MAG 15: Alcina

Page 34

A-Life 32

Auf der Suche nach verborgenen Geschichten Douglas Lee erkundet in seinem ersten Stück für das Ballett Zürich den Tanz in künstlichen Welten. Ein Gespräch mit dem englischen Choreografen

Schon während Ihrer Zeit als Tänzer haben Sie begon­ nen zu choreografieren. Was war die «Initialzündung»? Wie viele Stuttgarter Tänzer beteiligte ich mich an der «Junge Choreografen»-Werkstatt der Noverre-Gesellschaft. Das Tanzen allein hat mich nicht hun­dert­pro­zentig ausgefüllt. Ich hatte das Gefühl, auf andere Art und Weise kreativ werden zu müssen. Wahrscheinlich war da auch der Wunsch, mit Tanz etwas auszudrücken, was ich in den Choreografien, die ich bisher getanzt habe, noch nicht gefunden hatte. In Stuttgart wurden ständig Uraufführun­ gen gezeigt, und für mich war es aufregend, Teil eines kreativen Prozesses zu sein und Schritte und Bewegungen im Dialog mit den Choreografen zu entwickeln. In Stuttgart haben Sie mit den «Big Names» des moder­nen Tanzes zusammengearbeitet. Wie findet man da zur eigenen Signatur?

Für einen Tänzer aus England war die reiche deutsche Choreografenlandschaft ein Paradies. Gerade in Stuttgart gaben sich die berühmtesten Choreografen der Welt die Klinke in die Hand. Ikonen wie van Manen, Tetley, Forsythe und Kylián öffneten mir die Augen für die vielen unterschiedlichen Möglichkeiten des Tanzes. Wie beim Erlernen einer Fremdsprache hört man am Anfang sehr auf seine Lehrer, als wolle man sicher gehen, dass man das neue Idiom wirklich fehlerfrei spricht. Aber nach ein paar Stücken kam ich zu dem Schluss, dass ich mich davon frei machen muss, um meine eigene Handschrift zu finden. Inwiefern haben Ihre Rollen als Tänzer diese «Hand­ schrift» beeinflusst? Bei den Stücken aus meiner Zeit als Tänzer spürt man, wie sehr sie von meiner eigenen Art, sich zu bewegen, ge­prägt sind. Was sich für meinen Körper richtig anfühlte, habe ich vorgemacht – und daraus entstand dann meine Choreo­grafie. Heute, wo ich älter bin, schöpfe ich mehr aus der Fantasie und entwickle spezifische Ideen für bestimmte Tänzer. In den Proben arbeiten Sie meist mit einem kleinen, ge­heimnisvollen Büchlein. Ist da die jeweilige Choreo­ grafie in allen Details festgelegt? In dem Büchlein sind nur die sogenannten Counts, die Zählzeiten für die Tänzer, fixiert. Die musikalische Struktur einer Komposition muss mir völlig klar sein, bevor ich anfange zu choreografieren. Was Bewegungen und Schritte angeht, versuche ich, so flexibel wie möglich zu bleiben. Wenn ich zu Hause alles bis ins letzte Detail planen würde, wäre das keine wirklich neue Kreation für mich. Sicher komme ich mit einer bestimmten Vorstellung in den Ballettsaal, aber wenn sich dort etwas entwickelt, was besser oder interessanter ist, habe ich kein Problem, meine ursprüng­liche Idee zu verwerfen.

Fotos Stefan Deuber

Douglas Lee, über viele Jahre waren Sie einer der prägenden Tänzer des Stuttgarter Balletts. Wie haben Sie Ihre Begeisterung für den Tanz entdeckt? An einer Londoner Privatschule, die auf Künste spezialisiert war. Die Hälfte des Tages hatten wir akademischen Unter­richt, aber den Rest des Tages beschäftigten wir uns mit Ballett zwischen Spitzentanz und Jazz Dance, mit Schauspielerei und Gesang. Ich hatte einen Riesenspass an all den künstlerischen Dingen, wobei ich zugeben muss, dass ich den Ballettunterricht am Anfang hasste. Nach drei Jahren ermutigten mich die Lehrer, mit dem Tanzen weiterzumachen, und ich wechselte an die Royal Ballet School. Als ich hörte, dass Reid Andersen Ballettintendant in Stuttgart werden würde, habe ich mich dort beworben. Es war eine dieser Entscheidungen, bei denen einem anfänglich gar nicht klar ist, dass sie das ganze Leben prägen werden. Aber so war es natürlich. Ich bin fünfzehn Jahre in Stuttgart geblieben, bis 2011.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.