Standby war gestern

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Standby war gestern Eine Schulgeschichte von Daria Dachs


Teach For Austria rekrutiert persönlich und fachlich herausragende HochschulabsolventInnen, die nach einer intensiven Vorbereitung für mindestens zwei Jahre als vollwertige LehrerInnen - Fellows – an urbanen Hauptschulen, Neuen Mittelschulen und Polytechnischen Schulen unterrichten. Während dieser zwei Jahre werden sie von erfahrenen TrainerInnen begleitet und erhalten eine Leadership-Ausbildung. Ziel ist es, eine Bewegung von Menschen aufzubauen, die sich für Chancengerechtigkeit im Bildungssystem durch die Förderung von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien einsetzen. Die Fellows sind den SchülerInnen Vorbilder, inspirieren sie durch hoch gesetzte Anforderungen, entfachen Feuer für Bildung und ebnen ihnen dadurch den Weg in eine hochwertige Lehre und/oder in weiterführende Schulen. Neben diesem akademischen und laufbahnrelevanten Wissen geben die Fellows den SchülerInnen insbesondere wichtige soziale Kompetenzen und Werte mit auf den Weg wie Respekt, den Umgang mit Diversität, Konfliktlösungspotenzial, Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten.

Über die Autorin: Daria ist Absolventin der University of Oxford, Großbrittanien, und wirkt als Fellow an zwei Neuen Mittelschulen in Salzburg Land.


„Du kannst dir nicht vorstellen, was schon wieder

passiert ist. Wozu reiße ich mir hier eigentlich den Haxn aus?“, empfängt mich Erna Vorgartner, meine Teamkollegin in der ersten Klasse, am Dienstag Vormittag im Lehrerzimmer, noch bevor ich meinen Mantel aufhängen kann. „Ich frage mich manchmal wirklich, was ich hier mache!“ „Was ist denn passiert?“, antworte ich, in Gedanken noch bei meiner anderen Schule, von der ich gerade komme. „Der Vater von Toni war gestern da. Ich meine es doch nur gut, laufe seinen Hausaufgaben hinterher und tue alles, damit er im Unterricht mitmacht. Und dann das!“ „Was ist denn genau passiert?“, versuche ich die Situation zu verstehen. Dass der zwölfjährige Toni kein Engelchen ist, ist mir klar. Aber mit seinem Vater hatte ich bisher noch keinen Kontakt. „Er hat mich vor Toni belehrt, dass ich ihn nicht in der Schule behalten kann und ihm auch nichts anzuschaffen habe. Und die Art und Weise, wie er das gesagt hat, wie er da so vor mir stand, war richtig angsteinflößend.“


Ich unterrichte Englisch in ersten und zweiten Klassen an zwei Neuen Mittelschulen in Salzburg Land. Toni ist auch mein Schüler, aber nachdem ich an zwei Schulen unterrichte und das Semester eben erst begonnen hat, kenne ich ihn noch nicht gut genug. Deshalb kann ich meiner Kollegin in diesem Moment wenig antworten. Aber ich kann zuhören. Und was sie sagt, zeigt mir klar: Toni ist ein Kind, das mehr meiner Aufmerksamkeit benötigt. In der nächsten Stunde achte ich auf Toni, während die Klasse an einer Aufgabe arbeitet. Ich gehe durch den Raum, spreche mit den anderen Schülern und beobachte dabei aus den Augenwinkeln, was er gerade macht. Langsam arbeite ich mich zu ihm vor. Er sitzt da auf seinem Stuhl, in der letzten Reihe. Obwohl er sich den Tisch mit einem anderen Schüler teilt, könnte er auch allein da sitzen, so weit ist er an den Rand des Tisches gerutscht und so weit weg ist er auch in Gedanken. Statt die Aufgabe zu lösen, wie all die anderen Schüler, wippt er auf seinem Stuhl vor und zurück und summt dabei. Auf die Bitte eines Mitschülers, mit dem Summen auf-


zuhören, antwortet Toni mit: „Hoit di Goschn!“ Diese Worte passen so gar nicht zu dem eher schmächtigen Jungen, umso stärker sind sie in ihrer Wirkung. Im gleichen Augenblick hat Toni so etwas Verletzliches, Verletztes an sich, was ich so bei andern Kindern noch nicht gesehen habe. Neben meiner eigenen Beobachtung befrage ich auch die Kollegen: Zuhause bekommt er wenig Unterstützung, er muss viel aushalten, sein Vater ist nicht für seinen friedlichen Umgang und seine Offenheit bekannt – im Gegenteil. Ich spreche auch mit der Schulpsychologin über Toni. Sie erklärt mir, dass das Schaukeln auf dem Stuhl und das Summen während des Unterrichts ein Zeichen für eine Traumatisierung sein kann. Mit der Zeit lerne ich Toni besser kennen und stelle schnell fest, dass er im Unterricht oft müde ist und sich dann kaum aufrecht halten kann. Ist er mal nicht müde, schafft er es nicht, ruhig zu sitzen. In welcher Verfassung auch immer – dem Unterricht kann er so nicht folgen. „Ich kann das nicht“, sagt er häufig. Oder: „Das ist so schwer.“ Wie ein Kaugummi, so zäh ist es mit


ihm, wenn es darum geht, eine Aufgabe anzufangen. Er kommt mir vor wie im Stand-by Modus. Als ob er auf jemanden wartet, der ihn einschaltet. Spannend aber ist, dass er, sobald er in einer Aufgabe vertieft ist, diese meist richtig und schnell schafft und noch dazu mit einer wunderschönen Handschrift. An Intelligenz fehlt es ihm sicherlich nicht. „Toni, hol dein Buch heraus. Wir sind auf Seite 20“, flüstere ich ihm zu. Direkte Ansprache wirkt weit besser, als erwartet. Mein Ziel ist mittlerweile, möglichst präventiv mit ihm zu arbeiten – ihm keine Chance für negative Aufmerksamkeit zu geben. „Was glaubst du, was ist die Antwort?“, frage ich ihn leise. Ist die Antwort richtig, ermuntere ich ihn zum Aufzeigen. Natürlich können Lehrer nicht für jedes Kind in diesem Ausmaß da sein. Aber auch nicht jedes Kind ist in Tonis Situation. Über die Zeit entwickeln wir ein System. Wir haben nie darüber gesprochen. Es hat sich so ergeben. Am besten funktioniert es, wenn ich meine Anweisungen mit


einer Berührung seiner Schulter verbinde. Zunehmend gelingt es mir, ihn aus dem Stand-by Modus zu holen und zumindest zeitweise in eine konzentrierte Phase zu bringen. Er akzeptiert mich als die Person, die ihn „einschalten“ darf. Eines unserer Zeichen ist ein Daumen nach oben, wenn es gut läuft. Das funktioniert unauffällig und auch auf Entfernung. Im Laufe der Zeit zeigt mein Daumen immer öfter nach oben. Auch wenn nicht von heute auf morgen alles besser läuft, wir machen Fortschritte. Doch der Fortschritt überträgt sich nicht auf die anderen Fächer, im Gegenteil. Toni widersetzt sich den Lehrern immer mehr und stört zunehmend den Unterricht. Schon bald heißt es im Lehrerzimmer nur noch: Toni kann hier nicht mehr bleiben! Ich bin traurig darüber, denn ich habe das Gefühl, dass die meisten nicht den wahren Toni sehen, sondern nur den, den er vorzeigt. Ich glaube, dass bei ihm noch viel mehr möglich ist. Ich versuche auf Toni und die Kollegen einzuwirken. Aber es ist bereits zu spät: er muss die Schule wechseln. Ich wünsche ihm ein Umfeld, welches ihn versteht und auch die Kapazitäten hat, ihn


gut zu begleiten. Kurz vor Semesterschluss stellt sich heraus, dass er die Schule zwar verlässt, aber genau in die Schule versetzt wird, in der ich auch unterrichte. Er kommt sogar wieder in meine Klasse. Sein Ruf eilt ihm bereits voraus. „Das hat mir dann gerade noch gefehlt! Jetzt habe ich meine Klasse endlich soweit, dass wir gut arbeiten können und nun wird mir dieser Junge reingesetzt. Das haltet die Klassengemeinschaft nicht aus!“ Die Klassenvorständin von Tonis neuer Klasse ist sehr engagiert und setzt sich für die Schüler ein. Ich kann ihren Standpunkt nachvollziehen. Ihre Klasse ist zudem so schon ziemlich unruhig, wie wird das erst mit Toni? Leider tut Toni zunächst alles, um die negativen Erwartungen zu erfüllen. Kaum ist er eine Woche in der neuen Klasse, kommen mir im Lehrerzimmer bereits Toni-Geschichten zu Ohren. Bei mir klingeln die Alarmglocken – so hat das in der andere Schule auch begonnen. Ich spreche mit allen betroffenen Lehrern und Lehrerinnen über Tonis Situation, sein Elternhaus, was in der anderen Schule passiert ist und was in der


Zusammenarbeit mit ihm für mich bisher funktioniert hat. Er soll eine neue Chance bekommen. Ich rede auch mit Toni selbst. „Gefällt dir deine neue Schule?“, frage ich ihn. Er nickt. „Weißt du, in deiner alten Schule ist ja einiges schief gelaufen. Ich glaube, diese neue Schule ist eine tolle Chance für dich. Du kannst hier ganz neu starten. Es liegt sehr stark an dir, wie sich die Situation für dich entwickelt. Nütze diese Chance.“ Wieder nickt er. Ob er es wirklich machen wird, weiß ich natürlich nicht. Kurz darauf lesen wir eine Geschichte in Englisch. Jeder muss auf die Aussprache achten. Wer nicht richtig liest, scheidet aus. Die Kinder lieben dieses Spiel. Toni ist wie ausgewechselt – er ist voll dabei. Er schafft es sogar relativ lange, im Spiel zu bleiben und scheidet erst als Vorletzter aus. Ich freue mich, ihn dabei zu beobachten, denn so etwas wäre in seiner alten Schule nicht passiert! Toni merkt, dass ich ihn beobachte. Er lächelt verstohlen und diesmal ist er es, der unauffällig seinen Daumen nach oben dreht!



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