PONY # 73 05/12

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73 Mai 4

2012

Eichsfelder Heimattag Stracke von rechts

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Daniil Charms

Herausfallende alte Frauen 6

SST-Records

Corporate Rock Still Sucks 7

Philipp Messner

Kunst aus dem Pferdebauch

8

Attenberg

Neues griechisches Kino 12

Hipster

Wir müssen leider draußen bleiben

16

Sóley & Sin Fang

Piano-Pop und Soft-Psychedelia 18

Filme

20

Digitales

21

Spiele

22

Tonträger

24

Bücher

26

Theater

27

Kolumne

28

Sterne

30

Terminkalender

40

StadtKarte

41

Impressum

42

PONYhof

3 Inhalt


R e c h t e

S z e n e

Leichtes Spiel Der Eichsfelder Heimattag geht in die zweite Runde. Manuel Schaper

Thorsten Heise, mehrfach wegen Gewalttaten vorbestrafter Neonazi, sagenhaftes Justizwunder und Führungsfigur der rechten Szene, will es noch mal wissen: Der von ihm im letzten Jahr in Leinefelde veranstaltete Eichsfelder Heimattag geht am 5. Mai in die zweite Runde. Heimattag, das klingt erstmal recht unverdächtig, nach Volksmusik und Schlager, nach Bierzelt und Bratwurst, nach gerührter Oma und gelangweiltem Enkelkind. Man merkt zwar schon am Namen, das ist nicht unbedingt was Schönes, wie unschön das Ganze aber wirklich ist, vermag der Name gar nicht auszudrücken. Der Eichsfelder Heimattag ist nämlich kein dörflich-bierseliges Schunkelevent nostalgieergriffener Regionalenthusiasten. Er ist ein Versuch von NPD-Politiker Heise, ein regelmäßiges Event der rechten Szene in unmittelbarer Nachbarschaft zur linken Hochburg Göttingen zu etablieren. Ein Rechtsrock-Festival mit irgendwie familienorientiertem Rahmenprogramm, anschlussfähig ans ländliche Milieu, in dem die gute Nachbarschaft noch zählt. Ein Milieu, auf das es die NPD schon lange abgesehen hat. Wo sie und ihre Sympathisanten sich unter dem Vorzeichen von Strukturschwäche und verkrusteter Lokalpolitik als unbürokratische Anpacker inszenieren können, haben sie dabei leichtes Spiel. Sie erscheinen dann als das, was sie gerne wären, nämlich als innovative Kraft, die Schwung in den Laden bringt und ganz allgemein „für Ordnung“ sorgt. Wie diese Ordnung letztlich aussieht, das kennt man aus den Nachrichten. Linke Gruppen und bürgerliche Kräfte aus Göttingen und dem Eichsfeld haben erwartungsgemäß wieder Proteste angekündigt, wollen Heise die Tour vermasseln. Das hat er letztes Jahr ganz allein geschafft. Zwar konnte das Festival unter Polizeischutz stattfinden, doch dank szeneunfreundlicher Terminwahl kamen weit weniger Gäste als die erwartete vierstellige Zahl. Organisatorisches Missgeschick und anscheinend selbst für Neonazis zu beschissene musikalische Darbietungen haben dann die Mehrzahl der wenigen Angereisten enttäuscht nach Hause fahren lassen. Vielleicht bleiben sie diesmal gleich ganz weg.


A v a n t g ard i s m u s

Die aus dem Fenster fallen Wodka, Kafka und Surrealismus – die brillanten Texte von Daniil Charms auf der Lesebühne. Kerstin Cornils

Alexander Nitzberg, Mitherausgeber der Werke von Daniil Charms, spricht am 24.5. um 20:00 Uhr im Lit. Zentrum mit Eva Profousová über seine Arbeit als Übersetzer und performt die zauberhaft-absurden Gedichte Charms’. Die Werksausgabe in vier Bänden (Prosa, Gedichte, Theaterstücke, Autobiographisches) ist 2010/11 im Galiani Verlag erschienen.

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Ständig fällt bei Daniil Charms jemand aus dem Fenster. In nur vier Sätzen häuft die 1937 fertig gestellte Prosa-Miniatur „Herausfallende alte Frauen“ immerhin sechs Todesfälle auf. Doch wer sind all diese bedauernswerten Wesen, die in die Tiefe springen? Und warum suchen sie den Tod? Für derlei Fragen ist in der schrillen und wunderbaren Prosa des Avantgardisten aus St. Petersburg keine Zeit. Das Leben der Charms’schen Verkäufer, Hausmeister und alten Mütterchen flackert auf wie ein Blitz, um anschließend wie ein klägliches Streichholz in der Gosse zu laden. Der Autor, der seine Heimatstadt gern im bizarren Sherlock-HolmesKostüm oder mit Schnuller am Hals durchstreifte, scherte sich einen Dreck um bürgerlichen Schnickschnack wie Mitleid, Psychologie und Ursachenforschung. Sein literarischer Kosmos wimmelt vor schmählich im Stich gelassenen Leichen und Abgeschobenen, denen nichts übrig bleibt, als bei klarem Verstand im Irrenhaus „unsichtbare Fische“ zu angeln. Doch vielleicht ist am Ende alles gar nicht so schlimm? Schließlich stecken Charms’ Unglücksraben ihre Blessuren mit der Nonchalance von Slapstick-Helden ein. Charms selbst kam 1905 nicht mit unverwüstlichen Gummigelenken zur Welt. Wohin es führen konnte, ein russischer Rebell zu sein, studierte er an seinem Vater, der wegen der Beteiligung am Attentat auf Zar Alexander II. zehn Jahre im Straflager verbracht hatte. Eine Warnung, die den Meister der absurden Todesfälle nicht schrecken konnte: Mit seinen zutiefst unsozialistischen Texten katapultierte er sich sehenden Auges ins gesellschaftliche Aus. Trotz Hunger und einer vorübergehenden Verbannung hörte er nicht auf, sich Geliebte zu angeln, tadellose Anzüge zu tragen und brillante Texte zu schreiben, die nach Wodka, Surrealismus und Kafka schmeckten. Nachdem Charms eine Schizophrenie vorgetäuscht hatte, um dem Militärdienst zu entgehen, landete er prompt in der Psychiatrie. Dort ist er 1942 während der deutschen Belagerung von Leningrad verhungert.


P r o g - P u n k

Verstörte Harcore-Kids Mal was anderes: Platten des legendären Plattenlabels SST-Records auf DJ-Tour. Michael Saager

„Gute Musik ist eine Frage der Kommunikation“, erzählt Greg Ginn in Martin Büssers Hardcore-Punk-Geschichte „If the Kids Are United“. Ginn, einer der innovativsten Gitarristen überhaupt, gründete 1978 zusammen mit Bassist Chuck Dukowski in Lawndale, Kalifornien, SSTRecords zunächst als Label für die eigene Band Black Flag, deren Musik, so Hausproduzent Spot, „genauso tröstlich“ sei, „wie Schreie, die einem den Schmerz erleichtern“. Binnen weniger Jahre war SST ein gegenkulturelles Sammelbecken für Folk, Metal, Psychedelic, Noise, Reggae usf., eine Heimat für ortsansässige Freaks wie die jazzaffinen Minutemen oder Sacchanrine Trust und für Geistesverwandte von außerhalb, etwa für die countryesken Meat Puppets oder die spätestens auf ihrem Überalbum „Zen Arcade“ hörbar von den Byrds und Beatles beeinflussten Hüsker Dü. Büsser hat das Kapitel über SST mit „Der Weg ins Uferlose“ überschrieben. Die Kritik, die darin anklingt, bezieht sich u. a. darauf, dass sich die Radikalität der frühen Platten von Black Flag („Damaged“), Minutemen („Buzz or Howl Under the Influence of Heat“) und Hüsker Dü („Land Speed Record“) nicht weiter steigern ließ – es handle sich um definitive Statements, um Beispiele für die konsequente Vollendung des Hardcore-Sounds bereits in den frühen 80ern. Deshalb führte, so Büsser, die stilistische Erweiterung des Labels zwar zu seinem eigentlichen Ruhm, allerdings auch notwendigerweise zu einem Aufweichen von Radikalität. Klar kann man das so sehen, aber man kann zweifellos auch die Freigeistigkeit des kalifornischen DIY-Labels zu einer Zeit bejubeln, als die Hardcore-Szene-Scheuklappen riesig waren, und die Musik zugunsten möglichst tanzbarer Slamdance-Events hübsch konturlos sein sollte. Bloß nicht zu viele Ecken und Kanten, an denen man sich reiben musste. Greg Ginn wollte gar nicht mit der Rocktradition brechen, mochte sich weder auf drei Akkorde beschränken noch den Dilettantismus des Post-Punks als politisches Statement feiern. Alles sollte nebeneinander möglich sein, rege miteinander kommunizieren. Als die Hardcore-Kids die monströs zerknirschten, ultralangsamen Klagelieder von Black Flags Album „My War“ (1983) hörten, waren sie maßlos entsetzt. Was für eine grandiose Platte!

SST-DJ-Abend mit DJ SST-One (Bremen, „Trust Fanzine“), DJ Schippy (Köln, „Trust Fanzine“) und Local DJ-Guests; 24.5., 20:00 Uhr, T-Keller


Tr o ja n i s c h e

K u n s t

Im Pferdebauch Performative Wirklichkeiten von Philipp Messner mit Pferd, Esel und Zizek. Tina Lüers

„Unknown again“: bis zum 17.6. im Alten Rathaus

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Als Agamemnon nach zehnjähriger Belagerung Trojas und Krieg gegen die Stadt endlich siegreich heimkehrt, ist ihm kein gutes Schicksal beschieden: Noch im Bad wird er von seiner Frau ermordet. So ist es derzeit im Deutschen Theater in „Die Orestie“ des Aischylos zu sehen. Die Griechen hatten damals ein großes hölzernes Pferd gebaut, in dessen Bauch sie listig als Geschenk verkleidet in die Stadt hineinrollten und die Trojaner besiegten. Ein ähnliches Holzpferd hat der Münchner Künstler Philipp Messner im Rahmen seiner Ausstellung „Unknown again“ durch die Göttinger Innenstadt geschoben: Ein großes, hölzernes Gestell, das, von innen begehbar, mit Spiegelfolie ausgeschlagen ist und nun im ersten Stock des Alten Rathauses steht. Es trägt die Fragen vom Pflaster mit nach oben: Ist Messner Agamemnon? Hat er die Göttinger besiegt? Oder wo ist Griechenland, die Wiege Europas? Wer sind die Trojaner? Die Menschen, die nach oben schauen und sich, hineingelockt, im Pferdeleib spiegeln? Oder doch die sich in Computer hineinfressenden Programme, die es nun auch im Bundesformat geben soll? Welches Schicksal droht Messner selbst bei seiner Heimkehr? Einige Fragen bekommen eine Wendung, wenn man an die reflektierende Möhre denkt, die dem Pferd vor der Nase baumelt und es antreiben mag, ein Anreiz, um Armeslänge entfernt. Einem Esel in einer Videoarbeit, von Messner ebenfalls mit Gestell und Möhre bestückt, hat das so nahe, aber doch unerreichbare Gemüse einige verzweifelte Lippen- und Kopfbewegungen gekostet, bevor er es doch noch erwischt. Die performative Wirklichkeit des Samstagmorgens mit Esel rund um das Gänseliesel gerinnt Teil um Teil in den weiteren Arbeiten, die im mit Wellpappe verdunkelten Rathaus zu sehen ist. Eine Hand, die ihre verschiedenen Positionierungsmöglichkeiten und Zeichenhaftigkeiten ausprobiert, ein SS-Totenkopfanstecker, der von einem Zug plattgewalzt wird, ein verachtfachter Slavoj Zizek, der ritual-, chorartig bei einer „Occupy Wall Street“-Kundgebung spricht. Wie die Räume in Hell und Dunkel geteilt sind, in Licht und Schatten, in Schwarz und Weiß, rau und glatt – wo ist die Grenze? –, spielen mit diesen Verhältnismäßigkeiten auch zwei installative Arbeiten, loten aus, was geht.


K r i s e n k i n o

Zarte Misanthropie Athina Rachel Tsangaris hinreißendes Coming-of-Age-Drama „Attenberg“ ist typisch für das neue griechische Kino.

Bella (Evangelia Randou)

Andreas Busche

Der Zeitpunkt, über ein neues griechisches Kino zu reden, könnte kaum unpassender sein. Die Politik hat dazu beigetragen, dass der Name Griechenland wenig positive Assoziationen weckt. Griechenland steht für Krise, Misswirtschaft, Krawalle auf den Straßen, Fremdenhass. Und damit übergreifend für ein Europa, das sich neu hinterfragen muss. Eine Filmkultur, die aus dieser Gemengelage erwächst, kann eigentlich nichts anderes hervorbringen als ein Kino der Krise. Dass Krisenkino aber keine Katastrophe sein muss, zeigt sich in diesem Frühjahr, weil mit Athina Rachel Tsangaris ebenso großartigem wie skurrilem Coming-of-Age-Drama „Attenberg“, für das Ariane Labed 2010 in Venedig mit


dem Darstellerpreis ausgezeichnet wurde, und mit „Alpen“ von Giorgos Lanthimos zwei Filme in die Kinos kommen, deren Regisseure viel für das Selbstverständnis des neuen griechischen Kinos getan haben. Lanthimos letzter Film „Dogtooth“ (2009) war im vergangenen Jahr für den Oscar nominiert – als erster griechischer Film seit fast fünfzig Jahren. Filme wie „Attenberg“, das Alltagsporträt „Wasted Youth“ (2010) von Argyris Papadimitropoulos und Jan Vogel oder Panos Koutras campy Transenliebesgeschichte „Strella“ (2009) könnten unterschiedlicher kaum sein. Wenn Tsangaris weibliche Hauptfiguren Marina und Bella indes mit Stechschritt-Choreografien ihrem Nicht-Einverstanden-Sein Ausdruck verleihen, der junge Skater Haris in „Wasted Youth“ auf seinem Rollbrett ziellos die Un-Orte seiner Stadt abklappert und Strella auf High Heels unaufhaltsam durch die Straßen Athens stöckelt, erschließt sich im neuen griechischen Kino eine Dynamik, die unmittelbar ans gesellschaftliche Leben rührt.

Wie machen Menschen das bloß? „Attenberg“ ist charakteristisch für die Temperatur des neuen griechischen Kinos: Reserviert, auf liebenswerte Weise emotional verkorkst, latent soziophob, neugierig und dabei mit einer unwiderstehlichen, rohen Energie ausgestattet. Dem warmen, mediterranen Licht wirkt Tsangari mit analytischer Klarheit entgegen. Ihre Figurenkonstellationen gleichen konzeptuellen Entwürfen mit einer lockeren Distanz zu ihrem Gegenstand. Tsangari beschreibt diesen Abstand als notwendig, um den Blick für die Verhältnisse zu schärfen. Zu große Nähe, sagt sie, mache befangen. Die Eröffnungsszene von „Attenberg“ veranschaulicht Tsangaris Haltung auf rührige Weise. Da stehen sich Marina und Bella vor einer weißen Wand gegenüber, ganz nah, wie in einem Western-Showdown. Bella steckt Marina die Zunge in den Mund. „Wie fühlt sich das an? Du musst atmen, sonst erstickst du“, belehrt Bella ihre Freundin. Kusstraining. Marina kennt Balzverhalten nur aus den Dokumentationen des Naturfilmers David Attenboroughs („Attenberg“, wie Bella sagt). Der Umgang mit den eigenen Artgenossen, speziell den männlichen, fällt der 23-Jährigen schwer. „Wie machen Menschen das bloß?“, wundert sie sich. In „Attenberg“ wird aufopferungsvoll inszeniert und nachgeäfft, doch Marinas Handlungen sind stiller Protest. Eine deviante Form der Trauerarbeit. Marinas Vater, einziger Verbündeter in ihrer zarten Misanthropie, liegt im Sterben, und ihr letztes Geschenk an ihn ist die körperliche Hingabe an einen anderen Menschen. Weil es mit 23 vielleicht doch mal an der Zeit ist, aber eben auch der Beruhigung des Vaters dient, der sich Sorgen macht um seine Tochter, die bislang nur mit dem Paarungsverhalten von Berggorillas vertraut ist. Und dann schenkt sie ihrem einsamen Vater, den sie sich immer ohne so ein Ding zwischen den Beinen vorgestellt hat, ein letztes Mal – mit Bella, die von Penisbäumen träumt und ohnehin für Marinas Vater schwärmt. Der ultimative Freundschaftsbeweis. „Attenberg“ ist mit seinen hinreißend knutschenden, sabbernden, spuckenden, stechschreitenden Hauptdarstellerinnen die schönste Liebeserklärung dieses Kinofrühlings. „Les demoiselles d‘Attenberg“ sozusagen, nur dass statt der symphonischen Zuckerwatte, die 1967 Jacques Demys „Les demoiselles de Rochefort“ süßte, bei Tsangari der Fürst der Entfremdung höchstpersönlich, Alan Vega, auf der Tonspur croont. Vegas entkörperlichter Rock’n’Roll beschreibt zugleich Marinas Verhältnis zur Welt. Da ist es nur konsequent, dass genau vier Worte sie vor der inneren Vergletscherung retten: „Alan Vega ist Gott.“ Mari9

„ Alan Vega ist Gott“


„Attenberg“ Regie: Athina Rachel Tsangari; Griechenland 2010; 95 Minuten; mit Ariane Labed, Evangelia Randou, Yorgos Lanthimos u. a.; ab 10.5. im Kino

na verliebt sich erst in eine abstrakte Idee von Liebe und später in die konkrete Vorstellung davon. Das Gefühl der Entfremdung ist so etwas wie das Leitmotiv im neuen griechischen Kino. Lanthimos Filme zum Beispiel erinnern in ihrem kühlen Versuchsbau eher an soziologische Experimente. In „Alpen“ schlüpfen die Mitglieder einer seltsamen Bedarfsgemeinschaft in die Rollen Verstorbener – die der Tochter, der Geliebten, des besten Freundes. Monte Rosa, die weibliche Hauptfigur, spürt in diesen Re-Enactments einem Gefühl von Wahrhaftigkeit nach, das ihr längst abhanden gekommen ist. Aber alle Ausbruchsversuche aus Lanthimos rigiden Wirklichkeitskonstruktionen sind von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Tsangari hingegen hat vor „Attenberg“ zehn Jahre in den USA gelebt. Sie beschreibt das Gefühl des Außenseiters als einen essentiellen Zustand. „Als Filmemacherin ist es wichtig, zunächst eine Distanz zu schaffen, um sich ein klares Bild von den Verhältnissen zu machen.“ Auch Konstantinos Giannaris, dessen Migrantenporträt „From the Edge of the City“ (1998) Tsangari einen wichtigen Referenzpunkt für das neue griechische Kino nennt, lebte viele Jahre im englischen Exil.

Florierende Mangelwirtschaft

Marina (Ariane Labed)

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Man könnte den neuen griechischen Film als florierende Mangelwirtschaft beschreiben. Für Tsangari ist die Solidarität untereinander die treibende Kraft. Die widrigen wirtschaftlichen Verhältnisse sind ausschlaggebend für die aufregende Entwicklung im aktuellen griechischen Kino, das gerade zwei Riesenschritte auf einmal nimmt. Während sich die Strukturen noch im Aufbau befinden, wird fleißig weiter produziert – ohne staatliche Förderung, mit Minimalbudgets, in zäher, aufopferungsvoller Kleinarbeit. Die Energien, die bei diesen Arbeitsprozessen freigesetzt werden, sind in den Filmen von Tsangari, Lanthimos & Co. förmlich zu spüren. Kein Wunder, dass das Kino aus Griechenland bei Festivals derzeit so hoch im Kurs steht. Griechenland hat sich lange im Glanz der eigenen glorreichen Vergangenheit gesonnt. Tsangari betrachtet die selbst gewählte Isolation angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise äußerst kritisch. In „Attenberg“ bricht es einmal aus dem Vater heraus, als er über die Stadt blickt, die er selbst mitentworfen hat: Aspra Spitia ist ein perverses Konstrukt der sechziger Jahre, eine moderne, dem sozialistischen Ideal nachempfundene Arbeitersiedlung, finanziert vom Industriekapital des damals boomenden Griechenlands. Heute ist sie eine Totenstadt. Sie hätten eine Industriekolonie auf einer Schafweide errichtet, meint der Vater verbittert. Ein Bild, das bis ins gegenwärtige Kino Griechenlands nachwirkt. Tsangari & Co. haben innerhalb kürzester Zeit vierzig Jahre Filmgeschichte aufgeholt. Dass sie dasselbe Schicksal wie Aspra Spitia ereilt, steht nicht zu befürchten.



P o p - T h e o r i e

Kein Zutritt für Hipster Wenn Pop-Intellektuelle sich in einem Reader darüber streiten, wer oder was „der Hipster ist“, dann wird vor allem eines deutlich: Sie mögen ihn nicht.

OMG! CONVERSE TIGHT PANTS IRONIC PHRASES THICK BLACK RIMMED GLASES TRI NGELS & TA TO S. A LOT. Michael Saager

Eine „transatlantische Diskussion“ kündigt der giftgrüne Sammelband „Hipster“ im Untertitel an. Die fand aber erst nach der Veröffentlichung statt: zum Beispiel bei der Buchpräsentation in Berlin, Anfang Februar 2012 im ziemlich angesagten HBC-Club. Davon gleich mehr. Man hatte das Buch mit Spannung erwartet, wofür es zwei gute Gründe gab. Zum einen wegen des überaus hippen, weltstädtischen Themas. „What Was the Hipster?“, so der Originaltitel des Sammelbandes, entstand aus einer Tagung zur Sozialfigur des Hipsters, die die New Yorker Kulturzeitschrift „n+1“ im April 2009 in New York ausrichtete. Der „Hipster“-Band bündelt Essays, Vorträge und Teile der Podiumsdiskussion verschiedener Autoren. Da der Hipster – einst hervorgegangen aus der schwarzen Jazzszene der Vierzigerjahre – längst nicht mehr ein auf New York begrenztes Phänomen ist (es soll inzwischen sogar Szene-Kneipen in Berlin geben, zu denen struppige Vierbeiner Zutritt haben, „Hipster“ jedoch ausdrücklich nicht), lag für die deutsche Ausga-


be eine Erweiterung um Beiträge aus dem deutschsprachigen Popfeuilleton auf der Hand. Journalisten, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller wie Tobias Rapp oder Thomas Meinecke werden hier in Stellung gebracht. Der zweite Grund für die gespannte Aufmerksamkeit im Vorfeld war Mark Greif, der Initiator der amerikanischen Veranstaltung und Herausgeber von „What Was the Hipster?“ selber. Mark Greif, in der „Berliner Zeitung“ vollmundig als „kommender Großmeister der Popkritik“ bezeichnet, kann wirklich was. Äußerst lebendig schreiben zum Beispiel. Gänzlich unaufgeregt, mit lässig-musikalischem Groove, leicht garstigem Witz und dem beweglichen Intellekt eines wahrhaft Neugierigen. Der Autor jüdischer Herkunft zweifelt schon mal an den eigenen Ideen und macht diese Zweifel („Ich bin mir nicht sicher, aber …“) auch selbst zum Thema. Distinktionsgewinne büßt er dadurch nicht ein, seine Unschlüssigkeit lädt eher zum Mitdenken ein. Ein seltenes Vergnügen in der recht angestrengten Popfeuilletonwelt tendenziell humorfreier Bescheidwisser. Der New Yorker Mark Greif ist eine Ausnahme. Auch, weil er zurzeit gleich vier aktuelle Veröffentlichungen in Deutschland hat: neben „Hipster“ auch noch die großartige Selbsterfahrungskulturgeschichte „Rappen lernen“, die instruktive Aufsatzsammlung „Bluescreen“ und den Herausgeberband „Occupy!“. Wenn es über den 1975 geborenen Gründungsherausgeber von „n+1“, diesen unkonventionellen Verfasser kritischer, nicht selten kapitalismuskritischer Essays sowohl soziologischen wie auch persönlichen Zuschnitts, heißt, hierzulande würden seit neuestem alle schreiben wollen wie er, dann stimmt das zwar sowieso nicht; gleichwohl träfe „wollen“ es recht gut – weil es etwas anderes meint als „können“. Ein Hipster ist Mark Greif aber nicht. Oder vielleicht doch, irgendwie? Schließlich gilt er als heißester Schreiber der Stunde, surft hoch auf der Hipnesswelle. Wahrscheinlich würde es Greif amüsieren, wenn man ausgerechnet ihn einen Hipster nennen würde, ihn, der auszog, um dieser anscheinend vom eigenen besseren Geschmack und diversen Wissensvorsprüngen gebauchpinselten und doch ziemlich unklaren Sozialfigur – in der Wahrnehmung der Autoren des Bandes fast immer ein Mann – diskursiv den Garaus zu machen. Dass die Anti-Infotainment-Plattform „n+1“ in den USA bisweilen „Hipster-Magazin“ geziehen wird, kann Greif nicht nachvollziehen. Sagt er jedenfalls.

Der Trend geht zum Nacktkinn Greif, Assistenzprofessor für Literaturwissenschaft, sieht ja auch überhaupt nicht so aus, wie sich die meisten Autorinnen und Autoren des Sammelbandes waschechte Großstadt-Hipster vorstellen. Man muss das so vorsichtig sagen, denn präzise Selbstbeschreibungen unangepasst-angepasster Mittzwanziger bis Mittdreißiger, wie sie seit 1999 jenseits und diesseits des Atlantiks verstärkt auf dem Planeten Pop in Erscheinung getreten sind, gibt es offensichtlich nicht. Richtig offiziell Hipster sein, so wie man nachdrücklich und mit einigem Stolz Punk, HipHopper oder autonomer Linker der Antifa-Jugend ist, möchte anscheinend kaum jemand. Was ein wenig an die Emo-Szene erinnert. Eine Szene, die für Feldforscher der Gegenwart immerhin als bündige Jugendkultur – traurige junge Leute in Schwarz auf einem relativ kleinen Haufen – zu erkennen ist, obgleich die Protagonisten ihr Emo-Sein in aller Regel verleugnen. Vielleicht ist es so, dass Szenen, die wenig mehr zu bieten haben als ein bisschen Style, ihre Individualitäten umso hartnäckiger behaupten müssen. Eine emphatisch zur Sprache gebrachte Wir-Position passt definitiv nicht dazu. Mark Greif trug in der Diskussionsveranstaltung im Berliner HBC ein weißes Bürokraten-Hemd, eine randlose Brille, die auch von Fielmann hätte sein können, und auf dem Kopf eine kurze Allerweltsfrisur. Ganz anders der Hipster, wie 13

OBEY!


man ihn kennt. In Berlin-Mitte schaut er so aus: eher zu dünn als zu dick, bisweilen ein Schnurrbärtchen auf der Oberlippe, die Beinchen in Skinny Jeans, große Brille mit dunklen Rändern, dazu eine hübsch asymmetrische Scheitelfrisur und Schlabber-Shirt mit tiefem V-Ausschnitt. Der Schnurrbart wurde indes zuletzt vom Vollbart abgelöst. Allerdings soll auch er, zumindest unter spanischen Hipstern, auf dem Rückzug sein. Der Trend geht zum Nacktkinn. Truckermütze und Feinrippunterhemden – Tobias Rapp und Mark Greif arbeiten die Typologie des Jahrtausendwechsel-Hipsters in New York und Berlin-Mitte in ihren Beiträgen schön plastisch heraus – sind definitiv von gestern. Was gestrig ist, ist so lange unhip, bis ein paar Hipster kommen, die Definitionsmacht genug haben, um für eine neue, eventuell ironisch gebrochene Welle von Hipster-Accessoires zu sorgen, die die Welt nicht braucht. Das freut dann die Modeindustrie, der ohne Trendsetter bekanntlich wenig einfällt, das sich gut verkaufen lässt.

Vorsprung durch Gegenwärtigkeit Es ist gewiss nicht so, dass jedermann Hipster doof findet oder gar verabscheut – wie es der „SZ“-Popredakteur Jens-Christian Rabe in seinem Beitrag „Über den Hass auf den Hipster“ nahe legt. Wenn man den Hipster aber partout nicht leiden kann, so wie nahezu sämtliche Autoren des Sammelbandes, dann muss man ihm anscheinend Sachen unterstellen, die sich kaum beweisen lassen. Unpolitisch sei der Hipster, heißt es gleich mehrfach in dem Buch, und künstlerisch untätig. Echte Künstler – Musiker, Maler, Schriftsteller – können folgerichtig keine Hipster sein. Ja, ist das so? Für Rabe lautet das Problem, das unsereins mit Hipstern haben soll: „Vorsprung durch Gegenwärtigkeit“. Der Hipster sei, im gegenwartsversessenen und zukunftsvernarrten Internetzeitalter, „zum ungeliebten Vorbild geworden, zur wandelnden Erinnerung an das eigene schlechte Gewissen darüber, immer noch nicht alles zur gleichen Zeit tun zu wollen“. Das klingt ganz hübsch, besonders realistisch scheint diese Annahme aber nicht. Sie hängt das leidlich banale Hipster-Thema zu hoch und übersieht, dass es auch genau umgekehrt sein könnte: Vorbilder brauchen Liebe und sie kriegen sie auch. Meistens jedenfalls. Könnte es sein, dass einem Hipster insbesondere deshalb auf den Keks gehen – so sie es denn überhaupt tun –, weil einem jede geklonte Sorte von Übertreibung topmodischen Zuschnitts früher oder später auf den Keks geht, wenn man zu häufig auf sie stößt? Klein gemacht haben sich sämtliche Publikums-Hipster an dem Abend im ausverkauften HBC, als die deutschen Beiträger des Bandes mit einem ziemlich smarten Mark Greif über das garstige Hipster-Phänomen sprachen. Wirklich wundern muss es einen nicht, dass insbesondere der sympathische Popkulturemphatiker Thomas Meinecke einen heiter-positiven, bohemistischen Künstlerbegriff des Hipsters zu entwickeln wusste. Meinecke schätzt die existenzielle Flüchtigkeit des Hipstertums, liebt die sich ekstatisch immer weiter drehenden Luftschrauben der Popgesellschaft. Gleichwohl – als die Veranstalter spaßeshalber nach Hipstern im Publikum fragten, meldete sich exakt ein Gast. Ein Spaßvogel, kein Hipster! Oder vielleicht doch.

Mark Greif u. a. (Hg.): „Hipster. Eine transatlantische Diskussion“ (Suhrkamp, 2012, 208 Seiten, 18 Euro)

14

Mark Greif: „Rappen lernen“ (Suhrkamp, 2012, 60 Seiten, 4,99 Euro) Ders: „Bluescreen“ (Suhrkamp, 2011, 231 Seiten, 15 Euro)

LIKE FOR REAL: A LOT of THEM.



Isla n d - P o p

Ideen und Spitzendeckchen Das Reykjavíker Septett Seabear hat sich auch hierzulande in die Herzen der Free-Folk-Fans gespielt. Mit Sin Fang und Sóley präsentieren sich nun zwei Seabear-Mitglieder live von ihrer Solo-Seite.

Markus von Schwerin

Der Seabear-Sänger Sindri Már Sigfússon gönnte sich als Sin Fang Bous schon 2009 einen Ausflug aufs Animal-Collective-Terrain, dem er zwei Jahre später einen weiteren – allerdings unter verkürztem Projektnamen – folgen ließ. Das komplett solo eingespielte Debüt „Clangour“ unterschied sich deutlich vom kuscheligen Teeküchensound seiner Hauptband, da es die Gehörgänge mit allerlei Geklingel und Geknatter durchpustete. Wobei „Hauptband“ relativ ist, denn bei Seabear handelte es sich anfangs auch um Sigfússon Einmannprojekt, das dank verlockender Auftrittsangebote (Múm, The Books) und der Musikalität seiner Reykjavíker Kunsthochschulfreunde schließlich zum Septett heranwuchs. Ab 2007 füllte das gemischte Ensemble mit seiner zelebrierten Gruppenharmonie jene Lücke, die der sich damals rar machende Sufjan Stevens und die in die Jahre gekommenen Belle & Sebastian hinterlassen hatten. Auch Seabear boten einschmeichelnde Popsongs im Akustikkleid, verziert mit Pizzicati, Melodika- und Trompeten-Soli, sowie feierlichen „Lalala“-Chören. Dazu Titel wie „Cat Piano“ und „Owl Waltz“, verewigt in ABC-Schützen-Schreibschrift auf dem Rücken des Albumcovers. Eine Art Kinderkanal-Ästhetik, für die in Island schon seit längerem der Spottbegriff „krúttkynslód“ (übersetzbar mit: „Generation Goldig“) zirkuliert.

Bedrohliche Tiere, scharfe Gegenstände Auch das letzte Seabear-Album „We Built a Fire“ (2010) war nicht frei von Niedlichkeiten. Bei Sin Fang jedoch zeigen sich Sigúffsons Fantasiewelten mehr von ihrer unheimlichen Seite. Bereits der Clip zur ersten Sin-Fang-Bous-Single „Advent in Ives Garden“, den Sigúffsons frühere Kommilitonin (und Seabear-Kollegin) Ingibjörg Birgisdóttir schuf, bot dafür ein Beispiel: Wie in der „Krabat“Zeichentrickadaption aus den 1970er Jahren wimmelt es hier von bedrohlichen Tieren und scharfen Gegenständen. Ein bebilderter Alptraum, der aber durch allerlei komische Elemente – nicht zuletzt musikalischer Art – konterkariert wird. Wirft das besagte Stück doch den Hörer wie Zwerg Nase in eine dampfende und scheppernde Klangküche, in der die umeinander wirbelnden Meerschweinchen versuchen, den heruntergesäuselten Kaskaden ihres Chefkochs zu folgen. Auch bei den Stücken des aktuellen Albums „Summer Echoes“ dürften selbst erprobte Sin-Fang-Fans Mühe haben herauszufinden, worum es in den Songs im Einzelnen geht. Zwar gewährt Sigúffsons auf www.heysinfang.com Einblicke in handschriftliche Text-Notate ohne Punkt und Komma, wo sich Wünsche wie „Blow your voice through the crack/Put your hands on my back when I need calming“ bzw. die Einsicht „We need bruises to find our way again“ aus-


machen lassen. Doch durch die Freiheiten, die sich der 30-Jährige bei den Betonungen der Silben nimmt, könnte es sich – wie bei den gallischen Kosmosrockern Magma – auch um eine Fantasiesprache handeln. Die stetig wachsende Anhängerschar in den USA scheint sich daran nicht zu stören. Schließlich haben Devendra Banhart, CocoRosie und besagtes Animal Collective mittels lustvoller Leiergesänge dazu beigetragen, diesbezüglich die Toleranzschwelle zu erhöhen. Und der Jungschar-Feierlichkeit der Fleet Foxes, wo der Wohlklang die lyrischen Luftblasen nur noch deutlicher zur Geltung bringt, ist Sigúffsons unorthodoxe Singweise allemal vorzuziehen. Auch bei der Selbstpräsentation auf den zirkulierenden Sin-Fang-Pressefotos legt der Hansdampf aus Reykjavík weitaus mehr Einfallsreichtum an den Tag als die Neo-Softies aus Portland. Statt sich ein Jesusbärtchen wachsen zu lassen, behängt er sich die Mundpartie lieber mit ovalen Spitzendeckchen aus Großmutters Vitrine – oder unterzieht sein Gesicht einer Kriegsbemalung, die an die Verfilmung von William Goldings „Herr der Fliegen“ denken lässt. Die notorisch mürrische Miene mag einen zwar erst zweifeln lassen, wie sehr hier der Schalk am Walten ist. Doch ein Blick auf die flickr-Seite des bildenden Künstlers (Sindri_Mar) genügt, um die Einschätzung, es hier mit einem humorvollen Menschen zu tun zu haben, bestätigt zu sehen. Besonders die aquarellierten Hunde-Konterfeis und die zu Katzengesichtern modifizierten Fotos ehrwürdig dreinblickender Ahnen seien hier empfohlen. In jene Galerie hätte auch das Cover-Motiv des Solo-Debütalbums der Seabear-Pianistin Sóley Stefánsdottir gepasst. Auf dem nachkolorierten Foto-Porträt von „We Sink“ (2011) sieht man sie mit strahlenartigen Strichen unter den Augen und girlandenhaften Mustern auf der Stirn traurig zur Seite blicken und vermag die auf Konzerten stets gut gelaunt wirkende Tastenfrau zunächst gar nicht wiederzuerkennen. Auch die Musik der Mittzwanzigerin wirkt im Vergleich zur leichten Seabear-Kost ungleich dramatischer. Zumindest in den Liedern, die das Album eröffnen.

Walzer zur Wummerorgel In „I‘ll drown“, von dem sich der Albumtitel „We Sink“ ableitet, beschreibt Sóley mit eindringlicher Mädchenstimme (und zu lang ausklingenden Klavierakkorden) eine Traumsequenz, in dem das Haus des Geliebtem zu einem lebendigen Wesen wird, welches das Paar an den Händen packt und in den Abgrund zieht. In „Smashed Birds“ wird eine liebliche Gesangsmelodie von einem rhythmischen Akkustikgitarrenlauf angetrieben und kippt durch archaische, nicht gerade PETA-kompatible Schilderungen („I cut the feathers off and I made myself a beautiful dress“) ins Drastische. Doch Songtitel wie „Kill the Clown“ oder “About Your Funeral” klingen tragischer an, als sie letztlich sind. Gerade Zweiteres entpuppt sich als neckischer Walzer zur Wummerorgel auf Human-BeatBox-Fundament, wo es – später setzen noch Marimbas und maunzende Katzen ein – fast so ausgelassen zugeht wie bei CocoRosie. Auf der Bühne lässt sich die klassisch ausgebildete Komponistin (die sich eingehend mit Satie beschäftigt haben dürfte) nur am Schlagzeug begleiten. Oder von sich selbst – als versierte Vocal-Loop-Künstlerin, die sich vor Feist, Kat Frankie oder Rose Kemp nicht zu verstecken braucht. Wie gut sich die Live-Programme von Sóley und Sin Fang ergänzen, haben beide bereits letztes Jahr auf einer ausgedehnten Tour durch Europa und Südamerika ertestet. Nun folgt die Fortsetzung (zusammen mit drei weiteren Reisegefährten an Gitarre, Bass und Schlagzeug), auf der Sigfússon sicher auch die Stücke seiner just fertiggestellen Sin-Fang-EP „Half Dreams“ vorstellen wird. Doch zu erleben, welch Eigendynamik die bereits bekannten Stücke von „Clangour“, „Summer Echoes“ und „We Sink“ mittlerweile bekommen haben, dürfte nicht minder spannend sein. 17

Sin Fang und Sóley spielen am 24.5. um 20:30 Uhr im Apex. „We Sink“ von Sóley und „Summer Echoes“ von Sin Fang sind beide bei Morr Music/ Indigo erschienen.


T o m b o y

Der letzte unbeschwerte Sommer

3.5.

Andreas Busche

„Du bist ganz anders als die anderen“, sagt die zehnjährige Lisa zu Michael, als sie am Bolzplatz stehen und den Jungs beim Fußballspielen zugucken. Was sie damit meint, wird erst später klar, als die beiden allein sind und Lisa ihren neuen Freund schminkt. Der Junge lässt es über sich ergehen. Doch Michael heißt eigentlich Laure. Laure und ihre Familie sind neu in der Wohnsiedlung. Für das Mädchen bedeutet der Umzug eine Umstellung: wieder eine andere Schule, wieder neue Freunde finden. Der Sommer neigt sich dem Ende zu, die Kinder genießen die letzten Ferientage. Laure stößt zu der Gruppe; mit ihrem schlaksigen Körper und den burschikos-kurzen Haaren könnte sie glatt als Junge durchgehen. Mädchenkram interessiert sie sowieso nicht. Vielleicht ist das der Grund, warum sie sich Lisa, dem einzigen Mädchen, als Michael vorstellt. Beim Fußball ist sie nicht schlechter als die Jungs, ein bisschen stolz reicht Lisa ihr während des Spiels das Wasser. Nur als die anderen eine Pinkelpause einlegen, gerät Laure in Erklärungsnot. Gender Trouble. Im Spiel manifestieren sich früh soziale Normen. Subjekte werden konstituiert und dekonstruiert. Céline Sciamma bedient sich in „Tomboy“ dem Rollenspiel als erzählerischem Modus, sie interessiert sich für diesen so heiklen wie spannenden Moment der Kindheit. Wenn die Kinder unter sich sind, sind sie ganz sie selbst und gehen gleichzeitg in Rollen auf. Laures kleine Schwester Jeanne läuft im rosa Tutú durch die Wohnung und spielt mit Puppen – weil sie gelernt hat, dass Mädchen so was tun. Später erzählt sie Laures Freunden von ihrem starken großen Bruder; prompt verprügelt Laure/Michael einen anderen Jungen, der Jeanne geschubst hat. Der Vater wiederum meint einmal scherzhaft, dass er Laure endlich das Pokern beibringen muss. Derart verwirrt von Geschlechtervorstellungen genießt Laure ihre Rolle als Michael, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu werden. Als der Schwindel platzt, verliert auch das Spielen seine Unschuld. Sciamma aber nimmt alle Gefühle gleich ernst. Laure, die ihr eigenes Jungsding einmal ausprobieren möchte; Lisa, die sich in Michael verliebt hat; Jeanne, die ihr Kindsein noch ausleben kann. Und die Eltern, die von Laures Geschlechterverwirrung zunächst schockiert sind. Für Sciamma gehören Rollenspiele zu den prägenden Kindheitserfahrungen. Aber irgendwann ist auch der unbeschwerteste Sommer vorbei. Regie: Céline Sciamma; Frankreich 2011; 84 Minuten; mit Zoé Héran, Malonn Lévana, Jeanne Disson u. a. 18

ab


O u r

Id i o t

Br o t h e r

Sein Platz in der Gesellschaft

ab

17.5.

Carsten Happe

„Dumm ist der, der Dummes tut“, wusste schon Forrest Gump, und in dieser Hinsicht ist Ned wahrlich der Idiot des Titels, der für den Verkauf von Marihuana an einen Polizisten mal eben für ein paar Monate in den Knast wandert. Danach hat seine Freundin einen Neuen und verjagt ihn vom gemeinsamen Ökobauernhof, seinem angestammten, überschaubaren Biotop. Einzig Willie Nelson bleibt ihm noch, sein treuer Golden Retriever, mit dem sich der NeoHippie sanft in den gut gepolsterten Schoß seiner entfremdeten Familie fallen lässt. Kein schlechter Ausgangspunkt für eine hübsche Social-Clash-Komödie, möchte man meinen, und hat dabei längst den liebenswerten Slacker ins Herz geschlossen – erst recht, wenn er mit dem sauertöpfisch-britischen Teil der stocksteifen Sippe zusammenprallt. Paul Rudd, der bislang zumeist solide seinen Stiefel in der zweiten Reihe heruntergespult, hin und wieder sogar das Mädchen abbekommen hat (Reese Witherspoon! Michelle Pfeiffer!), ist die Spielfreude angesichts des Drehbuchs, das ihm auf den schmächtigen Leib gezimmert wurde, durchweg anzumerken – und er dankt es mit einer solch charmanten Performance, der lediglich die übelsten Zyniker nichts abgewinnen dürften. Dieser größte Pluspunkt des Films fordert allerdings auch seine massivste Schwachstelle heraus: In der gängigen Komödienarithmetik, der sich „Our Idiot Brother“ auf bisweilen allzu überkandidelte Weise unterwirft, sind Neds drei Schwestern allesamt frustrierte, verklemmte, verbissen karrieresüchtige Furien, die zu ihrem Glück gezwungen werden müssen und natürlich nicht ansatzweise erkennen, wenn es in Form ihres vertrauensseligen, herzensguten Bruders vor ihnen steht. Die Läuterung der sträflich unterforderten Zooey Deschanel, Elizabeth Banks und Emily Mortimer bildet dabei den Zuckerguss, den man gerne schon vorab heruntergekratzt hätte, bevor er klebrig hängenbleibt. Aber möglicherweise muss das auch so sein, wenn man neben gefälligem Entertainment noch eine kleine Moral unters Volk mischen möchte, die von der Bedeutung des Andersseins für ein Sozialgefüge, einer Familie mithin, erzählt und in ihrem ganz eigenen Happy End, das selbstredend von Beginn an so sicher scheint wie das Amen in der Kirche, eine große integrative Kraft verströmt. Dass sich sogar für geborene Außenseiter wie Ned ein passgenauer Platz in der Gesellschaft findet, hat letztlich etwas ungemein Tröstendes.

Regie: Jesse Peretz; USA 2011; 90 Minuten; mit Paul Rudd, Zooey Deschanel, Elizabeth Banks u. a.

19 Filme


D i g i t al e r

W a n d e l

Reden hilft ja oft Henning Lisson

2007 war toll, man beging das internationale Delphin-Jahr, Edmund Stoiber trat als bayrischer Ministerpräsident zurück und die No Angels gaben ihre Reunion bekannt. Ach, wäre da nicht die Gründung von Tumblr.com gewesen, 2007 hätte als das perfekte Jahr Einzug in die Geschichte gefunden. David Karp und Marco Arment gründeten in New York die eine Plattform, die das Bloggen für immer verändern sollte. Sie haben der Menschheit das digitale Feuer gebracht, quasi. Vorher erforderte das Betreiben eines Blogs zumindest ein Mindestmaß an Spezialwissen und Skills – und plötzlich sollte jeder mit zwei, drei Klicks einen Beitrag erstellen können? Pah. Dazu muss man wissen, was der idealtypische Blogger für ein Wesen war: Lichtscheu, teigig, übergewichtig, sich ausschließlich von Club Mate und Junk Food ernährend, schlief er, während die Sonne schien, und kroch aus seinem RuheKokon, wenn der Rest der Menschheit den Schlaf der Gerechten schlief, um sodann mit kaltschweißigen Fingern auf Sci-Fi-Filmen und Comics herumzuhypen. Dabei klaubte er sich alte Erdnussflips aus dem Haar und verschlang sie grunzlachend mit weit offenem Mund, während er Posts codete oder eine neue CSS für seinen Blog aufsetzte. Schnee von gestern. Seit Tumblr kann Susi von nebenan einen Blog mit total süßen Katzenfotos betreiben. Dafür muss sie nicht einmal eigene Inhalte generieren, sondern sich lediglich innerhalb des Tumblr-Netzwerks umsehen und per ReblogButton einen eigenen Blog aus vorhandenen Inhalten aggregieren. Kein Reaktionär – egal ob analog oder digital – mag es, wenn das mühsam erlernte Spezialwissen plötzlich technologisch oder ergonomisch inflationiert wird. Digitale Fotografie ist Kinderkram im Vergleich zu analoger, Laptop-DJs sind weniger cool als ihre Vinyl-Pendants und im Elfenbeinturmhauptquartier der Netzelite ärgert man sich grün und blau, dass jeder beim Mitmach-Netz, nun ja, mitmacht. Komisch, sollten wir uns doch darüber freuen, dass mitgemacht wird. Freuen wir uns doch darüber, dass es immer mehr Inhalte gibt. Freuen wir uns über schöne Fotos, selbst wenn sie hier und da mal ein Retro-Filterchen zu viel aufweisen. Content ist King, mehr Content ist mehr King. Ganz einfach. Okay, Emphase-Pause. Durch die Anwaltsbrille betrachtet scheint das Prinzip von Tumblr oder Pinterest nicht ganz astrein, schließlich wird innerhalb der wilden Reblog-Kette selten eine Pause eingelegt, um Urheber anzurufen und um Erlaubnis zu bitten. Ganz aktuell, unter dem Einfluss des Google-GEMA-Urteils, schicken die Lobby-Generäle wieder Fußsoldaten an die Diskussionsfront. Prominente Blogger fordern die Abschaffung des Urheberkonstrukts per se, schließlich sei das Netz nicht damit vereinbar. Die Schergen der Rechteverwerter-Industrie hingegen sprechen von den „armen Indies“, von „Brandschatzungen“ und „Plünderungen“ der User im friedlichen Künstlerdorf. An Populismus und Pathos wird beiderseitig nicht gespart. Ein befreundeter Fotograf ist ganz entspannt. Einige seiner Fotos sind innerhalb der Tumblr-Gemeinde recht verbreitet. Schön, schließlich hat er keinen finanziellen Nachteil. Und falls dann doch mal jemand frech wird und seine Werke kommerziell verwertet, ruft er zunächst mal freundlich an. Reden hilft ja oft. 20 Digitales


S S X

Verflucht hohe Berge Florian Brauer

Ich habe Snowboardspiele immer langweilig gefunden. Meist ging es um eine Mischung aus Renn- und Skatespiel. Außerdem war mir das trendige Gehabe zuwider. Der neue Teil der „SSX“-Serie, was ungefähr so viel heißt wie „SuperSnowCross“, klang aber interessant, weil neumoderne NASA-Technologie für die Gestaltung der Berge verwendet worden sein soll und es reizvoll erschien, in eine Google-Map so lange reinzoomen zu können, bis man eine schöne Piste gefunden hat. Die Darstellung der Gebirge ist tatsächlich gelungen, das ist aber zweitrangig, weil das Spiel selbst super ist. Klar geht es jugendlich-trendsportig zu – darüber kann man jedoch hinwegsehen, und nerviges Product Placement bleibt einem auch erspart. Als Teil der „SSX“-Crew geht es darum, die neun „Deadly Descends“ zu meistern, die neun höchsten Berge der Welt und deren gefährlichste Abfahrten. Um diese höchsten Gipfel herum gibt es jeweils ein paar kleinere Berge, auf denen man Herausforderungen wie die schnellste Abfahrt oder die höchste Punktzahl geschafft haben muss, um zur Deadly Descend zugelassen zu werden. Erste Herausforderung: überhaupt unten ankommen, ohne irgendwelche Tricks oder Zeitdruck. Hierbei wird der eigentliche Spielinhalt erkennbar. Es geht um Kontrolle und Kontrollverlust. Die Physics Engine spielt dabei eine große Rolle. Am Anfang sollte man Gefühl fürs Board entwickeln und merken, wie man vom Berg rutscht, wenn man nicht quer zum Hang steht. Besonders deutlich wird das auf Eisflächen, auf denen man Geschwindigkeit aufbauen muss, um Kontrolle zu haben. Nach ein paar Versuchen hat man den Pistenverlauf gecheckt und kann an den richtigen Stellen Gas geben. Ist man zu schnell, verliert man die Kontrolle und kullert den Berg hinunter. Ist man zu vorsichtig, gibt‘s keine Punkte. Die Basics des Spiels machen schon so viel Spaß, dass man irgendwann an der Kür feilen will. Bei den verschiedenen Tricks geht es darum, sie zu verbinden und Kombinationen zu fahren, um die Punkte in die Höhe zu treiben. Mit erfolgreichen Kombos kann man in den Super-Trick-Modus schalten und weitermachen, bis man im Hyper-Super-Trick-Modus richtig absahnt. Manchmal ist so ein Trick-Feuerwerk in Spielen nervig, weil man vor lauter Scores und „Yeahs!“ das Spiel gar nicht mehr sieht und die unrealistischen Kapriolen irgendwann auch langweilen können. Aber in „SSX“ gibt es genug unterschiedliche Strecken und Herausforderungen für jeden Geschmack. Zusätzlich werden Motivation und Ehrgeiz mit den frei spielbaren Figuren und dem richtigen Equipment gekitzelt. Da sind natürlich die verschiedenen Snowboards, aber auch flashige Anzüge, die im Dunkeln leuchten, und dann die Ausrüstung, die für verschiedene Situationen wichtig ist. Beispielsweise die Eispickel, ohne die man auf Eisflächen völlig aufgeschmissen wäre, das Sauerstoffgerät für die Pisten am Mount Everest oder der fantastische Wingsuit, mit dem man nach dem Absprung in einen Gleitflug übergehen kann – plötzlich erhält das Spiel eine schwebende Leichtigkeit. Anspannung und Konzentration werden für einen kurzen Moment in den Urlaub geschickt. Endlich Zeit, den atemberaubenden Ausblick zu genießen.

Snowboard-Videospiel; Electronic Arts; PS 3, Xbox 360

21 Spiele


Die PlatteN am Anfang Upset! The Rhythm Michael Saager

Lassen Sie uns ausnahmsweise nicht über Sex, sondern über das interessant verschrobene, schwer abhängig machende und sehr moderne Londoner Indie-Plattenlabel Upset! The Rhythm reden. Zum Beispiel über Neuerscheinungen dieser im Jahr 2003 von ein paar tödlich gelangweilten Kids spontan aus der Taufe gehobenen feinen, kleinen Firma, die, by the way, auch ein ausgesprochenes Promoter-Händchen hat für überzeugende Live-Shows: Einen gemeinsamen Abend mit den entrückt-verrückten Liars (das neue Album „WIXIW“ erscheint im Juni) und den Großmeistern der Doom-Superzeitlupe Sunn O))) will schließlich jeder vernunftbegabte Mensch am liebsten dreimal erlebt haben, bevor er sein Ausgeh-Es im Eigenheim vermauert und Kinder in die Welt pflanzt. Im Label-Portefeuille von Upset! The Rhythm lauern, schwelgen und tanzen die superben Post-Garagen-Rocker No Age, die von Alain Badious Philosophie inspirierte Selbstverausgabungs-EinmannElektronikarmee John Maus oder die Schwerbeat-Überwältigungspopper High Places. Um mal rasch ein paar bekanntere Namen genannt zu haben; die meisten Acts kennt man nur mit etwas Glück. Mit großem Gewinn hören lassen sich die zwei jüngsten Veröffentlichungen, von denen „Jazz Mind“ von Ed Schrader’s Music Beat erst Ende Mai erscheint. Macht nix, denn der Wahnsinn kennt keine Zeit. Er kommt aus Baltimore, hört auf die Namen Ed Schrader und Devlin Rice, spielt minimalistischen Bass und „pounding“ Drums und singt mit einer roboterartigen Stimme, die an Scott Walker, Ian Curtis und John Maus zugleich erinnert. ParanoidPop kann man dazu sagen. Die Reduktion des Albums geht zurück auf amerikanischen Post-Punk. Zelebriert wird eine Sorte Irrsinn, die sich selbst nicht zu ernst nimmt und die in ihrer seltsamen Bedrohlichkeit durchaus Parallelen aufweist zu den frühen Platten der Butthole Surfers. Super ist auch die bereits Ende Februar erschienene EP des Brightoner Girl-Duos Peepholes. „Caligula“ ist elektronisch verstärkter Noise-Pop, ansprechend dilettantisch inszeniert, mit tollem Trommel-Tamtam, wavig getöntem Indianermädchengesang, Space-Gitarren und monoton wummernden Suicide-Synthie-Sounds. Electrelane auf Keta? So in etwa. Der Verschick-Service des Labels funktioniert übrigens prompt und zuverlässig.

Stabil Elite

Douze Pouze Kompakt/Italic/RTD Michael Saager

Wir wollen ja nicht gleich nostalgisch werden, aber wer sie kennt, die guten alten Krautrock- und Krautelektronikbands Can, Cluster, Neu!, Harmonia, Kraftwerk oder La Düsseldorf, dem sind sicher die hypnotischen Kreisbahnen aufgefallen, auf denen sich viele der groovestarken

Krauthymnen der 70er hinauf zu den Sternen bewegen. Dass dieser Sound reichlich Nachahmer finden würde, war damals schon klar. Seit ungefähr zehn Jahren nun bereichern diverse NeoKraut-Bands die hiesige Musikszene. Eine der talentiertesten hat jetzt ihr erstes Album veröffentlicht. Eine erstaunliche Platte, denn „Douze Pouze“ des jungen Düsseldorfer Trios Stabil Elite ist von einer abgeklärten Eleganz und kühlen Schönheit, die ihresgleichen sucht – und gegenwärtig nirgendwo finden kann. Wenn die drei keine mantraartigen Minichor-Gesänge anstimmen, singen Lucas Croon, Martin Sonnensberger und Nikolai Szymanski mit weltdistanziertem Timbre seltsam-schöne Sätze, formen fremdartige Bilder und surreale Metaphern und sorgen so dafür, dass die an sich schon ziemlich überirdischen Synthiesphären-Sounds, die sanft wummernden Schwebebässe, das Zwitschern und Pluckern in höheren Lagen ganz und gar ortlos erscheinen. Songs, so unwirklich wie manch frühes Stück von Kraftwerk, voller assoziativer Poesie: „Stahlträger / Zwischen dem Verlangen / Stützen das Grau / Wie siehst du aus?“.

Schlachthofbronx Dirty Dancing

Disko B/Indigo

Ulrich Kriest

Da ist es wieder, dieses schiefe Grinsen. Wenn Schlachthofbronx den Munich-Bass loslassen, darf eines nie fehlen: Gaudi! Pseudointellektuell ist hier erst mal gar nichts – und welche Beats sonst gerade besonders angesagt sind, interessiert im Münchener Schlachthofviertel nobody. Hier gilt: Spaß machen und dabei selbst Spaß haben. Ja, lang mi am Arsch, wenn ich mit ihm wackel. Auch dann, wenn nicht, wie beim verzögerten Opener „Slowine“. Die zwölf Tracks des zweiten Longplayers „Dirty Dancing“ sind eher kurz als lang und sehr abwechslungsreich. Sie zeugen davon, dass die Jungs auch international bestens vernetzt sind. Da trifft rougher Dancehall auf angolanischen Kuduro und lateinamerikanischen Cumbia, auf Baile Funk und bei „Apizaco“ werden Ukulelen-Sounds beigemischt, die auch Oval gefallen würden. Bevor es langweilig werden kann, wird undogmatisch das Tempo variiert: von midtempo zu ganz schnell zu slow. Im Kosmos von Schlachthofbronx ist nicht der Flow, sondern der Bruch König. Mit raffiniert-subtilen Post-Dubstep-Experimenten hat das hier wenig bis nichts zu tun, allerdings sucht man die ganz wilde Mischung des Debüts, als Techno auf Blasmusik und Balkan Beats traf, vergeblich. Als Gäste hat man sich u. a. die jamaikanischen MCs Natalie Storm und Warrior Queen, die Schwedin Gnucci Banana, DJ Assault und die Puppetmastaz eingeladen. Wie gesagt: Gaudi! „Get naked in the club!“ Ein gewisser Sexismus ist unüberhörbar, aber künstlerisch relevanter scheint hier ein grober Eklektizismus, der auf der Höhe der Zeit global bricoliert. Oder tanzt man in Angola schon länger zu Trival Monterrey?

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Burning Hearts

Extinctions Bone Voyage/Cargo Christoph Braun

Humanismus und eine Liebe zur Künstlichkeit prägen gleichermaßen die Klangästhetik des finnischen Duos Burning Hearts. Seit 2006 halten Jessika Rapo und Henry Ojala ihre Musik am Klingen. Mit ihrem zweiten Album gelingt ihnen etwas, denn „Extinctions“ öffnet einen Raum der Widersprüche. Einen sehr großen noch dazu. Denn da sind die Texte: Sehr oft singt Jessika Rapo von Verlusten, und sie tendiert dabei zum Übertreibungsniveau eines Apokalypsefilms aus Hollywood. Im Song „On the Last Day of the Decade“ etwa feiert ein Mann das Ende eines unbekannten Jahrzehnts, indem er sich mit einer Pump Gun vergnügt. Dazu kreieren die Burning Hearts jedoch keine düsteren Soundscapes oder Teenage Angst Rock; sie mögen ihre Songs leicht und luftig. Rappos Stimme klingt träumerisch und gedankenverloren, die Synthesizer zeichnen Wölkchen. Hin und wieder verstärkt die Band die elegische Anmutung, indem sie zum Walzer-Takt greift, eine Idee, die schon den Cocteau Twins zu noch mehr Atmosphäre verhalf. Zum Dreigestirn des spinnerten Frauengesangs – Broadcast, Cocteau Twins, Stereolab – mögen sich die Burning Hearts eines Tages tatsächlich hinzugesellen und so „Das Psychedelische Quartett“ formen. So gut sind sie, und sie bewahren Form – eine Kühlheit, die unter anderem durch Effekte wie Auto-Tune auf der Stimme und diversen Flangern entsteht. „Into the Wilderness“ wird so zur Hymne, „Trade Winds“ zur Sehnsuchtsmelodie, und „The Swallows“ gar zur Flaneurin. Lauter süße Tode.

Mark Stewart

The Politics of Envy

Future Noise Music/RTD

Ulrich Kriest

Um 1980 war Mark Stewart, Sänger der legendären The Pop Group aus Bristol, ein zorniger junger Mann, der im Laufe der achtziger Jahre mit großartigen Musikern wie Doug Wimbish, Skip McDonald oder Keith LeBlanc auch noch den richtigen Sound für seine linksradikalen Agitationstexte entwickelte: eine explosive Mischung aus Industrial, Metal und Dub. Mitte der neunziger Jahre war dieser Ansatz erschöpft, doch seit ein paar Jahren ist Stewart, der lange im Hintergrund von Massive Attack und anderen wirkte, wieder zurück im Rampenlicht. Das neue Album „The Politics of Envy“ punktet mit einem erstaunlichen Aufgebot prominenter Gäste wie Lee „Scratch“ Perry, Richard Hell, Gina Birch, Keith Levene oder Bobby Gillespie – lauter zornige Herrschaften, die vielleicht nur noch älteren Semestern ein Begriff sind. Dazu kommen Songtitel wie „Autonomia“ oder „Apocalypse Hotel“ und coole Parolen wie „Taste is a form of personal censorship“. Der notorisch schlecht gelaunte Soundtrack darunter rumpelt erfrischend altbacken und könnte sogar Mark E. Smith ein Lächeln entlocken.

tonträger


R o m a n

R o m a n

Skunk

Die schwangere Witwe

Justin Courter

Martin Amis

Moritz Scheper

Michael Saager

Die Geschichte um den Vorlauf zur deutschen Veröffentlichung von Justin Courters „Skunk“ segelt hart am Kitsch: Der ehemalige „Spex“-Redakteur Markus Hablizel hatte nach einer Internetrecherche das Buch angefordert, Courter übernahm die horrenden Portokosten persönlich, wollte im Gegenzug aber Resonanz aus der Kölner Bucht. Dort wurde für und wegen dieses Buches ad hoc ein Verlag gegründet und flugs die Übersetzung in Auftrag gegeben. Das Buch, welches diese muntere Geschäftigkeit auslöste, ist die humorig-rührende Lebenserzählung des Einzelgängers Damien Youngquist, der eine starke Affinität zum Analsekret von Stinktieren entwickelt. Zur Einordnung: Wer einen solchen Skunk überfährt, hat einen Totalschaden, sobald die Belüftungsanlage das Sekret ins Wageninnere transportiert. Dass Damiens skurrile Freizeitgestaltung von Vorgesetzten und Mitmenschen aufs Schärfste missbilligt wird, kann daher nicht weiter verwundern. Sekretkonsum und soziale Isolation nehmen also wechselseitig zu, nur die derangierte Pearl, Meeresbiologin mit Fischfetisch, vermag noch in Damiens Duftglocke zu dringen. Dankenswerterweise begnügt sich der Autor nicht damit, die Suchthistorie eines Geläuterten runterzureißen. Über den Umzug auf eine einsame Farm mitten im Heartland kippt die Handlung in eine uramerikanische Erzählung, die getrieben von der Sehnsucht nach Selbstbestimmung den Kampf zwischen Mensch und Natur auslotet. Spätestens, als das Ganze in einen Justiz-Thriller driftet, blitzt Courters Anliegen klar auf: Nichts weniger als eine zeitgenössische Vermessung des pursuit of happiness möchte „Skunk“ leisten. Das tut es auf beeindruckend geistreiche Art, ist gefällig zu lesen und gleichzeitig clever komplex, als hätte statt Thoreau Nabokovs Professor Pnin „Walden“ geschrieben. Die 413 Seiten verfliegen wie im Skunkmoschusrausch, kein Wunder, dass man mehr davon will. Insofern ist Hablizels Hablizelgründung absolut nachvollziehbar, denn diesen Autor will man wirklich niemandem vorenthalten.

Aha – Martin Amis rechnet mal wieder ab. Der 63-Jährige gilt als bissiger Hund, als Nestbeschmutzer des britischen Literaturbetriebs. Sein Doku-Roman „Koba der Schreckliche“ über Stalins Schreckensherrschaft sorgte für steilen Wind im Literaturzirkuszelt; ein islamfeindlicher Essay bescherte Amis zuletzt den Ruf, ein Rassist zu sein. In seinem jüngsten Roman „Die schwangere Witwe“ hat der Sohn des Schriftstellers Kingsley Amis die Errungenschaften der sexuellen Revolution aufs Korn genommen, also das, was seiner Meinung nach von der körperlich-geistigen Zeitenwende am Ende übrig blieb: Vater tot, das Kind der schwangeren Witwe noch nicht auf der Welt. Amis hat seinen Romantitel einem Essay des russischen Revolutionsdenkers Alexander Herzen entnommen. Der verbale Marketing-Trommelwirbel in Gestalt des vorausgeschickten Satzes „Für dieses Buch werden mich die Feministinnen hassen“ passt zu ihm. Und der Roman? Ist anders als erwartet. Nämlich weitaus differenzierter, gar nicht mal so schrecklich bissigboshaft, dafür stellenweise ziemlich lustig, von einiger erzählerischer Raffinesse und nicht zuletzt auch dies: selbstironisch. Denn mit ein bisschen Fantasie mag man in Amis‘ Protagonisten Keith Hearing, einem 22-jährigen Bücherwurm, der Klassiker der englischen Literatur nach Sexstellen abgrast, den Autor selbst erkennen. Älter geworden erinnert sich Keith an den Sommer des Jahres 1970 – den er gemeinsam mit seiner Freundin Lily, dem Busenwunder Sheherazade und ein paar anderen im Urlaubsparadies Italien verbringt. Ein Sommer der Liebe, der endlich ausgelebten Triebe soll es werden. Und der Kniff von „Die schwangere Witwe“ liegt eben darin, dass sich die angestaute Erregung nur halbwegs und ziemlich ungelenk ausagieren lässt. Die gesellschaftlich gemachten Verkrampfungen sitzen verdammt tief. In der Trennung von Liebe und Sex, die sich damals durchzusetzen beginnt, stecke etwas Trauriges; sie markiere den Beginn einer Pornografisierung der Welt, denkt Keith. Keine Frage, der Erzähler des Romans ist ein waschechter Kulturpessimist. Sein Erfinder Martin Amis mit Sicherheit auch.

Hablizel, 2011, 413 Seiten, 18,90 Euro

Hanser, 2012, 414 Seiten, 24,90 Euro

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R o m a n

Am Schwarzen Berg Anna Katharina Hahn Kerstin Cornils

Eigentlich ein perfekter Sommertag: Das Weingärtnerdörfchen Burghalde bei Stuttgart duftet nach Geißblatt und sonnenwarmem Linoleum. In den von Fledermäusen umschwirrten Bungalows der Ärzte und Bibliothekarinnen wird Zwetschgenmus eingekocht. Emil Bub, ein verheirateter Studienrat kurz vor der Rente, könnte diesen herrlichen Ferientag in vollen Zügen genießen, die Welse im Aquarium füttern und anschließend im Meer seiner Bücher versinken. Doch etwas nagt an Emil, zerstört das Morgenidyll: Er macht sich Sorgen um den Nachbarsjungen Peter, der mittlerweile längst erwachsen, ja verheiratet ist. Ein Bangen, das nichts mit Pädophilie, viel aber mit Kinderlosigkeit und Emils Freude am Gespräch mit jungen Menschen zu tun hat. Seitdem Peter von seiner Frau verlassen wurde und in Depression versunken ist, hat sich der Junge mit dem Caravaggio-Gesicht nebenan bei seinen Eltern verkrochen. Eine Kapitulation, die Emil quält, als habe er selbst versagt. Die 1970 geborene Autorin Anna Katharina Hahn hat ein Faible für Varianten der Liebe jenseits der gewohnten Matrix der Jugendlichkeit. Schon in ihrem gefeierten Roman „Kürzere Tage“ hat sie das eindringliche Porträt einer Ehe zweier alter Menschen gezeichnet, nun fasst sie in ihrem neuen Buch „Am Schwarzen Berg“ das Verhältnis zwischen einem jungen Mann und seinem literaturverliebten Ersatzvater ins Auge. Von Ferne blitzt gar das Motiv des Stalking auf, zumal Hahn in ihren Text noch einen zweiten Boden einzieht: Wiederholt taucht sie ins 19. Jahrhundert ab und erzählt von der rätselhaften Besessenheit eines Biographen vom vermeintlichen Doppelleben Eduard Mörikes. Anders als Uwe Tellkamp, der in „Der Turm“ die Verehrung eines jungen Mannes für seinen Mentor süßlich-gestrig ausbuchstabiert hat, pulsiert in Hahns brillant beobachteter Welt der Häuslebauer und Wutbürger reine Gegenwart. Eiskalt hat die Autorin das Vertrauen auf das Alte und unsere Suche nach Trost demontiert. Am Ende stellen sich Emils Bücher als reines Gift heraus.

Suhrkamp, 2012, 237 Seiten, 19,95 Euro

Bücher


N e u e

S t ü c k e

Stimmen des Aufruhrs Tina Fibiger

Licht fällt auf die Masken und auf diese Gesellschaft gebückter Gestalten, die vom Ende des trojanischen Krieges erfährt. Ein göttlicher Fluch lastet auf dem Herrscherhaus der Atriden, dessen Folgen Aischylos in „Die Orestie“ dramatisierte. Das griechische Volk will sich nicht länger der Willkür beugen, die hier einer dunklen Schicksalslinie zu folgen scheint: Da ist der Mord Klytaimnestras am erfolgreichen Kriegsheimkehrer Agamemnon, nachdem der für das Kriegsglück die gemeinsame Tochter Iphigenie geopfert hatte. Und die blutige Rache, die Orestes an der Mutter und deren Liebhaber Aighistos vornimmt. Es sind die Stimmen des Aufruhrs, die Intendant Mark Zurmühle mit seiner Inszenierung am Deutschen Theater verfolgt, wie sie dieses Herrschaftssystem mit seinen Macht- und Rachestrategien in Frage stellen. Der Chor wird zum teilnehmenden Beobachter, der sich weder von taktischen Argumenten noch von moralischen Zweifeln blenden lässt, wenn mit Orestes die nachfolgende Generation gefordert ist, aus dieser Blut- und Rachechronologie auszubrechen und sich dabei in moralischen Zweifeln verfängt. Zurmühle bringt mit einem Taubstummenchor im zweiten Teil der antiken Tragödientrilogie eine subversive Kraft ins Spiel. Allzu verräterisch klingen die Argumente für die Ablösung eines mörderischen Systems, die sich hier in Gesten und Zeichen wie heimliche hoffnungsvolle Botschaften mitteilen. Am Ende mischt sich eine neue, junge Göttergeneration in das Tribunal gegen den Muttermörder ein und entscheidet über seine Entlastung. Doch dass sie damit auch den Weg frei macht für eine demokratische Rechtssprechung nach menschlichen Kategorien will diese Inszenierung nicht glaubhaft machen. Nur die Stimmen des Aufruhrs scheinen vorübergehend gebändigt. Eine Gruppe kämpferischer Zeitgenossen hat sich auch im Jungen Theater zusammengerottet. Nur dass sich all die Pläne, das politische Klima zu unterwandern, längst verflüchtigt haben. „Aufstand der Papageien“ hat Kathrin Bolbeth ihr erstes Bühnenstück genannt, das sie mit dem Team des JT-Studentenclubs inszenierte. Hier ist der Aufruhr längst zur Pose verkommen. Mit Blick auf mögliche Boykottaktionen gegen das globale Diktat der Finanzkräfte und der Ressourcenausbeuter werden nur noch Phrasen durchgespielt. Die andauernde Nähe fördert Wutanfälle und eine konspirative Konkurrenz mit egomanischen Ausbrüchen. Bea nennt sich die junge Frau, von der niemand weiß, wie sie in dieses Camp geraten ist. Alle sind mit der Sinnsucherin überfordert, die weder Ziele noch Positionen formuliert und lediglich versucht, die Umgebung zu begreifen. Um sie herum braut sich ein Labyrinth aus Aggressionen und Eifersüchteleien zusammen. Auch flüchtige Sehnsuchtsgedanken vermag sie auszulösen und spontane Bündnisse, die den fehlenden Aktionsradius der Gruppe für Momente stimulieren. Die mitunter lähmende Bühnenatmosphäre kann sie dabei nicht nicht unterwandern. Auch weil sich die Figuren in den Dialogen mehr und mehr verrätseln und nur nach Worten suchen, mit denen sie endlich einmal sich meinen und nicht bloß eine hilflos opportune Geste.

Die Orestie* Deutsches Theater; Regie: Mark Zurmühle

& Aufstand der Papageien Junges Theater; Regie: Kathrin Bolbeth

* Roland Bonjour (Foto: Clemens Eulig)

26 Theater


K n u spr i g e s

a u s

M ü n c h e n

Schweinsbratenkultur Thomas Schaefer

Indien, Israel, Idar-Oberstein – allerhand, wo sich Mitarbeiter des Magazins, das Sie, Leserin und Leser, in Händen halten, herumtreiben. Meins ist das nicht. Ich bleibe lieber dem Vertrauten treu, z. B. der Stadt München, über die ich mich an dieser Stelle gelegentlich ausgelassen habe, weil man dort nämlich stets kolumnentaugliche Beobachtungen macht, und die ich deshalb unlängst erneut aufgesucht habe. Und wegen des Schweinsbratens, dessen Verzehr außerhalb der „Schweinsbratenkultur“ Bayerns sinnlos ist, wie man von Gerhard Polt weiß, der nun auch schon 70 ist und deshalb mit einer Ausstellung im Münchner Literaturhaus geehrt wird (noch ein Reisegrund). „Ein Mensch, der öffentlich einen Schweinsbraten isst, der muss ja zugeben, wer er ist“, erklärte Polt einst. „Dem Björn Engholm würde ich nicht unbedingt zuschauen wollen, wie er einen Schweinsbraten isst. Oder dem schwedischen Ministerpräsidenten. Der kann vielleicht ein Knäckebrot essen.“ Kein solches, aber einen original Schweinsbraten kann man in München sogar noch hier und da bekommen (allerdings werden immer mehr würdevolle Wirtshäuser weggentrifiziert von irgendeiner globalisierten Systemgastronomie), etwa im Donisl, der günstig am Marienplatz gelegen und – obwohl er viele Touristen anlockt – preiswert und gut ist. „Tellerfleisch von der Ochsenbrust“, „Ochsenbraten mit warmem Kartoffelsalat“, „Jungschweinsbraten mit 2 Semmelknödel“ – die Karte bietet alles, was das nichtvegetarische Münchenbesucherherz schon bei der Lektüre sättigt. Und gelegentlich verwirrt. Ein „resch gebratenes Bierbratl“ – was mag das sein? Kompetent, diese Fremdenfrage zu beantworten, sollte der Kellner sein, der just mit der ersten Lieferung frischen Hacker-Pschorrs an den Tisch eilt, das Wort „Wammerl“ herausbrummt und schon wieder verschwunden ist. Wammerl, ah ja. Das zweitbeste, was die Münchner neben dem Schweinsbraten zu bieten haben, ist ihre Grantigkeit. Die U 3 ist zwischen Olympiazentrum und Münchner Freiheit wegen Bauarbeiten gesperrt und durch einen Schienenersatzverkehr ersetzt, d. h. einen Bus, in dem sich u. a. eine ältere Dame aufhält, die sich anschickt, den Bus an der Station Scheidplatz zu verlassen, den Busfahrer fragt, ob sie dort die U-Bahn wieder benutzen kann und von einem vorbildlich dicken Münchner umgehend mit einer Schimpfkanonade bedacht wird, deren Zweck darin besteht, der Alten zu verklickern, wie dumm sie ist, und die in der Aussage kulminiert: „Der Bus hier, des is die U-Bahn, die wo net fährt“. Das hat dann schon sprachphilosophische Tiefe im Heidegger-Wittgenstein-Stoibersch‘schen Sinn. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema. Und nun fährt auch schon der ICE heim gen Norden, ein „Ersatzzug ohne Reservierung“, was den Zugchef zu der Lautsprecherdurchsage veranlasst: „Reisende mit ohne Reservierung werden gebeten, Reisenden mit Reservierung ...“ Und dann schweigt der Zugchef, bis Ingolstadt oder Indien. Und auch der Rest dieser so rasch wie resch gebratenen Kolumne ist sattes Schweigen.

fehmi-baumbach.de

27 Kolumne


Ma i

Sterne Ella Jaspers

Wassermann  Du willst nicht mehr weiterspielen. Auf Wiedersehen, denkst du und schlägst dem Fass den Boden aus. Unten kleckern die goldenen Tropfen in deine Erinnerung und auf der Klebespur ziehst du deine Bahnen, geronnen. Fische  Du siehst aus wie ein Boxkämpfer. Stark und sicher fühlt sich die Oberfläche an, vor dem Kampf. In den Rosinen deines Weißbrotes sammelt sich neben der Süße eine kleine Bitterkeit. Widder  Dein Kragen steht offen, in der hellen Sonne fühlst du dich wie ein Matador. Zwischen Übermut, Angst und Schuld ächzt dein Herz. Die splitternden Latten stechen deinem Gegenüber in das Marmeladenglas. Stier  Ungnädigsein gegen jedwede Halbherzigkeiten. Das Ganze willkommen heißen, die verleugneten Kompromisse sind von dir ohne Hinterhalt enttarnt, Kopf und Herz zusammengebracht, wo sie sich nie zu treffen glaubten. Zwillinge  Wandern im Morgengrauen. Nichts ist köstlicher als den Weg gemeinsam zurückzulegen, die Dämmerung verscheucht die dunkeln Ecken in den Schraffuren. Krebs  Dem Eigenen wieder näher kommen. Die Worte, Sätze, Halbwahrheiten beiseite schieben und nach innen horchen. Warmer Kürbis mit wunderbarster Füllung. Dazu kleine, runde Brötchen. Löwe  Im Sträflingsanzug durch die Halle schlurfen, die Kugel poltert über die Fugen. In den Tönen des heraufklingenden Klavierspiels Regentropfen bergen und wohlleben auf Nimmerwiedersehen. Jungfrau  Die Vorstellung kann beginnen. Vom Fenster aus kannst du dein altes Leben sehen. Nervosität perlt an deiner Stirn herab, sammelt sich wässerig in der Suppentasse vor dir. Jeder neue aufschlagende Tropfen ein Quäntchen zu viel Salz.

om: tiert v

R DOLLA CLUB

präsen

Waage  Baron Honigs nussgoldenes Glänzen umwirbt deinen Lauf. Beharrlich begleitet er deine Wege. Auch seine harte Seite ist schön, bartstoppelnde Weichheit und lässigste Eleganz, nicht eitel, schön. Der Tiger erwacht. Skorpion  Lass dich warm umfangen und schön mit dir reden. Eine Stimme innen, eine außen, zwei, drei, vier. Blumengießen und wachsen. Frieden und Freundschaft für die Menschen dieser Erde. Schütze  Wie du im Dunkel leuchtest. Helles Gesicht mit strahlendem Kranz im Außen. Du ahnst davon nichts. Hinter dem Klappern und Knallen, dem Obendrüber und Untendrunter verbergen sich kleine Seen von Goldbären. Steinbock  Fleischfarbene Strümpfe ringeln sich um deine Haxen. Currypuder schwimmt den Fluss entlang, gelber Gruß aus einem entfernten Chutney. Die Himbeerstauden lassen mit ihren Früchten auf sich warten, nur schwarze Lackschuhe sprossen hervor. 28 Horoskope



24. 5. 30

20

Sóley & Sin Fang Apex

30.4. 00

17

Beacheröffnung Sausalitos Während wir diesen Tagestipp für Sie schreiben, prasselt kalter Regen gegen unsere von Väterchen Frost getrübten Fenster. Umso größer ist da unsere Freude über die Neuigkeit, dass in dieser Stadt demnächst das Sausalitos für Frühling sorgen wird. Tonnenweise habe man weißen Sand aus Spanien eingeflogen, wird uns glaubwürdig versichert. Auch ein Palmengarten sei gepflanzt worden, in dem die Liebhaber von Piña Colada und Granatapfelkernen nach Herzenslust säuseln und spazieren können. Alhambra an der Leine. 30 30

Die Nacht der Studenten Alpenmax

2. 5. 00

22

Immer wieder ist das Alpenmax Garant für geschmackvolle Events. Gern erinnern wir uns an die „Dicke-Eier-Party“, wo wir doch glatt ein Hühnchen gesehen haben, das … Aber nein, wo denken Sie hin, Witze über wehrlose Tiere machen wir nicht! Schließlich haben wir Karen Duve gelesen und sind Ihnen seit Jahren als Leuchtturm der Seriosität bekannt. In aller gebotenen Ernsthaftigkeit informieren wir Sie hiermit über die mittlerweile berühmte „Nacht der Studenten“ mit DJs aus der Region und Getränken zu Spezialpreisen. PONY Express


Apex Diva Lounge

Fr

Sa

So

27.4.

28.4.

29.4.

Funk & Wegener Konzert 20.15

Robert Griess Kabarett 20.30

N. Orleans Syncopators Konzert 17.00

Paulaner-Tag

Frühstücksbuffet & Bundesliga 10.00 / 15.30

Frühstücksbuffet & Tatort 10.30 / 20.15

18.00

I Love 00s DJ Bionique 23.00

Mikkroclubbing

Klangwelt 23.00

The Spirit of Outpost Kultrock 23.00

Jura-Examensparty

Famous

23.00

23.00

Voodoo Bee Ragga & Dancehall 23.00

Black Shampoo Funk & Soul 23.00

Rock gegen Rheuma DJ Albi 21.00

Monsters of Liedermaching 20.30

Ron Spielman Trio Konzert 21.00

The Electric Fog Konzert 21.30

Friday Rhymes

Breakfast & Friends

Winter-Tales

10.00

10.00

10.00

Sureshots by Turntable Twins 21.00

Eighties Fusion by Djane Viper M 21.00

Tangente

Hard aber Herzlich

Just 00s

23.00

23.00

Thanners

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

13.00

13.00

14.00

EinsB Exil Freihafen JT-Keller Musa Nörgelbuff pools 6 Millionen Dollar Club

23.00

T-Keller (T) Kabale (K) Diverse

Tango-Salon 20.00

Breakfast-Club 10.00 (K) Sausa Ritmo SAUSALITOS

22.00


Apex

Mo

Di

Mi

Do

30.4.

1.5.

2.5.

3.5.

Cyrano v. Bergerac Stille Hunde 20.15

Diva Lounge EinsB

Hammerschlag & Muffensausen 20.15

Holmes Konzert 20.30

War Photographer Film 20.15

Lounge

Lounge

Whiskey-Probier-Tag

15.00

15.00

20.00

Mai Fly 2012 Sexy Sander 23.00

Die legendäre Semesterparty 23.00 23.00

Rock Jukebox DJ Wishmaster 23.00

Salsa en Sótano Salsa & Latin 22.00

Deep in the Groove Jam-Session 21.00

Wild‘n Weiz‘n

Exil Freihafen JT-Keller

Tanz in den Mai

Musa

Tanz in den Mai

Nörgelbuff

23.00

23.00

Spielstunde Spezial 21.30

Kallelujah

Tannenzäpfle-Dienstag

Starlights & Musik

Manic Thursday

10.00

10.00

10.00

10.00

Shut the Funk up by Funky G-Had 21.00

Geschlossen

Jäger & Sammler Astra -Special 21.00

Sekt and the City Sekt-Special 21.00

pools 6 Millionen Dollar Club Tangente Thanners

Tanz in den Mai

Wishes

23.00

23.00

Tag- & Nachtschänke Warsteiner-Stunde 14.00

Tag- & Nachtschänke Kölsch-Stunde 14.00

Pasta-Tag 16.00 (K)

Frauenlesbentrans-* Kneipe 20.30 (K)

T-Keller (T) Kabale (K) Diverse

Tora Bora Allstars WOCHENMARKT

20.00

Student’s Night 20.00 IRISH PUB

Weizen-Tag 14.00

Tag- & Nachtschänke Jever-Stunde 14.00 Fass-Tag 18.00 (K)

Nacht d. Studenten 21.00 ALPENMAX

Karaoke Cocktailbar 20.00 CAPO BAR


Fr

Sa

So

4.5.

5.5.

6.5.

Shatabdi Groove Express 20.30

Kerim Pamuk Kabarett 20.15

Paulaner-Tag 18.00

Frühstücksbuffet & Bundesliga 10.00 / 15.30

Georgia Club HipHop,Funk & Disco 23.00

E.T. Deep- & Techhouse 23.00

Headbangers Ballroom

The Spirit of Outpost Kultrock 23.00

23.00

Frühstücksbuffet & Tatort 10.30 / 20.15

KaraokeCocktail-Bar Capo Bar

Black Wazabi Gunman & C. Verde 23.00

Kiss Club

Weekender Britpop 23.00

La Boum Eighties 23.00

Power Dance DJ Martin 21.00

Local Heroes

Tango-Salon

20.00

20.00

Traumatanz Dark Wave 21.00

Gypsi Juice Balkan Beats 22.00

Aufstand d. Papageien Theater 20.00

Friday Rhymes

Breakfast & Friends

Winter-Tales

10.00

10.00

10.00

Bicki Bashs Beat Bomb by Bicki Bash 21.00

It´s like that by D3f 21.00

Merry-go-Round Konzert 21.00

Venus sucht Mars Singleparty 23.00

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

13.00

13.00

14.00

23.00

3.5.

00

20

Bei iTunes gibt es von populären Songs mehr Versionen ohne Vocals als mit. Der Bedarf scheint da zu sein: Freunde spielen nachts „SingStar“, die Nachbarn heulen mit. Von einem leeren Orchester, wie es die Übersetzung des japanischen Wortes Karaoke nahelegt, ist dabei in den meisten Fällen kaum zu sprechen. Und Gesang hört sich eigentlich auch anders an. Nun muss das alles nicht allein zuhause passieren, denn die Capo Bar nimmt ihre lustige, leidenschaftliche, lästerhafte Karaoke-Party wieder auf.

Breakfast-Club 10.00 (K) Electronic Earthshake 23.00 CAPO BAR

Beat-Therapy BLUE NOTE

23.00

ab

3. 5. 15

20

Iron Sky Lumière

„Darf man über Nazis Witze machen?“, frug anlässlich der Premiere von „Iron Sky“ mal wieder die Kritik. Und natürlich darf man: „Der große Diktator“ von Chaplin oder „Sein oder Nichtsein“ von Lubitsch zählen zu den Höhepunkten der Filmgeschichte. Das freilich kann man von „Iron Sky“ nicht behaupten: Der Plot ist hanebüchen, nur jede dritte Pointe sitzt und die Botschaft ist eher antiamerikanisch als antifaschistisch. Trotzdem: Gut aussehen tut‘s schon, was da über die Leinwand flimmert, und lustig is‘ auch, irgendwie jedenfalls.

Wer will schon Lokalheld sein? Und was ist das überhaupt? Jemand, der in einem Lokal auf dem Tisch tanzt? Oder handelt es sich um einen nur lokal bekannten Helden? Wenn schon Held, dann richtig. Menschenleben retten, das System stürzen, die Welt revolutionieren. Musik ist ja auch ein kleiner Baustein davon, das darf man nicht vergessen. Musik kann Berge versetzen! Und aus einem oder mehreren Local Heroes, hervorgegangen aus dem gleichnamigen Bandcontest, kann ja später noch ein richtiger Held werden. 33

5. 5.

00

20

Local Heroes Musa


Apex

Mo

Di

Mi

Do

7.5.

8.5.

9.5.

10.5.

Der Fall Vanunu Stille Hunde 20.15

R. Legrand et le petit groupe BoumBoum 20.15

Sophie Scholl Stille Hunde 20.15

G.Hampel Europ.-N.Y. Quintett 20.30

Lounge

Lounge

Whiskey-Probier-Tag

15.00

15.00

20.00

Diva Lounge

Profs@Turntables

EinsB

23.00

Exil

The Kilkennys Konzert 23.00

Rock Jukebox DJ Wishmaster 23.00

Salsa en Sótano Salsa & Latin 22.00

Aufstand d. Papageien Theater 20.00

Freihafen JT-Keller Musa Nörgelbuff pools

Salsa-Kneipe 20.30

NB-Houseband Funk, Soul & Blues 21.30 Kallelujah

Tannenzäpfle-Dienstag

Starlights & Musik

Manic Thursday

10.00

10.00

10.00

10.00

Jack Out ... Jack Daniels-Special 21.00

Jäger & Sammler Astra-Special 21.00

Sekt and the City Sekt-Special 21.00

Wishes

Profs@Turntables

23.00

23.00

Weizen-Tag

Tag- & Nachtschänke Jever-Stunde 14.00

6 Millionen Dollar Club Tangente Thanners T-Keller (T) Kabale (K) Diverse

Tag- & Nachtschänke Warsteiner-Stunde 14.00

Tag- & Nachtschänke Kölsch-Stunde 14.00

Pasta-Tag 16.00 (K)

Frauenlesbentrans-* Kneipe 20.30 (K)

Fass-Tag 18.00 (K)

Judith Schalansky LIT. ZENTRUM

Karaoke-Cocktailbar 20.00 CAPO BAR

20.00

14.00


Fr

Sa

So

11.5.

12.5.

13.5.

The Tellers Konzert 20.30 Paulaner-Tag 18.00

Club Moustache 23.00

Nacht der Schatten 23.00

Frühstücksbuffet & DFB-Pokal 10.00 / 20.00

Frühstücksbuffet & Tatort 10.30 / 20.15

Groovy Jubiläumsparty Groovemagnet 23.00

Face Tomorrow & Death Letters 11. 5.

The Spirit of Outpost Kultrock 23.00

23.00

Vollmondparty Extremtanzbar 23.00

Cry Baby Club Dj Bionique 23.00

Rock gegen Rheuma DJ Albi 21.00

World Beat Party DJ Ringo & Roy 21.00

The T-Bone Rockets Konzert 21.30

Drei Mann im Doppelbett 21.00

Friday Rhymes

Breakfast & Friends

Winter-Tales

10.00

10.00

10.00

Shut up the Funk by Funky G-Had 21.00

Break the Funk by Slick Tec 21.00

Zartbitter-Party Indie & Emo 23.00

Strickly 90s Eurodance & Pop 23.00

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

13.00

13.00

14.00

Face Tomorrow & Death Letters 21.00 (T) Barbara Köhler 20.00 LIT. ZENTRUM

GroovyJubiläumsparty EinsB

Tango-Salon 20.00

20

Gut zehn Jahre dabei, sind Face Tomorrow aus dem Land, in dem die Tulpen blühen, tagein, tagaus, nur wenigen Emo-Indie-PostHardcore-Freunden ein Begriff. Außer den holländischen SzeneGängern, die selbstverständlich jede Note mitsingen können. Was verhältnismäßig leicht ist, denn Pathos kommt von Melodie. Beides gibt es reichlich bei Face Tomorrow. Die Songs der Kollegen von Death Letters sind einen Hauch direkter, mehr Rock and Roll. Fans von Trail of Dead und der Datsuns sind sie. Genau: Was machen eigentlich die Datsuns?

Breakfast-Club 10.00 (K) Sausa Ritmo 22.00 SAUSALITOS

12. 5. 00

23

RSV Göttingen 05 vs. SC Langenhagen

13.5. 15 Uhr Jahnstadion

Man mag sich trefflich darüber streiten, ob der 16. Geburtstag ein „Jubiläum“ ist, aber bei einem Fachgeschäft für Musik- und Kifferbedarf sollte man keine Haare spalten. Groovy wird jedenfalls sechzehn, und es wird gefeiert – mit Sonderangeboten den ganzen Wonnemonat Mai über, mit einer Tombola am 2. Mai und, last not least, mit einer fetten Geburtstags-Party im Eins B. Hauptact sind die Tanzgaranten von Groovemagnet; an den Tellern stehen Gunman, Cobra Verde und Grille. Wir gratulieren!

Wäre das großartige Progressive-Punk-Label SST (siehe Artikel vorn) noch aktiv, könnte man heute vielleicht Platten des französischen Trios Papier Tigre im SST-Katalog finden. Eine verdammt quirlige Sorte Math-Punk spielen die drei. Jazzcore, Post-Hardcore und hysterischen Post-Punk im Sinn veranstalten sie ein herrlich zickiges Donnerwetter. Die süddeutschen Noiserocker Ten Volt Shock haben regelmäßig Sex mit Dampfwalzen. Sieht man ihnen allerdings nicht an, sehr rätselhaft. 35

00

T-Keller

Ein Kessel Buntes Schlager 23.00

Bonne Soirée

17. 5. 00

20

Papier Tigre T-Keller


Mo

Di

Mi

Do

14.5.

15.5.

16.5.

17.5.

Apex

Oliver Uschmann Lesung 20.15

Ian Melrose Konzert 20.15

Händel-Talk Publikumsgespräch 12.00

Lounge

Lounge

Whiskey-Probier-Tag

15.00

15.00

20.00

Göttingen goes Wild Disco-Classics 23.00

Flashback

Wild‘n Weiz‘n

Blues´n Boogie Küche Konzert 21.00

Diva Lounge EinsB Exil

22.00

23.00

Freihafen Vaddatach Classic-Trash 23.00

JT-Keller Musa Nörgelbuff pools

Salsa-Kneipe 20.30

Querbeat Bandsession 21.30

Into it: Over it Konzert 20.00

6 Millionen Dollar Club

Oh My Darling Konzert 21.00

Salsa en Sótano Salsa & Latin 22.00

Street Doves Konzert 21.30

Tannenzäpfle-Dienstag

Starlights & Musik

Manic Thursday

10.00

10.00

10.00

Jack Out ... Jack Daniels-Special 21.00

Eighties Fusion by Djane Viper M 21.00

Sekt and the City Sekt-Special 21.00

Hot Spot Best of Tangente 23.00

Tangente Thanners T-Keller (T) Kabale (K) Diverse

Tag- & Nachtschänke Warsteiner-Stunde 14.00

Tag- & Nachtschänke Kölsch-Stunde 14.00

Pasta-Tag 16.00 (K)

Frauenlesbentrans-* Kneipe 20.30 (K) Karl Gebauer LIT. ZENTRUM

20.00

Weizen-Tag 14.00

Tag- & Nachtschänke Jever-Stunde 14.00 Ten Volt Shock & Papier Tigre 21.00 (T)

One Strike Left NOTE

21.00 BLUE

Karaoke Cocktailbar 20.00 CAPO BAR


Fr

Sa

So

18.5.

19.5.

20.5.

Der kl. Opernfreund Stille Hunde 24.00

N. Orleans Syncopators Konzert 17.00

18.00

Champions League Finale 20.00

Frühstücksbuffet & Tatort 10.30 / 20.15

King Kong Kicks Guitar Pop 23.00

Kill your Idols 90s Trash 23.00

Classic Rocknacht

The Spirit of Outpost Kultrock 23.00

Paulaner-Tag

23.00

Sabor Latino 23.00

Sauna Club 23.00

Nancy & I Nörgelbuff

Jukebox Explosion Indie & Bastard 23.00

Power Dance DJ Martin 21.00

18. 5. 30

21

Kill your Idols 90s Trash 23.00

Tango-Salon 20.00

Nancy & I Konzert 21.30

Uni Royal - Händel Konzert 20.00

Manfred Langer Lesung 20.00

Friday Rhymes

Breakfast & Friends

Winter-Tales

10.00

10.00

10.00

Funkylicious by Djazzinho 21.00

Nuzzlefunk by Elnite 21.00

Ballroom Blitz 80s and more 23.00

Gaynight

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

13.00

13.00

14.00

21.00

Das Nörgelbuff erinnert von der Atmosphäre her vor allem an einen Jazzkeller, doch dass es auch dort so punkig zugehen kann wie im JuzI, zeigen jetzt Nancy & I – eine fünfköpfige Band, die ihren Stil als „raue Mischung von Melodie, Energie und Rock“ bezeichnet. Die Jungs standen bereits mit Punkgrößen wie Turbostaat, Go Faster Nuns, Sondaschule oder Rubberslime auf der Bühne und haben 2011 ihr Album „Punkrock Injection“ veröffentlicht. Wir zitieren: „Kickass melodic Punkrock straight into your face!“

Breakfast-Club 10.00 (K) Black Music BLUE NOTE

23.00

Mittekill Schlachthof (KS)

Funkaholika CAPO BAR

23.00

18. 5. 00

21

Fenster HOSTEL 37

17.00

Ja, sind wir denn schon wieder in Berlin!? Nun, nicht ganz – der Berliner Friedrich Greiling spielt schließlich in Kassel. Aber es stimmt schon, als Mittekill auf dem Berliner Polit-Hipster-Label Staatsakt bezieht er sich bereits namentlich auf die Metropole. Und spielt Musik, wie sie nur aus Berlin kommen kann – ziemlich derb, meist laut, platt und klug zugleich, hip, selbstredend, ohne hip sein zu wollen. „Jtzt wrd gefckt“ heißt ein Stück. Das passt. Raven zu Bierchenlaune an Herzschmerz. Warum nicht?

Gestern noch Paris, Madrid und Mailand – heute tritt die wunderbare Math-Rock-Band This Town Needs Guns aus Oxford in Göttingen auf. Melancholischer Gesang wird von komplexen, mitreißenden Gitarren in die Zukunft gerissen. Der „Sydney Morning Herald“ jubelte einst, TTNGs Debütalbum „Animals“ sei besser als eine Reise zum Zoo – was etwas heißen will in einer Stadt, die wohl den schönsten Tierpark der Welt ihr eigen nennt. Unterstützt wird die Band von den begabten Luxemburgern Mutiny On The Bounty. 37

22. 5. 00

20

This Town Needs Guns Laufsteg


Mo

Di

Mi

Do

21.5.

22.5.

23.5.

24.5. Sin Fang & Sóley Konzert 20.30

Apex Diva Lounge

Lounge

Lounge

Whiskey-Probier-Tag

15.00

15.00

20.00

Wild‘n Weiz‘n

Rock Jukebox DJ Wishmaster 23.00

EinsB Exil

22.00

Freihafen JT-Keller Musa Nörgelbuff pools

20.30

D.O.A. Konzert 21.30

NB-Houseband Funk, Soul & Blues 21.30

Salsa en Sótano Salsa & Latin 22.00

La vache qui rit Konzert 21.00

Salsa-Kneipe

Kallelujah

Tannenzäpfle-Dienstag

Starlights & Musik

Manic Thursday

10.00

10.00

10.00

10.00

Dollar-Lounge

Jäger & Sammler Astra -Special 21.00

Sekt and the City Sekt-Special 21.00

Weizen-Tag

Tag- & Nachtschänke Jever-Stunde 14.00

6 Millionen Dollar Club

21.00

Tangente Thanners T-Keller (T) Kabale (K) Diverse

Tag- & Nachtschänke Warsteiner-Stunde 14.00

Tag- & Nachtschänke Kölsch-Stunde 14.00

Pasta-Tag 16.00 (K)

Frauenlesbentrans-* Kneipe 20.30 (K) This Town Needs Guns 20.00 LAUFSTEG

14.00

SST-DJ-Abend 21.00 (T) Nacht d. Studenten 21.00 ALPENMAX

Alexander Nitzberg 20.00 LIT. ZENTRUM


Fr

Sa

So

25.5.

26.5.

27.5.

26. 5. 00

23

Der kl. Opernfreund Stille Hunde 24.00 Paulaner-Tag 18.00

Klub Karracho Soul, Indie & 60´s 23.00

I Love 00´s DJ Bionique 23.00

Bionique & Slick Tec 23.00

pony.party XV

23.00

The Spirit of Outpost Kultrock 23.00

Ohrmuschelrauschen

Urban Legends

23.00

23.00

Voodoo Bee Ragga & Dancehall 23.00

Black Shampoo Funk & Soul 23.00

Klangwelt

Frühstücksbuffet & Tatort 10.30 / 20.15

Rock gegen Rheuma DJ Albi 21.00

Hidden Light Konzert 20.00

Tango-Salon 20.00

Ukulelen-Spielkreis 15.00

Friday Rhymes

Breakfast & Friends

Winter-Tales

10.00

10.00

10.00

Sureshots by Turntable Twins 21.00

Beatgrade by EdScientific 21.00

Bicki Bashs Beat Bomb by Bicki Bash 21.00

Hard aber Herzlich Indie & Alternative 23.00

Just 00s

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

Tag- & Nachtschänke

13.00

13.00

14.00

23.00

Breakfast-Club 10.00 (K) Electronische Tanzmusik 23.00 CAPO BAR

Rue Royale pools

28. 5.

Electronic Earthquake 23.00 BLUE NOTE

Electronic Earthquake Blue Note Bewusstseinslage, kognitive Fähigkeiten, Wahrnehmung, Affekt und Verhalten ändern sich im Rausch. Metrik setzt darin Schwerpunkte, operationalisiert die Sache. Manchmal ist es mit Rausch & Metrik wie am Strand, die Wellen und der Sand ergeben auch so einen soghaften Beat. Dann wieder sind sie sachlich, nüchtern, spitz und minimal. Electronic Earthquake macht Erschütterungen messbar, ruckweise Regelmäßigkeiten und fließende Abweichungen machen dabei die Tanzbarkeit aus, die Tanzunmittelbarkeit und Bedingungslosigkeit.

Latino-Party BLUE NOTE

20.00

Hätte der böse Sheriff die Songs des Nottinghamer Duos Rue Royale dereinst hören können, wäre sein steinernes Herz auf der Stelle erweicht und Robin und Co. hätten sich nicht länger im dunklen Wald verstecken müssen. So, jetzt wissen Sie Bescheid und können beruhigt das Pools aufsuchen, um den Eheleuten Brooklyn und Ruth Dekker zu lauschen, wie sie von Low und der Chicagoer Kranky-Szene gelernt haben, im Duett die Lichter auszuknipsen und sie durch flackerndes Kerzenlicht zu ersetzen.

00

20

Frank Schulz ist ein echter Hochprozenter: In seinen Romanen wird gesoffen wie nichts Gutes. Entsprechend derangiert kommen Schulzens Helden daher. Der neueste Roman heißt „Onno Viets und der Irre vom Kiez“, sein Held ist von Beruf Hartz-IV-Empfänger und, natürlich, pleite. Um Abhilfe zu schaffen, eröffnet er auf St. Pauli ein Detektivbüro und gerät sofort mit einer gefürchteten Kiezgröße aneinander. Ein „Bukowski von der Elbe“ meint der NDR, doch liegt er falsch: Frank Schulz ist lustiger. Eintritt frei. 39

1.6. 00

19

Frank Schulz Lit. Zentrum


Mo

Di

Mi

28.5.

29.5.

30.5.

Apex Diva Lounge

Kl. Raupe Nimmersatt Stille Hunde 15.00

Der Fall Vanunu Stille Hunde 20.15

Lounge

Lounge

15.00

15.00

EinsB Wild‘n Weiz‘n

Exil

23.00

Freihafen JT-Keller Musa Nörgelbuff pools

Salsa-Kneipe 20.30

Spielstunde Open Stage 21.30 Max Rafferty Konzert 20.00

6 Millionen Dollar Club

Salsa en Sótano Salsa & Latin 22.00 Tannenzäpfle-Dienstag

Starlights & Musik

10.00

10.00

Geschlossen

Jäger & Sammler Astra -Special 21.00 Wishes

Tangente Thanners T-Keller (T) Kabale (K) Diverse

23.00

Tag- & Nachtschänke Warsteiner-Stunde 14.00

Tag- & Nachtschänke Kölsch-Stunde 14.00

Pasta-Tag 16.00 (K)

Frauenlesbentrans-* Kneipe 20.30 (K) Student’s Night 20.00 IRISH PUB

Weizen-Tag 14.00

Judith Zander LIT. ZENTRUM

20.00


Herausgeber pony.medien, Tim Kießling Hospitalstraße 35 / 37073 Göttingen Kontakt Tel.: +49 (0) 551 - 99 51 430 info@readmypony.com Geschäftsführung Tim Kießling Chefredaktion Michael Saager (V.i.S.d.P.) saager@readmypony.com Redaktion Kerstin Cornils, Jan Langehein, Henning Lisson, Tina Lüers Gestaltung Ronald Weller Mitarbeit Florian Brauer, Christoph Braun, Andreas Busche, Tina Fibiger, Carsten Happe, Ella Jaspers, Ulrich Kriest, Thomas Schaefer, Manuel Schaper, Moritz Scheper, Markus von Schwerin Fotos / Illustration  Fehmi Baumbach, Inga Birgisdottir, Gunther Glücklich, Christoph Mack, Philipp Messner, Thomas Müller, Raymond Pettibon, Sigurion Ragnar, Alamode Film, Electronic Arts, Galiani Verlag, Polyband, Rapid Eye Movies, Senator Cover  ©  Sóley / Morrmusic Anzeigen  Michaela Bang, Frank Stietenroth Druck  Grafische Werkstatt von 1980 GmbH Die Meinungen in den veröffentlichten Texten geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder.


U n t e rs t ü t z t

v o n

PONYHOF Wohlan, liebe Leserinnen und Leser, geben wir es ruhig zu! Es ist nicht alles wahr, was Sie letzten Monat an dieser Stelle lesen durften. Der Bruder des Autors ist in Wirklichkeit erst 35 und der klare Harzer Bergbach Sieber ist gar kein richtiger Bergbach. Denn richtige Berge, die stehen anderswo, in Transsilvanien zum Beispiel. Die Mutter Ihres geneigten Autors war gleichwohl weniger enttäuscht von seinen derben Lügen – der eherne Wahlspruch der Familie lautet schließlich „Wer nicht lügt, dem glaubt man nicht!“ – als von der Tatsache, unerwähnt geblieben zu sein. Dabei ist doch bald Muttertag (am 13. Mai). Ist das denn nicht genug der Aufmerksamkeit: Eine prall gefüllte Schachtel „Merci“, dazu überaus zärtlich gemeintes Bestreicheln des silbrig glänzenden Mutterhaupthaares – schon wird dem Autor ganz warm ums Herz! Nicht auszudenken, wenn mehr Menschen auf der Erde so sensibel wären. Stattdessen feierte die ganze Welt den halben April über ein uraltes Monster namens Dracula bzw. seinen Schöpfer Bram Stoker, der vor 100 Jahren – Achtung, Metaphernscherz! – ins Gras biss und in seiner Jugend ein verflucht guter Fußballer gewesen sein soll. Am Ende war der Ire vor allem ein verdammter Beamter und Ihr Autor hier verbrachte ungefähr ein halbes Jahr durchgängig auf Flohmärkten, um an eine Brille mit hypnoseblauen Minnimädchen-Verführungsgläsern zu kommen, wie sie die über alle Maßen coole Sau Gary Oldman in der grandios opulenten „Dracula“-Verfilmung von Francis Ford Coppola trägt. Es blieb freilich bei der Suche und zudem handelte es sich nicht einmal um eine Brille, sondern um ein Binokel ohne Bügel, das ihm, hätte er es aufgehabt, beim Moschen zu Metallicas „Enter Sandman“ („Sleep with one eye open ...“) sowieso kaputt gegangen wäre. Hat da jemand Nostalgieschmerzen? Nun, liebe Leserinnen und Leser, es war jedenfalls eine Zeit, als die Haare noch wachsen durften, vielleicht sogar unbedingt wachsen sollten, derweil Kurt Cobain sich seinen hübschen Kopf wegblasen musste, nachdem er von der dämonischen Courtney Love geradewegs in den Irrsinn getrieben worden war. Die Musikzeitschrift „Spex“ indes schlitterte noch nicht von einer Identitätskrise in die nächste, sodass der jüngste Kündigungsstreich des Herausgebers Lacher, der gerade zur Ablösung der letzten Redaktion führte und dazu, dass ausgerechnet der Chef des Altherrenrockfachblattes „Rolling Stone“, Torsten Groß, jetzt Chefredakteur bei „Spex“ ist, zwar durchaus zum Piepen einlädt, aber vor allem eines ist: beinahe egal nämlich. Was uns, liebe „Gala“-Leserinnen und -Leser, die Sie ja an allem Unwesentlichen wesentlich interessiert sind, zur letzten Frage führt: Wie mag der Mann, dessen neutraler Alltagsgesichtsausdruck gestandene Kampfhunde spontan zum Wimmern bringt, wie mag der Chef des Göttinger Literaturherbstes, Christoph Reisner, geschaut haben, als er erfahren musste, dass sein Literaturherbst nicht länger Austragungsort der Verleihung des honorigen „NDR Kultur Sachbuchpreises“ ist? Und was hat das zu bedeuten? Liebe Leserinnen und Leser, denken Sie da mal drüber nach. Oder tun Sie etwas Sinnvolles.

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