Bayerischer Monatsspiegel #150

Page 37

kei als Verbündeter Europas und der USA spielen könnte. Handfest manifestiert sich die Rolle der Türkei bei der Sicherung des Zugangs zu den Gas- und Ölreserven im Kaspischen Becken mit Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan. Die Türkei hat ein doppeltes Interesse: Sicherung der eigenen Versorgung an-

Sicherheitspolitisch gibt es keine Alternative zur Bindung der Türkei an die EU und an die NATO gesichts zunehmenden Bedarfes und Sicherung einer Schlüsselstellung als Transitland nach Europa und darüber hinaus. Der Türkei-Import an Rohöl soll bis 2010 rund 40 Millionen Tonnen erreichen, noch deutlicher ist der Anstieg des Gasverbrauches: Die rund 54 Millionen Kubikmeter in 2010 sollen 2020 bereits 81 Millionen Kubikmeter erreichen. Man kann annehmen, dass das Kaspische Becken der Hauptversorger der Türkei wird, doch dessen Interessen gehen über die Belieferung der Türkei hinaus. Sie wollen ihren Nachteil, ohne Zugang zu den Weltmeeren exportieren zu müssen, mit Hilfe der Türkei überwinden. Deshalb ist trotz enormer Kosten, die nicht mit UN-Mitteln gedeckt werden können, die Pipeline Baku-Ceyhan seit 1994 im nationalen Interesse der Türkei. Sie wurde 2005 nach drei Jahren Bauzeit und Kosten von 2,5 Milliarden Euro eröffnet. Damit hat die Türkei Russlands Rolle in Zentralasien geschwächt, denn der russische Endpunkt am Schwarzen Meer kann nur genutzt werden, wenn die Türkei Tanker durch den Bosporus und die Dardanellen passieren lässt. So hat sich die Türkei zum Verbündeten von Aserbaidschan und Georgien gemacht. Zentralasien wird in der Sicherheitsarchitektur des 21. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen. Dies zeigt sich auch an dem Shanghai Cooperation Council. Hier gibt es eine Entspannung zwischen NATO einerseits und Russland und China andererseits. Der Ausgang ist offen, es ist aber gewiss, dass ohne die Türkei die Chancen der EU und der NATO, einen Einfluss zu wahren, sehr gering sind.

Die Türkei und Russland Die konfliktträchtige Zone vor den Toren Europas ist auch eine neuralgische Zone für Russland. Die Türkei ist besonders verbunden mit Aserbaidschan (daher der armenische Konflikt). Damit sind Konflikte mit Russland nicht völlig auszuschließen, aber das Risiko bewaffneter Konflikte ist gering. Dennoch besteht eine Unsicherheit in der Region, die Einfluss auf die Türkei hat und auch von Bedeutung für die NATO sein kann: Das strategische Gewicht der Türkei wächst dadurch, weil die Türkei das Schwarze Meer und seine Ausgänge und Zugänge kontrolliert. Es ist eher fraglich, ob die Türkei ihren „Verwandten“, den Kirgisen und Turkmenen, wirklich im Falle eines Konfliktes mit Russland über die Krim zu Hilfe kommen würde, aber eine Rolle bei der Verhandlung eines solchen Konfliktes würde die Türkei bestimmt spielen. Kaum ein europäisches NATO-Land hat für die Bewältigung denkbarer künftiger Konflikte eine ähnliche geostrategische Bedeutung wie die Türkei. An einen Krieg der Religionen glaube ich nicht. Sicherheit für Europa ohne eine fest an Europa gebundene Türkei ist kaum möglich. Das Verständnis

Bayerischer Monatsspiegel 2_2008

Wichtiger als das rein militärische Gewicht ist die geostrategische Bedeutung der Türkei

für die Bedeutung militärischer Fähigkeiten nimmt gleichfalls bei der Türkei zu, da sie ein ungemein ehrgeiziges Modernisierungsprogramm mit einem Volumen von rund 150 Milliarden US Dollar bis 2030 beschlossen hat und die Türkei auch ausreichend junge Menschen für die Ausbildung hat. Das ist ein entscheidender Gegensatz zu den EU-Staaten. Die Türkei könnte zur wichtigsten konventionellen Macht in der NATO und in der EU werden. Eine Rolle der EU über regionale Rollen hinaus ohne die Türkei ist kaum realistisch, vor allen Dingen auch nicht durchhaltbar.

Die politische Schlüsselfrage Wie bindet man die Türkei dauerhaft an den Westen und an Europa an trotz zunehmender EU-Müdigkeit der Türken und trotz wachsender Erweiterungsablehnung der EU-Europäer? Sicherheitspolitisch gibt es keine Alternative. Die Bindung der Türkei an die EU, an die NATO, den Westen ist unverzichtbar, sie ist ein strategischer Imperativ. Die Türkei als Freund zu verlieren wäre nicht nur ein schwerer Verlust für Europa, er könnte sogar Gefahr bedeuten. Die Türkei könnte ja eventuell Führer der muslimischen Welt werden! Wege zu finden, wie man in der Türkei eine Veränderung bewegt, die das Land reif für Europa machen und wie man in Europa die Botschaft erhört, dass die Türkei nicht nur als einfacher, aber dringend gebrauchter Partner an die NATO und an die EU gebunden wird, ist eine politische Gestaltungsaufgabe von über­ ragender Bedeutung. Die Form: Mitgliedschaft oder privilegierte Partnerschaft sollte dabei nicht der ausschlaggebende Takt sein. Die Lösung, um die Interessen beider Seiten zu berücksichtigen, muss allen Parteien ein Einlenken in Würde erlauben und sie muss von den Menschen in der Türkei und in Europa mit Herz und Verstand akzeptiert werden. n

37


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.