MAG 09: Don Giovanni

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«Wie ich Welt wurde» 41

die Musik. Deshalb hat er auch immer wieder mit dem Komponieren ausgesetzt. Er konnte in Schüben die Musik lange in sich behalten und vergass sie durch die vielen Schriften nie. Er lagerte sie durch das Reden. Dann liess er sie ausbrechen. Und das war in Zürich möglich. Man konnte hier sagen, was man wollte. Dazu gehören natürlich auch die Bewunderer, die er in Zürich fand. Richtig. Dazu gehört Bestätigung. Und die Erlaubnis, sich hemmungslos mitteilen zu dürfen. Er konnte den ganzen Dreck, die Schlacken, auch die Lava, die ihn über­ zog, herausschleudern. Er wurde das alles los. Das ist ganz wichtig. Ich habe meine Zweifel, ob heute ein grössenwahnsinniger, redseliger Deutscher noch genauso viel

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Toleranz in Zürich vorfinden würde, sich mitzuteilen. Da scheint sich womöglich etwas geändert zu haben. Die Exponiertheit, in der sich die Stadt damals historisch befand, war den Zürchern so bewusst, dass sie auch zu einer Art Nährboden wurde. Die Zürcher waren tolerant, aber sie fühlten sich auch bereichert. Sie haben ja Wagner anerkannt, ihm Ständchen gebracht und Sympathie und Ehre gegeben. Und finanziert. Und finanziert! Richtig. Bevor das Missverständnis zwischen Ludwig II. und Wagner passierte, dieses hochfinanzierte und erfolgreiche Missverständnis, haben die Zürcher ihn unmissverständlich sozusagen echt finanziert. Welches Missverständnis zwischen Ludwig II. und Richard? Ganz einfach. Ludwig glaubte, dass das Leben Kunst sein müsste und finanzierte das mit privatistischen Fantasien, während Wagner wusste, dass das Leben nie Kunst ist, sondern die Kunst dem Leben abgerungen werden muss. Dass man sie als ein erstrebenswertes, aber dauernd ge­ fährdetes Ziel immer nur vor sich haben kann. Wagner war sich im Klaren darüber, dass Leben und Kunst nicht eins sind. Was bedeutet das für die angemessene Weise, in den Städten ein Wagner-Jubiläum zu feiern? München hängt immer noch an der Figur Ludwigs II. und verehrt Wagner als einen Star, wie das in der heutigen Zeit ja besonders günstig ist. Das existenzielle Kampf­ moment und der Behauptungswille bei Wagner haben da keinen Platz. In Zürich hingegen kann man nochmal auf die Urkommunikation zurückkommen: Was bedeutet Freiheit, was Toleranz? Das Gespräch führte Claus Spahn. «Richard Wagner – Wie ich Welt wurde» entsteht in einer Kooperation zwischen dem Opernhaus Zürich und dem Schauspielhaus Zürich.

NERZ MARRON H/W 2013/14


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