Tracks 5 17 (September/Oktober)

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No. 5/2017 September/Oktober 7. Jahrgang

Das einzige Schweizer Gratis-Magazin für musikalische Lebenskultur

mit g Sch rosse w Sze eizer m ne T eil

>POP >ROCK >METAL >INDIE/ALTERNATIVE >COUNTRY/AMERICANA >SWISS >BLUES

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STORIES INTERVIEWS KONZERTE WETTBEWERBE REZENSIONEN

QUEENS OF THE STONE AGE * BLACK COUNTRY COMMUNION DIE APOKALYPTISCHEN REITER * EXTREME * ELUVEITIE HURTS * EISBRECHER * UNISONIC * THE QUIREBOYS UNDERSKIN * BEATSTEAKS * KADAVAR * AEROSMITH * GUNS N ROSES



Inhalt FEATURES / INTERVIEWS: - HURTS

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Keine Wiederholungen

- BEATSTEAKS

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Doppelt gemoppelt

- EISBRECHER

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Intensive Reise

PARADISE LOST

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- EXTREME

Paradise Lost vorzustellen hieße, Regen nach England zu tragen. So kolossal, so brachial, so doomig und so fies wie auf „Medusa“ hat man die Yorkshire-Gang aber noch nie gehört.

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Nuno macht Bestandsaufnahme

- DIE APOKALYPTISCHEN REITER 24 Zurück im Sattel

- KADAVAR

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Berlins coolste Rockband

- THE QUIREBOYS

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haben den Blues

- UNISONIC

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Mandy Meyer erzählt

QUEENS OF THE STONE AGE

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Queens Of The Stone Age aus Palm Desert/Kalifornien ist seit Ende der 90er Jahre aus der Rock Szene nicht wegzudenken. Trotz Schwierigkeiten verschiedenster Art hielt Frontmann, Sänger und Gitarrist Josh Homme die Band immer am Leben, die nun mit ihrem siebten Album –"Villains" – in den Startlöchern steht.

Schweizer Szene: - ELUVEITIE

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Akustik II in neuer Besetzung

- UNDERSKIN

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Runderneuert

LIVE REVIEWS

BLACK COUNTRY COMMUNION

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2010 hinterliessen Glenn Hughes (Deep Purple, Trapeze), Joe Bonamassa, Jason Bonham (Foreigner, Led Zeppelin) und Derek Sherinian (Dream Theater, Alice Cooper) mit ihrem Debüt ein staunendes Publikum und feiernde Kritiker. Nach bandinternen Querelen und längerer Pause sind sie wieder zurück und besser denn je. Glenn Hughes im Interview.

Reviews 6 Mainstream/Indie/Alternative Black Country Communion, Buckingham McVie, Joan Osborne, Joe Bonamassa, Havanna Maestros, Jay Z, Lana Del Rey, Lorde, Rise Against, Arcade Fire, Nickelback, Steve Earle, Soup, Steve Winwood, The Charlatans...

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Hard/Heavy/Metal Accept, Arch Eenemy, Attic, Comeback Kid, Iced Earth, Jag Panzer, Jorn, Orden Ogan, Kaiser Franz Josef, Paradise Lost, Threshold, Die Apokalyptischen Reiter ...

- EXTREME

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- AEROSMITH

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- GUNS N ROSES

58

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Blues George Thorogood, Walter Trout, Jonny Lang

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Swiss Baba Shrimps, Fleur, Halunke, Bo Katzman, Eluveitie, Luke Gasser, Seven, Keiser Twins...

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ReReleases Celtic Frost, U2, The Beatles, Ian Matthews, Unicorn, Duncan Brown, Carolanne Pegg, Voivod

60 62

Konzertkalender Wettbewerb / Impressum

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Die erträgliche Leichtigkeit des Seins Album vier für Englands Synth-Pop-Dandys Hurts – und wieder begegnen wir einer anderen Band. „Desire“ ist ein ungewöhnlich farbenfrohes, vor Energie und Optimismus nur so strotzendes Manifest, das die melancholischen Anfänge fast vergessen lässt. Für Sänger und Stilikone Theo Hutchcraft ist das nur natürlich. Er will sich niemals wiederholen, sagt er – und kann auch in diesem bunt-schillernden PopUniversum brillieren. bs. Alles begann mit einem Video. Als Hurts den Clip zur neuen Single „Beautiful Ones“ in die Welt entließen, hätten wohl selbst die beiden top gekleideten Engländer nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet. In dem aufwändig produzierten Film ist Frontmann Theo Hutchcraft in Frauenkleidern zu sehen, die rückwärts abgespulte Geschichte ist ein flammendes Plädoyer für Toleranz und Individualität. Dafür standen er und seine rechte Hand Adam Anderson schon zuvor. Aber eben niemals so konsequent, wie Hutchcraft im Interview betont: „Einen Song wie diesen wollten wir schon lange schreiben. Unter unseren Fans treffen wir viele Menschen, die sich als Außenseiter fühlen, die denken, nicht reinzupassen, nicht dazuzugehören. Damit“, so der Brite, „können auch wir uns identifizieren.“ Also warteten sie nach eigenen Angaben schon einige Jahre auf einen Song, um das Anderssein zu feiern. „Ein Song für Menschen wie uns“, sagt er dazu. „Als wir die Musik zu diesem Stück schrieben, merkten wir, wie kraftvoll und mächtig sie war – und wussten, dass wir endlich unser Lied gefunden hatten. Es ging auch enorm schnell, ich glaube, wir haben ihn in zwei Stunden komplett geschrieben.“ Er lächelt versonnen. „Einer dieser unerklärlichen Momente.“ Unlängst war das Stück die offizielle Hymne des Christopher Street Day in Deutschland, mittlerweile wurde das Video auf YouTube knapp drei Millionen Mal geklickt. Es zeigt: Eine Botschaft wie diese ist bitter nötig. „Ich wuchs in einer relativ armen Familie auf, wir waren es gewöhnt, eher die Außenseiter zu sein“, so Hutchcraft. „Wenn du ein Außenseiter bist, hast du viel Empathie und eignest dir ein Weltbild an, das von Toleranz und Akzeptanz geprägt ist. Das macht die Welt zu einem wundervollen Ort, das macht die Welt ja erst besonders. Und gerade in der heutigen Zeit, in der wir einen neuerlichen Aufstieg von Konservatismus und Vorurteilen erleben, müssen wir umso mehr darauf aufpassen, an diesen Werten festzuhalten.“ Hurts sehen es als ihre Pflicht an, den Menschen ohne Stimme eine zu geben – und liefern gleich noch wunderschöne Musik dazu. Dass die auf dem vierten Album „Desire“ ungewohnt hell, optimistisch und leicht klingt, hat nichts mit einem plötzlichen Gemütswandel bei den früheren Melancholikern zu tun. „Ich bin ein sehr optimistischer Mensch. Das war ich schon immer.“ Die Gründe müssen also irgendwo anders liegen. Hutchcraft klärt bereitwillig auf: „Wenn wir ein Album machen, dann planen wir nicht, ob es ein dunkles oder ein helles Album wird. Wir schreiben Songs, die so klingen wie wir uns zu dieser Zeit fühlen. Schon auf unserem letzten Album gaben wir der Leichtigkeit einen gewissen Raum und wollten das auf „Desire“ noch weiterführen. Das hat riesigen Spaß gemacht und forderte uns auf ganz andere Weise.“ Nach den ersten beiden, recht düster gehaltenen Werken „Happiness“ und „Exile“ war es eben Zeit für eine Abwechslung. Der Sänger nickt. „Wir

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LIVE 30.11. Lausanne, Les Docks 1.12. Zürich, Halle 622 lieben Abwechslung! Es kann also gut sein, dass das nächste Album wieder düster wird, doch diesmal wollten wir schauen, wie wir uns in dieser unbeschwerten Welt ausleben konnten.“ Hurts sind aber natürlich immer noch Hurts, also gibt es auch auf „Desire“ diese bittersüßen Momente, die sehnsüchtigen Melodien, den großen Pop-Pathos. „Wir sind wie alle anderen Menschen da draußen: Wir sind nie nur traurig oder nur glücklich.“ Ganz abstreifen können die beiden ihren Hang zur Melancholie deswegen nicht. Mit ihrem Projekt haben sich die beiden vor allem eines vorgenommen: sich nie zu wiederholen. „Wir könnten gar nicht mehr so ein Album wie „Happiness“ schreiben“, meint Hutchcraft. „Es ist ein perfektes Album, warum sich also mit diesen Songs anlegen? Würden wir uns wiederholen, gäbe es uns wahrscheinlich längst nicht mehr. Oder uns wäre extrem langweilig“, lacht er. Gut, dass die beiden Pop-Dandys das so sehen. Der Nachschub an leidenschaftlicher, romantischer und bittersüßer Popmusik aus England wird dann hoffentlich noch lange nicht abreißen.

störung, der Abgrund, sie mögen auf diesem Album eher in den Hintergrund gerückt sein. Aber Sony Hurts wären eben nicht Hurts, bs. Mensch, wenn sie sich hin und wieder ist das hell doch von der Melancholie verhier! schlingen lassen würden. Ein „Desire“ Stück wie „Something I Need To zeigt EngKnow“ wird sich da nahtlos lands Synthzwischen Kalssikern wie „Stay“ Pop-Dandys Hurts von ihrer bisher oder „Somebody To Die For“. optimistischsten, hellsten Seite. Das Schmachtgarantie und Gänsehaut deutete sich schon auf dem letzten wie immer inklusive! Doch weil Werk „Surrender“ an, führt auf diesem Hurts eben nicht stehenbleiben, vierten Album aber zu einem großen, weil sie mit „Beautiful Ones“ die einem schwelgerischen, einem sehn- Individualismus-Hymne schlechtsüchtigen und schwärmerischen Pop- hin im Schlepptau haben und Manifest, wie es leidenschaftlicher auch mal eine funkig-fluffige und inniger nicht sein könnte: Ein Nummer wie „Boyfriend“ rausAlbum voller Argumente für die hauen, kann man zum vierten Mal These, dass auch Pop große Kunst in Folge nur eines sagen: Well sein kann. Die ganz große Selbstzerdone, lads!

HURTS

Desire



REVIEWS Mainstream/Indie/Alternative JAY-Z 4.44 Universal

LORDE Melodrama Universal Music hef. "You're a liability", singt die 20-jährige Neuseeländerin schwülstig zu dezenter Pianobegleitung im Titel "Liability", einer unterschwellig erotischen Säuselballade. Dann auch "I'm a liability". Das Wort Liability hat einige Bedeutungen. Für mich gilt hier am ehesten Verantwortung, Pflicht, aber auch Belastung, wie es sich letztendlich hier herausstellt. Die nassforsche Lorde schreibt, singt und produziert Bauch- und Kopf-Musik in einem. "Liability" über eine Beziehung zu einem toughen Mädchen, das hitzig wie ein Waldbrand sei. Fazit: "Ich sollte lieber alleine bleiben." Zu solch direkten Zeilen diese Stimme, dieses intensive Säuseln, das im Hinterkopf Assoziationen an eine Lolita auslöst, Kindfrau mit Intellekt und Gefühl, die so unglaublich erwachsen rüberkommt. Bauchmusik, das ist in diesem Falle auch Blues, nicht klassischer Blues, aber so unter die Haut gehende, clevere Grooves im Stil der Rhythm'n'Blues-Helden von gestern, die direkt in die Blutbahn fahren. Erst 20, kaum zu fassen. Vor vier Jahren hat Lorde vor allem die Medien und Musik-Journalisten mit ihrem Debüt "Pure Heroine" fassungslos staunen lassen. Dazu hat die Single "Royals" bereits heute Kultstatus und wird noch immer in vielen Radios regelmässig gespielt. "And we'll never be royals / It don't run in our blood", sang sie und nahm dabei unwissentlich Majestätisches bereits voraus. Eine 16-jährige Frau mit solcher Abgebrühtheit, was Musik und Songinhalte anbetrifft – magisch! Kein Wunder hat sich Lorde vier Jahre Zeit gelassen für den Zweitling. Sie war sich des Drucks und auch der Verantwortung wohl bewusst, die Kritiker unbedingt zufriedenstellen zu müssen. Kluges Mädchen! Weil es ihr gelungen ist, mich und wohl auch viele Kollegen erneut in ihren Bann zu schlagen. Sie schaffte so auch den Spagat von der Kindfrau zur jungen Erwachsenen. Witzig: Einer der elf neuen Songs von Ella Yelich-O'Connor, wie Lorde bürgerlich heisst, ist die Reprise von "Liability". Damit bestätigt sie meine Lolita-Theorie. Als ob sie beweisen müsste, dass der kindliche Soundgroove von ihr genau deshalb als bewusstes Stilmittel eingesetzt wurde. Sie bemüht sich mit der Reprise nämlich ziemlich verkrampft – vielleicht ist auch dies nur gespielt – um eine tiefe Stimme.

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hef. "Was ist besser als ein Millionär?", fragt der RapMogul im Titel "Family Feud" und gibt die Antwort gleich selber: "zwei Millionäre". Die FamilienFehde ist nicht ganz ernst zu nehmen, aber ein bisschen Eifersucht spürt man bei Jay-Z schon heraus gegenüber seiner halt doch noch um einiges populäreren Gattin Beyoncé, die kürzlich mit der Geburt ihrer Zwillinge weitere Punkte auf ihrer Seite buchen konnte. Ob es um die Ehe des reichsten Paares im Musik-Business gut steht oder nicht, das soll uns nicht kratzen. Der Albumtitel scheint jedenfalls sehr persönlich zu sein. Er sei um 4.44 Uhr aufgewacht, weil plötzlich dieser Song da war, sagt Jay-Z. Doch die drei Vieren seien eine versteckte Liebesbotschaft und ein Beweis, dass sie zusammengehören. Das sagt er auch direkt und entschuldigt sich für seinen Seitensprung, das sei mies gewesen. Becky, so angeblich deren Name, solle ihn in Ruhe lassen. Dazu ein kleines Zahlenspiel: Beyoncé und Jay-Z, eigentlich Shawn Corey Carter, wurden an einem 4. des Monats geboren. Ihre Hochzeit fand am 4.4. 2008 statt und Barack Obama war nicht nur der erste schwarze, sondern der 44. Präsident der USA. In den zehn neuen Songs gibt Jay-Z nicht nur viel Persönliches preis; er ist auch auf dem besten Weg, immer mehr Pop in seine Songs einzubauen. Die vielen "Niggers" freilich fehlen nicht. Im Titel "The Story Of O.J." – Jay-Z wusste beim Schreiben des Songs wohl noch nicht, dass O.J. Simpson definitiv begnadigt wurde und im Oktober das Gefängnis nach neun Jahren verlassen kann – kommen sie gleich als Salven daher. Wohl eine versteckte rassistische Unterstellung.

LANA DEL REY Lust For Life

Jährigen nicht, auch wenn sie auf dem Cover für einmal lächelt und sich neckisch Margritli in die Haare steckte. Ihren Übernamen "Königin der Trübsal" trägt Lana zurecht weiterhin. "Spiegel Online" nennt sie sogar "Queen der lasziven Transusigkeit", eine richtige Transuse sei sie. Sie schaut eben lieber zurück als nach vorne, sehnt sich nach Woodstock, wenn sie über das Coachella Festival singt. Überhaupt, dass sie noch immer tönt wie auf ihrem Debüt, zeigt doch schon Gleichstand statt Fortschritt. Aber wer will denn schon von ihr Rock'n'Roll hören? Eben! Ihre 18 neuen Songs sind gespickt mit Echos der altbekannten Lana. Und genau diese einmalige Art ist das Faszinierende an dieser etwas spleenigen Sängerin. In diesen Klängen kann man sich versenken, in Nostalgie versinken und – geniessen, relaxen. Lies Dir mal die Songtitel durch – das meine ich mit spleenig. "God Bless America – And All The Beautiful Women In It", "When The World Was At War We Kept Dancing", "Heroin", "Beautiful People Beautiful Problems (feat. Fleetwood-MacSchätzchen Stevie Nicks) oder "Tomorrow Never Came" im Duett mit Sean Ono Lennon, dem Sohn von John und Yoko. Dieser Titel mit beatlesken Elementen lehnt sich nicht nur an den Lennon-Song "Tomorrow Never Knows" an. Sondern man spürt die "Fab Four" und speziell "Something" von George Harrison in einer Passage, sehr gut eingepasst. Dass Lana Del Rey ein glückliches Liebesleben führt, scheint aufgrund anderer Songtitel obsolet. "Love", "Goupie Love" oder "Cherry" – wer am "schönsten" an der Liebe leidet, schreibt meistens auch traumhafte Lovesongs.

CHRISTINE MCVIE LINDSEY BUCKINGHAM Buckingham McVie

Universal

Warner Music

hef. Süsslichkeit und Schwere wie die wuchtigen Drumbeats gleich zu Beginn zeigen auf: Elizabeth "Lizzy" Grant aka Lana Del Rey ist sich selber treu geblieben, auch wenn der Albumtitel etwas anderes vorgauckelt. Nein, lebenslustig ist dieses vierte Album der 32-

hef. Fleetwood Mac lebt! Putzmunter präsentieren sich die kreativen Köpfe der britisch-amerikanischen Pop/Rock-Legende auf diesem Album. Die beiden FleetwoodMac-Namensgeber werden brav als Mitmusiker aufgeführt: Drummer Mick Fleetwood und


Mainstream/Indie/Alternative REVIEWS Bassist John McVie, Ehemann von Christine. Dass dabei nicht nur Inspiration und instrumentales Handwerk mit einflossen, kann man im Cover in den Dankesworten von Christine lesen: "Ich danke Mick und John für deren geniale KreativBeiträge bei der Produktion dieses Albums, für deren Sinn für Spass, deren Talent und Freundschaft." Die herbe Schönheit Christine und ExFrauenschwarm Lindsey haben sich in den Kompositionen aufgeteilt: Fünf von Lindsey, zwei von Christine und drei von beiden zusammen. Heraus kam, was man sich erhoffen konnte: Zehn geschliffene Popsongs Marke Fleetwood Mac. Die beiden sind songschreiberische Vollprofis, er Gitarrist, sie an den Keyboards, plus die fantastische Rhythmus-Sektion Fleetwood und McVie, auf die man wohl auch blind getippt hätte. Wenige Schlagzeuger haben einen derart prägnanten Wiederkennungswert, der sich vor allem im Titel "Too Far Gone" zeigt. Das ist melodiöses, Power-Drumming mit viel Druck, das den Song-Rhythmus spürbar antreibt. Wer sich zum Beispiel an "Tusk" erinnert oder an die beiden Megahits aus den 1970er Jahren, "Go Your Own Way" und "Don't Stop", weiss, was gemeint ist. Beide Titel finden sich auf dem zweitmeist verkauften Album aller Zeiten, "Rumours" mit über 40 Millionen Exemplaren, gleich hinter "Thriller" von Michael Jackson. Ob diese Zahlen heute freilich noch gelten, wäre mal eine Recherche wert. Wenn man mich nach der anspruchsvollsten MainstreamPopmusik fragt, dann kommen mir zuerst – die Beatles laufen hors concours – meistens zuerst Fleetwood Mac und die dänische Gruppe Michael Learns To Rock in den Sinn. Radiotaugliche Sounds und Songs mit höchsten Ansprüche, auch wenn man bei den Dänen textmässig Abzüge machen muss. Aber deren Musik ist erste Sahne. Wie auch diese zehn Songs, die einen zum Beispiel im Auto fast einlullen. Es braucht allerdings mehrmaliges Hören, bis sie ihre Schönheit und Vielfalt richtig entfalten. Bei den Songs der ehemaligen Blues-Lady McVie, einst Kopf der britischen BluesRock-Band Chicken Shack, drückt der 60s-R&B durch, bei Lindsey der perfekte produzierte Popsong. Detail am Rande: ex-Fleetwood-MacSchätzchen Steve Nicks vermisst man keine Sekunde.

HAVANA MAESTROS Made In Cuba Warner Music hef. Wer kubanische Musik im Allgemeinen und den Buena Vista Social Club im Speziellen mag, der sollte sich mal dieses Album zu Gemüte führen. Hier finden westliche Popkultur und kubanische Lebensfreude zu einem mitreissenden musikalischen Gipfeltreffen zusammen. Das Rezept für dieses Projekt war das Folgende: Man nehme die besten kubanischen Studio-Musiker und Arrangeure, versammle sie in einem Studio in Havanna und lasse sie zu den Stimmen weltberühmter Sänger deren Klassiker ad hoc im Kuba-Groove musikalisch begleiten. Heraus kam ein höchst spannender, aber auch emotionaler Mix mit der Originalstimme von Musik-Legenden von gestern und heute, begleitet von kubanischen Musikern, arrangiert im swingenden Salsa-Groove. Das führte bei Otis Redding's "(Sitting On) The Dock Of The Bay" bei mir sogar zu Tränen der Rührung, so tief traf mich diese Version ins Herz. Oder der Aretha-FranklinKlassiker "Say A Little Prayer" mit der Stimme von Dionne Warwick und Ben E. King's "Stand By Me" im völlig neuen Sound-Gewand: schlicht betörend. Heisser wirds bei "Good Times" mit Chic, "Get Ur Freak On" feat. Missy Elliott, "Watcha Say" mit Jason Derulo und mit dem aktuell noch immer in den Radios gespielten Hit "We Are Young" feat. Fun. Erdacht und produziert wurden diese karibischen Klänge voller Fröhlichkeit und Nostalgie vom Grammy-gekrönten Duo Berman Brothers, Frank und Christian Berman, die bereits 2006 kubanische Musiker mit Songs internationaler Stars wie U2, Sting, Coldplay zusammenbrachten. Die Arrangements hier stammen von den 20-fachen "Cubadisco"-Gewinnern und "Maestros de Cuba" Emilio Vega und Harold Lopez-Nussa. Als Musiker wirken unter anderen Timbale-Impresario Amanita Valdés, Lauten-Legende Barbarito Torres vom Bueno Vista Social Club, Piano-Virtuose Emilio Morales Ruiz und Trompeter Roberto Garcia. Musiker und Produzenten versammelten sich in Havannas Abdale Studios, ausgestattet mit Steinway Flügeln und einer gut sortierten Bar. Die Musiker spielten alle Noten live zu den originalen Gesangsspuren. Die Lebensfreude der kubanischen Musiker spürt man bei jedem Ton.

Kolumne Hugs Wegweiser durch die Populär-Galaxie von Christian Hug

Kid Rock for fuck So. Nun hat Kid Rock also angekündigt, dass er Senator für den Staat Michigan werden will. Und später auch grad Präsident der US of A. Weil er jetzt... irgendwie... nicht mehr Musik, sondern... irgendwie... Politik machen will. Als Zeichen seiner ernst gemeinten Absicht hat er schon mal eine Stiftung gegründet, deren Namen er zwar nicht preisgibt, die seinen Fans aber erklären soll, wie man einen Senator wählt, wenns dann nächstes Jahr soweit ist, weil seine arme White-TrashGefolgschaft in der Regel ja nicht mal weiss, wie man einen Bleistift überhaupt in den Händen hält. Kid Rocks politisches Programm besteht bis jetzt in der Ankündigung, dass er auch als Senator Kid-Rock-Mützen verkaufen will. Mit der Aufschrift «In Rock we trust». Nun denn. Rock for US Senate wäre eine wunderbare Gelegenheit für ein heiteres Kid-Rock-Bashing. Aber unter uns gesagt: Das ist mir jetzt zu simpel. Ich meine: Einen Typen, der zum Spass Schweine erschiesst, der sich mit Tommy Lee um Pamela Anderson prügelt und unter Outlaw versteht, besoffen in der Gegend rumzunölen, einen solchen Typen kann man beim besten Willen nicht ernst nehmen. Zumal man ihn auch als Musiker mit seinem unsäglich dumpfbackigen StiefelrockGeschrammel nie nur auch ein Mü ernst nehmen konnte. Dass sich ein Kid Rock jetzt befähigt fühlt, Amerikas Staatsgeschicke zu leiten, zeigt eigentlich nur, dass niemand mehr das Amt des Präsidenten der (bald nicht mehr) mächtigsten Nation der Erde ernst nimmt, seit Donald Trump das Land ungespitzt in den Boden rammt. Sogar Kanye West hat angekündigt, dass er Präsident werden will, ebenso wie Dwayne «The Rock» Johnson... Das erübrigt wohl jeden Kommentar. (Immerhin: Dwayne und Kid könnten im Copräsidium das Amt übernehmen unter dem Fasnachtsmotto «US on the Rocks», ha ha.) Leider halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass Kid Rock die Wahl zum Senator gewinnen wird. Weil die Amis haben ja schon Donald Trump gewählt, und der ist ja auch nichts anderes als der reichste aller White-Trasher. Schliesslich kriegt jedes Volk die Regierung, die es verdient. Und es nützt jetzt auch nichts, wenn wir jammern und uns wünschen, dass als Alternative doch der Greg Graffin von Bad Religion kandidieren könnte, das ist wenigstens ein politisch hervorragend informierter und engagierter Musiker und ein promovierter Evolutionsbiologe noch dazu. Wir können uns auch nicht der Hoffnung hingeben, dass Kid Rock, wenn er denn erst mal im Amt ist, sich vielleicht zu einem ordentlichen Politiker mausert, so wie das Peter Garrett von Midnight Oil getan hat, der von 2004 bis 2013 Umwelt- und Kulturminister der australischen Regierung war und dort einen ganz ordentlichen Job gemacht hat. Denn Garrett war immer schon politisch engagiert, während Kid Rock immer nur ein Schreihals war, der nichts anderes konnte als zu schreihalsen. Aber hey: Das betrifft uns in der Schweiz sowieso so gut wie überhaupt nicht, warum sollen wir uns also Sorgen machen... Freuen wir uns notabene, dass unser lieber Chris «The Kopftuch» von Rohr noch nie auf die Idee gekommen ist, in die Politik einzusteigen. Seine Kolumnen in der «Schweizer Illustrierten» sind uns schon so mehr als genug. Trotzdem stehen wir in Glaube, Liebe und Hoffnung dem amerikanischen Volk bei und schliessen uns Steve Earle an, einem gescheiten, schlauen, engagierten (Anti-)CountryMusiker. Er sagte nämlich auf Kid Rocks Ankündigung: «Jesus Christ, the only way we could do worse than Donald Trump is Kid Rock. What the fuck?!» Stimmt. Earle hingegen könnten wir uns sehr gut als Politiker vorstellen. Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass Bono Vox verboten werden sollte.

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Die Alternativ-Punker aus Berlin sind seit über 20 Jahren auf Bühnen jeglicher Grösse unterwegs und bringen mit „Yours“ aktuell ihr achtes Studioalbum auf den Markt. Im Vergleich zum Vorgänger, der innerhalb kürzester Zeit aufgenommen und fertig poliert war, hat „Yours“ gute anderthalb Jahre gebraucht, um in die Läden zu finden. Warum das nur so und nicht anders ging, konnte TRACKS mit Basser Torsten Scholz ergründen. ip. Die musikalischen Präferenzen der einzelnen Bandmitglieder fanden über Songideen, die sich über einen längeren Zeitraum angesammelt hatten, einen Platz auf „Yours“. Torsten (bass) und Arnim (voc) legen neben den Beatsteaks als DJs unter dem Namen Fra Diavolo auf und sorgen so für Einflüsse aus Club/Hip Hop/Black Music, während Thomas beispielsweise für die Garagenmusik aufkommt. Beim Zusammentragen der Ideen vor knapp zwei Jahren fiel den Musikern auf, dass sich die einzelnen Songs noch konsequenter in die jeweiligen persönlichen Stilrichtungen bewegten und die Sammlung das Feeling eines Mixtapes bekommen hatte. Da der Begriff aber vor allem in Verbindung mit Hip Hop mittlerweile eine andere Bedeutung bekommen hat, einigte man sich dann darauf, davon etwas abzurücken und dem Album den Namen „Yours“ zu geben. Das The Krauts-Team, das auch schon Peter Fox oder Marteria veredelt hat, zeichnet sich für einen Teil der Produktion verantwortlich. Ihrem mächtigen Hip Hop-lastigen Produktionsstil stehen auf „Yours“ allerdings auch einige Nummern gegenüber, die im Proberaum auf VierspurKassettenrekordern aufgenommen wurden und insofern einen komplett anderen Charme verbreiten. Mit guten anderthalb Jahren hat „Yours“ eine ordentliche Entstehungszeitspanne auf dem Buckel. Während früher alle fünf Bandmitglieder ihre Zustimmung zu einem Song geben mussten, wurden dieses Mal Songs für das Album ausgewählt, die vielleicht nicht allen gleich gut gefallen haben, dafür aber den nötigen Raum für die klanglichen, stilistischen und kollaborativen Nummern (mit u.a. Farin Urlaub oder Deichkind) liefern konnten. Torsten: „Wenn du ein Album mit zehn Songs hast und fünf davon sind mit Gästen, dann kommt das komisch rüber. Deshalb musste „Yours“ auch mit 21 Songs so lang werden.“ Neben der Tatsache, dass das Album alleine durch den Mixtape-Charakter einen Unikat-Status hat, war die Arbeit mit verschiedenen Produzenten und Musikern relativ kompliziert und anstrengend; gerade weil auch einiges mehrmals gemischt oder überarbeitet werden musste. Letztendlich hält die Band aber nun ein Werk in ihren Händen, mit dem sie sich identifizieren und stolz darauf sein kann. Die Idee zu dem Cover mit dem Yak war ursprünglich ein spontaner Jux des Produktionsmanagers, der sich aber als so gut herausstellte, dass das Yak bleiben durfte. „Wir hatten schon entschieden, dass der Titel „Yours“ sein sollte. Wir fanden es einfach cool, jemandem ein Album in die Hand zu drücken und zu sagen: ‚Da, ist deins!' Unser Yak auf dem Cover ist ja schon ein etwas älteres, zotteliges Tier. Es wird aber noch mal schön geschmückt und durchs Dorf getrieben. Und wir sind ja auch nicht mehr die heisseste Band“, lacht der Bassist. Was nicht passt, wird passend gemacht und so kam man zum vermutlich schönsten Cover der Bandgeschichte. Die Beatsteaks sind seit rund zehn Jahren in der Lage, von der Musik leben zu können. „Ich fahre zwar einen Renault Kangoo und kann mir auch keine Eigentumswohnung mitten in der Stadt leisten, aber es reicht, um alles zu bezahlen. Da wir alles demokratisch durch fünf teilen, geht es allen fünf Leuten der Band gleich gut. Das ist echt ein Segen und nicht selbstverständlich“, meint Torsten. Die Beatsteaks werden auch wieder Halt in der Schweiz machen, um dort den einen oder anderen Club zu zerlegen. „Die Platte ist doppelt so lang, sie hat doppelt so lange gedauert und war doppelt so teuer! Deshalb müssen wir auch

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das Doppelte einnehmen und überall spielen!“, lacht der sympathische Basser mit Berliner Schnauze. Da die Beatsteaks die Schweiz mit Urlaubsfeeling verbinden, wird es bestimmt nicht allzu lange dauern, bis das Quintett bei uns aufschlägt und „Yours“ aus dem Gepäck zaubert. Wir freuen uns!

BEATSTEAKS Yours Warner Music ip. Die Berliner Beatsteaks haben in ihrer über 20jährigen Karriere einige stilistische Korrekturen vorgenommen, ohne allerdings von ihrem Kurs abzuweichen. Album Nummer acht „Yours“ ist im Vergleich zu seinen Vorgängern ein Unikat. Die Beatsteaks gehen nicht nur entwicklungstechnisch einen bis zwei Schritte weiter, sondern haben sich für dieses Album auch einen feinen Rahmen ausgedacht. Da bei der Ideenfindung so viele verschiedene Songs zusammenkamen, entschieden sich die Berliner, genau dies so stehen zu lassen und stellten das Album quasi als Mixtape zusammen. Ü40er kennen das noch: Zur Zeit der Tonbandkassette stellte man sich seine eigenen Tapes zusammen, indem man querbeet seine Lieblingssongs aufnahm und diese entweder als sehr liebes und privates Präsent verschenkte, oder sich das Tonband in den Player im Auto oder Walkman steckte und so 60-90 Minuten lang mit feinstem Audiomaterial versorgt war. Soundtechnisch war das kein Leckerbissen, aber das war einem egal, da der Spass und nicht die Technik im Vordergrund stand. So ähnlich, und zwar im besten Sinne, klingt auch „Yours“. Mit einer Handvoll Gaststars (Farin Urlaub, Chad Price, Stereo Total, Jamie T. und Deichkind) und tatsächlich 21 Songs, die auch als Doppelvinyl erscheinen werden, haben die Beatsteaks ein ordentliches Spasspaket geschnürt und stilistisch alles von Clubmusik bis Punk untergebracht, was man an der Band schätzt. Wenn die Clubnummer „I Do“ vom kratzigen Übungsraumcharme in „Velosolex“ (mit Stereo Total) abgelöst wird oder „Mrs Right“, ein poppig-schmissiges, sonniges Stück mit an Sublime/Bradley Nowell erinnerndem Gesang in das brutal rohe „Sucker Punch“ übergeht, dann muss man nicht an seinem Gehör zweifeln, sondern sich einfach darüber freuen, dass die Beatsteaks kompromisslos Mut beweisen. Extrem abwechslungsreiches, spannendes Album!



REVIEWS Mainstream/Indie/Alternative HAIM Something To Tell You Universal

JOE BONAMASSA An Acoutic Evening At The Carnegie Hall Provogue/Musikvertrieb hef. Dieser Mann ist ein Genie. Mit solch heeren Worten sollte man zwar sachtsam umgehen, um nicht inflationär zu werden. Doch der New Yorker Gitarrist Joe Bonamassa verdient diese Auszeichnung. Weil er nicht nur ein hervorragender Saitenmann ist. Sondern auch ein vielseitiger Songschreiber und Texter. Diese Vielseitigkeit zeigt er auf diesem Doppelalbum. Allein schon die filigrane Produktion ist es wert, speziell herausgehoben zu werden. Perfektion in Reinkultur! Dazu die Musik, von Blues-Rock bis zu Country und Soul – diese Musik lebt von Gefühl und Leidenschaft für zeitgemässe Sounds. Bereits im zarten Alter von zwölf Jahren stand Bonamassa mit B.B. King auf der Bühne. Mit 14 lernte er im Rahmen einer Veranstaltung des Gitarrenproduzenten "Fender" Berry Oakley Jr. kennen, den Sohn des verstorbenen Bassisten der Allman Brothers. Mit ihm und Erin Davis, Sohn von Trompetengott Miles Davis, sowie Waylon Krieger, Sohn des DoorsGitarristen Robbie Krieger, gründete er die Band Bloodline. Später zusammen mit Jason Bonham, Sohn des verstorbenen Led-Zeppelin-Drummers John Bonham und Ex-Deep-PurpleBassist Glenn Hughes die Gruppe Black Country Communion. Seit 2013 tourt er solo durch die Welt und lässt ein Studiound Live-Album nach dem anderen raus, jedes auf höchstem musikalischen Level. Wie zum Beispiel "An Acoustic Evening at the Vienna Opera House" 2013 oder "Tour de Force – Live in London – Royal Albert Hall" 2015. Bonamassas grosser Traum, in der New Yorker Carnegie Hall' aufzutreten, ging letztes Jahr in Erfüllung. Das hier ist die Aufzeichnung davon mit zwei akustischen Konzerten. Neben seinen grössten Hits in neuen Arrangements gibt es auch brandneue Songs zu hören. Der Ausnahme-Gitarrist spielt mit einem Weltklasse Ensemble zusammen. Neben Reese Wynans (Klavier), Anton Fig (Drums) und Eric Bazilian (Mandoline, Drehleier, Saxofon, Akustikgitarre) sind das die chinesische Cellistin und Erhuistin Tinao Guo, deren Repertoire von Klassik bis zu Heavy Metal reicht, und der ägyptische Percussionist und Komponist Hossam Ramzy. Für die Hintergrundstimmen sorgen Mahalia Barnes, Juanita Tippins und Gary Pinto aus Australien. "Diese Tour gehörte zu den anspruchsvollsten Projekten, die ich mir je vorgenommen hatte", freut sich Bonamassa über die perfekten Aufnahmen. "Immerhin spielte ich mit einer neunköpfigen Akustikband." Für diese Show reduzierte Bonamassa seine Musik auf das Wesentliche. Kein Wunder, dass ihn das britische "Mojo Magazin" mit den experimentellen Experimenten von Ry Cooder verglich, der in den 1970er Jahren mit seinen spartanisch-schnörkellosen Klängen Presse und Publikum bezauberte. Hört Euch vielleicht man zuerst auf CD2 die neuneinhalb-, acht- und sieben-minütigen Titel "How Can A Poor Man Stand Such Time And Life?", "Song Of Yesterday" und "Hummingbird" an. Absolut betörend, prickelnd, lebendig und raumgreifend – mehr Gefühl geht kaum.

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hef. Dieser hochmelodische Pop der höchsten Ansprüche zieht einen von Null auf 100 rein, auch wenn man von dieser Band noch keinen Ton gehört haben sollte. Dies ist ja auch erst das zweite Album der drei Schwestern Haim, die tönen, als hätten sie die Popmusik gerade erst erfunden. Das ist Pop in seiner reinsten und auch anspruchsvollsten Form, neue, moderne Musik, die einen erstmal sprachlos werden lässt. Wenn man sich für das GirlieTrio näher interessiert, gehen einem ganze Lichtermeere auf. Andere haben das natürlich längst gemerkt. "Pop im DauerErregungszustand voller erstaunlicher Stimmen, Harmonie, Gitarren und Rhythmen", schrieb Rolling Stone. "Zeit Online" doppelte nach: "Die Pop-Band der Stunde". Angefangen hat es im Sommer 2012, als in den angelsächsichen Ländern plötzlich überall der Titel "Forever" lief. Ein Wahnsinnssong, in dessen Video heisse Typen auf schweren Motorrädern unter der kalifornischen Sonne Kreise in den Asphalt malten, während die drei Schwestern in ihrem Wohnzimmer von der Liebe erzählten. Das Haim-Wohnzimmer wurde von Daddy Moti Haim mit Instrumenten vollgepackt, um den Girls die Möglichkeit der musikalischen Entfaltung zu bieten. Sie nutzten es derart aus, dass sie bald schon auf der "Sound of 2013"Liste der BBC auftauchten, dem wichtigsten Trendbarometer des Pop-Geschäfts. Der Rest ist wie im Märchen. Aus dem Familienbetrieb wurde quasi über Nacht einer der vielversprechendsten Acts der USA. Das Debüt-Album "Days Are Gone" zeigte Este, Danielle und Alana Haim, die alle Songs komponierte und textete, als wandlungsfähige Künstlerinnen. Voraussetzung für diese Hammer-Musik: Man muss Mainstream mögen, Fleetwood Mac, The Bangles, aber auch Madonna. Über eine Million verkaufter Exemplare plus Platz 1 der britischen Album-Hitparade, dazu Wunderkritiken der dem Mainstream sonst meist abholden Musik-Journalisten – das ist fast zu viel auf einmal. Auch Kolleginnen und Kollegen der Branche wie Taylor Swift und Jay-Z outeten sich als Fans

dieser unglaublich packenden Popmusik. Was die drei attraktiven Damen musikalisch rauslassen, ist ein exzellenter Mix aus herrlichen Vocals, treibenden und teils auch vertrackten Rhythmen, einlullenden Synthies, wuchtigen StreicherPassagen und Sounds zwischen Soul, Gospel, R&B und au-ch Country-Rock. Dazu diese Engelsstimmen! Bereits beim ersten Mal hören, vor allem beim Titel "Little Of Your Love", bleibt Dir die Spucke weg. In dieser Musik scheint die kalifornische Sonne, die eine wunderbare Wärme ausstrahlt.

GOSPELBEACH Another Summer Of Love Alive Naturalsound rp. Die amerikanischen Gospelbeach machen auf «Another Summer Of Love» dort weiter, wo sie mit ihrem Debüt «Pacific Surf Line» aufgehört hatten: Wunderbar sonniger, gelegentlich auch dezent wehmütiger Westcoast-Rock, mehrstimmig dargeboten, der gute Laune verspricht und auch bedingungslos hält. Im Vergleich zum Debüt ist die Band um Sänger und Gitarrist Brent Rademaker (Beachwood Sparks) geschrumpft. Tom Sanford, Neal Casal und Kip Boardman sind nicht mehr dabei, dafür John Niemann (Paul Chesne) an diversen Tasteninstrumenten. Da Rademaker (hier zusammen mit Trevor Beld Jimenez von Tall Tales & the Silver Lining) meistens für das Songwriting zuständig ist, fällt deren Ausscheiden wenig ins Gewicht. Leichte Verschiebungen, nicht in der einmal mehr herausragenden Qualität der Songs, sind auf «Another Summer Of Love» trotzdem auszumachen. Das Country-Feeling und auch Jam mässige Momente wurden reduziert, teils ganz ausgeblendet. Und neben bereits vom Debüt bekannten Einflüssen wie Crosby, Stills, Nash And Young, Byrds, America und Buffalo Springfield ist auch eine zunehmende Nähe zu Tom Petty auszumachen. Gerade bei Songs wie «In The Desert», «Strange Days» oder «Sad Country Boy» ist dies offenkundig. Inspiration ist manchmal alles. «Another Summer Of Love» in den Player schieben, zurücklehnen und geniessen.


Mainstream/Indie/Alternative REVIEWS Pally’s kurz und knapp

STEVE EARLE & THE DUKES So You Wannabe An Outlaw Warner hh. Zwei Jahre nach seinem letzten Output mit den Dukes („Terraplane“) kommt der CountryRebell mit seiner Truppe mit einem neuen Album um die Ecke. Und „So You Wannabe An Outlaw““ lässt sich durchaus als nahtlose Fortsetzung von „Terraplane“ bezeichnen. Der bärbeissige Nashville-Barde frönt ausgiebig dem „back-to-the-roots“-Country mit Steelgitarre und Fiddle, ist dabei aber gleichzeitig weit vom üblichen traditionellen C&W-Sound entfernt. Aber etwas anderes wäre natürlich auch eine Überraschung. Steve Earle setzt sich schon allein durch seine Stimme deutlich vom Country-Mainstream ab, die im Alter zwar etwas brüchiger und kratziger geworden ist, aber nichts von ihrer Eindringlichkeit verloren hat – im Gegenteil, die Alters-Patina steht ihr ausgezeichnet. Auch die Songs sind auf Anhieb als Earle-Songs zu identifizieren. Nur sehr wenige Songschreiber in diesem musikalischen Bereich haben eine derart konsequent eigene Art des Songwritings, die eine ungeheure Menge an Emotionen und Charakter transportiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Rocker oder eine Ballade handelt – jeder der hier verewigten 12 Songs zeigt (mindestens unterschwellig) dunkle Seiten, Ecken und Kanten, wobei diesbezüglich das düstere „Fixin' To Die“ herausragt. Einzelne Songs heraus zu heben ist sinnlos, jeder Track glänzt, hat Klasse und berührt den Hörer nachhaltig. Daran hat natürlich seine herausra-gend groovende Band einen grossen Anteil, die die Songs mit einem entspannten, aber trotzdem intensiven Swing anreichert. Mit Willie Nelson im Titelsong, Johnny Bush im zynischen „Walking In L.A. und Miranda Lambert im wunderschönen Duett „This Is How It Ends“ hat sich Earle wieder einmal prominente Unterstützung dazu geholt. „So You Wannabe An Outlaw“ ist in seiner Gesamt- und Geschlossenheit ein bewegendes, wunderschönes Album ohne einen einzigen (Song-)Ausfall. Zusammen mit der warmen, intimen und transparenten Produktion bedeutet das: eins der besten Alben des Jahres in diesem musikalischen Bereich. Grossartig - Balsam für die Seele!

NICKELBACK Feed The Machine

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hef. Mit "How You Remind Me" schlüpften sie Anfang der Nullerjahre in unsere Gehörgänge. Die Halbbrüder Chad und Mike Kroeger aus Alberta, Kanada, schafften es mit ihrem süffigen harten Rock bis heute, mehrfach die Hitparaden zu entern. Mit melodiösem Alternativ-Rock und Post-Punk-Einflüssen schaffte es das Quartett sogar weltweit nach vorne. Drei Jahre nach "No Fixed Address" ist dies hier das neunte Studioalbum der Kanadier. Der Titelsong, als Single ausgekoppelt, ist erneut eine dieser typischen Hardrock-Hymnen, die in den Ohren kleben bleibt. Mit seiner kratzigen Powerstimme ist Chad Kroeger unter Dutzenden von Sängern auszumachen. Produziert von Chris Baseford, gemixt von Chris Lord-Alge und gemastert von Ted Jensen, wirkt "Feed The Machine" teils etwas melancholischer. Die Melancholie wird dann hingegen immer wieder durchbrochen mit Aggressivitätsspritzern. Trotzdem bleiben Nickelback eben Nickelback. Warum soll man auch ein erfolgreiches Konzept ändern?

LEWIS FIELDHOUSE - Theodor Washington And The Central Valley Der Engländer Lewis Fieldhouse reiste nach Amerika, genauer Kalifornien, um Klarheit über sein Leben zu erlangen. Sein Debüt «Theodor Washington And The Central Valley» reflektiert diese Reise mit allen Höhen und Tiefen. Die zehn immer wieder behutsamen Indiepop und –folksongs handeln von der Liebe («Megan, Are You Going My Way?», «Mary»), Enttäuschungen («Mary»), den eigenen dunklen Seiten («Naked Psychopathic Blues»), Verlust, Einsamkeit, dem Loslassen und der Selbstfindung. Stimmungsvoll und berührend. 42 DECIBEL - Overloaded Da hat aber jemand ordentlich AC/ DC und Rose Tattoo gehört!! Wobei letztere ersteren ja auch nicht ganz unähnlich sind. Die argentinischen Hardrocker 42 Decibel (Textzeile aus «Let There Be Rock» von AC/DC) um Sänger Junior Figueroa sind auf ihrem nunmehr dritten Album nach «Hard Rock 'n' Roll» (2013) und «Rolling In Town» (2015) ordentlich nahe bei besagten australischen Bands . Angefangen bei den typischen AC- und Tattoo-Riffs («Dangerous Mess»), über zum Gitarrensolo-Sound von Angus Young, dem trockenen Drumsound beider Bands, bis hin zur kratzigen Stimme von Junior, die irgendwo zwischen Bon Scott und Gary «Angry» Anderson zu verorten ist. Egal. «Overloaded» rockt ordentlich und das passt. SOCCER MOMMY - Collection «Collection» versammelt Songs, welche die gerade mal 19-jährige Sophie Allison bereits auf ihrer Bandcamp-Site veröffentlicht hat, zusammen mit ein paar neuen Tracks. Die neun Indiepop-Songs in kurzen 29 Minuten klingen wie eine Demoaufnahme, gewisse Gitarrenläufe eher amateurhaft. Aber irgendwo hat all dies einen Charme, dem man sich nur schwer entziehen kann. Liegt es an der schönen, aber immer etwas melancholisch klingenden Stimme von Allison, dem schönen Chorgesang oder den Gitarrenläufen, die in guten Momenten an Jeff Buckley mahnen oder der Kombination von allem? CURSE OF LONO - Severed Der Bandname Curse Of Lono bezieht sich auf das gleichnamige Buch von Hunter S. Thompson. Der chaotische Plot des Buches passt nicht so schlecht zu den Songs auf dem Debüt des ehemaligen Hey Negrita-Sängers Felix Bechtolsheimer. Die in einem Zeitraum von über 14 Jahren entstanden Songs drehen sich ums Erwachsenwerden. Und darum die Person zu werden, die man eigentlich sein möchte. Was Felix Bechtolsheimer, der lange mit seiner Drogensucht kämpfte, möglicherweise mit dem Albumtitel «Severed» (getrennt) meint. Musikalisch offerieren Curse Of Lono mit «Severed» eine vielschichtige Mischung aus Rootsrock, Americana, Indiefolk und –rock, Westcoast und Blues, die an Bands wie Fleet Foxes (mehr) und Tom Waits (weniger) mahnt und Elemente der Rolling Stones («London Rain») und The Doors («London Rain») einbezieht. ALDOUS HARDING - Party Partymusik ist das zweite Werk der neuseeländischen Künstlerin Aldous Harding beileibe nicht. Das sieht man schon dem schwarzweissen Cover an, das sich wahrscheinlich an das Artwork der This-Mortal-Coil-Reihe anlehnt!? Harding ist mit «Party» ja ebenfalls auf deren Label 4AD gelandet. Die neun Songs zeigen eine eigenwillige Künstlerin, die ihren in sich gekehrten Indiefolk immer wieder überraschend und ungewöhnlich ausgestaltet. Eine Drummachine, kleine Störgeräusche, Kinderschreie und eine sehr variable Stimme, die auch mal fast schrill klingen kann, geben den Songs eine unverkennbare Note. «Party» nährt sich von Künstlerinnen wie Kate Bush, Nico, Sandy Denny oder einer Sibylle Baier. ELDER - Reflections Of A Floating World Die aus Boston, Massachusetts, stammenden Elder wollen nicht einfach drögen Stonerrock und Metal spielen. Ihr Ziel auf ihrem nunmehr vierten Album «Reflections Of A Floating World» ist Variabilität, Weiterentwicklung und persönliche Herausforderung. Deshalb sind auf dem aktuellen Album des Trios nicht nur Bands wie Black Sabbath, Kyuss oder Electric Wizard allgegenwärtig, sondern auch Pink Floyd, King Crimson und Motorpsycho. Die bis zu dreizehn Minuten langen Tracks glänzen durch kraftvolle und vertrackte Riffs, donnernde Drums, wohl platzierte laut und leise Passagen, Experimentierfreude, fiebrige Gitarrensolos, spannenden Zwischenspielen und hypnotischen Momenten. Und natürlich wollen Elder zwischendurch auch mal ordentlich abrocken. Ist ja legitim als Stonerband (:

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REVIEWS Mainstream/Indie/Alternative STEVE WINWOOD Greatest Hits Live

BLACK COUNTRY COMMUNION BCCIV Mascot / MV ip. Wenn die Vorfreude auf eine neue Platte so gross ist, dass man schon vor dem ersten Ton feuchte Augen hat, dann hört man doppelt und dreifach hin. Im Fall von „BCCIV“ verstärkt sich das noch durch die Tatsache, dass man nach dem Split vor vier Jahren eigentlich gar keine neue Musik von der Supergroup um Glenn Hughes, Joe Bonamassa, Jason Bonham und Derek Sherinian mehr erwartet hätte. Somit ist das vierte Album ein kleines Wunder für Anhänger der Band und Liebhaber des modernen Hard/Bluesrocks. Der Einstieg feiert mit „Collide“ die Höchstpunktzahl: Schwer Led Zeppelin-lastig legt das Album los, tonnenschwere Drums und ein grossartiges Riff rechtfertigen die Vorfreude bis zum letzten Ton. Mit „Over My Head“ legt das Quartett die wahrscheinlich eingängigste Nummer des Albums nach. Stopand-Go-Rhythmus und ein luftiger Refrain, der nicht mehr aus dem Kopf will, ist hier Programm. Abwechslungsreich geht es weiter, denn der nächste Track trägt Bonamassas Handschrift. „The Last Song For My Resting Place“ ist aus seiner folkigen Feder, besitzt ein wunderbares Violinenthema (inspiriert von Wallace Hartley, dem Violinisten/Bandleader der Titanic), und transportiert auf fast acht Minuten Hoffnung, Trauer, Wehmut und Freude. Eine Riesenkomposition, die nach mehrmaligem Hören ihre ganze Kraft entfaltet. In „Sway“, einem eher spärlichen Song mit sehr treibendem Riff, der an „Down Again“ von BCCs erstem Album erinnert, läuft Glenn Hughes mit seinem Gesang zur Höchstform auf. Wie der Mann es schafft, immer noch so zu singen, wo andere längst keinen Atem mehr haben, ist ein ungelöstes Rätsel. Mysteriös geht es auch mit dem siebenminütigen „The Cove“ weiter, dem vermutlich düstersten Song der Band. Ein nicht so bekannter Fakt ist, dass Glenn Hughes sich für den Meeresschutz einsetzt und nun in diesem Song das Abschlachten der Delphine in Japan verarbeitet. „Frechheit siegt“ heisst das Thema vom folgenden „The Crow“, denn das Grundriff ist eigentlich 1:1 von Rage Against The Machines „Bulls On Parade“ ausgeliehen. Aber in diesem Fall kann man wohl ein Auge

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zudrücken, weil der Song eine echt flotte Nummer ist, und RATM einen Orden dafür ausstellen, dass sie ein stehlenswertes Jahrhundertriff geschrieben haben. „Wanderlust“ ist etwas zwiespältig, denn eigentlich sind diese mehr als acht Minuten nicht langatmig, sprengen aber doch deutlich den Rahmen eines Rocksongs. Vor allem, weil die Soloarbeit des Songs keine von Bonamassas herausragender ist. Das ist zwar eine äusserst blasphemische Aussage, denn der Master of Guitars kann gar keine schlechten Soli spielen, und das ist auch hier nicht der Fall. Für die Länge des Songs und gemessen an seiner sonstigen Kunst wäre „kurz und knackig“ aber auch eine ganz gute Option gewesen. „Love Remains“ geht wieder in die Led ZeppelinRichtung und Hughes singt für seine verstorbenen Eltern auch in den Höhen mit einer Stimme aus Buttercreme. „Awake“ punktet mit einem hibbeligen Gitarrenthema, höherem Tempo und einem grossartigen Bonham, der Bonamassa und Sherinian im Solo dermassen antreibt, dass man selbst beim Zuhören ausser Atem gerät. Den Abschluss macht „When The Morning Comes“, eine ruhige Nummer mit Akustikgitarre und Vorwärtsdampf in der Bridge und viel Dynamik und Steigerung zum Ende hin. Tolle Schlussnummer, die auch an jede andere Stelle des Albums gepasst hätte. Obwohl die Überlänge, die auf gut fünf von zehn Songs zutrifft, keines der jeweiligen Lieder langatmig oder gar langweilig macht, kann man den Eindruck erhalten, dass das Album im letzten Drittel etwas abflacht. Das ist an sich nicht der Fall, dafür sind die Songs zu stark, aber BCC verlangen dem Hörer eine lange Aufmerksamkeitsspanne ab, die etwas ermüdend wirkt. Das ist eigentlich schade, denn kein Ton dieses Albums hat weniger Aufmerksamkeit verdient. Es gibt viele versteckte Arrangements, die zum Ofthören animieren. „BCCIV“ ist fantastisch. Jason Bonham hat sich allerspätestens jetzt den Titel „Bonzo Jr.“ mehr als verdient, Glenn Hughes ist immer noch stimmlich unerreicht, Joe Bonamassa ist einfach Joe Bonamassa und damit gross und Derek Sherinian mit seiner Zurückhaltung ein Sympathieträger. Insgesamt klingt „BCCIV“ wieder roher und direkter, trotz ausgeklügelter Momente, und ist produktionstechnisch mit Kevin Shirley diskussionslos ganz vorne. Grosses Kino.

PromoJukebox hef. Im Juli trat er wieder einmal in der Schweiz auf, und zwar wie bereits vor Jahren im Zürcher Kaufleuten. Genau die richtige Location für ein Club-Konzert mit einem der erfolgreichsten Pop/Rock-Musiker aller Zeiten. Denn im kleinen, intimen Rahmen kommen seine Songs am besten zur Geltung. Auch wenn sein Konzert im Duo mit Eric Clapton im Basler St. Jakobstadion am 26. Mai 2010 ein besonderes Highlight war. Nach seinen Hit-Jahren mit der Spencer Davis Group, bei der er als 15-Jähriger einstieg ("Somebody Help Me", "Keep On Running" sowie sein eigener Titel "Gimme Some Lovin'") setzte er mit der sogenannten Progressiv-Rockband Traffic erneut Massstäbe ("Feelin' Alright", "Paper Sun", "Hole In My Shoe"). Danach folgte DIE Supergroup der Musikgeschichte mit Clapton, Ginger Baker (beide Ex-Cream) sowie dem früheren Family-Bassisten Rick Grech, die leider nur ein Album lang hielt. Danach folgten mit Traffic wieder erfolgreiche Welttourneen. Nach dem endgültigen Aus der Band startete Windwood 1977 ebenfalls sehr erfolgreich seine Solokarriere. Dieses Doppelalbum bietet einen Querschnitt durch das ganze Schaffen des MusikGenies mit den besten Songs seiner verschiedenen Bands und aus seiner Solokarriere. Der Mann mit der hohen Stimme zeigt hier, was für ein gewaltiger Songschreiber er immer schon gewesen ist. Echte WinwoodFans kommen hier total auf ihre Rechnung. Mit genialer Band improvisiert er Songs wie "Dear Mr. Fantasy" über achteinhalb Minuten. 23 Winwood-Klassiker, von "Gimme Some Lovin'" und "I'm A Man" bis "40 000 Headmen", "John Barleycorn", "Can't Find My Way Home" bis "While You See A Chance" und und einem unter die Haut gehenden "Back In The Highlife". Ein wahrhaft grosser Künstler mit grossartigem Oeuvre.

JOAN OSBORNE Songs Of Bob Dylan PromoJukeBox Die mehrfach Grammynominierte Sängerin aus Louisville, Kentucky, ist eine Freundin der Schweiz und oft hier für Konzerte unterwegs. Sie gilt als One-Hit-Wonder, denn ihr einziger grosser Hit ist "One Of


Mainstream/Indie/Alternative REVIEWS Us" von 1995. Seither ist sie entweder mit den Grossen der US-Szene auf den Bühnen unterwegs (sie ist in gemeinsame Projekte mit Top-Namen wie Emmylou Harris, Stevie Wonder, Taj Mahal und Luciano Pavarotti verstrickt) oder sie schreibt neue Lieder und produziert andere Künstler. Jetzt hat sich Joan Osborne der Songs von Bob Dylan angenommen, mit dem sie schon mehrfach auf der Bühne stand. Den 13 Lieder des diesjährigen LiteraturNobelpreisgewinners haucht Joan mit ihrer dunklen Stimme viel Seele ein, lässt neben viel Soul auch R&B und Blues einfliessen, performt mit unglaublicher Lockerheit die Songs des grossen Meisters. Zum Beispiel den bei uns sattsam bekannten Hit "Quinn The Eskimo (Mighty Quinn)", den Manfred Mann und Gotthard grossartig coverten. Die Version von Joan Osborne lässt all dies vergessen. Was sie hier aus diesem Ohrwurm herausholt, lässt die Härchen aufstehen. Relaxter gesungen, eingebettet in Orgelteppich und gepickte bluesige Gitarrenriffs à la Knopfler und J. J. Cale, geht wohl kaum. Man wünschte, das Lied möge in dieser Version nicht mehr aufhören. Oder auch "You're Gonna Make Me Lonesome When You Go": Joan holt ihre lieblichste Stimme hervor, dazu feine Akustikgitarren und viel Gefühl. Ebenfalls bei "Dark Eyes". Feinster Folk mit ausdrucksstarkem Gesang. "Masters Of War" dann wieder total eindringlich gesungen, eine Anklage an alle Kriegführenden, so wie denen Dylan bereits Anfang 1960er Jahre in seinem monotonen Mega-Groove ins Gewissen redete. Joan Osborne ist auch Feministin und kämpfte auch öffentlich für die Rechte der Frauen und für die Abtreibungsmöglichkeit. Auch wegen ihres einzigen Hits ist sie damals angefeindet worden. Die Frage darin, "what if god was one of us" hat die Blasphemiker auf den Plan gerufen, Gott mit den Menschen zu vergleichen. Gut für Joan, dass andere Fanatiker dies genau ins Gegenteil verkehrten.

BELL X1 Arms Belly Up Records rp. Bell X1 sind um 1999 aus der ziemlich populären irischen Band Juniper

entstanden, zu der einmal auch Damien Rice gehörte. Fast zwanzig Jahre später gehören Belly X1 selber zu den sehr populären irischen Bands. Sie sind regelmässig FestivalHeadliner und bekommen gar mehr Airplay als die ausserhalb Irland doch bekannteren U2. Gerade ausserhalb Irlands will es mit dem Erfolg aber nicht so recht klappen. Ob ihr siebtes Werk «Arms» daran etwas ändern wird, ist fraglich. Nicht, dass die Songs der Band um Sänger und Gitarrist Paul Noonan keinen Charme versprühen, Originalität, Tiefe und Witz kennen würden. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Songs Gesamtkunstwerke sind und nicht simples ChartsFutter sein wollen? Die eigenwillige Mischung aus Indiepop, Synthpop, Anleihen an den Pop der 1980er Jahre und rhythmischer Verspieltheiten sorgt immer für überraschende, angenehme und kurzweilige Momente. Im Auftakt «Fail Again, Fail Better» heisst es humorvoll «Cos I'm A Believer. And You Are A Believer. And He Is A Believer. Just Not Sure In What.» So lange Belly X1 daran glauben, dass sie es eines Tages schaffen werden, kann es weitergehen. «Fail Again, Fail Better».

SOUP Remedies Crispin Glover Records rp. Auf ihrem nunmehr siebten Album «Remedies» (Heilmittel) haben die norwegische n Soup ihren Sound noch einmal verfeinert. Man hat das Gefühl, die Strukturen der einzelnen Songs greifen noch organischer und auch dynamischer in einander über, mit wohlüberlegter Dichte und Atmosphäre. Die Band um Sänger und Multiinstrumentalist Erlend Viken hat aber anscheinend ebenfalls für die meisten der fünf Songs einen neuen Zugang gewählt. War Viken in der Vergangenheit meistens alleine verantwortlich, so hat die Band auf «Remedies» mehr mitgeredet. Vielleicht hat dies dem nachdenklichen, zuweilen poetischen, aber auch mal kraftvollen Artrock von Soup neue Würze gegeben? In der Mitte des Albums steht, fest wie eine Trennlinie, das vergleichsweise kurze Instrumental «Audion» (bloss etwas mehr als 2 Minuten), das

nur von der Kirchenorgel des norwegischen Ortes Namos getragen wird. Eine tiefgreifendere, spirituelle Kraft hat «Remedies» beileibe.

FIRST BREATH AFTER COMA Drifter Popup Records rp. Auf ihrem Debüt «The Misadventures Of Anthony Knivet» (2013) befasste sich das portugiesische Quintett First Breath After Coma mit dem Scheitern des englischen Entdeckers Anthony Knivet (1560-1649). Diese Odyssee des ehemaligen Weggefährten des Freibeuters Thomas Cavendish setzten die jungen Musiker mit einer Mischung aus atmosphärisch dichtem Shoegaze und Postrock-Versatzstücken um. Ihr zweites Werk «Drifter» hat zwar keinen thematischen Fokus, doch legen die zwölf Songs inklusive Hiddnetrack gerade bezüglich Atmosphäre noch einmal einen drauf. Die Band aus der ziemlich überschaubaren Stadt Leiria (gut 15000 Einwohner) arbeitet gekonnt mit Stimmungen, die gefühlsmässig irgendwo im melancholischen Dämmerlicht verortet sind und feinen Dynamiken. Songs stoppen da schon mal, werden lauter, leiser, lauter und viel lauter. Stimmen treten klar auf oder entschwinden fast. Die Paradenummer des Albums ist das über fünf Minuten dauernde «Blup». Unheimlich, wie aus einem Nebel taucht der Song auf und schwillt an. Gitarrenklänge und Drums setzen ein. Kurz eingestreute Keyboardtupfer klingen wie Flehen. Alles zieht sich zusammen. Stopp. Eine klare Stimme tritt auf. Instrumentale Zwischenspiele geben dem Song eine andere Färbung. Fast unverhofft entschwinden die Instrumente und Stimme bis fast an den Rand des Unhörbaren, was aber nur die Ruhe vor dem Sturm ist. Alsbald erheben sich Gitarre, Bass und Schlagzeug und entwickeln einen undurchdringbaren Orkan, wie in einen Rausch, der plötzlich und abrupt abfällt. First Breath After Coma verstehen wahrlich ihr Handwerk.

Album aus dem Jahre 2014. Der in Queensland, Australien, geborene Larsen ist sehr viel unterwegs. Seine Touren führten und führen ihn fast um die ganze Welt: Von Nordamerika, nach Asien, von Europa nach Australien und Neuseeland. Ein richtiges Zuhause hat der 37-jährige nicht, vielleicht sein Koffer? Für 2017 sieht es auch nicht besser aus. Seine Touren führen ihn nur im Juli und August durch Luxemburg, Finnland, Irland, Kanada bis nach Nordamerika. Die Musik auf seinem neuen Werk «Resolute» wirkt glücklicherweise nicht ruh- und rastlos. Die oftmals spartanisch instrumentierten Folksongs strahlen eine gewisse Ruhe und Frieden aus. Im atmosphärischen «Going Back To Bowenvil le» träumt er davon zurück nach Hause zu gehen, wo alles immer gleich ist und wo die Leute deinen Namen kennen. Vielleicht fehlt ihm das beschauliche Leben dort? Der Erfolg hat immer zwei Seiten. Eine Zeile aus besagtem Song («When I Was A Boy, I Was Shy And Resolute») gab dem Album auch seinen Titel. Das behutsame «By The River» ist hingegen eine Art Liebesbrief an einen Fluss in Neuseeland geworden. Stu Larsen ist mit «Resolute» ein ehrliches und berührendes Album gelungen. Schön, dass er mit seiner nicht nach Aufmerksamkeit heischenden Musik auch noch Erfolg hat.

STU LARSEN Resolute Nettwerk Records rp. «Vagabond» war der passende Titel für Stu Larsen

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Eine neue Eiszeit Es gehörte ja schon zum guten Ton, dass die Temperaturen bei jedem neuen Eisbrecher-Album gehörig sackten. Ein Name wie dieser verpflichtet schließlich. Was Kapitän Alexander Wesselsky und seine Mannschaft mit „Sturmfahrt“ vom Stapel lassen, ist allerdings ein ganz anderes Kaliber. Kälter als kalt, hart, explosiv, monumental – diese Fahrt wird unvergesslich! bs. Sie haben dem Sturm getrotzt, sind die höchsten Wellen geritten, konnten das Eis brechen und stets bergauf fahren: Die Karriere der Eisbrecher-Crew gehört zu den großen Erfolgsgeschichten der letzten 15 Jahre. Dabei wurde sie aus einer großen Krise geboren. Damals trennte sich Frontmann und Hüne Alexander Wesselsky von seiner NeueDeutsche-Härte-Kapelle Megaherz, mit denen er bereits einige Erfolge verbuchen konnte. Doch anstatt die Kissen vollzuheulen und die Welt zu verfluchen, setzte der Sänger alles daran, möglichst schnell wieder auf den Füßen zu landen. Das war 2002, mittlerweile hat er seinen Eisbrecher zu einer der größten Bands im deutschsprachigen Rockzirkus gemacht. Bislang sieben Alben, zwei davon mit einer Goldenen Schallplatte verziert, Konzerte in den größten Hallen und auf den größten Festivals: Mit einer eiskalten Mischung aus NDH, Rock, Industrial und unverhohlenem Pop-Appeal konnten Eisbrecher schon nach kurzer Zeit die alte Band übertrumpfen. Was es dafür gebraucht hat? „Mehr Energie, Blut, Schweiß und Tränen als man eigentlich zur Verfügung haben dürfte“, sagt Alex Wesselsky und lacht. „Jede Tour, jedes Album – immer ist alles auf Anschlag, auf Maximum. Wer 100 Prozent geben will“, meint er weiter, „ist in diesem Job falsch. Man muss schon die 180 Prozent wollen und dann 120 Prozent schaffen.“ Für ein Arbeitstier wie ihn ist das kein Problem. Er machte seit Tag eins keinen Hehl aus seinen Ambitionen, zu den ganz großen zu gehören – zur Oberliga, wie er sagt. „In ihr wollen wir mitspielen. Schritt

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für Schritt weiterkommen. Das ist uns bisher gelungen, doch die letzten 100 Meter vor dem Gipfel kosten noch mal genau so viel Kraft wie die 7900 davor.“ Das neue Album „Sturmfahrt“, soviel ist schon jetzt sicher, wird einige weitere Meter auf dieser Strecke zurücklegen. Immer wieder brachten ihm seine formulierten Ziele Kritik ein. Kommerzvorwürfe wurden laut, man unterstellte Eisbrecher Ausverkauf. Wie absurd das ist, macht „Sturmfahrt“ deutlich: Selten klangen Eisbrecher härter, selten monumentaler. „Was wollen diese Leute eigentlich?“, fragt sich der Kapitän kopfschüttelnd. „Rennen ins Blockbuster-Kino, um sich Marvel-Filme anzuschauen, und schimpfen über Kommerz. Ich hake das ab unter dem Sammelbegriff: Zu allem eine Meinung, von nichts eine Ahnung haben.“ Lieber lässt er seine Musik sprechen. Und die ist abwechslungsreich wie eh und je. „Wir wollten nie nur Industrial sein. Sondern alles. Industrial, Rock, Achtziger, Pop, Metal. Wer uns deswegen den Tod wünscht, soll das tun. Aber nach 15 Jahren wünschen diese Leute wohl so langsam vergeblich.“ Seinen Humor wird Wesselsky hoffentlich nie verlieren. Er gehört zu seiner eindrucksvollen Person wie sein Talent, jede noch so große Bühne komplett für sich einzunehmen. Ein Showman durch und durch – und längst eine der wichtigsten Stimmen in der deutschen RockLandschaft. Seiner Bekanntheit nicht gerade abträglich waren natürlich auch seine zahlreichen Jobs als TV-Moderator. Die Autosendung „Der Checker“ wurde schnell Kult, ähnlich wie auf der Bühne erwies sich der heute 48-Jährige als geborener


Entertainer. Als Moderator sieht er sich trotzdem nicht, wie er unterstreicht: „Ich würde mich weder als Moderator, noch als Musiker und schon gar nicht als Künstler bezeichnen. Künstler“, so der Sänger, „ist für mich ein Problembegriff. Kunst ist das, was andere daraus machen, doch wer sich selbst als Künstler sieht, mit dem habe ich ein Problem.“ Wie er sich dann nennt? „Ich denke, ich beschränke mich auf Rockstar“, meint er mit einem breiten Grinsen. Die Rolle steht im gut, die kann er. Selbst als er mal in Peter Maffays „Tabaluga“ den bösen Eisgeneral mimte (wen sonst). „Das war toll“, blickt er mit glänzenden Augen zurück. „Der Eisgeneral ist ja wohl prädestiniert für mich, das passte wirklich wie die Faust aufs Auge! Ich konnte außerdem mal über den Tellerrand schauen, konnte viel lernen und mitbekommen, wie eine solche riesige Produktion läuft – wer weiß, wann ich dieses Wissen brauchen kann.“ Seine „Sturmfahrt“ könnte zumindest dazu führen, dass Eisbrecher ein weiteres Stückchen wachsen. Das Werk ist ein furioser Sturm, der von Wellental zu Wellental führt und den Hörer keinen Moment lang aus den Augen lässt. „Während des Entstehungsprozesses fiel uns gar nicht auf, was für ein Monster wir da erschufen“, so Wesselsky. „Wir nahmen uns für „Sturmfahrt“ rein gar nichts vor, wollten einfach das machen, was aus uns herauskommt. Und siehe da, diese Sturmfahrt ist tatsächlich eine Reise, deren Aufbau und Abfolge uns sehr viel Zeit gekostet hat. Es gibt keine Zufälle, alles folgt einem sehr genauen Plan.“ Der lautet: „Der Hörer soll niemals zur Ruhe kommen.“ Gibt es also eine kurze Verschnaufpause in Form einer ruhigen Nummer, so ist der nächste Sturm nicht fern – wie es sich für eine anständige Sturmfahrt gehört eben! Und da war doch auch noch was mit dem Albumnamen, oder, Herr Wesselsky? „Schon lange bevor diese Platte einen Namen hatte, brauchten wir einen Titel für unsere nächste Tour. Da wussten wir noch gar nicht, wie das Album an Ende klingen würde. Irgendwann stellten wir vollkommen baff fest, dass „Sturmfahrt“ perfekt zu diesem Album passt. Klingt zwar, als wäre das total gewollt gewesen, ist am Ende aber totaler Zufall.“ Er senkt seine Stimme auf ein bedrohliches Flüstern. „Das darfst du niemandem verraten.“

EISBRECHER Sturmfahrt Sony bs. Es beginnt mit einem Paukenschlag. Der Opener „Was ist hier los“ führt in einer entfesselten Orgie alles ins Feld, was der Eisbrecher aufzubieten hat: Gradenlos marschierende Drums, stahlharte Riffs und das alles überstrahlende Organ von Anführer Alexander Wesselsky. Es ist einer der härtesten Momente der bisherigen Karriere, der diese „Sturmfahrt“ begründet. Und doch nur der Anfang einer unfassbar intensiven Reise. Monumental und schwelgerisch wird es bei „In einem Boot“ mit der weltbekannten Titelsequenz aus „Das Boot“, unterkühlt elektronisch bei „Automat“, gar balladesk und melancholisch bei „Wo geht der Teufel hin“. Dazwischen toben sich Eisbrecher in ihrem diesmal sehr weit gesteckten Feld aus Industrial, Rock, Metal, Electro und Pop aus, covern mit „Eisbär“ sogar endlich auch den NDW-Klassiker, auf den die Fans dieser Band wohl seit Tag Eins warten. Massiv, monumental, melodisch und martialisch - „Sturmfahrt“ lotet den Eisbrecher-Kosmos mehr aus denn je. Und straft jeden Lügen, der diese Band schon aufs Unheilig-Gleis abbiegen sah.


ip. Seit dem letzten Album „Saudades De Rock“ ist viel Zeit vergangen, fast zehn Jahre, aber die Funk-Metalband aus Boston hat sich mit ihrem zweiten Album „Pornograffitti“ (1990) und dem Klassiker aller Akustik-Balladen „More Than Words“ ihren Platz in der Galerie der grossen Rockbands schon längstens erspielt. Hauptfaktor für den Erfolg der Bostoner ist Gitarrist Nuno Bettencourt, das musikalische Naturtalent, das eigentlich lieber Sportler werden wollte und am besten Manager geworden wäre. Im Zuge ihres Auftrittes beim Summer Night Open Air im Z7 in Pratteln traf sich TRACKS mit dem humorvollen Portugiesen zu einem Gespräch über ein neues Album, gute Musik und den Background des Extreme-Überhits.

Ihr habt ein neues Album in der Pipeline, das Ende dieses Jahres veröffentlicht werden soll. Nuno Bettencourt: Wir hoffen, dass wir vor Ende des Jahres zumindest einen Track herausbringen können und die Platte wird dann wohl Anfang 2018 herauskommen. Wir haben 17 oder 18 neue Songs geschrieben. Werden die Songs den Fans gefallen, oder habt ihr experimentiert? Jeder, der sagt, er würde ein Album für die Fans machen, lügt. Die Fans haben eh keine Chance! Wenn du zehn Jahre auf ein Album deiner Lieblingsband warten musst und willst dich dann noch beschweren, dann beschwer dich halt (lacht). Wir sind froh, dass wir zehn Jahre nach unserem letzten Album überhaupt wieder eins aufnehmen können. Wir sind Extreme. Wenn wir das für die Fans tun würden, hätten wir eine Menge anders gemacht. Wir lieben unseren Job. Musik ändert sich, vor allem, wenn zehn Jahre vergangen sind. Das neue Album klingt vielleicht etwas aggressiver und wird vermutlich das härteste, was wir je gemacht haben. Du bist in Portugal geboren, nach Amerika gezogen und um die Welt getourt. Wo fühlst du dich zuhause? Manchmal denke ich, dass ich weiss, wo mein Zuhause ist. Aber dann spiele ich, wie gestern, in Mailand und fühle mich dort wie zuhause. Da kommt diese eine Band aus Boston, spielt an allen möglichen Orten dieser Welt und all diese unglaublichen Fans lassen dich überall wie zuhause fühlen. Das gilt für mein

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Bandleben. Privat wohne ich seit 15 Jahren in Los Angeles. Vielleicht liegt es daran, dass ich in Portugal, beziehungsweise auf einer Insel geboren bin und als Kind in die Staaten kam, aber ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich irgendwo verwurzelt bin oder dazugehöre. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich zum Wandern geboren bin. Du kannst Beziehungen zu so vielen Orten aufbauen und du findest immer Dinge, die zu dir gehören. Und du verbindest dich auch durch die Musik mit den Leuten oder den Orten. Du hast als Kind viel Sport gemacht, Hockey und Fussball gespielt und dich eher gar nicht für Musik interessiert. Erst kam dann das Schlagzeug und relativ spät die Gitarre. Es ist schon bemerkenswert, dass du mit dieser Vorgeschichte zu den besten Gitarristen weltweit gehörst. Wie haben dich die letzten 20 Jahre als Musiker beeinflusst? Das weiss ich gar nicht so genau, das ist eine gute Frage. Ich bin dieses Jahr 50 geworden. Es hat sehr lange gedauert, bis ich gelernt habe, im Jetzt zu leben. Zu viele Jahre sind vergangen, in denen ich tolle Dinge getan habe und ich meinen Fokus darauf gelegt habe, dass sie toll waren. Und danach habe ich in Erinnerungen an die tolle Zeit geschwelgt und darüber nachgedacht, was ich als nächstes tun wollte. Anstatt zu denken: „Habe ich das wirklich alles erlebt? War ich wirklich da?“ Ich versuche jetzt, im Augenblick präsent zu sein und „da“ zu sein, wenn ich auf der Bühne stehe. Du landest eben irgendwann in dieser Maschinerie, du spielst denselben Song für ein anderes


Publikum und verlierst irgendwann den Bezug dazu, wo du bist. Wenn du mich also fragst, was in den letzten 20 Jahren passiert ist, kann ich dir das nicht sagen. Ich weiss nur, was heute passiert. Aber eigentlich beeinflusst dich alles, auch Dinge, die du nicht magst. Du kannst nichts ungehört oder ungesehen machen. Das wäre manchmal ganz schön. Stimmt! Aber auch die Sachen, die du nicht magst, gehen irgendwie in dich hinein. Und heute bin ich das Produkt dessen, was mich in den letzten 50 Jahren geformt hat. Hoffentlich habe ich etwas daraus gelernt. Man hofft immer, dass man sich verbessert. Das versuche ich zumindest. Ich habe während meiner Karriere zu viele Bands, Familienmitglieder oder Freunde gesehen, die aufgehört haben, sich zu bewegen oder zu wachsen. Sie meinen, sie hätten das schon genug getan. Das ist aber nicht der Fall. Ich denke mir jeden Tag, dass ich verdammt Glück habe, hier zu sein. Nichts ist selbstverständlich. Nicht mal eine Dusche! Ich schwöre, ich freue mich darüber, duschen zu können. Das kann nicht jeder auf der Welt. So tiefgründig sich das auch anhören mag, es ist wahr. Ich wertschätze die Klimaanlage in einem heissen Raum (lacht). Du hast mit vielen stilistisch unterschiedlichen Musikern gearbeitet, darunter Rihanna, Toni Braxton, Steel Panther oder Dweezil Zappa. Warum ist Paul McCartney nicht auf der Liste (lacht)? Der wäre mein Favorit gewesen. Du magst die Beatles? Zusammen mit Led Zeppelin sind sie die besten beiden Bands aller Zeiten. Es gibt Led Zeppelin und es gibt die Beatles und alles andere ist irgendwo dazwischen. Was ist deiner Meinung nach wichtig, um als Musiker vielfältig zu sein? Ich denke, man muss offen sein. Als ich beispielsweise mit Rihanna angefangen habe zu spielen, haben so viele Leute gesagt: „Oh, das muss dir Spass machen, das ist so ein einfacher Job. Es ist bloss Pop.“ Und ich habe dann geantwortet: „Eigentlich liegst du total falsch! Es ist genau das Gegenteil davon.“ Wenn ich mit Extreme spiele, denken die Leute immer, das wäre superkompliziertes Zeug. Aber das ist es nicht, weil es mein Zeug ist, was ich da spiele. Deshalb ist es leicht für mich. Bei Rihanna muss ich Reggae spielen, Clubmusic, Pop und R&B und all die verschiedenen Gefühle und Akzente rüberbringen. Dadurch, dass ich mein Leben lang Led Zeppelin und die Beatles gehört habe, war ich allerdings ganz gut vorbereitet. Ich kann ABBA hören oder Iron Maiden. Judas Priest finde ich gut, aber auch Bread. Du solltest einfach offen sein für gute Musik. Es ist nicht nötig, ein Metaller zu sein oder ein Popper. Das habe ich eh nie verstanden. Ich liebe Musik und ich kann überall etwas Gutes darin erkennen. Es ist mir auch egal, ob es Britney Spears ist. Es gibt einen Grund, warum etwas erfolgreich ist. Wenn jemand über eine Band oder einen Song sagt: „Das ist Scheisse“, dann antworte ich: „Sag das nicht, es ist Kunst.“ Man muss es nicht mögen, aber es hat ein Publikum, also lass sie ihr Ding machen. Du hast auf „III Sides To Every Story“ die Bläser- und Streichersätze alle selber komponiert und arrangiert. Wie macht man so was ohne Ausbildung? Keine Ahnung, ich kann nicht mal Noten lesen. Alles, was ich tue, mache ich mit meinen Ohren. Ich habe niemals Musik studiert. Es ist nicht so, dass ich es nicht hätte tun wollen, aber ich habe eine ganz schlechte Lesefähigkeit. Ich bin einer der besten Leser aller Zeiten, aber ich muss das Zeug immer zehnmal lesen, bevor ich es verstehe (lacht). Und bei Musik ist es so, dass ich es verstanden habe, sobald ich es höre. Die Bläser- und Streichersätze habe ich auf einem Keyboard komponiert und jemand anders hat es dann auf Papier gebracht. Hat es dir Spass gemacht, klassische Musik zu schreiben? Ja, absolut! Ich war vor einem Monat in Norwegen und habe mit Steve Vai am Starmus-Festival. Das ist eigentlich nichts für Leute wie mich, die in der Highschool die Schule abgebrochen haben, sondern genau das Gegenteil. Steven Hawking war da und die klügsten Menschen und Wissenschaftler der Welt. Wir waren für die Unterhaltung zuständig und sind mit einem Orchester aufgetreten. Für mich ist das einer der erhebendsten Momente in meinem Leben als Musiker. Diesen Orchestersound bekommst du nur mit einer Gruppe aus 60-70 Musikern hin, das kann keiner alleine. Die Tatsache, dass sie das zusammen erschaffen, ist sehr kraftvoll. Du kannst diese Kraft hören und spüren, weil es so viele

«Es ist nicht nötig, ein Metaller zu sein oder ein Popper. Du solltest einfach offen sein für gute Musik.» - Nuno Bettencourt Leute sind, die ihre Instrumente spielen. Für mich gibt es nichts Vergleichbares. Wen könnte man das sonst fragen, ausser dich: Wie schreibt man die perfekte Ballade? Ich kann dir nicht soviel zum Schreiben von Balladen sagen, weil ich auf diese Frage echt keine Antwort habe. Aber ich kann dir Folgendes dazu erzählen: Ich bekam neulich eine SMS vom Rihannas Manager. Er schrieb mir aus irgendeinem Laden, dass gerade „More Than Words“ im Hintergrund liefe. Ich habe mich aus Spass dafür entschuldigt, dass er sich das beim Einkaufen anhören muss. Und er schrieb zurück, er wünschte, dass mehr Bands solche Songs schreiben würden und es sei immer noch ein Mysterium, wie wir diesen Song hingekriegt haben. Jeder schrieb damals grossartige Songs. Heute schreiben alle „Hits“. Weißt du, was ich meine? Leute schrieben damals Songs, sei es Bowie oder sonst wer, und keiner wusste oder kümmerte sich gross darum, ob es ein Hit werden würde oder nicht. Man wollte einfach geile Songs schreiben, ob auf der Veranda oder in deiner Garage. Und irgendwann ging es dann los: „Hey, der Song wurde Nummer 1 in jedem Land!“ und man versuchte das zu analysieren. Aber das kannst du nicht. Es ist ein Moment.

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«Wir haben es geschafft, dass es ok war, eine Pussy zu sein.» - Nuno Bettencourt Und wenn wir mal ehrlich sind, ist unser Song nicht wirklich darauf zugeschnitten gewesen, ein Hit zu werden. Er hat keinen grossen Refrain, nichts. Es sind bloss zwei Stimmen und ein paar Akkordwechsel, das war's. Eigentlich ist er schon fast zu kompliziert, um als „perfekte Ballade“ zu gelten. Dafür, dass die Plattenfirma den Song gar nicht veröffentlichen wollte, ist es ganz schön verrückt, dass er auf Platz eins landete. Die wollten den nicht veröffentlichen? Völlig verrückt, oder? Als wir den Song schrieben, gab es kein MTV Unplugged. Die Radiostationen spielten Metal rauf und runter, und wenn es Balladen gab, waren das diese bombastischen Powerballaden, riesig produziert und mit fetten Drums. Und dann kamen wir mit „More Than Words“. Sowas hatte seit Mitte der 70er keiner wirklich mehr geschrieben. Die Plattenfirma fragte, was sie mit dem Song anfangen sollte, denn keine Radiostation würde den je spielen. Und das stimmte auch, denn wenn es nicht schon ein Hit war, spielte es auch keiner. Wir waren aber überzeugt davon, etwas ganz Besonderes in den Händen zu halten, gerade weil eben keiner sonst so einen Song hatte. Aber die Firma bliebt hart und sagte, sie würden ihn nicht rausbringen, weil es kein Hit werden würde. Irgendwann waren sogar die anderen Jungs in der Band davon überzeugt. Wir gingen dann mit Alice In Chains auf Tour und in jedem Club, in dem wir auftraten, sang das Publikum diesen Song mit! Wir versuchten dann, die Plattenfirma davon zu überzeugen, dass die Fans den Song wollen. Es ging gar nicht mehr um uns und es hätte auch irgendein anderer Song sein können. Aber „More Than Words“ ging eine Verbindung mit den Fans ein. Kurz bevor wir nach Europa fuhren, flog ich von Boston nach Los Angeles, ohne den anderen Jungs etwas davon zu sagen. Ich klopfte bei unserer Plattenfirma an und sagte, ich wolle den Präsidenten sehen. Die Empfangsdame fragte, ob ich einen Termin hätte, und ich sagte nein, aber ich bräuchte nur zehn Minuten seiner Zeit. Ich konnte also zu ihm und sagte: „Wir müssen ‚More Than Words' als nächste Single veröffentlichen.“ Er sagte, er wisse von unserem Manager, dass wir das unbedingt wollten, aber die Firma würde das

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ablehnen. Ich sagte: „Tatsächlich? Nun denn“, stand auf, schüttelte seine Hand und wollte gehen. An der Tür drehte ich mich um und liess ihn wissen: „Ich steige morgen aus der Band aus. Ich werde auch keine Musik mehr machen.“ Er war völlig perplex, aber ich sagte ihm, dass ich keine Lust mehr auf das Theater hätte und lieber nur noch für meine Freunde die Gitarre auspacken würde. Ich sagte: „Ihr entscheidet über unsere Karriere, ohne dass ihr wisst, was in unserer Welt wirklich passiert. Bei allem Respekt: Sie sind der Präsident unserer Plattenfirma. Sie haben Janet Jackson, Sheryl Crow, Sting und Soundgarden. Ich bin bloss der Gitarrist von Extreme. Wollen Sie mir sagen, dass Sie von all diesen verschiedenen Musikstilen Ihrer Künstler Ahnung haben? Würden Sie meine Platte kaufen? Sie haben sie rausgebracht, aber würden Sie sie auch kaufen? Sind Sie unser Fan?“ In dem Moment hielt er inne und sagte: „Ich verstehe“, weil er unsere Platte wahrscheinlich nicht gekauft hätte. Ich sagte: „Sie treffen die Entscheidungen für unsere Karrieren, ohne unsere Musik überhaupt zu mögen.“ Er bat mich, noch einmal Platz zu nehmen. Du solltest Manager werden. Was glaubst du, was ich die letzten 30 Jahre gemacht habe... (schmunzelt). Ich setzte mich also hin und fragte ihn, ob er den Song doch veröffentlichen würde. Er sagte: „Nein. Aber wir werden ihn testen.“ Er wollte den Song also an irgendeine Radiostation in Denver leiten, wo er dreimal am Tag während einer Woche gespielt werden sollte. Sie würden dann die Nachfrage der Hörer prüfen. „Grossartig“, dachte ich, „das war's.“ Ich flog nach Hause, wo mich unser Manager ein paar Tage später anrief und mich anblaffte: „Was hast du getan? Du bist einfach zum Präsidenten...“ Weiter kam er nicht, weil ich mit den Worten „Ich tue bloss deinen Job!“ auflegte. Zwei Tage später war „More Than Words“ unter den Top 10 der Radiostation und am Ende der Woche auf Platz eins. Die Plattenfirma war schwer überrascht und ich fragte an, ob sie ihn jetzt veröffentlichen würden. Sie sagten: „Nein. Wir probieren eine andere Radiostation, um sicherzugehen.“ Unglaublich. Es passierte genau das Gleiche. Eine Woche später flogen wir nach L.A. um das Video zu drehen, die


Plattenfirma hatte nachgegeben. Dann gingen wir für eine Tour nach Europa. Mein Bruder rief mich an, um mir zu sagen, dass wir von jeder Radiostation gespielt wurden und unser Clip auf MTV rauf und runter lief. Ein paar Tage später sagte unser Manager: „Billboard hat gerade angerufen. Ihr seid morgen Nummer 1.“ Und er fügte hinzu: „Sag jetzt bloss nicht, du hättest es ja gewusst!“ (lacht). Ich erinnere mich daran, in Unterwäsche an die Hotelzimmertüren der anderen gepoltert zu haben (lacht). Aber, was bedeutet das jetzt? Es bedeutet, dass viele Leute gedacht haben, „More Than Words“ wäre nicht die perfekte Ballade, weil sie den Song «Ich kann nicht mal nicht verstanden haben. Man muss für die Dinge, an die man glaubt, kämpfen. Hätte ich dieses Flugzeug nach L.A. nicht genommen, würde ich jetzt vielleicht bei Burger King arbeiten (lacht). Wir haben diese Akustik-Kiste nicht erfunden, aber wir haben zweifelsohne die Welle losgetreten, die dann mit MTV Unplugged gross wurde und man auch wieder leisere Musik im Radio spielte. Da sind wir schon ein bisschen stolz drauf. Wir haben es geschafft, dass es ok war, eine Pussy zu sein (lacht). Egal wie heavy du bist, jeder hat eine Mutter oder eine Freundin, von dem her geht das in Ordnung (lacht). Jack Black und Jimmy Fallon mochten „More Than Words“ auch gerne. Ihr Video ist eine grossartige Parodie. (lacht) Ja, sensationell! Ich habe die Aufnahmen live gesehen. Sie hatten uns nichts davon erzählt, obwohl ich Jack zuvor noch bei einer Charity getroffen hatte. Sie haben das grossartig gemacht, mit den Perücken und dem Nagellack und den Bewegungen, super. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt. Wenn Jack Black sich über dich lustig macht, hast du es geschafft. Genau! Jemand fragte mich nach Erscheinen des Videos, ob ich sauer wäre. Ich sagte bloss: „Spinnst du? Das war das Beste, was jemand für einen meiner Songs hätte tun können!“ Dem kann ich zustimmen. Unsere Zeit ist leider schon um. Echt? Du hast keinen anderen Song von uns mehr auf Lager, den du nicht magst und über den wir uns noch unterhalten können (lacht)? Nein, leider nicht (Gelächter). Ich bin nicht so die BalladenLiebhaberin, aber ansonsten geht eine Menge von Rihanna

Noten lesen. Alles, was ich tue, mache ich mit meinen Ohren.» bis Blues und Motörhead. Also magst du einfach Musik. Ja. So lange sie dem Song dienlich ist, ist sie gut und dann höre ich sie auch gerne. Das ist, was ich vorhin meinte. Als wir anfingen, das ist ja lange her, da hörte ich auch Bands im Radio und fand sie öde und uninteressant. Aber irgendwann war ich enttäuscht von mir selber, weil ich meine Meinung und mein Ego über die Kunst dieser anderen Bands gestellt hatte. Du siehst jemanden wie Bryan Adams, von dem ich nicht eine einzige Platte besitze, auf der Bühne, wie er einen Abend lang klatschnass geschwitzt Hit um Hit spielt und das Publikum mitzieht. Das ist authentisch und echt und dann lieben dich die Fans. So sollte es sein und auch, wenn einem die Musik nicht gefällt, sollte man wenigstens Bewunderung für die Leistung des Künstlers aufbringen können. Das Gleiche gilt für einen Song: Du sitzt auf deiner Veranda und spielst was vor dich hin, woraus vielleicht „More Than Words“ entsteht, du aber gerade überhaupt nicht realisierst, dass du einen Hit schreibst. Wenn du dann die Eier hast, genau diesen Moment einzufangen und den Song genau so aufzunehmen, damit er genau so echt klingt, dann ist es das. Er muss dir etwas bedeuten und dann kannst du dich auch gegen die ganzen Produzenten durchsetzen, die den Song mit Orchester und Riesenschlagzeug aufnehmen wollen. Dann ist es echt.

Foto: Ian Keates

«Wenn jemand über eine Band oder einen Song sagt: „Das ist Scheisse“, dann antworte ich: „Sag das nicht, es ist Kunst.»

LIVE 9. Dezember 2017 Zürich, X-Tra


Die Wüste lebt Queens Of The Stone Age aus Palm Desert/Kalifornien ist seit Ende der 90er Jahre aus der Alternative/Stoner Rock Szene nicht wegzudenken und etablierte sich mit ihrem Album "Songs For The Deaf" aus dem Jahre 2002 in kommerzieller Hinsicht. Trotz Schwierigkeiten verschiedenster Art hielt Frontmann, Sänger und Gitarrist Josh Homme die Band immer am Leben, welche nun mit ihrem siebten Album –"Villains" – in den Startlöchern steht. Gitarrist Troy van Leeuwen, der neben Josh Homme am längsten bei Queens Of The Stone Age mitwirkt (seit 2002), sprach mit TRACKS.

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lg. TRACK konnte Troy in Japan erreichen, da die Band sich dort wegen eines Auftrittes am Fuji Rock Festival gerade aufhält. Erstmals interessiert, wie Troy das neue Album "Villains" (auf deutsch "Bösewichte") sowohl aus musikalischer wie auch aus textlicher Sicht beurteilt. "Wir versuchen, uns mit Queens Of The Stone Age nicht zu wiederholen. Während der Vorgänger "… Like Clockwork" aus meiner Sicht eine düstere, ja gar verletzliche Scheibe war, denke ich, dass "Villains" die direkte Antwort darauf bildet und ein waschechtes Upbeat-Rock'n'Roll-Album ist", so Troy. Zu den Texten will sich Troy nicht recht äussern, "denn diese sind ganz klar Joshs Spielwiese. Allerdings legt er grossen Wert darauf, dass die Texte dem Hörer Raum für eigene Gedanken und Interpretationen lassen." Nach dem Release von "… Like Clockwork" sind bereits gute vier Jahre vergangen. Troy erklärt: "Zieht man in Betracht, dass wir danach gute 18 Monate auf Tour waren, wir uns dann alle anderen Sachen gewidmet haben – ich zum Beispiel meinen eigenen Projekten Sweethead und Gone Is Gone und Josh Homme mit Iggy Pop auf Tour ging und auf dessen letztem Album "Post Pop Depression" mitgewirkt hat – , dann erscheint die Pause nicht wirklich lang. Vor einem Jahr haben wir uns als Queens Of The Stone Age wieder zusammengefunden und uns an die Arbeit für das neue Album gemacht." Laut Troy half auch das stabile Line-Up (seit 2013 mit der Hinzunahme von John Theodore am Schlagzeug) und die gute Kommunikation innerhalb der Band, dass es diesmal schneller ging als zwischen "Era Vulgaris" (2007) und "… Like Clockwork". Zudem hat die Band diesmal alles mehr oder weniger Live eingespielt, was den Aufnahmeprozess ebenfalls beschleunigt hat. Interessant ist zu verstehen, wie eine Band ein Album kreiert und Songs schreibt. Während bei einigen Bands nur ein oder zwei Songwriter agieren, wirken andere Bands als Kollektiv. "Bei Queens Of The Stone Age ist die Herangehensweise immer anders. Diesmal haben wir uns als Band zusammengefunden und jeder hat im wahrsten Sinne des Wortes seine Taschen geleert. So kamen viele Ideen auf den Tisch und wir konnten aus

den besten Melodien, Songs und Texten auswählen. So konnten wir mit "Villains" eine Art Best Of der gerade im Moment vorhandenen Ideen schaffen", gibt Troy zu Protokoll. "Die Gewinnerideen kamen auf das Album und wurden mit Joshs unverkennbarer Stimme angereichert. Man muss wissen, dass ein Album viel Arbeit bedeutet und das Songwriting nur ein Element davon ist." Die Diskographie von Queens Of The Stone Age besteht nunmehr aus sieben regulären Alben und ein paar weiteren Releases. Troy erachtet jedes Album als für seine Zeit wichtig und nennt für ihn derzeit das neue Album "Villains" als das herausragende Werk. Allerdings ist aus der Sicht der Fans und Kritiker zu bemerken, dass die beiden Scheiben "Rated R" (2000) und "Songs For The Deaf" (2002) als die wegweisendsten Alben von Queens Of The Stone Age gelten. Nach spezifischen Lieblingssongs gefragt, antwortet Troy: "Wir spielen ja Songs von jedem Album auf unseren Konzerten. Derzeit habe ich wahnsinnig Freude, die Hits wie zum Beispiel "Go With The Flow" live zu spielen. Auch die Sachen von "Era Vulgaris" machen mir grossen Spass, wie der Song "Sick, Sick, Sick", den ich sehr mag." Troy bezeichnet die Chemie zwischen den Bandmitgliedern von Queens Of The Stone Age als hervorragend und erachtet das aktuelle Line-Up als das stärkste seit seinem Einstieg 2002. Somit scheinen Zeiten der Unruhe vergessen zu sein, als Josh Homme seinen früheren Kyuss-Bandkollegen Nick Oliveri aus Queens Of The Stone Age warf, da Letzterer offenbar gewissen Substanzen nicht abgeneigt war und andere Eskapaden bot. Auf die besten und schlechtesten Bühnenerfahrungen mit Queens Of The Stone Age ist Troy um eine Antwort nicht verlegen: „Der beste Auftritt war für mich die Show im L.A. Forum, eine der grössten Arenen in der Region von Los Angeles. Ich habe immer davon geträumt, mal dort zu spielen. Dieser Traum ging nun anlässlich der letzten Show der letzten Tour endlich in Erfüllung. Die schlimmste Erfahrung war ein Auftritt nach einem Schlüsselbeinbruch vor etwa sieben Jahren, als der

LIVE 6. November 2017 Zürich, Samsung Hall

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Gitarrengurt sehr fies an der betroffenen Stelle gedrückt hat. Das tat höllisch weh.“

Making of «Villains» Fotos: Andreas Neumann

Troy, der seit 2002 bei Queens Of The Stone Age aktiv ist und zuvor mit A Perfect Circle (um Tool-Frontmann Maynard James Keenan) erfolgreich in Erscheinung getreten ist, kommt im Gegensatz zu Josh Homme nicht aus der Wüste sondern ist in Lakewood geboren, einen Vorort von Long Beach in der Region von Los Angeles. Erstmals hat er Josh Homme 1996 getroffen, als dieser nach dem Split der genredefinierenden Desert-Rock Band Kyuss als Aushilfsmusiker bei der Grunge-Band Screaming Trees in Erscheinung trat. Damals spielte Troy bei einer Band namens Failure und beide Bands teilten den Soundmann. So entstand der Kontakt zwischen den beiden, der zunächst zu einer Zusammenarbeit im Rahmen des Nebenprojets von Homme, den Desert Sessions, führte. Die Desert Sessions waren Jam-artige Aufnahmen von Musikers aus der Palm Desert-Szene sowie weiteren zugewandten Orten und erregten Ende der 90er Jahre Aufsehen. Anschliessend kam es zur äusserst erfolgreichen Kollaboration von Troy und Josh im Rahmen von Queens Of The Stone Age. Troy bezeichnet sich nicht als Person aus der Wüste, ist aber immer wieder in die Wüste selber gereist und liebt Orte wie den Nationalpart Joshua Tree, der im Palm Valley im Hinterland von Los Angeles liegt. Auf die Schweiz angesprochen, gibt Troy zu Protokoll, dass ihm dieses Lang sehr gefalle und die Landschaft grossartig und die Sprachen- und Kulturvielfalt sehr interessant seien. "Zudem ist die Schweiz für Queens Of The Stone Age wichtig. Wir haben hier eine solide Fanbasis und spielen auf jeder Europa-Tournee in der Schweiz. Wir lassen euch nie aus und ich freue mich auf den Auftritt in Zürich im kommenden Herbst."

QUEENS OF THE STONE AGE Villains Matador/ Musikvertrieb lg. Mit "Villains" legen die kalifornischen Wüstenrocker um Mastermind, Gitarrist und Sänger Josh Homme ihr nunmehr siebtes reguläres Studioalbum vor, gut vier Jahre nach dem gelungenen, aber relativ polierten und düsteren "… Like Clockwork". "Villains" tönt roher, rockiger und erdiger als der Vorgänger. Schon der Opener "Feet Don't Fail Me" ist ein regelrechter Party-Kracher geworden und mag mit seinen wunderbaren Keyboardteppichen und fetten Gitarren überzeugen. Das bereits vorab ausgekoppelte "The Way You Used To Do" strahlt einen siebziger-Jahre Flair aus und macht ebenfalls Spass. Ja, Spass scheint generell auf "Villains" im Vordergrund zu stehen und Queens Of The Stone Age gehen ihre Sache mit grossem Elan und Innovationslust an. Der vierte Song "Fortress" ist ein wunderbar-entspannter Rocksong, während das nachfolgende "Head Like A Haunted House" wiederum ordentlich Rockabilly- oder sogar punkig daher-rockt. Auch vermögen "The Evil Has Landed" oder der psychedelische Quasi-Titelsong "Villains Of Circumstance" zu überzeugen. Zwar haben sich ein paar schwächere Songs eingeschlichen wie das sperrige "Domesticated Animals" oder das etwas gar entspannte "Hideway". Alles in allem hat man es bei "Villains" mit einem sehr coolen Rock-Album mit einer starken Retro-Schlagseite zu tun, welches ganz klar aufzeigt, dass mit Queens Of The Stone Age nach wie vor zu rechnen ist und die Band keinesfalls abzuschreiben ist.

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LIVE

Zurück im Sattel

4.11.Pratteln, Z7

Sie reiten wieder. In den Sonnenuntergang, über den Rand der Welt, in unsere Herzen. So feurig, bissig, hungrig und furios wie zuletzt auf „All You Need Is Love“ galoppieren Die Apokalyptischen Reiter nach ihrer selbstauferlegten Pause mit wehenden Fahnen und dem Kracher „Der Rote Reiter“ zum MetalComeback des Jahres. Warum die Pause ein einziger Glücksfall war und weshalb sich die Band 15 Jahre jünger fühlt, vertraut uns Bassist, Schreihals und WhiskyExperte Volkmar „Volk-Man“ Weber an.

bs. 20 Jahre. Ziemlich genau 20 Jahre gaben Die Apokalyptischen Reiter Vollgas. Kaum eine Festivalsaison musste ohne ihre entfesselten Live-Orgien auskommen, kaum ein Jahr, in dem die Weimarer Metal-Meute nicht irgendwo auf Tournee war. Neun Studioalben später war es dann aber so weit: Das Feuer, das immer hoch zum Himmel loderte, war niedergebrannt, die Akkus waren bedenklich leer. Zeit für die Notbremse! Die Apokalyptischen Reiter verkündeten eine Pause, legten Ende 2015 noch ihr dreitägiges Festival „Das letzte Abendmahl“ hin – und verabschiedeten sich auf ungewisse Zeit. „Wir alle hatten schon länger das Bedürfnis, mal einen Gang oder zwei runterzuschalten“, bekennt Volkman „Volk-Man“ Weber. „Wir hatten ewig keine richtige Pause mehr gemacht, haben Album nach Album, Tour nach Tour und Festival nach Festival rausgehauen. Nicht zu vergessen die Business-Seite, die ja auch noch dazukommt. Jeder“, gibt er ehrlich zu, „war auf seine Art ausgebrannt.“ Das geht vielen

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Bands so, die unermüdlich touren. Es würde nur fast niemand zugeben. Die Apokalyptischen Reiter schon. Den fünf Protagonisten ist ihre Band bei weitem zu wichtig, als dass sie sie leichtfertig in die Krise reiten würden. „Wir haben viele Sachen ausprobiert, neue Stile entdeckt und erforscht, uns nie ein Limit gesetzt. Das ist irgendwann vielleicht ein wenig zu sehr ausgefranst, weshalb die Pause die beste Entscheidung überhaupt war“, lässt der Bassist hören. „Die Grundstimmung in der Band ist jetzt wieder eine vollkommen andere, wir hatten wieder richtig Bock auf die Band und ein neues Album. Ich hätte auch gar nicht gedacht, dass es schon so flott kommen würde.“ In der Tat: Wer schon mal eine zeitlich unbefristete Pause ankündigt, der kehrt selten nach eineinhalb Jahren wieder. Weber nickt grinsend. „Wir hatten die Dauer der Pause ja absichtlich offengelassen, um wirklich frei zu sein, doch dann gab es diese eine verhängnisvolle Session im Proberaum.“ Es war das erste Mal


Mainstream/Indie/Alternative REVIEWS nach vielen Monaten, dass die Reiter wieder versammelt im Proberaum waren. Ohne Agenda, ohne Ziel. „Dabei“, so der Basser, „flutschten gleich zwei neue Songs raus, die uns total begeisterten. Schon war die Pause vorbei. Doch wir wussten, dass dies einer dieser magischen Momente war, die man packen muss. Sonst ist er fort.“ Gesagt, getan: Keine vier Monate später war das zehnte Album fertig geschrieben – so schnell wie kein anderes in ihrer Geschichte. Wie sich das auf den Sound auswirkt? Nun, es ist, als habe sich die Band in die Zeit von „All You Need Is Love“ zurückversetzen lassen, um den Hunger und die unbändige Leidenschaft dieses Meisterwerks neu zu interpretieren. „Wir haben viel weniger nachgedacht uns unser Bauchgefühl den Takt vorgeben lassen“, nickt der Basser. „Wir haben das Album rausgerotzt – und das meine ich ausdrücklich positiv. Das hatte etwas zutiefst Reinigendes.“ Das letzte Album „Tief. Tiefer“ war für die Band ein emotionaler und musikalischer Kraftakt, bei dem jeder seine ganz eigenen Tiefen durchschritten hatte. „Das ist jetzt wieder anders. Und fühlt sich überwältigend gut an.“ Man spürt ihn förmlich, den Freiheitsdrang, den sich die Reiter zurückerobert haben. Monate der Einkehr, in denen die einen durch Thailand und Kambodscha reisten, Weber unter anderem im Japan war und seinen Whiskyhandel namens Whiskytempel Wirklichkeit werden ließ, haben die Köpfe freigepustet und den Hunger neu geschürt. „Das Wichtigste war, die Musik ruhen zu lassen und nicht immer krampfhaft nach neuen Eingebungen zu suchen“, betont er. „Wir wollten uns mal wieder selbst überraschen – und das haben wir! Mal raus aus dem Hamsterrad. Man muss manchmal einfach wieder diesen Hunger und dieses Brennen spüren. Die Gewissheit, warum man das alles macht.“ Ja, warum machen sie es denn eigentlich? Weber ist nicht um eine Antwort verlegen: „Für die Musik, das Beisammensein, das Reisen. Eigentlich für alles!“, poltert er los. „Diese Band ist ein Kick, den man nirgendwo sonst bekommt.“ Durchaus auch für ihre toleranten und offenen Fans bekannt, machen dennoch die wenigsten einen Hehl daraus, welche Reiter ihnen am besten gefallen: Die stürmischen, hymnischen, epischen Reiter sind es, die Geschichte geschrieben haben. Und mit „Der Rote Reiter“ weiter schreiben. „Ich konnte mir vor diesem Album nicht vorstellen, dass wir jemals wieder so komponieren würden“, gesteht Weber. „Anstatt wie früher Songs zu schreiben, sie liegen zu lassen und dann mit dem Kopf das zu zerdenken, was der Bauch erschaffen hat, haben wir diesmal einfach gemacht. Deswegen sind die Songs so direkt, so roh und unmittelbar.“ Als erfahrener Musiker, sagt er, müsse man sich regelrecht abtrainieren, wieder und wieder in Revision zu gehen. Operation geglückt, kann man da nur sagen! Manchmal ist es eben wichtig, etwas zu verlernen. Und diesmal haben sie genau die richtigen Dinge verlernt. Endlich reihen sie sich wieder aneinander, die großen Hymnen, die MetalSchlachtrufe, die man in dieser Form seit locker zehn Jahren nicht mehr aus Ostdeutschland vernahm. „Natürlich waren wir immer eine Metal-Band, doch manchmal gingen die Pferde mit uns durch, was Einflüsse oder Ideen anging“, gibt der Basser zu. „Das ist okay, man will sich ja auch immer wieder selbst überraschen. Doch am Ende des Tages steigst du ins Auto und legst eben doch die MotörheadCD ein. Da kommen wir her. Das ist uns wichtig.“ Lemmy würde das auch gefallen.

DIE APOKALYPTISCHEN REITER Der Rote Reiter Nuclear Blast/Warner bs. Freudentränen, Gänsehaut, zum Himmel gereckte Fäuste: Die Apokalyptischen Reiter kehren mit „Der Rote Reiter“ aus ihrer freiwilligen Pause zurück – und besinnen sich auf ihre glorreichen Kernkompetenzen. Als grobe Anhaltspunkte dürfen und müssen hier die Alben „All You Need Is Love“ und „Have A Nice Trip“ herhalten, ähnlich entfesselt, hungrig, freigeistig und unzähmbar galoppieren die fünf Reiter ins Jahr 2017: Große Melodien, noch größere Refrains, Lieder vom Ende der Welt und von neuen Anfängen, ein zupackendes Album voller purem, epischem Heavy-Metal-Furor. „Wir sind zurück“ ist deswegen nicht nur der Name des Openers, sondern zugleich die Marschrichtung für das längste Reiter-Album der Geschichte. Vollgepackt mit starken Songs, zusammengehalten von jener unvergleichlichen Raserei, die längst als Reitermania bekannt ist, und nur im abschließenden Ballädchen „Ich werd bleiben“ hinsichtlich des Pathos etwas übers Ziel hinausgeschossen. Schön, dass ihr wieder da seid, ihr Wahnsinnigen!

RISE AGAINST Wolves Virgin ds. Rise Against sind zurück. Und dies mit einem erneut gelungenen Longplayer in bester Melodic – Hardcore Manier. „Wolves“ kommt daher wie man sich eine Rise Against – Scheibe vorstellt. Roh, wütend, schnell, mit wunderschönen Refrains, um die Aggression zum Schluss doch noch ein wenig zu entschärfen. Inhaltlich wird gewohnt scharf geschossen. So ist „Wolves“, wie kann es anders sein, ein durch und durch politisch motiviertes Album. So verstehen sich die Songs als Soundtrack der momentanen Situation im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Energietechnisch steht „Wolves“ mit Songs wie „Far From Perfect“ oder „Welcome To The Breakdown“ seinen Vorgängern in nichts nach. Die Riffs sind scharf, die Drums tight und Tim McIlrath`s Stimme jongliert zwischen Stabilität und schon fast verzweifelt hysterischer Tonlage. Rise Against haben mit „Wolves“ ein weiteres Album auf den Markt gebracht, das sich weder als neu erfunden, noch als langweilig normal herausstellt. Die Musik der Chicagoer Punkrocker lebt von der momentanen Energie und muss sich im Vergleich zu anderen Künstlern nicht konstant weiterentwickeln. „Wolves“ bleibt

beim Erfolgsrezept, und dies funktioniert hier besser denn je.

THE CHARLATANS Different Days BMG kw. Das neue Album reiht sich zu einer über 20-jährigen Bandgeschichte. “Different Days“ ist gemächlich und sehr hallend. Zum Letzteren trägt vor allem der geradlinige und elektronisch normierte Gesang bei. Die Indie-Pop-Rock Band aus England macht Musik, in der nicht sonderlich viel passiert, manchmal dümpelt sie ein wenig vor sich hin. Im gitarrenlastigen “Plastic Machinery“ wirkt das allerdings unbefangen und spannend. Deswegen ist aber ihr Sound nicht gleichgültig, sie hat immer eine ganz besondere Stimmung, die mehrheitlich einem mehr oder weniger wolkenbehangenen Himmel ähnelt. Im Prinzip ähnlich ist der Song “Different Days“, der eine relativ klare Struktur hat. Es kann aber auch zäh wie Karamell sein (“Not Forgotten“). Desweiteren gibt es auch noch Lieder wie “Over Again“ oder “Same House“, die durch die Elektronik eher wie Marsmusik klingen. Löblich am neuen Werk von The Charlatans ist die spezielle Atmosphäre, aber doch bleibt gelegentlich das Gefühl, es passiert zu wenig.

DESTINATION LONELY Death of an Angel Voodoo Rhythm Records ds. „Teenager Garage Punk Rock `n`Roll Heroin Groove“ – solch treffende Bezeichnungen können nur vom König des Trash Reverend Beat–Man höchstpersönlich stammen. Der Versuch, alles andere als Pop zu sein gelingt Voodoo Rhythm erneut erfolgreich. Mit „Destination Lonely“ fand das Berner Label wieder 3 Jungs aus Toulouse, welche sich den Trash wahrscheinlich direkt intravenös zugeführt haben. Diese drei Herren entstammen einer lebendigen Trash–Szene in Südfrankreich und gründeten Bands wie Blew-Up, Jerry Spider Gang oder Beach Bitches. Diese sind nun als Destination Lonely unterwegs und veröffentlichen unter diesem Namen bereits ihr zweites Album. Schon beim ersten Song „Dirt Preacher“, einem Cover der legendären Gibson Brothers, versteht man kein einziges Wort. Die Verzerrung geht so die ganze Scheibe hindurch weiter. Der zweite Song ist so gesehen Programm: „Staying Underground“ zelebriert Punkattitüde. Aber man staune: trotz der Fülle an Songs mit übersteuernden Gitarren und schlicht und einfach Krach findet sich der Titelsong „Death of an Angel“ als Radio Airplay Single wieder. In Songs wie „Vanessa“ entdeckt man den für Voodoo Rhythm typischen, schon fast Tarantinoartigen Sound. Für Trash – Liebhaber und Sympathisanten des Berner Kultlabels ist „Death of an Angel“ ein Muss und hat wie jede Voodoo Rhythm Veröffentlichung einen Sammlerwert.

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REVIEWS Hard/Heavy/Metal ACCEPT The Rise Of Chaos Nuclear Blast mv. Eine neue AcceptPlatte ist immer mit viel Vorfreude verbunden. Aber natürlich auch mit hohen Erwartungen. Gerade weil die letzten drei Scheiben der deutschen Metal-Institution allesamt bärenstark ausgefallen sind und Accept zurück an die Spitze brachten. „The Rise Of Chaos“ setzt dann auch absolut nahtlos an die Vorgänger an. Und dies obwohl es im Line-Up der Band ja mal wieder gerappelt hatte (Gitarrist Herman Frank und Schlagzeuger Stefan Schwarzmann sind ausgestiegen). Das Duo Hoffmann/Baltes ist aber schon seit Ewigkeiten die treibende Kraft und verantwortlich für das Songwriting bei Accept, weshalb schon der wuchtige Opener „Die By The Sword“ so urtypisch den Bandsound zelebriert, dass man meinen könnte, es handle sich um einen verschollenen Song aus seligen „Metal Heart“ oder „Russian Roulette“-Zeiten. Auch der obercoole Stampfer „Koolaid“ lässt alte „Balls To The Wall“Zeiten auferstehen. Der UptempoBrecher „No Regrets“ und das fette „Ana-log Man“ sind weitere High-lights, welche alle geliebten Trademarks der Band (geniale Chöre, teutonische Killerriffs, hymnische Mitsing-Refrains) auf den Punkt bringen. Leider gibt es auf „The Rise Of Chaos“ aber auch ein paar Schatten. So sind zum Beispiel „Hole In The Head“, „What’s Done Is Done“ oder erstaunlicherweise auch der Titeltrack etwas einfallslos geraten und wiederholen Melodien und Chorus -Ideen der letzten Alben. Der Sound von Andy Sneap ist fett und mächtig wie immer, aber die vielen Ähnlichkeiten zu den Vorgängeralben trüben etwas die Freude und man kann nur hoffen, dass sich die Band beim nächsten Album ein klein wenig mehr getraut in Sachen Innovation. „The Rise Of Chaos“ ist sicher keine Enttäuschung und wird dank einiger sehr starker Songs bei den Fans auch live für Freude sorgen. An die ganz grosse Klasse von "Blood Of The Nations" und "Stalingrad" kommt man dieses Mal aber nicht mehr ganz heran.

ICED EARTH Incorruptible Century Media Records mv. Iced Earth waren vor sehr langer Zeit mal eine Band, die absolute Begeisterungs stürme hervorrief und mit unglaublichen Riffs sowie dunklen Melodien die Metalfans zum Jubeln brachte (mit dem Debut-

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album, „Night Of The Stormrider“, „Burnt Offerings“, „The Dark Sage“ und „Glorious Burden“ hat die Band immerhin ganz fünf grosse unsterbliche Klassiker in der Hinterhand, das können nicht viele Bands vorweisen). Leider gab es in der History der Band nicht nur unzählige Besetzungswechsel, auch die Qualität der Alben liess teilweise extrem nach. Seit Sänger Stu Block (ex- Into Eternity) das Mikro übernahm ging es aber wieder aufwärts mit Iced Earth (nachzuhören auf den beiden wirklich guten Album „Dystopia“ und „Plagues Of Babylon“). „Incorruptible“, das neue Album dürfte die Fans leider wieder spalten. Die Hardcore-Fans der Band werden auf dem neuen Album alles finden, was Iced Earth ausmacht und zufrieden sein. Alle anderen werden etwas bestürzt feststellen, dass gerade die ersten sechs Songs hintereinander irgendwie seelenlos sind, absolut nichts bieten was man auf den vorherigen Alben nicht schon gehört hat und deshalb fast schon langweilen. Es ist zwar super gespielt und stark gesungen, aber es berührt nicht und es bleibt absolut nichts hängen. Interessanterweise kommen gegen Ende des Albums dann doch noch drei wirklich überragende Songs zum Vorschein, welche die alte Magie wieder etwas hervorrufen (das etwas an Iron Maiden angelehnte Instrumental „Ghost Dance (Awaken The Ancestors)“, die Hymne „Defiance“ und das finale, monumentale 10-Minuten Opus „Clear My Way“). Das ist aber etwas wenig für eine Band wie Iced Earth, welche halt immer wieder grosse Erwartungen schürt. Immerhin ist das Artwork mal wieder phantastisch und die Produktion gewaltig. Am besten vorab reinhören und sich selber ein Bild machen.

COMEBACK KID Outsider Nuclear Blast/Warner bs. Das ist für die Außenseiter. Für die Dissidenten, die Querschläger, die Gegen-denStrom-Schwimmer. Comeback Kid wissen, wer ihr seid, wissen, was ihr durchmacht. Und liefern auf „Outsider“ euren ganz persönlichen Soundtrack für den täglichen Wahnsinn. Besonnen und ausgeglichen klangen die Kanadier schon in den vergangenen 15 Jahren ihrer Karriere nicht unbedingt, wie jeder bestätigen kann, der die PostHardcore-Arbeitstiere auf einer ihrer zahlreichen Touren erleben durfte; dieses sechste Album bannt die aufrührerische Energie der gnadenlosen Live-Shows allerdings erstmals derart

überzeugend auf Band, dass man sich bei einer gewissen Lautstärke nicht wundern würde, wenn der Fünfer urplötzlich in den eigenen vier Wänden steht. Seit 2002 dem Hardcore leidenschaftlich ergeben, haben es Comeback Kid dennoch nie eingesehen, sich an die strengen Regeln und Formeln der Szene zu halten. Lieber haben sie von Album zu Album versucht, voranzukommen, sich zu steigern und die ureigene Comeback-Kid-DNA massiver und massiver zu machen. „Outsider“ ist der vorläufige Höhepunkt: Direkter, kompromissloser als zuletzt und angriffslustig wie auf den frühen Werken pflügen sich die Amerikaner durch Hardcore, Punk, Rock, Metal, große Hymnen und aufrüttelnde Schlachtrufe. Nur so viel: Wenn die euphorisierenden Gang-Shouts von „Surrender Control“ aufbranden, kann man sich schon jetzt ausmalen, was da live los sein wird. Dennoch gehen Comeback Kid auch auf diesem Album andere Wege, setzen neue Maßstäbe, kitzeln neue Facetten aus ihrem etablierten Trademark -Gewitter heraus. Beim thrashigen „Absolute“ gibt sich zum Beispiel der große Devin Townsend die Ehre, in „Hell Of A Scene“ geht mit mörderischen Blast-Beats ans Eingemachte, „Somewhere, Somehow“ fegt alles mit seinem epischen Chorus weg. Wut, schlechte Laune und Frustration sind manchmal eben doch die wirkungsvollsten Waffen, wie es scheint...

ORDEN OGAN Gunmen AFM Records mv. Orden Ogan wer-den von Album zu Album bombastischer, hymnenhafter und schlichtweg besser! Spätestens seit „Ravenhead“ gehört die Band zur Elite des europäischen Power Metals und dürfte allen alten Blind GuardianFans regelmässig Freudentränen und/oder fettes Grinsen bescheren. Denn was die Jungs um „Sebastian „Seeb“ Levermann auf den letzten Alben und auch hier auf „Gunmen“ abliefern ist genau die Mucke, die man von den Guardians seit vielen Jahren vermisst. Und mit ihrem neuesten Streich haben Orden Ogan sozusagen ihr Meisterwerk, ihr „Imaginations From The Other Side“ abgeliefert. „Gunmen“ strotzt nur so vor gewaltigen Chören, opulenten, eingängigen Refrains und einem wahren Feuerwerk an Melodien. Hymnen wie der Opener und Titeltrack „Gunmen“, der Ohrwurm und Albumhighlight „Fields Of Sorrow“, das majestätische „Forlorn And Forsaken“, das mitreissend stampfende „Vampire In Ghost Town“, das vielseitige mit Live Kristine als Gastsängerin verstärkte „Come With Me To The Other Side“ oder das dramatische wie wunderschöne Finale „Finis Coronat Opus“, egal welchen Song man auswählt, das Niveau ist schwindelerregend hoch und die Band strotzt nur so vor Kreativität. Dazu kommt

eine absolut phantastische Produktion (differenziert und enorm druckvoll) und ein sehr cooles Artwork von Altmeister Andreas Marschall (Running Wild, Blind Guardian, Hammerfall u.v.m.). So hat die Band diesmal ihr Maskottchen Alister Vale in den Wilden Westen verlagert. Aber keine Sorge, auf „Gunmen“ gibt es weder Country-Einschlag noch Westernmusik oder dergleichen. Einfach nur gewaltigen Heavy Metal, der die Band jetzt hoffentlich endlich zum Durchbruch bringt. Verdient hätten sie es mit diesem nahezu perfekten Werk mehr als redlich.

THRESHOLD Legends Of The Shires Nuclear Blast/Warner lg. Das nunmehr elfte Studioalbum der englischen Progressive Metal-Könige von Threshold um den Gitarristen Karl Groom wurde statt mit Originalsänger Damian Wilson mit Glynn Morgan an den Vocals aufgenommen. Morgan war bereits auf der zweiten Scheibe von Threshold, "Psychedelicatessen" (1994) zu hören. Offenbar wollten Threshold nach dem Abgang von Wilson keinen neuen Mann in die Band einarbeiten, so dass der Wechsel zu Morgan der einzig logische Schritt war. "Legend Of The Shires", welches als kolossales Doppelalbum veröffentlicht wird, zelebriert komplexen Metal, welcher mit grossartigen Melodie- und Spannungsbögen angereichert wird. Im Vergleich zum direkten Vorgänger "For The Journey" ist "Legends Of The Shires" progressiver geraten – gewisse Songs wie beispielsweise "Trust The Process" erinnern an die US-Metaller von Symphony X, während der längste Song des Albums, "The Man Who Saw Through Time", etwas vom besten darstellt, was Threshold je fabriziert haben. Es wimmelt nur so von herausragenden Songs wie "Snowblind" oder dem zweiten Longtrack, "Lost In Translation". Doch auch die anderen Tracks halten das Niveau – dennoch sind 83 Minuten etwas gar viel Musik und verlangen dem Hörer vollste Konzentration ab. "Legends Of The Shires",ein Konzeptalbum über ein Land, welches seine Stellung in der heutigen Welt sucht, bietet grossartiges Ohrenkino und untermauert die Ausnahmestellung von Threshold.

KAISER FRANZ JOSEF Make Rock Great Again Sony hh. Das junge österreichische Trio mit dem lustigen Namen zelebriert auf seinem zweiten Album schweren Heavy-Rock, in dem sie Einflüsse aus über 50


Hard/Heavy/Metal REVIEWS Jahren (hartem) Rock verarbeiten, von Classic Rock über Doom bis hin zu Grunge. Das machen sie mit viel Gespür und beweisen sich dabei als hervorragende Musiker und Songschreiber. Es macht Spass zu hören, wie diese jungen Musiker mit den Einflüssen ihrer grossen Vorbilder umgehen, sie zitieren, die Essenz herausfiltern, alles in einen Topf werfen und daraus ihr eigenes Süppchen kochen, wobei Nirvana ein dominantes Gewürz ist. Damit bewegen sie sich in direkter musikalischer Nähe zu Wolfmother, schon allein (aber nicht nur) wegen der stimmlichen Ähnlichkeit zu Andrew Stockdale. Soweit alles klar? Also alle, die mit vorgenannten Sounds etwas anfangen können, sollten nun schnellstens zum Plattenhändler ihres Vertrauens rennen und sich „Make Rock Great Again“ besorgen. Und für alle Jüngeren, die auf harten Rock stehen aber mit vorgenannten Einflüssen (noch) nichts am Hut haben: Hier bekommt ihr das volle Brett! Geile Platte!

JAG PANZER The Deviant Chord Steamhammer lg. Jag Panzer aus Colorado/ USA um Bandleader Mark Briody (git.) und Gesangsgott Harry "The Tyrant" Conklin haben sich nach einer EP mit ihrem Debütalbum aus dem Jahre 1984 – "Ample Destruction" – ein Denkmal gesetzt und gleichzeitig eines der besten Power Metal-Alben aller Zeiten geschaffen. Kernige Riffs treffen auf Melodie und die geniale Stimme von Conklin. Dazu kommt grossartiges Songwriting. Leider brach das LineUp nach "Ample Destruction" rasch auseinander, denn der nun für "The Deviant Chord" zurückgekehrte Supergitarrist Joey Tafolla wandelte auf Solopfaden, während sich Conklin der nicht minder grossartigen Band Titan Force anschloss. So dauerte es bis 1994, bis ein neues Album erschien (das mehr schlecht als rechte "Dissident Alliance" mit Daniel J. Conca an den Vocals). Doch die Band um Briody machte immer weiter und konnte für die nachfolgenden Werke (allesamt wieder mit dem unverwüstliche Tyrant am Mikro – ausser dem 2004 veröffentlichten "Chain Of Command", das 1987 aufgenommen worden ist) aus einem reichen Fundus aus Demo-Songs schöpfen und etablierte sich wieder im Underground. 2011 erfolgte etwas überraschend die Auflösung mit der Begründung, es lohne sich nicht mehr mal zu touren. So blieb das Album aus dem gleichen Jahr – "The Scourge Of

Light" – der bislang der letzte Release. Nach der Reunion 2014 und dem wiedergewonnenen Hunger kehren Jag Panzer nun mit ihrem zehnten Album "The Deviant Chord" zurück. Die zehn Songs auf "The Deviant Chord" repräsentieren allesamt die grosse Klasse der Band und alle Mitglieder zeigen sich absolut auf der Höhe – herausragend sind Sänger Conklin und Gitarrist Tafolla. Es ist eine wahre Freude, diese Scheibe zu hören, auf der ein wahres US-Metal Feuerwerk gezündet wird. Es fällt fast etwas schwer, angesichts der Klasse einzelne Songs herauszupicken, doch können als Highlights "Far Beyond All Fear", der Titelsong sowie das kernige "Fire Of Our Spirit" ausgemacht werden. So muss guter Metal tönen!

ARCH ENEMY Will To Power Century Media/Sony bs. Was Nietzsche unter dem Begriff „Wille zur Macht“ verstand, wird schnell verständlich, wenn man sich vom neuen ArchEnemy-Angriff wegpusten lässt. „Will To Power“ ist wie die Vertonung von Nietzsches Postulat, der Mensch strebe immer nach Höherem, nach mehr Macht und nach Verbesserung. Dieses Motto gilt nämlich auch für die mittlerweile international verstärkten Schweden um Gitarrist Michael Ammott, die nach dem Ausstieg ihrer ikonischen Sängerin Angela Gossow noch mal einen unerwartet großen Satz gemacht haben. Zu verdanken ist das natürlich auch der neuen Sängerin Alissa White-Gluz, die auf „Will To Power“ erstmals so richtig zeigt, was in ihr steckt: Zu den monumentalen Heavy-Metal -Hymnen der Band brüllt, singt, faucht, haucht und grölt sie sich die Seele aus dem Leib, legt eine dermaßen beeindruckende Leistung hin, dass die Musik fast ins Hintertreffen gerät. Fast, denn immerhin handelt es sich bei Arch Enemy um eine der derzeit heißesten und besten Bands im Metal-Sektor. Bewaffnet mit Hymnen, Hymnen und noch mehr Hymnen spielen die selbst ihr verdammt starkes Vorgängeralbum „War Eternal“ an die Wand und liefern eine brillante Balance zwischen epischer Melodie und bedrohlicher Härte. Prognose: Kinnladen werden nach unten fallen. Reihenweise.

ATTIC Sanctimonious Van Records

lg. Die deutschen Mercyful Fate-Anbeter von Attic legen mit "Sanctimonio

us" endlich ihr langerwartetes zweites Album vor, nachdem es um die Underground-Hopefuls in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden ist. Das Debüt "The Invocation" (2012) schlug wie eine Bombe ein und wurde beispielsweise im renommierten Rock Hard Magazin zur Platte des Monats gekürt. Auch das Demo aus dem gleichen Jahr hinterliess Spuren und ist in der Vinyl-Version zu einem gesuchten Sammlerstück avanciert. Es wäre allerdings unfair, Attic als eine reine Kopie von Mercyful Fate (der Gesang von Meister Cagliostro legt das nahe) zu sehen, denn die Band bezieht sich auch auf Einflüsse von "alten" Bands wie Helstar, Judas Priest, Dissection und Pentragram, und reichert diese mit einem Horror-Konzept an. Auch "Sanctimonius" findet der geneigte Heavy Metal-Hörer spannendes und abwechslungsreiches Songwriting, welches schnelle Parts mit mystischen und getragenen Passagen vereint. Der Opener "A Serpent In The Pulpit" kann hier als Beispiel genannt werden. Ebenfalls grossartig sind die beiden längsten Songs des Albums, "Die Engelmacherin" sowie der Rausschmeisser "There Is No God", welche alle Trademarks von Attic vereinen. Auch die kürzeren und schnelleren Songs wie "Penalized" und "Sinless" sind ebenfalls sehr gelungen und geben dem Album die nötige Dynamik. Es steht nichts im Wege, dass "Sanctimonious" wiederum als Undergroundklassiker gelten wird. Gutes Album!

WITH THE DEAD Love From With The Dead Rise Above/Irascibe

lg. Lee Dorrian, der Ex-Frontmann der Doom-Legende Cathedral konnte es nicht lassen und gab vor zwei Jahren ein Comeback aus dem selbst verord-neten Ruhestand mit seiner neuen Band With The Dead, welche in einer derbere Kerbe als Cathedral schlägt und sehr doomig/sludgig zu Werke geht. Zusammen mit Tim Bagshaw (exElectric Wizard/Ramesses) an Gitarre und Bass und den weiteren Mitstreitern präsentieren sich With The Dead noch einen Zacken düsterer, härter und kaputter als auf dem selbstbetitelten Vorgänger aus dem Jahre 2015. Die sieben Songs können fast schon im Drone-Bereich angesiedelt werden und zelebrieren negative und düstere Mu-sik, bei welcher keinen anderen Gedan-ken Platz eingeräumt wird. Die Songs sind grundsätzlich langsam gehalten und strotzen nur so von Nihilismus. Als Anspieltipps sind der Opener "Isolation" und die alles zerstörenden und überlan-gen "Watching The Ward Go By" und "CV 1" zu nennen. "Love From With The Dead" ist wohl das kaputteste Album, an dem Lee Dorrian als Musiker betei-ligt ist (sogar unter Berücksichtigung der alten Napalm Death-Schandtaten). Das ist extremster Doom.

REX BROWN Smoke On This… SPV

mh. Er sorgte für die Basswalzen in Pantera, hat sein Können ebenfalls

bei Down unter Beweis gestellt und fand in James Hetfield einen Leidensgenossen, als sie als Supportband für Metallica im Jahr 2007 tourten, denn Brown und Hetfield hatten beide einen Alkoholentzug hinter sich. In der Art und Weise wie Brown seine Songs strukturiert und intoniert wird dem Hörer klar: He's been there, he's done that. Brown braucht sich nicht künstlich aufzuplustern um irgendwelchen vergangenen Tagen des Ruhms nachzueifern. Mit „Smoke On This…“ liefert er eine dermassen coole Scheibe ab… Die Songs wirken authentisch, ehrlich und scheinen einfach so aus dem Ärmel geschüttelt worden zu sein und das ist so positiv wie nur möglich zu verstehen. Anspieltipps: „Lone Rider“, „Crossing Lines“ und „What Comes Around…“.

JORN Life On Death Road Frontiers Records

mv. Der norwegische Sänger Jorn Lande gibt immer Vollgas und so vergeht eigentlich kein Jahr ohne Veröffentlichung rund um den blonden Wikinger. Und egal ob es sich um eine Zusammenarbeit mit Symphony XSänger Russell Allen handelt (Allen/Lande Projekt), mit Tobias Sammet (Avantasia) oder als Solokünstler unter Jorn, der Mann hat einfach eine unverkennbare, ausdrucksstarke Stimme der Superlative. Die letzte Platte unter dem Banner Jorn war ein Coveralbum und von da her eher verzichtbar. Nun gibt es also wieder ein reguläres Jorn Soloalbum zu hören, für welches als SongwritingMannschaft die beiden SinnerRecken Alex Beyrodt und Mat Sinner sowie Keyboarder Alessandro Del Vecchio (sozusagen bei allen Frontiers Veröffentlichungen irgendwie involviert) angeheuert wurden. Schon nur deswegen klingt „Life On Death Road“ etwas anders als die letzten Jorn Alben. Alles in allem haben die Songs etwas mehr Power und Biss. So geht’s bei Nummern wie „Hammered To The Cross“, „Love Is The Remedy“ oder „Fire To The Sun“ mit starken Riffs zur Sache, was Jorn zu gesanglichen Glanzleistungen anspornte. Dank Gastmusiker wie Craig Goldy (exDio) oder Gus G. (Ozzy Osbourne) gibt es auch einige herrliche Gitarrensoli zu bewundern. Am besten singt Jorn immer, wenn er sich an alten Whitesnake orientiert, was „Devil You Can Drive“ zu einem Highlight des Albums befördert. Und mit "Man Of The 80s" gibt es noch eine herrliche Verbeugung vor dem goldenen Rock-Jahrzehnt. Auch wenn das Album bei weit über einer Stunde Spielzeit definitiv etwas zu lang geraten ist, dürfte „Life On Death Road“ jedem JornAnhänger gefallen und die Anschaffung wert sein.

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Durchs Grabwurmloch

Auf ihrem vierten Album „Rough Times“ geht ein spürbarer Ruck durch Berlins coolste Rock-Band Kadavar. Bass und Schlagzeug übernehmen die Federführung in einem furios dröhnenden, animalischen Sound, auch textlich geht es um einiges düsterer und direkter zu. Nur ein Spiegel dieser Tage? Nicht ganz, wie Alphawolf Christoph „Lupus“ Lindemann zu berichten weiß.

bs. Sieben Jahre Vollgas: Seit sie 2010 durch die Friedhofserde an die Oberfläche gekrochen sind, haben Kadavar Vollgas gegeben. Von 2012 bis 2015 veröffentlichten sie drei Alben, spielten Tourneen wie andere Einzelgigs und machten sich schneller einen Namen als irgendjemand sonst in der Welt des dezidiert klassisch geprägten Hard Rock. Erst nahmen sie Berlin, dann Deutschland, dann Europa – und mittlerweile haben sie auch den Rest der Welt unter ihr knarzendes, dröhnendes Sechziger-Joch gezwängt. Vorläufiger Höhepunkt: Das vierte Album „Rough Times“. Ein Werk, das kompromisslos loslegt und alles wegdröhnt. Als stünden die drei direkt im Wohnzimmer! Ganz ungewollt war das nicht, berichtet Christoph Lindemann. „Wir wollten auf einer Platte immer schon mal so brachial und dreckig klingen wie wir das live tun. Das ist uns auf „Rough Times“ viel besser gelungen als bisher.“ Kann er laut sagen: Es rumort, es atmet, es knallt. „Wir hatten die Prämisse, jeden Song nur dreimal einzuspielen“, klärt der Sänger und Gitarrist über das ungeschliffene Grundgefühl auf. „Drei Takes, dann wird der beste ausgewählt. Das alles klingt dann natürlich relativ roh, hier und da ist auch noch ein Fehler drin; aber dann ist das eben so. Dafür lebt das Material.“ Und ob. Eine richtige Momentaufnahme haben Kadavar mit „Rough Times“ vorgelegt, ein Live-Album ohne Publikum, quasi. Warum es diesmal so roh, so metallisch und dunkel dröhnend klingt, hat mit einer wichtigen Neuerung zu tun. „Das letzte Album „Berlin“ war eine richtige Gitarrenplatte“, so Lindemann, „Bass und Schlagzeug waren da ziemlich weit im Hintergrund. Das tat mir für Simon total leid, weil er einige unfassbare Sachen auf seinem Bass gespielt hat.“ Deswegen war dem Gitarristen klar: Diesmal sollen erst Tieftöner und Schlagzeug kommen. Und erst danach die Gitarre. „Wie in den späten Sechzigern eben: Eine brachial laute Rhythmusgruppe und die Gitarre dahinter.“ Besser wegfönen als von „Rough Times“ kann man sich diesen Herbst zumindest nicht. Aufgenommen wurde dieser roh pulsierende Rock-Vulkan in ihrem brandneuen Studio mitten in Neukölln – der neuen Schaltzentrale des Trios. „Nach unserer letzten Tour im Herbst haben wir gemerkt, dass unser altes Studio nicht mehr ausreicht“, holt Lupus aus. „Es war erstens viel zu weit weg von uns, zweitens viel zu klein und drittens vollgestopft mit Equipment. Wir wollten ein Studio, das wir nach unseren Wünschen bauen und einrichten konnten und fanden tatsächlich einen ziemlich coolen Spot dafür in Neukölln. Paar Minuten von uns entfernt statt einer Stunde Anreise!“ Aus Kadavar, dem unbarmherzig rockenden Power-Trio, wurde im Handumdrehen Kadavar, die Heimwerker-Kumpel. „Wir machten aus einem großen Raum vier einzelne Räume, zogen Wände ein, haben Stromleitungen selbst verlegt und waren vier Monate lang täglich als Handwerker unterwegs“, sagt der Sänger nicht ohne einen gewissen Stolz. „Anfang des Jahres sind wir dann umgezogen – und haben das neue Album innerhalb von zwei Monaten geschrieben. Der Bau des Studios gehörte somit schon zum Prozess der neuen Platte. Alles fing mit einem weißen Raum an. Und ein halbes Jahr später kam

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„Rough Times“ dabei heraus.“ Es ist nicht nur das am heftigsten produzierte Werk, es ist auch das vielseitigste in der bisherigen Karriere der Berliner. „Es war kein Druck mehr da“, erklärt Lindemann. „Diesmal war uns irgendwie alles egal. Die Songs sind enorm breit gefächert, vom langsamen, derben Doom bis zu so etwas wie einem Country-Song ist alles dabei. Manch einer mag jetzt sagen, wie man so was nur auf eine Platte packen kann“, lacht er, „doch für uns war es irgendwie sinnig.“ Was binnen zweier intensiver Monate entsteht, muss logischerweise eng miteinander verzahnt sein – zumal Kadavar diesmal wirklich bei Null anfingen. „Bevor wir das neue Studio bezogen, hatten wir kein einziges Riff, keine grobe Songstruktur“, gesteht Lindemann. „Alles, was ich hatte, waren ein paar Textfetzen, alles andere als konkret. Sobald wir uns hinsetzten, ging es wirklich schnell. Am Ende wurde es dann zwar doch wieder etwas eng, aber wir arbeiten unter Druck eh am besten.“ Dann sollten sie besser nicht damit aufhören. Was noch geklärt werden sollte: Wieso nennt eine Band wie Kadavar, deren Schlagzeuger gerade Vater geworden ist und deren Erfolgswelle auch in absehbarer Zeit nicht abreißen wird, ihr neues Album ausgerechnet „Rough Times“? Der Fronter wendet den Blick nach außen. „Die Welt ist in einem sehr schlechten Zustand – und das ist noch längst nicht das Ende der Fahnenstange. Wenn wir nicht aufpassen, wenn wir weiterhin wegschauen und die Errungenschaften der letzten 20 Jahre nicht länger schützen, geht alles kaputt, was unsere Eltern erkämpft haben. Wir müssen endlich wieder mehr Farbe bekennen“, findet er, „müssen für unsere Werte einstehen – eben einfach mehr machen, als uns in den sozialen Netzwerken darzustellen. Anstatt zu schauen, wie viel Likes mein neuestes Bild bekommt, sollte man sich mal lieber man anschauen, was in seinem unmittelbaren Umfeld passiert.“ Seine Gedanken fasst das morbide Albumcover zusammen, auf dem ein junger Mensch mit einem Totenschädel statt einem Gesicht zu sehen ist. „Das Bild stammt von einem Künstler aus Kalifornien. Für mich ist darauf ein junger Mensch zu sehen, wie er sich faul in der Sonne räkelt und sich auf den Leistungen seiner Eltern ausruht. Er tut nichts, um sie zu erhalten, und die Narben zeigen, dass er schon gar kein Herz mehr hat. Er ist nur noch Fassade, nichts dahinter. Deshalb“, meint Lindemann, „ist auch sein wahres Gesicht längst ein Totenschädel.“ Dieses Cover hat die Entstehung der Platte mehr begleitet als alles andere, betont er. „Im Grunde ist es sogar so, dass wir mit „Rough Times“ dieses Bild vertont haben.“

LIVE 25.10.17 Monthey, Pont Rouge 26.10.17 Aarau, Kiff


Kadavar Rough Times Nuclear Blast/Warner

bs. Es ist nicht mehr länger nur fünf vor Zwölf, es ist eigentlich genau Mitternacht. Die Welt geht vor die Hunde – und wir kümmern uns lieber um unser Instagram-Profil. Schnell noch ein Bild vom Essen hochladen, bevor es in den Club geht. Absurde Zustände sind es, die Kadavar auf ihrem vierten Album „Rough Times“ aufgreifen. Und sich damit auch als sozialkritische, politische Band vorstellen. Härter, dunkler, dröhnender, mit einem kolossalen Bass und einem wuchtigen Schlagzeug, live eingespielt im bandeigenen Studio und besessen von einer Dringlichkeit, von einem alles verzehrenden Fieber. Erstmals gelingt den drei animalischen Rock-Bärten aus Berlin, die rohe Essenz ihrer Konzerte auch im Studio zu kanalisieren, erstmals fegt der Kadavar-Güterzug auch in den eigenen vier Wänden gnadenlos über alles hinweg. Weil sich an der Klasse des Materials,r an den ergreifenden Retro-Refrains und SechzigerRiffs nichts geändert hat, weil sich Kadavar außerdem so abwechslungsreich wie nie zwischen Doom, Hard Rock, NWOBHM und dem Weltraum geben, steht das Urteil schnell fest: „Rough Times“ ist eine neue Bestmarke.


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Abwärtsspirale Paradise Lost vorzustellen hieße, Regen nach England zu tragen. Death-MetalJungspunde, Gothic-Metal-Innovatoren, zur Jahrtausendwende in Pop-Gefilden unterwegs und seit einigen Jahren wieder auf dem Pfad in die Dunkelheit. So kolossal, so brachial, so doomig und so fies wie auf „Medusa“ hat man die YorkshireGang aber noch nie gehört. Selbst auf ihren ganz frühen Werken nicht. Was ist da los? Und kann das bitte nie aufhören?

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LIVE 21.10. Genf, L›Usine 30.10. Pratteln, Z7

bs. Wie es sich für einen richtigen Engländer gehört, besitzt auch Nick Holmes die exakt richtige Mischung aus schwarzem Humor, staubtrockenem Zynismus und Understatement. Vor einigen Jahren erzählte mir der Paradise-Lost-Fronter, er sei immer dann besonders glücklich, wenn er unglückliche Musik mache. Jetzt liefert er einen dröhnenden, lichtlosen Doom-MetalBrocken wie das 15. Album „Medusa“ ab – und müsste dann ja eigentlich verdammt zufrieden mit sich und der Welt sein. „Wahrscheinlich muss man das genau so sehen“, sagt er und lacht herzlich. „Ich meine, es ist ohne jeden Zweifel ein wirklich grimmiges, finsteres Album geworden. Dazu ist es selbst für uns ungewöhnlich hart und heavy, auch meine Growls sind irgendwie noch fieser geraten als sonst. Die gab es zwar schon auf dem letzten Album, aber im Vergleich zu „Medusa“ habe ich mich da noch regelrecht zurückgehalten, wie ich jetzt feststelle.“ Der Band geht es eben gut dort, wo sie gerade stehen. „Und“, fügt Holmes an, „wir alle sind fürchterlich zufrieden mit dem Album.“ Nicht, dass die Band schon mal ein Album bereut hätte; es waren eher Nuancen, die ihnen rückblickend

auch, aber nicht nur mit der Musik zu tun. „Die Brutalität des Albums steckt auch in der Produktion“, so der Sänger. „Das Drumkit wurde beispielsweise spezifisch auf die Aufnahmen zugeschnitten und eigens angefertigt.“ Sehr viel Zeit ging Holmes zufolge diesmal auch für das Finden des perfekten Gitarrensounds drauf. „Das war uns wichtig, denn so sehr wir Doom lieben, so viele flache, langweilig produzierte Alben gibt es da draußen. Doom Metal ist ein schmaler Grat“, findet er. „Wenn man ihn nicht richtig spielt, klingt man gesichtslos, schlaff und öde. Deswegen ist die Produktion so wichtig.“ Alles richtig gemacht also. Dass man schon wieder um einiges düsterer, doomiger und morbider klingt und die Abwärtsspirale auf denkbar positive Weise in Richtung Unterwelt fortsetzt, beruhte mehr oder weniger auf einer kleinen Unpässlichkeit. Holmes: „Auf unserem letzten Album „The Plague Within“ mussten wir einige Songs unter ziemlichem Zeitdruck schreiben, weil wir kurz vor dem Studioaufenthalt einfach noch nicht genug Material beisammen hatten. Eine doomige Nummer wie „Beneath Broken Earth“ entstand deswegen verdammt

«Wir sind immer noch dieselben schrägen Typen, die die Band in den Achtzigern gegründet haben.» übel aufstoßen. „Der eine oder andere finale Mix war etwas zu flach für unseren Geschmack. „Believe In Nothing“ ist zum Beispiel so ein Fall.“ Diesmal kann davon keine Rede sein, wie Nick treffend umschreibt: „Das Album brüllt dir regelrecht ins Gesicht.“ Das hat

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schnell, doch wir waren unglaublich zufrieden damit. Irgendwie klangen wir wieder so wie in unseren Anfangstagen – und merkten, wie sehr uns das gefehlt hatte.“ Dennoch ist dem Briten wichtig, dass hier nicht von back to the roots geredet wird. „Im Grunde sagen


die Leute doch schon seit 15 Jahren, dass Paradise Lost wieder back to the roots gehen“, lacht er und verdreht die Augen „Ich halte davon nichts, wir sind immer noch dieselben schrägen Typen, die die Band in den Achtzigern gegründet haben. Nur dass wir in den letzten 30 Jahren hoffentlich was in Sachen Songwriting gelernt haben...“ Letztlich geht es eben um die Leidenschaft. Und die ist bei diesen Typen ungebrochen. „Unsere Lieblingsalben sind noch immer dieselben wie in den Achtzigern. Die Musik, die du zwischen 14 und 22 hörst, wird dir dein ganzes Leben erhalten bleiben. Wir setzen diese Leidenschaft einfach in einen modernen Kontext und interpretieren sie so, wie wir sie heute sehen.“ Dass ihre Musik auf den letzten Alben immer dunkler geworden ist und mit der Welt derzeit dasselbe passiert, hält Holmes mit fachmännischem Grinsen für Zufall. „Außerdem war die Welt schon immer ein dunkler Ort. Es ist nur so, dass die Einschläge näher kommen. Schlimme Dinge passieren jeden Tag, jedoch rücken sie durch das Internet näher an uns heran; Terrorismus findet jetzt vor unserer Haustüre statt. Und was soll ich sagen? Solange es Menschen gibt, wird die Erde ein dunkler Ort bleiben.“ Er hält inne. „Wenn wir weg sind, wäre es sicherlich ein schöner Ort zum Leben hier.“ Das werden wir dann zwar nicht mehr erleben; Unrecht hat der Mann dennoch nicht. Und er hatte einige Jahre Zeit, die Lage der Welt in seiner Musik zu thematisieren. Mit seinen 46 Jahren hat er zwei Drittel seines Lebens mit Paradise Lost verbracht. Das hat natürlich Spuren hinterlassen. „Es kommt die Zeit in einem Leben, an der man einfach mal darüber nachdenkt, was man gemacht hat, und feststellt, dass die Jugend unwiederbringlich vorbei ist. Und schon ist sie da, die Midlife-Crisis“, stellt er fest. „Es fühlte sich ein wenig merkwürdig an, 40 zu werden, aber danach hat es mich nicht mehr gekümmert. Je älter ich werde, desto weniger kümmert es mich sogar – auch wenn man immer häufiger den Tod sieht. Ich muss zumindest deutlich öfter einen schwarzen Anzug tragen, als ich möchte.“ Er hat es gut verkraftet – und befindet sich mit Paradise Lost aktuell in so etwas wie einem zweiten (oder dritten?) Frühling. „So etwas wie unsere poppige Phase um die Jahrtausendwende“, stellt er klar, „würden wir heute nicht mehr machen, diese generischen Songs sind nichts mehr für Paradise Lost. Heute machen wir es wieder wie in den späten Achtzigern und werfen einfach ein paar Riffs in einem Song zusammen. Ich mag es, wenn ein Song beginnt, dann in eine Richtung mäandert und irgendwann wieder zum Ausgangspunkt zurückfindet. Wenn eine Geschichte erzählt wird. Was das angeht, könnte ich, glaube ich, auch einen 50-minütigen Song schreiben.“ Wäre auch mal was. Auf „Medusa“ gibt es das zwar nicht; dafür eine Extrapackung Brachialität. „Alles kommt wieder“, spricht Holmes den ewigen Kreislauf an, „nur die Klamotten ändern sich. Doom ist heute immer noch eine große Sache, allerdings kann ich mit vielem nichts anfangen. Diese Stoner-Elemente geben mir gar nichts und dieser SludgeKram Marke Louisiana erst recht nicht. Mit Hipster-Doom“, meint er trocken, „kann man mich jagen. Dass es so was überhaupt gibt, hätte ich ja nie für möglich gehalten! Aber was soll ich sagen? Es wird eben nie etwas an Black Sabbath rankommen.“ Mit dieser Meinung ist er sicherlich nicht allein. Und fügt der englischen Doom-Historie mit „Medusa“ dennoch ein tonnenschweres, sensationelles Kapitel hinzu, das den Status dieser Pioniere mal wieder dick unterstreicht. „Jedes neue Album, das wir machen, ist das Fundament für die nächsten zwei Jahre unseres Lebens. Und dann“, so Holmes, „sollte das Album lieber so gut sein wie nur möglich.“ Nichts dagegen.

«Es fühlte sich ein wenig merkwürdig an, 40 zu werden, aber danach hat es mich nicht mehr gekümmert.»

PARADISE LOST Medusa Nuclear Blast/Warner lg. Die mit dem letzten Album "The Plage Within" definitiv wiedererstarkten und zu ihren Ursprüngen im Doom/Death/ Gothic zurückfindenden Engländer aus West Yorkshire um Sänger Nick Holmes und den beiden Gitarristen Greg Mackintosh und Aaron Aedy schlagen mit dem Nachfolgewerk "Medusa" wiederum in die gleiche Kerbe. "Medusa" ist nach der Figur aus der griechischen Mythologie benannt, welche als betörende Schönheit jeden Mann, der sie anschaute, zu Stein erstarren liess. Und Medusa besitzt diese Finsternis, welche auf acht tief im Doom/Death verankerten Songs zu Tage gefördert wird. Schon der Opener "Fearless Sky" kommt mit einer Düsterheit daher, welche seinesgleichen sucht. Die Growls von Nick Holmes sind da eine wahre Freude. Bittersüss legt Greg Macintosh seine grossartigen Leads darüber. "From The Gallows" und "No Message For The Dead" lassen sogar Erinnerungen an das Debüt "Lost Paradise" (1990) aufkommen. Einzig der Song "Blood And Chaos", der siebte Track und der Hit des Albums, lässt an die kommerziell erfolgreichste Zeit von Paradise Lost denken, als der Fünfer mit Alben wie "Icon" (1993) oder "Draconian Times" (1995) Headliner der damals grössten Festivals wie das legendäre Dynamo Festival in Eindhoven/NL fungierte. "Medusa" geht hier locker als Geniestreich von Paradise Lost durch und kann als deren bestes Album seit dem umstrittenen "Host" (1999) eingestuft werden und übertrifft somit sogar den bärenstarken Vorgänger.

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THE QUIREBOYS Zeitlos gut Englands lauteste Chorknaben sind endgültig dem Blues verfallen. Uns kann das nur recht sein: Auf ihrem neuen Album „White Trash Blues“ führt diese Hingabe zu einem furiosen Spaziergang durch die Geschichte eines ganz speziellen Genres. Muddy Waters, Jimmy Reed oder John Lee Hooker inklusive.

bs. Aus einem macht Quireboys-Gitarrist Guy Griffin keinen Hehl: Er und seine Bandkollegen sind viel zu jung, um bei der Geburt des Blues dabeigewesen zu sein. Dennoch ist seine Band dem Blues verfallen, lässt ihn auf jedem Album durchschimmern. Mal mehr, mal weniger, aber irgendwo ist er immer präsent. Das blieb auch dem Veranstalter des englischen Festivals Ramblin' Man Fair nicht verborgen, der die Quireboys kurzerhand für ein reines Blues-Set anfragte. Das ließen sich die Briten nicht zweimal sagen. Sie schafften sich ein eindrucksvolles Repertoire an Blues-Meilensteinen drauf – und rockten das Festival. „Zu sehen, wie gut diese Songs ankamen, war natürlich recht ermutigend“, ist von Griffin zu hören. „Außerdem war es durchaus erfrischend, mal etwas anderes auf einem Festival zu spielen als die übliche Klassiker-Setlist.“ Lange vor dem Festival war da schon die Idee geboren, es nicht bei diesem einen Auftritt zu belassen. Die Quireboys wollten schon länger seit ihrer Reunion zu Beginn des neuen Jahrtausends ein traditionelles BluesAlbum aufnehmen – und hatten spätestens bei dieser Anfrage Blut geleckt. Der spezielle Auftritt wurde zur Live-Premiere des kompletten Albums, das jetzt als „White Trash Blues“ verzückt. Darauf: Rohe, spontane, lebendige und erdige Sichtweisen auf

THE QUIREBOYS White Trash Blues Off Yer Rocka/Soulfood bs. Jetzt wollene s die Quireboys aber wissen. Nachdem es in den Achtzigern nicht ganz für den großen Durchbruch gereicht hat und die Reunion 2001 anfangs doch sehr stockend lief, haben sich Englands bluesige Hard Rocker seit 2013 auf ihre Hosenboden gesetzt und uns jährlich ein neues Album vorgesetzt. Emsige Live-Aktivitäten inklusive. Mit „White Trash Blues“ folgt jetzt der nächste Streich, ein Album voller erdiger Blues-Cover, die der Band wirklich gut zu Gesicht stehen. Sie waren dem Blues eben schon immer nah, haben das aber noch nie so konsequent und authentisch gezeigt. Im Geiste ihrer großen Vorbilder The Rolling Stones covern sich The Quireboys roh, unbearbeitet und unmittelbar durch Amerikas Musikerbe, nehmen Muddy Waters, Chuck Berry und John Lee Hooker mit, um deren große Momente durch ihre ureigene Brille zu betrachten. Dass dabei ein launiges, echtes, zupackendes Blues-Album herauskommt, wird niemanden verwundern; dass es jedem Menschen Freude bereitet, der auch „Blue & Lonesome“ von den Stones im Regal hat, auch nicht.

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Muddy Waters, auf Chuck Berry und John Lee Hooker. „Die meisten dieser Stücke haben Musikgeschichte geschrieben, einige von ihnen sind schon sehr, sehr alt. Viele Stücke haben wir deswegen erst durch die Interpretationen von anderen Musikern kennengelernt, weil es uns zur Zeit ihrer Entstehung noch gar nicht gab.“ Diese verschiedenen Texturen, die Provenienzen der Stücke, ließen die Quireboys in ihre eigenen Stücke einfließen – und legen ein furioses Blues-Manifest hin. „Uns ging es nie um Replikate dieser Stücke, sondern um unsere eigenen Fassungen“, erklärt der Gitarrist weiter. „Die Quireboys waren dem Blues immer schon sehr nah, also mussten wir uns gar nicht zu weit von unserem typischen Sound wegbewegen.“ Eine Herausforderung war da schon eher die Produktion. Der Blues, er wurde früher eben immer live aufgenommen, was nicht unerheblich zu seinem unmittelbaren, ungeschminkten Zauber beiträgt. „Mit Ausnahme des Schlagzeugs haben wir das Album auch live aufgenommen“, so Griffin. „Ich mag es, wie sich Songs entwickeln, wenn man sie oft hintereinander spielt.“ Die besondere Aura dieser Stücke, die auch viele Jahrzehnte später noch perfekt klingen, erklärt er sich so: „Ein guter Song ist ein guter Song, egal wie alt er ist. Er ist vollkommen zeitlos.“ Nach Hard Rock, Rock'n'Roll, Glam Rock und ein wenig Americana ist ein Album wie „White Trash Blues“ nur der nächste Beweis für die Vielseitigkeit der neu erstarkten Engländer. „Ach, wir mögen das einfach“, meint Griffin schulterzuckend. „Unser Vorbild waren da immer schon die Stones. Viele verschiedene Stile, aber immer sofort erkennbar. So wollen wir auch sein.“ Noch dazu ist man derzeit sehr kreativ auf der Insel, hat seit 2013 jährlich eine neue Platte veröffentlicht und wirklich viele Konzerte gespielt. Ein dritter Frühling? Der Gitarrist winkt ab. „Unser Manager knechtet uns eben“, lacht er, „der akzeptiert einfach kein Nein! Und das ist gut, das gefällt uns. Zudem sind wir recht flott, was das Songwriting und die Aufnahmen angeht. Für gewöhnlich brauchen wir für ein Album nicht mehr als ein paar Wochen.“ So ein Zufall: Auch das war damals nicht anders.

LIVE 20.10. Rubigen, MühleHunziken 21.10. Oberentfelden, Böröm Pöm Pöm



Die Rückkehr der Superhelden

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ip. Die Vorschusslorbeeren, die 2010 vor dem ersten Album an die englisch-amerikanische Supergroup verteilt wurden, waren nicht nur mengenmässig reichlich, sondern auch berechtigt. Vier der besten, wenn nicht die besten, Musiker ihres Metiers hatten sich zusammengetan und ein Debut veröffentlicht, dass in Sachen Spielfreude und Songwriting-Kunst eine neue Marke setzte. Dass die Hochkaräter Glenn Hughes (Deep Purple, Trapeze), Joe Bonamassa, Jason Bonham (Foreigner, Led Zeppelin) und Derek Sherinian (Dream Theater, Alice Cooper) den bluesigen Hardrock aus den 70ern zurückholen und mit moderner Frische

Als bekannt wurde, dass Black Country Communion sich auflösen würden und dass es deshalb keine neue Musik mehr von eurer Band geben würde, war das eine Riesenenttäuschung. Die drei Alben, die ihr veröffentlicht habt, sind Meilensteine der modernen Rockmusik. Glenn Hughes: Dankeschön! Der Gedanke daran, in Zukunft auf neue Musik von euch verzichten zu müssen, war ziemlich hart. Das stimmt. Wie habt ihr wieder zusammengefunden? Das passierte letztes Jahr, als ich in New York war, um für meine Arbeit mit Deep Purple in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen zu werden. Joe (Bonamassa) rief mich an, um mir zu gratulieren, was eine sehr schöne Geste von ihm war. Er fragte mich, ob ich mit ihm essen gehen würde und das tat ich auch ein paar Tage später in Los Angeles. Während unseres Dinners fragte er mich, wie ich dazu stehen würde, mit BCC ein neues Album aufzunehmen. Er hatte sich davor noch mal intensiv mit unseren Songs auseinandergesetzt und war begeistert davon, wie gut unsere Band war. Ich war eigentlich immer davon überzeugt, dass wir irgendwann wieder zusammenfinden, weil es immer Zeit und Raum für ein neues Album mit Freunden gibt. Deshalb bin ich auch sehr glücklich darüber, dass wir diese Möglichkeit bekommen haben. Wir wollten allerdings sicherstellen, dass das Album richtig stark wird. Joe kam deshalb zu mir nach Hause und wir haben das komplette Album dort zusammen geschrieben. Du hast also nicht alleine Songs geschrieben und die anderen konnten danach noch ein bisschen daran feilen? Nein! Dieses Mal war ich der Meinung, dass es am besten ist, wenn Joe und ich das zusammen machen. Weißt du, ich habe in der Vergangenheit einen sehr grossen Teil der Songs alleine geschrieben. Das ist eben, was ich tue: Ich schreibe Songs und ich mache das gerne. Joe ist bekanntermassen viel unterwegs, er tourt, nimmt seine Alben auf. In der Zwischenzeit hatte ich mich also mit dem Schreiben neuer Songs beschäftigt. Aber für dieses Album fand ich es wirklich das Beste, wenn Joe und ich zusammenarbeiten. Damit meine ich „im selben Raum“ und „live“. Das taten wir auch und ich glaube, dass sich das sehr gelohnt hat. Ihr seid beide sehr starke SongwritingCharaktere. Wie kommt ihr auf einen Nenner? «...das habe ich Stevie Wonder zu verdanken, der mich gelehrt Auf dem ersten Album hatten wir „Black Country“, „Sister Jane“ und „The Great hat, meine Stimme richtig zu präsentieren.» - Glenn Hughes Divide“ zusammen in meinem Studio geschrieben. Er meinte nun auch, es wäre das Beste, noch einmal auf diese Weise an die Songs wiederbeleben konnten, war zwar technisch keine Frage, heranzugehen. Wir schnallen unsere Gitarren um, stellen hinterliess aber in der musikalischen Umsetzung uns gegenüber und fangen an zu jammen. Die Songs allenthalben staunendes Publikum und feiernde Kritiker. passieren einfach, sie kommen zu uns. Und das geht auch Auch das im nächsten Jahr erschienene relativ schnell, es ist eigentlich ein sehr natürlicher, Nachfolgealbum „2“ knüpfte daran an und konnte den einfacher Prozess. Erfolg vor allem in Europa noch steigern. „Afterglow“ Es ist also nicht der Fall, wie nach der Auflösung oft in (2012), das bisher letzte Werk, klang vergleichsweise der Presse zu lesen war, dass Joe und du im Streit dramatischer und läutete somit unfreiwillig, aber auseinandergegangen seid? stilistisch passend, das vorübergehende Ende der Band Überhaupt nicht. Die Presse wollte die Fans das gerne ein. glauben machen, dass da Probleme zwischen uns waren. Wie sich die vier Ausnahmemusiker doch wieder Das einzige wirkliche Problem war, dass Joe einfach zu viel zusammenfanden und was es mit dem ersehnten Album um die Ohren hatte. Das zwang uns, unsere Pläne seinen Nummer vier „BCCIV“ auf sich hat, erörtert TRACKS im Tätigkeiten anpassen zu müssen, was für Jason (Bonham, Gespräch mit Gesangslegende Glenn Hughes. drums), Derek (Sherinian, keys) und mich sehr schwierig

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wurde. Wir dachten, wir würden nach dem Release von „Afterglow“ touren. Das war aber aufgrund dieser Voraussetzungen nicht möglich und hinterliess bei uns dreien den Gedanken „Was tun wir denn jetzt?“. Es war eine schwierige Zeit für uns, weil wir touren wollten, und es ging nicht. In so einer Situation ist es auch nicht einfach, der Presse irgendetwas Brauchbares zu sagen. Deshalb wollten wir auch keinen Riesenrummel veranstalten und haben uns dann irgendwann zurückgezogen. Es war einfach schwierig, diese Situation zu erklären. Aber das Problem war, dass wir keine gemeinsame Verbindlichkeit finden konnten. Wenn du Songs schreibst, fängst du mit einer Gesangslinie oder einer interessanten Zeile an, oder fällt dir zuerst eine Melodie ein? Wenn ich schreibe, sei es alleine oder mit Joe, singe ich eine Melodie, sobald sich der Song musikalisch anfängt zu zeigen. In dem Augenblick, wo wir ein Riff spielen, fällt mir

Deine Stimme hat sehr viel Soul und Blues und klingt in diesem Sinne eher „schwarz“ als „weiss“. Das wird einer der Gründe sein, warum man dich als „The Voice of Rock“ bezeichnet. Was würdest du als Gesangslehrer einem Schüler beibringen? Atmung. Und Entspannung. Du hast bestimmt schon oft Sänger beim Singen beobachtet. Und das ist jetzt wichtig: Wenn du jemandem bei Singen zuschaust, der sehr angespannt ist oder bei dem die Adern und Sehnen schon am Hals hervortreten, dann ist das nicht gut. Ich habe bei Stevie Wonder gelernt. Er hat mir die richtige Atmung beigebracht und wie man seine Stimme entspannt. Er hat mir gezeigt, wie man tiefe und lange Atemzüge macht und kurzes Atmen vermeidet. Für mich geht es beim Singen nur um Geduld und das Atmen und darum, gelassen zu sein. Du kannst in einer Rockband spielen und auf der Bühne hin

«Wenn diese Band eine „richtige“ Vollzeitband wäre, dann wäre sie weltweit unter den Top 5.» - Glenn Hughes auch direkt eine Gesangsmelodie ein, die ich dazu singe. So ging es mir schon immer, ich musste noch nie lange herumdenken. Wenn der Song dann musikalisch einigermassen steht, fallen mir irgendwelche Wörter ein, wie jetzt für das neue Album „Wanderlust“ oder „Collide“, aus denen dann der Text entsteht. Die Wörter oder Titel tauchen einfach auf. Ich muss nicht stundenlang vor dem Computer sitzen und mir einen Text aus den Rippen schneiden. Ich denke, die Musik diktiert, wohin der Song mit der Melodie und dem Text gehen soll. Viele Sänger schmeissen jetzt verzweifelt ihr Mikrofon in die Ecke. Ich weiss! Weißt du, ich habe mit so vielen Sängern und Schauspielern, aber auch Grafikern oder Architekten über genau diese kreativen Momente gesprochen. Viele dieser Leute sagen, sie könnten das so nie oder fragen mich, wie ich das hinkriege. Es kommt einfach. Es ist ein enormes Geschenk, für das ich unendlich dankbar bin. Dieses riesige Geschenk wurde mir, und übrigens auch vielen anderen Künstlern, gegeben. Statt an mich hätte es auch an jemand anderen verschenkt werden können. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich ausgewählt wurde.

und her rennen; so lange deine Stimmbänder entspannt sind und du nicht zu viel willst, machst du alles richtig. Ich habe einen ziemlich grossen Stimmumfang und als ich vor vier Jahren operiert wurde, sagte man mir, dass meine Lungen vergleichsweise riesig seien. Daher kann ich lang und tief atmen. Und das habe ich Stevie Wonder zu verdanken, der mich gelehrt hat, meine Stimme richtig zu präsentieren. Wird „BCCIV“ die logische Konsequenz vom sehr dramatischen „Afterglow“ werden, oder geht ihr wieder etwas erdiger und rauer zur Sache wie bei eurem ersten Album? Es wird eher in Richtung des ersten Albums gehen, und das mit voller Absicht. „Afterglow“ war eigentlich ein Glenn Hughes Album. Ich wiederhole mich zwar, aber weißt du, ich schreibe einfach unglaublich gerne neue Musik. Das ist mein Beruf und was ich am liebsten tue, am liebsten den ganzen Tag. Aber für dieses Album habe ich Joe gebeten, mehr zu komponieren, was er dieses Mal auch konnte. Ich liebe „Afterglow“, es ist eine tolle Platte, aber das erste Album war so einzigartig und frisch. Dahin wollte ich wieder zurück, es sollte wieder roher und organischer

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werden. Du hörst schon bei den ersten paar Tönen auf „BCCIV“, dass es Black Country Communion ist. Die Kombination aus euch vier Musikern ist so einzigartig, dass es sowieso schon leicht ist, euch als BCC zu identifizieren. Das glaube ich auch. Du hast in einem Interview gesagt, dass BCC die letzte Band ist, mit der du spielen wirst. Das ist richtig. Ich kann mir zwar vorstellen, noch einmal Teil einer anderen Band zu sein. Dies schlicht aus dem Grund, weil es schwierig ist, einer von vier sehr beschäftigten Musikern mit eigener Karriere zu sein, wie das bei BCC der Fall ist. Joe ist der fleissigste und unermüdlichste Musiker, den du aktuell finden kannst. Es ist schwierig, Pläne zu machen. Ich arbeite ja selber zur Zeit an drei oder vier verschiedenen Dingen. Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich dazu überhaupt in der Lage bin, weil ich ja auch älter werde. Aber um zu deiner Bemerkung zurückzukommen: Um eine Band am Laufen zu halten, musst du ein Teil dieser Band sein, du musst IN dieser Band sein und mit ihr arbeiten. BCC ist ein wunderschönes, fantastisches Sideproject für uns alle. Wenn diese Band eine „richtige“ Vollzeitband wäre, dann wäre sie weltweit unter den Top 5. Davon bin ich überzeugt, weil sie einfach verdammt gut ist. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das je passieren wird. Also werden wir weiter gute Alben aufnehmen und ein paar Shows spielen. Ich kann dich nicht anlügen. Ich würde dir so gerne sagen, dass wir dieses und jenes tun werden und das auch noch und vor allem das da. Aber im Moment begnügen wir uns damit, tolle Alben aufzunehmen und ab und zu aufzutreten. Nun, gute Alben herauszubringen schafft ja nicht jede Band heutzutage. Ich weiss! Ich bin froh, dass du das sagst. Ich kann ja leider nicht versprechen, dass wir auch bei euch spielen können und das ist sehr schade, weil wir unsere Schweizer Fans sehr schätzen. Und eigentlich will ich ja bloss den Leuten zeigen, wie gerne wir Musik machen, darum haben wir auch ein neues Album geschrieben. Hat Kevin Shirley wieder produziert? Ja, hat er. Ist es mit ihm als Produzenten für euch ein Spiel auf Sicherheit, oder kennt ihr euch einfach so gut, dass es den Arbeitsprozess beschleunigt? Wir arbeiten einfach gut zusammen. Ich kenne Kevin seit über 30 Jahren und er ist einfach der richtige Mann für diese Band. Es gäbe bestimmt auch andere Produzenten, die das ebenfalls gut machen würden. Aber wir wollten wieder mit ihm

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zusammenspannen und es gab auch keine Diskussionen darüber, jemand anderen anzuheuern. Du hast mit Jason Bonham auch in California Breed, einem anderen Projekt, zusammengespielt. Wie fühlt sich das an? Du warst ja mit seinem Vater gut befreundet. Gibt es Ähnlichkeiten zwischen den beiden? Ja, die gibt es. Ich kenne Jason, seit er sechs Monate alt ist, also sein ganzes Leben lang, und habe auch mit seinem Vater John Musik gemacht. Und ich muss dir sagen, dass ich oft vergesse, mit wem von beiden ich gerade spiele. „Das ist John. Nein, das ist Jason!“, so was geht in meinem Kopf vor und es ist manchmal echt schwierig, die beiden voneinander zu unterscheiden, weil Jason sehr ähnlich wie sein Vater klingt. Sehr, sehr ähnlich. Und er ist ein grossartiger Mensch. In deiner Biografie hast du ausführlich beschrieben, wie du von den Drogen losgekommen bist. Ich war beeindruckt davon, dass es nach mehreren Entzugsversuchen letztendlich ein simpler Satz eines Ambulanzfahrers war, der dich 1997 davon überzeugt hat, die Finger davon zu lassen. (Eine Freundin hatte den Notarzt gerufen, nachdem Glenn eine viel zu grosse Menge Ecstasy genommen hatte und ernste Herzprobleme bekam. Glenn versuchte die Rettungskräfte auf der Fahrt ins Krankenhaus davon zu überzeugen, dass er alles im Griff hätte. Der Fahrer sagte daraufhin zu ihm: „Halt die Fresse, du Loser, oder ich halte an und hau dir aufs Maul!“ – „Glenn Hughes, die Autobiografie“ mit Joel McIver, 2012, S. 175) Richtig. Er sagte zu mir, ich wäre ein Stück Scheisse und würde mich von keinem anderen Drogenopfer unterscheiden. Und ich war vollkommen perplex und dachte: „Waaas?!“ Das war wirklich nur dieser eine simple Satz, der für mich alles komplett veränderte. Dieser eine Satz, den er vor 20 Jahren im November zu mir sagte, hat mich von den Drogen weggeholt. Das war ein absolutes Wunder. Gut, dass das passiert ist, denn es hat dir erlaubt, weiterhin gute Musik zu schreiben und viele Fans damit glücklich zu machen. Weißt du, ich habe noch so viel Arbeit vor mir, beispielsweise auch als Aktivist für Tierrechte. Ich bin ein ziemlicher Hippie, ein Love Messenger, und diese Message zu verbreiten wird auch mit mir nie ein Ende finden. Ich bin eine sehr emotionale und gefühlvolle Person und ein ebensolcher Sänger. Ich habe noch so viele Dinge vor mir. Lass bitte die Schweiz wissen, dass ich sie als eines meiner Lieblingsländer sehr ins Herz geschlossen habe und dass wir uns hoffentlich bald sehen. Ich weiss es noch nicht mit Bestimmtheit, aber wir hoffen sehr, dass es klappt, mit BCC zu euch zu kommen.


Blues/Soul/World REVIEWS GEORGE THOROGOOD

JONNY LANG

WALTER TROUT

Party Of One

Signs

We're All In This Together

Rounder/Universal hh. Obwohl der Eckpfeiler der USBlues-/Boogie-Szene bereits seit 1973 mit seiner Band The Destroyers Platten veröffentlicht, kommt Thorogood jetzt zum ersten Mal mit einem Solo-Album an den Start. Und Soloalbum heisst in diesem Fall: Hier gibt es nur den Chef persönlich, keine Gäste, keine Band. Bei den 15 Songs handelt es sich ausschliesslich um Fremdkompositionen (von Robert Johnson, John Lee Hooker über Elmore James und Willie Dixon bis hin zu Bob Dylan und Jagger/Richards) , wobei viele der Tracks in Thorogood's Live-Repertoire seit Jahren einen festen Platz haben. In jedem Song macht Thorogood seine Klasse als Gitarrist und Slider deutlich und beweist trotz jahrzehntelanger Routine, dass das Feuer nach wie vor brennt. Dass bei „Party Of One“ keine Langeweile aufkommt, was ja bei einem derartigen Projekt ja durchaus zu befürchten war, liegt neben der gelungenen Songauswahl und seinem technischen Können natürlich deutlich an Thorogood's über all die Jahre bewahrten Schnodderigkeit und dem Dreck unter seinen Fingernägeln. Damit hat er sich seit Langem seinen Platz in der Szene gesichert. „Party Of One“ wird dafür sorgen, dass das auch so bleibt.

Provogue/MV

Provogue/MV

hh. Der amerikanische Bluesrocker gehört auch zu den sogenannten Gitarren-Wunderkindern, die schon im Teenie-Alter ihr erstes Album veröffentlichten. Lang war damals (1995) gerade 14 Jahre alt. Inzwischen hat der Gitarrist/Sänger sieben Alben veröffentlicht, jede Menge Tourneen u.a. mit den Rolling Stones, Aerosmith, Blues Traveler absolviert, spielte im Weissen Haus vor den Clintons und kann ausserdem auf eine Grammy-Nominierung zurückblicken. „Signs“ ist sein achtes Album und hat alle Qualitäten, um Jonny Lang auch in unseren Breitengraden den wohlverdienten Durchbruch in diesem musikalischen Genre zu bescheren. Dabei ist ihm in diesem zum Bersten vollen (Bluesrock-)Bottich in erster Linie behilflich, dass er sich musikalisch, gesanglich und als Songwriter von praktisch jedem Konkurrenten deutlich unterscheidet. Jonny Lang ist höchst eigenständig, quer und lässt sich nur schwer in eine der üblichen Schubladen pressen. Er bedient sich für seine Songs bei praktisch allen musikalischen Spielarten, von Pop über Rock'n' Roll, hartem Rock bis hin zu Reggae. Dass er dabei jedoch nie seine Bluesroots aufs Spiel setzt bzw. verliert, ist ein Zeichen von hoher Klasse, Können, Cleverness und Selbstbewusstsein. „Signs“ ist trotz vieler Überraschungen ein in sich stimmiges Album mit tollen Songs und hoher Nachhaltigkeit, das die Grenzen des gewohnten Blues(-rock)-Genres sprengt und neu definiert.

hh. Im Vergleich zu Jonny Lang bietet Veteran Walter Trout auf seinem neuen Album gewohnte Bluesrock-Sounds. Zwar auf sehr hohem technischen Niveau, jedoch Neues oder Überraschendes sucht man hier vergebens. Den Reiz des Albums macht die illustre Gästeliste aus. Trout hat sich bei jedem der 14 Songs jeweils eine andere prominente und hochkarätige Unterstützung geholt: Kenny Wayne Shepherd, Sonny Landreth, Charlie Musselwhite, Mike Zito, Robben Ford, Warren Haynes, Eric Gales, Edgar Winter, Joe Louis Walker, John Nemeth, Randy Bachman, John Mayall und Joe Bonamassa. Auch sein Sohn Jon ist dabei. Dieses spektakuläre Who-Is-Who der BluesSzene und dass jeder der beteiligten Gäste seinen eigenen Stil hörbar und nachdrücklich einbringt, sorgt dann doch dafür, dass „We're All In This Together“ einen sehr speziellen Charakter erhält und auch mit tollen Songs aufwarten kann. Seine Fans wird Walter Trout mit diesem Album in höchstem Mass zufriedenstellen und glücklich machen.


mv. Unisonic veröffentlichen eine Live CD inkl. DVD. Das macht absolut Sinn und ist für die Fans eine sehr gute Sache, da die Band hier in der Schweiz leider kaum live zu bestaunen war trotz zwei genialer Alben. TRACKS nahm die Veröffentlichung der neuen Unisonic Live-Scheibe zum Anlass, mit deren Gitarrist Mandy Meyer über Unisonic, aber auch über seine sehr lange, spannende Musikerkarriere zu sprechen und zurückzublicken. Mandy, schön dass es von euch jetzt eine Liveplatte gibt. Wie kam es dazu? Der Wacken Gig wurde sowieso gefilmt und wir hatten das Material zur Verfügung. Abgesehen von ein paar technischen Problemen, welche behoben werden mussten konnten wir die Aufnahmen gut gebrauchen, weshalb es eine gute Gelegenheit war, das den Fans zur Verfügung zu stellen. Es gibt ja auch noch ein paar schöne und spezielle Sachen darauf wie ein Medley mit einer Judas Priest-Einlage oder zwei Helloween-Covers, welche nicht auf unseren Studioalben zu finden sind. Warum gab es bis jetzt eigentlich keine ausgedehnte Headliner-Tour von Unisonic ? Nicht wenige Fans hätten euch nach der zweiten Platte gerne mal als Headliner hier in Europa live gesehen. Irgendwie hat sich das nie ergeben. Wir spielen Tourneen in Südamerika und Asien und so einige Festivals in Europa. Nach der dritten Platte wollten wir dann eine Headliner-Tour machen. Aber jetzt wurden die Arbeiten für ein drittes Album natürlich erstmal eingestellt, da Michi und Kai die HelloweenReunion machen und für eine Weile keine Zeit mehr haben für Unisonic. Das bringt mich gleich zur nächsten Frage. Euer Sänger Michael Kiske singt dieses und nächstes Jahr jetzt wieder bei Helloween, ebenso Kai Hansen. Es wird sogar von neuen gemeinsamen Helloween-Songs gesprochen. Und Du bist bei Krokus wieder sehr aktiv. Wie steht es denn um die Zukunft von Unisonic, ist die Band auf Eis gelegt oder ist diese Live-DVD eventuell sogar die finale Veröffentlichung? Also aufgelöst haben wir die Band nicht. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann ich auch nicht 100% versprechen, wann und wie es weitergehen wird. Das wird sich zeigen, je nachdem wie sich die Geschichte mit Helloween entwickeln wird. Ich denke, wenn mal ein gutes Angebot kommen wird für Unisonic und es zeitlich passt, dann werden wir das auch wahrnehmen und gerne wieder live spielen. Aber ein nächstes Album ist natürlich erstmal nicht geplant. Wir möchten gerne in diesem Interview auch auf deine umfangreiche und spannende History eingehen. Du bist ja für einen Schweizer Musiker extrem viel herumgekommen und hast mehr erreicht als die meisten Schweizer Musiker sich nur erträumen können. Deine erste Band war die

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«Ich wurde damals sogar mal eingeladen für eine Audition bei Madonna.» Schweizer Band BM Smith, damals gemäss Deiner Bio als Leadsänger und Gitarrist. Meines Wissens nach gibt es von BM-Smith nur die 7“ Single namens „Chainsy Fever“ von 1978. Dort bist Du aber nicht in der Besetzung aufgelistet ? Warst Du schon vor der Veröffentlichung ausgestiegen? Nein, ich bin erst nach der Veröffentlichung der Single eingestiegen. Wir haben den Namen behalten und zusammen viele Konzerte gespielt, mit der neuen Besetzung


dann aber keine Aufnahmen mehr gemacht oder veröffentlicht. Noch eine interessante Notiz zu BM Smith: Am Schlagzeug spielten zusammen mit Mandy Meyer in dieser Zeit bei BM Smith ein gewisser Hanns Haurein alias Hanns Hanneken (Chef unseres Magazins) und als Sängerin Vera Kaa. Danach folgte gleich der Sprung ins internationale Superstar-Gewässer. Du konntest Tommy Kiefer bei Krokus ersetzen und bist mit der Band auf grosse Welttournee. Was war Dein Highlight in dieser Zeit? Die Tournee durch Grossbritannien, vor allem dass ich England in dieser Zeit erleben durfte. Die alten legendären Venues, in welchen wir dort spielen durften, das war der Wahnsinn. Und wir konnten eine Tournee in Amerika machen im Vorprogramm von Rainbow. Das war auch eine grosse Ehre und interessant für mich. Da konnte ich von den ganz Grossen lernen. Es folgte Deine Band Cobra mit Survivor-Sänger Jimi Jamison. Aus dieser Zeit gibt es das echt tolle Album „First Strike“ (1983). Wie kam es damals zu dieser Band und warum blieb es bei nur einem Album mit Cobra? Ich hatte auf der Krokus-Amerikatournee Demoaufnahmen dabei mit ein paar Songs von mir. Nachdem es mit Krokus nicht mehr klappte, brachte man mich dank dieser Aufnahmen mit Jimi Jamison zusammen und wir gründeten die Band Cobra, wo diese Songs dann schlussendlich mit seiner Stimme für die Platte aufgenommen wurden. Das lief alles über Plattenfirmen und die richtigen Manager. Ich war durch Krokus an viele gute Kontakte gekommen damals. Die Platte war toll und kam gut an. Butch Stone, unser zu dieser Zeit berühmt-berüchtigter Manager ist aber auch der Hauptgrund, warum sich die Band aufgelöst hat. Danach folgte allerdings wieder ein ganz grosser Coup für dich. Du konntest Steve Howe bei Asia ersetzen und mit dieser damals riesigen Band ein Album aufnehmen („Astra“, 1985). Das Grösste für mich überhaupt war schon nur das erste Mal mit dieser Band zu spielen! Das waren für mich überragende Musiker und sie spielten den Rock völlig anders als Krokus. Mein härterer Gitarrenstil und ihre Musik war eine explosive Mischung und die Zeit dafür war Mitte der 80er genau richtig, so dass wir grossen Erfolg hatten. Danach hast Du als Studiomusiker für Stealin' Horses, Mark Ashton oder die genialen House Of Lords gearbeitet. Wie kam es dazu? Ich hatte nach meiner Zeit bei Asia den starken Drang nach Los Angeles zu ziehen. Ich hatte mir dort wertvolle Kontakte aufgebaut und konnte so für viele sehr gute Bands arbeiten und gleichzeitig meinen Traum wahr machen und in L.A. leben. Eine witzige Anekdote aus dieser Zeit: ich wurde damals sogar mal eingeladen für eine Audition bei Madonna. Die suchten einen Gitarristen und so habe ich da tatsächlich mal zusammen mit Madonna gespielt, welche zum Singen persönlich anwesend war bei der Audition. Eine Zusammenarbeit hat es aber danach nicht gegeben Es folgte Ende der 80er wieder die Gründung einer eigenen Band namens Katmandü, welche 1991 das gleichnamige Album mit Dave King (Flogging Molly, Fastway) am Gesang veröffentlichten. Wie schon bei Cobra gab es auch hier leider nur ein Album. In den 90ern kam der Grunge und plötzlich war es in L.A. und rund ums berühmte Rainbow, wie jemand den Stecker gezogen hätte. So zog ich irgendwann zurück in die Schweiz. Genau zur richtigen Zeit müsste man als Beobachter sagen! Du bist bei Gotthard eingestiegen und hast mit Alben wie „Defrosted“, „Open“ oder „Homerun“ gigantische Erfolge in Deiner Heimat gefeiert. Ich habe mir Gotthard, welche damals gerade auf Tour waren live an einem Konzert in der Schweiz angesehen. Es gab schon eine Art Verbindung, denn Gotthard hatten den Song „Travellin' Man“ meiner alten Band Cobra mit viel Erfolg gecovert (auf dem Album „Dial Hard“ von 1994). Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich auf der nächsten GotthardTour dann selber da mitspielen würde (lacht). Was auch wirklich interessant und fast schon komisch war: „Defrosted“ sollte eigentlich nur eine Übergangsplatte werden für die Zeit bis zum nächsten Studioalbum. Die Platte wurde zum Beispiel in Deutschland nicht einmal promotet. Niemand hätte gedacht, dass dieses Album so ein Wahnsinns-Erfolg werden

würde. Der Rest ist Geschichte. Nacht acht Jahren ging es von Gotthard zurück zu Deinen Wurzeln und Du bist wieder bei Krokus eingestiegen. Da rappelte es zwar noch ein paar Mal im Line-Up, aber mit Unterbrüchen bist Du da jetzt bis heute wieder voll aktiv. Bei einem dieser Unterbrüche kam es dann auch zur Gründung von Unisonic, womit mir so langsam wieder in der Gegenwart angekommen sind. Was sind deine nächsten Aktivitäten? Mit Krokus sind wir viel unterwegs zur Zeit. Ob wir nochmal eine Platte machen, steht noch in den Sternen. Songideen habe ich mehr als genug. Aber irgendwie ist es heutzutage nicht mehr so verlockend, mit einer Band wie Krokus neue Platten zu veröffentlichen. Die Leute kaufen kaum noch Alben und wollen live eh nur die alten Klassiker hören. Im Gegensatz zu einer Band wie Unisonic, wo die Leute auch wirklich wegen der neuen Songs zum Konzert kommen. Das sind schon zwei ganz verschiedene Welten. Du hast unglaublich viel erreicht als Schweizer Musiker. Was hast Du selber noch für Ziele als Musiker? Ach, ich will einfach nur weiterhin spielen und rocken. Vielleicht wird es irgendwann auch wieder mit einer ganz neuen Band sein. Ich muss nicht mehr die Welt erobern damit, Hauptsache es macht Spass.

UNISONIC Live In Wacken EarMusic/TBA mv. Eine Live-Scheibe von Unisonic ist mehr als wertvoll. Schliesslich machte sich die Band nach den beiden hervorragenden Alben „Unisonic“ (2012) und „Light Of Dawn“ (2014) leider live sehr rar und es gab in der Schweiz bis jetzt ausser einem Support-Konzert für Edguy keine Konzerte zu bestaunen. Die grosse Show in Wacken wurde dafür jetzt verwertet und liegt als CD mit Bonus DVD vor. Eine volle Stunde lang gibt die voll motivierte Band in Bestform Vollgas. Es ist schon erstaunlich, wie aussergewöhnlich gut Michael Kiske immer noch singen kann, selbst bei schwierigsten und höchsten Tönen. Aber auch seine Mitstreiter sind allesamt Könner ihres Fachs. So lassen Kai Hansen und Mandy Meyer die Gitarren heftig krachen und so einige herrliche Soli vom Stapel, während Dennis Ward und Kosta Zafiriou alles supertight zusammen halten und mächtig grooven lassen. Wie stark die beiden Unisonic-Studioalben tatsächlich sind, zeigt sich auf dieser Live-Platte eindrücklich. Denn melodische Meisterwerke wie „For The Kingdom“, „My Sanctuary“, “Your Time Has Come”, “When The Deed Is Done” und die Bandhymne “Unisonic” müssen sich keineswegs vor den beiden Helloween-Coverversionen “A Little Time” und “March Of Time” verstecken sondern klingen wie aus einem Guss. Dank der mehr als gelungenen Produktion und der 6-Track Bonus DVD kann hier ohne Bedenken von einem Pflichtkauf für jeden Fan gesprochen werden.

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«Im Studio waren wirklich alle der Band da und es wurde ausserhalb der Sessions gejammt, für einander gekocht und es hat sich ein Stück wie eine Familie angefühlt. Dieses Gefühl hat es so sehr lange nicht mehr gegeben.» - Chrigel Galnzmann

„Evocation II – Pantheon“ heisst die neue Scheibe von Eluveitie und ist nach acht Jahren der Nachfolger des ersten Akustikalbums „Evocation I – The Arcane Dominion“. Sind die Songs auf dem neuen Album noch aus der Zeit von „Evocation I“ und warteten acht Jahre auf eine Veröffentlichung? Wir schreiben keine Songs auf Vorrat, die, wenn wir genug beisammen haben, als Album rausgeben. Das erste was passiert, wenn wir an einem Album arbeiten, ist dass ich alleine das Konzept aufschreibe. Noch ohne Musik versuche ich vor dem inneren Auge ein Bild zu haben, wie das Album sein sollte, was für eine Thematik es sein soll und was für eine Atmosphäre erzeugt werden soll. Wenn das Bild steht, fangen wir erst an, die Songs zu schreiben, entsprechend dem Konzept. Beim neuen ist zusammenfassend das Konzept quasi ein Spaziergang durch das keltische Pantheon. Oder verständlicher: Das keltische Jenseits wo sich die Götter aufhalten. Ist der Besetzungswechsel ein Grund, dass die „Evocation“ – Fortsetzung dieses Jahr erscheint? Nein, es gibt so gesehen keinen spezifischen Grund. Das „Evocation“ – Konzept schrieb ich 2008, schon damals als Zweiteiler. Als „Evocation I“ 2009 erschien, liessen wir total offen, wann und auch wie der zweite Teil erscheinen wird. Der Entschluss, das zweite Akustikalbum zu veröffentlichen, kam schon 2014, als wir das letzte Album produziert haben. Der Grund hierfür war lediglich unser Bauchgefühl. Auf den Besetzungswechsel war es sogar zum Teil umgekehrt! Ein Feedback war zum Beispiel, ob wir es nicht etwas suboptimal fänden, nach einem Besetzungswechsel noch so ein spezielles Album zu veröffentlichen oder nicht doch lieber ein „normales“ Eluveitie – Album zu machen. Aber es stimmte irgendwie für uns, quasi Scheiss drauf, ob das jetzt das Richtige ist oder nicht. Es stimmt für uns und das ist gut so. Ich finde, der Tag, an dem du dir deine Kreativität von anderen Leuten beschneiden lässt, ist der Tag, an dem du aufhören solltest kreativ zu sein. Und eigentlich wollten wir „Evocation II“ schon früher rausbringen, was sich dann durch den Besetzungswechsel um ein halbes Jahr verzögert hat und etwas stressig wurde. Und wie lange hattet ihr Zeit? Nur sehr wenig, etwa einen Monat. In dieser Zeit, als wir an die Aufnahmen wollten, war das Studio bereits voll ausgebucht und hatte gerade nur noch diesen einen Monat Zeit. Es war ein ziemlich intensiver Monat, aber es hat alles geklappt. Und es war richtig witzig, denn vor uns nahmen Cellar Darling im gleichen

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Studio auf und waren ebenfalls knapp dran. Als wir ankamen, vermachten wir ihnen unseren ersten Studiotag, damit sie ihren Mix halbwegs in Ruhe fertig machen konnten - und so waren wir wieder zusammen im Studio. Dann war das ja ein richtiger Staffettenlauf im Studio! (lacht) Genau so kam es mir auch vor! Also haben sich die Wogen geglättet? Also, es ist nicht so, dass wir uns verkracht hätten, wenn du von Wogen glätten redest. Also ist nichts Entsprechendes vorgefallen, das zum Austritt führte? Es war eine längere Entwicklung, ich würde sagen, im Zeitraum von etwa zehn Jahren. Es gab sehr starke und sehr unterschiedliche Vorstellungen von Eluveitie, nicht mal musikalische, sondern vielmehr, wie eine Band ist und wie eine Band funktionieren sollte. Dies hat sich im Verlauf der Jahre zugespitzt. Das klingt halt etwas negativ, aber es hat sich so entwickelt, dass die verschiedenen Vorstellungen immer weiter auseinandergeklafft sind. Es betraf immer mehr Leute, sodass sich zwei Lager in der Band bildeten. Und so etwas ist sowieso „e Schiissdräck“. Dies war leider auch der Grund für die letzten Lineup – Wechsel. So verliessen die Leute die Band, weil die Situation sie einfach ankotzte und unter solchen Umständen nicht mehr mitmachen wollten. Dies wäre so weitergegangen und immer mehr Leute hätten es nicht mehr ausgehalten. So haben wir uns entschlossen, die Notbremse zu ziehen und getrennte Wege gehen, da ansonsten die Band auseinander gebrochen wäre. Es war kein Streit, es waren einfach sehr starke und gegensätzliche Vorstellungen. Ein Lineup – Wechsel ist immer schwer und man macht dies nicht leichtfertig. Rückblickend jedoch war das eine sehr gute Entscheidung für Alle! Es ist super für Eluveitie und auch für Anna, Merlin und Ivo, wie man bei Cellar Darling hört. Hast du in das Album von Cellar Darling reingehört? Wie ist deine Meinung zu Cellar Darling? Ich finde das Album wirklich geil! Sie sind eine geile Band und es macht mir Freude, Cellar Darling zu sehen. Besonders freut es mich für Anna. Es war wirklich schön zu beobachten wie sie in der Kreativität und Musikalität richtig aufblüht. Klingt Cellar Darling so, wie du es vermutet hast wenn die Drei bei Eluveitie aussteigen? Nein! Also, ich habe gar nichts gedacht oder erwartet... Es war natürlich von Anfang an klar, das sie weitermachen werden. Die Idee von Cellar Darling existiert schon länger und wäre auch gegründet worden wenn sie noch bei Eluveitie wären. Erwartungen, wie und was sein wird hatte ich nicht, ich wusste nur das es rockiger und weniger Metal - lastig klingen wird. Als wir uns im Studio begegnet sind, habe ich natürlich schon etwas mitbekommen, wie das Album klingt. So habe ich mir auch schon ein kleines Bild machen können, habe mir danach das ganze Album durchgehört und ich finde es richtig geil! Es gelang ihnen, etwas Neues zu erschaffen, und das finde ich vor allem geil daran. Das Songwriting für „Evocation II“ entstand, trotzdem das es bereits vor dem Wechsel in Planung war, komplett ohne Anna, Merlin und Ivo. Ist „Evocation II“ eine Art Neuanfang für dich und Eluveitie oder ein Weiterführen? Es ist beides. Grundsätzlich ist Eluveitie einfach Eluveitie. Auch trotz den bisherigen Lineup – Wechseln sind wir immer Eluveitie geblieben. Und doch hat es sich dieses Mal wie ein Neuanfang angefühlt. Wir hatten früher immer wieder verhärtete Fronten in der Band, und mit der neuen Besetzung hat es sich für „Evocation II“ richtig gut angefühlt. Wie sich die Band in den letzten zwölf Monaten entwickelt hat ist wirklich total schön. In dem Monat im Studio waren wirklich alle der Band da und es wurde ausserhalb der Sessions gejamt, für einander gekocht und es hat sich ein Stück wie eine Familie angefühlt. Dieses Gefühl hat es so sehr lange nicht mehr gegeben. Machst du dir Gedanken wie das Album nach dem Wechsel bei den Leuten ankommt? So mache ich mir keine Gedanken, eigentlich nie. Es ist ja schon fast wie ein Kind, das man in die Welt hinaus begleitet, aber wie die Welt auf das Album reagiert kann man nicht wissen. Dann hast du keine Angst vor Kritiken? Ein Stück weit ist es normal, das man nervös wird, wenn man etwas veröffentlicht. Aber wir machen uns kein Kopfzerbrechen. Ich lese auch so gut wie keine Kritiken. Es interessiert mich auch nicht wirklich, da wir Musik machen wie es uns gefällt und sich somit sowieso nichts ändert, egal wie die Kritik ausfällt.


„Wenn du deine Kreativität von Anderen beschneiden lässt, solltest du aufhören kreativ zu sein!“

ds. Die erfolgreichste Schweizer Metalband veröffentlichte im August ihr zweites Akustikalbum „Evocation II – Pantheon“. Es ist sogleich das erste Album in neuer Besetzung. Band-Chef Chrigel Glanzmann spricht über das neue Album, den Lineup – Wechsel und die „Abtrünnigen“ Cellar Darling.

LIVE 15.9. Lausanne, Metal Highway 22.9. Lugano, Studio Foce 23.9. Solothurn, Kofmehl 29.9. Schaffhausen, Kammgarn 30.9. Zug, Galvanik


BABA SHRIMPS Road To Rome Sony Music hef. Früher hiess es oft, wenn Schweizer Popbands Englisch sangen, "für Schweizer sind die aber recht gut". Diesen Satz hört man heute längst nicht mehr. Bei Baba Shrimps wäre er eine Frechheit. Die zehn Songs dieses Trio lassen einen erstaunt aufhorchen. Mastermind ist Sänger/Gitarrist Adrian Kübler, der alle Songs schreibt. Bereits mit ihrem Debüt "Neon" von 2014 liessen Kübler und seine Band-Kollegen Luca Burkhalter (Keyboards) und Moritz Vontobel (Schlagzeug) keinen Zweifel daran, dass hier noch was nachkommen wird. Das Album schaffte es überraschend in die Hitparade. Das Stahlbad von inzwischen über 200 Konzerten in Clubs und an Festivals sowie das Vorprogramm von Topbands wie Kings Of Leon und Kodaline sorgten für den letzten Feinschliff. Entsprechend wurde "Road To Rome" ein Popalbum erster Güte. Ohrwurmige Melodien, feine Arrangements, perfekte Produktion – die Radios landauf landab dürfen sich auf wunderbares Songmaterial freuen. Die Titel leben vor allem von der speziellen und warmen Stimme von Kübler, von dessen Timbre und Intensität des Gesangs.

Das ist Musik voller Leidenschaft, ehrlich, kernig und gut. Die Reise in die ewige Stadt kann kommen, die Strasse dafür ist gebaut.

SEVEN 4 COLOURS Sony Music hef. Jan Dettwyler aus Wohlen AG alias Seven gehört zu den anspruchsvollsten Musikern der Schweiz, den man nicht von ungefähr "Schweizer Prince" nennt. Dieselbe hohe Stimme mit dem entsprechenden Timbre wie Prince, auch die Art der Arrangements und Chorgesänge erinnern an den im April letzten Jahres verstorbenen Pop-Gott. Doch es wäre billig, Seven auf Prince zu reduzieren. Dieser Mann ist auf seine Art ein Schweizer Musik-Genie. Die vier Farben symbolisieren die vier Welten von Seven, wie sie von vielen anderen Menschen ebenso oder ähnlich interpretiert werden. Blau, blue, ist die Farbe des Schmerzes, der Einsamkeit, auch des Weggetretenseins, des Depressiven, Traurigen. Gelb symbolisiert Lebensfreude und auch Hoffnung. Rot ist natürlich Leidenschaft und Liebe, musikalisch in brandheissen R&B umgesetzt. Bleibt noch Farbe 4. Klar, dass Seven violett, pink, purple als Hommage an seine "Purple Hoheit" und an

Funk in seiner ganzen Pracht versteht. Die insgesamt 19 Titel sind unterteilt in vier orchestrale Stücke, die den Bühnenbildner symboliseren sollen, der die Kulissen verschiebt und damit die Genre-Grenzen zieht. Diese rein instrumentalen Zwischenstücke wurden mit dem Arts Symphonic Orchestra London in den Angel Studios in England aufgenommen. Seven 2017 – das ist subtiler, feiner Funk mit einer gehörigen Portion Soul, leidenschaftlich gesungen, immer auch melodiös und groovend, abwechslungsreiche und schlicht wunderbare neue Pop-Musik. Hör Dir mal "Black Pearl" an. Dann weisst Du, was ich meine. Das ist mehr als nur R&B. Das ist sexy R&B mit einem unter die Haut gehenden Kick Erotik. So wie man damals auch Prince spürte, wenn er loslegte. Das Vorbild wird dann doch noch ganz konkret eingebunden. "Brave (a song to thank him...)" ist Sevens Danke an sein grosses Vorbild und Idol. Mit einem heissen Groove, spitzen Bläser-Einschüben und brutalem Intro-Rhythmus, die Stimme teils schon fast falsett. Prince selber wäre wohl stolz darauf gewesen.

FLEUR Homeless iGroove hef. Das herzige Cover hat mich angemacht, mir dieses Album

ELUVEITIE Evocation II - Pantheon Nuclear Blast / Warner ds. „Ein Spaziergang durch das keltische Jenseits“, so bezeichnet Chrigu Glanzmann das Konzept des insgesamt achten Eluveitie – Albums und der zweiten Akustikscheibe der erfolgreichsten Metalband der Schweiz. Wer denkt, auf „Evocation II“ sei der Schwerpunkt auf den Folk gerichtet, kann sich eines Besseren belehren lassen. Dort wo auf den anderen Alben die schweren Metalgitarren donnern, werden hier Akustikgitarren eingesetzt. Das Konzept verändert sich deshalb nicht, das Album kommt auch nicht unbedingt ruhiger daher. Nach dem Intro folgt mit „Epona“ ein stimmungsvoller Track, der in etwa das Erscheinungsbild des Albums gut zusammenfasst. Durch weitgehend Instrumentale Songs wie „Cernvnnos“ und „Aventia“ werden die dazugehörenden Stimmungen dieses „Spaziergangs“ sehr überzeugend rübergebracht, und auf diesem begegnen einem auch mal bekanntere Melodien: „Ogmios“ verwendet erneut das Traditional „Tri Martolod“, welches Eluveitie schon für „Inis Mona“ benutzte und für „La

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anzuhören. Ich hatte keinerlei Erwartungen und liess die 15 Songs zwischen Englisch, Deutsch und Schwizertüütsch im Auto über mich ergehen. Fleur ist eine Singer/Songschreiberin aus der Zentralschweiz. "Drei Musikrichtungen, Pop, Jazz und Dance. Drei TeamKonstellationen", schreibt die PR-Dame Christa Wenger auf dem Info-Sheet. "Mit Thomas Gabriel, dem Gospelchor Sachseln und dem Zürcher Produzenten Niklas Thal. Jeder Song ist autobiografisch und entstand innerhalb der letzten zehn Jahre" (Zitat-Ende). Fleur Magali Volkart singt und spielt Klavier, seit sie sechs Jahre alt ist. Der erste Song mit Klavierbegleitung, Englisch gesungen, macht Lust auf mehr. Doch plötzlich wirds sehr traurig. Der Titel Heimatlos, Homeless, spricht auf den plötzlichen Tod ihres geliebten Vaters an, der im Herbst letzten Jahres verstarb. "Dear Papa" ist die Hommage der 29-jährigen Psychologin an ihr grosses Idol. Sicher ist es schwierig, die richtigen Worte für die Öffentlichkeit zu finden, um den geliebten Papa und dessen Tod zu besingen. Fleur macht das sehr offen und intim. Aber wollen wir das so im Detail wissen? Für sie scheint es wichtig, um diesen Schock zu verarbeiten. Bei Fleur führt der Weg aus der Trauer über das Bewusstwerden, wieviel Glück ihr einst zuteil worden war, wie sehr sie geliebt wurde und wie geborgen sie sich mit ihm fühlte. "Man ist nicht dankbar, weil man glücklich ist", sagt Fleur. "Sondern glücklich, weil man dankbar ist." Irgendwie fasziniert hörte ich mir das Album zweimal an, spontan sagte ich bei gewissen Passagen, "so süss, jöh, so härzig", weil ich das in dem Moment so empfand. Auch wenn vieles amateurhaft rüberkommt: Erfrischend ist die Echtheit dieser Musik und dieser Texte, die aus tiefstem Innern heraus entstanden. Irgendwie auch berührend!

BO KATZMAN & THE CAT PACK The Truth

Tribu de Dana“ der welschen Hip – Hop Gruppe Manau den Beat lieferte. Nach einer Weile fängt das Album an, richtig Laune zu machen. Entgegen der ersten Vermutung, nur eingefleischte Eluveitie – Fans hätten Gefallen an „Evocation II“ muss man gestehen, das die Songs richtig Spass machen. „Evocation II – Pantheon“ ist ein Album, das auch metalfremden Leuten den Zugang zur Musik Eluveities ermöglicht.

Phonag Was ist die Wahrheit? Die Wahrheit, warum der Schweizer Gospelkönig zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist. "Die musikalische Rückkehr zu seinen Anfängen", wie es die Plattenfirma formuliert. Statt dem grössten Gospelchor Europas ist die Katzen-Meute, Cat Pack, eine fünfköpfige Rockband


inklusive Songschreiber und Sänger Bo Katzman. "Weg vom Chor-Gigantismus zu ehrlicher, schweisstreibender Pop- und Rock-Musik", heisst es weiter bei der Plattenfirma. Was ist denn nun die Wahrheit? "Let's handle the truth", singt Bo im dritten Titel. "What are we gonna do?" Eines ist klar: Was Bo und das Pack hier auspacken, ist astreine Popmusik. Feine Uptempo-Songs, dominiert von Bos typisch näselnder Stimme, ein bisschen oldfashioned produziert, ein bisschen mehr Power hätte nicht geschadet, aber Bo ist ja nicht Bryan Adams. Das macht auch den Charme dieser Klänge aus, die von fordernden Frauenchören angetrieben werden. Dazu fetzt das Blech bei "Lets Make A Baby King". Eines ist bei allen Vorbehalten klar: Bo Katzman ist ein Vollprofi, die Band ist super, vor allem der Gitarrist, der dem Ganzen teils unheimlichen Drive gibt. Was man freilich von den Texten halten muss? Ein bisschen gar platt zuweilen. Bei seinem Gospelchor wusste man, dass es die Botschaft zu Weihnachten ist. Die Musik, die auf die Festtage einstimmt. Bo war damals ein Prediger auf der Bühne, der die Leute vor allem auch damit packte, wie er sie auf Weihnachten einstimmte. "Trust Yourself", vertraue Dir selber, ist ebenfalls eine Botschaft, an die Kinder, an alle. "Verkaufe Deine Seele nicht an irgend jemanden", singt er, an die Kinder und Jugendlichen gewandt. "Sister, Brother, Children, Mother, People, trust yourself, well well well." Die Musik stimmt zu diesen Worten, die Eindringlichkeit des Predigers, Psychologen, Seelenheilers Bo, ist direkt zu spüren. Der sympathische Schlaks hat nichts verlernt, nimmt sich und seine Songs ernst. Wirklich eine sehr schöne Scheibe Chapeau! Nur: Was wird seine einstige Zielgruppe dazu sagen? Time will tell. Good luck, Bo!

HALUNKE Superheld

www.halunkeonline.ch hef. Respekt, Jungs! Ihr seid Superhelden. Nicht in erster Linie Eurer Musik wegen. Sondern vor allem wegen Eures Mutes. Eure Plattenfirma heisst "Der letzte Schrei Records", Anja und Christian Häni sind die CEOs. Christian ist gleichzeitig Sänger, Songschreiber und Kopf der Band Halunke, die neben Christian aus Simon Rupp (Gitarre), Marco Mazotti (Bass), Matthias Nydegger (Schlagzeug) und Manuel Halter

(Piano) besteht. Dazu kommt Chorsängerin Anja Häni, Christians Frau, und ein Blechquartett mit Trompeten, Posaune und Saxophon. Doch überlassen wir erst mal der Band das Wort. "Da wo <Schiffbruch> (mit Büne Huber) aufgehört hat, beginnt <Superheld>. Die Songs sind simpel, aber nicht langweilig, die Texte verständlich, aber nicht banal. Eine Achterbahn der Gefühle mit Geigen und Trompeten." Eure Worte, selbstbewusste Worte. Dass Ihr alles selber im Griff habt – Aufnahmen, Vertrieb, Promotion, Booking – ebenfalls Respekt. Die recht grosse Holzkiste mit CD-Beigaben wie Becher, Notizblock und Halsbändeli – gute Idee. Danke! Das alles hat natürlich entsprechend die Erwartungen geschürt, zumal ich in den letzten Jahren immer wieder in den Radios auf Euch gestossen bin und meistens fand, die sind originell und passen perfekt in die Berner Mundart-Szene. Das war auch der Grund, dass ich Euer Album mit ins Auto nahm. Da stört einen niemand, und die ganze Konzentration ist voll auf das Produkt focussiert. Bevor ich meine Meinung über "Superheld" schreibe, möchte ich noch einmal Euch zitieren. In Eurem Pressetext heisst es wie folgt: "Vor vierzehn Jahren hat Häni sein <Paradies> gefunden in Form einer Liebe, welche in guten und in stürmischen Zeiten an seiner Seite steht, arrangiert mit grossartigen Streichern. Der <Vagant> erscheint in Form einer schlechten Laune und versucht, Überhand zu gewinnen, wird jedoch mit allen Tricks vertrieben. Der Song <Ohni Trick> ist die Antwort auf die immer wieder gestellte Interviewfrage, wie man einen Song schreibt. <Was isch los> berappt die komplette Bünzliund Hipster-Welt und bringt wieder einmal eine grosse Portion Dreck ins Spiel. Als Super-Bonus-Track präsentieren HALUNKE zusammen mit Josua Romano unter dem Pseudonym <The Moneypennys> einen waschechten Bond-Song" (Ende des O-Tons Halunke). Auch recht witzig formuliert! Schade, dass ich das nicht unterschreiben kann. Ich fahre jetzt nach Hause und schiebe die CD nochmals in meinen Player im Auto. Letzte Chance, vielleicht doch noch meine Meinung zu ändern, die jetzt heissen würde: Zuviel Pathos, gute Ideen, unterdurchschnittliche Songs ohne richtige Struktur. Also, tschou zäme, bis morn!

LUKE GASSER Mercy On Me LuckyBob Records ds. Normalerweise liegen zwischen seinen Alben nur ein Paar Monate, dieses Mal liess es auf sich warten. Luke Gasser, seines Zeichens Musiker, Filmemacher und Schriftsteller veröffentlichte im Mai sein Album „Mercy On Me“. Das mittlerweile vierte englischsprachige Album zeigt erneut, das die englische Sprache ihm besser steht als Mundart. Was einem auf „Mercy On Me“ erwartet, ist geradliniger Rock in alter Manier. Die Songs wurden grösstenteils live eingespielt und mit „nur sparsam eingesetzten Overdubs“, was man leider hier und da sehr gut hören kann. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, jedoch fällt auf, dass es in Songs wie „Cross My Heart“ oder „Ruby MD“ beim Tuning und dem Zusammenspiel hapert. Textlich gesehen werden aktuelle politische und gesellschaftliche Themen behandelt. Zu den Favoriten des Albums gehört das bluesig – schleppende „Winter Rest“ und „Strive“, was wohl daran liegen mag, dass diese im Gegenzug zu den anderen Songs etwas magerer erscheinen und somit mehr Platz für das einzelne Instrument entsteht. Mit diesen Songs gegen Ende des Albums rettet Luke Gasser das Gesamtwerk, da der Anfang doch etwas zu überladen erscheint. Als Gast ist Shakra–Frontmann Mark Fox im Song „Stellar Queen“ zu hören.

THE KEISER TWINS -Emotional Strangers -Le Trip and Christoph Stiefel -The Keiser Twins NiRo Music hef. Peter und Walter Keiser, The Keiser Twins, sind die wohl bekanntesten Unbekannten der Schweizer Pop-, Rockund Jazz-Szene und gelten als die besten Studiomusiker des Landes. Zuletzt tourten sie in der Band von Gölä durchs Land. Schon ihre Mutter war berühmt. Martheli Mumenthaler gehörte in den Vorkriegsjahren und danach mit ihrer Kollegin Vreneli Pfyl zu den bekanntesten Jodlerinnen der Schweiz. Peter "Piitsch" Keiser spielt einen virtuosen Bass, Schlagzeuger Walter "Wäle" Keiser ist ein vielseitiger

Drummer, den Harfenist Andreas Vollenweider jeweils auf seine Welttourneen mitnimmt. Mit gleich drei neuen Produkten stellen sich die Keiser Zwillinge endlich einmal selber ins Rampenlicht. "Emotional Strangers" bietet zehn Songs zwischen Instrumentals und funkig angehauchten, melodiösen und gesungenen Up-tempo-Titeln. "The Trip" zeigt die Keiser Twins als virtuose JazzRock- & Funk-Grössen in Zusammenarbeit mit Pianist Christoph Stiefel. Der Titelsong und "Turn" sind fast zehn Minuten lang. "The Keiser Twins" schliesslich ist eine Kooperation mit Renato Anselmi, einem der bekanntesten JazzMusiker der Schweiz. Für die Vocals auf "Emotional Stranger" sorgen der Engländer Clinton Anthony "Roachie" Outten und der Südafrikaner Gavin Goldberg. Begleiter im Studio waren die helvetischen Cracks Jean-Pierre von Dach (Gitarre), Daniel Küffer (Saxofone) und Pianist Greg Galli (Ex-Vera Kaa).

MARIO CAPITANIO Capitanio Nyro Music Mario Capitanio wurde als Gitarrist von Florian Ast und Polo Hofer zum neuen Schweizer Gitarrenhelden hochstilisiert. Dass er das mit seinen technischen Fähigkeiten ist, daran besteht kaum ein Zweifel. Was er auf einem seiner Alben bewies, das "Vo Jimi zu Hendrix" hiess. Auf diesem Album singt er erstmals Mundart. "Hey Frau Friedli" ist seine Version des legendären Rhythmus-Grooves von Ur-Gitarrenheld Bo Diddley, mit geiler Blues-Harp zum scharfen R&B-Teil abgerockt. With a little help from his Berner friends wie HP Brüggemann, Maik Ast, Bruno Dietrich und Thomas Knuchel schuf er ein ravendes RockAlbum voller persönlicher Texte, die eher dem Rock'n'Roll entsprechen denn autobiografischen Ursprungs sind. Lebensthemen, von Fernweh und Liebe um das Auf-unddavon, den Verlust von Liebe oder das Verliebtsein an sich – ein Augenzwinkern gehört für Mario Capitanio einfach dazu. Dafür fägts. Und macht grossen Spass.

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RODRIGUEZ 5340 Eigenvertrieb/cede.ch ip. Wunderbaren Pop/Rock/Blues präsentiert Manuel Rodriguez, der nach Spanien ausgewanderte Winterthurer Gitarrist, mit seinem neuen Album „5340“. Der 53jährige macht seit 40 Jahren Musik, womit sich der kryptische Titel des Albums erklärt. Dass es sich um qualitativ ausserordentlich hochwertiges Songmaterial handelt, zeigen nicht nur ehemalige Kollaborationen des Gitarristen mit Marc Storace von Krokus oder Auftritte mit Sarah Brightman, sondern auch die Tatsache, dass auf „5340“ mit Tony Braunagel (dr) und Richard Cousins (bass) zwei illustre und erstklassige Musiker vertreten sind. Diese Rhythmussektion hat sich Rodriguez nämlich vom bekannten US-Blueser Robert Cray ausgeliehen und dass dieser Schachzug Sinn macht, hört man den Songs auch an. Da passt das Songwriting auf den Punkt, einige Momente erinnern an die Musik von Robert Cray und das ganze Album vermittelt eine warme, manchmal sanfte Atmosphäre („Roadmaps Of Our Lives“), die zum Ofthören einlädt. Neben der Reminiszenzen an Cray hält Rodriguez immer seine Spur und schafft es, nahtlos auch Soul („We Were Around“) oder folkige Momente („Autumn Rain“) einzubauen. Für diesen interessanten Stilmix sorgen auch seine GastmusikerInnen am Mikrofon. Mit Kelly Lee Cottom, Carol Schuler, Karen Lovely oder Nanina Mohea Ghelfi sind erstklassige weibliche Stimmen in vielen Farben vertreten und Roy Wilders, Carlos Tarque oder Sherpa (bei dessen Stimme in „Un Nuevo Amanecer“ übrigens Frauenherzen wegschmelzen wie Eiswürfel in Horchata de Chufa, der Spezialtät aus der Region um Rodriguez' Wohnort Valencia) liefern eine ebenso breite Palette an männlichen Vocals. Dank der Technik war es Rodriguez möglich, „5340“ an Orten wie Spanien oder den USA aufzunehmen und einige Beiträge sogar aus Australien einzufügen. Somit ist dieses Album quasi ein Weltenbummler und eine Besonderheit für den Komponisten. Trotz hohem Aufgebot an vortrefflichen Gastmusikern baut Rodriguez Instrumentalsongs ein, um Platz zu schaffen für sein eigenes, unaufgesetztes und sympathisches Gitarrenspiel. In „Ojos Negros“ kommen dabei südländische Einflüsse zum Zug, die von Bläsersätzen mit einem frischen, jazzigen Feeling unterstützt werden und „Emperor's Gate“ erhält einen schicken 50ies Groove mit typischem Orgellauf, der vortrefflich in einen Tarantino-Film passen würde. „5340“ ist in der Mehrheit erdig und straight, wie der Opener „Better Let You Go“ oder das Tom Petty angehauchte „I'm Sorry To Say“ schon vorgeben, wird aber mit filigranen Akustiksongs wie „King Of Thousand Kings“ oder treibenden Nummern wie „World On Fire“ immer wieder aufgelockert und spannend gehalten. Es ist ein wunderbares, top produziertes Album (in der Schweiz über cede.ch erhältlich) für Liebhaber der genannten Genres mit vielen Augenblicken zum Entdecken und dadurch auch zum Gerne-und-Oft-Hören.

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Mit dem Album „Collective Confusion“ veröffentlichte die Band um Sängerin Andrina Travers vor zwei Jahren eines der besten Werke der aktuellen helvetischen Pop-Rock-Kultur. Seitdem ist viel passiert bei Underskin und Andrina. Jetzt gibt es von der runderneuerte Band mit der engagierten Single „Use Me“ ein neues, starkes Lebenszeichen. Zeit für eine Bestandsaufnahme. TRACKS sprach mit Andrina. Foto: Thomas Buchwalder hh. Neue Bands und Platten haben es schwer heutzutage. Das musste auch Andrina Travers mit ihrer Band Underskin erfahren. Das Debüt-Album glänzte zwar durchweg mit herausragenden Rocksongs, dem nötigen Pop-Appeal und Refrains/Hooklines zum Niederknien, einer exzellenten Produktion und natürlich mit einer Sängerin, die hierzulande ihresgleichen sucht. Hat aber nichts genutzt. Aber da unsere Radiostationen mit derartiger Schweizer Musik ihre liebe Mühe haben (wenn sie nicht gerade von internationalen Bestsellern wie z.B. Pink kommt), gab es für Underskin von dieser Seite keinen Support. Schon bald nach Release des Debüts und ein paar Live-Shows brach die Band auseinander und Andrina stand wieder mit ihrem langjährigen Gitarristen Roman allein da. Die Gründe für den Bruch klingen bekannt: zuviel Demokratie und zuwenig Bereitschaft zur Unterordnung innerhalb der Band. „Roman und ich waren uns einig, dass wir Musiker brauchen, die genauso denken wie wir. Die am gleichen Strick ziehen und wo es keine Richtungs-Diskussionen gibt“, erklärt Andrina. Mit dem Badener Drummer Buddah (ex-Acidcell) haben sie nun seit über einem Jahr den passenden Partner in Crime gefunden. Andrina: „Er ist wirklich der Erste, der gleich wie Roman und ich denkt. Mit ihm funktioniert es menschlich und musikalisch optimal und jetzt haben wir eine coole Trio-Formation, mit der Arbeiten wirklich Spass macht.“ Für Live-Gigs kommt noch ein Bassist dazu, den harten Kern der Band auch bezüglich Songschreiben bilden jedoch Andrina, Roman und Buddah. Für eine Überraschung sorgte im letzten Jahr die Teilnahme von Andrina bei der (besten) deutschen Casting-Show The Voice Of Germany (VOG). Wie kam es dazu? „Ich kannte die Show gar nicht, aber ein Bekannter hatte mir davon erzählt. Ich habe dann mal auf der Website geschaut, was da abgeht und mich dann aus reinem Blödsinn da angemeldet,“ lacht Andrina. Zwei Monate später kam die Einladung zur Teilnahme und Andrina landete im Team von Samu Haber (Sunrise Avenue). Sie schaffte es zwar „nur“unter die ersten 10, profitierte jedoch durch viele neugewonnene Kontakte und die Arbeit mit dem Vocal-Coach und hatte vor allem mächtig viel Spass. Samu Haber, zu dem Andrina bis heute Kontakt pflegt, riet ihr dann auch, in ihre Musik modernere, elektronische Sounds einfliessen zu lassen. Den Rat hat Andrina befolgt, wie man an der neuen Single hören kann. Obwohl die Zeit in Berlin bei VOG sehr „geil“ war, wie sie sagt, hat die Underskin-Frontfrau hier gemerkt, dass diese Solo-Kiste nicht ihr Ding ist. „Das war zwar spannend, aber ist nicht meine Welt. Das ist einfach eine Show und du bist ein Produkt - das ist nicht nachhaltig. Ich will aber in einer Band sein. Ich brauche einfach den Roman neben und den Buddah hinter mir“, ist sich Andrina sicher. Am 1.9. melden sich Underskin mit der Single „Use Me“ zurück. Ein starker Song mit einem engagierten Text, der


Changes es aber schwer haben dürfte, auf die Playlists der Sender zu kommen. „Das ist mir bewusst“, sagt Andrina, „aber mir ist es im Grunde egal ob wir im Radio kommen oder nicht, ich will spielen! Das ist die Hauptsache für uns.“ Somit ist der Song auch eine hervorragende, aktuelle Visitenkarte für Veranstalter. Im Vergleich zum Debüt-Album klingt „Use Me“ mit seinen elektronischen Elementen sehr modern. Gewichtige Helfer waren wieder das Produzenten-Duo Baschi und Phil Merk, das bereits das Debüt-Album meisterlich in Form brachte und zu dem Andrina grosses Vertrauen hat. Im Text verarbeitet sie unter anderem auch die Erfahrung aus einem herben persönlichen Schicksals-Schlag, als bei ihr Krebs diagnostiziert wurde. Nach einer Operation ist jetzt alles soweit gut, mit der unterschwelligen Angst vor dem jeweils nächsten ärztlichen Untersuchungstermin muss sie zwar leben, hat sich aber so gut wie es geht damit abgefunden. Deshalb ist das Underskin-Konzert im Rahmen des „Race For Life“ der Schweizerischen Krebsforschung am 3.9. auf dem Bundesplatz, Bern für Andrina eine Herzensangelegenheit und „Use Me“ der perfekte „Soundtrack“ dazu.

LIVE 3.9. Bern, Bundesplatz 11 Uhr 6.10. Langenthal, Old Capitol 19.10. Zürich, Acapulco

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ReReleases, Best Of, Tributes U2 The Joshua Tree 30th Anniversary Edition (Super Deluxe 4CD or 7LP) Universal

MICHAEL MONROE The Best Spinefarm Records ip. Der Leckerbissen des Monats geht an das Best OfAlbum des finnischen Rock'n'Rollers Michael Monroe, der damit das 30jährige Jubiläum seines ersten Soloalbums „Nights Are So Long“ feiert (Grosse Güte, so lange ist das schon her!). Nach der erfolgreichen Karriere seiner Überband Hanoi Rocks, die 1985 endete und die sämtliche Sleaze- und Glambands beeinflusst hatte, veröffentlichte der Multiinstrumentalist bis heute zehn Soloalben, die mit beispielsweise „Dead, Jail Or Rock'n'Roll“, „Man With No Eyes“ oder „Nights Are So Long“ garantierte Gassenhauer mitbrachten. Neben einer gut sortierten Auswahl an Songs dieser zehn Alben finden sich auf dieser Best Of auch vier Tracks des von Steven Van Zandt produzierten Demolition 23 Albums darauf, namentlich „Nothin's Alright“, „Hammersmith Palais“, „You Crucified Me“ und „Deadtime Stories“. Demolition 23 war kein alleiniges Soloprojekt Monroes, sondern eine von 1993 bis 1995 existierende Band, der unter anderem seine ehemaligen Hanoi Rocks-Kollegen Sam Yaffa und Nasty Suicide angehörten und die leider nur ein einziges, punklastiges und grossartiges Album veröffentlichten, das aber seit 20 Jahren vergriffen war. Ausserdem findet sich mit „It's A Lie“ die Kollaboration mit dem 1990 verstorbenen Stiv Bators, dessen Bandkollege Jimmy Zero von den Dead Boys den Song schrieb. Und mit „Self Destruction Blues“ ist sogar ein Highlight aus der Hanoi Rocks-Ära vertreten. Auch Slash, ein grosser Hanoi Rocks-Fan, steuerte eine SteppenwolfCoverversion bei, die er mit Monroe 1993 aufgenommen hatte. Ausserdem findet sich auch unveröffentlichtes Material auf „The Best“. „Ich glaube, dass sobald ein Ding seinen Namen bekommt, sei es Glam, Punk, Grunge oder sonst was, damit sein Ende besiegelt ist“, sagte Michael Monroe kürzlich. „Hanoi Rocks konnte keiner kategorisieren, weil wir alles von Punk bis Calypso spielten. Ich mochte es noch nie, in Schubladen gesteckt zu werden. Die Hair Metal-Nummer war lächerlich. Die meisten Bands konnten besser mit ihren Haarspraydosen umgehen als mit ihren Instrumenten. Deshalb habe ich mich manchmal geschämt, mich als Rocksänger zu bezeichnen.“ Das letzte, was dieser Mann tun sollte, ist, sich zu schämen. Wenn jemand heute noch ein Händchen für schmissige Rock'n'Roll-Feger und Ohrwürmer hat, mehrere Instrumente spielt, so eine Menge an grossartiger Musik geschaffen hat und ein Entertainer vor dem Herrn ist, hat sämtlichen Applaus und eine Verneigung mehr als verdient.

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lg. Wie mittlerweile üblich werden die ganz grossen Klassiker aus der Rock- und Pop-Geschichte an einem runden Geburtstag der Veröffentlichung - wie hier anlässlich des dreissigsten Jahrestages von "The Joshua Tree" – mit viel Bonusmaterial angereichert und neu aufgelegt. 1987 hat "The Joshua Tree" den Weg für die irische Band zum SuperstarStatus geebnet. Nach Veröffentlichung der Scheibe, die als beste Scheibe von U2 um Sänger und Frontmann Bono gilt, kamen international die Singles "With or Without You", "I Still Haven't Found What I'm Looking For" und "Where the Streets Have No Name" heraus und zementierten den Erfolg des Albums. Dazu wurden "In God's Country" als vierte Single in Nordamerika und "One Tree Hill" als vierte Single in Neuseeland veröffentlicht. "Red Hill Mining Town" sollte ebenfalls als Single erscheinen, doch anlässlich der Proben zur Tour stellte sich heraus, dass Bono die hohen Töne nicht treffen konnte. Die Singleveröffentlichung von „Red Hill Mining Town“ wurde nun am diesjährigen Record Store Day nachgeholt. Alle oben genannten Songs sind Klassiker des 80er Jahre Rocks und zeigen U2 (seit je her in unveränderter Besetzung mit Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen jr.) in einem wunderbar reduzierten und perfekt produzierten Klangkleid. Auch die anderen Songs auf dem Album – allen voran das grossartige und schleppende "Bullet The Blue Sky" – sind sehr gelungen und machen "The Joshua Tree" zu einem der grössten Rock-Klassiker aller Zeiten. Zusammen mit dem nachfolgenden "Rattle & Hum" erlaubte "The Joshua Tree" U2, gut in die 90-er Jahre zu kommen, und sich dort als eine der grössten Bands überhaupt zu etablieren. Zum Album selber bleibt nicht mehr viel zu sagen, was nicht irgendwann bereits gesagt worden ist. Interessant ist die nachfolgende Geschichte: „The Joshua Tree“ hätte ursprünglich „Desert Songs“ oder „The Two Americas“ heissen sollen. Als die Band mit dem Fotografen Anton Corbijn im Death Valley in den USA ihre Fotosession abhielt, konnte dieser Joshua nie aussprechen, weshalb U2 der Legende nach „Joshua Tree“ als Albumtitel ausgesucht haben, damit Anton für den Rest seines Lebens mit diesem Problem konfrontiert bleibt. Sehr gut ist das Bonus-Material dieser hervorragend aufgemachten Box, welche auch mit einem 84-seitigen Buch mit vielen nie zuvor gesehenen Fotos aufwarten kann (und in der 7 LP-Version zudem 8 rare 12" Farbdrucke von Anton Corbijn beinhaltet). Neben einem leider nicht ganz vollständigen aber bisher unveröffentlichten Konzert aus dem New Yorker Madison Square Garden aus dem Jahre 1987 finden sich alle BSeiten der „The Joshua Tree“-Single Auskoppelungen, bereits bekannte Outtakes sowie als Exklusivität sechs speziell für dieses Boxset gefertigte und brandneue Mixes (unter anderem von Produzent Daniel Lanois). Diese Neuausgabe von „The Joshua Tree“ mag zwar in der edelsten Version teuer sein, man kann zu U2 und insbesondere Bono stehen wie man will, doch macht dieser Re-Release wieder mal klar und deutlich, dass „The Joshua Tree“ ein Meilenstein der Rock- und Pop-Musik darstellt und an dieser Scheibe kein Weg vorbeiführt. Adäquate Würdigung eines grossen Klassikers!


ReReleases, Best Of, Tributes THE BEATLES Sgt. Pepper›s Lonely Hearts Club Band 50th Anniversary Super Deluxe Edition Universal Am 1. Juni 2017 ist es 50 Jahre her, dass The Beatles – John Lennon, Paul McCartney, George Harrison, und Ringo Starr – die Welt gleichermaßen überraschten und begeisterten und dem »Summer Of Love« den perfekten Soundtrack mit »Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band« lieferten. Dieses Album gilt als bahnbrechendes Meisterwerk, das allgemein zum meist anerkannten Popalbum wurde. Um den 50. Jahrestag dieser Veröffentlichung angemessen zu würdigen, veröffentlichen die Beatles nun CD 1: neuer Album-Mix in Stereo Cds 2 & 3: 33 zusätzliche Aufnahmen der StudioSessions, größtenteils bisher unveröffentlicht und erstmalig von den VierSpur-Aufnahmen abgemischt, chronologisch angeordnet nach den Aufnahmedaten Einen neuen Stereo-Mix von »Penny Lane« und den Stereo-Mix von »Strawberry Fields Forever« aus dem Jahre 2015

eine Reihe von hochkarätigen Jubiläums-Editionen von »Sgt. Pepper«. Das Album wurde neu von Giles Martin und Sam Okell in Stereo und 5.1 Surround Audio (nur in der Super-DeluxeEdition mit 4 CDs, Blu-ray und DVD) gemischt und mit insgesamt 34 Studio-Takes bzw. Vorab-Versionen der endgültigen Album-Titel erweitert und angereichert. »Es ist völlig irre, dass wir auf dieses Projekt 50 Jahre später mit so viel Freude zurückblicken – und auch gewissem Erstaunen darüber, wie vier Typen und ein großartiger Produzent samt seiner Tontechniker einen derartigen Klassiker schaffen konnten«, sagt Paul McCartney in seinem neu verfassten Einleitungswort zur »Sgt. Pepper«-Jubiläums-Ausgabe. »›Sgt. Pepper‹ schien damals wohl einfach die gesellschaftliche Stimmung des Jahres 1967 musikalisch treffend einzufangen und die Menschen geradewegs zu beflügeln«, erinnert sich Ringo Starr im Buch zur Jubiläums-Ausgabe (Teil der Super Deluxe Edition; Details s. u.). Jetzt wurde »Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band« erstmalig neu gemischt und mit zusätzlichem Studiomaterial versehen. Es stellt die erste neu abgemischte und mit weiteren Tracks versehene Neuauflage der Beatles seit dem Release von »Let It Be … Naked« aus dem Jahre 2003 dar. Für die neuen »Sgt. Pepper«-Mixe in Stereo und 5.1 Surround Audio arbeiteten Produzent Giles Martin und Mix-Techniker Sam Okwell mit einem Spezialisten-Team von Toningenieuren und SoundRestauratoren der Abbey Road Studios in London zusammen. Alle auf den vier Jubiläums-Formaten enthaltenen Tracks wurden neu und in Stereo gemischt. Als Basis nahm Martin die originalen Vier-Spur-Aufnahmen, die sein Vater (und damaliger Produzent) George Martin damals auf Wunsch der Beatles in Mono aufgenommen hatte. Der neue Mix klingt besser als alle bestehenden Versionen zuvor. Das hat deutlichen Druck und Präsenz

CD 4: Original-Album im Mono-Mix plus der Singles »Strawberry Fields Forever« und »Penny Lane« Promo-Mono-Single-Mix von »Penny Lane«, den Capitol Records seinerzeit für den US-Markt verwendet hatte bisher unveröffentlichte frühe Mono-Mixe von »She's Leaving Home«, »A Day In The Life« und »Lucy In The Sky With Diamonds« (ein Mix, von dem angenommen wurde, dass er von einem Tape aus dem Jahre 1967 gelöscht wurde, der jedoch bei den Archiv-Recherchen für die Jubiläums-Ausgabe wiederentdeckt wurde) Discs 5 & 6 (Blu-ray and DVD): Neue 5.1 Surround-Audio-Mixe des Albums und »Penny Lane« von Giles Martin und Sam Okell sowie deren 5.1 Surround-Mixes von »Strawberry Fields Forever« aus dem Jahre 2015 High-Resolution-Audio-Versionen der neuen Stereo-Mixe des Albums und von »Penny Lane« sowie der 2015er Stereo-Mix von »Strawberry Fields Forever« Video-Features: technisch in 4K restaurierte originale PromoFilme für »Strawberry Fields Forever«, »Penny Lane« und »A Day In The Life« sowie »The Making of Sgt. Pepper«, einen ebenfalls technisch restaurierten, bisher unveröffentlichten Dokumentarfilm (im TVausgestrahlt im Jahr 1992), welcher aufschlussreiche Interviews mit McCartney, Harrison und Starr beinhaltet sowie InStudio-Material, das von George Martin kommentiert ist. Die 6-Disc-Super-Deluxe-Box ist in einer 12" x 12" Box verpackt und kommt mit einem 144-seitigem Hardcover-Buch. Das Buch beinhaltet ein neues Einleitungswort von Paul McCartney und Giles Martin sowie umfangreiche Hintergrundinformationen zu den einzelnen Songs, das Cover-Design, die musikalischen Innovationen des Albums und ihren historischen Kontext; verfasst von einem Beatles-Historiker, dem Autor und Radioproduzenten Kevin Howlett sowie Komponist und Musikwissenschaftler Howard Goodall, dem Produzenten und Songschreiber Joe Boyd und den Journalisten Ed Vulliamy und Jeff Slate. Das Buch wurde mit seltenen Fotografien, reproduzierten handgeschriebenen Songtexten, Aufzeichnungen der Abbey Road Studios und Abdrucken von originalen »Sgt.-Pepper«-Werbeanzeigen komplettiert. Dazu gibt es eine Nachbildung des Original Beilegers sowie zwei Bonus Poster.

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ReReleases, Best Of, Tributes VOIVOD Rrröööaaarrr (2 CD & DVD) Killing Technology (2 CD & DVD) Dimension Hatröss (2 CD & DVD) Noise / BMG lg. Nachdem eine Wiederveröffentlichung des grossartigen und wegweisenden NoiseRecords Backkatalogs mit dem Release von eher verzichtbaren Best-Of-Alben der Flaggschiff-Bands des Berliner Kult-Labels eingeläutet worden ist, geht es nun mit den drei Noise-Alben der kanadischen ScienceFiction Thrasher von Voivod richtig los. Die Alben zwei bis vier von Voivod, nämlich "Rrröööaaarrr" (1986), "Killing Technology" (1987) und "Dimension Hatröss" (1988) haben die Truppe aus Montreal um Bandleader und einziges über die Jahre konstantes Mitglied der Band, Michel "Away" Langevin (dr.), als Band gefestigt und den Weg für den nachfolgenden Durchbruch mit dem Major-Debüt "Nothingface" aus dem Jahre 1989 geebnet. Zu den Alben selber wurde schon alles gesagt – während "Rrröööaaarrr" noch die Punkeinflüsse des Debüts "War And Pain" beinhaltet, ging es mit den beiden Nachfolger nicht minder rüde zu und her, doch wurden geschickt progressive Elemente eingestreut (man höre nur den Song "Tribal Convictions" auf "Dimension Hatröss"), welche später weitaus prominenter im Sound von Voivod zu finden waren (man höre "Angel Rater" und "Outer Limits"). Als Bonus gibt es sowohl für

CELTIC FROST Morbid Tales To Mega Therion Into The Pandemonium Vanity/Nemesis Noise / BMG

die Ohren wie die Augen praktisch ausschliesslich Live-Material in eher roher Soundqualität, was für den Fan sehr interessant ist (insbesondere die drei gesamten Shows aus Montreal), sich allerdings eher weniger nebenher konsumieren lässt. Alles in allem sind das äusserst würdige Re-Releases, welche essentiell sind und die Ausnahmestellung von Voivod im Metal-Kosmos nur unterstreichen. Grossartig!

hervorgingen, waren immer eine visionäre Band, welche sich nie neuen Einflüssen verschloss, sondern vielmehr trotz teilweise schwierigen Rahmenbedingungen den Fokus nie verlor und in ihrer extremen Art nach vorne schaute. Wie kann sonst der Schritt vom durchschlagenden Debüt "Morbid Tales" bis zum visionären und verspielteren

den mit tollen Fotos versehenen Digibooks fanden, weshalb Tom diese Re-Releases nicht unterstützt. Musikalisch ist zu lg. Die wichtigen Alben der für den extremen Metal sehr einflussreichen Zürcher Band Celtic Frost um die beiden Pole Tom G. Warrior (voc., git.) und Martin Ain (bs.) werden von BMG neu aufgelegt. Dabei handelt es sich um das ursprünglich als EP veröffentlichte "Morbid Tales" (1984), "To Mega Therion" (1985), das avantgardistische "Into The Pandemonium" (1987) und um das etwas schwächere "Vanity/Nemesis" (1990). Die kommerzielle "Sünde" – das umstrittene "Cold Lake"-Album aus dem Jahre 1988 – wird aussen vor gelassen. Celtic Frost, welche aus Hellhammer

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"Into The Pandemonium" innert gut drei Jahren erklärt werden, während die meisten Bands damals grundsätzlich in ihrer stilistischen Nische verharrten? Auch die letzte Frost-Scheibe, "Monotheist" aus dem Jahre 2006, zeugt von dieser Konsequenz. Für die vorliegenden Re-Issues waren ursprünglich ausführliche LinerNotes vom Tom G. Warrior angedacht, welche leider aufgrund von Differenzen schliesslich nicht Eingang in

den über alle Zweifel erhabenen Alben alles gesagt worden – in Sachen Bonus-Tracks finden sich wenige Überraschungen (ausser auf "Morbid Tales" mit Proberaum-Aufnahmen von 1984 ist alles bereits veröffentlicht

worden) – was im Vergleich zu den üppigen VoivodWiederveröffentlichungen die Celtic Frost-Reissues als etwas mager erscheinen lässt. Konzertmitschnitte sowohl im Audio- wie auch im Bildformat hätten eine wesentliche Aufwertung bedeutet. Schade, denn hier wurde es versäumt, grossartige Alben entsprechend zu würdigen.


ReReleases, Best Of, Tributes UNICORN Too Many Crooks One More Tomorrow Esoteric Recordings

Too Many Crooks rp. Die englischen Unicorn standen in der Zeit ihres Bestehens von 1970 bis 1977 (Das Quartett hatte sich schon 1963 zusammengefunden, aber unter anderem Namen) immer etwas im Schatten von vergleichbaren Bands wie den Eagles, den Byrds, Poco, The Band, Crosby, Stills & Nash oder einem James Taylor. Was sicherlich nicht immer verdient war. Ihre vier Alben waren gespickt mit feinen Songs mit wunderschönen Harmonien und Tiefgang wie «Ooh Mother», «Just Wanna Hold You», «Disco Dancer», «No Way Out Of Here», «Blue Pin Trees», Too Many Crooks», I'm Alright» oder «I'll Believe In You». Und mit David Gilmour (Pink Floyd) hatten sie einen prominenten Unterstützer, der immer auch wieder auf ihren Alben mitspielte. «Too Many Crooks» war ihr drittes Album und wurde vom bereits erwähnten David Gilmour produziert. Besonders erwähnenswert sind neben dem Titeltrack, «No Way Out Of Here» und «Disco Dancer» (was für ein wunderbarer Song!!) gleichermassen der Auftakt «Weekend», «Bullseye Bill» oder «Easy». Als Bonus gibt es einen Outtake und Livesongs. Vorzüglich.

One More Tomorrow rp. «One More Tomorrow» war 1977 das vierte und letzte Album des englischen Quartettes um Sänger und Songschreiber Ken Baker. David Gilmour (Pink Floyd) hatte wiederum produziert, wie schon auf dem Vorgänger «Too Many Crooks» (1976). Um das Album besser zu verkaufen, wurden Unicorn von ihrem Label Harvest zu Zugeständnissen gedrängt. Für die ersten vier Songs engagierte man mit Muff Winwood (Bruder von Steve Winwood) einen zusätzlichen Produzent. Auch hoffte Harvest mit Fremdmaterial (n.a. «Have You Ever Seen The Rain» von John Fogerty) bessere Verkäufe zu erzielen. Dieses Fremdmaterial wurde auch als Singles gewählt. Überdies wurde «One More Tomorrow» zuerst in Amerika (In England und Europa erst 1978) veröffentlicht, wo Unicorn mit ihrem an die Eagles, Poco, Crosby, Stills & Nash oder einem James Taylor angelehnten Sound musikalisch besser verwurzelt waren. Diese Rechnung ging aber nicht auf. Auch «One More Tomorrow» verkaufte sich, trotz einmal mehr vieler positiven Besprechungen, nicht besser als die Vorgängeralben. Und das Album war trotz vereinzelt toller Songs wie «Slow Dancing» (Cover eines Funky Kings Song), «I'm Alright» oder «The Way It Goes» auch das schwächste, zuweilen etwas glatt klingende, ihrer vier Alben. Die Wiederveröffentlichung enthält aber einige interessante Demos und Single-B-Sides aus den Jahren 1973 bis 1979. Wieso die beiden vorzüglichen Songs «Give And Take» und vor allem «Nothing I Wouldn't Do» nicht auf das Album kamen und als B-Sides endeten, bleibt schleierhaft. «Don't Tell Me I Know» und «All Crazy People» wurden beide in David Gilmours Heimstudio aufgenommen. Ersterer zwei Jahre (1979) nach der Auflösung von Unicorn. Etwas mehr Anerkennung hätten Unicorn sicherlich verdient gehabt. Zumindest wurden alle ihre vier Alben wiederveröffentlicht, zusammen mit einer Best-Of-Zusammenstellung.


ReReleases, Best Of, Tributes

DUNCAN BROWNE FEATURING METRO Planet Earth: The Transatlantic / Logo Years 1976-1979 Cherry Tree Records rp. Der Engländer Duncan Browne war gerade mal 21-jährig als er 1968 sein Debüt «Give Me Take You» veröffentliche. Das üppig orchestrierte Folkalbum, Browne hatte an der London Academy Of Music And Dramatic Art studiert, zeigte schon vorzüglich, Brownes feines Gespür für Stil und

IAIN MATTHEWS Walking A Changing Line MIG Music rp. «Walking A Changing Line», das erste und einzige Konzeptalbum des Englän-ders Iain Matthews erschien offiziell 1988. Es sollte die Pop- mit der New-Age-Welt verbinden. Zur Anmerkung: Iain Matthews, der in 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in diversen Bands gespielt hatte (u.a. The Classics, The Rebels, Matthews Southern Comfort, Plainsong, Fairport Covention und solo), arbeitete seit 1987 für das New-Age-Label Windham Hill. Matthews hatte quasi die Seiten gewechselt, weil er dachte, seine Zeit als Musiker und Songschreiber sei vorbei. Robert Plant (Led Zeppelin) überzeugte ihn vom Gegenteil. Zum Konzept von «Walking A Changing Line» gehörte auch, dass alle Songs vom gleichen Komponisten stammen sollten. Man wählte den damals noch relativ unbekannten Jules Shear (Funky, Kings, Jules And The Polar Bears, solo) aus, der bereits Hits für die Bangles («If She Knew What She Wants») und Cyndi Lauber («All Through The Night») verfasst hatte. Bemerkenswert ist, dass Matthews erstaunlich viele Songs aus Shears Zeit mit Jules And The Polar Bears auswählte. Diese waren der Versuch, in der damals aktuellen New- WaveSzene Fuss zu fassen. Das

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Eleganz. Es sollte ganze fünf Jahre dauern, bis Browne sein nächstes Album veröffentlichen würde. Das selbstbetitelte Werk enthielt auch seinen grössten Erfolg «Journey», der in England bis auf Platz 23 der Charts vorrückte. 1976 formte Browne zusammen mit Peter Godwin die Band Metro. Nach ihrem selbstbetitelten Debüt ein Jahr später stieg er aber wieder aus. Mit dem Debüt von Metro beginnt auch die Zusammenstellung «Planet Earth: The Transatlantic / Logo Years 1976-1979». Das unterbewertete Werk hatte gleich in mehrfacher Hinsicht Pech. Die geniale Mischung aus Art-Rock, Pop und etwas Glamrock erschien in der Punk-Ära und die Single «Criminal World» (nur der samtweiche Basslauf ist das Eintrittsgeld wert) wurden wegen ihres sexuellen Inhaltes von der BBC verbannt. «Criminal World» wurde aber von David Bowie für sein Album «Lets Dance» (1983) gecovert und kürzlich ebenso von den englischen Elektro-Poppern Fenech-Soler. Metro veröffentlichten übrigens später noch mehr Alben, die aber nie an die Klasse ihres Debüts herankamen. Brownes nächstes Soloalbum hiess «The Wild Places» (1978). Es knüpft dort an, wo er mit Metro aufgehört hatte. Die gleichnamige Single offenbarte die gleichen herausragenden Stärken wie «Criminal World» und wurde zumindest zu einem Hit in Holland. Besagter Song wurde übrigens 2012 von Colin Blunstone (The Zombies) für sein Album «On The Air Tonight» verwendet. «The Wild Places» ist ein zeitloser Klassiker und ein Ohrenschmaus für all jene, die ein Faible für stilvollen und eleganten Artpop haben. Das gleiche gilt auch für sein nächstes Soloalbum «Streets Of Fire» (1979). Ein weiteres Soloalbum («Songs of Love & War») erschien erst 1995, posthum zwei Jahre nach seinem Krebstod 1993. Die Compilation enthält neben den drei erwähnten Alben mit «China Girl» und «The Toys» ebenso zwei schwer erhältliche Songs aus dem Jahre 1979. Duncan Browne war ein unterschätztes Ausnahmetalent, das leider zu früh, viel zu früh gehen musste. Wer übrigens einen Überblick über die ganze Karriere von Duncan Browne bekommen möchte, soll sich doch bitte die sehr empfehlenswerte Zusammenstellung «Journey – The Antholgy 1967-1993» (2004) zulegen.

Resultat kann sich hören lassen, auch wenn man bei einigen Tracks («Following Every Finger», «Shadows Break», «Lovers By Rote») die markantere, teils kratzige und unverkennbare Stimme von Shears vermisst. Obwohl sich «Walking A Changing Line» nicht besonders verkaufte, war besagtes Album doch die Initialzündung für Matthews Wiedergeburt als Musiker. Diese (nicht erste) Wiederveröffentlichung enthält eine zweite CD mit Demos und Liveversionen der ursprünglich zwölf Tracks. Dies ist vor allem interessant, weil man so die Entwicklung einzelner Songs bis hin zur Liveversion verfolgen kann. Und wieder einmal daran erinnert wird, welch guter Songschreiber Jules Shear ist.

CAROLANNE PEGG Carolanne Pegg Esoteric Records rp. Die Engländerin Carolanne Pegg dürfte einigen noch in Erinnerung sein als Sängerin und Geigerin der Folk-Rock-Formation Mr. Fox, mit der sie in den frühen 1970er Jahren zwei Alben veröffentlichte. Zuvor war sie bereits mit ihrem Ehemann Bob als Duo in englischen Folkclubs unterwegs gewesen. Nach der Auflösung von Mr. Fox veröffentlichte Carolanne Pegg bald ihr erstes Soloalbum. Das selbstbetitelte Werk, das 1973 erschien, sollte ihr einziges Soloalbum werden. Kurz zuvor zerbrach auch ihre Ehe mit Bob Pegg. So ist es nicht verwunderlich, dass einige der elf Songs mit Trauer und Selbstfindung zu tun haben. Pegg hat aber auch quasi mystische

Erlebnisse in Songs eingefangen. «Wycoller», beispielsweise, basiert auf dem Besuch eines verlassenen mittelalterlichen Dorfes, in dem totale Stille herrscht, weil der Wind wegen der Lage in einem Tal nie durchbläst. Und die Country-Nummer «Clancy's Songs» handelt von ihrer Tochter (Clancy) und ihr. Die elf Songs, alle ausser dem Eröffnungssong «Open The Door» (Judy Collins) von Pegg geschrieben, offenbaren eine vielschichtig inspirierte Künstlerin. Neben traditionalem englischem Folk, werden ebenso Country, Pop und Rock geboten. Zuweilen lässt Pegg, die über eine sehr charakteristische Stimme verfügt, auch dezent psychedelische und progressive Momente einfliessen. Der eindrücklichste und berührendste Song ist der Abschluss «Winter People», der von einem wunderschönen Geigensolo gekrönt wird. Dem Album war trotz begeisterten Besprechungen kein Erfolg beschieden. Dass Pegg mit ihrer Band nie tourte, half da auch nicht gerade. Kurz darauf formte sie mit Graham Bond die ebenso kurzlebigen Magus. Danach verabschiedete Carolanne Pegg sich halbwegs vom Musikbusiness und wurde Musikethnologin. Die aktuelle, zweite Wiederveröffentlichung ihres Soloalbums kommt erstmals im Original-LPCover daher.

REVOLUTIONALRY ARMY OF THE INFANT JESUS Mirror Occultation Recordings rp. Nach ihrem letzten, dritten Album «Beauty Will Save The World» (2015) wiederveröffentlichen die englischen The Revolutionary Army Of The Infant Jesus ihr zweites Werk von 1991. Die Wiederauflage von «Mirror» hat auch mit dem Erfolg von «Beauty Will Save The World» (2015) zu tun. «Mirror» wurde mit einem anderen Cover ausgestattet. Anstelle der schwarzweissen Fotos von zwei Kindern ist ein Gemälde des in Liverpool beheimateten Künstlern Paul Mellor zu sehen. Und mit «Dies Irae» und «Le Monde De Silence» sind auf der CDVersion zwei zusätzliche Tracks von der EP «Liturgie Pour La Fin Du Temps» (1993) enthalten. Die nunmehr zwölf Songs sind, wie von Revolutionary Army of the Infant Jesus zu erwarten, nicht immer einfache Kost. Irritierende Samples, choraler Gesang, verfremdete Stimme, unerwartete Wendungen, erhabener Chorgesang, Feedback, dunkle Beats, poetische Passagen, kratzige Gitarren aber auch eigenartig seichte Momente verlangen vom geneigten Hörer einiges ab. Die vielfältige Mischung aus Spokenword, World, Soundtrack, Folk, Industrial, Experimental und afrikanische Rhythmen sorgt auch nicht gerade für mehr Klarheit. Dies ist aber gut so. Das Trio um Paul Boyce, Jon Egan und Les Hampson will aufrütteln, irritieren und zum Denken anregen. Die medienscheuen The Revolutionary Army Of The Infant Jesus lassen lieber ihre Musik für sie sprechen.


LIVE REVIEWS

EXTREME, MAXXWELL, THE MÖLES 19. Juli 2017 Z7 Summer Nights Open Air, Pratteln Fotos: Daniel Strub

ip. An diesem Mittwoch Mitte Juli ging es nicht nur klimatisch heiss zu. Extreme, die Funk-Metaller aus Boston, waren zu Gast beim Summer Nights Open Air im Z7 in Pratteln, und allein die Tatsache, dass das Quartett (gemäss Aussage eines Konzertbesuchers) seit gut 20 Jahren nicht mehr hier gastierte, dürfte bei den Fans für Hitzewallungen gesorgt haben.

The Möles aus Laufen rockten den Abend ein. Das Publikum war leider noch etwas spärlich, aber das Trio sorgte mit erdigem Hardrock aus der AC/DC-Schublade für gute Stimmung.

Was Maxxwell danach auf der Bühne veranstalteten, kann man ohne Übertreibung als Lehrstunde des tighten Spielens bezeichnen. Die Jungs sind durch ihre häufigen Auftritte und Touren mit Acts wie Michael Schenker so gut eingespielt, dass kein Blatt dazwischen passt. Was Bühnenpräsenz und Spielfreude angeht, kann man vor den Luzernern nur den Hut ziehen!

Als die heissersehnten Bostoner Extreme mit „It ('s A Monster)“ ins Rampenlicht traten, war die Publikumsarena nicht nur gut gefüllt, sondern auch gut gelaunt. Das war auch mehr als berechtigt, denn die vier Musiker sind nicht nur spielerisch absolute Fachleute, sondern nutzen auch die gesamte Bühne während ihres kompletten Konzertes. Die Setliste war äusserst prominent und liess keine Wünsche offen. Sämtliche Highlights von vor allem den beiden erfolgreichsten Alben „Pornograffitti“ (1990) und „III Sides To Every Story“ (1992) wurden für das mitsingende Publikum gespielt. „Get The Funk Out“, „Rest In Peace“ oder „Kid Ego“ und „Play With Me“ (vom 1989er Debut) führten zum Akustikset, den Gitarrist Nuno Bettencourt damit entschuldigte, dass die Band nach Noten bezahlt würde und er deshalb jetzt ein ziemlich schnelles Gitarrensolo spielen würde. Unter dem Strich konnte man sich nach diesem Solo ausrechnen, warum Extreme nur alle 20 Jahre mal hier vorbeischauen, denn was der portugiesische Flitzefinger an Noten in die paar wenigen Minuten hineinquetschte, ist schon beachtlich. Dann wurden am Bühnenrand ein Teppich ausgerollt, eine Bassdrum aufgestellt und „More Than Words“ intoniert. Das Publikum sang aus vollem Herzen mit und sorgte damit für den Gänsehautmoment des Abends. Nach „Cupid's Dead“ kam ein weiteres Gitarrenintermezzo und „Am I Ever Gonna Change“ und ein anschliessendes Medley aus „Take Us Alive“ und „That's Alright“ von Elvis. Das schmissige „Hole Hearted“ mündete in den Queen-Klassiker („Crazy Little Thing Called Love“), weiter in Rimski-Korsakovs „Flight Of The Bumblebee“ auf Bettencourts Gitarre, bevor „Decandence Dance“ das reguläre Set abschloss. Zu „Warhead“ liessen sich Extreme nochmals auf die Bühne bitten und beendeten den wunderbaren Sommerabend etwas unüblich mit „We Are The Champions“. Ob die letzte Nummer auf die Fans gemünzt war, oder sich die Band selber ein bisschen damit feierte, lässt sich schwer sagen. Auf jeden Fall waren Extreme an diesem Abend die Champions auf dem „Parkplatz“ des Z7 (wie sich Bettencourt unabsichtlich despektierlich ausdrückte), bescherten den anwesenden Fans einen freudigen Abend und durften sich ein Krönchen für ein exzellentes Konzert aufsetzen. Sehr gelungener Abend mit tollen Bands, super Atmosphäre (dank des Z7-Teams) und bestem Wetter.

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LIVE REVIEWS

Foto: H. Elias Fröhlich

AEROSMITH

5. Juli 2017 Zürich, Hallenstadion Fotos: Ian Keates

hef. "Keiner singt geiler als Steven Tyler", hörte ich vor vielen Jahren nach einem Aerosmith-Konzert im Zürcher Letzigrund ein junges Mädchen sagen. "Und hast Du seine Lippen gesehen, wie Mick Jagger?", antwortete deren Kollegin. Daran hat sich nichts geändert, als Steven Tyler und seine Jungs am 5. Juli im Zürcher Hallenstadion vom Schweizer Publikum Abschied nahmen. Ich wage sogar die Behauptung: "So gut waren die fünf US-Herren noch überhaupt nie"! Mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da. Die Kollegen, meist ältere Herren, die ich nach der bis auf den letzten Platz ausverkauften Show treffe, schwelgen ebenfalls in Nostalgie. Wie

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gut sie jetzt seien, schwärmte selbst Gitarrist Joe Perry im Vorfeld der Tournee, die am 15. September –nach Stationen in den USA, Russland, Georgien, Deutschland, Polen, Dänemark, Schweden, England, Irland, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien und der Schweiz – in Quito, Ecuador, seine Fortsetzung findet und danach durch Brasilien, Chile und Argentinien führt. "Wir haben", so Perry, "an nichts gespart. Vor allem, was die Leinwände mit entsprechenden Effekten sowie was Licht und Sound anbetrifft. Es wird unsere bis dato teuerste und anspruchsvollste Produktion." Und die mit dem optimalen Angebot von 18 der besten AerosmithHeuler.


LIVE REVIEWS Applaus brandet auf, als das Aerosmith-Logo mit wehenden Flügeln auf der Leinwand erscheint. Zu Carl Orffs "Carmina Burana"-Hymne aus den Boxen ein Meer von Scheinwerfern, die wie abstrakte Geometrie wirken. Dann tauchen die Masters of Ceremony der Band auf, Sänger Steven Tyler und Gitarrist Joe Perry, einst als "The Toxic Twins" verhöhnt. Doch mit Drogen haben die beiden längst nichts mehr am Hut, sonst würden sie die fast zweistündige Rockshow wohl kaum überstehen. Tyler ist 69, Perry wird im September 67. Mit einem fetten Blues – Tyler, mit kessem Bärtchen, spielt eine scharfe Mundharmonika – legen sich die "Zwillinge" von Beginn weg voll ins Zeug. Nach dem martialischen Intro und dem ersten Song "Let The Music Do The Talking" folgt diesem Versprechen ein Konzert unter dem Motto "Vollgas". Drummer Joey Kramer, Gitarrist Brad Whitford und der von Krebs genesene Bassist Tom Hamilton schuften sich in der prallen Hallenstadion-Hitze den Hintern ab, sorgen für den schweren Soundteppich und die harten Rhythmen. "Toys In The Attic", "Love In An Elevator", "Livin' On The Edge", "Rag Doll" – meine LIeblingssongs kommen gleich zu Beginn. Nach dem witzigen "Falling In Love (Is Hard On The Knees)" folgen mit "Stop Messin' Around" und "Oh Well" zwei Fleetwood-Mac-Cover – danach mit "Remember (Walking In The Sand)" der Shangi-Las und "Come Together" der Beatles zwei weitere Covers – die durch "Chip Away The Stone" und "I Don't Want To Miss A Thing" unterbrochen werden. Die Band, die immerhin ein halbes Jahrhundert Rock'n'Roll auf dem Buckel hat, gibt alles. Tyler schwingt wie immer gefährlich seinen Mikroständer über die Riesenbühne, Perry spielt seine Gitarre auch auf dem Rücken, sagt sogar einen Titel an und lässt das Publikum mit seiner Anmache zu Ovationen hinreissen, während Tyler geradezu mit seinen Anhängern jeden Alters flirtet und seine Mundharmonika ins Publikum schmeisst. Im Publikum sind neben den altbekannten Metalfans mit ihren Sticker-bestickten Jeans-Jacken auch geschniegelte Herren in Polohemd und Slippers auszumachen, dazu auffällig viele Jugendliche unter 20. Über hundert Millionen verkaufter Alben weltweit können eben nicht irren und erreichten, spätestens nach ihrer Kooperation mit Run DMC und "Walk This Way", auch eine neue junge Zielgruppe. Dieser Klassiker ist – nach "Sweet Emotion", "Eat The Rich", der Traumballade "Cryin'", in die Tyler seine ganzen Gefühle legt, "Dude (Looks Like A Lady)", dem James-Brown-Cover "Mother Popcorn" und "Dream On" auch der letzte Song der Show, der die Leute verzückt und das Hallenstadion zufrieden lächelnd verlassen lässt. Ein Rock-Monument hat sich in seiner besten Form präsentiert.


LIVE REVIEWS

GUNS'N'ROSES

7. Juni 2017 Zürich, Letzigrund Fotos: Ian Keates lg. Als im Januar 2016 bekannt wurde, dass sich Guns'N'Roses zu einer Teilreunion mit den Originalmitgliedern Slash (Gitarre), Axl. W. Rose (Gesang, Piano) und Duff McKagan (Bass) zusammenfinden, war die Euphorie gross. Auch die ersten Teile der grossen und "Not In This Lifetime" benannten Welttournee in Nord-/Südamerika, Asien und Australien liessen grosses Erahnen und man fühlte sich fast in die Zeiten zurückkatapultiert, als Guns'N'Roses anfangs der 90er Jahre den Rockmarkt dominierten und als Band der Stunde galten. Erstmals seit 1993 standen nun Slash, Axl und Izzy auf einer Bühne in der Schweiz und die Fans kamen trotz gesalzener Preise in Scharen und das Stadion Letzigrund war fast ausverkauft. Als Anheizer fungierten schon zu früher Stunde Phil Campbell And The Bastard Sons sowie The Darkness, welche beide ordentliche Auftritte aufs Parkett legten, allerdings vom sehr gemischten Publikum etwas verhalten aufgenommen wurden. Guns'N'Roses begannen schon vor acht Uhr mit ihrem Set, was an einem Juni-Abend nicht wirklich optimal ist, denn so fand der Grossteil des Konzerts bei Tageslicht statt. Doch eine sehr spielfreudige Band – angeführt von einem grossartig aufgelegten Axl W. Rose – machte den frühen Abend zu einer Party und zelebrierte während fast zweidreiviertel Stunden 25 Songs (plus einem Gitarrensolo von Slash). Es mag etwas erstaunen, dass in der Setlist sieben Coversongs zu finden waren, doch haben Guns'N'Roses nie ein Geheimnis aus ihrer musikalischen Sozialisierung gemacht – man denke da nur an das grossartige und damals

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LIVE REVIEWS ausgekoppelte Bob Dylan-Cover "Knockin' On Heavens Door", welches auch an diesem lauen Abend grossen Anklang fand. Bemerkenswert war auch der Tribute an Chris Cornell mit "Black Hole Sun" von Soundgarden, der sich wenige Wochen vor dem Auftritt tragischerweise das Leben genommen hat. Im Allgemeinen ist zu bemerken, dass sich Guns'N'Roses sehr professionell verhalten und Eskapaden aus der Vergangenheit so fast vergessen machen. Auch neben den Coversongs bietet die Setlist enorm viel Abwechslung – gleich acht Songs werden vom bahnbrechenden "Appetite For Destruction"-Album aus dem Jahre 1987 gezockt, was dem Publikum sichtlich gefällt. Die Hits wie "Welcome To The Junge", "Sweet Child O'Mine" und "Paradise Lost" wurden geschickt in den Set eingebaut und entsprechend verteilt. Andere grossartige Momente waren das epische "November Rain", "Estranged". "Civil War" und "You Could Be Mine" von den beiden Use Your Illusion-Alben. Einzig auf die drei Songs von "Chinese Democracy" hätten weggelassen werden können. Alles in allem kann von einem sehr gelungenen Konzertabend gesprochen werden, der eine legendäre Band in einer sehr guten Form präsentiert hat. Hauptantreiber der Show war der unverwüstliche Slash an der Leadgitarre. Der Knaller wäre jetzt eine volle Reunion mit Izzy Stradlin an der zweiten Gitarre (der zudem einer der Hauptsongwriter von Guns'N'Roses war) sowie Steven Adler am Schlagzeug!


KONZERTKALENDER ACCEPT

EMERALD

24.1. Zürich, Komplex 457

30.9. Ins, Schüxenhaus

ADEL TAWIL

2.12. Frauenfeld, Oelfleck

1.11. Zürich, Halle 622

ENDLESS BOOGIE

ALESTORM

28.9. Zürich, Bogen F

15.10. Pratteln, Z7

EVERGREY

ANATHEMA

23.9. Pratteln, Z7

18.10. Pratteln, Z7

EXTREME

AZAD

9.12. Zürich, Xtra

16.9. Zürich, Dynamo

FINK

BARCLAY JAMES HARVEST,

30.10. Zürich, Dynamo

WISHBONE ASH

FLEET FOXES

9.9. Augst, Raurica

7.11. Zürich, Xtra

BELPHEGOR

FROM KID

18.10. Luzern, Schüür

14.9. Luzern, Schüür

BETH DITTO

GENERATION AZZLACK

1.10. Zürich, Volkshaus

7.9. Zürich, Dynamo

BUSH

GENTLEMAN

7.10. Zürich, Komplex 457

17.11. Zürich, Halle 622

CELLAR DARLING

GOGOL BORDELLO

13.9. Solothurn, Kofmehl

4.12. Zürich, Xtra

14.9. Zürich, Dynamo

HEATHER NOVA & BAND

CLAP YOUR HANDS SAY YEAH

17.10. Pratteln, Z7

29.9. Zürich, Bogen F

HIM

CULCHA CANDELA

6.12. Zürich, Xtra

7.10. Zürich, Dynamo

HUMANOIDS

DADA ANTE PORTAS

21.10. Zug, Galvanik

28.10. Zug, Chollerhalle

HURTS

DAVE HAUSE

1.12. Zürich, Halle 622

3.10. Zürich, Dynamo

ITCHY

DEAD KENNEDYS

22.12. Zürich, Dynamo

20.10. Zug, Galvanik

J.COLE

DELAIN

9.10. Zürich, Samsung Hall

27.10. Pratteln, Z7

JAMES BLUNT

DIANA KRALL

8.11. Gemf, Arena

5.10. Zürich, Samsung Hall

9.11. Zürich, Hallenstadion

DIE APOKALYPTISCHEN REITER

JAMIROQUAI

4.11. Pratteln, Z7

18.11. Zürich, Hallenstadion

DISPATCH

J.COLE

24.9. Zürich, Dynamo

9.10. Zürich, Samsung Hall

DRAGONFORCE

JOHN CALE

26.10. Pratteln, Z7

3.9. Zürich, Kaufleuten

EDGUY

JOHNOSSI

29.9. Pratteln, Z7

7.9. Augst, Raurica

ELUVEITIE

JOLLY & THE FLYTRAP

15.9. Lausanne, Metal Highway

17.10. Luzern, Schüür

22.9. Lugano, Studio Foce

KASABIAN

23.9. Solothurn, Kofmehl

5.11. Zürich, Halle 622

29.9. Schaffhausen, Kammgarn

KATAKLYSM

30.9. Zug, Galvanik

13.10. Luzern, Schüür


KONZERTKALENDER KITTY, DAISY & LEWIS

MILKY CHANCE

RAG N BONE MAN

THE BEAUTIFUL GIRLS

10.11. Zürich, Dynamo

2.12. Zürich, Halle 622

1.11. Zürich, Samsung Hall

29.9. Zürich, Stall 6

KODALINE

NAZARETH

RISE AGAINST

THE BREW

21.11. Zürich, Samsung Hall

24.11. Zug, Chollerhalle

21.11. Zürich, Halle 622

14.11. Luzern, Schüür

KRAFTKLUB

NEIL DIAMOND

ROYAL BLOOD

THE CORONAS

22.10. Pratteln, Z7

13.9. Zürich, Hallenstadion

3.11. Zürich, Halle 622

3.10. Zürich, Papiersaal

LA BRASSBANDA

NENA

SAGA

THE DARKNESS

20.10. Zürich, Dynamo

8.9. Augst. Raurica

28.10. Pratteln, Z7

20.11. Pratteln, Z7

LANGHORN SLIM

NEWTON FAULKNER

SEVEN

THE HORRORS

6.9. Zürich, Bogen F

3.10. Zürich, Bogen F

22.9. Schupfart, Festival

2.12. Zürich, Mascotte

LIVING COLOR

NINA HAGEN

26.10. Zürich, Volkshaus

THE IRON MAIDENS

19.9. Solothurn, Kofmehl

16.9. Cham, Lorzensaal

3.11. Bern, Bierhübeli

3.11. Zug, Chollerhalle

LOVEBUGS

ORISHAS

4.11. Baden, Nordportal

THE PICTUREBOOKS

3.11. Luzern, Schüür

14.10. Pratteln, Z7

SIGUR ROSS

27.9. Luzern, Schüür

MANDO DIAO

PAIN

18.10. Zürich, Samsung Hall

TOWER OF POWER

28.11. Zürich, Kaufleuten

7.11. Luzern, Schüür

SLIMBOY, DREAMSHADE

21.10. Zürich, Volkshaus

MARK LANEGAN BAND

PARADISE LOST

23.9. Zug, Galvanik

TRIGGERFINGER

28.10. Zürich, Mascotte

30.10. Pratteln, Z7

SWANS

18.10. Zürich, Mascotte

MARLA GLEN

PEGASUS

19.10. Winterthur, Salzhaus

TROUBAS KATER

9.12. Zug, Chollerhalle

4.11. Luzern, Schüür

21.10. Fribourg, Fri-Son

31.10. Luzern, Schüür

MAXIMO PARK

16.11. Zürich, Kaufleuten

SWISS METAL ATTACK: BURNING

YOKKO, BABA SHRIMPS

26.9. Zürich, Mascotte

PORTUGAL THE MAN

WITCHES, PERTNESS, COMANIAC,

8.9. Zürich, Plaza

MIKE & THE MECHANICS

13.9. Lausanne, Les Docks

FINAL CRUSADE, MIND PATROL

2RAUMWOHNUNG

10.9. Augst, Raurica

14.9. Winterthur, Salzhaus

30.9. Pratteln, Z7

8.9. Zürich, Xtra

15.9. Aarau, KIFF

ZÜRI WEST 16.10. Luzern, Schüür


Wunschartikel auf eine Postkarte schreiben und einsenden an: TRACKS -Wettbewerb-, Postfach 108, 4323 Wallbach oder eine E-Mail an: Info@tracks-magazin.ch Die Gewinner werden ausgelost

BLACK COUNTRY COMMUNION «BCCIV»

KONZERT-TICKETS:

CD

2 x 2 Tickets für

PARADISE LOST 30.10. Pratteln, Z7

EXTREME 9.12. Zürich, X-Tra

QUEENS OF THE STONE AGE «Villains»

CD

UNISONIC « Live In Wacken»

CD/DVD

BEATSTEAKS «Yours»

CD

Impressum Herausgeber/ Chefredaktor:

Mitarbeiter Redaktion:

Redaktionsanschrift: TRACKS Magazin Kapellenstrasse 23 CH- 4323 Wallbach T +41 61 861 03 73 info@tracks-magazin.ch www.tracks-magazin.ch Erscheinungsweise: 2-monatlich (6 Ausgaben/Jahr) Inserate:

Beat Unternährer beat.unternaehrer@tracks-magazin.ch T +41 (0)79 335 69 44

Inga Pulver (ip) Kelly Widmer (kw) H. Elias Fröhlich (hef) Christian Hug (hug) Michael Vaucher (mv) Mario Hug (mh) Robert Pally (rp) Laurent Giovanoli (lg) Björn Springorum (bs) Daniel Schöni (ds) Christian Wollart (cw) Ian Keates (Foto) Marion Gross (Foto)

Beatrix Schmocker beatrix@tracks-magazin.ch T +41 (0)79 797 35 81

Jede TRACKS-Ausgabe auch als E-Paper unter www.tracks-magazin.ch

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