2020 07 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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DUNKEL IM DISTRIKT AUSGEBREMST

ANGESCHOBEN

ABGEHÄNGT

Prostituierte im Lockdown.

Über den Job zur eigenen Wohnung.

Die Schwächsten nach Corona.


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Die Kultur der Seuchen Die Auswirkungen von Seuchen gehen über medizinische Fragen weit hinaus. Seuchen schreiben Geschichte. Ein Streifzug.

6 Licht aus 18

Aus der Szene

23 Das muss mal gesagt werden 24 Briefe an uns 26 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäufer Fred

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Rund um Asphalt/Impressum

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Gut zu wissen

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Piquardts Genuss des Einfachen Der bekannte hannoversche Gastronom ist Autor, Olivenbauer und Kochanimator. Jetzt kocht er für Asphalt.

34 Buchtipps

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Die Welt nach Corona

Nach Corona wird vieles anders. Sicher werden wir alle in den kommenden Jahren noch an den Folgen der Pandemie zu tragen haben. Allerdings nicht alle im gleichen Ausmaß. Ein Ausblick.

35 Kulturtipps 38 Silbenrätsel 39 Brodowys Momentaufnahme

Titelbild: picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten

Gut 4.000 Frauen verkaufen in Niedersachsen sexuelle Dienste. Normaler­ weise. In der Corona-Krise sind die Etablissements geschlossen. Was das bedeutet? Unser Feature.

Notizblock

Das Asphalt-Prinzip

19 Marcos Chance

Langzeitarbeitslosen wieder eine Perspektive geben – das ist das Ziel des Jobcenters Region Hannover. Mit dem Förderinstrument »Teilhabe am Arbeitsmarkt« soll das gelingen.

Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1.


Asphalt für alle – 43 Ratsmitglieder, hat jetzt Die Partei im Stadtrat von Celle gefordert. Und ganz offiziell einen Antrag ins Gremium eingebracht, die örtliche Verwaltung möge mindestens für ein Jahr ein monatliches Asphalt-Abo für jeden und jede Abgeordnete abschließen. »Als Zeichen der Solidarität« in Covid-19-Zeiten, so lautet es im Antrag. Aber auch: Die mit dem Asphalt-Kauf »einhergehenden Informationen sollten uns PolitikerInnen im Rat dabei helfen, die Sorgen und Nöte obdachloser MitbürgerInnen besser zu verstehen und in unsere Arbeit mit einzubeziehen.« So viel Lob nehmen wir gern und gleichzeitig als Verpflichtung, weiter hinzuschauen: Corona macht arm und obdachlos. Bisher weitgehend unsichtbar eine Gruppe, die von mehr Menschen gekannt als gemeinhin zugegeben wird: Frauen mit wenig Lobby und vielleicht noch weniger Leumund: Prostituierte. Auf der Straße und im Laufhaus, überall sind aktuell die roten Laternen aus. Dabei leben hier viele ohnehin nur von der Hand in den Mund oder für ihre Familien in der Heimat. Längst nicht alle dieser Frauen haben Anspruch auf Transfergeld oder Notkredite. Uns haben sie von ihrem Leben erzählt. Zu den großen Verlierern der Coronakrise werden zudem die Kinder zählen. Besonders Kinder mit besonderem Förderbedarf würden schon jetzt überproportional benachteiligt, warnt Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks. Gefahr lauert zudem im eigenen Heim. Häusliche Gewalt hatte schon vor Corona epidemische Ausmaße. So starben 2019 in Deutschland durchschnittlich drei Kinder pro Woche durch häusliche Gewalt. 43 Kinder wurden pro Tag sexuell misshandelt. Und jetzt? Was passiert gerade jetzt hinter den verschlossenen Türen, jetzt wo der KSD und all die anderen Helfer kaum vor Ort unterwegs sind? Auch das sind Coronafolgen. Wir bleiben für Sie dran. Bleiben Sie uns gewogen.

Ihr

Volker Macke · Redaktionsleiter

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Liebe Leserinnen und Leser,

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Foto: VIE7143/Picture-Alliance

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Wasserkrise in Niedersachsen Hannover. In Niedersachsen droht die Wasserkonkurrenz. Weil nach 2019 und 2018 auch 2020 eine extreme Trockenheit droht, fallen die Grundwasserspiegel, so Umweltminister Olaf Lies bei der Vorstellung des »Grundwasserberichts Niedersachsen«. »Die ersten Anzeichen einer Wasserkrise sind da«, so der Minister. »Die Lage mit extrem niedrigen Grundwasserständen wurde im letzten Jahr nochmals verschärft: Die Tiefststände von 2018 wurden 2019 in 71 Prozent der Grundwassermessstellen unterboten, der mittlere Jahreswert der vergangenen 30 Jahre in 41 Prozent der Messstellen unterschritten.« Die niedrigen Wasserstände werden mittelfristig die Konkurrenz zwischen Landwirten und Wasserversorgern um die endliche Ressource verstärken, warnen Hydrologen. Massives Beregnen von Feldern in der Krise reduziert das verfügbare Trinkwasser. Lies will mit Wasserwirtschaft, Land- und Forstwirten, Umweltverbänden und Industrie ein neues »Wassermanagement« erarbeiten. Notwendig seien u.a. der Bau von Speicherbecken, Zisternen oder Trinkwasserfernleitungen, die Nutzung von Brauchwasser für Bewässerungszwecke sowie eine intelligente Steuerung von Entwässerung, um die Speicherfähigkeit der Böden besser zu nutzen. Drei Millionen Euro will Lies in solche Konzepte investieren. Für Thomas Köhler, bundesweiter Sprecher der ökoaktiven Transition Town-Bewegung, ist das zu wenig. »Nur die konsequente Umsetzung eines auszurufenden Klima-Notstands wäre eine angemessene Antwort – der Corona-Notstand hat eine Ahnung davon vermittelt, dass und wie so etwas möglich wäre.« MAC

Hilfe für Fleischarbeiter Hannover. Im Kampf gegen menschenunwürdige Unterbringungen von Werkvertragsbeschäftigten setzt Niedersachsen auf ein neues Wohnraumschutzgesetz. »Es ist unerträglich, dass nach wie vor Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land in unwürdiger Weise untergebracht werden, sehr oft mit viel zu vielen Personen in Wohnungen oder Häusern«, so Bauminister Olaf Lies (SPD). »Die Zustände, wie sie vor allem in der Fleischindustrie sichtbar geworden sind, sind unhaltbar.« Lies will das niedersächsische Wohnraumschutzgesetz nutzen, um menschenwürdige Qualitätsstandards verpflichtend zu machen. Das Gesetz wird zurzeit im Landtag beraten. Es legt Mindeststandards für Wohnraum fest. Dazu gehören beispielsweise eine ausreichende natürliche Beleuchtung und ausreichende Belüftung, Schutz gegen Feuchtigkeit sowie funktionstüchtige Anschlüsse für Energie- und Wasserversorgung sowie Entwässerung und sanitäre Einrichtungen. Die Grünen lobten den Vorstoß: »Das Einlenken nach dem öffentlichen Druck ist ein erster Schritt, die unwürdigen Wohnverhältnissen von etwa 22.000 WerkvertragsarbeiterInnen allein in der Fleischindustrie zu beenden«, so Fraktionsvize Christian Meyer. Ziel müsse zudem sein, dass auch Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) die Praxis der Ausbeutung über Subunternehmen grundsätzlich angehe. Angesichts vermehrter Ausbrüche von Corona-Infektionen in Betrieben wie Amazon, UPS und eben auch in der fleischverarbeitenden Industrie hatten die Grünen die Landesregierung nach den Kontrollen durch die Gewerbeaufsichtsämter gefragt. Die Antwort: Zwischen dem Beginn des Lockdown am 15. März und dem 15. Mai 2020 wurden bei den rund 287.000 Betrieben im Land 394 unangekündigte Kontrollen durchgeführt. EPD/MAC


AH-18 und Co verbieten Hannover. Rechtsextreme nutzen immer häufiger Autokennzeichen als Statement. Das soll künftig erschwert werden. Die Koalitionsfraktionen im Landtag haben nun einen Vorstoß auf den Weg gebracht, zusätzliche Codes zu verbieten. Derzeit sind Kfz-Kennzeichen mit Buchstabenkombinationen KZ, SA, HJ oder SS in ganz Deutschland verboten. In Niedersachsen ist zusätzlich das Kennzeichen NS verboten. Im Umlauf und beliebt seien aktuell Kombinationen wie »HH 88«, »AH 18« oder »HH 1933«, so SPD- und CDU-Fraktion. Verfassungsschutz und polizeilicher Staatsschutz sollen nun eine Liste mit zu verbietenden Zahlen- und Buchstabenkombinationen erstellen, die Kfz-Zulassungsstellen angewiesen werden, diese dann nicht mehr zuzuteilen. MAC

Mehr Flüchtlingskinder Hannover. Der niedersächsische Innenminister Boris Pisto­ rius (SPD) hat die Ankündigung der Bundesregierung begrüßt, weitere Kinder und Familien aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen. »Ich bin froh, dass hier nach dem ersten Schritt konsequenterweise auch endlich der zweite folgt. Das ist ein wichtiges humanitäres Signal für die Kinder und auch an ganz Europa in einer besonderen Zeit«, sagte Pistorius. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte zuvor erklärt, dass 243 behandlungsbedürftige Kinder und ihre Familienangehörigen nach Deutschland kommen dürften. »Niedersachsen steht zu seiner humanitären Verantwortung und ist bereit, auch weitere Kinder und ihre Familien aufzunehmen«, so Pistorius. Bereits im April waren den Angaben zufolge 47 unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Griechenland in Niedersachsen eingetroffen. Nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums haben sich inzwischen zwölf EU-Staaten ebenfalls dazu bereiterklärt. EPD

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Hannover. Mehr Symbol als echte Hilfe sei die Corona-Überbrückungshilfe für Studentinnen und Studenten, beklagen die Studierendenvertretungen im Land. Mitte Juni, erst drei Monate nach dem Lockdown und damit dem Wegfall vieler Studentenjobs, war vom Bundesbildungsministerium eine Hilfe von bis zu 500 Euro pro Kopf beschlossen worden. Die akute Bedürftigkeit muss beim Online-Antrag mittels Kontoauszügen nachgewiesen werden. »Eine Soforthilfe muss aber für alle Studierenden, unabhängig vom Kontostand, ermöglicht werden«, so Antonia Otte, Referentin für Soziales des AStA der Leibniz Universität Hannover. In Mails von Studierenden würden zunehmend Existenzängste beklagt, »weil Jobs, Ersparnisse und familiäre Unterstützung durch die Pandemie weggefallen« seien. Zwei Drittel der Studierenden hätten ihren Studi-Job verloren. Aktuell stünden die Zahlungen des Semesterbeitrags an. Studierende, die versucht hätten, ihr Geld dafür zu sparen, seien jetzt die Gekniffenen: »Wer die 439,79 Euro für den Semesterbeitrag noch auf dem Konto hat, wenn er oder sie die Überbrückungshilfe beantragen will, hat ein Anrecht auf 60,21 Euro«, so der AStA weiter. In Niedersachsen sind 212.000 Studierende an den Hochschulen eingeschrieben. Durchschnittlich stehen Studierenden laut Statistischem Bundesamt 1.060 Euro pro Monat zur Verfügung, davon knapp 40 Prozent durch Studentenjobs. MAC

Foto: regionalHeute.de/Werner Heise

Arme StudentInnen

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Foto: Dmitri Ma/shutetrstock.com

LICHT AUS Gut 4.000 Frauen verkaufen in Niedersachsen sexuelle Dienste. Normalerweise. In der Corona-Krise sind die Etablissements geschlossen, der Hygiene wegen. Wir haben mit Sonja und Gabriela aus Hannover gesprochen. Über Straße, Sex und Shutdown. Und ein bisschen Zukunft. Sie nennt sich Sonja, dabei wollen wir es belassen. Denn Prostitution ist kein Job wie jeder andere. Sexverkauf ist stigmatisiert, tabuisiert, reglementiert. Und bleibt dabei doch rechtlich ziemlich grau. Sonja könnte von ihrer Erscheinung her Studentin, Café- oder Kaufhausangestellte sein. Doch Sonja bedient Männern ihre Gelüste, seit Jahren in Hannover. Wenn sie erzählt, lächelt sie viel. Sie hat Kinder, die sind neun und vier. Das erste Kind hat sie von dem, der sie zum Sex mit anderen – wie sagt man das am besten – gezwungen oder überredet oder hineingeheuchelt hat: ein so genannter Loverboy. Bei facebook

war er toll, und auch während der ersten Treffen »super nett«. Damals in Sofia. Da war Sonja kaum 18, er wurde ihre große Liebe, sie stand vor der Wahl: eine romatypische arrangierte Heirat mit irgendwem nach irgendwo oder diese Liebe. Ihr Liebesbeweis war Straßensex mit anderen gegen Geld. Das Geld nahm ihr Lover. »Das war meine Probezeit«, sagt Sonja rückblickend und lächelt. Heute ist sie 32. Ihre Kinder leben bei ihren Eltern in Bulgarien, der Loverboy ist Geschichte, eine in jeglicher Hinsicht schmerzhafte Geschichte. Emotionale Abhängigkeit nennt man solch eine Beziehung wohl. Ausbeutung nennt


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man gewiss das, was er Liebe nannte. Aber Wunden vernarben. Sonjas Tätigkeit ist bis heute geblieben. »Du bleibst das sowieso ewig, im Kopf bleibst du es immer, auch die die aufgehört haben«, erzählt sie halb deutsch, halb bulgarisch. Übersetzt wird sie von Elizabet Arnecke, der muttersprachlichen Streetworkerin bei Phoenix, der Fachberatungsstelle für Sexarbeitende in Hannover.

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»Ich schlafe im Puff« Foto: V. Macke

Das Geld, das Sonja mit »Bumsen und Blasen« verdient, schickt sie großteils in die Heimat im bulgarisch-türkischen Grenzgebiet. Für ihre Kinder würde sie alles tun, alles, betont sie ohne Lächeln. Im Moment aber gibt es keinen Sex, weder auf der Straße noch im Bordell. Verboten wegen Covid-19. Corona hat Sonjas ohnehin unsicheres Leben, ein Leben von der Hand in den Mund, verschärft: Jetzt steht sie ohne Einkommen da – und ohne Wohnung. »Ich schlafe im Puff«, sagt sie. Ihr Antrag auf Hartz IV hakt, sie hat an einer Stelle ein falsches Kreuz gemacht. Daher waren die öffentlichen Obdachlosenspeisungen in den ersten Corona-Wochen für Sonja Gold. Elizabet Arnecke hilft ihr durch den Dschungel der Anträge und Behörden. »Im Moment beraten wir sehr viele Sexarbeiterinnen zu finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten, denn das Gericht hat die Schließung aller Prostitutionsstätten gerade erst bestätigt, das kann noch dauern, bis die Frauen legal wieder arbeiten dürfen«, sagt Arnecke. Und meint damit ein Oberverwaltungsgerichtsurteil von Anfang Juni, das einigen klagenden BetreiberInnen die Wiedereröffnung ihrer Bordelle mit Hinweis auf erhöhte Infektionsmöglichkeiten wegen der wechselnden Geschlechtspartner bei der Sexarbeit verweigert hat – allein Hausbesuche sind offenbar erlaubt. Wie viele Prostituierte betroffen sind? 565 haben im Jahr 2019 die gesetzlich vorgeschriebene Gesundheitsberatung des Gesundheitsamtes der Region Hannover erhalten, die nötig ist, um offiziell zum Gewerbe zugelassen zu werden. Gut 4.000 Prostituierte sind aktuell in ganz Niedersachsen gemeldet. Die tatsächliche Zahl könnte deutlich darüber liegen. Gerade Frauen vom Straßenstrich seien nicht immer behördlich gemeldet, schreibt Phoenix im frisch gedruckten Jahresbericht. »Sie arbeiten verdeckter und achten besonders auf Kontrollen, denen sie aus dem Wege gehen«, heißt es dort. Viele kommen aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien. So genannte Drittstaatlerinnen, also Frauen aus Nicht-EU-Ländern, tauchen in den offiziellen Statistiken gar nicht erst auf. Ihnen »fehlen die Möglichkeiten zu legaler Sexarbeit völlig. Sie können nur in illegalen Prostitu­tionsstätten arbeiten. Das bedeutet für sie eine große Gefahr, Opfer von Ausbeutung und Gewalt zu werden«, so Phoenix weiter. Und: »Drogengebrauchende Frauen schaf-

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Am Steintor in Hannover sind die Etablissements wie überall im Land von Amts wegen geschlossen.

fen die hohen bürokratischen Hürden, die mit der Anmeldung [nach dem Prostituiertenschutzgesetz] verbunden sind, nicht«, ergänzt La Strada, die »Anlauf- und Fachberatungsstelle für drogengebrauchende Frauen« am Rande des hannoverschen Steintorviertels: »Das Gesetz geht an der Lebensrealität dieser Zielgruppe vorbei.«

Traumberuf Kripo »Für die meisten Mädels war oder ist die Straße die erste Haltestelle«, sagt Arnecke am Rande unseres Gesprächs mit Sonja und ihrer Kollegin Gabriela in der vertrauten Umgebung der Beratungsräume. »Ganz einfach deshalb, weil du am Straßenstrich kaum die Sprache können musst. Drei Finger heißen dreißig Euro. Mehr als wenig Worte und Zeichensprache brauchst du an dieser Haltestelle erstmal nicht.« Sonja und Gabriela lachen und gestikulieren mit den Fingern Preise für Dienstleistungen durch. »Und alle Einnahmen bleiben für dich«, so Arnecke. »Normalerweise«, ergänzt Gabriela. Miete oder andere Kosten, wie sie im Bordell anfallen, gebe es auf der Straße tatsächlich nicht. Jeder im Auto verdiente Euro bleibe in der Handtasche der Kolleginnen, solange sie nicht von Zuhältern abkassiert würden. Gabriela ist 42, sie hat jüngst nach 19 Jahren im Gewerbe den Ausstieg geschafft, reinigt jetzt öffentliche Gebäude. Sie hat eine Tochter, eigenes Geld, eine Wohnung. Der Ausstieg war langwierig und anstrengend. Der Einstieg war so: »Als ich das erste Mal einem Fremden einen blasen musste, war ich stolz, dass ich nicht würgen musste«, erzählt sie. Das hätte sein können, auch ihre Geschichte beginnt mit Verliebt-


in Deutschland: Die Gewalt, die Abzocke, die Angst, die Geburt der gemeinsamen Tochter, die langsame Lösung vom brutalen Mann – die Tochter ist sieben, als es endlich klappt. Die guten Erfahrungen in der »Ersatzfamilie« der Kolleginnen, die Solidarität untereinander, die sehr respektvollen älteren Herren, die Sex von ihr kauften: Davon erzählt sie auch. Aber Spaß gemacht habe ihr die Arbeit nie.

Foto: V. Macke

»Alternativen sind nicht einfach«

Sonja in der Beratung von Elizabet Arnecke von Phoenix – viele vom Shutdown betroffene Sexarbeiterinnen suchen aktuell zu Shutdown-­ Regeln sowie Hartz-IV- und Wohngeld-Anträgen Rat und Tat.

sein. Eine bewusste Berufsentscheidung, als Prostituierte leben zu wollen, gab es nicht, oder doch irgendwie? Das erscheint so fließend. Und nein, sie komme nicht aus armen Verhältnissen. Ihre Eltern seien sogar wohlhabend gewesen in Bulgarien, berichtet sie. Gerne wäre Gabriela, die mit drei Geschwistern aufwuchs, damals Ballerina oder zumindest Tänzerin geworden, schon als Kind trat sie viel auf Festen auf. Später in der Jugend war Kriminalbeamtin ihr Traumberuf. »Das hat leider nicht geklappt«, sie lässt offen, warum nicht. Die Zeit mit dem anfangs geliebten Zuhälter beschreibt sie heute als »schlimm, eine wirklich sehr schlimme Zeit«, seit 2008 spielte die Geschichte

Ältere deutsche Männer sind auch Sonjas Lieblingskunden. »Die zahlen fair, die feilschen nicht, die halten sich an die vereinbarte Zeitspanne und die verlangen nichts, was die Gesundheit schädigt«, fasst sie zusammen. 50 Euro kostet bei ihr der Fullservice für eine halbe Stunde. Seit einiger Zeit bietet Sonja in einem so genannten Laufhaus ihre Dienste an. Das ist warm und sicher, aber teuer. 110 Euro aufwärts kostet die tägliche Zimmermiete in solchen Häusern. Bei 50 Euro pro Kunde für 30 Minuten Sex gehen zwei bis drei Freier pro Tag allein für die Miete drauf. »Manchmal kommen nicht mal hundert Euro pro Tag zusammen, das war dann ein schlechter Tag«, sagt Sonja und lächelt wieder scheu. »Manche Tage sind gut, manchmal arbeite ich eine ganze Woche oder zwei gar nicht, jeder Tag ist anders.« Das Geld reiche normalerweise, um sich und die Kinder durchzubringen. Reich werde sie mit Sexarbeit nicht. Wie lange sie die Arbeit noch machen will? Da ist sie unsicher: »Gebe ich meinen Eltern kein Geld für meine Kinder, geben die sie ins Heim.« Das 2017 beschlossene Prostituiertenschutzgesetz sieht unter anderem vor, ausstiegswilligen Frauen aus

Zahlen Der Fachbereich Gesundheit der Region Hannover hat im Jahr 2017 171 gesundheitliche Beratungen nach dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) durchgeführt, im Jahr 2018 waren es 411 und im Jahr 2019 565 Beratungen. Alle in Hannover und den Umlandkommunen im Sexgewerbe Tätigen müssen beim Gesundheitsamt der Region solch ein Beratungsgespräch mitmachen. Orientiert an der jeweiligen Arbeits- und Lebenssituation werden in dem vertraulichen Gespräch die Themen Krankheitsverhütung, Empfängnisregelung, Schwangerschaft und Risiken von Drogen- und Alkoholkonsum besprochen. Die gesundheitliche Beratung ist Voraussetzung für die Anmeldebescheinigung. Sie müsste laut Gesetz jährlich wiederholt werden. Von 1.000 Prostituiertenberatungen seit 2017 spricht die Stadt Hannover. Allein dort sind genau 88 feste Betriebsstätten für Prostitution gelistet, Straßenstrich und Lovemobile also nicht eingerechnet. In Niedersachsen insgesamt sind 4.106 Prostituierte gemeldet, deutschlandweit etwa 34.000. Verbände wie Solwodi oder Doña Carmen gehen von höheren Dunkelziffern aus, die Schätzungen reichen von 80.000 bis 400.000. Die meisten gemeldeten Prostituierten haben laut Statista die rumänische Staatsangehörigkeit (rund 35%), gefolgt von Deutschland (19%) Bulgarien (10%) und Ungarn (7%). Drei Viertel aller gemeldeten Sexarbeiterinnen sind zwischen 21 und 44 Jahren alt. MAC


gefordert, das coronabedingte faktische Verbot der Sexarbeit auszuweiten und in Anlehnung an das schwedische Modell Sexkauf generell zu untersagen. Denn dieser sei menschenunwürdig, zerstörerisch und frauenfeindlich. Das schwedische Ausstiegsmodell sieht Sprachkurse für die vielen Osteuropäerinnen sowie Wohnungen, Gesundheitsversorgung und Traumatherapie vor. Elizabet Arnecke hält das für utopisch, zudem widerspreche der Ansatz der Berufsfreiheit der Sexarbeiterinnen. »Es gibt Bedarf, daher wird es das immer geben, nur wird es dann versteckt gemacht. Aber in Verstecken gibt es keine Hilfe, keine Sicherheit, keine Unterstützung«, sagt die Beratungsassistentin. Auch Gabriela, die »den Job niemals wieder machen« würde, wie sie sagt, ist skeptisch. Für sie ist die Stigmatisierung der Tätigkeit Problem Nummer eins. »Wir können kämpfen, notfalls ein Leben lang, wir sind stark«, sagt sie. »Aber wir werden immer kritisiert, man schaut auf uns herab, Männer manchmal, andere Frauen auch«, sagt sie. Erstmal echte Augenhöhe, das wäre ihr Ansatz. Volker Macke

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Teilhabe am Arbeitsmarkt in der Region Hannover Mit dem sphalt“ n A r sinnvolle Kauf von „ Menschen zu eine n. Sie m Lebe verhelfen hr Geld zu e m d n u it Tätigke eine , wenn Sie n, die wenig ie S n te is ffe e le Das Gleich für Menschen scha t haben. e rk ll a te m s s eit Arbeits f dem Arb u a n e v ti k Perspe rstützen. dabei unte 00 Prozent ie S n n a k ter zu 1 Das Jobcen ielle Förderung bis rbildung und z n it a e n fi W e Durch Kosten für , n te s o k n der Loh ching. endes Coa ein begleit auf abe s finden Sie er.de/teilh Mehr Info ter-region-hannov en www.jobc ratung? önliche Be 222. rs e p e in e 59-2 hen Sie wünsc s an unter 0511/65 ng@jobcenter-ge.de un erfoerderu Rufen Sie r.arbeitgeb E-Mail: regi

on-hannove

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der Prostitution zu helfen, bei der beruflichen Umorientierung zu helfen. Die Umsetzung steckt in Kinderschuhen, die zur Verfügung stehenden Maßnahmen der Jobcenter seien für die Klientel nicht niedrigschwellig genug, so Phoenix. »Es ist schwierig für die Frauen den Job zu wechseln, Alternativen sind nicht so einfach, wenn du Analphabetin bist oder wenn du keinen richtigen Schulabschluss hast, insofern stellt sich die Frage, ob sich die Sexarbeit immer lohnt, in der Form eigentlich gar nicht«, sagt Elizabet Arnecke. »Und wenn du schon als Jugendliche anfängst, dann kennst du ja auch nichts anderes, dann ist das erstmal dein Leben.« Daher sei der Absprung aus dem Gewerbe langwierig und aufwändig, betont die Beratungsassistentin. Gabriela hat von ersten Kontakten mit den Phoenix-Beraterinnen bis zum tatsächlichen Ausstieg mehrere Jahre gebraucht. »Jetzt bin ich glücklich, habe ein normales Leben, ich bin frei, ich habe meine geliebte Tochter und bin Phoenix sehr, sehr dankbar.« Mitte Mai, in der Hochphase des Corona-Shutdowns, hatten 16 ParlamentarierInnen, darunter Hermann Gröhe (CDU) und Karl Lauterbach (SPD), sekundiert von einigen Verbänden

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Foto: akg-images/Picture-Alliance

DIE KULTUR DER SEUCHEN Seuchen zählen neben Kriegen, Hungersnöten und Massenmorden zu den dunklen »Errungenschaften« der menschlichen Zivilisation. Ihre Auswirkungen gehen über medizinische Fragen weit hinaus. Seuchen schreiben Geschichte. Ein Streifzug. Seit der neolithischen Revolution vor ca. 12.000 Jahren lebt die Menschheit (zunehmend) in zwei Welten: in einer Welt der Natur, zu deren Mitglied sie ihre Biologie macht und einer Welt der Kultur, die sie sich selbst geschaffen hat. Seuchen entspringen einem verhängnisvollen Zusammenwirken dieser Sphären.

Die bevölkerungsreichen Zivilisationen waren und sind fruchtbare Brutstätten von Infektionskrankheiten, die mit Beginn der Landwirtschaft und Viehhaltung, sowie den beengten Lebensverhältnissen von Menschenmassen, den Erregern erst den geeigneten Nährboden boten, um sich auszubreiten. Pest,


Seuchen, die heimlichen Eroberer Auch der Pestzug des 14. Jahrhunderts begann vermutlich 1331 in China, wo nachweislich eine große Seuche grassierte, die das Ende der Mongolenherrschaft im Land der Mitte eingeläutet haben könnte. Mit den Karawanen bewegte sie sich auf der Seidenstraße langsam vorwärts und für 1346 ist ihr Auftreten in Astrachan verbürgt. Ein Jahr später traf sie auf der Krim ein und befiel die Tataren, die gerade die genuesische Feste Kaffa belagerten. Durch die hohen Verluste vermeintlich um ihren Sieg gebracht, schleuderten die Belagerer ihre Pesttoten mit Katapulten in die Stadt und lieferten uns damit eines der ersten Beispiele biologischer Kriegsführung. Als die Seuche sich in der Stadt ausbreitete, flüchteten die Genueser per Schiff nach Italien, im Gepäck zahlreiche Ratten, die wiederum von Yersinia pestis infizierte Flöhe im Fell trugen. In der Folge breitete sich die Pest in ganz Europa aus, mit besonderer Eile über die Seehäfen. Die Entwicklung der Transportmittel und der Handelsbeziehungen erwiesen sich neben den Kriegszügen als entscheidende Faktoren für die Ausbreitung einer Seuche. Der Pest etwa blieb bis ins 19. Jahrhundert der Weg nach Amerika versperrt. Auf den Segelschiffen starben die infizierten Ratten bereits während der Überfahrt, damit aber auch die Flöhe, die den Erreger in sich trugen. Yersinia pestis wurde in diesen Fällen also die eigene Gefährlich-

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keit für den jeweiligen Wirt zum Verhängnis. Den Weg nach Amerika machte für ihn erst die Dampfschifffahrt frei, durch die sich die Reise entscheidend verkürzte. Die großen Seuchen prägten sich der Weltgeschichte tief ein. Im 14. Jhd. forderte die Pest schätzungsweise 25 Millionen Menschenleben in Europa, rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Das hatte zunächst ganz unmittelbare Auswirkungen, die vielen Toten brachten einen demografischen Einbruch und einen langjährigen Niedergang von Wirtschaft und Kultur; aber auch mittelbare: Eroberungszüge, die wegen der Dezimierung der Heere abgebrochen werden mussten, gestürzte Dynastien, untergegangene Reiche. Die Pestwellen der Spätantike und des frühen Mittelalters trugen wohl dazu bei, das persische und das byzantinische Reich nachhaltig zu schwächen und damit den langobardischen Eroberungszügen im Westen und den arabischen in Afrika und Asien den Weg zu bereiten. Dadurch etablierte sich nicht nur der Islam als neue Weltreligion, es wurden auch alte Handelswege blockiert, der Austausch Europas mit dem Fernen Osten kam weitgehend zum Erliegen und jahrhundertelang blieb der Kontinent »Die Entwicklung der von weiteren Pestwellen verschont. Transportmittel und Erst mit dem Vordringen der Goldeder Handelsbeziehunnen Horde im 14. Jahrhundert wurgen erwiesen sich als de dieser Weg wieder passierbar für entscheidende FaktoMensch, Tier und Erreger. Weltgeschichte schrieben auch ren für die Ausbreidie Pocken. Schon für das 2. Jahrtautung einer Seuche.« send v. Chr. ist die Seuche in China bezeugt worden. Zeitgleich wurden im Land der Mitte aber auch die ersten Impfmittel entdeckt, tausende von Jahren, bevor in Europa jemand auf eine solche Idee kommen sollte. In den folgenden Jahrhunderten grassierte die Seuche nachweislich auch in Indien und Mesopotamien. Aus dem Zweistromland brachten Soldaten des Römisches Reiches die Pocken nach Europa. Die Spanier schließlich exportierten die Seuche Anfang des 16. Jhd. nach Amerika, wo ihr Wüten den Niedergang der indigenen Kulturen beschleunigte. Während Hernan Cortés in Mexiko einfiel, starb rund die Hälfte der Atzeken an der für sie unbekannten Krankheit, gegen die die Spanier immun zu sein schienen. Bis 1618 schrumpfte die Bevölkerung Mexikos von rund 20 Millionen auf gerade einmal 1,6 Millionen. Die Pocken verbreiteten sich längst auf dem Landweg weiter und als Pizarro 1531 Peru erreichte, hatten sie die Hälfte der Foto: clu/iStock.com

Pocken, Malaria, Tuberkulose, Masern, Cholera, Grippe und Covid-19 werden sämtlich von Erregern verursacht, die sich aus Krankheiten von Tieren entwickelt haben. Dabei ist die Ausbreitungsrichtung nicht selten eine von Osten nach Westen. Jared Diamond wies einmal darauf hin, dass Nutzpflanzen und Kulturtechniken eher auf gleichen Breitengraden weitergegeben werden, als in Nord-Süd-Richtung. Weil das Klima ähnlich ist. Daher wäre der kulturelle Austausch auf dem riesigen eurasischen Kontinent intensiver als in Amerika gewesen. Vermutlich gilt das auch für Krankheitserreger. Europa bildete in dieser Hinsicht von China aus betrachtet den natürlichen geografischen Endpunkt, jedenfalls bis zum »Zeitalter der Entdeckungen«. Ab dem Ende des 15. Jhd. waren es die Europäer, die die Seuchen weiter über den Globus verteilten und auch bis dahin abgeschiedene Gemeinschaften infizierten.

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Foto: akg/Picture-Alliance

Inka-Bevölkerung bereits hinweggerafft. Bis zum 18. Jahrhundert fanden westliche Forscher kein Mittel gegen die Pocken, noch im 19. Jahrhundert starben in Deutschland jährlich rund 60.000 Menschen an der Krankheit. Von der in Preußen eingeführten frühen Impfpflicht profitierte schließlich auch das Militär, als eine Epidemie während des deutsch-französischen Krieges 25.000 (nicht-geimpfte) französische Soldaten dahinraffte, aber nur 300 deutsche. Heute sind es die Touristen, die den Soldaten ihre einst maßgebliche Rolle als Überträger von Seuchen streitig machen.

Sündenböcke und soziale Unterschiede

Pockenkranke in Äthiopien: Armut ist ein entscheidender

Foto: imageBROKER/Picture-Alliance

Risikofaktor für die Ausbreitung von Seuchen.

Pestkreuze warnten in Deutschland den Wanderer vor der Seuche.

Einschneidende Folgen hatten die Seuchen für die von ihnen heimgesuchten Gesellschaften. Das fehlende Wissen um die Erreger und die Übertragungswege schuf vielerlei Mythen um die Herkunft der Krankheit. Wie so oft, wenn die Ursachen einer unheilvollen Entwicklung unbekannt oder schwer durchschaubar sind, werden Sündenböcke gesucht und gefunden. Das öffnete den Raum für Ressentiments und die Verfolgung von Minderheiten. So wurden im Mittelalter die Juden verdächtigt, die Brunnen vergiftet und damit die Pest ausgelöst zu haben. Die folgenden Pogrome vor allem religiöser Sekten wie den Flagellanten kosteten Tausenden das Leben. Der Ausbruch der Syphilis wurde gern dem jeweiligen nationalen Lieblingsgegner zugeschrieben: in Deutschland nannte man sie die Franzosenkrankheit, in Portugal die Krankheit der Kastilier, in Polen die Deutsche Krankheit, in Russland die Polnische Seuche. Viele Seuchen erwiesen sich vor allem als Arme-Leute-Krankheiten. Tatsächlich waren und sind nicht alle gleichermaßen von ihnen bedroht. Es brauchte vor allem Armut und mangelnde Hygiene zu ihrem Gedeihen und fehlende Gesundheitsversorgung und -aufklärung. Den Reichen dagegen ermöglichte oft schon die Distanz zum Elend das Überleben. So wie Giovanni Boccaccio in seinem Decamerone vornehme Bürger auf einem Landsitz einander Geschichten erzählen ließ, während in Florenz die Pest wütete oder wie die wohlhabenden Kaufleute in London oder Paris, die in den Obergeschossen ihrer Häuser von der Seuche unbehelligt blieben, während im Erdgeschoss die Dienerschaft hinwegrafft wurde. Die Suche nach den Ursachen der Seuchen und der Umgang mit den Erkrankten prägten sich kulturell tief ein. Da die Pestwellen und zuvor schon die Lepraerkrankungen auf einen Zusammenhang von Seuchen und fehlender Hygiene hindeuteten, wurden ab dem 12. Jahrhundert Badestuben in Europa eingerichtet. Diese Stätten erfreuten sich bald solcher Beliebtheit, dass sie der Obrigkeit zunehmend suspekt wurden. Die fröhliche Geselligkeit leicht- oder gar nicht bekleideter Männer und Frauen förderten ein freizügiges Verhalten, das nicht nur


Anstoß für die Wissenschaften Die großen Seuchen gaben allerdings der medizinischen Forschung auch entscheidende Impulse. Während der Pestwellen des 14. Jahrhunderts entwickelte sich vielerorts (u.a. Venedig, Marseille) erstmals ein System der Quarantäne, für die sich schließlich eine Dauer von vierzig Tagen einbürgerte. Der Begriff wurde aus italienisch quarantena oder französisch quarantaine de jours (»vierzig Tage«) ins Deutsche übernommen. Die Quarantäne war ein erstes wichtiges Instrument im Kampf gegen die Seuchen. Um die Krankheit zu heilen oder gar gegen sie zu immunisieren, fehlte jedoch lange das Wissen über die Erreger und die Übertragungswege. Die frühen Impfversuche in China fanden nicht mit der Seuche den Weg nach Westen und auch manche frühen Beobachtungen wurden nicht weiterverfolgt. So empfahl der römische Universalgelehrte Marcus Terentius Varro bereits vor Beginn unserer Zeitrechnung,

Landhäuser entfernt von Sümpfen anzulegen, wo kleine, nicht sichtbare Tierchen schwere Krankheiten hervorrufen könnten. Varro war der Malaria bereits auf der Spur, doch erst 1880 konnte der Erreger Plasmodium wissenschaftlich dingfest gemacht und drei Jahre später die Mücke als Zwischenwirt identifiziert werden. Erst die wissenschaftliche Forschung brachte die entscheidenden Durchbrüche in der Bekämpfung der Seuchen. Aber mitunter dauerte es Jahrzehnte, bis die Entdeckungen Eingang in die Praxis fanden. In London wollte man 1832 die Umweltbedingungen in den Stadtvierteln »Das fehlende Wissen verbessern und kippte den ganzen um die Erreger und Dreck kurzerhand und ungeklärt die Übertragungswege in die Themse, aus der gleichzeischuf vielerlei Mythen tig das Trinkwasser gewonnen um die Herkunft der wurde. Die darauf folgende Choleraepidemie wies deutlich auf Krankheit.«

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den sittlichen Vorstellungen der Kirche zuwiderlief, sondern auch den Raum für freie Reden gegen Pabst und Kaiser öffnete, wie es einige Spitzel berichteten. Dennoch hielten sich die Badestuben lange Zeit. Erst mit der Syphilis bot sich den Sittenwächtern die nötige Handhabe, ihnen den Garaus zu machen. Ähnlich wie später AIDS wurde die Syphilis als »Lustseuche« betrachtet, als göttliche Strafe für unzüchtigen Lebenswandel. Dabei zeigte sich jedoch, dass im Unterschied zu vielen anderen Seuchen die Syphilis gerade auch in den oberen Schichten grassierte. Zu ihren Opfern zählten u.a.: Heinrich Heine, Beet­hoven, Beaudelaire, Flaubert, Zola, Schubert, Nietzsche, E.T.A. Hoffmann oder Friedrich Schiller. Heinrich VIII. erkrankte an der Hirn-Syphilis und machte seine Ehefrauen verantwortlich, wenn die Kinder, schon als Säuglinge durch den Vater infiziert, nicht lange überlebten. Auch Ivan der Schreckliche in Russland war von der gleichen Form der Krankheit gezeichnet. Und dennoch waren auch im Angesicht der Syphilis nicht alle gleich. Erkrankten hochgestellte Persönlichkeiten wie Könige oder Päbste an der »Lustseuche« wurde dies in der Regel auf schlechte Luft und ungünstige Gestirnskonstellationen zurückgeführt. Nur beim niederen Volk galt die Syphilis als Ausweis von Verderbtheit.

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Foto: Westend61/Picture-Alliance

Während sich in den USA und Großbritannien frühzeitig Abwasseraufbereitung und saubere Trinkwasserzufuhr durchsetzten, weigerte sich der Hamburger Senat aus Kostengründen fast 20 Jahre lang, trotz eindeutiger Empfehlungen der Medizinalbehörde, den Bau einer teuren Filtrieranlage zu beschließen. Als dieser dann endlich in Angriff genommen wurde (1891), brach noch vor Fertigstellung 1892 eine Choleraepidemie aus, die Tausende Opfer forderte. Doch während die Seuche in St. Pauli und Eimsbüttel wütete, blieb Altona direkt nebenan verschont. Die Ursachen, bemerkte Kari Köster-Lösche, schaukelten massenhaft auf der Elbe: die ungeklärt eingeleiteten Fäkalien der Hamburger, die direkt in die Trinkwasserleitungen zurückgepumpt wurden. Altona jedoch hatte unter preußischer Herrschaft eine Trinkwasserfiltrieranlage erhalten.

Seuchen als Arme-Leute-Krankheiten

Soldaten waren über Jahrhunderte maßgebliche Verbreiter von Seuchen. Heute hat der Tourismus ihre Rolle übernommen.

»Erst die wissenschaftliche Forschung brachte die entscheidenden Durchbrüche in der Bekämpfung der Seuchen.«

den Zusammenhang von verdrecktem Wasser und Krankheit hin, dennoch blieb die Entdeckung des Choleraerregers Vibrio cholerae 1854 durch den Italiener Filippo Pacini vielerorts noch unbeachtet. Auch die »Wiederentdeckung« durch Robert Koch 1883 traf noch auf Widerstand. So weigerte sich der bedeutende Hygieniker Max Pettenkofer, Erreger als ausschlaggebend für Krankheiten anzuerkennen. Stattdessen führte er Seuchen wie die Cholera in erster Linie auf Umweltbedingungen (Miasmen – schlechte Ausdünstungen und spezifische Grundwasser und Bodenbeschaffenheiten) zurück.

Pettenkofer wollte die bakteriologische Erklärung dennoch nicht wahrhaben und »bewies« in einem Selbstversuch mit Vibrionen, den er weitgehend unbeschadet überlebte, dass der Erreger allein nicht für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich sei. Damit hatte er gleichermaßen Recht wie Unrecht. Zwar irrte er in der Annahme, Vibrio cholerae sei nicht der Auslöser der Cholera, aber für den Ausbruch einer Epidemie war er tatsächlich nicht allein verantwortlich. Allerdings waren keine rätselhaften Miasmen im Spiel, sondern extreme Armut und schlechte Umweltbedingungen. Dass Pettenkofer seinen Selbstversuch so unbeschadet überstehen konnte, lag wohl auch an seiner gesunden Konstitution. Die verheerendsten Auswirkungen zeigte der Erreger dagegen in von langjähriger, ungenügender Ernährung geschwächten Körpern, wenn er zugleich mit verunreinigten Speisen und Getränken eingenommen wurde. Seither wird die Notwendigkeit einer Trinkwasseraufbereitung und einer effizienten Abwasserbeseitigung nicht mehr ernsthaft angezweifelt. Dadurch ist ein Cholera-Ausbruch in den Industriestaaten sehr unwahrscheinlich geworden. Aber in den weniger entwickelten Ländern der Erde kommt es heute noch immer mal wieder zu Epidemien. Dort grassieren auch andere Seuchen wie Ebola, die wohl erst dann in den Fokus (westlicher und gut finanzierter) Wissenschaften geraten, wenn sie bis nach Europa oder Amerika vordringen. Seuchen markieren also auch im globalen Maßstab soziale Unterschiede. Ulrich Matthias

Literatur-Tipps Kari Köster.Lösche: Die großen Seuchen. Frankfurt/Main 1995 Jared Diamond: Arm und Reich. Frankfurt/Main 2009 James C. Scott: Die Mühlen der Zivilisation. Berlin 2019


Nach Corona wird vieles anders. Das ist fast schon ein geflügeltes Wort. Sicher werden wir alle in den kommenden Jahren noch an den Folgen der Pandemie zu tragen haben. Allerdings nicht alle im gleichen Ausmaß. Ein Ausblick. Wir erinnern uns an die Anfänge der Pandemie: Schnell waren in den Supermärkten die billigen und haltbaren Produkte ausverkauft: Klopapier, Nudeln, Reis und Mineralwasser. Für alle Nichthamster ein Problem, ein ganz erhebliches jedoch für diejenigen, die auf diese günstigen Waren angewiesen sind, weil das Geld für mehr nicht reicht. Fatal wirkte sich da aus, dass gleichzeitig die meisten Tafeln ihren Betrieb eingestellt haben. Nicht wenige werden daher in der Krise ihren letzten Notgroschen (sofern überhaupt vorhanden) geopfert haben müssen. Ausgerechnet sie sollen bei den Hilfspaketen der Regierung nun weitgehend leer ausgehen. Immerhin: die 300 Euro Elternbonus sind ein wirksames und zielgerichtetes Instrument. Da es zusätzlich zum Kindergeld gezahlt, nicht auf Hartz-IV angerechnet, aber mit dem Kinderfreibetrag verrechnet werden soll, profitieren tatsächlich alle Familien unterhalb der Besserver-

dienenden. Nur bleibt dies bislang leider die einzige Hilfe für Gering- bis Nichtverdiener. Der vorübergehende Kündigungsschutz bei Mietschulden verschiebt die Misere ja nur in die Zukunft. Gegen eine von den Sozialverbänden geforderte, wenigstens temporäre Erhöhung von Sozialleistungen sperren sich die Regierungsparteien. Die Politikwissenschaftlerin Annett Mängel bezeichnet das als »bitter für die Armen und eine fatale Aussicht für all jene, die in der Corona-Krise ihren Arbeits- und Ausbildungsplatz verlieren und damit auch auf Hartz-IV angewiesen sein könnten«. Zu den größten Verlierern der Corona-Krise werden die Kinder zählen. Besonders Kinder mit besonderem Förderbedarf würden schon jetzt überproportional benachteiligt, sagt Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, auf Welt online, »sowohl was die schulischen Leistungen als auch

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Foto: izusek/iStock.com

DIE WELT NACH CORONA

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Foto: picture alliance / PRO SHOTS | Niels Wenstedt

Foto: picture alliance/dpa | Arne Dedert

Kinder können die schulischen und sozialen

Heute systemrelevant und morgen wieder nur prekär beschäftigt?

Versäumnisse kaum noch aufholen.

Wie solidarisch wird die Gesellschaft nach der Corona-Krise sein?

was das soziale Miteinander betrifft. Das ist gravierend, denn das holt man nach Corona gar nicht mehr auf«. Voraussehbar, »dass diese Generation in jedem Fall mit größeren Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sein wird – auch wenn sich alles wieder beruhigt hat. Es droht eine Generation, die Corona ausbaden muss.« Die Gefahr für Kinder (und auch für Frauen) lauert unter der Corona-Krise allerdings auch noch woanders: im eigenen Heim. Häusliche Gewalt hatte schon vor Corona epidemische Ausmaße. So starben 2019 in Deutschland durch»Es droht eine Geschnittlich drei Kinder pro Woche aufgrund von neration, die Corona häuslicher Gewalt. Pro Tag ausbaden muss.« wurden 43 Kinder sexuell Thomas Krüger, Präsident des misshandelt, überwiegend Deutschen Kinderhilfswerks von TäterInnen aus dem sozialen Umfeld der Kinder. Erste Studien lassen erkennen, dass es während des Lockdowns zu einer starken Zunahme häuslicher Gewalt gekommen ist. Obwohl die Jugendämter während des Lockdowns kaum im Einsatz waren, verzeichneten die Kliniken trotzdem eine »Steigerung der Fallzahlen, weil es deutlich mehr Kinder waren, die

über Kinderärzte und Notaufnahmen gekommen sind. Zum Teil waren da auch erhebliche Verletzungen wie Knochenbrüche und Verbrennungen darunter«, berichtete Oliver Berthold von den DRK Kliniken Berlin gegenüber dem Spiegel. Das sind Verletzungen, die bleiben. Auch nach Corona.

Demokratie im Stresstest Die Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie haben zu massiven Grundrechtseinschränkungen geführt. Unabhängig von den Gründen stellen Freiheitsbeschränkungen immer auch gefährliche Präzedenzfälle dar. Der Soziologe Joris Steg macht darauf aufmerksam, dass Gesetze, die auf einen akuten Krisenfall abstellen, meist auch nach Überwindung ihres Entstehungsgrundes in Kraft bleiben. So gelten die deutschen Anti-Terrorgesetze von 1976 ebenso weiter, wie die des »War on Terror« in den USA. Besonders bedenklich: während der Corona-Krise wurden die Parlamente vielfach umgangen. Dagegen sind mehrere Klagen anhängig, so wie in Niedersachsen vor dem Landesverfassungsgericht, eingereicht von den Oppositionsparteien im Landtag. Grundrechtsfragen haben auch immer grundlegende Bedeutung und reichen stets weit über den jeweils aktuellen Fall hinaus. Bereits 1997 warnte


Ohne den Staat geht es nicht So wichtig die auch künftige rechtsstaatliche Einhegung der Exekutive bleibt, die Corona-Krise hat einmal mehr verdeutlicht: ohne den Staat geht es nicht. Viel hat ja nicht gefehlt, und Deutschland hätte eine ähnliche Katastrophe erlebt, wie Italien oder Spanien. Doch während dort die Kapazitäten der Krankenhäuser im Zuge einer Sparpolitik massiv reduziert wurden, sind die neoliberalen Angriffe auf das deutsche Gesundheitswesen in der Vergangenheit glücklicherweise oft auf hartnäckigen Widerstand gestoßen. Corona hat gezeigt: Der Markt stellt weder die notwendigen Güter (Schutzkleidung) zeitnah und bedarfsgerecht zur Verfügung, noch liefert er gesellschaftlich akzeptable Lösungen für die Daseinsvorsorge. Seit Jahren wird in Deutschland Druck ausgeübt, defizitäre Krankenhäuser (samt der dort vorhandenen Intensivstationen) zu schließen und Pflegepersonal einzusparen (letzteres erfolgte viel zu oft). Heute wächst die Ahnung, dass betriebswirtschaftliche Rentabilität vielleicht doch nicht der höchste Wert sein sollte, wenn es um Gesundheit geht. Erst Corona hat den Fokus der Öffentlichkeit auf die wirklich systemrelevanten Berufe gelenkt. Und auf die gesellschaftlichen Bereiche, die dem Gemeinwohl verpflichtet bleiben sollten wie (u.a.) Gesundheit, Bildung, Pflege, Kinderbetreuung. Auch das wirkt hoffentlich nach.

Ende der Globalisierung? Die neoliberale Doktrin ist also unter Druck geraten. Das ist auch im globalen Maßstab zu beobachten. Schließlich war die entfesselte Globalisierung der offensichtlichste Ausdruck der neoliberalen Vorherrschaft. Doch nun hat die Corona-Krise ein Schlaglicht auf die Verletzlichkeit der internationalen Produktions- und Wertschöpfungsketten geworfen. Gerade die Güter, die in der Krise weltweit am dringendsten benötigt wurden (Masken, Schutzkleidung), wurden in überwiegendem Maß gerade in dem Land (China) hergestellt, dass als erstes in die Krise und den Lockdown rutschte.

Nun sollen in vielen Ländern neue Produktionsund Lagerkapazitäten aufgebaut werden. Vorsorge rechnet sich jedoch marktwirtschaftlich nicht. Auch hier braucht es den Staat. Und das betrifft ja nicht nur Corona, sondern u. a. auch die künftigen Folgen des Klimawandels. Hier bahnt sich bereits die nächste globale Krise an und trifft auf eine Welt, deren politische Struktur nach dem weitgehenden Rückzug der USA in zunehmendem Maße partikularisiert ist, deren Ressourcennutzung aber über viele Ländergrenzen hinweg greift. Act global and think local. Man ahnt, das kann nicht gut gehen. »Ach Europa!«, möchte man da mit Hans Magnus Enzensberger ausrufen. Schließlich hätte die EU das Potential, ein demokratisches Gegengewicht gegen diesen Trend zu bilden. Zumindest könnte sie mittelfristig die übermäßige Dominanz einer Supermacht (USA oder China) austarieren. Doch gegenwärtig scheint sich die EU in nationalstaatlichem Provinzialismus selbst zu zerlegen.

Das dicke Ende kommt noch Ob die Europäische Union die Corona-Krise als handlungsfähiger Staatenbund übersteht, ist keineswegs ausgemacht. Viel wird hier von der Solidarität abhängen, die Nord- und Mitteleuropa bereit sind, in die Gemeinschaft einzubringen. Das betrifft auch besonders die deutsche Regierung, die den Südeuropäern maßgeblich die verheerende Sparpolitik aufgedrückt hat, die in der Corona-Krise zur Kata­ strophe führte. Ohne Solidarität kein Europa. Solidarität ist es aber auch, die unsere Gesellschaft in Krisenzeiten zusammenhält. Auch das hat die Pandemie gezeigt. In den Haushaltsbeschlüssen der nächsten Jahre wird sich erweisen, ob die Lobreden auf Pflegekräfte oder VerkäuferInnen nur Lippenbekenntnisse waren. Und ob gesellschaftliche Solidarität auch für diejenigen gilt, die selbst nur wenig einbringen können. Nicht zuletzt bleibt zu hoffen, dass auch die Firmen und Branchen, die jetzt mit Milliarden vom Staat (also von uns allen) unterstützt werden, sich nicht aus der gesellschaftlichen Verantwortung stehlen dürfen, indem sie dem Empfang der Staatsknete Massenentlassungen folgen lassen. Solidarität darf keine Einbahnstraße sein. Ulrich Matthias

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der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf vor einem heraufziehenden autoritären Jahrhundert. Und tatsächlich scheint die Corona-Krise eher Tendenzen zu verstärken, die längst virulent sind (Polen, Philippinen). Auch für Länder wie Deutschland stellt sich künftig die Frage, ob hier nicht Präzedenzfälle geschaffen wurden, die irgendwann bei einer Regierungsbeteiligung der Nationalisten einer autoritären Wende weiteren Vorschub leisten könnten. Daher kommt den Urteilen des Landes– und des Bundesverfassungsgerichts eine hohe Bedeutung zu.

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AUS DER SZENE

Mehr Arbeitslose – mehr Armut

Geld für mehr WundA

Hannover. Mit der Krise steigt die Arbeitslosigkeit. Waren im März in der Landeshauptstadt 23.418 Menschen arbeitslos gemeldet, stieg die Zahl im Mai auf 27.898 Personen. Die Quote stieg entsprechend von 7,8 auf 9,2 Prozent. Und waren im März in der Region Hannover noch 115.060 Menschen auf Hartz IV angewiesen, stieg die Zahl bis Mai auf 123.297 Personen – plus 7,2 Prozent. Die Zahlen sind Teil eines neuen sozialen Krisenmonitorings der Stadtverwaltung. Wie viele Personen sind, gemessen an verschiedenen Indikatoren, durch die Covid-19-Pandemie in eine wirtschaftliche oder existenzielle Notlage geraten? Wie vielen wird es gelingen, sich mittel- oder langfristig wieder finanziell unabhängig zu machen? Wie vielen Menschen in Hannover steht aktuell nicht das gewohnte Einkommen zur Verfügung? Die Stadt wolle handlungsfähig bleiben, hieß es bei der Vorstellung des neuen Analyseinstruments im Sozialausschuss. MAC

Hannover. Schule abgebrochen, zu Hause rausgeflogen, ohne Obdach auf der Straße – das Hilfsprojekt »WundA« (Wohnen und Arbeiten) geht in die Verlängerung. Seit fünf Jahren beraten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pro Beruf, dem Karl-Lemmermann-Haus und dem Jobcenter der Region Hannover junge Menschen bis 25 Jahre und unterstützen sie auf ihrem Weg in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Das Projekt bietet Sprechstunden für Wohnungsnotfallfragen, Qualifizierungsangebote, Beratung zu Schulden, Wohnmöglichkeiten und anschließende Nachbegleitung. Die Regionspolitik hat nun einstimmig grünes Licht gegeben, das Projekt vorerst bis zum 30. Juni 2023 fortzuführen und mit insgesamt rund 740.000 Euro zu unterstützen. »Die große Nachfrage zeigt, dass wir mit dem Angebot die jungen Menschen erreichen, die aus unterschiedlichen Problemlagen in die Arbeits- und Wohnungslosigkeit gerutscht sind. Viele haben aufgrund ihrer schwierigen Situation oft keinen Zugang mehr zu anderen Hilfesystemen. Das Projekt ›WundA‹ fängt diese jungen Menschen auf und hilft ihnen dabei, eine Perspektive zu entwickeln«, so Dr. Andrea Hanke, Sozialdezernentin der Region. Projekt-Kern ist das Wohnangebot mit 19 Plätzen sowie einer Notfallwohnung für die kurzfristige Unterbringung. Nach einer ersten Stabilisierungsphase mit psychosozialer Begleitung, tagesstrukturierender Arbeit und Qualifizierung im Hauswirtschafts- oder Handwerksbereich werden die Betroffenen wieder fit gemacht für ein selbstständiges Leben. Nach einem Jahr sollten sie wieder auf eigenen Füßen stehen. MAC

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Uli Stein hilft Obdachlosen

Wohnglück + 13.8OO Wohnungen + Durchschnittskaltmiete von 5,76€ pro m2 + über 7O% geförderter Wohnraum + nachhaltige Entwicklung der Stadt + ein Herz für unsere Mieterinnen & Mieter

hanova.de

Hannover-Langenhagen. Die Uli Stein-Stiftung für Tiere in Not unterstützt jetzt unsere Freunde von der Obdachlosenhilfe Hannover mit regelmäßigen Tierfutterspenden und Hundezubehör. Hintergrund: Viele Obdach- und Wohnungslose brauchen den bedingungslosen Kontakt zu Hunden, um stabil zu bleiben. Bei jeder Essensausgabe der Obdachlosenhilfe können Bedürftige jetzt von der Stiftung gestellte hochwertige Tiernahrung beziehen. Die Uli Stein-Stiftung für Tiere in Not setzt dabei auf eine langfristige Kooperation. Futterspenden können dafür nach Terminabsprache im Büro der Stiftung abgegeben werden. Außerdem werden ehrenamtliche HelferInnen für die Ausgabe für mittwochs und donnerstags gesucht. Kontakt zur Stiftung via Tel.: 0511 – 72616-46 oder E-Mail: info@ ulistein-stiftung.de. MAC


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Foto: G. Biele

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MARCOS CHANCE Langzeitarbeitslosen wieder eine Perspektive geben – das ist das Ziel des Jobcenters Region Hannover. Mit dem Förderinstrument »Teilhabe am Arbeitsmarkt« soll das gelingen und mehr als 1.000 Langzeitleistungsbezieher dauerhaft zurück in den Berufsalltag führen. »Super netter und freundlicher Waschservice, auch für E-Bikes«, »Sehr professionelle Fahrradwäsche, freundliches Personal«, »Schnell, unkompliziert und ordentlich«. So beschreiben die Kunden den Service in der Fahrradwaschanlage der Radstation 1 am Hauptbahnhof Hannover. Verantwortlich dafür ist unter anderem Marco Schaper. Seit Oktober 2018 arbeitet der 49-Jährige in der Radstation, die von der Suchthilfeberatung STEP (Sozialtherapeutische Einrichtung und Pädagogik) in Kooperation mit dem Jobcenter Region Hannover und der

Landeshauptstadt betrieben wird, und sorgt dort als sogenannte 16i-Kraft für zufriedene KundInnen und saubere Fahrräder. »Wir bieten hier eine Dienstleistung an, und die muss man eben so gut wie möglich machen«, betont Marco. Um die Räder aber richtig sauber zu bekommen, reicht der automatische Waschvorgang alleine meist nicht aus. Deshalb reinigt Marco die Fahrräder zusätzlich mit Schwamm, Lappen, Bürsten, Schaum und Wasser per Hand und mit viel Körpereinsatz vor. Gründlich und mit Sorgfalt.


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Für Rainer Göbel, Mitglied der Geschäftsführung Jobcenter Region Hannover, ist das Förderinstrument »Paragraph 16i SGB II - Teilhabe am Arbeitsmarkt« eines der hilfreichsten Integrationsprogramme, die er während seiner bisherigen Tätigkeit in der Agentur und im Jobcenter erlebt hat.

Foto: Jobcenter Region Hannover

Ziel des 16i-Förderprogrammes ist es, Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um den Weg für eine unbefristete Anstellung nach Ablauf des geförderten Arbeitsvertrages zu ebnen. Für die Langzeitarbeitslosen besteht der Vorteil darin, dass sie sich während der Förderung über einen längeren Zeitraum mit den speziellen Arbeitsprozessen wieder vertraut machen können. Eigentlich ist Marco gelernter Bauschlosser. Eine Weile hat er in seinem Beruf auch gearbeitet. Bis irgendwann seine Vorliebe aufgeflogen ist. »Mein Chef hat herausgefunden, dass ich Heroin mag. »Wünschenswert Das kam nicht so gut an. Er hatte mir dann angewäre aber ein Instruboten, eine Therapie zu ment, welches eine machen. Clean hätte ich Förderung fortsetzt, dort weiterarbeiten könsollte nach den fünf nen, doch ich wollte das Jahren keine Übernahnicht«, erzählt er. Dennoch kam für Marco ein me am ersten ArbeitsLeben ohne Arbeit nicht markt erfolgen.« in Frage. »Nachdem ich Lars Niggemeyer, Referent für Arin der Firma entlassen beitsmarkt- und Sozialpolitik, DGB. wurde, habe ich immer versucht zu arbeiten. Meist in Zeitarbeitsfirmen und so«, bemerkt der 49-Jährige. Marco ist substituiert im Heroinprogramm und muss morgens und abends zur Vergabestelle. Weil er dadurch zeitlich gebunden ist, war es für ihn oft schwierig, einen festen Job zu finden. »Ich wollte aber unbedingt was machen. Deshalb habe ich mich dann beim Jobcenter gemeldet. Darüber habe ich die Stelle in der Radstation bekommen.

Zuerst als Ein-Euro-Jobber im Parkhaus, seit März vergangenen Jahres habe ich die 16i-Stelle in der Fahrradwaschanlage. Der neue Paragraph 16i zum SGB II ist Anfang 2019 an den Start gegangen und ist eine Ergänzung zum Teilhabechancengesetz (THCG). Damit können langzeitarbeitslose Menschen, die innerhalb der vergangenen sieben Jahre mindestens sechs auf Grundsicherung angewiesen waren, bis zu fünf Jahre gefördert werden, wenn ein Arbeitgeber ihnen ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis anbietet. Die ArbeitgeberInnen selbst erhalten dafür einen Lohnkostenzuschuss in mehreren Stufen. In den ersten beiden Jahren beträgt der Zuschuss 100 Prozent der Lohnkosten, in den darauffolgenden Jahren verringert sich der Zuschuss jeweils um zehn Prozent. Verpflichtend ist zudem ein beschäftigungsbegleitendes Coaching für mindestens ein Jahr. »Wenn es bei Langzeitarbeitslosen zu Abbrüchen kommt, dann meistens innerhalb der ersten zwölf Monate. Am Anfang ist die Motivation oft sehr hoch, da klappt noch alles. Die Probleme stellen sich dann in der Regel erst nach den ersten drei Monaten ein. Wir wollen die Abbrüche aber so gering wie möglich halten oder gar ausschalten. Deshalb ist das Coaching gerade im ersten Jahr für uns elementar wichtig«, begründet Rainer Göbel, Mitglied der Geschäftsführung Jobcenter Region Hannover, die Verpflichtung zum Coaching. Lars Niggemeyer, Referent für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beim DGB sieht in diesem Programm »Teilhabe am Arbeitsmarkt« einen großen Vorteil gegenüber den bisherigen Fördermaßnahmen: »Im Vergleich zu anderen Instrumenten, wie beispielsweise den Ein-Euro-Job, wo man nur ein halbes Jahr beschäftigt ist, haben die Langzeitarbeitslosen hier schon mal eine längere Perspektive. Wünschenswert wäre aber ein Instrument, welches eine Förderung fortsetzt, sollte nach den fünf Jahren keine Übernahme am ersten Arbeitsmarkt erfolgen«, merkt Niggemeyer an. Zudem könne die Ausschöpfung des Instruments noch erheblich verbessert werden. Auch ein


Zahlen Daten Fakten Aktuell gibt es im Hartz-IV-System in der Region Hannover etwa 80.000 erwerbsfähige Leistungsbeziehende. Über 58.000 von ihnen gehören zu den sogenannten LangzeitleistungsbezieherInnen und erhalten seit mehr als zwei Jahren ALG II. Rund 27.000 Menschen sind seit sieben Jahren oder länger auf Unterstützung angewiesen. Seit Januar 2019 hat das Jobcenter Region Hannover für 1.017 Leistungsberechtigte »Teilhabe am Arbeitsmarkt« bewilligt, 155 davon in diesem Jahr. »Aktuell haben wir eine telefonische Beratungsaktion für rund 3.000 Kunden (Langzeitleistungsempfänger). Pro Woche gehen derzeit etwa fünf Arbeitnehmer in das Förderprogramm, sprich, sie finden eine Stelle«, erklärt Rainer Göbel, Mitglied der Geschäftsführung vom Jobcenter Region Hannover. Arbeitgeber, die Interesse haben, ebenfalls an diesem Programm teilzunehmen, erreichen das Jobcenter unter der Telefonnummer 0511 – 6559-2222 oder per E-Mail über region-hannover.arbeitgeberfoerderung@jobcenter-ge.de. Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite www.jobcenter-region-hannover.de/ teilhabe. Grundsätzlich ist jede sozialversicherungspflichtige Tätigkeit möglich. GB

Grit Biele/StreetLIVE*

Für eine Komfort-Fahrradwäsche warten die Kunden auch gerne mal etwas länger an der Waschanlage der Radstation. Qualität, die sich lohnt.

*StreetLIVE ist eine Kooperation von und

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lich. Wenn man die Situation kennt, dass Marco substituiert ist – vor diesem Hintergrund – einfach faszinierend, was er da leistet. Da stehen viele Leute mit ihren Fahrrädern und er macht das immer richtig gründlich«, schwärmt Maik Klingenberg, Arbeitsanleiter bei der STEP. Und auch Marco ist von seinen Vollzeitjob begeistert. »Ich kann hier mehr oder weniger machen, was ich will und wie ich es will. Es läuft alles. Wir haben begeisterte und zufriedene Kunden und auch sehr viel Wertschätzung. Und ich kann morgens und abends zur Vergabe fahren«, so der 49-Jährige. Im ersten Jahr seiner 16i-Stelle konnte Marco bereits seine gesamten Schulden und Außenstände abbezahlen. Mittlerweile übernimmt er sogar die Miete für sein Zimmer im Wohnheim selbst. Und sein nächstes Ziel? »Eine Wohnung suchen und finden. Und wenn das dann erledigt ist, dann ist eigentlich alles optimal.« Fast, denn: »Ich würde nach den fünf Jahren natürlich gerne hier weitermachen. Es kann aber auch sein, dass, wenn der Vertag ausläuft, es heißt, das war es dann. Dann muss ich mir halt wieder was anderes suchen.«

Foto: G. Biele

größeres direktes Engagement der Stadt Hannover würde sich Niggemeyer wünschen: »Bisher wird nur ein geringer Teil aller 16i-Teilnehmer dort beschäftigt, obwohl die Stadt eine eigene Beschäftigungsgesellschaft mit viel mehr Potential hat.« Um möglichst viele Langzeitleistungsbezieher wieder in den Arbeitsmarkt zu führen, müssen viele Beratungsgespräche geführt werden. Sowohl mit potentiellen Arbeitnehmern als auch mit Arbeitgebern. Mehr als 14.000 waren es bereits in den ersten eineinhalb Jahren. Dafür hat das Jobcenter frühzeitig eine eigene Abteilung aufgemacht. »Wir haben spezielle Job-Akquisiteure, die sich nur um das Förderprogramm kümmern. Die Arbeitgeber beraten. Manchmal auch dahingehend, dass sie Stellen schaffen, die die Arbeitgeber so vielleicht noch gar nicht hatten«, erzählt Göbel. Die potentiellen ArbeitnehmerInnen bekommen unter anderem eine Eins-zu-Eins-Betreuung, Hilfe bei den Vorbereitungen auf ein Bewerbungsgespräch und Unterstützung während der Gespräche. Auch ein Praktikum im Vorfeld einer Anstellung macht das Jobcenter möglich. Viel Wert wird bei den Langzeitarbeitslosen vor allem auf die Freiwilligkeit und die Motivation gelegt. »Da wir sehr viel Geld in den Kunden investieren, ist uns das schon sehr wichtig«, merkt Göbel an. Bei dem gelernten Bauschlosser waren Interesse und Motivation von Anfang an groß. Das schlägt sich auch in seiner Arbeit nieder. »Marco ist der Hammer. Ich bin wirklich ganz begeistert. Er ist fleißig, er ist zuverlässig. Es ist wirklich unglaub-

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AUS DER SZENE

Obdachlose wieder auf die Straße Hannover. Der »Urlaub von der Straße« endet – nach zwischenzeitlicher Verlängerung – endgültig am 15. Juli: Stadt, Region und Land werden die besondere Unterbringung von Obdachlosen in der Jugendherberge (DJH) von Hannover dann nicht fortführen. Das hat Regionssozialdezernentin Andrea Hanke im Sozialausschuss der Region mitgeteilt. Und gleichzeitig in Aussicht gestellt, dass es zumindest mittelfristig eine verbesserte Unterbringung gegenüber der Vor-Corona-Zeit geben könnte. Bis das soweit ist, müssen die in der DJH lebenden, rund 100 Obdachlosen aber zunächst wieder auf die Straße und zurück in die Massenunterkünfte wie beispielsweise am Alten Flughafen. Erst im Herbst solle ein neues Konzept vorgelegt werden, so Hanke und ihre Kollegin Konstanze Beckedorf von der Landeshauptstadt unisono. Umsetzung: voraussichtlich nicht vor Ende des Jahres. Auch das Diakonische Werk hat ein eigenes Folgekonzept namens »ZwischenRaum« in Arbeit. Soviel ist davon bereits bekannt: Anstelle von Massenunterkünften soll es um eher kleinere Einheiten mit rund 10 Plätzen gehen – mit ambulanter Schuldner-, Sucht-, und psychosozialer Beratung vor Ort. Damit die Menschen auch mal zur Ruhe kommen könnten. Auch das ZwischenRaum-Konzept aber wäre wohl nicht bereits ab Mitte Juli umsetzbar. Aber zumindest sei es eine Perspektive, die sei für die Obdachlosen besonders wichtig, warb Diakoniechef Rainer Müller-Brandes im Ausschuss. Der geregelte Tagesablauf, die Einzelzimmer, die gute Versorgung vor Ort habe viele bis dahin verschlossene und misstrauische Obdachlose in den letzten Wochen aufblühen lassen. »Wir müssen jetzt Hoffnung geben«, so Müller-Brandes. Nach anfänglich einhelligem Lob für die bisherige Interimslösung in der Jugendherberge kritisierten Regionsparlamenta­ rier die nun fehlende Anschlussunterbringung scharf. »Es kann keine Option sein, die Menschen jetzt vor die Tür zu setzen«, mahnte Sinja Münzberg von den Grünen. Der Linke Michael Fleischmann kritisierte, dass Housing-First-Konzepte in Stadt und Region bisher mit zu wenig Engagement verfolgt würden. Das räche sich jetzt. Und auch Michaela Michalowitz (CDU) mahnte, es sei wichtig, zumindest nicht grundsätzlich wieder »alte Wege zu beschreiten«. Das aber erscheint aus finanziellen Gründen offenbar nicht einfach. »Allein die Region hat für die Unterbringung in den vergangenen drei Monaten 340.000 Euro aufgewendet«, betonte Sozialdezernentin Hanke. Stadt und Land haben weitere Drittel der Kosten übernommen. Sprich: Für eine langfristige Unterbringung mit der Qualität der Jugendherberge fehlt offenbar allenthalben das Geld. »Urlaub« war gestern. MAC

Spielsachen für bedürftige Kinder Im Rahmen des #geMAInsamstarkMonats konnten Fans Spiele und Spielsachen in den 96-Fanshops abgeben. Gesammelt wurde den gesamten Monat Mai über, wobei am Ende mit über 200 Spielsachen eine beträchtliche Anzahl zusammenkam. Alle Spielsachen wurden zusammen mit einem Mitarbeiter von Hauptpartner Clarios in das Familienzentrum in Mühlenberg gebracht, wo sich nun die Kinder über viele neue Spiele freuen können. Dort werden die Spiele nach Altersgruppe sortiert und an Familien weitergegeben, die sich Spiele nicht ohne Weiteres leisten können. Neben dem Abschluss des Aktions­ monats stand der jährliche Christopher Street Day an, für den Hannover 96 mit 96plus die Schirmherrschaft innehat. Aufgrund des Verbotes von Großveranstaltungen fand der CSD dieses Jahr in digitaler Form statt. Am 31. Mai startete um 14 Uhr der Livestream auf Youtube, wo rund 40 Organisationen aus der Stadt digital Botschaften übermittelten. Natürlich war auch 96plus vertreten. Wir bedanken uns bei allen Fans für die Vielzahl an Spielen, bei den Beteiligten des CSD und bei unserem Hauptpartner Clarios für die Unterstützung. Ohne Euch wären Aktionen wie diese nicht möglich!


Gefühlt ist es für mich eine Ewigkeit her, dass einmal ein anderes Thema als Corona die Medienlandschaft beherrscht hat. Ich kann es wirklich nicht mehr hören, wer alles etwas zu diesem Thema zu sagen hat. Wie oft habe ich gedacht, es sind eigentlich ganz selten die Betroffenen, die zu Wort kommen, meistens sind es die, die sowieso alles besser wissen. Und am lautesten beklagen sich oft die, die wahrlich keinen Grund haben. Ich will nicht mehr!!!! Ich möchte mich wieder freuen. Ich möchte wieder, dass schöne Ereignisse mein Leben bestimmen. So freue ich mich natürlich über die Lockerungen nach den Corona-Einschränkungen; vor allem aber über den Sommer, der scheinbar endlich mit warmen Temperaturen im Anmarsch ist. Gehe in »meinen« Biergarten, bekomme einen Kaffee und im Moment ein ganz leckeres Spargelcreme-Süppchen, das ich neben meiner Magensonde wirklich genießen kann. Sitze ganz gemütlich im Sonnenschein, lese die Tageszeitungen und erfreue mich des Lebens. Und dass Sie, meine lieben Leserinnen und Leser, sich auch über etwas Schönes freuen können, über einen Besuch im Freibad oder einen Spaziergang im Freizeitpark oder im Biergarten auf ein Bier anstoßen oder, oder, oder … das wünsche ich Ihnen in diesem Corona-Sommer 2020. Na, dann ab in den langersehnten Sommerurlaub! Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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BRIEFE AN UNS

Zu Asphalt 06/20 »Deal der Generationen« 2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

Kinder waren solidarisch

Asphalt ist super! Es braucht die Meinungspluralität und Solidarität ist keine ARTEN OHNE SCHUTZ? Einbahnstraße. Nicht nur wer kleine Kinder hat, weiß, was Generationenkonflikt bedeutet. Deshalb ist auch Margot Käßmann super. Die Kinder haben sich monatelang solidarisch gezeigt und ein halbes Schuljahr verloren. Insofern verstehe ich das Angebot Käßmanns als Generationenverständigung. Wer Sorge hat, bleibt ja auch jetzt bereits zu Hause. Daniel Gardemin, Hannover

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LEISES LAND

URLAUB IM OBDACH

CORONA-KRISE

Vögel und Insekten sterben aus.

Hannovers Obdachlose können frei atmen.

Margot Käßmann will Generationen-Deal.

Eine Unverschämtheit Die Aussage, die Älteren seien »mehrheitlich die Luxusgeneration«, die es so gut hatte wie keine Generation vorher und keine danach, trifft vielleicht auf junge SeniorenInnen, die ein erfolgreiches Berufsleben hatten zu, aber nicht auf die unzähligen SeniorInnen, die von Grundrente etc. leben müssen, die zum Teil noch arbeiten gehen müssen. Genauso wenig trifft Ihre Aussage auf die vielen über 80 in den Pflegeheimen zu, die noch Krieg und Nachkriegszeit erleben mussten. Weiter ist völlig unverständlich, wie eine Führungsperson des christlichen Lebens schreiben kann, wir seien »jetzt von den wirtschaftlichen Folgen der Krise zudem am wenigsten betroffen«. Für uns ist es eine Unverschämtheit, in einer Zeit, in der bundesweit an die 800.000 Menschen wegen Corona und zum eigenen Schutz isoliert wurden, gerade von diesen Mitmenschen besondere Opfer zu fordern. Nein, wenn es jetzt Lockerung gibt, dann erst recht für die Alten und Kranken, soweit dies Virologen empfehlen. Erika Lohe-Saul, Göttingen

Sorge um Enkel Mein Mann und ich sind jetzt 75 und 72 Jahre alt. In unserem langen Leben haben wir nur wenige wirklich schwere Entbehrungen erleiden müssen. Für all die Jahre, die wir hatten, wollen wir Gott danken. Wie wir auch für unsere Kinder und Enkel danken wollen, um die wir uns große Sorgen machen. Unsere Jüngste hatte es nach einem Unfall nicht leicht, Anschluss zu finden. Die wenigen Kinder, die offen für gehandicapte Kinder sind, sind nun in der Coro­ nazeit für sie unerreichbar. Das Mädchen leidet da­ runter. Das bekümmert uns sehr. Vielen Dank für die klaren Worte. Auch wir würden ganz sicher in den Generationenvertrag einwilligen. Wir sind sicher, dass wir nicht die einzigen sind. Johanna Koslowski, Garbsen

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Das passt zusammen »Wenn ich wüsste, dass die Kleinen und Jüngeren wieder rauskönnen, wenn wir, die über Sechzigjährigen, die Risikogruppen, zu Hause blieben, wenn das der Deal wäre, dann würde ich mich darauf einlassen«, sagte Käßmann. Sehe ich genauso und habe die Entrüstung darüber nicht verstanden. Ebenso hat sich Frau Käßmann sehr vehement gegen die Besuchssperre in den Pflegeheimen ausgesprochen und das passt beides zusammen. Ute Wrede, Hannover

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Einsamkeit im Alter

Was das kostet

Zunächst möchte ich sagen, dass ich den positiven Ansatz darin erkenne und stimme insoweit zu, als auch wir als älteres Ehepaar alles zu vermeiden suchen, was zu einer Infektion führen kann. Die Wissenschaft bemüht sich intensiv, die Wirkung des Virus zu verstehen und befindet sich in vielem noch in den Anfängen des Verständnisses. So ist beispielsweise durchaus nicht abschließend geklärt, ob Kinder und junge Menschen nicht lebenslange Nebenwirkungen einer an sich leicht verlaufenden Infektion davontragen. In dieser unklaren Situation radikale Ansätze, die sich in der Aussage »ältere Menschen sollten zugunsten der Kinder zu Hause bleiben« finden, ins Spiel zu bringen, halte ich für bedenklich. Der Satz kann und wird von vielen so verstanden werden, dass ältere Menschen in Isolation kämen. Da derzeit niemand sagen kann, wie lange die Epidemie anhalten wird, kann das ein Jahr und mehr bedeuten. Einsamkeit im Alter ist schon in normalen Zeiten ein erhebliches Problem, das sich unter den gegebenen Umständen erheblich verschärft. Diese Menschen sind durchaus noch geistig, mental und körperlich aktiv. Man muss sich die Auswirkungen auf ihren weiteren Lebensmut vor Augen halten. … Welches Gedankengut geweckt werden kann, hat man an den vielfach positiven Reaktionen auf die Einlassung von Herrn Palmer feststellen können. Bedenklich finde ich auch, dass Frau Käßmann ihre persönliche Bereitschaft verallgemeinert, indem Sie explizit Personen, wie Herrn Ströbele, und damit auch andere ansprechen und damit in gewisser Weise für andere vorgeben. Dass ich die Haltung von Herrn Ströbele nicht teile, spielt hierbei keine Rolle. Ulf Weingarten, Heikendorf

Klingt ja alles schön und gut, würde ich den Obdachlosen auch gönnen, weiter in der DJH zu wohnen. Aber hat schonmal jemand gecheckt wie viel das kostet? Hat Hannover das Geld? Würde mich wundern! K. Bach, Hannover

Krieg um Köpfe Mit guten Argumenten gegen Verschwörungsfanatiker und Rechtsextremisten Haltung zeigen zu wollen, ist ja ehrenhaft. Aber wer glaubt heutzutage noch an den Erfolg von Argumenten? Faktenchecks müssen her, und die absichtliche Verbreitung von Fakenews muss von den sozialen Netzwerkbetreibern aktiv bekämpft werden. Doch die Politik setzt dafür offenbar entweder viel zu wenig Anreize oder zu wenig Strafen bei Nichtbefolgung von rechtlichen Vorgaben. Jedenfalls ist das Netz voll und daher füllen sich jetzt auch die Plätze mit Hildmann und seinen Jüngern. Wahrscheinlich ist der Krieg um die Köpfe schon längst verloren. Carola Krieger, Langenhagen

2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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Zu Asphalt 05/20 »Helden der Straße«

Vorbild statt Held

Mit der fettgedruckten Überschrift »Helden der Straße« wurde ein Begriff verwendet, der für das eigentlich Gemeinte unpassend ist. Leider werden in der Alltagssprache immer wieder unreflektiert und kritiklos übernommene Begriffe und Schlagworte verwendet, die von Teilen der Medien und den sozialen Netzwerken aufgenommen und massenhaft weiter verbreitet werden. Auch an Senioren- und Pflegeheimen in Hannover sind plakative Spruchbänder angebracht mit Aufschriften wie »Dankeschön ihr Pflegehelden«, womit man dem Pflegepersonal wirklich keinen guten Dienst erweist. Denn es handelt sich hier um Menschen, die für ihre geleistete Arbeit besondere Wertschätzung der Gesellschaft verdienen, wozu u. a. auch eine angemessene Bezahlung gehört. Im traditionellen Sprachgebrauch sind Helden Ausnahmefiguren, die auf ein Podest gehoben werden, wo sie für den gewöhnlichen Menschen unerreichbar sind und nur bewundert werden können. In dem hier angesprochenen wichtigen Asphalt-Beitrag sind jedoch Menschen gemeint, die sich beispielgebend, vorbildlich und uneigennützig verhalten. Daher dienen sie im Unterschied zu den unerreichbaren, glorifizierten Heldenfiguren als Orientierung für alle anderen Menschen, die ihnen nacheifern und ihr gutes Werk weiterführen können. Hans-Georg Wendland, Hannover WIR SIND DA!

HELDEN

ENGEL

MUSIKER

Wer in der Krise die Obdachlosen stützt.

Mehr Würde durch Kamm und Schere.

Thees Uhlmann über Ruhm und Hosen.

Vielen Dank für Ihre Meinung! Die Redaktion behält sich vor, Briefe zur Veröffentlichung zu kürzen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Absenderadresse anzugeben. Leserbriefe an: redaktion@asphalt-magazin.de oder postalisch: AsphaltMagazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover.

ASPHALT 07/20

Zu Asphalt 06/20 »Pilotprojekt planen!«

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»ALLES GELAUFEN« Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Fred (64). Hallo Fred, du bist Asphalt-Verkäufer der ersten Stunde.

Wie ging es dann mit dir und deinen Kindern weiter?

Ich bin jetzt im 26. Jahr. Letzten Dezember dachte ich, dass ich aus gesundheitlichen Gründen aufhören muss. Das hatte ich auch in meinem Weihnachtsgruß in der Asphalt geschrieben. Aber: Nur zuhause sitzen, das kann ich auch nicht. Ich habe meine Leute, meine Stammkunden, mit denen ich mich unterhalte, die brauche ich. Jetzt mache ich es also so: Ich gehe nur noch verkaufen, wenn es geht. Und wenn es nicht geht, geht es nicht.

Wir hatten noch ein bisschen Kontakt, dann aber 20 Jahre überhaupt keinen mehr. Seit 2018 habe ich wieder Kontakt zu meiner Tochter.

Welche gesundheitlichen Probleme hast du? Ich habe Stents drin, beide Knie sind operiert, ich habe einen angebrochenen Lendenwirbel und eine Halswirbelverengung, Arthrose. Trotzdem: Allein zuhause verblöde ich. Seit 2018 wohne ich in so etwas wie einer Seniorenwohnung, für Leute über 60, in einer Einraumwohnung. Ein Nachbar von mir macht gerade eine schwere Zeit durch. Er hat irgendwas am Gehirn, musste auch ins Krankenhaus und ist jetzt ganz wirr. Ich habe mich in den letzten Monaten viel um ihn gekümmert, er muss im Auge behalten werden, er ist ja auch einsam. Manchmal haut er sogar ab. Ich habe nach ihm gesehen, ihm Essen gebracht, aufgeräumt … bis nach ca. vier Wochen endlich der Pflegedienst kam.

Hört sich nach einer sozialen Ader an … (lächelt)

Sag mal Fred, ursprünglich kommst du aber nicht aus Hannover, oder? Das höre ich doch … Brandenburg? Ja, aus Angermünde. Da, wo ich direkt her bin, zieht mich nichts mehr hin, aber nach Usedom. Jedes Jahr im Juni und im August fahre ich da Freunde besuchen, die habe ich schon ewig. Ich war als Kind schon auf Usedom, nachher, noch zu Ost-Zeiten, auch beruflich, auf Montage. Irgendwann bin ich dann mal wieder dahin und habe geguckt, ob meine Freunde da noch wohnen – und da waren sie noch.

Und wie kamst du nach Hannover? Das war irgendwie ein bisschen dumm. Januar ´90 war das. Ich habe eine Postkarte von meiner Geschiedenen mit den Kindern aus Hannover gekriegt, wir wohnten damals nicht mehr zusammen, wollten aber eigentlich zusammen in den Westen. Sie sind dann einfach ohne mich los und haben eine Postkarte aus Hannover geschickt. Ich hinterher, um sie zu suchen, wollte ja bei meinen Kindern sein. Und irgendwann kam raus, dass sie hier nur auf der Durchreise waren und längst in Bergisch Gladbach wohnten. Sie waren bloß zwei Stunden in Hannover, aber ich bin dann hier hängengeblieben.

War es aufregend, sich nach 20 Jahren wiederzusehen? Ja. Ich hatte auf einmal eine Freundschaftsanfrage bei Facebook. Da stand: »Du bist wahrscheinlich mein Papa.« Da war erst mal alles gelaufen, da war ich platt. Sie kam mich dann ziemlich schnell besuchen und ich war auch schon bei ihr. Vielleicht fahre ich bald mal wieder zu ihr. Ist geplant.

Springen wir noch mal in der Zeit zurück: Wie ging es damals weiter, als du durch Zufall in Hannover gelandet bist? Hier ist einiges passiert. Direkt zu Beginn, ich sollte gerade Arbeit kriegen, wurde ich von einem Auto angefahren. Fahrerflucht: Knie total zertrümmert, 14 Wochen Krankhaus mit Reha. Als Maurer konnte ich dann nicht mehr arbeiten. So kam ich zu Asphalt. Dann habe ich eine neue Lebensgefährtin gefunden, aber ´96 gab es einen Wohnungsbrand bei uns, nachts um halb vier. Sie war gerade nicht in der Wohnung, ich bin wohl aus dem Fenster gesprungen, sechseinhalb Meter tief. Erinnern kann ich mich nicht. Ich hatte eine schwere Rauchvergiftung, lag acht Wochen im künstlichen Koma und hatte überall Verbrennungen. Aus den Beinen haben sie mir Haut verpflanzt. Bei dem Sprung aus dem Fenster habe ich mir wohl auch den Lendenwirbel angebrochen, das kam erst zwei Jahre später beim Orthopäden raus. Laufen musste ich erst wieder lernen. Meine Lebensgefährtin hat mich unterstützt, ´97 ist sie aber verstorben, sie war sehr krank. Zwischendrin, von 2001 bis 2003, habe ich neben Asphalt noch als Hausmeister gearbeitet. Naja, so ein Glück, wie ich habe: Arbeitsunfall, von der Leiter geknallt, mit dem Knie in die Ecke, da wurde mir die halbe Kniescheibe weggenommen. Mittlerweile bekomme ich seit 14 Jahren Erwerbsunfähigkeitsrente und bin zu 80 Prozent als schwerbehindert eingestuft.

Viele Schicksalsschläge. Wie hast du es geschafft, daran nicht zu verzweifeln? Weiß ich auch nicht genau, aber es hat auch mit Asphalt zu tun. Ich wollte immer wieder raus, zu meinen Kunden, Asphalt verkaufen.

Wenn du einen Wunsch freihättest, welcher wäre das? Ein E-Bike wäre toll. Ich fahre gerne Fahrrad und das fällt mir leider immer schwerer, sobald die Landschaft nicht ganz flach ist. Wenn ich eine elektronische Unterstützung hätte, könnte ich auch mal weitere Touren fahren. Interview und Foto: Svea Müller


ASPHALT 07/20

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Fred verkauft Asphalt vor dem »E-Center Wucherpfennig« in Hannover-Ricklingen.


RUND UM ASPHALT

Foto: G. Biele

Pflichtlektüre für Politiker?

Löwen spenden »We serve – Wir helfen da, wo der Staat nicht oder nur unzureichend hilft« – unter diesem Motto steht das gesamte Handeln des Lions Club Hannover-Tiergarten. Seit über 50 Jahren gibt es den Club schon, viele soziale Einrichtungen und Bedürftige, sowohl im In- als auch im Ausland wurden bereits bedacht. Und jetzt gab es auch was für Asphalt. Gemeinsam mit Prof. Rainer Bernd Voges und Detlev Lehner überreichte der Präsident des Clubs Jürgen Hinneburg einen Spendenscheck an Asphalt-Vertriebsleiter Thomas Eichler. »Gerade jetzt, während der Corona-Krise, sind die Zeiten für Obdach- und Wohnungslose besonders schwer. Deshalb haben wir uns entschlossen, diese Menschen mit 500 Euro zu unterstützen«, erklärt Hinneburg. Vielen Dank dafür. GB

Asphalt für alle – 43 Ratsmitglieder, das fordert Die Partei im Stadtrat von Celle und hat jetzt ganz offiziell einen Antrag auf ein monatliches Abo des Asphalt-Magazins »als Zeichen der Solidarität« auf den Weg gebracht. »Nicht nur angesichts der Covid-19-Pandemie halten wir es für notwendig, unseren Blick auch auf diejenigen zu richten, welche von all den Milliardenpaketen der Regierung am allerwenigsten profitieren: obdachlose Mitmenschen«, so der Parteivorsitzende und Celler Ratsmitglied Dirk Gerlach. Zwar sei das »geforderte Abonnement der Zeitschrift Asphalt ... noch sehr viel weniger als der berühmte ›Tropfen auf den heißen Asphalt‹«, doch gehe es dabei »nicht allein um die finanzielle Aufmerksamkeit«. Die mit dem Asphalt-Kauf »einhergehenden Informationen sollten uns PolitikerInnen im Rat dabei helfen, die Sorgen und Nöte obdachloser MitbürgerInnen besser zu verstehen und in unsere Arbeit mit einzubeziehen«, so Gerlach weiter. Wir vom Asphalt-Magazin begrüßen diese Ratsinitiative und empfehlen sie selbstredend allen Kommunalparlamenten zwischen Ems und Elbe, Nordsee und Südharz. MAC

Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei Verkäufer­Innen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Hellgrün

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Geschäftsführung: Georg Rinke Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Ute Kahle, Ulrich Matthias, Svea Müller Gestaltung: Maren Tewes Kolumnistin: Karin Powser Freie Autoren in dieser Ausgabe: J. Piquardt, B. Pütter, W. Stelljes, A. Timmann, K. Zempel-Bley Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Janne Birnstiel (Assistentin der Geschäftsführung), Heike Meyer

Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Ute Kahle, Kai Niemann Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Fax 0511 – 30 12 69-15 Vertrieb Göttingen: Telefon 0551 – 531 14 62 Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1 redaktion@asphalt-magazin.de

vertrieb@asphalt-magazin.de goettingen@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Online: www.asphalt-magazin.de www.facebook.com/AsphaltMagazin/ www.instagram.com/asphaltmagazin/ Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 26.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 22. Juni 2020 Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung nur, wenn Porto beigelegt wurde.

Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus. Gesellschafter:

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


Foto: U. Kahle

Mousse T., Musikproduzent

Danke von den Neuen n

Asphalt-Verkäufer Stefan Marx: Im Namen aller ehemaligen Tagessatz- und jetzt neuen Asphalt-Verkäufer und -Verkäuferinnen aus Göttingen und Kassel möchte ich ein ganz dickes Danke sagen. Die Lebensmittelgutscheine der vergangenen Wochen waren für mich und viele meiner Verkaufs-Kollegen die Rettung, da wir bei Corona ja wochenlang nicht verkauft haben und froh sind, dass wir jetzt wieder eine Straßenzeitung verkaufen können. Ich freue mich sehr, meine neuen und alten Kunden wieder zu sehen. Seit März erscheint Asphalt neu in einer eigenen Asphalt-Tagessatz-Ausgabe.

O-To

»Mir gefällt das Konzept von Asphalt und ich mag die Idee, mit dem Lesen von Asphalt eine sinnstiftende Unterstützung zu leisten. Mein Exemplar kaufe ich meist in Bahnhofsnähe, da ich häufig mit dem Zug unterwegs bin und Asphalt als Reiselektüre schätze.«

Korrektur In unserer Juni-Ausgabe haben wir auf Seite 20 in einem Zitat aus dem Ratsherrn Robert Nicholls den sozialpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion gemacht. Das Zitat ist korrekt, die Funktion nicht. Robert Nicholls ist der sozialpolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion von Hannover. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. MAC

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… mehr als eine gute Zeitung!

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Foto: Jens Koch

»Asphalt ist Reiselektüre«

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Wer befürchtet, bei einer Covid-19-Erkrankung gegen den eigenen Willen künstlich beatmet zu werden, sollte sein »Nein« in einer Patientenverfügung formulieren. Darauf weist die Verbraucherzentrale Niedersachsen hin. »Die Corona-Krise macht uns die Gefahr einer schweren Erkrankung bewusst«, sagt Kai Kirchner, Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Niedersachsen. »Sie ändert aber nichts an den grundsätzlichen Empfehlungen für Patientenverfügungen.« Seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2016 sei klar, dass der Ausdruck »keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu wünschen«, allein zu ungenau ist. In der Patientenverfügung müssen deshalb die Behandlungssituationen beschrieben und jeweils festgelegt werden, welche lebenserhaltenden Maßnahmen gewünscht oder abgelehnt werden. Typischerweise beziehen sich Textbausteine und Formulare auf den unmittelbaren Sterbeprozess, das Endstadium unheilbarer Erkrankungen, schwere Gehirnschädigungen und Gehirnabbauprozesse. Für diese Situationen werden lebenserhaltende Maßnahmen, künstliche Flüssigkeitszufuhr, künstliche Ernährung, künstliche Beatmung, Wiederbelebungsmaßnahmen, Dialyse und Antibiotikagabe geregelt. Der Verzicht auf eine künstliche Beatmung gelte damit nicht für eine Covid-19-Erkrankung. Wer generell künstliche Beatmung im Falle einer Erkrankung mit dem Corona-Virus ablehnt, sollte darüber nachdenken, ob er seine Patientenverfügung anpasst und dies mit einem Arzt seines Vertrauens besprechen. Mehr unter www.verbraucherzentrale-niedersachsen.de. RED

Grüne Hausnummer Privat oder im Verbund mit Wärmedämmung oder Photovoltaik etwas fürs Klima tun. Wie das geht, zeigen beispielhaft erfolgreiche Gebäudesanierungsgeschichten auf www.klimaschutz-niedersachsen.de. Die niedersächsische Landesregierung hat passend dazu jüngst ihre Effizienzstrategie für den Gebäudesektor vorgelegt. Darin stellt sie die Notwendigkeit für verstärkte Anstrengungen im Bereich der Wärmewende heraus und betont die Bedeutung der effizienten lokalen Nutzung von erneuerbaren Energien beispielsweise durch Wärmepumpen oder Solaranlagen. Auf der Netzseite der Klimaschutzagentur finden sich auch Webinare, Solar-Check, Gebäude-Check und Förderbedingungen. RED

Tipps für Schulkids Homeschooling in Corona-Zeiten macht Kinder und Jugendlichen Stress. Laut einer Forsa-Umfrage sitzen 74 Prozent der sechs- bis 18-Jährigen seit Beginn der Krise daheim viel häufiger vor dem Computer. Bei den 15- bis 18-Jährigen liegt das Plus sogar bei 85 Prozent. »Die Betreuung des Lernalltags zu Hause ist eine ganz neue Situation, die für alle Beteiligten herausfordernd und nervenaufreibend sein kann«, erklärt Franziska Klemm, Psychologin der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH). Und gibt vier Tipps: Nobody is perfect – Kein Lernen auf Knopfdruck: Zu viel Druck erhöht meist die Blockade und führt in eine Sackgasse, wenn es nicht geht, geht’s nicht. Strukturen wirken Wunder – Lernzeiten begrenzen: »Teilen Sie die Lerneinheiten in kürzere Etappen und lassen Sie Ihr Kind auswählen, in welcher Reihenfolge Aufgaben erledigt werden. Das erhöht die Motivation und mindert Stress«, so die Psychologin. Bewegte Lernpausen machen: Regelmäßige Bewegung ist lebenswichtig. Sie entlastet den Körper, lockert Muskeln und Gelenke und macht fit. Obendrein steigert sie die Konzentration und damit Lerneffekte. Am Wochenende sollte Homeschooling unbedingt pausieren. Digitale Entdeckungsreisen: Zuhause häufiger gemeinsam im Netz unterwegs sein! »Schauen Sie zum Beispiel Kindernachrichten oder lassen Sie sich von Ihrem Kind die Lieblingsinternetseite zeigen, und reden Sie im Anschluss über das Erlebte. Das fördert die Meinungsbildung und einen reflektierten Medienumgang Ihres Kindes«, so die Psychologin. RED

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Klares Nein notwendig

Foto: Evgeny Atamanenko/shutterstock.com

GUT ZU WISSEN

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JÜRGEN PIQUARDTS GENUSS DES EINFACHEN

»Durcheinander« »Ratatuuje«: Keiner weiß, wo dies für Eingeweihte Genüsse signalisierende Wort seinen wirklichen Ursprung hat. Es klingt wie durcheinander. Und das ist es auch: Ein Durch- und Miteinander von regionalen, sommerlichen Gemüsesorten. Im Juli gibts – das regt begeisternd die KöchInnen-Phantasie an – andere Gemüse in ihrer »Hochphase« als im September. Es macht Spaß und Sinn, das beim Einkaufen auf den Bauernmärkten zu berücksichtigen. Sprüche haben meine Kolumnen bisher eingeleitet. Diesmal kommen sie erst im zweiten Absatz: »Solange uns die Menschlichkeit verbindet, ist egal, was uns trennt« (Ernst Ferstl) / »Ordnung ist das Durcheinander, an das man sich gewöhnt hat« (?). Mit- und Durcheinander: Das bewegt uns seit einigen Wochen, die sich wie ewig anfühlen. Grund: Ein besonderes Virus! Ist es wirklich ein so besonderes? Das ist eine Frage, die wichtigste vielleicht. Hat nicht vieles – und vor allem das Grundsätzliche unserer modernen Menschenleben – mit Inhalten zu tun, die wir – und das vermehrt verhängnisvoll – mit unserem Verhalten, unserem Lebens»wandel« provozieren? Fast täglich habe ich – in der seit Vorfrühlingsbeginn so »bedrückend« körperlich-berührungsarmen Zeit – versucht, mich mit unseren Olivenbäumen zu unterhalten. Oft, wenn ich in zu »zügellosen« Lebensphasen zu ihnen komme, verweigern sie das Gespräch mit dem leidenschaftlichen Schüler der Olivensprache. Sie haben immer ihre Gründe dafür. Und ich beginne, diese zu begreifen. Jetzt aber, in meiner großen Hilflosigkeit, waren sie alle bereit, unabhängig von den täglichen Fehlleistungen, mich in ihren Zweigen aufzufangen. Der Stammeshäuptling des Olivenhains hat mich mit einer Antwort auf meine Frage: »Was kann uns Menschen helfen in dieser globalen Not?« tagelang warten lassen, wohl in der Hoffnung, dass ich die Antwort mitfinden könnte. Darum habe ich mich auch bemüht: Es war sehr schwer, die kontroversen Verhaltens- und Erklärungsvorschläge der Viren-SpezialistInnen mit meinen Gefühlen und mit den

olfgang Foto: W

Der bekannte hannoversche Gastronom lebt in der Provence, ist Autor, Olivenbauer und Kochanimator. Seine Gerichte: regional und saisonal. Jetzt kocht er für Asphalt. Ein Gericht zu jeder Jahreszeit.

Becker

SOMMERLICHE GEMÜSE»PFANNE«

Obrigkeitsverordnungen in Einklang zu bringen. Ich war völlig durcheinander, im Denken und Fühlen, beim Suchen. Vielleicht kann ich nun deshalb die Antwort der Olivenbäume besser verstehen. Ich versuche diese – auf meine Art – in unsere Sprache zu übersetzen: »Für und gegen alles ist ein Kraut gewachsen. Das habt Ihr leider vergessen. Für und gegen alles gibt es keine globalen, für immer wirkenden Impfstoffe. Das solltet Ihr verstehen lernen. Durch Eure Naturferne seid Ihr auf zu glatte, platte Geradeaus-Wege geraten. Ihr akzeptiert und ›produziert‹ Eigenschaften und bewundert deren Resultate oft sogar, die für uns in den Pflanzen-, Tiere-, Pilze-, Bakterien-Welten nicht vorkommen: Gier, Macht, Ungeduld, Furcht, Kummer, Zweifel, Schwäche, Ignoranz, Unruhe, Angst … und gegenwärtig oft individuell-militantes Umsetzen hilfloser, aber gutgemeinter, Anordnungen und häufig Arroganz und gleichfalls Militanz beim leider von Eurer Öffentlichkeit ausgeblendeten, aber notwendigen, Vortragen von Alternativen. Wir sind erfüllt und werden geführt von: Standhaftigkeit, Kraft, Freude, Frieden, Weltvertrauen, Verwurzelt-sein, Urverständnis. Eure lebensfroh-machenden Möglichkeiten sind ›zusätzlich‹: Mitgefühl, Phantasie, Verzeihen, Mut, Toleranz, Weisheit, Demut, Liebe … alle diese wunderbaren Seeleneigenschaften stehen Euch noch immer, auch wenn das in Euren Lebens›kämpfen‹ beängstigend verschwommener wird, zur Verfügung. Auch unsere seit 10.000 Jahren bestehende Freundschaft könnte in Gefahr geraten, wenn Ihr sie mehrheitlich phantasie- und lieblos, macht- und geldgierig strapaziert. ›Völker hört die Signale‹, die das jetzt aktive Virus schickt. Dann könnte sich das bedrückende Durcheinander Eurer Stromlinienleben zu heiterem Miteinander und liebevollem Füreinander entwickeln. Und dann: Ein bisschen Durcheinander gehört zum Leben jeder Art hin und wieder auf dieser phantastischen, kleinen Erde dazu.« »Rata­ tuuje«! Viel Freude in der Küche. Und: »natürlich«-guten Hunger!


ALEN AUS REGION R SAISON ZUTATEN DE

Für vier Hauptgerichte

Zutaten, Anteile nach Vorlieben und Verfügbarkeit: Zucchini (R, D, E) Auberginen (D – ja, in

Zwiebeln (R, D) Schmorgurken (R) Paprika (D, E) Tomaten (R, D) »Bratöl« (Erdnussöl?

Brandenburg gibt es schon größere Erzeuger, E)

Besonders wichtig: aus fairem Handel)

Knoblauch (D, E) Kartoffeln (R) Mohrrüben (R) Pastinaken? (R) Blumenkohl? (R)

Pfeffer (A) Salz (E) Thymian (E) Lorbeer (D, E) Basilikum! (E)

R = Region | D = Deutschland | E = Europa | A = Andere Erdteile

Prozedere: Es gibt zwei Varianten, die um die KöchInnen-Gunst streiten: Erste Variante (etwas leichter): Die Gemüse kommen – vorwiegend gewürfelt geschnitten – in einen mit dem sorgfältig ausgewählten Bratöl (klar, die Urrezepte von Nizza sind mit Olivenöl) in einen »Schmortopf«. Ganz, ganz wichtig dabei: Die Gemüse haben unterschiedliche Garzeiten. Also: Zuerst die Gemüse in den Topf geben, die eine längere Garzeit haben. Hier in etwa die Reihenfolge: Zwiebeln, Auberginen, Paprika, Knoblauch, Zucchini, Blumenkohl, Tomaten, Mohrrüben und Kartoffeln (müssten vorgegart werden). Immer wieder auf den »Ölstand« achten. Zweite Variante: Die Gemüse im Dämpftopf sortengerecht vorgaren. Anschlie-

ßend alles gemeinsam schmoren. Vorteil: Der Gargrad ist einfacher zu kontrollieren. Nachteil: Die Gemüse haben nicht ganz solange Zeit, den ratatouille-typischen »Gemeinschaftsgeschmack« zu entwickeln. Bei beiden Varianten: Lorbeer bereits beim Schmoren dazugeben. Würzen, mit S & P sowie Kräutern, erst in der Endphase.

Tipps: I: Kreativ sein! Fast nichts muss so sein, wie es »vorgegeben« ist. Das gilt ja ganz grundsätzlich für unsere Leben. Und nicht nur für das der KöchInnen. II: Wiederholung. Wirklich regionales Einkaufen der Hochsaisongemüse nützt dem Geldbeutel und hilft dem Bauern. Dies fast auch immer preiswerter angebotene

Gemüse kann dann vielleicht von vielen von uns beim BIO-Bauern gekauft werden. III: Verträglichkeit beachten. Gemüse, das eine, einer der Bekochten nicht mag oder nicht verträgt, auch nicht verwenden. Oder: zwei Varianten Ratatouille. Der Aufwand ist nicht viel größer. IV: Heiß und kalt. Ratatouille schmeckt wunderbar auch kalt. Unschlagbar als gesundes pique-nique (Picknick) am Strand oder in den Bergen, im Freien!

Menüvorschlag: Ratatouille mit Pellkartoffeln. Oder: Reis, Quinoa, Stampfkartoffeln, Kartoffelbrei. Vielleicht fällt den KöchInnen auch etwas ganz Besonderes ein? Dessert: Obst in seiner regionalen Hochsaison – vielleicht mit ein bisschen Sahne, oder?

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Foto: S. Müller

Ratatouille

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BUCHTIPPS Verschenkter Raum Wer sich in den Wochen des weitgehend brachliegenden öffentlichen Lebens zu Fuß oder mit dem Rad durch die Innenstädte der Region bewegte, konnte zweierlei feststellen. Erstens: Die autofreundliche Stadt ist auch ohne fahrende Autos ein feindseliger Ort. Zweitens: Sie steckt voller Potenziale der Wiederaneignung. »Traffic Space is Public Space«, Verkehrsräume sind öffentliche Räume postulieren der Architekt Stefan Bendiks und die Städtebau-Professorin Agalée Degros in ihrem aufwendig gestalteten Praxis-Band und geben bescheiden vor, »ein paar Tricks und Einsichten aus dem Berufsalltag weiterzugeben, um die Stadt und ihr Umfeld zu einem angenehmeren Ort zum Leben zu machen«. Tatsächlich sprechen sie von einer Zeitenwende: Die bevorstehende Einführung autonomen Fahrens könne die Restriktionen für Radfahrer und Fußgänger weiter verschärfen – oder es werde jetzt die »Vorherrschaft aktiver Mobilität« gesichert. Dazu Fotos und Pläne der Transformation von Verkehrsflächen in Wien, Antwerpen oder Kopenhagen. BP Stefan Bendiks, Aglaée Degros | Traffic Space is Public Space| Park Books | 224 S. | 38 Euro

Verzerrtes Denken Es geht gleich mal los mit einem Selbsttest. Anhand des Zustimmungsgrades zu fünf Aussagen lässt sich die eigene Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen bestimmen. Nach zentralen Begriffsdefinitionen sind Faktenchecks an der Reihe: Wie wahr sind klassische Mythen über Verschwörungsideologien? Und Kapitel 3 erklärt, dass uns Verschwörungsgläubige ähnlicher sind als wir denken. Mit großer Prägnanz machen die Netzaktivistin Katharina Nocun und die Psychologin Pia Lamberty klar, dass wir alle »die Veranlagung für Wahrnehmungsverzerrungen haben«, die uns Informationen falsch bewerten lassen. Die Autorinnen arbeiten sich kapitelweise durch Themenfelder und Akteursgruppen, Verbreitungskanäle und Profiteure. Verblüffend aktuell ist das Kapitel zu Verschwörungsglauben im Corona-Ausnahmezustand, inklusive eines kleinen Werkzeugkastens zum Entlarven von Falschmeldungen. Das Schlusskapitel liefert Tipps und Strategien zum Umgang mit Verschwörungsgläubigen im privaten Umfeld. »Fake Facts« ist ein bemerkenswerter »Rundumschlag« mit unglaublichem Timing. BP Katharina Nocun, Pia Lamberty | Fake Facts | Quadriga | 352 S. | 19,90 Euro

Vater und Sohn Der vielfach ausgezeichnete Comic-Künstler und SZ-Illustrator Uli Oesterle bringt im ersten Teil der »Irrfahrten des Rufus Himmelstoss« so viel Disparates in eine schlüssige Form, dass man staunt: »Vatermilch 1« ist gleichzeitig ein lässig-souveräner Pageturner im Retro-Ambiente der Münchener Disco-Ära. Es ist die Geschichte eines rasanten Abstiegs aus der Kokain- und Champagner-Glitzerwelt, die Alkoholismus und Obdachlosigkeit nicht als Kolorit oder als Klischee erzählt, sondern als existenzielle Erfahrung (recherchiert bei Selbsterfahrungen auf der Straße und bei unseren Münchener Straßenzeitungs-KollegInnen von BISS). Es ist eine Reflexion über Schuld und darüber hinaus eine »Erzählung über schwierige Vater-Sohn-Beziehungen und Wiedergutmachung«, so Uli Oesterle im Nachwort. Zu ergänzen wäre: seine eigene. Denn mehr noch als alles andere ist Vatermilch eine biografische Suche: die nach dem verschwundenen, dem abgestürzten Vater und die nach der eigenen Vaterrolle, angelegt auf mehr als 500 Seiten und vier Bände. Der erste ist im Mai erschienen. BP Uli Oesterle | Vatermilch. Band 1: Die Irrfahrten des Rufus Himmelstoss | Carlsen | 128 S. | 20 Euro


Lesung

Wetterbeständig und sonnig

Spuren einer versunkenen Welt

An Stelle des stürmischen Corona-Aprils springt der Sommerpausen-Juli ein und taucht auf, mit allen Wassern gewaschen. Und mit Sonnen bestrahlt. Und so sind die sommerlich schimmernde Burlesquetänzerin Yvette Chelou, Pete The Beat mit gewittrigen Regentropfengeräuschen und Beat-Sound, Tänzerin und Sängerin Roxana, Mentalist und Magier mit Wort und Witz Jan Forster sowie Clown Manoli zur Julibühne wetterfest, nicht überflüssig und sehr sonnig. Durch das Programm führt der vielseitige Facility-Blockwart und Moderator Erwin Orlowski, der seinen ganz eigenen Leuchtturm als Stadtclown mitbringt. Mittwoch, 08. Juli, Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr, Marlene Bar & Bühne, Prinzenstraße 10, Hannover, Telefon: 0511 – 3681687, Eintritt frei.

Sie haben uns Artefakte hinterlassen, aber was weiß man über dieses verschwundene Volk? Die Etrusker – sie waren das Volk, das vor den Römern Norditalien beherrschte. Doch ihre Herkunft ist bis heute nicht geklärt. Neben den Griechen haben sie die römische Kultur am meisten beeinflusst. Sie lebten in Etrurien, einem fruchtbaren Gebiet mit großem Metallvorkommen. Marie Dettmar nimmt Besucherinnen und Besucher mit auf eine literarische Reise und liest bei einem Rundgang durch die Sonderausstellung »Die Freuden der Etrusker. Ein Dialog« Spannendes aus der Feder namhafter Autoren. Samstag, 25. Juli, 15 Uhr, Museum August Kestner, vor der Alten Fassade, Trammplatz 3, Hannover, Telefon 0511 – 16842730, Eintritt 5 Euro, erm. 4 Euro.

Kasimir und Karoline Der Chauffeur Kasimir geht mit seiner Verlobten Karoline auf das Münchener Oktoberfest. Doch ihm ist so gar nicht nach Spaß haben. Zu groß sind Wut und Trauer über seine Entlassung am Vortag. Karoline aber will sich amüsieren. Kasimir fühlt sich einsam und von seiner Verlobten im Stich gelassen. Diese nennt ihn egoistisch und besteht auf ihrem Recht, sich zu vergnügen. Es kommt zum Streit. Kasimir und Karoline in einer pandemiegerechten Zweipersonenfassung frei nach Ödön von Horváth mit Sebastian Jakob Doppelbauer und Nikolai Gemel. Und mit Tischtennis, Zuckerwatte, Popballaden und allem, was das Herz begehrt. Samstag, 11. Juli, 21 Uhr, Schauspielhaus, Prinzenstraße 9, Hannover, Karten gibt’s nur im Vorverkauf per E-Mail über www.schauspielhannover.de oder telefonisch unter 0511 – 99991111, keine Abendkasse vor Ort!, Eintritt 12 Euro, erm. 8 Euro, AktivPass frei.

Foto: CR

Bühne

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KULTURTIPPS

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Ausstellung Kalter Krieg und heißer Beat

Ein Hoch auf den Humor! Komische Kunst von Chas Addams, Janosch und Tomi Ungerer, Überlebenskünstler im großstädtischen Dschungel von Jean-Jacques Sempé oder fotografisch anmutende Karikaturen von Gerhard Haderer – die neue Ausstellung im Museum Wilhelm Busch präsentiert 120 bisher nie gezeigte Meiserwerke der Karikatur des 20. und 21. Jahrhunderts aus einer süddeutschen Privatsammlung. Ein begeisterndes Kaleidoskop der Karikatur. Mal unbarmherzig, mal leise belächelnd, aber immer beste Zeichenkunst. Bis 23. August 2020, dienstags bis sonntags, jeweils 11 bis 16 Uhr, Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Georgengarten, Hannover, Telefon 0511 – 16999917, Eintritt 6 Euro, erm. 4 Euro.

Flower-Power, 68er-Bewegung, Beatles, Woodstock, Farbfernsehen und Mondlandung – all das verbindet man mit den 1960er Jahren. Bilder von Aufbruch und Protesten der Jugend, besonders Studenten in den Großstädten, haben sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben. Die Sonderausstellung Kalter Krieg und heißer Beat nimmt den Zeitraum von 1958 bis 1973 ins Visier. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem privaten Bereich. Speziell auf Veränderungen, die es für Frauen und Kinder, für Familien und für jeden Einzelnen gab und die sich vor dem Hintergrund der großen Umwälzung als folgenreich erwiesen, auch in Celle. Bis Sonntag, 11. Oktober, dienstags bis sonntags, 11 bis 17 Uhr, Bomann-Museum, Schlossplatz 7, Celle, Telefon für allg. Auskünfte 05141 – 1245-55 oder 05141 – 1245-56, Eintritt 5 Euro, erm. 4 Euro.

Foto: Wilhelm-Busch-Gesellschaft e.V.

Grandios! Virtuos!

Musik Klang des Sommers Der Gang der Sonne ist überall auf der Welt an allen Tagen zu bestaunen. Er dient der Harfenistin Milena Hoge und dem Kontrabassisten Jan-Gerrit Lütgering als fantasievolles Bild für ihre vielfältige Musik: elegisch, tänzerisch, sanft und leuchtend. Gelegentlich aber auch mal düster und mysteriös. Im Duo Sonnengang bewegen sich die beiden Musiker zwischen Jazz und Weltmusik. In der Kombination von Kontrabass und Harfe ergänzen und verbinden sich die Instrumente fast mühelos. Sonntag, 19. Juli, 18 Uhr, auf einer Hemminger Gartenbühne, Weidenkamp 5, Hemmingen, Kartenvorbestellung telefonisch unter 0511 – 7608313 oder per E-Mail: brittahoge.mut@gmail. com, Eintritt frei, um Spende wird gebeten.


Botanische Kostbarkeiten Er beherbergt eine Vielzahl von Pflanzen. Sowohl im Freigelände als auch unter Glas in den Schauhäusern. Am bekanntesten im Berggarten Hannover ist wohl die weltberühmte Orchideen-Sammlung. 3.000 verschiedene Arten aus 320 Gattungen haben hier derzeit ihr zuhause gefunden. Beim Rundgang durch den Berggarten erleben Interessierte die Highlights der Saison, lernen botanische Schwerpunkte und die Geschichte des Gartens kennen. Sonntag, 19. Juli, 14 bis 15.30 Uhr, Im Schmuckhof des Berggarten, Herrenhäuser Straße 4, Hannover, Anmeldung erforderlich unter 0511 – 3906810 oder per E-Mail: info@natourwissen.de, Eintritt 7,50 Euro zzgl. Garteneintritt.

Was wäre die Archäologie ohne Boden? Auf keinen Fall so spannend. Viele archäologische Fundstellen im Lande gäbe es ohne die unterschiedlichen Böden nicht. Sie sind das größte Archiv zur Menschheits- und Naturgeschichte. Die Sonderausstellung »BodenSchätze – Geschichte(n) aus dem Untergrund« ist eine interaktive Entdeckungsreise in den Boden und richtet sich an große und kleine Feldforscher und Schatzsucher – und alle, die es werden wollen. Sie verbindet spielerisch unterschiedlichste Wissenschaftsfelder rund um Archäologie und Bodenkunde miteinander und bringt Antworten auf viele neugierige Fragen. Bis 13. September 2020, dienstags bis sonntags, 10 bis 17 Uhr, Forschungsmuseum Schöningen, Paläon 1, Schöningen, Telefon 05352 – 909110, Eintritt 9 Euro, erm. 6 Euro.

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Für Kinder Wolken, alle Wetter – unser Klima

BodenSchätze

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Foto: Christoph Bartolosch

Ausflug

Warum regnet es? Was misst ein Barometer? Wodurch wird der Klimawandel verursacht? In der aktuellen Mitmachausstellung »Wolken, alle Wetter – unser Klima« beleuchtet das Kindermuseum Zinnober Phänomene und Zusammenhänge unseres Wetters. Dabei können die Kinder experimentieren, spielen, sich ausprobieren und kreativ werden. Sie können ein Wetterstudio besuchen und einen virtuellen Flug mit dem Wetterballon unternehmen. Im Kindermuseum werden große und auch kleine Kinder zu Wetterexpertinnen und -experten. Warme Socken und Handschuhe nicht vergessen! dienstags bis freitags, 15 bis 18 Uhr, samstags, 14 bis 18 Uhr, sonntags, 10 bis 12 Uhr und 15 bis 18 Uhr, Kindermuseum Zinnober, Badenstedter Straße 48, Hannover, telefonische Anmeldung erforderlich unter 0511 – 89733466, Eintritt 7,50 Euro, mit AktivPass. erm. Eintritt.

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KULTUR IST SYSTEMRELEVANT! Eine Gesellschaft ohne kulturelles Angebot ist keine Gesellschaft. Bitte unterstützt die Künstler, Theater und Locations wo ihr könnt!

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SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 20 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – von oben nach unten gelesen – ein Sprichwort ergeben: ar – au – ba – ben – de – denz – dünn – ein – er – er – era – erb – fahrt – feld – fen – ge – ge – gen – gers – go – ha – hard – häu – in – in – ira – irr – ka – kla – ku – leih – lo – me – mün – nasch – nau – ne – ne – ne – ne – ne – ner – neu – ral – run – sen – sinn – stadt – ster – tan – ten – tig – to – to – tor – werk

1. geistige Erkrankung 2. Kürbisgewächs 3. Memoiren 4. Mensch aus Nahost 5. hoher militärischer Rang 6. Bundeskanzler (1963 – 1966) 7. Stadt in Schleswig-Holstein 8. Hülsenfrüchte

Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir dreimal den Roman »Der Bücherdrache« von Walter Moers. In Buchhaim erzählt man sich eine alte Geschichte vom Drachen Nathaviel. Angeblich besteht er aus lauter Büchern, die von mysteriöser Kraft durchströmt sind. Die Legende besagt, der Bücherdrache habe auf jede Frage die richtige Antwort. Der Buchling Hildegunst Zwei macht sich eines Tages auf die Suche nach ihm. Ebenfalls dreimal können Sie den grandiosen Thriller »Qube« von Tom Hillenbrand gewinnen. London, 2091. Investigativjournalist Calvary Doyle wird auf offener Straße niedergeschossen. Zuvor hatte der Reporter zum Thema Künstliche Intelligenz recherchiert. Die UNO-Agentin Fran Bittner beginnt zu ermitteln. Doyle besaß anscheinend neue Informationen über einen Zwischenfall, bei dem die Menschheit die Kontrolle über eine KI verlor. Das Debutalbum »Pearls« von Stephan Bormann und Tom Götze gibt es dreimal zu gewinnen. Die Musiker spielen mit großer Intensität, Leidenschaft und Dynamik, sodass wunderbare eigenständige Klangwelten entstehen. Ihre Musik ist eine Mischung aus Konzertmusik, Pop und Nordic Jazz. Bekannten Popsongs geben sie ein neues Gewand – eigene Kompositionen klingen, als wäre man ihnen vor langer Zeit schon einmal begegnet. Die Lösung des Juni-Rätsels lautet: Such die kleinen Dinge, die dem Leben Freude bereiten. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; Fax: 0511 – 30 12 69-15. E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 31. Juli 2020. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

9. Süßigkeiten 10. gemietetes Fahrzeug 11. Jason und seine Gefährten 12. Anschluss an die Klage des Staatsanwalts 13. empfindlich 14. Luftkurort in der Rhön 15. griechische Muse der Liebesdichtung 16. Stadt an einer Küste mit Schiffsverkehr 17. ein Nadelbaum 18. sittlicher Verfall 19. Wärmebett für Frühgeborene 20. Weg zu einem Grundstück


Foto: Tomas Rodriguez

n f u a t n Mome

Ein verlassenes Hotel. Wohl schon länger geschlossen. Über dem gesamten Gebäudekomplex liegt eine Patina vergangener Größe. Wahrscheinlich wurde man früher bereits im Entrée von einem Pagen willkommen geheißen, der dem Gast in hoteleigener Dienstkluft die Koffer abnahm und auf die Zimmer brachte. Zimmer, von denen man wohl einen phantastischen Blick auf Stadt und See und die umliegende Bergwelt hatte und in denen jetzt eine zentimeterdicke Staubschicht den vergangenen Glanz überdeckt. Nur die Milben feiern fröhlich Urständ. Ich schaue mir den Sichtbetonbau an und kann mir nicht vorstellen, dass man ihn je von außen hat architektonisch reizvoll finden können. Ein Grand Hotel für die einen, für den Flaneur jedoch, der sich an der ansonsten so paradiesischen Umgebung kaum sattsehen kann, sieht es aus wie ein bettenburgiges Bollwerk des frühen Massentourismus, der nach Luxus japste, mit Fernseher und Minibar im Zimmer und eigenem Bad mit WC anstelle eines gemeinsamen auf dem Flur. Morgens schließlich am Frühstückstisch eine Armada von hyperhygienischen Miniplastikschälchen mit Pfirsich-Maracuja- oder Aprikosen-Marmelade nebst Diät-Margarine in eben solcher Hartschale. »Eden« – der Name dieses Hotels. Ich stehe vor der grauen Fassade und kann mich nicht wehren. Ein Lied hämmert in meinen Schläfen. Ich war nie ein Schlagerfan. Aber es gibt so ein paar Schlager, die haben sich tief in die Synapsen eingebuddelt. Die wirst du nie mehr los. Ob du sie magst oder nicht. Wenn ich zum Beispiel »Santa Maria« sage, werden Sie bestimmt sofort ergänzen: »Insel, die aus Träumen geboren ...« Roland Kaiser! Oder wenn ich beginne mit »Er gehört zu mir«, enden Sie garantiert mit »wie mein Name an der Tür ...« Marianne Rosenberg! Und nun stehe ich vor dem geschlossenen Hotel Eden und in meinem Kopf singt eine Stimme: »Wenn selbst ein Kind nicht mehr lacht wie ein Kind, dann sind wir jenseits von Eden! Wenn wir nicht fühlen, die Erde, sie weint, wie kein andrer Planet – dann haben wir umsonst gelebt ...« Nino de Angelo! Haben Sie die Melodie im Ohr? Hoffentlich nicht. Kriegen Sie nicht mehr raus! Meine Güte, was für ein schwülstiger Text! Liebeslied plus überbordender Weltschmerz plus weinende Erde, damit auch die Jutebeutelträger von diesem Lied ergriffen wurden. Bei der Gelegenheit: Erinnern Sie sich noch an den unfassbar kritischen Song »Karl, der Käfer?« Das war der, der nicht gefragt wurde, weil man ihn einfach fortgejagt hatte. Bei solch Lyrik wurden selbst weiße Tauben müde und mein Freund, der Baum, legte sich zum Sterben nieder. Das Schlimmste an diesen Liedern ist, dass sie, ob man sie mag oder nicht, nicht mehr aus dem Kopf rausgehen. Sie werden sie nur los, wenn Sie sie durch einen anderen Ohrwurm ersetzen. Oder anders gesagt: Sollten Sie jemals jenseits von Eden sein, dann gehen Sie einfach atemlos durch die Nacht! Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber

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s y w o Brod ahme

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Die Superkraft vom eigenen Dach.

Nutzen Sie die Kraft der Sonne. Und machen Sie sich unabhängig – mit Ihrer eigenen Solaranlage. enercity.de/solar


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