2020 07 Asphalt

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»ALLES GELAUFEN« Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Fred (64). Hallo Fred, du bist Asphalt-Verkäufer der ersten Stunde.

Wie ging es dann mit dir und deinen Kindern weiter?

Ich bin jetzt im 26. Jahr. Letzten Dezember dachte ich, dass ich aus gesundheitlichen Gründen aufhören muss. Das hatte ich auch in meinem Weihnachtsgruß in der Asphalt geschrieben. Aber: Nur zuhause sitzen, das kann ich auch nicht. Ich habe meine Leute, meine Stammkunden, mit denen ich mich unterhalte, die brauche ich. Jetzt mache ich es also so: Ich gehe nur noch verkaufen, wenn es geht. Und wenn es nicht geht, geht es nicht.

Wir hatten noch ein bisschen Kontakt, dann aber 20 Jahre überhaupt keinen mehr. Seit 2018 habe ich wieder Kontakt zu meiner Tochter.

Welche gesundheitlichen Probleme hast du? Ich habe Stents drin, beide Knie sind operiert, ich habe einen angebrochenen Lendenwirbel und eine Halswirbelverengung, Arthrose. Trotzdem: Allein zuhause verblöde ich. Seit 2018 wohne ich in so etwas wie einer Seniorenwohnung, für Leute über 60, in einer Einraumwohnung. Ein Nachbar von mir macht gerade eine schwere Zeit durch. Er hat irgendwas am Gehirn, musste auch ins Krankenhaus und ist jetzt ganz wirr. Ich habe mich in den letzten Monaten viel um ihn gekümmert, er muss im Auge behalten werden, er ist ja auch einsam. Manchmal haut er sogar ab. Ich habe nach ihm gesehen, ihm Essen gebracht, aufgeräumt … bis nach ca. vier Wochen endlich der Pflegedienst kam.

Hört sich nach einer sozialen Ader an … (lächelt)

Sag mal Fred, ursprünglich kommst du aber nicht aus Hannover, oder? Das höre ich doch … Brandenburg? Ja, aus Angermünde. Da, wo ich direkt her bin, zieht mich nichts mehr hin, aber nach Usedom. Jedes Jahr im Juni und im August fahre ich da Freunde besuchen, die habe ich schon ewig. Ich war als Kind schon auf Usedom, nachher, noch zu Ost-Zeiten, auch beruflich, auf Montage. Irgendwann bin ich dann mal wieder dahin und habe geguckt, ob meine Freunde da noch wohnen – und da waren sie noch.

Und wie kamst du nach Hannover? Das war irgendwie ein bisschen dumm. Januar ´90 war das. Ich habe eine Postkarte von meiner Geschiedenen mit den Kindern aus Hannover gekriegt, wir wohnten damals nicht mehr zusammen, wollten aber eigentlich zusammen in den Westen. Sie sind dann einfach ohne mich los und haben eine Postkarte aus Hannover geschickt. Ich hinterher, um sie zu suchen, wollte ja bei meinen Kindern sein. Und irgendwann kam raus, dass sie hier nur auf der Durchreise waren und längst in Bergisch Gladbach wohnten. Sie waren bloß zwei Stunden in Hannover, aber ich bin dann hier hängengeblieben.

War es aufregend, sich nach 20 Jahren wiederzusehen? Ja. Ich hatte auf einmal eine Freundschaftsanfrage bei Facebook. Da stand: »Du bist wahrscheinlich mein Papa.« Da war erst mal alles gelaufen, da war ich platt. Sie kam mich dann ziemlich schnell besuchen und ich war auch schon bei ihr. Vielleicht fahre ich bald mal wieder zu ihr. Ist geplant.

Springen wir noch mal in der Zeit zurück: Wie ging es damals weiter, als du durch Zufall in Hannover gelandet bist? Hier ist einiges passiert. Direkt zu Beginn, ich sollte gerade Arbeit kriegen, wurde ich von einem Auto angefahren. Fahrerflucht: Knie total zertrümmert, 14 Wochen Krankhaus mit Reha. Als Maurer konnte ich dann nicht mehr arbeiten. So kam ich zu Asphalt. Dann habe ich eine neue Lebensgefährtin gefunden, aber ´96 gab es einen Wohnungsbrand bei uns, nachts um halb vier. Sie war gerade nicht in der Wohnung, ich bin wohl aus dem Fenster gesprungen, sechseinhalb Meter tief. Erinnern kann ich mich nicht. Ich hatte eine schwere Rauchvergiftung, lag acht Wochen im künstlichen Koma und hatte überall Verbrennungen. Aus den Beinen haben sie mir Haut verpflanzt. Bei dem Sprung aus dem Fenster habe ich mir wohl auch den Lendenwirbel angebrochen, das kam erst zwei Jahre später beim Orthopäden raus. Laufen musste ich erst wieder lernen. Meine Lebensgefährtin hat mich unterstützt, ´97 ist sie aber verstorben, sie war sehr krank. Zwischendrin, von 2001 bis 2003, habe ich neben Asphalt noch als Hausmeister gearbeitet. Naja, so ein Glück, wie ich habe: Arbeitsunfall, von der Leiter geknallt, mit dem Knie in die Ecke, da wurde mir die halbe Kniescheibe weggenommen. Mittlerweile bekomme ich seit 14 Jahren Erwerbsunfähigkeitsrente und bin zu 80 Prozent als schwerbehindert eingestuft.

Viele Schicksalsschläge. Wie hast du es geschafft, daran nicht zu verzweifeln? Weiß ich auch nicht genau, aber es hat auch mit Asphalt zu tun. Ich wollte immer wieder raus, zu meinen Kunden, Asphalt verkaufen.

Wenn du einen Wunsch freihättest, welcher wäre das? Ein E-Bike wäre toll. Ich fahre gerne Fahrrad und das fällt mir leider immer schwerer, sobald die Landschaft nicht ganz flach ist. Wenn ich eine elektronische Unterstützung hätte, könnte ich auch mal weitere Touren fahren. Interview und Foto: Svea Müller


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