MAG 15: Alcina

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Editorial 1

Ein Frauenversteher Verehrtes Publikum, mit 52 Jahren war Georg Friedrich Händel am Ende seiner Kräfte. Er erlitt einen Schlaganfall und hatte, was man heute wohl ein Burnout-Syndrom nennt. Mehr als zwei Jahrzehnte im knallharten Londoner Opernbusiness hatten ihn kör­ perlich und finanziell zermürbt. Getrieben von einem unmenschlichen Zeit- und Erfolgsdruck hatte er Oper um Oper geschrieben, sich mit der Spektakelsucht des Publikums und den Extravaganzen der Sängerstars herumgeschlagen, nur ans Geld denkende Theaterunternehmer ertragen und die ehrgeizige Komponisten-Konkurrenz in Schach gehalten. Sind das gute Voraussetzungen, um grosse Kunst zu schaffen? Händel hat es hingekriegt. Zwei Jahre vor seinem Zusammenbruch, mitten im heftigsten Existenzkampfgetümmel, schrieb er seine Oper Alcina – ein reifes, wundervolles Werk, reich an Gefühlstiefe und Figurenempfindsamkeit, Brillanz und Leidenschaft. Wie Händel ein solcher künstlerischer Höhenflug unter widrig­ sten Lebensumständen gelingen konnte, bleibt aus heutiger Sicht schlicht ein Rätsel. Auch der Regisseur Christof Loy, der nun gemeinsam mit dem Dirigenten Giovanni Antonini eine neue Alcina am Opernhaus Zürich auf die Bühne bringt, wundert sich in unserem MAG-Interview darüber, dass der robust-fleischige Komponistenkoloss Händel, der uns von zeit­genössischen Porträts entgegenblickt, zugleich ein so ein­fühlsamer Frauenversteher sein konnte, wie er es in Alcina zu erkennen gibt. Um die ganze Tiefgründigkeit der Alcina-­ Figur lebendig werden zu lassen, braucht man freilich auch eine Sängerin, die es versteht, all die Zwischentöne und Far­ben weiblicher Seelenlagen in ihrer ganzen Bandbreite auszuloten. Wir sind sicher, sie mit Cecilia Bartoli für unsere Händel-Produktion gefunden zu haben. Seit über zwei Jahr­

MAG 15 / Januar 2O14 Unser Titel zeigt Douglas Lee, ein Interview mit dem Choreografen lesen Sie auf Seite 32 (Foto Florian Kalotay)

zehnten ist sie dem Zürcher Haus verbunden, nun gibt sie als Alcina ein weiteres Rollendebüt. Und in unserem MAG-­ Interview erzählt sie, wie sehr sie von dieser Händel-Partie fasziniert ist. Einen weiteren Schwerpunkt unseres Heftes bildet der neue dreiteilige Ballettabend, der am 8. Februar Premiere hat. In ihm wird Martin Schläpfer, einer der bedeutendsten Schweizer Choreografen der Gegenwart, zum ersten Mal ein Stück mit dem Ballett Zürich erarbeiten. Die Tanz-Journalistin Dorion Weickmann hat ihn in Düsseldorf für uns besucht, wo er als Ballettdirektor an der Deutschen Oper am Rhein seine eigene Tanz-Compagnie leitet. In ihrem Por­trät zeichnet sie den Lebensweg Schläpfers nach, der als Sohn eines Industrie-Generaldirektors ursprünglich alles an­dere werden sollte als ein Tänzer und sich erst mit viel Beharrungskraft, Selbstzweifeln und Disziplin eine überaus erfolgreiche Künstler-Existenz aufgebaut hat. Neben Schläpfers Forellenquintett bietet unser Ballettabend eine neue Cho­reografie von Douglas Lee, der in der vergangenen Spielzeit bereits sein Stück IRIS mit dem Junior-Ballett vor­ gestellt hat. Vervollständigt wird der Abend durch Jiří Kyliáns Wings of Wax. Das Opernhaus Zürich startet auf Hochtouren ins neue Jahr, aber kurz vor dem Burnout, wie Händel, steht hier nie­­mand. Der Komponist erholte sich übrigens rasch wieder von seinem Zusammenbruch und komponierte noch viele sehr schöne Oratorien. Das MAG-Team wünscht Ihnen spannende Premieren und viel Vergnügen mit der Lektüre unseres aktuellen Heftes. Claus Spahn


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