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SAS Legends: Prinz Hermi

PRINZ HERMI

Hermann „Hermi” gericke war zu seinen aktivzeiten einer der besten Schweizer Schwimmer. Nachdem er 1952 in Helsinki an den olympischen Spielen teilgenommen hatte, verpasste er die Spiele 1956 in Melbourne aus politischen gründen. Stattdessen erlebte er Weltgeschichte hautnah – als Delegierter des IkRk in einem humanitären Einsatz in Ungarn.

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Rio | SAS News Redaktion

1 FISU-Generalsekretär Charly Schneiter überreicht Hermi an der Universiade 1951 in Luxemburg die Goldmedaille.

Trotz seiner 91 Jahre bewegt sich Hermann Gericke immer noch sportlich, die Stimme ist angenehm kraftvoll und klar, seine Gedanken formuliert er bestechend präzise. Ich besuche Hermi in Küsnacht, wo er seit einem Vierteljahrhundert mit seiner Frau Vroni, einer Pädagogin und Kunstliebhaberin, lebt. Im Anwesen mit Seeanstoss fand auch schon ein SAS-AH-Stamm statt. Manch SASler mag sich erinnern, dass der Gastgeber dann plötzlich auf dem Klavier eine wunderschöne Melodie anstimmte. Noch heute setzt sich Hermi jeden zweiten Tag ans Klavier und spielt regelmässig mit einem befreundeten Cellisten im Duett. „Das hält die Hände geschmeidig”, sagt er und lächelt mit seiner typischen Zahnlücke. Ältere SASler kennen Hermi auch als begabten Zauberer, der mit Taschenspielertricks schon manche Tischrunde auflockerte. Die Tricks beherrscht er noch immer – wie er dem Besucher anschaulich demonstriert.

Polysportives ass

In den SAS kam Hermi durch seinen älteren Bruder Willi – ein nordischer Springer und längere Zeit technischer Leiter in unserem Club. „Eigentlich machte ich einfach alles nach, was mein Bruder vormachte”, erinnert Hermi sich an den vor wenigen Jahren Verstorbenen. Als Wintersportler zeichnete Hermi eine Vielseitigkeit aus: 1955 wurde er Schweizer Hochschulmeister in der später abgeschafften Vierer-Kombination: Diese bestand aus Slalom, Abfahrt, 12 Kilometer Langlauf sowie Springen auf einer 40-Meter-Schanze.

Gleichzeitig war Hermi als Studentensportler auch im Schwimmen eine Klasse für sich: In seiner Paradedisziplin Rückencrawl über 100 Meter blieb er von 1948 bis 1956 ungeschlagener Schweizermeister. 1951 schwamm er an der Universiade in Luxemburg im Rückencrawl über 100 Meter auf den 1. Rang. Diesen Erfolg konnte er vier Jahre später an der Universiade in San Sebastian wiederholen. Da er seinen Titel als Ski-Hochschulmeister in der Vierer-Kombination im selben Jahr holte, wurde er in einer Rangliste von Schweizer Sportjournalisten betreffend aller nationalen Sportler im 10. Rang geführt.

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2 Medaille aus gepresstem Kohlenstaub: Silber für Hermi an der Universiade 1953 in der damaligen Kohlenmetropole Dortmund.

3 Hermi (3.v.l) im Team der Schweizer Olympiamannschaft der Schwimmer von Helsinki 1952.

4 Erneuter Erfolg: 1. Platz an der Universiade 1955 in San Sebastian.

Zwei Liter Milch pro tag

Von der Schweizer Zeitung „Sport” wurde Hermi einmal als der „Schweizer Schwimmerprinz der Nachkriegsjahre” bezeichnet. Sportlichen Erfolg erringt man jedoch nicht durch Noblesse, sondern mit harter Arbeit. Hermi: „Ich absolvierte im Winter drei- und im Sommer fünfmal wöchentlich abends zwei Stunden Schwimmtraining. Dazu täglich zuhause Kraftgymnastik auf einem selbstgebastelten Trainingsgerät.” War Doping ein Thema? „Das ist mir nicht bewusst. Weil mir jemand mal dazu geraten hatte, trank ich aber jeden Tag zwei Liter Milch.” Neben dem Spitzensport absolvierte Hermi erfolgreich ein Maschinenbaustudium an der ETH und fand darüber hinaus noch Zeit, auch mal ins Theater oder an Konzerte zu gehen. Hermi nüchtern: „Damals konnte man als Amateur noch Leistungssport betreiben. Aber ich habe mir meine Zeit gut eingeteilt und keine Minute mit Unnützem verplempert.” Preise gab es ausser Medaillen keine zu gewinnen, Sponsoring war noch kein Thema: „Selbst den Eintritt ins Schwimmbad bezahlten wir selbst.”

Früher Schicksalsschlag

1952 starb unerwartet Vater Otto, Chef der zweiten Generation der familieneigenen Firma Gericke, spezialisiert auf Maschinenbau für Schüttgutverarbeitung. „Jetzt müsst Ihr in die Firma kommen”, habe der Onkel ihm und seinem Bruder damals befohlen. Das nötige Wissen eignete sich der erst 24jährige Hermi mit einem berufsbegleitenden Studium in Betriebswissenschaft an. Während sein Bruder Willy technischer Leiter und für das Personal zuständig war, leitete Hermi während 34 Jahren den Verkauf und die Finanzen. Die Gericke AG mit Hauptsitz in Regensdorf/ ZH beschäftigt heute rund 350 Mitarbeitende auf der ganzen Welt. Geschäftsführer Markus Gericke – Hermis ältester Sohn – konnte im vergangenen Jahr den EY-Award als Familienunternehmer des Jahres entgegennehmen. Die Gericke AG unterstützte den SAS während vieler Jahre als grosszügiger Sponsor.

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„optimale Wasserlage”

Seinen Hintergrund als Ingenieur kann Hermi nicht verheimlichen: Als er beschreibt, wo sein Haus in St. Moritz genau liegt, zeichnet er in wenigen Sekunden mit schönen und exakten Linien eine Kroki-Skizze. Hier, am berühmten Suvretta-Hügel, empfing er anlässlich von Anglo-Swiss, Italo-Swiss oder AH-Stämmen immer wieder SASler-Freunde zum Apéro. Immer wieder beeindruckt auch der scharfe Verstand des 91-Jährigen. Zusätzlich offenbart Hermi ein Elefantengedächtnis, als er noch genau weiss, dass 1947 an den Schweizer Langstreckenmeisterschaften über 10 km das Wasser des Rheins exakt 21 Grad betrug. Damals habe er gemerkt, dass er sich auf dem Rücken in einer für seine Anatomie optimalen Wasserlage befand: „Ich kraulte lediglich während der ersten Meter. Danach legte ich mich auf den Rücken.” So habe er einen nach dem anderen überholt. Nach 1:15 Stunden kam er völlig überraschend als Zweiter ins Ziel.

In offizieller Mission

In seiner Paradedisziplin 100 Meter Rückencrawl war Hermi 1956 für die Olympischen Spiele in Melbourne in Australien nominiert. Dann kam die Weltpolitik dazwischen: Aufgrund des russischen Einmarsches in Ungarn beschloss das Schweizerische Olympische Komitee (SOC), die Spiele zu boykottieren.

Nach einer zweiten Abstimmung entscheidet das SOC sich um: Alle Athleten nehmen teil – ausser den Turnern. So kurzfristig lässt sich jedoch kein geeignetes Langstreckenflugzeug mehr organisieren: Nach der ursprünglichen Absage des SOC hatte die Swissair das „Olympiaflugzeug” im Auftrag der UNO in den Nahen Osten geflogen: Zur Entsendung von Hilfsgütern nach dem Waffenstillstand zwischen Israel und Ägypten.

Extrem enttäuscht steckte Hermi aber nicht den Kopf in den Sand. „Gemeinsam mit anderen verhinderten Olympiateilnehmern beschlossen wir auf eigene Kosten nach Wien zu reisen, um bei Hilfstransporten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz nach Ungarn zu helfen.” Vor Ort kam es, dass Hermi vom leitenden Rotkreuz-Delegierten einen Spezialauftrag erhielt: Er sollte als offizieller RotkreuzDelegierter zwei Lastschiffe mit Kartoffeln auf der Donau nach Budapest begleiten. Ausgestattet mit einer „ordre de mission” und Rotkreuz-Binde machte er sich auf. Nach zweitägiger Fahrt ankerten die Schiffe direkt vor dem ungarischen Parlamentsgebäude. Hermi erinnert sich: „Das Zentrum der Stadt war mit russischen Panzern besetzt. Nach einer Übernachtung kehrte ich mit einer LKW-Kolonne wieder nach Wien zurück.” Zuhause gründeten 24 der verhinderten Olympia-Teilnehmer, Sportjournalisten sowie die beiden Air-Hostessen den „Melbourne-Club” mit eigenem Emblem, Fahne und Club-Krawatte.

Den Wintersport musste Hermi vor einem Jahr aufgeben. Noch heute schwimmt er aber jede Woche einmal. Im Winter im Hallenbad – im Sommer im See. Hat er noch ein zweites Geheimnis für seine blendende Gesundheit? „Ich mache jeden Tag 20 Minuten Turntraining – und anschliessend ein paar Fingerübungen.” Diese kommen ihm dann wiederum beim Klavierspiel zugute.

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