MAG 10: La straniera

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Ballett Zürich 33

Seitenwechsel

In der Reihe «Junge Choreografen» erfinden Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Zürich ihre ersten choreografischen Arbeiten.

Foto: Stefan Deuber

L

a Part des Anges – Engelsanteil – so nennen die Franzosen den Alkohol, der während der Lagerung von Wein oder Whisky aus dem Fass verdunstet. Für Tänzer Manuel Renard ist es der perfekte Titel für die Miniatur, die er im Rahmen der Reihe Junge Choreografen erarbeitet: «Ich möchte der verborgenen Seite nachspüren, die jeder Mensch in sich trägt und die man nur bedingt unter Kontrolle hat. Immer wieder beobachte ich an mir, wie Dinge, die mir einst wichtig waren und zu meiner Persönlichkeit gehörten, mit der Zeit verschwunden sind. Weil ich bestimmte Entscheidungen gefällt oder mich verändert habe …» In knapp zehn Minuten versucht Manuel Renard, der von der französischen Karibik-Insel Guadeloupe stammt, dieses Verschwinden einzufangen – zu Thomas Newmans Musik zum Film The Debt und einer Komposition Filipe Portugal von Fabrizio de Salvo. Sich plötzlich in der Position des Choreografen zu befinden, erfordert von dem Tänzer ein rigoroses Umdenken: «Plötzlich bist du für alles allein verantwortlich. Ich versuche, so organisiert wie möglich an die ganze Sache heranzugehen. Da uns nur relativ wenig Zeit für die Erarbeitung unserer Choreografien zur Verfügung steht, ist es wichtig, keine Sekunde der kostbaren Probenzeit zu verlieren. Ich versuche, mein Ballett ganz auf die Persönlichkeit meiner Tänzer zuzuschneiden. Mit den meisten bin

ich gut befreundet – doch dieser Umstand bewahrt einen nicht vor gelegentlichen Fehleinschätzungen. Manchmal musst du dich auch von einer Vision verabschieden, weil die körperliche und psychologische Disposition deiner Tänzer nach einer anderen Lösung verlangt.» So wie Manuel Renard haben elf weitere Tänzer aus den Reihen des Balletts Zürich und des Junior Balletts die Seite gewechselt und stellen sich zum Ausklang der Saison auf der Studiobühne des Opernhauses als Choreografen vor. Christian Spuck, der das Ballett Zürich seit dieser Saison leitet, betont die Wichtigkeit dieses Nachwuchsforums: «Der Weg zum Choreografen führt über das eigene Ausprobieren. Learning by doing, wie man so schön sagt. Als choreografierender Ballettdirektor bin ich geradezu verpflichtet, meinen Tänzern eine derartige Plattform anzubieten.» Choreografische Talente früh zu erkennen und zu fördern, hat sich die Reihe zum Ziel gesetzt, die von nun an am Spielzeitende den choreografischen Nachwuchs präsentiert. Bei vielen international renommierten Ballettcompagnien sind ähnliche Nachwuchsförderungprogramme in den letzten Jahren zum festen Teil ihres Spielplans geworden. Tanz aus einer anderen Perspektive zu entdecken und gemeinsam mit den Tänzerkollegen einen Ballettabend in Eigenregie zu kreieren, ist eine spannende Herausforderung für alle Beteiligten. Dass seine Compagnie über so viele eigene, Lust am


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