Querschnitt x – Typografie in drei Teilen

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GuGel, lerch, Oppenhäuser

Querschnitt X – TypOGrafie in Drei Teilen

QuerschniTT Lesetypo, DispLay-schriften & Gebrochene

TypOGrafie in Drei Teilen
































































Einleitung

Peter Zec | Burkhard Jacob

DER DESIGN WERT Eine neue Strategie der Unternehmensführung

ganz bewusst eine Beobachterposition ein, die sich von den traditionellen Sichtweisen unterscheidet, die sich vor allem den ästhetischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Fragen zuwenden. Philosophisch betrachtet darf man davon ausgehen, dass es im Design keine Wahrheit gibt – zu unterschiedlich, zu vielfältig, zu gegensätzlich sind die Gestaltungsprinzipien. Ein wesentliches Merkmal des Designs ist es ja gerade, dass die Disziplin stets einen Gestaltungsspielraum anbietet, der mit Blick auf das Material, die Technik und die Ästhetik immer mehrere mögliche Formen für ein Produkt bereithält und damit die Frage nach der richtigen Entscheidung für eine Form und gegen eine andere auf die Tagesordnung bringt. Der Designer Otl Aicher, neben Max Bill einer der Gründer der Hochschule für Gestaltung in Ulm und zweifelsohne einer der renommiertesten deutschen Gestalter im 20. Jahrhundert, hat diese Entscheidungs- und Konfliktsituation aus eigener Erfahrung beschrieben: „Was hat ein Designer zu machen? Ein funktionierendes Produkt? Ein gut aussehendes Produkt? Ein gebrauchsfähiges Produkt? Ein informatives Produkt? Der Designer setzt sich zwischen die Stühle. Ein technisch einwandfreies Produkt muss nicht schön sein, ein schönes Produkt muss nicht unbedingt gebrauchsfähig sein, ein Produkt von einem hohen Gebrauchswert muss nicht immer einen hohen technischen Standard haben, und ein gut aussehendes Produkt kann vielleicht nur deshalb gut 14

Einleitung

aussehen, weil es alles versteckt und verdeckt. Die Tätigkeit des Designers besteht darin, Ordnung in einem Konfliktfeld heterogener Faktoren zu schaffen, zu werten. Es ist barer Unsinn, wenn nachgebetet wird, die gute Form resultiere zwangsläufig aus der Funktion oder in einem schönen Körper müsse ein guter Geist wohnen. Das Gegenteil ist nicht weniger wahr.“1 Insofern ist die Tätigkeit des Designers, aber auch des Designmanagers immer eine Wertung, die nicht zuletzt und heute mehr denn je auch die ökonomische Dimension zu beachten hat. Anstelle der absoluten Wahrheit haben wir es im Design eher mit verschiedenen Wahrscheinlichkeiten zu tun, die auf der jeweils vorhandenen Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten basieren. Sobald diese Vielfalt von Möglichkeiten auf nur eine logisch bestimmbare Lösung reduziert wäre, hätten wir es mit einem rein mathematischen Prozess zu tun, aber nicht mit einer gestalterischen Lösung. Gerade in der Auseinandersetzung mit jener Vielfalt an Möglichkeiten liegen die besondere Bedeutung und der Wert des Designs. Mit dieser Vielfalt an offenen Möglichkeiten steigt auch die Ungewissheit, ob die einmal getroffene Entscheidung für eine bestimmte Form und damit für oder gegen ein Produkt auch wirklich erfolgreich ist. Dieses Risiko mag ein Grund dafür sein, warum bei Unternehmern und Managern zum Teil eine spürbare Unsicherheit 1

Otl Aicher: Die Welt als Entwurf. Berlin: Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, 1991, S. 67 f.

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RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN

GEBROCHENE

SCHRIFTEN

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GESPALTENE OBERLÄNGE Merkmal für Fraktur bei den Minuskeln b, h, k und l Schrift: Anglican Text


RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN

SCHRIFTEN IM VERGLEICH

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Johannes Gensfleisch *um 1397 Mainz +1468 Mainz Nach seinem Haus „zum Gutenberg“ benannt gilt als der Erfinder des Buchdrucks mit einzeln gegossenen Blei-Lettern und der Druckpresse. Die Verwendung von beweglichen Lettern revolutionierte die herkömmlichen Methoden der Buchproduktion und löste 1450 in Europa eine gigantische Medienrevolution aus, sie gilt heute als wichtigster Meilenstein am Beginn des neuen Zeitalters der Moderne. Das mühselige und zeitaufwändige Abschreiben von Texten durch schriftkundige Mönche wurde von einer effi zienten Technik schlagartig abgelöst – nur nicht in ästhetitischer Hinsicht, denn Gutenberg verwendete beim Handgießinstrument Schriftzeichen, die so getreu wie möglich den handgeschriebenen Messbüchern eben dieser gelehrten Mönche nachempfunden war.« HORST WOEHRLE – SLANTED#10

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RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN SCHRIFTEN IM VERGLEICH ENTSTEHUNG

VOM FEGEFEUER ZU BEWEGLICHEN LETTERN.

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MÖNCHE UND SCHREIBMEISTER BICHER GAR HIBSCH GEMOLT Im frühen 15.Jahrhundert entfaltete sich allmählich ein größeres Angebot an Büchern in ganz Europa, was wiederum den Wettbewerb unter den Schreibmeistern und Schreibateliers erhöhte. So wurde der Konkurrenzdruck durch die Entwicklung des Holztafeldrucks noch vor der Zeit des Buchdrucks noch gesteigert, der sich in der Mitte des 15.Jahrhunderts verschärfte.

BLOCKBUCH APOKALYPSE ausgießung der 7. Schale über Babylon und die große Hure auf dem Tier 1480 Gutenberg-Museum Mainz

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Die Handschriftenillustrationen eines jeden Schreibmeisters war nun das Kapital. Auf Pergament geschrieben, wurden anschließend die Prachthandschriften den Bildern hinzugeführt und aufgrund ihrer kostbaren Malereien von ihren fürstlichen Besitzern als Wertgegenstand betrachtet. Blockbücher erzählen in einer Mischung von Text und Bild in Holz graviert die Bibel. Später schnitten die Holzschneider Legenden, Spruchbänder und sogar Schriftblöcke spiegelverkehrt in die Holzblöcke und druckten Bild und Text gleichzeitig.


FUST & SCHÖFFER GUTENBERGS VERLEGER MACHEN'S MÖGLICH Das erste von neun opulenten Hochgebeten aus der Druckpresse von Fust & Schöffer in Mainz ist ein inhaltliches sowie künstlerisch qualitätvolles Meisterwerk im Zeitalter des Buchdrucks. Fust & Schöffer waren 1457 einer der ersten Buchhändler und Verleger in ganz Deutschland und arbeiteten mit Johannes Gutenberg zusammen. Sie besaßen Niederlassungen in Frankfurt am Main, Paris und Trier. Sie nahmen eine dominierende Stellung auf der Frankfurter Messe ein und waren über Stadt- und Landesgrenzen bekannt, sodass sie Exporthandel betreiben konnten.

RÖMISCHER MESSKANON Hauptgebet der Heiligen Messe des Römischen Ritus, 1458 Fust & Schöffer

Das prächtige Exemplar macht deutlich, wie viele Arbeitsschritte nach dem Textdruck folgten: die Rubrizierung sowie das Hinzufügen von liturgischen Anweisungen, Überschriften, Kapitelzählungen, Lemmata, das Anbringen von Initialen, Rankendekoration, gemalter Buchschmuck und Auszeichnungsbuchstaben; schließlich das Binden. Andere Exemplare verkaufte Schöffer direkt nach dem Druck, ohne Bilderschmuck und pries dies sogar als Vorzug in einer Werbeanzeige an, dass darin reichlich Freiraum für eigene Initialen und Bebilderung enthalten wäre.

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»die fraktur ist für mich schwer lesbar, ich bin das lange s nicht geübt (bin auch jetzt wieder im titelbild darüber gestolpert.. waffen statt massen :))« THIERRY BLANCPAIN, SLANTED#03

»es sollte mehr lesbare frakturen geben. zeitgemäßer. das fänd ich schon ziemlich abgefahren und frisch.« ROBERT MICHAEL, SLANTED#03

»GRUNDREGELN sind unabdingbar. Der falsche Gebrauch des Schluss-s schmerzt nur den Fraktur-Hardliner, dagegen führt ein in Frakturversalien gesetztes Wort zu einem unleserlichen und auch für Laienaugen unharmonischen Kuddelmuddel.« HERMANN, 4. JULI 2007, FONTBLOG.DE

»ist eben eine frage der gewöhnung und wenn man öfter fraktur sehen würde, würde man sie auch besser lesen können.« BENJAMIN HICKETHIER, SLANTED#03

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RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN SCHRIFTEN IM VERGLEICH UNTERTEILUNG IN VERSCHIEDENE GRUPPEN

EIN WORT IN FRAKTURVERSALIEN FÜHRT ZU KUDDELMUDDEL. HERMANN, 4. JULI 2007, FONTBLOG.DE

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EINORDNUNG TEXTURA SCHRIFT/–FAMILIE DUERER-GOTISCH

DÜNN UND DUNKEL

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Die Duerer Gotisch weist enge und in die Länge gezogene Formen auf. Ihre schlanken, schmal laufenden Lettern scheinen wie gotische Kirchen nach oben zu streben. Nur die Versalien weisen Rundungen auf, die Rundungen in den Gemeinen dagegen sind vollständig gebrochen. Sie bestehen aus länglichen Rechtecken. Ein weiteres Merkmal sind die an Kopf und Fuß des Scheitels auf die Spitze gestellten Quadrate, die sogenannten »Quadratfüßchen.« Versalien werden von feierlichen Doppelstrichen und zierenden

Beiwerk geschmückt. Typisch ist auch die zur Schleife geschlossene Unterlänge des Gemeinen g. Durch die extrem enge und hoch stehende Linienführung der Buchstaben wird die Wirkung eines Gewebes vermittelt. Da sowohl Buchstaben als auch Zeilen bei Texturatexten mit nur geringem Abstand geschrieben wurden, entstand ein sehr dunkles, schwer lesbares Schriftbild, ein sogenannter »Buchstabenteppich« – hier muss Durchschuss rein! Dafür besticht die Textura durch strenge Schönheit und sakrale Anmut.


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EINORDNUNG ROTUNDA SCHRIFT/–FAMILIE WEISS-RUNDGOTISCH

DICK UND RUND Die gotisch-feingliedrige Form wich einer großzügiger und voluminöser angelegten Form. Die Weiß-Rundgotische Schrift gehört wie der Name bereits aussagt zu der Rundgotischen Fraktur, auch Rotunda genannt. Um 1400 entstanden diese schönen und klaren Formen mit der breit geschnittenen Feder aus der Hand spanischer und italienischer Schreibmeister. Zum Teil weil die Textura in Südeuropa als »barbarisch« abgelehnt wurde. Aus diesem Grund sind Brechungen der Buchstabenbögen nur angedeutet, aber nicht vollständig durchgeführt.

Die Originalfassung enthielt ungewöhnlich viele schwungvolle Versalien, doch der damalige Zeitgeist rief offenbar nach einer strengeren Linienführung, denn nachfolgende Fassungen der Weiß-Rundgotisch enthalten nur noch gerade Versalien. »Die Weiß-Rundgotisch« besitzt eine „kühle und intelligente Form, die sich in das technische Zeitalter einordnen will.« Albert Kapr, Kalligraf


EINORDNUNG SCHWABACHER SCHRIFT/–FAMILIE SCHNEIDLER SCHWABACHER

GEMÜTLICH UND GELASSEN

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Die Schwabacher Schrift wurde vermutlich zuerst 1472 verwendet und wirkt gemütlich einladend. Die Schneidler Schwabacher von dem Kalligraphen Ernst Schneidler aus dem Jahre 1912 ist noch offener und breitlaufender als die Rotunda. Die originellsten und unverwechselbaren Versalien sind die Figuren H, S und Z, sie sind gekennzeichnet durch äußerst schwungvolle Rundungen. Hier haben wir es mit einer Schrifttype zu tun, die man nur in Deutschland findet. Die extrem niedrigen

Ober- und Unterlängen fallen besonders bei den Gemeinen f und g auf, letztere hat oft einen fetten horizontalen Balken als oberen Abschluss. Die Oberlängen von b, h und k haben ein Dächlein. Trotz dieser eigentümlichen Details ist der Charakter ein volkstümlicher und die Schrift sehr gut lesbar für eine Gebrochene Schrift. Die Schwabacher gehört zu den beliebtesten Frakturen, denn das Gesamtbild wirkt heller und viel freundlicher als bei den anderen. Zu erwähnen bleibt noch, dass es Alternativen zu den Versalien A, H, K und S gibt.


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EINORDNUNG FRAKTUR SCHRIFT/–FAMILIE BERTHOLD MAINZER FRAKTUR

SCHICK UND STRENG Diese Gruppe dominiert die Gebrochenen Schriften, weshalb der Name »Fraktur« oft auch als Sammelbezeichnung für die gesamte Schriftgattung benutzt wird. Die Fraktur erhielt von der Gotischen die Schlankheit und von der Schwabacher die schwungvollen Formen. Die Mainzer Fraktur wurde 1901 von Berthold entworfen und vereint runde wie auch gebrochene Formen, dadurch wirkt sie streng und bürgerlich zugleich. Das ist besonders bei den Versalien spürbar: Die

Fraktur bezaubert durch kleine Finessen wie schwungvolle Ansetzstriche, den »Elefantenrüsseln« , hier zu sehen u.a. bei den Versalien F und K. Einige der breiten Versalien wie H, U und Y stellen ihre auslaufenden Schnörkel zur Schau. Manche der zierlich-schlanken Gemeinen tragen die gespaltenen Oberlängen, siehe b, h, k und l. Andere deuten einen Dachansatz an wie bei i und j. Quadratfüßchen sind hier wieder ausgeprägter als bei der Schwabacher. Diese Fraktur sollte man beim Satz sperren, denn die Abstände sind zu breit angelegt.


EINORDNUNG FRAKTUR-VARIANTEN SCHRIFT/–FAMILIE KANZLEI LIGHT

ROMANTIKER Die Fraktur-Varianten umfassen alle Gebrochenen Schriften, die in den bisherigen Untergruppen stilgemäß nicht untergebracht werden können. Dazu gehören eigenwillige Schriftschöpfungen, gotische Fraktur-Kursive, schulmäßig entwickelte Schreibschriften sowie die Kanzleischriften, diese sind im neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden. Die Kanzlei wurde von der Schriftgießerei Flinsch in Frankfurt am Main 1830 gestaltet. 16

Alle Versalien haben sehr geschwungene Elefantenrüssel. Die Strichstärke zwichen Grund- und Haarstrich ist extrem kontrastreich. Zudem weisen die Versalien »Doppelstriche« auf, diese wirken wie ein stützendes Gerüst. Elefantenrüssel, Doppelstriche und stark ausgeprägte Tropfen verleihen der Kanzleischrift eine recht romantische Anmutung.


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EINORDNUNG FRAKTUR CONTEMPORARY SCHRIFT/–FAMILIE BIG BROKEN

KLOTZIG ABER GEWITZT In den letzten jahren sind eine Menge digitaler Fonts entstanden, die sich auf vielfältige Art und Weise mit den Gebrochenen Schriften auseinander setzen. Manche zeitgenössische Entwürfe verbinden historische mit geometrischen Formen, andere leihen sich einfach nur das Prinzip der Brechung. Die Big Broken ist eher als Display-Schrift geeignet. Sie hat keine Rundungen, ihre Abschlüsse sind oft angeschrägt, wie bei den Gemeinen g und y. Bei einigen Paaren funktioniert das Kerning, wie hier bei dem Buchstabenpaar see. Doch Kerning ist nicht ihre Stärke, also

sollte man den Durchschuss manuell zwischen einigen Buchstaben ausgleichen. Den Zeilenabstand sollte man auch großzügig ansetzen. Die Big Broken erinnert einerseits an die schwarz gefüllte, geometrische Typografie und besitzt andererseits die fetten Serifen einer Slab-Serif. Die klotzigen Buchstaben gleicht sie durch die gewitzten Schrägen wieder aus.


ELEFANTENRĂœSSEL Schwungvolle Versalien mit Ansetzstrichen Schrift: Fette Haenel Fraktur


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»Die Initialen und Zierbuchstaben der Gebrochenen Schriften erinnern an ihre Herkunft: die mittelalterliche Schreibstube und barocke Schreibmeisterkunst. Das differenzierte Schriftbild eignet sich besonders gut zur Ausschmückung. Durch die ornamentale Ausschmückung wird leider die Lesbarkeit oft vernachlässigt. Dafür überzeugen barocke Versalien.« JUDITH SCHALANSKY, FRAKTOUR MON AMOUR, 01.MÄRZ 2006

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RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN SCHRIFTEN IM VERGLEICH DIE SCHÖNSTE INITIALE

SCHÖNE SCHNÖRKEL

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EINORDNUNG INITIALE SCHRIFT/–FAMILIE ORNAMENTAL INITIALS

M RAPUNZEL, RAPUNZEL!

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Eine Initiale ist der typographische Terminus für einen ausgeschmückten Buchstaben, meist in der Form einer Versalie, der am Anfang eines Buchkapitels oder am Beginn eines neuen Absatzes steht. Eine Initiale wird auch Schmuckbuchstabe genannt. Der Name stammt aus dem lateinischen »initium« und bedeutet »am Anfang stehend«. Elegant wirkt es, wenn sich die Zeilen des Absatzes an die Initiale »anlehnen«, also wenn der Text dem Umriss der Initiale folgt.

Ornamental Initials sind verzierte Initialen, die Schrift ist 1582 von einem unbekannten Schriftenentwickler entwickelt und 2004 vom Designer Manfred Klein digitalisiert worden. First seen on DaFont.com: 05.08.2004 56,733 downloads/12 yesterday


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EINORDNUNG INITIALE SCHRIFT/–FAMILIE VOGELER CAPS

GESCHICHTENERZÄHLER Eine dekorative Initiale kann sich größenmäßig über mehrere Zeilen erstrecken, ihr Schriftgrad kann also um das Vielfache größer sein als der der Grundschrift. In mittelalterlichen Handschriften besaßen Initialen oft die Größe einer ganzen Seite und erzählten sogar eine kleine Geschichte, wie bei der Vogeler Caps von Heinrich Vogeler. Diese Schrift besteht aus illustrierten Initialen, man sieht Bäume, Brunen und Burgen; dies sind alles sehr verspielte Motive, die passend zum Text gewählt werden müssen. Am Seitenanfang und vor neuen

Absätzen mit Initial gibt man dem Schmuckbuchstaben mehr Durchschuss, damit er genug Raum zum Wirken entfalten kann. Initialen sollten generell sparsam eingesetzt werden, damit sie ihren Reiz nicht verlieren und die Seiten nicht überladen wirken. Die Hamburger Designerin Petra Heidorn hat die Schrift Vogeler Caps 2002 digital umgesetzt. First seen on DaFont.com: 16.07.2006 31,698 downloads/4 yesterday


»Fette Fraktur is one the most used Blackletter typeface today.« TYPOPHILE.COM, TYPEBLOG

»wow i love this fat font.. seriously!« JCLMEDIA, 15. NOVEMBER 2009, ABSTRACTFONTS.COM

»The Fette Fraktur font is used to invoke a nostalgic or rustic feeling and found often on bars and restaurants with hearty homemade food or breweries who use the good old recipes of the founder... « LIZ DANZICO, 21.SEPTEMBER 2009, TYPEDIA.COM

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RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN SCHRIFTEN IM VERGLEICH DER FETTESTE FONT

FAT FACES

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EINORDNUNG FRAKTUR SCHRIFT/–FAMILIE NEUE FRAKTUR EXTRABOLD

DER DICKSTE

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Die Neue Fraktur Extrabold wurde direkt in der Schriftgießerei Johannes Wagner im Jahr 1927 entworfen. Sie gehört zu den Schriften mit Elefantenrüsseln, gespaltenen Oberlängen und Quadratfüßchen. Was die Neue Fraktur aber so besonders macht: Sie ist eine der wenigen Gebrochenen Schriften, die einen Regular- und einen Extrabold-Schnitt besitzen. Das ist ganz klar ein Auszeichnungsvorteil gegenüber den meisten anderen Gebrochenen Schriften. Man kann sie also als die Fraktur mit dem dicksten Schnitt bezeichnen.


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Das

Schwert

fuhr beim Halse hinein und bei der Hüfte heraus, nicht einmal einen Knochen hatte das Scheusal im Leibe, sagte Theoderich später, er rief dabei:

EINORDNUNG FRAKTUR

SCHRIFT/–FAMILIE URDEUTSCH

„so hast du weiland meinen Gesippen gethan!“

NUR FÜR DISPLAY Die Urdeutsch von dem Drucker Adolf Heimberg ist 1925 in der Schriftgießerei Genzsch & Heyse in Hamburg entstanden. Die Urdeutsch zählt zu den Schwabacher Schriften und besitzt ihre typischen Merkmale: Sie hat ein breit laufendes Schriftbild, keinen starken Kontrast zwischen Grund- und Haarstrich und niedrige Ober- wie auch Unterlängen. Die Elefantenrüssel sind sehr schön ausgeprägt, wie beim Versal-P. Die Urdeutsch ist nur für Display-Zwecke zu empfehlen, also schön groß und in Headlines, weil sie sonst zu dunkel und gequetscht wirkt.

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AUSLAUF/FUSS Endung eines Buchstabens/ Unterer Bereich des Abstriches Schrift: Duerer Minuskeln


RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN

SCHRIFTEN VORGESTELLT

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»Unsere heutigen Schriften wurden sehr von ihren mittelalterlichen Vorgängern beeinflusst, wie der deutsche Sprachraum zeigt: Wir benutzen immer noch das 'ß', was aus einer Ligatur aus einem langenund einem Schluss-s heraus entstand. Und das aus der Fraktur kommende 'alte' a ist auch heute bei den meisten Schriften nicht weg zu denken, obwohl eigentlich die geschlossene Form die moderne Variante ist wie bei dem Futura-a. Wie man sieht, gründen die Wurzeln unserer heutigen Schrift sehr tief – und sie reichen auch weit in die faszinierende Welt der Gebrochenen Schriften.« HORST WOEHRLE, SLANTED #10

»Vor allem im Bereich Display wird heute nach Herzenslust mit den Frakturformen gespielt. Hier ist alles erlaubt, kursive, dekonstruierte, dekorierte, geometrische, gefüllte und gestickte Formen, es ist alles dabei. Wörter müssen regelrecht entziffert werden« JUDITH SCHALANSKY, FRAKTUR MON AMOUR

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RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN NEW TYPEFACES

NEUE BRÜCHE

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TRIGOT DESIGNER MICHAEL HÜBNER, 2010 BESCHREIBUNG Trigot ist eine modular aufgebaute Schrift. Jede Form ist auf einfachste Weise aus der Grundeinheit des Dreiecks konstruiert und greift dabei den Duktus der Frakturlettern auf. Dieser Kontrast ist der Reiz der Trigot, dessen Name sowohl an den gotischen Einfluss als auch an das Dreieck erinnert.

ZEICHENVORRAT TRIGOT

SCHRIFTANBIETER Volcano Type Karlsruhe, Deutschland www.volcano-type.com Volcano Type vertreibt eigene Schriftentwürfe, die zum Teil für spezifische Grafik-Projekte entwickelt wurden, aber auch zahlreiche andere Fonts von jungen DesignerInnen und renommierten Schriftgestaltern. Die Website bietet über 90 Schriftfamilien.

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ABCDEFGHIJKL MNOPQRSTUV WXYZÄÖÜ abcdefghijkl mnopqrstuv wxyzäöü

Slm e l s l i k emse l t z ev.y

0 1 2 3 4 5 6 78 9 ¡!¿?.,…:; §$£¥%&\/()[]{} ><‘¶x&þï©® ŒœŠšŸŽžƒ‡Éæ@ ZEICHENVORRAT BANKRUTT

Smells like smeltery. 34


k

BANKRUTT DESIGNER JACK USINE BESCHREIBUNG The font BAnkrutt is a geometric and stencil fraktur. It's the updated version of the 2004 one. Now in basic OpenType format.

SCHRIFTANBIETER Smeltery Castillon-La-Bataille, Frankreich www.smeltery.net SMeltery is a French font factory founded in 2002 by Jack Usine to show and share his typographic investigations. Also known as Jules Vernacular, Jack is a graphic designer who lives and works in Bordeaux. Active member of the Sainte-Machine & TT collectives, he’s currently running the GUsto with Fanny Garcia.

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FRAKTUR MON AMOUR Judith Schalansky Fraktur mon amour 624 Seiten CD-ROM mit 150 Fraktur-Fonts

Fraktur mon Amour ist eine Liebeserklärung an die Gebrochenen Schriften. Jahrzehnte lebten sie am Rand des Vergessens, heute feiern sie in Mode, Grafikdesign und Musik ein fröhlich-freches Comeback. Sie zieren Shirts und Plakate, Party-Flyer und nackte Haut. Judith Schalansky stellt in ihrem Kompendium insgesamt 333 Gebrochene Schriften vor. Es lädt zum Entdecken des Formenreichtums ein und die beiliegende CD-ROM mit 150 Fonts erlaubt es der Lust auf diese Schriften gleich freien Lauf zu lassen.

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HEAVY METAL. LOVERS. Magma Brand Design Slanted #10 Heavy Metal. Lovers. 164 Seiten

»Die neue Slanted #10 widmet sich Frakturschriften und harter Musik. Mit Freude präsentieren wir die Arbeiten von Invisible Creature (Seattle), historische Schrift-Schätze aus den Archiven von Linotype (Bad Homburg) und dem Klingspor Museum (Offenbach), die Fotoreportage »True Norwegian Black Metal« von Peter Beste (NYC) etc. Zu lesen gibt es Interviews u.a. mit Alejandro Paul, Bernard Stein, Alex Trochut und Christophe Szpajdel sowie einen Type Essay von Horst Wöhrle. Daneben stellen wir einige Fraktur-Arbeiten von Jeremy Hall, schmitz & wiesner, s=eee und Studierenden vor.« slanted-Redaktion

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BASTARD DESIGNER JONATHAN BARNBROOK, 1997 BESCHREIBUNG Bastard is a blackletter font drawn with a contemporary eye. Historic forms have been reinterpreted using a set of modular parts and a new aesthetic appropriate to the contemporary technology it was produced on. In recent history these kinds of letterforms have been identified with the Nazis but blackletter type has been central to the development of typography for over five hundred years.

SCHRIFTANBIETER Virusfonts London, UK www.virusfonts.com

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QUADRATFÜSSCHEN Übergang von Grund-zu Haarstrich, an Kopf und Fuß des Scheitels auf die Spitze gestellte Quadrate Schrift: Blackletter Extrabold


RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN

KLISCHEES

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»in meinem alltag gibt’s nicht viele gebiete, in denen fraktur passend wäre..« THIERRY BLANCPAIN, 15. OKTOBER 2006, FONTBLOG.DE

»modern an der fakir selbst ist nur ihre anwendungen in zeitgemäßer umgebung.« ROBERTMICHAEL, 16. OKTOBER 2006, FONTBLOG.DE

»die Fraktur ist schon so lange aus dem öffentlichen Lesebewußtsein verschwunden, dass ich einfach nicht verstehe, warum man jetzt um alles in der Welt versuchen muss, sie zu reanimieren. Dass so sachen wie fakir interessant und zeitgemäß sind, stellt auch niemand in abrede, das hat seine berechtigung, aber fraktur als Mengensatzschrift? Das sehe ich nicht. Und ich bin froh drum.« FRANZ, 17. OKTOBER 2006, FONTBLOG.DE

»ich benutze auch (handgeschriebene) Fraktur im Alltag um zum Beispiel Überschriften hervorzuheben. DR. ENTE, 29. NOVEMBER 2009, FONTBLOG.DE 42


RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN KLISCHEE

FRAKTUR IM ALLTAG GIBT'S JA GAR NICHT.

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»Dagegen: fast alle Bücher, die von den Nazis verbrannt wurden, waren komplett in Fraktur gesetzt. BENJAMIN HICKETHIER, 14. OKTOBER 2006, FONTBLOG.DE

Kurz mein Senf: Die Fraktur ist einfach unzeitgemäß. Historisch vergiftet. HD SCHELLNACK, 14. OKTOBER 2006, FONTBLOG.DE

Zwar müssen wir an die Folgen dieser hasserfüllten Ideologie erinnern, deshalb dürfen wir uns aber nie kulturelle Eigenheiten verbieten lassen. DR. ENTE, 29. NOVEMBER 2009, FONTBLOG.DE

Die Fraktur lebt, Bruder! MICHAEL SCHMIDT, 11. DEZEMBER 2006, FONTBLOG.DE

Das ist eine fatale Vereinfachung, ja Verfälschung der entstehungshistorischen Hintergründe. Im Nachhinein werden so Schriften und ihre Macher diffamiert und auf eine Stufe mit den Verbrechern des »Dritten Reichs« gestellt. HERMANN, 01. JULI 2007, FONTBLOG.DE LINK ZUM ARTIKEL HTTP://WWW.FONTBLOG.DE/FRAKTUR-IST-AUCH-EINE-NAZI-SCHRIFT


RUBRIK GEBROCHENE SCHRIFTEN KLISCHEE

FRAKTUR IST AUCH EINE NAZI-SCHRIFT. JÜRGEN SIEBERT – FONTBLOG-AUTOR – 14. OKTOBER 2006 – FONTBLOG.DE

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weiterhin in Gebrochenen Schriften gedruckt und geschrieben, lateinischer Text in Antiqua. Bei gemischtsprachigen Texten wurden auch die Schriften gemischt: Fraktur, für den Druck deutschsprachiger Wörter, Antiqua für fremdsprachige Wörter. Diese Regel hat sich im Frakursatz bis heute noch gehalten, und diese Unterscheidung im Satz hat sich umgangssprachlich auch in den Begriffen »Deutsche Schrift« und »Lateinische Schrift« verfestigt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wuchs durch die Aufklärung und die Französische Revolution das Interesse in Deutschland an Literatur aus Frankreich und der griechischen und der römischen Antike. Dieses Interesse förderte die Verbreitung der Antiqua auch in Deutschland. Ab den 20er revolutionierte die moderne Kunst die Typographie, besonders der Futurismus und Dadaismus. Junge typographische Gestalter distanzierten sich von der Typographie der Verlagshäuser und Druckereien, deren typographische Kultur sich mehrheitlich an Gebrochenen Schriften orientierte. Im Zuge der vom Weimarer Bauhaus eingeführten »Neuen Typographie« setzte sich immer mehr die Antiqua durch, wie die Futura und die Bauhaus. Die Frakturschrift wurde allmählich abgelöst.

SCHWABACHER SCHRIFT FRAKTUR IST AUCH EINE NAZI-SCHRIFT Die Fraktur wird oft leichtfertig als »alte Schrift« bezeichnet, obwohl die tatsächlich antiken, lateinischen Buchstaben sehr viel älter sind. Im Mittelalter benutzten alle europäischen Länder die gotische Schriften wie die Textura oder die Rotunda – diese Gebrochene Schriften wurden aber bis zum Ende der Renaissance von der wiederentdeckten Antiqua verdrängt. Das deutschsprachige Volk blieb jedoch bei den Gebrochenen Schriften, sie waren die meist gedruckten Schriften von Mitte des 16. bis Anfang des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Dies lag vor allem am Siegeszug des Protestantismus: Luther ließ seine deutsche Übersetzung der Heiligen Schrift in der Gebrochenen Schrift seiner Zeit drucken, der Schwabacher. Mit dieser Bibel erlernte das Volk das Lesen und so bildete sich am Anfang des 16. Jahrhunderts die deutsche Eigenheit heraus, zwei Schriften zu pflegen: Deutschsprachiger Text wurde 52


BEISPIELE FÜR »NEUE TYPOGRAPHIE« Linke Seite: Januar- und Februar-Cover für das Arena Sportmagazin, 1927 gestaltet mit Grotesker Schrift von John Heartfield, deutscher Fotomontagekünstler Rechte Seite: Dlia golosa Illustrated book with twenty-four letterpress illustrations, 1923 gestaltet von El Lissitzky, russischer Maler und Typograph

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Die deutsche Gesellschaft öffnete sich endlich dem Einfluss der Welt und die Verwendung der Fraktur ging mehr und mehr zurück. Dieser Trend endete mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933. Die hemmungslose Glorifizierung deutscher Kultur trieb die Fraktur zu neuen und bizarren Blüten. Schriftgestalter wie Emil Mayer entwarfen moderne Varianten der Geborchenen Schriften mit dem Namen »Tannenberg« oder »Element«; das sind Schriften, deren künsterlischer Wert als mittelmäßig einzustufen ist und die von den Setzern mit dem vielsagenden Begriff »Schaftstiefelgrotesk« bezeichnet wurden. Die Fraktur war die offizielle Amtsschrift für Druckerzeugnisse im Deutschen Reich. Antiqua wurde in jeder Form als fremdländisch und »nichtarisch« abgelehnt. »Arteigene« Schriften waren ausschließlich die gotischen und Frakturschriften, insbesondere die Schwabacher. Die Nazis propagierten die Gebrochenen Schriften überhöht und als die »einzig wahre deutsche Schrift«, da sie als Ausdruck deutscher Identität galt. Man berief sich auf Cäsar Flaischlen, ein deutscher Lyriker, der »Vom Herrenrecht unserer deutschen Schrift« gedichtet hatte. Das ging so weit, dass 1937 jüdischen Verlagen verboten wurde, die Fraktur zu verwenden – weil sie ihrer angeblich nicht würdig waren. Doch ist das Erscheinungsbild der Nazis wirk54

lich so frakturbesessen? In der Praxis existierten wie schon seit Jahrhunderten beide Schriftarten, bis zum Verbot der Fraktur im Januar 1941. Das Verbot wurde in einem Rundschreiben durch den Stellvertreter des Führers, Martin Bormann, ausgesprochen. Sinnigerweise stand auf dem Briefkopf des Rundschreibens »Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Der Stellvertreter des Führers« noch in Fraktur gesetzt... In diesem Rundschreiben wurde die gotische Schrift plötzlich als »Schwabacher Judenletter« gebrandmarkt und verboten. Für diese Maßnahme gab es eine Reihe von Gründen: 1941 war Mitteleuropa vom Deutschen Reich beherrscht, der Feldzug gegen Russland stand bevor. Zum einen wollte man also die Kommunikation in den besetzten Gebieten erleichtern, und diese konnten die Fraktur einfach nicht lesen, weil sie die Antiqua gewöhnt waren. Zum anderen mag aber auch auf-gefallen sein, dass das Kampfblatt der NSDAP, der »Völkische Beobachter« seine hetzerischen Titelzeilen in der Bernhard-Fraktur Extrafett setzte, einem ausgewanderten jüdischen Werbegrafiker. Die Hersteller neuer Schrifttypen reagierten auf den Erlass, das zumindest zeigen die Anzeigen der »Gebrauchsgraphik«, der wichtigsten Zeitschrift für Setzer, Grafiker und Drucker zu der damaligen Zeit. Gebrochene Schriften wurden nach 1941 gar nicht mehr beworben. Dafür aber die 1927 von Paul Renner gestaltete Futura um so mehr: Sie sei die neue deutsche Schrift und symbolisierte die junge Industriegesellschaft, den Fortschritt: »FUTURA. Die Schrift unserer Zeit begleite das Bild unsere Zeit.«


Man muss ganz klar fest halten: Richtig ist, dass die große Masse der Nazi-Propaganda mit Gebrochenen Schriften vor 1941 gedruckt worden ist. Die Gebrochene Schrift an sich entstand jedoch bereits im 16. Jahrhundert und war seitdem die vorherrschende Druckschrift im deutschsprachigen Raum. Deswegen ist es falsch, die Frakturschriften aufgrund ihrer Popularität in den Jahren 1933 bis 1941 als Nazi-Schrift zu bezeichnen und sie einfach mit dem Dritten Reich gleich zu setzen. Dass die Gebrochenen Schriften trotz ihres Verbots 1941 ihr Image der Nazi-Schrift heute immer noch nicht abgelegt haben, liegt an der Tabuisierung des gesamten Nazi-Themas im Nachkriegsdeutschland. Der Einsatz von Fraktur beschränkt sich bis heute auf Zeitungsköpfe, Bier-Logos und Gasthäuser. In den späten 90ern wird die Fraktur für verschiedene

Subkulturen wieder entdeckt, besonders im Musikbereich wird sie für verschiedenste Genres benutzt: sie transportiert die mittelalterlich-romantischen Sehnsüchte der Gothics, das Böse und Schwere des Heavy Metals als auch die Härte der Rapper. Im öffentlichen Leben bleibt die Fraktur präsent durch alte Straßenschilder, urige Wirtshausschilder und Biermarken, denen sie eine gewisse Altertümlichkeit und Rustikalität verleiht. PS: Hitler selbst mochte die gotische Schrift nicht, sie widersprach angeblich seinem ästhetischen Ideal von monumentaler Modernität, das er eher in Paul Renners Futura von 1927 verwirklicht sah.

BEISPIEL-COVER FÜR FRAKTUR IN DER MUSIKSZENE Ganz verschiedene Musikrichtungen benutzen Gebrochene Schriften: angefangen beim Hip Hop über Gangsta Rap und Gothic bis hin zu Pop

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nw HORN

Binnenr채ume von Buchstaben, Geschlossen oder offen Schrift: Malaga


bkl TROPFEN Runde Verdickungen bei a, b, c, g, h, j, k oder l Schrift: Fette Kanzlei

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»Das Faszinierende war für mich immer, dass keiner, der sich mit Schrift und Typografie am Bauhaus beschäftigte, das je ordentlich gelernt hatte. Alle waren Dilettanten im besten Sinne des Wortes, Liebhaber. So war es für sie nichts Besonderes, sich über die handwerklichen Traditionen und die ›Regeln der Kunst‹ hinweg zu setzen.« PROF. GERD FLEISCHMANN, 07.08.06, TYPO. LERNEN VOM BAUHAUS

»Typografie kann auch als Kunst gesehen werden, und nicht nur als Transporter für textliche Inhalte.« SLANTED-REDAKTION, 19. OKTOBER 2007, SLANTED.DE

»Typographie ist keine Wissenschaft. Typographie ist eine Kunst.« SEBASTIAN NAGEL, 16. DEZEMBER 2007, FONTBLOG.DE

»Typografie ist die Kunst, Sprache in eine dauerhafte visuelle Form zu bringen mit allem, was zum Sprechen gehört: Rhythmus, Ton, Lautstärke, Duktus, Klangfarbe – bis hin zur Körpersprache.« PROF. GERD FLEISCHMANN, 07.08.06, TYPO. LERNEN VOM BAUHAUS 58


RUBRIK KLISCHEES TYPOGRAFIE IN DER KUNST

KUNST IST DER TOD DER TYPOGRAFIE. OTL AICHER – GESTALTER

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DADAISMUS * 1920 Schweiz Der Sinn des Unsinns Ab den 1920er Jahren revolutionierte die moderne Kunst, insbesondere der Futurismus, der Dadaismus und der Konstruktivismus die Typographie. Junge typographische Gestalter distanzierten sich von der Typographie der Verlagshäuser und Druckereien, deren typographische Kultur sich mehrheitlich an Gebrochenen Schriften orientierte. Für sie symbolisierte die neue Grotesk-Typographie die junge Industriegesellschaft, den Fortschritt, den Internationalismus. Die Künstler propagierten und ideologisierten eine »Moderne Neue Typographie«. Unter ihnen waren Karel Teige, El Lissitzky, Marcel Breuer, Jean-Michel Basquiat, László Moholy-Nagy, Jan Tschichold, Paul Renner und Kurt Schwitters.

innert, »gegen die Dummheit und die Eitelkeit des Menschen protestieren« – und zum Umdenken animieren. »Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann«. Das Chaos und der Zufall sind die Generatoren des Dadaismus. Bruitistische Konzerte, sonderbare Lautgedichte, absurde Textvorträge, aus Alltagsgegenständen entworfene Kostümierungen der Akteure, willkürliche Foto-Montagen, überladene Stempelzeichnungen – all das irritierte und schockierte das Publikum der Roaring Twenties.

Der Dadaismus war die Antwort einiger immigrierter Künstler in der Schweiz auf den 1. Weltkrieg, auf eine aus den Fugen geratene Welt. Mit Arbeiten, die alle bisher gültigen Werte schamlos ad absurdum führten, wollten die Künstler, wie Hans Arp sich er-

FILIPPO MARINETTI Oben rechts: Montage + Vallate + Strade x Joffre, 1915 Unten links: Zang tumb tumb, 1912 ILYA ZDANEVICH Unten rechts: Soirée du Cœur a Barbe, 1923

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BARBARA KRUGER * 1945 USA Collagen, Fotografien, Installationen www.barbarakruger.com Barbara Kruger ist eine amerikanische Fotografin und Konzeptkünstlerin. In ihren Werken thematisiert sie politische und soziale Fragen aus feministischer und konsumkritischer Sicht. Sie lebt und arbeitet in New York und Los Angeles.

derkehrendes Motiv bei Kruger ist die Gegenüberstellung der Bildern mit Texten, die Sexismus und Misogynie kritisieren, ebenso wie die Machtzirkulation und das Konsumverhalten in der Gesellschaft.

Krugers Fotobilder stützen sich auf die Ikonographie von Film und Fernsehen und dekonstruieren visuell wie auch verbal die Stereotypen der Massenmedien. Ihre Arbeiten bestehen meist aus schwarz-weißFotografien mit darübergelegter Ebene mit Schlagworten in roter Futura-Bold-Oblique in rotem Rahmen eingefasst. Oft benutzt sie direkte Anreden wie »you«, »I«, »we«, oder die Befehlsform. Ein wie-

FOTOGRAFIEN UND SIEBDRUCK Oben rechts: Don’t turn me inside out, 2008 274,5 x 187,5 cm Mary Boone Gallery, New York, USA Unten Links: Roy toy, 1986 352 x 90,5 cm The Broad Art Foundation, Santa Monica, USA Unten mitte: I shop, therefore I am, 1987 282 x 287 cm Mary Boone Gallery, New York, USA Unten rechts: Not stupid enough, 1997 keine weiteren Angaben Mary Boone Gallery, New York, USA 61


JENNY HOLZER * 1950 Ohio Gemälde, Skulpturen, LED-Installationen www.jennyholzer.com

»Abuse of Power Comes as No Surprise« war einer dieser Sätze aus Jenny Holzers »Truisms«-Serie, die sie Ende der 70er Jahre auf Poster sowie Flyern und T-Shirts druckte, um damit die Straßen von Manhattan zu pflastern. Seit sich Jenny Holzer 1982 erstmals der LED-Technik bediente, um ihre Texte zu veröffentlichen, ist diese Technologie zum Hauptmedium ihrer Kunst geworden. Die Aphorismen bestechen durch die Verbindung überwältigender visueller Effekte mit eindrucksvollen Texten poetischer, sozialkritischer und politischer Natur. Schließlich nutzte sie diese neue Technik der computergesteuerten Anzeigetafeln, Werbeflächen und Lichtbänder an Plätzen und Hochhäusern zur Erweiterung ihres Aktionsraums. So bespielte sie unter anderem die Glaspyramide des Louvre in Paris oder die Fassade des Times Square in New York. Die Texte, die Jenny Holzer für diese Projektionen verwendet, sind teils ihre eigenen, teils die anderer

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AutorInnen. Unter anderem verwendet sie Werke der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska oder des Amerikaners Henri Cole. In der Fondation Beyeler durchfluten Jenny Holzers Textbotschaften die Räume: flirrende LED-Bänder überkreuzen sich, Wortfetzen fließen über den Boden und gaukeln eine poetische Schönheit vor. Doch die wird, sobald man die Aphorismen verinnerlicht, harte Wirklichkeit. Die Arbeiten erzählen von zerbrochener Liebe, von verwirrten Gefühlen, und von Krieg, Tod und Grausamkeiten – aus verschiedenen Perspektiven, auch die eines Mörders.


JENNY HOLZER IN DER FONDATION BEYELER Oben: For Chicago, 2008 Unten: Monument, 2008 Texte aus Truisms, 1977–79 und Inflammatory Essays, 1979–82 63


Jason Rhoades war ein amerikanischer Künstler, der bekannt für seine spektakulären Rauminstallationen und raumgreifenden Inszenierungen war. Wie bei einem Mobile hängen lauter Worte in bunter, beleuchtete Neonschrift von den Decken, der Boden ist mit Tüchern, Decken und Kissen bedeckt, was den Räumen eine helle und leichte Atmosphäre verleiht. Auffällig sind großformatige Bücher wie: »1724 * Birth of the Cunt« steht auf ihnen, und darin befinden sich in alphabetischer Reihenfolge 1724 Ausdrücke für das weibliche Geschlechtsorgan u.a. in afrikanisch, karibisch, kreolisch. 1724, cunt, Kant? Rhoades verweist auf »das Geburtsjahr von Immanuel Kant. Er war wohl ein extrem trockener Geist, aber auch einer der hellsten Köpfe dieser Epoche. Den eleganten Mann aus Königsberg feiern die Lichter von Madinah…«

JASON RHOADES * 1965 Newcastle †2006 Los Angeles Installationen, Inszenierungen www.davidzwirner.com/artists/5/

MY MADINAH In Pursuit of my ermitage, 2004 Sammlung Hauser & Wirth, St. Gallen, Schweiz 1724 Ausdrücke für das weibliche Organ

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MUSTAFA HULUSI * 1971 London Gemälde, Grafiken, Plakate, Fotografien, Filme www.mustafahulusi.com

Mustafa Hulusi ist ein in London lebender Künstler und Kurator mit türkischer Abstammung. Er stellt die Frage nach der Autorschaft in der Kunst. Seine Arbeiten kritisieren die moderne Gesellschaft. Seine Plakate schmückten 2005 ganz London super plakativ – nur mit seinem Namen. Er brachte sich selbst damit ins Rampenlicht und regte zum Nachdenken an: Wer steckt hinter dem Namen? Wer ist diese Person? Und warum steht der Name auf so einem? Der Künstler ist zum Objekt seiner eigenen Arbeit geworden. Durch diese forsche Art der Eigenwerbung und die aggressive Self-Promotion wurde die Rolle des Künstlers hinterfragt.

PLAKATE Links: Mustafa Hulusi, 2005 Tintenstrahldruck auf Papier 305 x 609,5 cm (48 Billboard) Patrick Painter and Max Wigram Gallery Rechts: Loveletter to where i am from, 2007 Tintenstrahldruck auf Papier 305 x 609,5 cm (48 Billboard) Patrick Painter and Max Wigram Gallery 65


Alex Trochut ist ein spanischer Illustrator, er arbeitet als Freelancer seit 2007 in Barcelona und hat in dieser kurzen Zeit Berühmtheit erlangt durch den Schriftzug für das schlichte Rolling Stones GoldCover. Mittlerweile inszeniert er auch Typografie für Dvein, Nike, Nixon, Coca-Cola, British Airways und Non Format. Für Beautiful Decay entwarf er T-Shirts sowie das Cover das Cover The Hyperspectrum . Alex Trochut greift in seinen Illustrationen und typografischen Entwürfen den Stil des Minimalismus auf und konterkariert ihn in seinen Arbeiten: »Die Typografie sind die Knochen eines Körpers, die Illustration die Haut.« Er erzeugt dicke ikonografische Zeichen, die durch dünne Haarlinien lebendig werden und die Wirkung erzielen, aus der Seite auszureißen oder herunter zu tropfen. Sein Motto dabei lautet: »More is more.« Detailreich und elegant in der Ausführung überzeugen seine grafischen Arbeiten gleichzeitig durch formale Üppigkeit und sanfte Zurückhaltung.

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ALEX TROCHUT * 1981 Barcelona Typographie, Illustration, Art Direktion www.alextrochut.com


FUTURECRAFT. LOGO Logotipe and label application.

ARJO WIGGINS. POSTER Arjo Wiggins is a paper company and after touching the sheet they gave me, I decided to do this type composition with clay. This is Sensation Tradtion Extra White. Gotta feel it!

BEAUTIFUL DECAY. COVER LETTERING L.A. based art and design magazine Beautiful Decay commissioned me to do their cover for Issue T: The Hyper Spectrum.

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ALLE BILDER El alma del Ebro, 2009 wandernde Skulptur, 11m Höhe, bemalter Stahl

Leitmotiv für seine Arbeit ist ein Satz von W. Blake: »Ein einziger Gedanke füllt die Unendlichkeit.« Das schriftliche Wort ist als Material ein wichtiges Element in Plensas Werken, die nachhaltig die Imagination des Betrachters ansprechen. Sein Ziel ist die poetische Verdichtung und gedankliche Durchdringung des Raums.

JAUME PLENSA * 1955 Barcelona Skulpturen www.jaumeplensa.com

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»Die Seele des Ebro« entstand in Zaragoza für die Expo 2008 unter dem Motto »Wasser und nachhaltige Entwicklung.« Die Statue ist elf Meter hoch, die einzelnen Buchstaben stellen die Zellen des menschlichen Körpers dar, der aus über 60% Wasser besteht. Die filigranen weißen Lettern und die höhlenähnliche Struktur laden den Betrachter ins Innere der Skulptur ein und regen zum Nachdenken an über die Beziehung des Menschen zu Wasser. Des Nachts scheint die beleuchtete Figur von innen heraus zu strahlen.


VERA RÖHM * 1943 Lech Skulpturen, Fotografien, Zeichnung, Typografie und Installationen www.veraroehm.com

Vera Röhm ist eine deutsche Bild- und Steinhauerin. In ihren Stahlskulpturen thematisiert sie Schatten-, Sonnen- und Tageszeitphasen. Sie lebt und arbeitet heute in Darmstadt und Paris.

TEXTFRAGMENTE aus den Metamorphosen von Ovid „Narziss und Echo“ 2009 7 Texte, Buchstaben je 100-250 x 50 cm Bad Homburg v.d. Höhe

Ihre Arbeiten faszinieren durch die Kombination von Materialien: Kunststoff mit Holz, Fell mit Stein, Metallbuchstaben im Wasser. Klare Formen wie Stäbe, Winkel oder Schrift dominieren das Werk. Durch die Verzerrung dieser geometrischen Figuren mit Einschnitten, Verstümmelungen und Wiederherstellungen erreicht sie eine mehrdimensionale Sicht, die den Betrachter herausfordert und spannungsvolle Lichtbrechungen erzeugt. Vor dem Hintergrund der Beschäftigung mit Geometrie schafft sie Objekte, die die Grenzen von Kunst, Wissenschaft und Technik sowie Zeit und Bewegung thematisieren. Essays des römischen Dichters Ovid runden diesen Band ab.

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fh MainZ, 2010


GuGel, lerch, Oppenhäuser

Querschnitt X – TypOGrafie in Drei Teilen

QuerschniTT Lesetypo, DispLay-schriften & Gebrochene

TypOGrafie in Drei Teilen


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