MAG 02: Romeo und Julia

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Romeo und Julia 12

Wer liebt, muss zahlen Ich glaube an die Liebesheirat nur als besondere Ausnahme. Wie ich überhaupt an die grosse Liebe nur als Ausnahme glaube, wir sind nicht per se alle so wahnsinnig liebenswert und schon gar nicht liebesfähig. Wenn wir nicht dauernd Erzählungen über die grosse Liebe begegnen würden, im Fernsehen und in der Literatur, würden wir auch nicht denken, wir müssten uns dauernd verlieben und unser Leben sei nichts wert, wenn das nicht passiert. Auch ich habe die unsinnigsten Wünsche und Sehnsüchte. Aber ich denke nicht, dass ich ein Recht darauf habe, bedingungslos geliebt zu werden. Wenn man schon über die grosse Liebe spricht, dann beinhaltet das auch, dass sie einen aushebelt. So sehr, dass man dafür eventuell sogar sein Leben aufs Spiel setzt. Wer liebt, muss zahlen, womit auch immer. Das will aber dann auch keiner. Jeder möchte seinen Alltag weiter leben, einen schönen Beruf haben, den Mixer richtig bedienen. Und obendrauf möchte er eine ganz irre Liebe. Das scheint mir doch sehr naiv und hanebüchen. Ein Liebesgeständnis nur mit seinem angeblichen Innenleben zu belegen, das kann jeder. Erst wenn er dafür zahlen muss, wird es interessant. Die Schauspielerin Sophie Rois im Interview mit Kultur-Spiegel 30.4.2012

Wir reflektieren unsere Beziehungen zu Tode Es könn­te alles so einfach sein. Vielversprechend bricht das neue Jahr an und wartet auf nichts anderes, als ausgekostet zu werden. Doch irgendwie klappt es nicht. Einer kneift. Der junge Mann von heute feiert nicht trunken vor Glück mit seiner neuen Liebsten – er steht abseits und fröstelt. Verkopft, gehemmt, unsicher, nervös und ängstlich ist er, melancholisch und ratlos. Er hat seine Rolle verloren. Schuld an seiner jungmännlichen Identitätskrise ist, wie immer, die Gesellschaft. Sie war es schliesslich, die verlangte, dass sich der Mann (natürlich der junge) verstärkt neue Attribute zulegen sollte. Einfühlsam, reflektiert, rücksichtsvoll und bedacht, gerne auch einmal: schwach sollte er sein. Doch was als eine begrüssenswerte Mentalitätsreform des alten Männerbildes begann, hat inzwischen groteske Züge angenommen. Das eigene Leben reflektierend und ständig bemüht, sein Handeln und Fühlen sensibel wahrzunehmen, nach aussen zu kehren und zu optimieren, hat er sich auf einer ewigen Metaebene verheddert, von der er nicht wieder herunterkommt. Auf die junge Frau wirkt die neue männliche Innerlichkeit, das subtile Nachhorchen in die tiefsten Windungen der Gefühlsregungen schrecklich kompliziert. Und auf die Dauer furchtbar unsexy.

Dabei schien ja eigentlich gerade alles aufzugehen. Der jahrhundertelange Prozess der Häutungen von einem Rollen- und Beziehungsideal zum nächsten hatte endlich einen vermeintlich gesunden Endpunkt gefunden. Kein Gott bestimmt nun mehr die Liebe, der Minnesänger mit seiner Obsession des Unmöglichen hat Ruhe gegeben, die roman­ tische Vollverblendung ist überkommen, und auch die rein zweckrationale Eheschliessung passé. Das moderne Beziehungsideal, die frei gewählte, auf romantischen Gefühlen basierende, aber in der Form reziproke Partnerschaft führt zwei zusammen, die es als «Lebensgefährten» im Wirrwarr der komplexen Welt versuchen wollen, und nur der kleine Rest, das eben, was das Geschlechtsneutrale aus dem TeamGedanken vertreibt, beruht auf Komplementarität. Anziehungskraft kommt erst durch Unterschied. Flirten, Umwerben, Erobern ist nichts für die Metaebene. Doch genau an diesem letzten Punkt ist der junge Mann falsch abgebogen. Statt fordernd zu flirten, gibt er sich als einfühlsamer Freund. Er achtet auf sich, ist höflich, lieb, immer gepflegt und gewaschen, benutzt Parfums und Cremes, macht Diäten und hört wunderbar melancholische Mädchenmusik. Nur wenn der entscheidende move gefragt ist, er sich herüberbeugen und die junge Frau endlich küssen sollte, fängt sein Kopfkino an. Vielleicht möchte die junge Frau gar nicht geküsst werden? Vielleicht würde sie sonst selber den ersten Schritt tun? Vielleicht sollte man die Beziehung lieber doch nicht auf die gefährliche Ebene der Erotik ziehen, sondern platonisch belassen? Spiegeln gleich stehen sich die Geschlechter gegenüber und hyperreflektieren ihre Beziehung zu Tode, bevor sie überhaupt angefangen hat. Nina Pauer, Autorin des Buchs , «Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen» in der ZEIT, 6.1.2012

Die Ursachen des Liebesschmerzes sind kollektiv Unser Denken und Sprechen über die Liebe ist völlig dem Vokabular der Selbstbezichtigung unterworfen. Wird man verlassen und ist erschüttert darüber, heisst es, man würde «zu sehr lieben». Will ein Mann keine traditionelle Beziehung, heisst es, er habe «Bindungsangst». Die Psychologie, und ich spreche hier von ihrer vulgären Variante, nimmt an, dass wir als Individuen verantwortlich für unser Schicksal sind – und dass Leiden vermeidbar ist, wenn wir genug an uns arbeiten. Das glaube ich so nicht. Viele Ursachen des Liebesschmerzes sind kollektiv. Unsere Kultur hat angefangen, es als Zeichen von Abhängig­ keit zu sehen, wenn wir uns leidenschaftlich verlieben. Leidenschaft erscheint uns suspekt, uncool, ein bisschen hysterisch. Trotzdem tut die Liebe heute weh – und zwar weil


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