Weinprobierstuben, dem reichen Angebot an Kunst, Kultur, lebendiger Geschichte sowie den unzähligen Festen rund um den Wein, die jedes Jahr in Franken gefeiert werden. Seit über 1200 Jahren prägen die Weinberge das Landschaftsbild und der Wechsel der Jahreszeiten bestimmt den Arbeitsalltag in den Weinbauorten. Auf kostbaren Urkunden ist der Weinbau in Franken seit dem 8. Jahrhundert nachgewiesen. In keiner deutschen Landschaft gab es in alter Zeit mehr Kleinstaaten, weltliche und geistliche Herrschaften. Über 400 Klöster waren hier wesentliche Träger der mittelalterlichen Rebkultur. Im 15. Jahrhundert hatte das fränkische Weinland mit etwa 35.000 Hektar seine größte Ausdehnung. Kriege, Missernten und die Enteignung der Klöster, aber auch die Einfuhr fremder Weine und die Konkurrenz anderer Getränke wie Bier, Kaffee und Tee führten zum Rückgang. Doch davon ist heute nichts mehr zu spüren: Eine junge Winzergeneration hat dem Frankenwein ein Profil gegeben, in dem sich Tradition und moderne Lebensart verbinden mit dem der Verantwortung für die Natur und eines ihrer schönsten Produkte, den Wein. Der fränkische Weinbau hat in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren einen Strukturwandel erlebt, zu dem standortgerechte Rebsorten und verbesserte Kellertechnik ebenso

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gehören wie die Aus- und Fortbildung der jungen Winzergeneration und schließlich auch eine aktive Vermarktungspolitik. Frankenwein erntet höchstes Lob vom Schoppentrinker bis zum Feinschmecker. Und bei nationalen und internationalen Wettbewerben erleben die Spitzenweine geradezu einen Medaillenregen. Mehr und mehr wird man sich bewusst, dass der Winzer in einem umfangreichen Netzwerk eingebunden ist, das zahlreiche andere Wirtschaftspartner einschließt. Dabei sind

Vor 350 Jahren wurden die ersten Silvaner-Reben gepflanzt.

Weingütern traf man sich, um über den Silvaner zu reden und ihn natürlich auch fachkundig zu verkosten.

Und nach der Tour lockt ein Schoppen Frankenwein.

Gastronomen, Hoteliers und Einzelhändler Partner der Winzer, aber auch Zulieferer, Versandunternehmen, Druckereien und Verkehrsbetriebe. Sie alle bilden das „Cluster Frankenwein“. Werden alle Möglichkeiten dieser Zusammenarbeit konsequente genutzt, erschließen sich immer neue interessante Perspektiven und Chancen. Selbst die Architektur ist mit vorbildlichen und die Landschaft nachhaltig prägenden Winzerneubauten ein wichtiger Bestandteil.

Doch Franken ist nicht nur Silvaner-Land. Es gibt frische und fruchtige Müller-Thurgau-Weine und ebenso großartige Rieslinge oder Burgunderweine. Auch der Rotwein, in Franken – bis auf wenige glanzvolle Ausnahmen - einst eher vernachlässigt, hat aufgeholt. Schon ist jede fünfte Frankenwein-Flasche mit einer Domina oder einem Blauburgunder gefüllt. Trotzdem bleibt der Weißwein der „typische Franke“. Die fränkischen Winzer zeichnet aus, dass sie nicht auf jeden Trend aufspringen. Sie besinnen sich auf die heimischen Rebsorten und nutzen ihr Wissen über die Harmonie mit der Natur und den Sinn moderner Methoden, um in ihren Kellern alljährlich neue Köstlichkeiten zu keltern. Mit diesem Erfolgsgeheimnis haben die Franken-Winzer eines unserer ältesten Kulturgüter zu einer neuen Blüte verholfen. In den Wirtschaften schmeckt’s den Schoppen-Trinken, und der fränkischen Wirtschaft ist es auch noch zum Besten. ■ www.franken-weinland.de www.frankenwein-aktuell.de

Ein gelungenes Beispiel für ein erfolgreiches Miteinander ist die 2007 aus der Taufe gehobene Premium-Kampagne „Franken – Wein.Schöner.Land!“ für niveauvolle Reisen zum Frankenwein. Rund um den Frankenwein vernetzt sie hochwertige Angebote für den genussorientierten Gast und Weinfreund, der genussvolle Entdeckungsreisen in die nähere Umgebung auf der Agenda hat. Mehr als 200 Anbieter beteiligen sich an dem Projekt, der umfangreiche Führer zu all den fränkischen Köstlichkeiten, der alljährlich im Februar erscheint. hat sich zwischenzeitlich als echter Renner erwiesen. In diesem Jahr steht der Silvaner im Mittelpunkt. Die Rebsorte gilt als Botschafter der fränkischen Weinbauregion, Kenner sprechen sogar von der Königin des Weißweins. Vor 350 Jahren, am 10. April 1659, wurden die ersten 25 Stöcke der Silvaner-Rebe auf Frankens Terroir gepflanzt. Es wurde eine einmalige Liaison, die zu außergewöhnlichen Geschmackserlebnissen führte und Anlass ist, das Jubiläum ausgiebig zu feiern. Einer der Höhepunkte war das 3. Internationale Silvaner-Sympsoium in Würzburg, das in diesen Tagen mit Vorträgen, Exkursionen und Verkostungen nicht nur die Fachwelt Wissenswertes rund um die einst meistangebaute Rebsorte in Deutschland ergründete. In der Würzburger Residenz, im Juliusspital und in zahlreichen führenden Silvaner-

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Artur Steinmann, 54, stammt aus einer traditionsreichen Winzerfamilie in Sommerhausen. Geboren wurde er im Pastoriushaus, benannt nach Franz Daniel Pastorius, der am 30. August 1683 als einer der ersten deutschen Auswanderer nach Philadelphia kam und dort die Stadt Germantown gründete. Steinmann wurde Braumeister, ehe er 1982 ins elterliche Weingut eintrat und die Prüfung zum Winzermeister ablegte. Er ist verheiratet, Vater von drei Kindern und gehört zu der Winzergeneration, die den Frankenwein zu neuer Blüte brachte. Ende Juni 2009 wurde er zum fränkischen Weinbaupräsidenten gewählt. Auf unserm Bild genießt er mit der fränkischen Weinkönigin Anna Saum hoch über seinem Heimatort Sommerhausen einen guten Tropfen.

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Václav Klaus

Positive und produktive Nachbarschaft Gedanken über die Entwicklung Europa – Der tschechische Präsident beim Peutinger Collegium Ich hoffe, dass ich die Bedeutung des Namens Conrad Peutinger in der deutschen und besonders bayerischen Geschichte und die Ideen, mit denen er verbunden ist, richtig einschätze. Ein Berater von Kaiser Maximilian I., ein Freund Dürers und ein kritischer Partner von Martin Luther stand auf der Seite der wirtschaftlichen Freiheit. Es war damals aktuell, aktuell ist es auch heute. Die Welt braucht gerade jetzt neue Peutinger, denn die Verfechter der Freiheit sind permanent, aber besonders heute nur eine kleine, fast zum Aussterben verurteilte, Minderheit.

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BAYERN & TSCHECHIEN í˘ą Die Tschechen mussten neue Institutionen und Regeln in einem peinlichen und lang dauernden, aber demokratischen Prozess selbst aufbauen. Die Ostdeutschen haben dagegen nach der Vereinigung mit ihrem älteren Bruder dessen Institutionen und Regeln praktisch Ăźbernacht angenommen. Ich meine aber, dass der schnelle und nicht „durchgelebte“ Import von solcher Marktinfrastruktur kein Vorteil, sondern ein zweischneidiges Schwert darstellt.

Ich bin wirklich froh, wieder in MĂźnchen, wieder auf dem bayerischem Boden, sein zu kĂśnnen. Bayern ist unser wichtiger Nachbar, und wir sind uns dessen bewusst. So war das in der Vergangenheit und so ist es auch heute der Fall. Mit groĂ&#x;er Neugier habe ich vor ein paar Wochen meine Rede von 1993 vor dem Peutinger-Collegium gelesen. Wie Sie wissen, war ich und bin ich kein Euroutopist oder Euronaivist. Schon vor 16 Jahren habe ich hier ganz deutlich und absichtlich gesagt: „Die europäische Politik fängt bei den nächsten Nachbarn an.“ Ich bin auch heute davon Ăźberzeugt, dass die europäische Zusammenarbeit auf dieser Ebene gegrĂźndet werden muss. Ich habe auch gesagt, dass diese Zusammenarbeit nicht „ßber die KĂśpfe“ der VĂślker gehen darf. Schon damals habe ich gewarnt, dass ein solches Verfahren „die Länder und Nationen nicht verbinden, sondern trennen wĂźrde“. Das gilt auch heute. Auch die Spaltung der Tschechoslowakei gehĂśrt heute zur Vergangenheit an, Ăźber die wir zurzeit fast nur im Ausland reden. Die vergangenen 16 Jahre haben uns Ăźberzeugend gezeigt, dass die Trennung den beiden Ländern zugute gekommen ist. Besonders fĂźr die Slowaken war das ein positiver Schritt, den sie – wie wir alle sehen kĂśnnen – zunutze gemacht haben. Obwohl ich kein Anhänger der Spaltung und der Verkleinerung meiner Heimat war, erwartete ich solche positive Entwicklung. Vor 16 Jahren waren wir im Prozess der radikalen Transformation unserer Gesellschaft vom Kommunismus zur Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft. Relativ bald haben wir verstanden, dass ein solcher Systemwechsel eine a priori unvorstellbare Kombination der spontanen Evolution und der organisierten Konstruktion bedeutet. Unsere damalige Aufgabe war, diese radikale Umwandlung zu machen, aber ihre Kosten zu minimalisieren. Die Illusionen, dass ein so tiefer Systemwechsel ohne Kosten mĂśglich wäre, existierten und existieren, sind aber absolut falsch. Wir mussten die Ă–ffnung der Märkte, die Liberalisierung und Deregulierung der ganzen Wirtschaft, die Privatisierung der ganzen Wirtschaft, nicht nur einzelner Firmen, und den Aufbau von marktfreundlichen Institutionen und Regeln organisieren. Auch die makroĂśkonomische und soziale Stabilität musste garantiert werden. Das alles mussten auch die Deutschen, nicht hier in Bayern, sondern im Ăśstlichen Teil Deutschlands tun. Ich sehe aber wichtige Unterschiede:

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í˘˛ Bei uns sind die liberalisierten Preise am Anfang viel schneller als die LĂśhne angestiegen. Trotzdem ist es langsamer geschehen als in anderen Transformationsländern, weil das geerbte Wirtschaftsgewicht bei uns kleiner war, als in diesen Ländern. Zum HerunterdrĂźcken der ReallĂśhne hat bei uns die radikale Preisliberalisierung, nicht die administrativ-eingefĂźhrte LohnďŹ xierung gefĂźhrt. Dieses Phänomen habe ich als das ungeplante Schaffen eines wichtigen und nĂźtzlichen „Transformationspolsters“ genannt, der viele Industriezweige und Firmen gerettet hat. In Ostdeutschland sind die LĂśhne viel schneller gewachsen, was den dortigen Firmen viele Schwierigkeiten gebracht hat. í˘ł Das andere wichtige Transformationspolster war (und ist) mit der Existenz unserer eigenen Währung verbunden. Der Unterschied zwischen dem Nominalkurs und der Kaufkraftsparität, die die reale Stärke der Währung zeigte, erstellte ein anderes Transformationspolster, der das weitere Funktionieren der Wirtschaft ermĂśglichte und den Firmen die notwendige Luft zum Atmen brachte. Ostdeutschland hat seine eigene Währung verloren. Die implizite radikale Aufwertung der Währung hat die dortigen Kosten erheblich hinaufgesetzt, was aber viele Firmen nicht Ăźberleben konnten. í˘´ Wir haben die Sozialzahlungen schrittweise erhĂśht, aber die einmalige PreiserhĂśhung, zu der es nach der Preisliberalisierung gekommen ist, wurde nicht kompensiert. Wir haben bemerkt, dass in Ostdeutschland die Sozialzahlungen fast auf das Niveau der westdeutschen Länder gestiegen sind. Das hat unter anderem zu einer Diskrepanz zwischen den LĂśhnen und den Sozialzahlungen gefĂźhrt und ganz logisch auch zu der Senkung der Arbeitsmotivation. Das kann man auch in der hohen Arbeitslosigkeit sehen. í˘ľ Die externe Finanzhilfe war fĂźr uns praktisch null. Die relativ kleinen Kredite von der Weltbank und dem IWF haben wir nur als ein „standby arrangement“ angenommen, d.h. nicht benutzt, und sehr bald zurĂźckbezahlt. Ostdeutschland hat nicht nur Kredite, sondern auch riesige â€žďŹ scal transfers“ bekommen, die nicht zurĂźckbezahlt werden mussten. Das war meine kurze Zusammenfassung der Unterschiede. Mehr zu diesem Thema habe ich vor zwei Jahren in einer Rede an der Technischen Universität Dresden gesagt, die auf meiner Internetseite zu ďŹ nden ist.* Wir haben viele Erfahrungen angesammelt und ich bin Ăźberzeugt, dass sie fĂźr die Zukunft bewahrt werden mĂźssen. Jetzt zu der heutigen Zeit. Die Tschechische Republik hat im Januar den EU-Vorsitz fĂźr die erste Hälfte dieses Jahres Ăźbernommen. Das bringt mich zu Thema Europa.

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BAYERN & TSCHECHIEN Ich bin fĂźr die europäische Integration, das heiĂ&#x;t fĂźr die Ă–ffnung, Liberalisierung und Beseitigung aller unnĂśtigen Barrieren in Europa. Das mĂśchte ich ganz klar und deutlich sagen. Ich bin aber nicht fĂźr die kĂźnstliche UniďŹ zierung des europäischen Kontinents. Schon im März 1993 habe ich hier gesagt, dass „Europa niemals auf einer pan-europäischen Einheit – auf einem europäischen Staat – begrĂźndet war“ und dass es Europa „niemals gut gegangen ist, wenn jemand versucht hat, Europa – unter welcher Ideologie auch immer – zu vereinigen“. Diese Formulierung muss ich heute nicht ändern. In meiner Rede im Europäischen Parlament in BrĂźssel* im Februar dieses Jahres habe ich – auf der einen Seite – Ăźber die starken Motivationen der BĂźrger der Tschechischen Republik zur Teilnahme an dem europäischen Integrationsprozess gesprochen. Auf der anderen Seite habe ich einige Tendenzen in der heutigen EU diskutiert, die ich als problematisch sehe – unter anderem die beschleunigte Vertiefung der politischen Integration und die Drehung vom Intergovernmentalismus zum Supranationalismus. Die Tendenzen, die ich heute in Europa sehe, sehe ich mit scharfen Augen von jemandem, der in der kommunistischen Ă„ra eine erhĂśhte EmpďŹ ndlichkeit zur Frage der Freiheit erworben hat. Das Wort Freiheit wird von vielen relativ oft benutzt, man stellt sich aber die Frage, ob es auch ernst genommen wird. Ich habe Angst, dass es nicht der Fall ist. Ich habe Angst auch davor, dass das nur wenige stĂśrt. Es kĂśnnte sein, dass man – mit dem Fall des Kommunismus und mit dem Verlust des Spiegels, den er dem Westen vorgehalten hat – das faktische Wesen unserer Zivilisation vergessen hat.

Es scheint mir, dass es in den letzten Jahren oder Jahrzehnten in Europa zu einer wichtigen, aber nicht genug verstandenen Verschiebung gekommen ist. Die Richtung der Verschiebung an der Achse Bßrger-Staat und an der Achse Markt-zentralistische Regulierung und Reglementierung der Gesellschaft war ganz anders, als wir in den damaligen kommunistischen Ländern in

Radikaler Umbau des Systems bei minimalen Kosten. dem glĂźcklichen Moment des Falls des Kommunismus erwartet haben. Wir wollten näher am BĂźrger und am Markt und weiter vom Staat und seiner Regulierung sein als wir heute sind. Die formale Freiheit und Demokratie gibt es, in der Realität leben wir aber in einem mehr und mehr regulierten System und in einer Postdemokratie. Im wirtschaftlichen Bereich sehe ich nicht nur die heutige Finanz- und Wirtschaftskrise, die eine dramatische, aber trotzdem „nur“ zyklische, d. h. kurz- und mittelfristige Erscheinung darstellt. Ich sehe auch eine seit langer Zeit existierende Untergrabung der Vorbedingungen fĂźr eine gesunde Wirtschaft, fĂźr ein positives Wirtschaftswachstum und fĂźr die allgemeine Prosperität. Das postbismarcksche Sozialsystem und die ganz unnĂśtige Verteuerung der Energie und Begrenzung und Limitierung ihres Angebots auf Basis von irrationellen Ăśkologischen Vorstellungen bremsen die Wirtschaft. Ich bin mir nicht sicher, ob die europäische Wirtschaft die Anspruchbarkeit des heutigen Sozialsystems und den Angriff des Ă–kologismus Ăźberstehen kann.

2EUSCHEL 6ERMyGENSPLANUNG MIT 3TRATEGIE

<jiZg LZ^c WgVjX]i hZ^cZ OZ^i 'UTE 6ERMyGENSPLANUNG AUCH 7IR NEHMEN UNS :EIT F~R 3IE UND EMPFEHLEN UNSERE UMFASSENDE 6ERMyGENSPLANUNG MIT 3TRATEGIE !UF "ASIS )HRER INDIVIDUELLEN 7~NSCHE UND :IELE OPTIMIEREN WIR GEMEINSAM )HRE &INANZEN DAMIT 3IE DEN (ERBST ENTSPANNT GENIE†EN KyNNEN 6EREINBAREN 3IE AM BESTEN GLEICH EINEN 4ERMIN UNTER À UND LASSEN AUCH 3IE SICH EXZELLENT BERATEN

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Gipfel-Treffen in Prag: Staatspräsident Václav Klaus empfängt US-Präsident Barack Obama, der zu seinem ersten Kontakt mit dem europäischen Staats- und Regierungschefs in die tschechische Hauptstadt gekommen ist.

Ich bin davon überzeugt, dass das alles mit der institutionellen Entwicklung der Europäischen Union verbunden ist. In Brüssel habe ich ganz eindeutig gesagt: Für die Tschechen hatte der EU-Beitritt keine Alternative. Es existiert in unserem Lande keine relevante politische Kraft, die unsere EU-Mitgliedschaft in Frage stellen würde. Das zu sagen ist aber nur eine Hälfte meiner Aussage. Die zweite Hälfte sagt folgendes: Die Methoden und Formen der Europäischen Integration haben eine Reihe von Alternativen und Varianten. Das muss akzeptiert werden. Den heute erreichten Status quo der institutionellen Anordnung der EU für ein für immer unkritisierbares Dogma zu halten, ist ein Fehler. Er steht im Gegensatz zur mehr als zwei Jahrtausende dauernden Geschichte der europäischen Zivilisation. Ein ähnlicher Fehler ist die apriorisch postulierte Voraussetzung der einzig möglichen und richtigen Zukunft der europäischen Integration, die die „ever-closer Union“, d. h. die tiefere und tiefere politische Integration der EU-Mitgliedsstaaten, darstellt. Eine solche „ever-closer Union“ führt zu Defekten, die man heute in Europa als demokratisches Defizit, als Accountabilitätsverlust, als Entscheidungen der Auserwählten, nicht Gewählten, als Bürokratisierung und Technokratisierung der Entscheidungen, bezeichnet. Wir sollten nicht die Entstehung solcher Situation zulassen, in der die Bürger mit dem Gefühl der Resignation leben würden, weil ihnen das EU-Projekt fremd wäre. Meine ernstgemeinte Frage ist: dürfen wir diesen angetretenen Kurs weiter fortsetzen oder brauchen wir eine deutliche Wende dieses Kurses? Ich bin der Meinung, dass eine Unterbrechung der heutigen Entwicklung notwendig ist, weil die passive Extrapolation der Gegenwart keine guten Perspektiven bringt. Was wir jetzt – mehr als je zuvor – brauchen, ist die Fortsetzung einer freien Diskussion. Unsere unfreiwillige Erfahrung

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des Lebens im autoritativen kommunistischen System hat uns gezeigt, dass ein freier Meinungsaustausch eine notwendige Bedingung für eine wirkliche, funktionierende Demokratie darstellt. Nur das kann die heutige Europäische Union freier, demokratischer und prosperierender machen. Am Ende wollte ich ursprünglich noch ein paar Bemerkungen zum Thema der heutigen Wirtschaftskrise machen, wie sie Conrad Peutinger sehen würde. Leider habe ich ihn nicht genügend studiert. Trotzdem glaube ich, dass er kein fanatischer Keynesianer wäre. Er wüsste, dass die heutigen riesigen und auf allen Seiten des politischen Spektrums so populären Staatshaushaltsinjektionen in die Wirtschaft nur eine Pseudomedizin sind. Er wüsste auch, dass die heutige Krise nicht wegen der Absenz der Gesamtnachfrage entstanden ist, und er würde deshalb nicht Keynes, sondern Hayek zur Hilfe rufen. Er würde sich für mehr Freiheit, Markt, und spontane Evolution einsetzen, nicht für Rekordverschuldung der Länder, wöchentliche WochenendeGipfeltreffen der führenden Politiker, global governance und mehr Regulation. Er ist leider nicht mehr mit uns und wir müssen die Argumente selbst anbringen. Meine Position dazu ist – hoffentlich – klar. ■

Václav Klaus ist seit 2003 Staatspräsident der Tschechischen Republik. 1941 in Prag geboren, studierte er Wirtschaftswissenschaften, wurde Finanzminister und Premierminister. In seiner Amtszeit fand 1993 die Teilung der Tschechoslowakei statt. Klaus ist ein Verfechter der freien Marktwirtschaft und gilt als scharfer Kritiker der Europäischen Union. Durch das EU-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sieht er manche seiner Mahnungen bestätigt.

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BAYERN & TSCHECHIEN Peter Gauweiler

Gestatten Sie mir, dass ich mit einem Zitat beginne: „Nach dem Befehl der Kommission wird verfügt: 1. Du erkennst demütig Deine Irrtümer in den vorgelegten Artikeln an. 2. Du schwörst, dass Du sie in alle Ewigkeit nicht vertreten wirst, nicht predigen oder lehren. 3. Du widerrufst sie öffentlich. 4. Du bekennst und predigst hinfort das Gegenteil.“ Für seinen „Kampf um Freiheit und Marktwirtschaft“ erhält der tschechische Staatspräsident Prof. Dr. Václav Klaus (li.) die Peutinger Medaille, überreicht vom Präsidenten des Peutinger Collegiums, Prof. Dr. Walter Beck.

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Wer meint, das Zitat stamme aus dem Protokoll des Besuchs von Beauftragten des Europäischen Parlaments im Dezember 2008 in der Prager Burg, wo Präsident Klaus wegen Ketzerei gegen den Lissabon-Vertrag vernommen wurde, der hat falsch


BAYERN & TSCHECHIEN geraten. Das Zitat liegt ein wenig länger zurück. Er stammt vom Juni 1415, vom Konzil von Konstanz. Damals sollte, unter den wachsamen Augen des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Sigismund, der störrische tschechische Ketzer Jan Hus in die Knie gezwungen werden – was bekanntlich nicht gelang. Dennoch wäre der Irrtum nicht ganz unverständlich. Und was bei diesem Auftritt europäischer Parlamentarier in der Prager Burg gleichermaßen entsetzt, ist die Arroganz, die geschichtliche Ignoranz und der Mangel an Toleranz, die da dokumentiert wurden – von der fehlenden Eleganz im diplomatischen Umgang einmal ganz abgesehen. Ich bedauere sehr, dass daran zwei deutsche Landsleute maßgeblich beteiligt waren. Gut 100 Jahre nach dem Verhör und Ketzerprozess von 1415 gegen Jan Hus hat der große Augsburger Humanist Konrad Peutinger in Augsburg Martin Luther demonstrativ zu sich zu einem Abendessen gebeten, obwohl er dessen Glaubensüberzeugungen nicht teilte. Das wurde ihm damals sehr übel angerechnet. Aber Konrad Peutinger, dieser tolerante Politiker der Stadt Augsburg und Berater zweier Kaiser, setzte sich für die Freiheit auch des Andersdenkenden ein und suchte deshalb einen Ausgleich zwischen den streitenden Religionsparteien seiner Zeit. Fast 600 Jahre nach dem Ketzer-Prozess gegen Jan Hus und fast 500 Jahre nach dem ostentativen gemeinsamen Abendessen von Konrad Peutinger dürfen wir den tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus bei uns begrüßen.

Es wird Sie freuen, dass einer Ihrer Vorgänger als Träger der Medaille Friedrich-August von Hayek war. In dessen Namen wurden Sie kürzlich von der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung mit dem Hayek-Preis geehrt. Unser Alt-Bundespräsident Roman Herzog hat ihn Ihnen überreicht. Dieser Preis war Dank und Anerkennung für Ihr unentwegtes Engagement für eine freie Marktwirtschaft, für eine Ordnung, „deren Drehund Angelpunkt die Freiheit des Einzelnen ist“, so Roman Herzog. Beide Ehrungen ergänzen sich auf das Beste. Denn der große Humanist Konrad Peutinger war ein geistiger Vor-

Deutliche, warnende und mutige Worte gegen Gesinnungspolizisten aus Brüssel. vater von Friedrich von Hayek. Auf dem Reichstag zu Speyer des Jahres 1530 verteidigte er die Kaufleute gegen Angriffe des Staates und betonte das Recht auf das freie Unternehmertum. Er verwies darauf, dass die ökonomische Verfolgung des Eigennutzes (propia utilitas) die Wirtschaft insgesamt voranbringt und damit das Allgemeinwohl (commoditas publica) steigert – Hayek „in nuce“ auf Latein. „Der Fundi der Freiheit“ hat Die Zeit Sie einmal genannt. Gewiss, das macht Sie nicht einfach. Sie haben nicht nur die Macht über die Sprache, sondern nutzen sie auch in aufstörender Weise. Wer Sie mit Ihren Kritikern aus dem EU-Apparat vergleicht, vergleicht einen Blitz mit einer Schachtel nasser Streichhölzer. Sie gehören – würde der Kritiker Reich-Ranicki sagen – zum „Geschlecht der Ruhestörer“. Ihr Thema war und ist immer Europa und die Freiheit seiner Völker, und Sie betreiben dieses Thema auf eine Weise, wie es anderthalb Jahrhunderte zuvor Heinrich Heine bei seinem Zeitgenossen Ludwig Börne beobachtet hatte: Ein Thema, das „man

Karikatur: Ivan Steiger

Sie haben den EU-Abgeordneten, die versucht haben, Sie auf der Prager Burg wie Gesinnungspolizisten zu vernehmen, deutliche, warnende und mutige Worte gesagt, die ich heute wiederholen möchte: „Der wichtigste europäische Wert ist Freiheit und Demokratie. Die Bürger der EU-Mitgliedsstaaten sind besorgt um Freiheit und Demokratie. Denn sie verlieren immer mehr an Boden im heutigen Europa. Es ist notwendig, sie anzustreben und für sie zu kämpfen.“ Für diese deutlichen und klaren Worte haben wir Ihnen zu danken und Sie zu eh-

ren. Und welche Ehrung wäre besser als die Goldene Peutinger-Medaille, die auch eine Freiheitsmedaille ist.

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Aufmerksame Zuhörer (rechts), denen Peter Gauweiler in seiner Laudatio auch manches kritische Wort zu Europa nicht ersparte.

nur zu berühren brauchte, um die wildesten und schmerzlichsten Gedanken, die in seiner Seele lauerten, hervorzurufen“. Das sind wir heute fast kaum mehr gewohnt. Unsere weichgespülte Polit-Sprache vermeidet ängstlich die Kontroverse mit dem politischen korrekten Zeitgeist. Sie hingegen stehen gegen die Gleichgültigkeit und für den Mut zur Verantwortung. Mut heißt, nicht zu schweigen, wo man klar sprechen sollte. Nur wer Mut hat, kann auch Meinungen beeinflussen. Die berühmte Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann hat in ihrem Buch „Die Schweigespirale“ einmal untersucht, warum in

„Mitgliedstaaten verlieren durch Lissabon in der Substanz ihre Staatlichkeit“. Deutschland so wenige Menschen sagen, was sie denken und eine von ihnen nicht geteilte öffentliche Meinung hinnehmen. Sie schreibt: „Nur wer Isolation nicht fürchtet, kann öffentliche Meinung verändern.“ Wir kennen alle das Phänomen des Nach-dem-Mund-Schweigens. Die Autorin erinnert uns daran, dass jeder heute auf der Seite des Siegers sein will, und dass sich die Absicht, „mit den Wölfen zu heulen“, heute mit schlichtem Schweigen paart. Denn, so Noelle-Neumann, „was das Schweigen verlockend macht“, ist, „dass man es als Zustimmung auslegen kann“. Wer – aus welchem politischen Lager auch immer – würde folgenden Satz nicht für hochmodern halten: „Die Scheu vor

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der Verantwortung ist die Krankheit unserer Zeit.“ Tatsächlich ist diese Klage schon über 120 Jahre alt und stammt von Otto von Bismarck. Hoch modern ist der Satz deshalb, weil wir alle heute statt Mut zur Verantwortung oft die Flucht vor ihr erleben, das ängstliche Umgehen von Entscheidungen, ja nicht verantwortlich gemacht werden zu können, ja nicht auf eigene Aussagen festgelegt zu werden. Ministerpräsident Václav Klaus ist genau das aktive Gegenprogramm zu dieser Klage, und deshalb freuen wir uns, ihn mit diesem Preis ehren zu können. Ich freue mich über Ihre Würdigung als Vertreter der Freiheit in Europa auch deshalb, weil ich Ihre Sorgen und Vorbehalte zum „Lissabon-Vertrag“ teile. Ich habe deshalb auch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen diesen Vertrag geklagt. Ich befinde mich mit meinen Einwänden in guter Gesellschaft. Roman Herzog, unser Alt-Bundespräsident, der Herrn Präsident Klaus die HayekMedaille überreicht hat, hat sich in Bezug auf die Entwicklung in der EU wie folgt geäußert: „Es stellt sich die Frage, ob man die Bundesrepublik Deutschland noch uneingeschränkt als eine parlamentarische Demokratie bezeichnen kann“ und: „Diese Verfassung ist abzulehnen“. Der Vertrag von Lissabon wird zur Europäischen Oberver fassung und stuft die nationalen Verfassungen auf den Status herab, den in Deutschland die Länderverfassung im Verhältnis zum Grundgesetz haben. Das Grundgesetz wird zu einer Verfassung von untergeordnetem Rang. Der Lissabon-Vertrag macht den Europäischen

Legt sich die EU lähmend über die Mitgliedsstaaten? Im Frühjahr wurde in Brüssel die größte jemals genähte Flagge der Europäischen Union ausgebreitet.

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BAYERN & TSCHECHIEN Gerichtshof zum Oberverfassungsgericht für alle EU-Staaten und beraubt das Bundesverfassungsgericht seiner Kompetenz, über Fragen des deutschen Verfassungsrechts letztverbindlich zu entscheiden. Mit „Lissabon“ verlieren die Mitgliedsstaaten in der Substanz ihre Staatlichkeit und werden zu regionalen Selbstverwaltungskörpern, wie der Vertrag sie auch bezeichnet. In meiner Klage konzentriere ich meine Einwände schwerpunktmäßig auf drei Punkte: 1. Verstoß gegen das Prinzip der souveränen Staatlichkeit wegen der Entwicklung der Europäischen Union in Richtung auf einen europäischen Bundesstaat; 2. Verstoß gegen das Demokratieprinzip wegen der Unterbrechung der Legitimationskette zu den europäischen Staatsvölkern und Verstoß gegen das demokratische Gleichheitsprinzip auf europäischer Ebene. 3. Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie und andere Grundrechte, weil die Grundrechtscharta, die der Vertrag von Lissabon verbindlich macht, Einschränkungen der Menschenwürde zulässt, und weil sie deutsche Staatsgewalt in weiten Bereichen von der Bindung an die Grundrechte des Grundgesetzes dispensiert. Solchen Einwänden kann man auch gerecht werden. Das beweist das Vereinigte Königsreich. Das britische Unterhaus hat den Vertrag von Lissabon ratifiziert. Zuvor hat es aber mit weitreichenden Vorbehalten seine Souveränität gesichert. Aber das Wesen Europas wird Gott sei Dank nicht durch diesen unlesbaren Vertrag verkörpert. Als Napoleon einmal die Mitte Europas bestimmen lassen wollte, fand er sie – wohl auch zu seinem großen Erstaunen – irgendwo zwischen Regensburg und Prag. So sind unsere beiden Länder – Bayern und Böhmen – gewissermaßen die beiden Herzkammern Europas, wovon die eine natürlich wesentlich größer und bedeutender ist. Herzkammern Europas – das war immer so, und das ist wieder so, nach einer traurigen, aber nun vergangenen Zeit. Dennoch: Auch nach 20 Jahren ist der grundlegende Wechsel, der sich hier vollzogen hat, vielen noch nicht in seiner ganzen Bedeutung zum Bewusstsein gekommen. Dabei sind sich, abgesehen von Größe und Bedeutung, die beiden Nachbarn links und rechts des Bayerischen und des Böhmerwaldes doch recht ähnlich.

Dr. Peter Gauweiler, am 22. Juni 1949 in München geboren, gilt als die unabhängigste Stimme in der CSU. Auf jedem seiner zahlreichen Posten (Münchner Kreisverwaltungsreferent, Innenstaatssekretär, Umweltminister) zeigte sich der promovierte Jurist zupackend und für neue Ideen aufgeschlossen. Der Bundestagsabgeordnete (seit 2002) erstritt Ende Juni das aufsehenerregende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag der EU, in dem die höchsten deutschen Richter Brüssel bei der künftigen Erweiterung der EU-Kompetenzen deutliche Grenzen setzten und die Rechte und Pflichten des Bundestags stärkten (siehe Kasten).

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Das hört man selbst aus ihren Hymnen: Wo anderswo die Nationalhymnen mit hohem, oft auch hohlem, und oft sogar recht blutrünstigem Pathos ihr Vaterland preisen, besingen die beiden Nachbarn die Schönheit ihrer Heimat. In unserer Bayernhymne ist die wichtigste Bitte an den Herrgott doch die, dass er uns „die Farben unseres Himmels, weiß und blau“, erhalte. Die Schönheit der Natur beschwört auch die tschechische Nationalhymne: „Wo ist mein Heim, mein Vaterland? Wo durch Wiesen Bäche brausen, Wo auf Felsen Wälder rauschen, Wo ein Garten Eden uns entzückt, Wenn der Lenz die Flure schmückt: Dieses Land, so schön vor allen, Ist Böhmen – mein Heimatland!“ Von Arnold J. Toynbee wissen wir, „dass das Schicksal einer Gesellschaft immer wieder von schöpferischen Minderheiten abhängt“. Wenn der europäische Kontinent sich in Zukunft treu bleiben will, wenn er sich und der Welt Symbol und Vorbild der Freiheit bleiben will, dann kann er froh sein, wenn ihm auch in Zukunft so starke schöpferische „Minderheiten“ erwachsen. Darum ehren wir Präsident Václav Klaus dankbar. ■

Plötzlich gibt’s Lob Das Urteil zum „Lissabon“-Vertrag sprach das Bundesverfassungsgericht, nachdem Peter Gauweiler die obige Laudatio auf Václav Klaus gehalten hatte. Das Gericht lehnte zwar den Antrag des CSU-Politikers ab, den ReformVertrag für verfassungswidrig zu erklären, doch mit den Einschränkungen, die die acht höchsten Richter verfügten, gaben sie Gauweiler in wichtigen Punkten recht. So wurden die Rechte des Bundestags und der Länderkammer gegenüber der Bundesregierung verpflichtend gestärkt, nicht Brüssel, sondern die Berliner Parlamentarier werden auch künftig über Strafrecht und Militäreinsätze sowie über Familien- und Medienpolitik entscheiden. Zudem dürfen ohne Zustimmung des Bundestags keine nationalen Kompetenzen an die EU übertragen werden. Gauweiler: „Der Bundestag wird wieder in das Recht gesetzt, für das er als gesetzgebendes Organ überhaupt geschaffen wurde.“ Die Karlsruher Richter stärkten auch das deutsche Verfassungsrecht gegenüber Einflüssen aus Brüssel und dem Europäischen Gerichtshof. Damit der Reformvertrag von Lissabon dennoch termingerecht in Kraft gesetzt werden kann, verabschiedete der Bundestag Anfang September ein neues Begleitgesetz. Für Gauweiler besonders erfreulich: Wurde der CSUPolitiker wegen seiner europaskeptischen Haltung selbst aus der eigenen Partei lange Zeit kritisiert, erfährt er seit dem Urteil große Zustimmung. Über das plötzlich Lob freue er sich, sagt er, doch er sei nur seinem SelbstverPS ständnis als Parlamentarier nachgekommen. ■

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BAYERN & TSCHECHIEN Walter Beck

Bayern und Tschechien

Wenn man in Bayern die Diskussion auf Tschechien oder die Tschechoslowakei bringt, gibt es zwei recht verschiedene Reaktionstypen: Ganz überwiegend in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in den Regionen, die an Tschechien angrenzen, sind die Menschen sehr offen und sehr gesprächsbereit und sehr positiv eingestimmt auf die Entwicklung von Tschechien. In der hohen Politik gibt es aber sofort Empfindlichkeiten. Als in diesem Jahr der tschechische Staatspräsident Václav Klaus in München das Peutinger-Collegium besuchte, waren die politischen Reaktionen auf höchster Ebene sehr gereizt. Der Grund dafür ist die sudetendeutsche Landschaft und die Wähler, die dahinter stehen. Diese Gruppe verzeiht es der Tschechischen Republik nicht, dass sie die Benesˇ-Dekrete immer noch aufrechterhält. Seit dem Beitritt von Tschechien zur EU 2004 haben sich die Diskussionen verlagert. Immer wieder tritt aber, mit deutlicher Schärfe, dieses Spannungsfeld auf. Wer im Internet das Stichwort eingibt „Bayern – Tschechien“, erhält über Google 712 000 Einträge. Ein Überblick zeigt: Heute sind die Kontakte überaus vielfältig, detailliert und produktiv. Tschechien ist Bestandteil der Euroregio Egrensis. Für das Fördergebiet Bayern–Tschechien stellt der Europäische Fonds für regionale Entwicklung Mittel zur Ver-

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fügung. Durch die EU werden allein in diesem Jahr 44 neue Projekte genehmigt, die die Grenzregion Bayern/Tschechien fördern. Mit rund 21 Millionen sollen Umwelt, Tourismus, Verkehr und wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie die berufliche Bildung gestärkt werden. So wird die Infrastruktur im Einzugsgebiet des Drachensees verbessert und der Pilgerweg nach Böhmen ausgebaut. Das Handwerk wird unterstützt und Informationen über die gemeinsamen kulturellen Wurzeln sollen aufbereitet werden. Bei diesem bereits vierten EU-Programm ist die IHK Nürnberg besonders intensiv engagiert. Sie bietet im großen Umfang Angebote über die Fortbildung sowie die Zusammenarbeit und hat in diesem Jahr eine Energiemanagerkonferenz für die Länder Bayern, Österreich und Tschechien veranstaltet. 750 mittelfränkische Unternehmen haben Geschäftsverbindungen mit tschechischen Unternehmen. Davon sind 277 in Tschechien mit Vertretungen, Niederlassungen oder Beteiligungen dauerhaft engagiert.

Mit großen Knöpfen und Schnallen für die Männer und mit weißen Kragen und weiten Ärmeln für die Frauen: Die Schönhengster Tracht aus Böhmisch-Mähren.


BAYERN & TSCHECHIEN Tschechien ist noch kein Euro-Land, was zum Nachteil für den tschechischen Export wurde. Denn die Tschechische Krone hat sich gut behauptet. Lag im März 2007 der Kurs zum Euro noch bei 28,50 Kronen, so war er ein Jahr später bereits auf nur noch 25 Kronen gestiegen. Das ist auch der heutige Wert. Erkauft wurde dieses Wachstum allerdings auch durch eine Inflation, die nicht zuletzt die Lohnkosten immer höher trieb. Bayern gehört zu den größten Handelspartnern von Tschechien. Die Einfuhren aus Tschechien nach Bayern nahmen in ganz erheblichem Umfang zu, allein im vergangenen Jahr stiegen sie um 13,1 Prozent auf 8,5 Milliarden Euro. Nur Österreich, China, Italien und die USA liegen vor dem östlichen Nachbarn. Der bayerisch-tschechische Austausch profitiert auch davon, dass eine Vielzahl der produktivsten Betriebe Tschechiens in Böhmen wirtschaftet. Ostbayern und insbesondere auch Franken haben durch

Sudetendeutsche halfen Bayern beim Aufschwung nach dem Krieg. die Grenzöffnung nach Tschechien einen Aufschwung erlebt, was eine Studie des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schon 2007 nachgewiesen hat. Das befürchtete Lohndumping und die damit verbundene Gefahr für die einheimischen Arbeitsplätze haben sich nicht bewahrheitet. Auch in der historischen Vergangenheit waren die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Bayern und Böhmen, zwischen Prag, Regensburg und Nürnberg intensiv und erfolgreich. Nationalitätenkonflikte innerhalb der Tschechoslowakei, ein zunehmender Nationalismus und schließlich die die Besetzung 1938 durch die Nationalsozialisten schufen Spannungen, die bis heute nachwirken.

Slowakei eines der industriereichsten Gebiete von Ungarn. Diese große wirtschaftliche Erfahrung hat auch Hitler für seine Kriege genutzt. Das Münchner Abkommen zerriss die Tschechoslowakei. Sie musste das Grenzgebiet zum Deutschen Reich mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung (Sudetenland) an Deutschland abtreten. Ähnliches durfte Ungarn und Polen mit den entsprechenden Gebieten in der Tschechoslowakei durchführen. Es blieb also nur noch ein Rest von 40 Prozent der bisherigen Tschechoslowakei, der nur noch wenig Industrie hatte und wirtschaftlich nicht mehr selbständig überleben konnte. Benesˇ legte am 5. Oktober 1938 sein Amt nieder und ging ins Exil nach London. Die Slowaken erklärten schon einen Tag danach ihre Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei, was ihnen tags darauf die Nationalversammlung zugestand und in einem Autonomiegesetz verankerte. Am 15. März 1938 besetzte die Wehrmacht entgegen dem Münchner Abkommen den Rest von Tschechien Ungeachtet der politischen Eingriffe durch Hitler zeigte sich aber schon damals, dass der Anschluss der Slowakei an Tschechien von der Mehrheit der Bevölkerung nicht getragen wurde. Die Vertreibung nach dem zweiten Weltkrieg war die größte erzwungene Völkerwanderung der letzten Jahrhunderte: Nach tschechischen Angaben vom Oktober 1946 wurde 2.365.135 Deutsche abgeschoben. Das wurde als „Säuberung der Republik“ von ihren inneren Feinden gefeiert. Staatspräsident Edvard Benesˇ sprach von der „Nemesis, die diese Schädlinge unserer Republik gerechterweise eingeholt“ habe. Für die tschechoslowakische Republik bedeutete die Vertreibung einen erheblichen Verlust an Unternehmertum, Fachwissen und Wirtschaftskraft.

Anders für Bayern. Wurden die „Flüchtlinge“ zunächst beim Kampf ums tägliche Brot scheel betrachtet, so haben sich die SudeDie heutige Tschechische Republik besteht aus den ehemaligen tendeutschen in kurzer Zeit ihren eigenständigen Platz erarbeitet. drei böhmischen Kronländern: Böhmen, Mähren und Mährisch- Ohne sie hätte Bayern den einzigartigen Aufschwung nach dem Schlesien. Die künstliche Zusammenführung der Tschechei und Krieg kaum meistern können. Die Freude über den Erfolg in der der Slowakei von 1918 wurde erst 1993 nach der „Samtenen Re- neuen Heimat wurde jedoch geschmälert durch das erlittene Leid volution“ durch die Trennung von der Slowakei beendet. Als am bei der brutalen Vertreibung, durch den Verlust der Heimat und 3. Oktober 1918 in der Martiner Deklaration überraschend den nicht zuletzt auch durch die rechtswidrige Enteignung. Durch Anschluss der Slowakei verkündet wurde, lebten in der damals vier Verstaatlichungsdekrete wurden deutsche und magyarische neuen Tschechoslowakei 14 Millionen Menschen, davon waren Eigentümer gleichermaßen ohne Entschädigung enteignet. Die 51 Prozent Tschechen, 23 Prozent Deutsche, 15 Prozent Slowaken konfiszierten Güter entsprachen fast einem Drittel des Nationalund der Rest andere Volksgruppen. Das Verhältnis zwischen den einkommens in den böhmischen Ländern. In den ehemals deutsch verschiedenen Gruppen war immer spannungsgeprägt. Vor allem besiedelten Grenzgebieten wurde mehr als vier Fünftel des Bodens Edvard Benesˇ, erst Außenminister und ab 1935 Staatspräsident, konfisziert. Mit diesem „Besitz“ vollzog Prag seine staatlichen Anverfolgte einen scharfen Konfrontationskurs gegenüber der susiedelungspolitik: Statistisch gesehen ist jede vierte tschechische detendeutschen Volksgruppe, die überwiegend in den industriell Familie in die bis dahin von den Sudetendeutschen bewohnten geprägten Ballungsräumen lebte. Geplante Volksabstimmungen Gebieten umgezogen. Bei dieser größten Sozialrevolutionen der der Deutschen wurden durch die tschechischen Truppen verhin- böhmischen Geschichte wurden die Neusiedler durch Grund und dert. Aber auch die Slowaken waren unzufrieden, weil sie inBoden sowie der von den Deutschen hinterlassenen Wirtschaftsnerhalb des Gesamtstaates keine Autonomie erhalten hatten. Sie struktur zu vergleichsweise gut betuchten Bürger. Dennoch fühlten sich durch den Begriff „Tschechoslowakische Nation“ be- stimmten bei den ersten Nachkriegs-Wahlen zwei Drittel von ihleidigt. Die slowakische Sprache wurde weitgehend unterdrückt. nen für die Kommunisten. Es kam zu den Spannungen, die auch die sowjetische BesatDas Europäische Haus hat viele Zimmer, eines davon bewohnt zungszeit überdauerten und schließlich zur Trennung der beiden jetzt Tschechien. Der freiwillige Beitritt zur EU ist ein friedlicher Staaten führte. Schritt in eine friedliche Zukunft. Wir dürfen deshalb davon ausDie Tschechoslowakei war zwischen den beiden Weltkriegen eigehen, dass auch der Streit um die Benesˇ-Dekrete eine friedliche ner der reichsten Staaten Europas. Die Böhmischen Länder waren Lösung finden wird. Das ist ein wichtiger Beitrag, den die EuropäiWB im Kaiserreich das industriereichste Gebiet Österreichs und die sche Union zu leisten hat. ■

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BAYERN & KULTUR Michael Weiser

Selbst Voltaire lernte Bayreuth zu schätzen Die oberfränkische Rokokostadt feiert Wilhelmines Doppeljubiläum

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ganze Nacht über fühlte ich mich sterbenskrank, und ich verbrachte sie in Schmerzen und traurigen Betrachtungen über meine Lage.“ Dazu noch die derben Sprüche des Markgrafen Georg Friedrich Karl – man kann sich vorstellen, wie sich Wilhelmine, älteste Tochter des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I., bei ihrer Ankunft in Bayreuth fühlte. Dabei war Wilhelmine alles andere als verwöhnt. Ihr Vater, der berühmt-berüchtigte Soldatenkönig, liebte sein Tabakskollegium und seine Truppe der „langen Kerls“. Seine Kinder aber, Wilhelmine und vor allem Friedrich, den späteren Großen, schlug er und behandelte sie mit schroffer Strenge. Wilhelmine immerhin sah einen Lichtstreifen am Horizont. Sie sollte mit Friedrich Ludwig von Hannover verheiratet werden, was sie ©D Diickb ckba ck kbaauch h

Die Reise nach Bayreuth wäre schon im Sommer anstrengend gewesen; nun, im Januar 1732, war sie eine Tortur. Auf der Fahrt von Berlin stürzte die Kutsche mehrmals um, einmal sogar fand sich die schwangere Erbprinzessin unter der Deichsel des verunfallten Gefährts wieder. Endlich am Ziel in Bayreuth angekommen, fand die Entnervte noch immer keinen Trost: Das Essen, ihr schäbiges neues Zuhause – das alles konnte Wilhelmine ganz und gar nicht entzücken. „Ich war von diesem Hofe sehr wenig erbaut und noch weniger von der schlechten Kost, die wir an diesem Abend vorfanden. Es gab ganz verteufelte Ragouts, mit saurem Wein, dicken Rosinen und Zwiebeln zubereitet“, schrieb Wilhelmine, die auch noch eine unerfreuliche Nacht vor sich hatte. „Meine Gemächer waren nicht geheizt worden, die Fenster waren zerbrochen. Die


METROPOLREGION NÜRNBERG einmal zur Königin von England machen sollte. Der Plan scheiterte jedoch an höfischen Intrigen; Wilhelmine wurde in die Provinz abgeschoben, ihre Ehe mit dem Erbprinzen Friedrich von Bayreuth sollte die kleine Markgrafschaft an Preußen binden. Wie hart der König seine Pläne durchzusetzen wusste, zeigt der Fall von Wilhelmines Bruder Friedrich. Sein Fluchtversuch im August 1730 scheiterte, Friedrichs Freund und Fluchthelfer Hermann von Katte starb auf dem Schafott, der Prinz musste Festungshaft absitzen. Da half Sträuben wenig, am 20. November 1731 heiratete die Preußen-Prinzessin den fränkischen Markgrafen. Miserabler Start, wunderbare Erfüllung: Die Ehe, aus Staatsraison geschlossen, führte zu einem kleinen Wunder der deutschen Geschichte. Die Verbindung verlief harmonisch, von einer Liebschaft Friedrichs abgesehen. Noch segensreicher aber waren die Folgen für Bayreuth und seine Umgebung. Denn Wilhelmine machte aus Bayreuth, eine der kleinsten Residenzstädte des Reiches, einen glänzenden Mittelpunkt des höfischen Lebens. Zu Recht feiert daher Bayreuth Wilhelmines Doppeljubiläum: Ihren 250. Todestag im vergangenen Jahr, heuer ihren 300. Geburtstag. „Wilhelmine war ihrer Zeit so weit voraus“, sagt Bayreuths Oberbürgermeister Michael Hohl, „die wäre heute noch modern.“ Ähnlich wie ihr Bruder Friedrich war Wilhelmine weit über das übliche Maß hinaus gebildet und interessiert an allen Formen der Kunst. Mehr noch: Sie spielte Flöte und Laute, in

Das Markgräfliche Opernhaus war Richard Wagner zu klein. Bayreuth nahm sie überdies Unterricht in Komposition, Tonsatz und Generalbass, sie ließ sich an der Violine unterweisen und ihren Gesang schulen. Die Musik gab der Fürstin offenbar ihre gute Laune zurück. An ihren Bruder Friedrich schrieb sie über das Musizieren: „Wir machen unsere Sache bereits so gut, dass alles entflieht, wenn wir unser Konzert beginnen.“ Sie scharte Musiker um sich, komponierte und schrieb sogar Libretti. 1740 wurde ihre Oper „Argenore“ uraufgeführt. Vor allem aber baute Wilhelmine Bayreuth um. Mit dem Tode des alten Markgrafen 1735 starteten Wilhelmine und Friedrich als neue Herrscher regelrecht durch. Sogleich ließ Wilhelmine die Eremitage umbauen und instandsetzen. Von 1744 bis 1748 wurde das Markgräfliche Opernhaus gebaut, das bis heute als eines der schönsten Opernhäuser des Rokoko gilt. Wenige Jahre später wurde der Grundstein zum neuen Stadtschloss gelegt. Auch Friedrich von Preußen schoss Geld zu. Da das alte Schloss unter ungeklärten Umständen abgebrannt war, hatte er keine Wahl, wollte er seiner Schwester weiterhin ein halbwegs standesgemäßes Leben ermöglichen. „Ich habe mir das Vergnügen gemacht, den Plan meines Palastes selbst zu entwerfen“, schrieb Wilhelmine an ihren Bruder, den König von Preussen. Allein, die Kosten... Nicht zuletzt über finanzielle Fragen hatte Wilhelmine mit ihrem Lieblingsbruder manchen Streit auszufechten. Auch eine Hochschule gründete das Fürstenpaar: 1743 wurde die Universität zu Erlangen eingeweiht.

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„Wilhelmine war ihrer Zeit weit voraus“: Die Schwester von Friedrich dem Großen formte aus Bayreuth ein kostbares Rokoko-Juwel.

Ein Herzensbedürfnis für eine aufgeschlossene Frau wie Wilhelmine, die zu den Geistesgrößen ihrer Zeit Kontakt hielt, Voltaire eingeschlossen. Der schätzte die kleine Stadt ganz außerordentlich. Bayreuth sei „ein wunderlich stiller Ort“, an dem man „alle Annehmlichkeiten eines großen Hofes ohne die Unannehmlichkeiten der großen Welt genießen kann“. So söhnte sich Wilhelmine, die sich stets als „Königliche Hoheit“ anreden ließ, mit ihrem Schicksal aus. Ihre Lage, so schrieb sie gegen Ende ihres Lebens, würde sie „nicht gegen alle Kronen dieser Welt eintauschen“. Am 14. Oktober 1758 starb sie in stiller Würde, als „letzte Prinzessin Europas“, wie sie Zeitgenossen rühmten. Wir Nachgeborenen profitieren vom Ehrgeiz der Wilhelmine: Noch heute ist die Stadt vom wunderbaren „Bayreuther Rokoko“ geprägt. Und ohne das Markgräfliche Opernhaus wäre Bayreuth auch nie die Welthauptstadt der Wagner-Freunde geworden: Der Maestro wollte in dem berühmten Haus seine Festspiele etablieren. Zwar fand er Wilhelmines Prachtbau dann doch zu klein und dunkel, doch seine Zuneigung zum „lieben Bayreuth“ hielt an. Auf dem Grünen Hügel entstand ein neues Bayreuther Zentrum der Kultur. Der letzte Paukenschlag zum Doppeljubiläum aber erklingt im alten Opernhaus. Bevor es seine Pforten für Renovierungsarbeiten für lange Jahre schließt, gibt es dort ein letztes Mal den „Bayreuther Barock“ zu genießen, mit der Festa teatrale „L’Huomo“ von Andrea Bernasconi am 2. und 3. Oktober als Höhepunkt. Das Libretto schrieb Wilhelmine – ein ferner Gruß von Bayreuths größter Fürstin. ■ Michael Weiser, 43, gebürtiger Münchner, studierte an der LudwigMaximilian-Universität München Geschichte und Politik. Er war Redakteur beim Münchner Merkur und leitet das Kulturressort beim Bayernkurier.

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BAYERN & KULTUR Peter Schmalz

Frischer Wind für Europas Opernbühnen Mit den Gluck-Festspielen würdigt Nürnberg einen großen Sohn der Region Er bezauberte mit seiner Musik Goethe und Schiller, er inszenierte für den Geburtstag von Kaiserin Maria-Theresia und bekam auf Empfehlung seiner ehemaligen Gesangsschülerin Marie Antoinette von der Pariser Operndirektion den Auftrag für sechs Opern, was er nutze, um eine große OperReform durchzusetzen. Christoph Willibald Gluck ist der berühmteste Komponist in der Zeit vor der Französischen Revolution, selbst Mozart wird später mit seinen Klängen arbeiten.

Nun auch in seiner Heimat mit Festwochen geehrt: Christoph Willibald Gluck, der 1714 als Förstersohn im oberpfälzischen Erasbach geboren wurde.

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Was aber weit weniger bekannt ist: Gluck ist 1714 im oberpfälzischen Erasbach nur wenige Kilometer südöstlich von Nürnberg geboren. „Neben Albrecht Dürer schärft der große Gluck das kulturelle Profil unserer Metropolregion“, meint HansPeter Schmidt, rühriger AufsichtsratsChef der Nürnberger Versicherung, der beharrlich und allen Bedenkenträgern zum Trotz die „Internationalen GluckOpern-Festspiele Nürnberg“ ins Leben rief. Der Vorhang dafür hob sich im Frühjahr 2005, die zweite Auflage im vergangnen Jahr wurde zum gefeierten Erfolg – mit dem Höhepunkt, dass das Staatstheater Nürnberg in der südchinesischen 15-Millionen-Metropole Shenzhen Glucks Oper „Orfeo ed Euridice“ aufführte. Wenn ein Chinese, sagt Schmidt, aus dieser Oper den „Reigen seliger Geister“ hört, dann „erfährt er viel mehr über uns, als wenn man ihm erzählt, dass der Wirtschaftsraum der Metropolregion Nürnberg rund vier Millionen Menschen umfasst.“ In Shenzhen ohnehin kaum mehr als in einem Stadtviertel wohnen. Musikalisch ist Christoph Willibald mehr das Pfeifen im Walde in die Wiege gelegt als das lebhafte Allegro aus dem Orchestergraben. Er wird als erstes von neun Kindern eines Försters geboren, für den kein Zweifel besteht, dass der Filius ebenfalls einmal den grünen Rock tragen werde. Doch dieser spürt die Leidenschaft der Musik, lernt schnell und mühelos Instrumente und kehrt bald Wald und Flur den Rücken. „Eines schönen Tages“, erinnert sich Gluck später, „mit wenig Groschen in der Tasche, verließ ich heimlich das elterliche Haus.“ Er singt für Unterkunft

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BAYERN & KULTUR und Verpflegung, an Sonn- und Festtagen spielt er in Dorfkirchen, bis er 17-jährig nach Prag kommt und Logik und Mathematik studiert. Das Reisen bestimmt weithin sein künftiges Leben. In Mailand wird er zum Komponisten ausgebildet, in London führt er mit noch wenig Erfolg zwei Werke auf und zieht mit einer mobilen Opern-Gruppe durch Europa. Sie spielen in Städten, die sich kein eigenes Opernhaus leisten können. Mit 36 heiratet er in Wien

Bühne zu bringen und der Oper mit Dramen der Leidenschaften und der Schicksalsschläge wieder die ursprüngliche Größe zu geben. Ein Musikkritiker nennt ihn den „feierlichen Hohepriester“ der musikalischen Tragödie. Im Oktober 1762 führt er in Wien mit „Orfeo ed Euridice“ die Oper auf, die ihn zum Schöpfer einer neuen Musik werden lässt. Nun ist er der in ganz Europa gefeierte Komponist, das vorrevolutionäre Paris delektiert sich an einem leidenschaftlichen Streit

Er gilt als Glucks Botschafter in Franken: Hans-Peter Schmidt hat die Gluck-OpernFestspiele auf die Bühne gebracht (oben). Auch Goethe (vorne rechts) und Schiller (vorne links) waren von Glucks Werken begeistert (rechts).

die halb so alte Tochter eines wohlhabenden Bürgers und wird damit wirtschaftlich unanhängig. In der Donaustadt ansässig geworden, steigt er zum Kapellmeister auf. Und als er im Februar 1756 in Rom seine „Antigone“ aufführt, erhebt ihn Papst Benedikt XIV. zum Ritter des Goldenen Sporns. Gluck, durchaus geschäftstüchtig und vom Wert eines schönen Titels überzeugt, nennt sich künftig „Ritter von Gluck“. In Paris ist er der „Chevalier de Gluck.“ Mit dem zeitgenössischen Opernstil aber beginnt er zu hadern. Die Oper seria hat sich in unnatürliche Gesangsorgien verloren, die kaum mehr Inhalt erkennen lassen, die Opera buffa verödet in platten Scherzen. Gemeinsam mit seinem Librettisten Calzabigi feilt Gluck daran, Wort und Musik wieder ebenbürtig auf die

zwischen Gluckianern und Anhängern der traditionellen italienischen Oper. Dann aber der erste Fingerzeig auf ein drohendes Ende: Der dem opulenten Essen und guten Tropfen nicht Abgeneigte erleidet 1779 bei Proben in Paris eine ersten Schlaganfall. Gluck zieht sich nach Wien zurück, arbeitet noch einige Jahre und erliegt am 15.November 1787 einem weiteren Schlaganfall. Der Förstersohn hinterlässt 35 Opern, mehrere Ballette, Instrumentalwerke und viele Lieder. Er wird auf dem Matzleinsdorfer Friedhof beigesetzt und später in ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof gebettet. Gluck, davon ist Festspiel-Förderer Hans-Peter Schmidt überzeugt, „ist als europäischer Opernreformator ein perfekter Repräsentant unserer Region“. ■

Die 3. Internationalen Gluck-Opern-Festspiele Nürnberg finden vom 16. bis 23. Juli 2010 statt. Für die Programmgestaltung konnten international renommierte Exponenten der Musiktheaterszene gewonnen werden: „Les Musiciens du Louvre“ unter der Leitung Marc Minkowskis. Als ein weiterer Höhepunkt kommt schließlich die Königliche Oper Stockholm mit „Orphée et Euridice“ (rechts) in der Fassung von Berlioz, inszeniert und choreographiert von Mats Ek. www.staatstheater-nuernberg.de

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BAYERN & KULTUR

Hannes Burger

Brüchige hige Glasstraße Die 800 Jahre alte Glas-Tradition im Bayerischen Wald ist in Gefahr

Es war gewiss ein besonderer Anlass, aber im August 2009 wohl das erste Mal in Bayerns Geschichte, dass in der Staatskanzlei dem amtierenden Landesvater aus vollem Hals und heißem Herzen die Hymne der Glasmacher aus dem Bayerischen und Oberpfälzer Wald um die Ohren geschmettert wurde. Es war zum einen der Dank an Horst Seehofer für die Anhörung ihrer Sorgen, zum anderen ein Hilferuf der Region, in der nach vielen Jahrhunderten die Schmelzöfen für ihr weltberühmtes Kristallglas für immer zu erlöschen drohen. Eine Woche zuvor hatte Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) rund 250 „Gloserer“ – (Macher, Bläser, Designer, Schleifer, Graveure und Händler, alle mit der Vorsilbe „Glas“) aus dem Bayerischen Wald abgewiesen und nur eine kleine Delegation unverbindlich angehört. Daraufhin hatte Ministerpräsident Horst Seehofer rund 300 angereiste Glasarbeiter eingeladen, im Kuppelsaal der Staatskanzlei ihre Sorgen vorzutragen. Konkret ging es bei der selten ernsthaften und friedlichen „Demonstration“ um die von Eigentümer Georg Riedel angekündigte Schließung seiner Bleikristallfabrik Nachtmann in Riedlhütte bei Grafenau mit rund 260 Mitarbeitern. Insgesamt aber geht es um die Zukunft der brüchig gewordenen bayerischen Glasstraße vom Glasmuseum in Passau über Frauenau und Zwiesel bis Waldsassen und Weiden. Und damit um das Schicksal einer Region mitten im Strukturwandel. Am kleineren „runden Tisch“ mit Betriebsangehörigen und Kommunalpolitikern aus der Region schloss der Ministerpräsident einen nachhaltigen „Glaspakt“ – ohne ihn auf Glas einzuengen. Zum einen soll alles versucht werden, die Riedlhütte vor einer eine kompletten Schließung zu bewahren, zum anderen aber auch darum, was der Freistaat auf längere Sicht tun kann, um in der Bayerwaldregion strukturpolitische Maßnahmen für Industrieansiedlung und Tourismus anzustoßen und somit Alternativen zu schaffen für wegfallende Arbeitsplätze.

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BAYERN & KULTUR Das Sprichwort „Glück und Glas – wie leicht bricht das!“ ist wohl so alt wie die Erfindung des Glases im Ägypten der Pharaonen und der Glaspfeife für Hohlglaskörper im alten römischen Hafen Sidon vor 2000 Jahren. Seit rund 800 Jahren gehört Glas wie Holz und Granit zu den nutzbaren Rohstoffen des Grenzgebirges im Böhmerwaldmassiv. Erst 1998 hatte Kanzler Kohl die „Glasstraße“ feierlich eröffnet. Die Frage ist nur, ob sich diese Tradition auch auf den in der Wirtschaftskrise generell eingebrochenen Glasmarkt von heute anwenden lässt. Sind schon vorgenommene und drohende Schließungen Folge von korrigierbaren Management-Fehlern – wie etwa vor etlichen Jahren bei der inzwischen wieder erstarkten Kristallglashütte Schott in Zwiesel? Oder ist es der Anfang vom Ende einer Jahrhunderte alten Tradition im „gläsernen Wald“ der Region Bayerwald-Böhmerwald? Immerhin haben meisten Glas-Manufakturen – von Erwin Eisch und Oskar Weinfurtner über Josef Kagerbauer bis zum Freiherrn von Poschinger in Frauenau und der alten Ludwigshütte – inzwischen ihre eigenen Nischen gefunden, um am Markt zu überleben. Zum 800-jährigen Jubiläum setzt man heuer im „gläsernen Dorf“ Arnbruck dem Mythos und der Faszination des Glases ein kulturelles Denkmal mit einem Festspiel „Das gläserne Brot“. Kultur-

Impressionen aus dem Glasmuseum in Frauenau – die grünen Säulen stehen für den mittelalterlichen Bayerischen Urwald.

geschichtlich ist Glas mehr als ein in Weißglut verschmolzener, geformter und erstarrter Werkstoff aus Quarzsand, Kalkstein und Pottasche (Soda) für Gebrauchsgegenstände, Fenster und Spiegel, für Gefäße, Optik oder Autofenster. Im Glas spiegelt sich Maschinentechnik und Kunsthandwerk, künstlerische Glasbildhauerei und Glasfenstergestaltung, feiner Lebensstil und Fantasie ebenso wieder wie ständige Suche nach neuen Technologien vom Sicherheitsglas bis in den eigenständigen Bereich des optischen Glases und in die Weltraumforschung. Aber für die Herstellung von Qualitätsglas haben der Oberpfälzer und Bayerische Wald heute kein Monopol mehr; fast alle früheren Ostblockländer sind nun Konkurrenten oder Zulieferer. Die Handfertigung von Glas ist ohnehin weitgehend in Ostländer mit niedrigeren Löhnen ausgelagert. Mit dem Mund auf der Pfeife geblasen, im nassen Holz geformt und mit der Glasschere bearbeitet wird der geschmolzene und gefärbte glühende Werkstoff

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am Glasofen entlang der bayerischen Glasstraße fast nur zur Demonstration für Urlauber oder Schüler. Konkurrenzfähiges Bayerwald- Glas muss effektiv mit Maschinen hergestellt, bruchsicher und spülmaschinentauglich sein. Zudem wird edles, modernes oder originelles Design zu erschwinglichem Preis gefordert. Heute sollte man sich vor allem darauf konzentrieren, die Ursachen für die Glaskrise zu analysieren, um daraus nach Chancen für Abhilfe zu suchen. Denn wäre der Weltmarkt fürs Glas nicht um bis zu 30 Prozent eingebrochen – ähnlich wie für Porzellan und Keramik – wollte Riedel keine Glashütte schließen. Da die Glasmacher in dieser Region keine Berufs-Alternative vorfinden, ist es verständlich, dass sie sich und ihre Dörfer in ihrer ganzen Existenz bedroht sehen. Es wäre der Region aber statt mit dem „Buch der Solidarität“ und 5000 kostenlosen Unterschriften eher zu helfen, wenn man von dort ein paar neue Ideen oder gar ein Rettungskonzept mitbringen würde. Die Glasfabriken der Region bekunden zwar Solidarität, meinen dabei aber Mitleid und sind jedem Konkurrenten dankbar, der den Glasmarkt durch Schließung entlastet. Die SPD in der Region hat es sich am einfachsten gemacht. Sie fordert simpel: Der Staat muss das Werk eben erhalten – wie auch immer. Auch eine Außenstelle der Fachhochschule Deggendorf zur Forschung an Techniken für Gebrauchsglas bringt für arbeitslose Glasmacher kaum Arbeitsmöglichkeiten. Sinnvoller wäre es, die moderne und ausgezeichnete Glasfachschule in Zwiesel auszubauen. Was kann Seehofer überhaupt tun? Landrat Heinz Wölfl hat im Landkreis Regen eine modern ausgestatte Glasfachschule und errichtet gerade ein Teisnach eine Außenstelle der Fachhochschule Deggendorf für optisches Glas. Da gehört auch die FHAußenstelle für Schmelzglastechnik hin. Die berühmtesten und bedeutendsten Manufakturen, Künstler, Gallerien und Händler für Bayerwald-Glas sind im Landkreis Regen. Wölfl stellt die entscheidenden Fragen, die Seehofer klären muss: Ist die Glashütte nicht rentabel, weil die Herstellungstechnik für die Glas-Produkte nicht effizient genug ist? Oder ist das bisherige Marketing nicht gut genug für den weltweiten Glasmarkt? Beides ist offenbar nicht der Fall. Liegt das Absatzproblem also eher an falschen Produkten oder veraltetem Design? Hier liegt womöglich ein wichtiger Ansatz dafür, wie der Staat den wertvollen Stoff Glas fördern und zugleich modernisieren kann. Denn nur neue Ideen können diesen traditionsreichen und weltberühmten Wirtschaftszweig im Bayerischen Wald eine glasklare Zukunft eröffnen. ■ Glasmuseum Passau (Höltls weltgrößte Sammlung von Böhmerwaldglas) im Hotel „Wilder Mann“, Am Rathausplatz, Öffnungszeiten: täglich von 13 - 17 Uhr Glasmuseum Frauenau, Am Museumspark 1, Öffnungszeiten: Mo - Fr 9 - 17 Uhr; Sa, So und Feiertage 10 - 16 Uhr Hannes Burger, 1937 in MünchenSchwabing geboren, war Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung und Bayern-Korrespondent der WELT. 22 Jahre lang schrieb er die Salvatorreden für den Starkbieranstich auf dem Nockherberg. Er hat zahlreiche, zumeist witzig-ironische Bücher über das Problem-Verhältnis zwischen Preußen und Bayern verfasst.

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BAYERN & KULTUR

Dank und Respekt Bundeswehr-Gelöbnis in München – Seehofer: Auslandseinsätze wichtig für Frieden und Sicherheit Die Bundeswehr mitten in unserer Gesellschaft: Während Linke und Grüne die Soldatinnen und Soldaten hinter Kasernenmauern verstecken würden, wurde in München zum feierlichen Gelöbnis auf dem Marienplatz geladen. 500 Rekruten haben vor dem Münchner Rathaus und zu den Klängen des Gebirgsmusikkorps ihre Treue zu den Werten des Grundgesetzes und ihre Verbundenheit mit der deutschen Bevölkerung zum Ausdruck gebracht. Dabei verteidigte Ministerpräsident Horst Seehofer die Auslandseinsätze der deutschen Soldaten, die damit „eine internationale Verantwortung für Frieden und Sicherheit“ wahrnehmen würden. Allerdings sei es nach dem Ende des Kalten Kriegs noch wichtiger geworden, „den Sinn und die Legitimation unserer Außen- und Sicherheitspolitik“ zu erläutern und zu vermitteln. samten süddeutschen Raum zusammengezogenen Rekruten das öffentliche Versprechen ab, der Bundesrepublik treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Ausdrücklich bedankte er sich bei Münchens Oberbürgermeister Christian Ude dafür, dass das Feierliche Gelöbnis auf dem „Forum“ der bayerischen Landeshauptstadt ausgerichtet werden konnte. Ein gemeinsames öffentliches Bekenntnis dieser Art „verdeutliche die Grundidee einer wehrhaften Demokratie und verbinde die Soldaten der Bundeswehr mit der Bevölkerung – als dem eigentlichen Auftraggeber der Streitkräfte“.

Für ihren Einsatz lobte der Regierungschef die Soldaten mit den Worten: „Ich sage Ihnen persönlich und im Namen der bayerischen Bevölkerung Respekt und Dank aus.“ Bei der Veranstaltung, die von starken Sicherheitskräften geschützt werden musste und bei der auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Christian Schmidt als Ehrengast anwesend war, nahm Generalmajor Gert Wessel als Befehlshaber im Wehrbereich IV den aus dem ge-

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Auch Oberbürgermeister Ude bekräftige den Entschluss, die Bundeswehr auf dem Marienplatz antreten zu lassen: „Ich beglückwünsche sie zu diesem überzeugenden Auftritt im Herzen unsere Stadt.“ Unverständnis zeigte er gegenüber den teils massiven Protesten, die auch aus den Reihen seiner rot-grünen Stadtratsfraktion kamen: „Ich finde den Protest wirklich sehr befremdlich, denn der Marienplatz ist das Forum der Stadtgesellschaft.“ Hier würden Kirchen große Festtage, Gewerkschaften den 1. Mai und Schwule den Christopher Street Day feiern. Deshalb sei es absurd, ausgerechnet der Bundesrepublik Deutschland das Recht abstreiten zu wollen, hier eine Veranstaltung abzuhalten. Das letzte öffentliche Feierliche Gelöbnis in München fand am 6. Juni 2000 im Hofgarten der Residenz statt. ■ MW

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Veranstaltungen des Peutinger Collegiums

„Die Zukunft der Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Ernährung und Verbraucher“: Bundesagrarministerin Ilse Aigner vor dem Peutinger Collegium, das im Forum der HypoVereinsbank tagte.

Vor der Rede (oben, v.r.): Bundesagrarministerin Ilse Aigner neben dem Präsidenten des Peutinger Collegiums, Porf. Dr. Walter Beck, und dem Vorstand der Superwiese Technologies AG, Dr. Ernst Pechtl.

Große Ehre (Bild unten, v.r.): PeutingerPräsident Prof. Dr. Walter Beck, überreicht Staatspräsident Dr. Václav Klaus die Goldene Peutinger-Medaille für seinen steten Kampf für die Freiheit. Der CSUBundestagsabgeordnete und Staatsminister a.D. Dr. Peter Gauweiler und Peutinger-Co-Präsident Dr. Marcus Ernst, spenden Beifall.

Nachdenkliches zur Klima-Diskussion: Stimmen alle Annahmen, fragte Prof. Dr. Reichholf, Sektionsleiter Ornithologie der Zoologischen Staatssammlung München, in seinem Schlusswort zum Vortrag über den Klimawandel. Rechts Frau Riechholf.

Angeregte Diskussion zum Klimaschutz: Die Münchner Journalistin Marianne Haas mit Prof. Dr. Jochen Mannhart, Vorstand des Lehrstuhls für Experimentalphysik an der Universität Augsburg und Träger des hochdotierten Gottfried Wilhelm Leibniz Preises 2008 (Mitte) und Peutinger-Präsident Prof. Walter Beck. Bild rechts: Welche Energieform hat Zukunft (v.li.): Energieexperte Franz Scharinger im Gespräch mit Peter Schmalz, Chefredakteur des Bayerischen Monatsspiegel, und dem Münchner Rechtsanwalt Michael Marx.

Tischnachbar des Präsidenten: Verleger Dr. Dirk Ippen (Bild unten, Mitte) neben Václav Klaus und Ursula Beck.

Ein Bierkrug, um sich gegen künftige Georisiken besser zu schützen: Peutinger-Präsident Prof. Walter Beck dankt Prof. Dr. Peter Höppe für seinen eindrucksvollen Vortrag über die Klimaveränderungen.

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& GENIESSEN Hans-Joachim Epp

Gasthaus „Altes Bad“ Vom Zarenbad zur bayerischen Meisterküche

Hier oben auf dem Hochplateau von Wildbad Kreuth fällt es besonders leicht, eine der nachhaltigsten bayerischen Lebensphilosophien zu verwirklichen: „Kirchen von außen, Berge von unten, Gasthäuser von innen.“ Schließlich ist die Kirche Heilig Kreuz Kapelle nur jeden ersten Sonntag im Monat geöffnet. Die Blauberge leuchten je nach Stand der Sonne sehr weit entfernt herüber, der Leonhardstein mutet aus diesem Blickwinkel majestätisch an und bietet den Wanderern und Gipfelbezwingern keine bewirtschaftete Berghütte. Zwingende Konsequenz: Einkehr im Gasthaus „Altes Bad“. Rund 500 Jahre sind vergangen, seit Abt Heinrich V. vom nahen Kloster Tegernsee hier über eine schon damals bekannte heilende Quelle ein Badehaus baute und damit den Grundstock für die Entwicklung eines der ältesten Heilbäder Deutschlands legte: Wildbad Kreuth. Anfangs gab’s eine kleine Badkapelle und ein für damalige Verhältnisse herrschaftliches Badehaus. 1818 erwarb Herzog Max I. Joseph von Bayern das Anwesen und baute es aus zu einem Treffpunkt der Hocharistokratie mit feudalem Kurhotel für Prinzessinnen, Könige, Kaiser und Zaren, für die Großen und ganz Großen Europas. Heute wird das ehemalige Kurhotel als Bildungshaus der Hans Seidel-Stiftung genutzt. Es kommen noch immer die christsozialen Großen und fassen Beschlüsse mit gelegentlich hohem Aufmerksamkeitswert. Unabhängig vom Trubel drüben im langestreckten Kurhaus wird im ursprüngliche

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Anwesen, dem Badehaus und der Kapelle, das ganze Jahr über bayerische Wirtshauskultur auf hohem Niveau geboten. Leider ist das Platzangebot im Gasthaus „Altes Bad“ auf 60 bis 70 Plätze beschränkt. Das der Kapelle zuzuordnende Nebenzimmer mit 20 Plätzen bleibt für Familienfeiern reserviert. Das Ambiente als „gute Stube“ wird geprägt durch die wuchtige, handwerklich sauber gearbeitete Holzdecke, den wunderschönen Kachelofen, den Herrgottswinkel, die hell, aber nicht kalkweiß getünchten Wände und das angenehm warme Licht, das die Tische und nicht die Gäste ausleuchtet. An sonnig warmen Tagen laden 50 Plätze auf der Terrasse an der windgeschützten Hauswand zum Verweilen ein. Tipp: Eine Gruppe von mehr als drei Personen sollte grundsätzlich einen Tisch reservieren. Die Nische im Gasthaus ist besonders abends ideal für vier bis sechs Personen.

Zum Mittagstisch, 11.30 bis 14.00 Uhr, gibt’s Tagesschmankerl, Suppen, Salate und eine Tageskarte mit den Klassikern des Hauses, die man eigentlich immer hier erwarten kann. Tipp: Bayerischer Sauerbraten „Böfflamott“ mit Blaukraut und Semmelknödel, 12,80 E. Schade, dass er als Klassiker nicht ständig auf der Karte steht. Ein absolutes Muss – gleichgewichtet zum Wiener Backhendl (12,80 E), das in Wien nicht besser sein kann – ist der Jungschweinsbraten, frisch aus dem Rohr, mit Dunkelbiersauce, Kartoffelknödel und Speckkrautsalat, 9,50 E. Tipp: Gehören Sie mittags zu den ersten Gästen, wenn Sie den Jungschweinsbraten als Ziel erklären!

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Bis spätestens kurz vor 14.00 Uhr sollte man in guten bayerischen Wirtshäusern sein Mittagsmahl beendet haben, denn dann – so auch hier – kommt die Brotzeitkarte. Axel Winkelmann, seit Januar Chef des Hauses, ist Küchenmeister, Mitglied der Prüfungskommission der IHK München und Oberbayern für Gesellen und Meisterprüflinge, leidenschaftlicher Koch und vehementer Verfechter der klassischen und doch kreativen bayerischen Küche. Als solcher weiß er, dass seine Brotzeiten – genossen mit einem frischen Bier – sich den Platz um die Gunst der Gäste mit Kaffee und Kuchen teilen müssen.

Zur handfesten Politik im Kurhaus von Wildbad Kereuth bieten die neuen Wirtsleute Johanna und Axel Winkelmann nebenan im „Alten Bad“ klassische und kreative bayerische Küche.

Würstel mit Kraut oder Salat, zwei Wurstsalate, kalter Braten und zwei Käse, meistens garniert mit Gurke, Zwiebeln und Ei, dazu Hausbrot – alle zwischen 4,10 E und 6,50 E beschränken das Angebot am Nachmittag und die Fantasie der Küche. Der nächstes Jahr wieder geöffnete Biergarten soll hier neue Impulse setzen. Zur Hochform läuft die Mannschaft um Axel Winkelmann in der Küche und Johanna Winkelmann im Service am Abend auf. Die Tische liebevoll gedeckt, die Reservierungen wunschgemäß vorgenommen, die Servicedamen wie auch die Chefin im Dirndl, die Abendkarte gemeinsam durchgesprochen: Alles bereit zum Empfang der Gäste. Die spezielle Abendkarte ist auf den ersten Blick überschaubar und doch spannend. Zwei Suppen Tipp: Aufgeschlagene Muskat-Kürbissuppe mit steirischem Kernöl (7,50 E)

und sieben Vor- beziehungsweise Zwischengerichte. Tipp: Sülze vom Tafelspitz mit Krensahne und Salatsträußerl, (11,50 E) oder hausgemachte Hartweizen-Bandnudeln mit Schinken-Sahnesauce (7,50 E)

ergänzen die Tageskarte. Hervorzuheben: Hirschgulasch aus heimischem Revier mit Preiselbeerbirne, Blaukraut und Eierspätzle (12,80 E) und die Forellen oder Saiblinge aus der herzoglichen Fischzucht (13,50 E), die nur 15 Spaziergehminuten vom Alten Bad entfernt ist. Besonderes Augenmerk gilt den Abendmenüs. Zur Wahl stehen das 3-Gang-Menü aus der regionalen Küche (um 29 E) mit einer klaren Tafelspitzbrühe mit Brätstrudel, rosa gebratenes Schweinefilet auf Serviettenknödeln mit Rahmchampignons und zum Abschluss Wiener Marillenknödel mit süßer Bröselbutter. Meist erheblich teurer ist das 4-Gang-Menü, die Empfehlung des Küchenchefs, die Preise variieren um die 49 E. Der Hauptgang ist ausgerichtet auf die aus Gourmetsicht edleren Teile vom Kalb, Hirsch, Reh oder Lamm, wie Lende und Filet. Eine auf diesen Gang abgestimmte Suppe und Vorspeise verstärken den Appetit. Das meist nicht zu süße Dessert rundet das Menü ab. Man sollte aber nicht unbedingt sofort einer Menü-Empfehlung folgen. Die monatliche komplett überarbeiteten auf die aktuelle Saison ausgerichteten Speisekarten wecken beim Lesen oft den Wunsch, sich ein ganz persönliches 2- bis 4-Gang-Menü zusammenzustellen. Die hohe Qualität der Küche wird sowohl bei der Menü- als auch bei der à la carte-Zubereitung durch den Chef sichergestellt. Die Dessertkarte ist mit sechs Angeboten bayerisch rustikal (Apfelkücherl, Kaiserschmarrn, Erdbeerknödel) eher als klein zu bezeichnen.

Die Biere stammen aus dem Herzoglichen Brauhaus Tegernsee, das Weißbier aus der Hopf-Brauerei Miesbach. Das Mineralwasser classic und naturell liefern die Ordensschwestern aus Adelholzen. Die Weinauswahl wird zurzeit überarbeitet und ausgebaut. Deutsche Weine mit den Schwerpunkten Franken, Tipp: Franken-Hausschoppen. Silvaner trocken, vom Weingut Wirsching (0,25 l zu 4,90 E)

Pfalz und Baden Württemberg sowie Südtiroler Kreszenzen sollen gleichgewichtet angeboten werden. Als der Delmenhorster Koch Axel Winkelmann 1986 ins Tegernseer Tal kam und hier zwei Jahre später seine Frau Johanna heiratete, verband er sein Berufsziel mit der bayerischen Küche. Sie zu bewahren und zu gestalten, engagierte er sich in den beiden großen Rottacher Hotels Bachmair am See und Egener Hof und machte sich im Jahr 2000 mit dem Gasthof Hirschbergstuben in Kreuth-Scharling selbständig. In nur zwei Jahren verwandelten die Winkelmanns den Betrieb in ein Vorzeige-Wirtshaus, das 2007 beim Wettbewerb Bayerische Küche für besondere Leistungen mit Silber durch das Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten ausgezeichnet wurde. Gold soll es nun im „Alten Bad“ in Kreuth werden. Gasthaus „Altes Bad“, Familie Axel und Hannerl Winkelmann, Wildbad Kreuth 2, 83708 Kreuth, Öffnungszeiten: 11.30 – 23.00 Uhr. Ruhetage: im Sommer montags, im Winter montags und dienstags. Telefon: 08029-304, www.altesbad.de, E-Mail: anfrage@altesbad.de

Hans-Joachim Epp ist Sachverständiger für das Hotelwesen und Mitglied der Chaîne des Rôtisseurs Oberbayern.

Tipp: Topfensoufflee auf glacierten Weintrauben (8,50 E). Bayerischer Monatsspiegel 153_2009

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FÜR SIE GELESEN Friedrich von Nietzsche. Das Rilke-Zitat „Du musst Dein Leben ändern!“, das dem Buch den Titel gegeben hat, ist Zentrum aller menschlichen Entfaltung. Das Buch fordert viel Zeit und die Bereitschaft, sich mit einer eigenen Gliederung den Inhalt zu erarbeiten. Die Einteilung des Autors ist dabei keine echte Hilfe. Auch so wird der Übungswille des Lesers gefordert. WB

Peter Sloterdijk

Herausgegeben vom Haus der Bayerischen Geschichte

Du musst Dein Leben ändern

Edition Bayern: Passauer Land

Über Anthropotechnik

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 88 Seiten, 8 Euro

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 723 Seiten, 24,80 Euro „Leben ist üben“ – die Änderung des Lebens besteht nach Peter Sloterdijk darin, die „Übungszone des Menschen“ auszuweiten. Alle Entwicklungen des Menschen lassen sich unter dem Gesichtspunkt „üben“ zur Lebenserfahrung erfassen. Religiöse Rituale gleich welcher Religion und Kultur: Alles das sind Übungsrituale, um den Menschen zu entfalten. Es ist geradezu eine angeborene Eigenschaft des Menschen, über sich hinaus zu wollen, besser werden zu wollen. Freilich, dass Ziel der Entfaltung ändert sich. War früher der Schwerpunkt die Verbesserung der Denkeigenschaft, der Intelligenz, ist das heute mehr der Leistungssport. Der Professor für Ästhetik und Philosophie an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung verlangt vom Leser eine Lebensänderung. Das fängt schon mit dem Buch selbst an: Der Leser muss sich nämlich durch 714 Seiten hindurcharbeiten, die in dem typischen Sloterdijk-Stil geschrieben sind. Voll von spritzigen Bemerkungen, von brillanten pointierten Formulierungen auf der einen Seite, versehen mit Satzwendungen, Begriffen und Verschränkungen, die auf der anderen Seite dieses Buch zu einer echten Arbeit, zu längerfristigen Übungen ausufern lassen. Das ist gewollt. Er prägt auch eine Fülle neuer Begriffe, wie den „biopolitischen Ernstfall“, wozu er Kommunismus und Nationalsozialismus zählt. Sloterdijk betrachtet die Religion und die Aufklärung aus ganz eigenen Blickwinkeln. Besonders intensiv bezieht er sich dabei auf

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Melissa Müller/Monika Tatzkow

Verlorene Bilder – verlorene Leben Elisabeth Sandmann Verlag 256 Seiten, 34 Euro Die „Sumpflegende“ von Paul Klee gehört zum Inventar des städtischen Münchner Lenbachhauses, doch Oberbürgermeister Christian Ude kann mit diesem wertvollen Gemälde nicht froh werden: Die Erben der früheren Besitzer erheben Anspruch darauf, doch der rote Stadtchef verteidigt den vermeintlichen Besitz in einer Weise, die ihm mittlerweile weltweite Kritik eingebracht hat. Das schlimme Schicksal der Familie Lissitzky-Küppers und die verschlungenen Wege ihrer Bilder aus ihrem mit Kunst gefüllten Haus in Hannover über die Nazi-Ausstellung „Entartete Kunst“ in München bis zu Galerien und Museen schildern die beiden Autorinnen faktenreich und gründlich recherchiert. Eine faszinierend-bedrückende Lektüre, die auch dem Münchner OB anzuraten ist. Über 600 000 Kunstwerke aus jüdischem Besitz hat das Nazi-Regime gestohlen, beschlagnahmt, eingezogen, zwangsverkauft oder versteigert. Die 15 in diesem Buch gesammelten Schicksale zeigen, wie demütigend und oft vergeblich es für Überlebende und Nachfahren war, das geraubte Gut wieder zu erhalten. München gibt dafür gerade ein wenig rühmliches Beispiel. PS

Die Anregung kam vom Bayerischen Landtag, umzusetzen haben es Bayerns oberste Historienarbeiter. Die Aufgabe lautet, Bayerns Regionen in ihrer Vielfalt, in ihrer Lebendigkeit und in ihrem Spagat zwischen Tradition und Moderne durch Ausstellungen und Bücher dem Einheimischen wie dem Ortsfremden schmackhaft zu präsentieren. Und so konnte das Haus der Bayerischen Geschichte kürzlich den ersten Band der „Edition Bayern“ vorstellen: Das Passauer Land, reich bebildert und von zahlreichen Autoren auf 88 Seiten beschrieben. Entstanden ist ein Zwitter aus Merian und Tourismuswerbung, zu viele Texte müffeln im Stil offizieller Verlautbarungen. Erfrischend aber die persönlichen Erlebnisse und Empfindungen von Passauer Bürgern, informativ die Kurzporträts von Klöstern, Burgen sowie anderen Sehenswürdigkeiten und köstlich der Beitrag über Brot, Milch und alte Wirtshäuser. Wieso aber ausgerechnet ein so offizielles Bayern-Produkt mit der Rechtschreibung bricht und alle Überschriften in Kleinschreibung setzt, bleibt ein Designer-Geheimnis. Dass aber die Texte in leseunfreundliches Grau gesetzt wird, ist eine aktuelle Unsitte. Zu Schreibmaschinen-Zeiten hätte man gesagt; „Wechselt endlich das Farbband aus.“ Und den bayerischen Geschichts-Häuslern möchte man zurufen: Ein kräftiges Schwarz hat Bayern noch nie geschadet. PS

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FÜR SIE GELESEN

Norbert Bolz

Diskurs über die Ungleichheit

Mut und Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Besonnenheit und Höflichkeit. Alles Eigenschaften, die Ungleichheiten akzeptieren und deshalb Abweichungen tolerieren. Das Buch, von Bolz als „AntiRousseau“ bezeichnet, enthält eine Fülle von hervorragenden Formulierungen. Der Autor spießt das Thema „Political correctness“ auf, nennt die Worte beim richtigen Namen, spart sich schön klingende Umschreibungen. Das Buch bietet reiche Anregungen, kräftig aufgebaute Argumentationsketten und einen hervorragenden Zitatenschatz. WB

Ein Anti-Rousseau

Herta Müller

Wilhelm Fink Verlag, München 207 Seiten, 16,90 Euro In der Gleichheitssucht sieht Norbert Bolz, Medienwissenschaftler an der TU Berlin, die größte Gefahr der modernen Demokratie: Die Verlockung, lieber eine Gleichheit in Knechtschaft hinzunehmen als eine Ungleichheit in Freiheit. Seine glänzende Analyse der Probleme der Gleichheit in einem demokratischen Staat kulminiert in der Feststellung: Für die meisten Menschen gibt es wichtigeres als die Freiheit, die eine große evolutionäre Errungenschaft der westlichen Welt ist, die aber weder in anderen Kulturen noch in der Natur des Menschen verankert ist. Die Gleichheit andererseits ist ein Fetisch des Sozialismus. Gerade die Linke tut so, als wäre Gleichheit ein Wert an sich. Wer heute ungleich behandelt werden will, weil er ungleich ist, muss sich dafür extra rechtfertigen. Auch schon deshalb, weil die herrschende Tendenz dahin geht, Ungleiches nach Möglichkeit gleich zu machen. Kultur setzt jedoch gerade voraus, dass es Unterschiede und Differenzierungen gibt, also Ungleichheit. Das war immer so. Heute soll man darüber aber nicht mehr reden. Die Versklavung der Sprache, insbesondere durch die Mediendemokratie mit dem Begriff „Gleichheit“ hat es Bolz besonders angetan. Er bringt überzeugende Beispiele, berichtet über die Gleichmacherei in materiellen Fragen wie über die Verwischung der Unterschiede zwischen Mann und Frau. In der Gleichmacherei sieht er die Existenz der Demokratie gefährdet, denn sie setzt spezifisch bürgerliche Tugenden voraus wie harte Arbeit,

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bebilderter, von kundigen Autoren geschriebener Navigator durch die traditionsreiche bayerische Wirtshaus-Historie. PS

Atemschaukel Carl Hanser Verlag, München 300 Seiten, 19,90 Euro

Genuss mit Geschichte Einkehr in bayerischen Denkmälern Volk Verlag, München 192 Seiten, 16,90 Euro Ein bayerischer Wirtshaus-Führer der eigenen, der bezaubernden Art: Bei den 50 beschriebenen Gaststätten steht nicht die Speisekarte im Vordergrund, womit so manches Wirtshaus ohnehin nicht brillieren kann, obwohl es in seiner Wirtstube herzerwärmend gemütlich ist. Es geht vielmehr um historische und original erhaltene Gasthöfe, Wirtshäuser und Weinstuben. Wie Schuberts Weinstube in Bad Kissingen, wo schon Fontane und Tolstoi einkehrten und der Berliner Maler Menzel dem Frankenwein so intensiv zugesprochen hat, dass er beim Gang aufs Häuserl versehentlich die Kellertreppe hinabstürzte. Oder das Röhrlbräu im oberpfälzer Eilsbrunn, das seit dem Dreißigjährigen Krieg in elfter Generation von derselben Familie geführt wird – derzeit von zwei Geschwistern, Maria ist Jägerin und Muk Koch und Szene-DJ. Auch allseits Bekanntes ist darunter wie der Stachel in Würzburg, die Osteria in München oder der Bischofshof in Regensburg. Ein reich

Mit ihrem neuen Roman führt Herta Müller, Rumäniendeutsche mit übler Verfolgungs- und Denunziationserfahrung durch die Securitate, in ein Reich des Bösen, das dem Leser den Atem stocken lässt und das ihn doch mit schwarzer Faszination fesselt: Ein Lagerleben mit obszöner Gewalt, allgegenwärtiger Erniedrigung und dem ständigen Hunger am Rande des Todes. Unter den Million Opfern der Nazi- und Stalin-Diktatur holt Müller Rumäniendeutsche aus dem vergessen, die im Januar 1945 von den Sowjets in Arbeitslager verschleppt wurden, nur weil Rumänien an der Seite Hitlers gekämpft hatte. Sie beschreibt das erlittene Leiden des Büchner-Preisträgers Pastior, mit dem gemeinsam sie das Buch begonnen hatte und das sie nach dessen Tod nun vollendet hat. Es sind weniger die Fakten des Unmenschlichen, die aus vielen Dokumentationen unvergesslich sind, es ist vielmehr die gewaltige Kraft der Sprachschöpfung, die den Leser in Bann schlägt. Wir hören vom Hungerengel, der die Abgemagerten unablässig begleitet, beim Essen, bei der Arbeit und selbst im Schlaf, und vom Wangenbrot der dem Hungertod bereits Geweihten. „Ein atemberaubendes Meisterwerk“, urteilt die Zeit, von einem „kühnen Sprachkunstwerk, das seinesgleichen sucht in der europäischen Literatur“ spricht die Süddeutsche. Die „Atemschaukel“ ist auch ein PS Buch gegen das Vergessen.

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JUNGE PEUTINGER

Die jungen Peutinger

Blick hinter die Kalksteinmauern Seit dem 9. November 2006 kann sich München wieder mit einer Hauptsynagoge schmücken. Etwa 68 Jahre nach der Zerstörung des repräsentativen Hauptgotteshauses unweit des Lenbachplatzes steht die neue Ohel-Jakob-Synagoge zentral am Jakobsplatz und damit mitten in der pulsierenden Landeshauptstadt. Die Jungen Peutinger nutzten den ruhigen Sommer, um das Jüdische Zentrum kennen zu lernen.

Die Synagoge und das Gemeindezentrum sind über den unterirdischen „Gang der Erinnerung“ miteinander verbunden. Ein Denkmal für die verfolgten und ermordeten Juden in München während des nationalsozialistischen Regimes. Der Autor weiß aber: Das jüdische Leben findet nicht in der Vergangenheit statt, sondern in der Gegenwart. Viele Aufenthalte in Israel – geschäftlich wie privat – bestätigen mir, dass Israel zu Recht in der Weltwirtschaft als „Early Adaptor“ bekannt ist. Ein Volk, das Innovationen und Neuerungen sehr schnell aufnimmt und umsetzt. Die Weitsicht und Offenheit spiegelt sich auch darin wieder, dass der gemeindeeigene Kindergarten und die Grundschule auch für nicht-jüdische Kinder zugänglich sind. Die IKG ist orthodox ausgerichtet, versteht sich aber dennoch als Einheitsgemeinde und steht grundsätzlich allen religiösen Richtungen offen. Jede Gemeinde definiert sich selbst. In orthodoxen Kreisen existiert zum Beispiel während des Gottesdienstes eine klare räumliche Trennung zwischen Männer und Frauen, während in liberalen Gemeinden eine räumliche Mischung stattfindet. Ähnlich verhält es sich bei der Frage, ob auch Frauen als Rabbinerinnen auftreten können. Dies ist in orthodoxen

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© Roland Halbe

Aus den drei selbständigen Gebäuden, dem Gemeindehaus der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern (IKG), dem Jüdischen Museum der Stadt und dem Gebetshaus, die zusammen das Jüdische Zentrum ausmachen, sticht vor allem die orthodoxe Synagoge hervor. Der von außen eher abweisend wirkende Bau soll an die Klagemauer in Jerusalem erinnern und eine traditionelle Tempelform nachbilden. Die darauf aufsetzende zwölf Meter hohe Glaskonstruktion besteht aus Dreiecken und greift damit, bei genauerer Betrachtung, den Davidstern als ein zentrales Symbol des modernen Judentums auf. Die Identifikation mit der eigenen Vergangenheit dieser Religion setzt sich im Inneren fort: Der Beschaffenheit des ersten Tempels in Jerusalems (von dem nur noch die Grundmauer steht und die heute die Klagemauer ist) folgend, wurde der gleiche helle Kalkstein aus Jerusalem sowie helles Zedernholz verwendet.

Der moderne Gebetsraum der Münchner Hauptsynagoge.

Gemeinden nicht möglich ist. Die Bandbreite ist weit: Von ultraorthodox bis progressiv. Es zeigt sich auch hier der globale Trend, dass traditionelle Werte in der säkularisierten Gesellschaft viel Diskussionsfläche bieten. Als zweitgrößte Jüdische Gemeinde in Deutschland mit derzeit etwa 9.000 Mitgliedern kann die IKG ein beeindruckendes Comeback feiern. Die moderne, umfassende und integrierte Infrastruktur des seit fast drei Jahren bestehenden Jüdischen Zentrums erscheint als ein solider Grundpfeiler für das Wachstum der kommenden Generationen. Für München ist eine aktive Jüdische Gemeinde kulturelle Bereicherung und Aushängeschild zugleich. Auch städtebaulich und architektonisch war die Realisierung am Jakobsplatz die richtige Entscheidung, wie die Verleihung des Deutschen Städtebaupreises 2008 für das Gesamtensemble belegt. ■ Robert Frank Informationen & Termine über die Jungen Peutinger unter www.junge-peutinger.de


METROPOLREGION NÜRNBERG

Veranstaltungen des Peutinger Collegiums 2009/10 Dienstag, 15. September 2009 Hildegard Müller, Hauptgeschäftsführerin des BDEW, Berlin Donnerstag, 15. Oktober 2009 Dr. Notker Wolf, Erzabt der Benediktiner, Rom Mittwoch, 18. November 2009 Dr. Otto Wiesheu, Staatsminister a. D., Präsident des Wirtschaftsbeirates, München Montag, 22. Februar 2010 Dr. Wolfgang Heubisch, Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Forschung Montag, 22. März 2010 Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen und des Bayerischen Bauernverbandes Dienstag, 13. April 2010 Henning von der Forst, persönlich haftender Gesellschafter der Fürst Fugger Privatbank KG Montag, 17. Mai 2010 Dr.-Ing. Manfred Bayerlein, Vorstandsmitglied des TÜV Süddeutschland Mittwoch, 16. Juni 2010 Dr. rer. pol. h. c. Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit

Impressum Redaktion Peter Schmalz (Chefredakteur) Julius Beck Schellingstraße 92 · D-80798 München redaktion@bayerischer-monatsspiegel.de Leserbriefe an die Redaktion oder an leserbriefe@bayerischer-monatsspiegel.de Verlag & Anzeigen Bayerischer Monatsspiegel Verlagsgesellschaft mbH Schellingstraße 92 · D-80798 München Tel: +49 89 600 379-66 · Fax: +49 89 600 379-67 www.bayerischer-monatsspiegel.de Herausgeber Prof. Dr. Walter Beck, Peutinger Collegium Gestaltung, Realisierung & Anzeigen NBB GmbH · Ridlerstraße 33 · 80339 München www.nbbgmbh.de Druck Messedruck Leipzig GmbH · Ostwaldstraße 4 04329 Leipzig · www.messedruck.de

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