oead.news 105 | Kulturelles Erbe und Bildung

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Nummer 105 | März 2018

European Year of Cultural Heritage - EYCH Das Jahr 2018 wurde von der Europäischen Union zum Europäischen Jahr des Kulturerbes erklärt. Das Europäische Jahr des Kulturerbes, kurz: EYCH (European Year of Cultural Heritage) will die Bedeutung des gemeinsamen kulturellen Erbes betonen. Die in Österreich geplanten Aktivitäten werden über die eigene Website www.kulturerbejahr2018.at dargestellt. Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft wird am 6./7. Dezember 2018 in Wien die Abschlusskonferenz zum Kulturerbejahr stattfinden. https://www.kulturerbejahr2018.at

Kulturelles Erbe und Bildung


1 Nummer 105 | März 2018

Kulturelles Erbe und Bildung

Wie Erinnerungskultur Toleranz im Hier und Heute fĂśrdert


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Inhalt Zotti 03 Stefan Editorial

aller Kürze 04 InKurzmeldungen

Appiou | Erminia Sciacchitano 06 Emilia Where the past meets the future

Assmann 08 Aleida Kulturelles Erbe – ein komplexer Begriff

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Kurt Luger Kulturerbe, Identität und Tourismus

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Gabriele Eschig Welterbe für junge Menschen

Dutzler 14 Herbert Das Regionale und die EU

Friedrich Schipper 16 Kulturelles Erbe in Gefahr

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Philipp Rohrbach | Adina Seeger Wider das Vergessen

Martha Keil 26 »Post-Holocaust-Erziehung« mit Fragezeichen Dworsky 27 Cyril Zugang im Welterbe schaffen Fulterer 28 Werner refugees{code} – coding school for integration Safaryan 29 Liana Österreich-Bibliothek Jerewan – Treffpunkt der

Kulturen

30 OeAD-Events Veranstaltungskalender Gramlinger 31 Franz Bildung ist gleich Berufsbildung – eine Provokation?

Katelieva 32 Maria Gemeinsam forschen für einen nachhaltigen

Tourismus Doris Bauer 34 Es ist uns eine Ehre, der Entwicklungsforschung alle

Müller 19 Marius European Students’ Association for Cultural Heritage

Panuschka 20 Ursula Europa – eine große kulturelle Vielfalt und Einheit

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Marlies Auer Culture Pilots: Stadtführungen mit neuer Perspektive

im Gespräch mit Evelyn Kaindl-Ranzinger 23 oead.news Learning heritage – oder: Kulturelle Bildung in einer

diversen Gesellschaft

zwei Jahre einen Preis zu verleihen!

Ritterband 36 Salomé »Sie wollen uns tanzen sehen!« Dippelreiter 38 Michael Historisch betrachtet:

Wien 1, Ebendorferstraße 7

Groiss 40 Florian Mehr als 2.500 Citizen Scientists forschten 2017

beim Award mit

Handler 42 Katrin Erasmus+, das Tagebuch

Maier 24 Alois Rita Michlits Projekt »BrotZeit« verknüpft Erasmus+ und Sparkling 44 Hochschultagung 2017: Eine Rückschau Science

Sieber 25 Andrea Kulturerbe ist nicht, Kulturerbe wird gemacht!

Michlits | Barbara Sutrich 47 Rita Österreich feiert 100.000 Erasmus-Studierende


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Stefan Zotti

Editorial »Das materielle und immaterielle Kulturerbe Europas ist unser gemeinsamer Reichtum, der uns von vergangenen Generationen von Europäern hinterlassen wurde und den wir an die künftigen Generationen weitergeben.« Mit diesem Satz beginnt die Mitteilung der Europäischen Kommission »für ein integriertes Konzept für das kulturelle Erbe Europas« von 2014, in welcher sie die Bedeutung des reichen und vielfältigen kulturellen Erbes für das heutige Europa darzustellen versuchte. Es mag zu den typischen Missverständnissen heutiger Politik gehören, dass bereits im zweiten Satz auf die wirtschaftliche Bedeutung hingewiesen wird und bereits im zweiten Absatz ausführliche volkswirtschaftliche Berechnungen über den wirtschaftlichen Mehrwert und die Bedeutung für den Arbeitsmarkt referiert werden – als ob sich der Wert von Kultur, kulturellem Erbe und gemeinsamem kulturellen Verständnis nur darin bemessen ließe, wie viel es zum jährlichen Wachstum einer Volkswirtschaft beiträgt. Dabei liegt es doch im Eigentlichen des künstlerischen Schaffens, zweckfrei zu sein, auf ästhetische, vielleicht auch politische Ziele hin orientiert zu sein. Wer Kunst und Kultur nur auf ihren Marktwert reduziert, trivialisiert sie und nimmt der Kunst die Möglichkeit, zu »wirken« – wobei die Wirkung eben darin besteht, dass Menschen sich

selbst, ihre Gesellschaft, ihre Zeit, erkennen. Der Gefahr dieser Trivialisierung ist im Übrigen auch eine Bildung ausgeliefert, wenn sie in der politischen Diskussion nur mehr auf den Erwerb von Kompetenzen und Skills zum Zweck der optimalen Arbeitsmarktfähigkeit reduziert wird. Als OeAD haben wir das Privileg, beinahe jeden Tag mit anderen Kulturen in Kontakt zu kommen, sei es in der Betreuung internationaler Studierender oder im Austausch mit Partnerorganisationen anderer Länder. Kunst und Kultur sind dabei oft der erste Schritt, miteinander ins Gespräch zu kommen, Beziehung aufzubauen und sich kennenzulernen – beste Voraussetzungen, um gemeinsam die großen Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen. Die laufenden Diskussionen in Europa zeigen, dass es die Rückbesinnung auf das gemeinsame Erbe, auf das, was uns verbindet und zu dem macht, was wir sind, heute mit neuer Dringlichkeit braucht.

© OeAD | Sabine Klimpt

Liebe Leserin, lieber Leser,

Ihr Stefan Zotti

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In aller Kürze

Stefan Thurner, Wissenschaftler des Jahres 2017

Heinz Faßmann ist neuer Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

Der Komplexitätsforscher Thurner wurde vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist/innen für sein Bemühen, wissenschaftlich komplexe Themen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ausgewählt. Thurner geht es darum, mit Big-Data-Prognosen für künftige Entwicklungen − sei es auf dem Gebiet von Klimawandel, Migration, Verkehr oder Gesundheit − zu erstellen. Thurner arbeitet am »Institut für die Wissenschaft Komplexer Systeme« der Medizinischen Universität Wien sowie in dem von ihm initiierten und geleiteten »Complexity Science Hub Vienna«. Der in Innsbruck geborene Thurner hat theoretische Physik studiert und sich an der dortigen Universität habilitiert, zudem ist er auch Doktor der Finanzwirtschaft.

Als Trophäe gab es heuer erstmals eine Schneekugel aus der Original Wiener Schneekugelmanufaktur mit dem von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft im 3D-Druck-Verfahren produzierten Klub-Logo, einer Eule.

Österreichische Archäologen dürfen in Ephesos wieder graben Die Grabung Ephesos in der Westtürkei ist Österreichs größtes Wissenschaftsunternehmen im Ausland. Seit 1895 führt das ÖAI (Österreichisches Archäologisches Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) archäologische Ausgrabungen im Gebiet der antiken Stadt durch, seit 2015 zählt das antike Ephesos zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die österreichischen Archäologen hatten ihre Arbeit im September 2016 einstellen müssen. Es handelte sich um eine Reaktion auf die Forderung Österreichs, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen. Nun dürfen sie laut Mitteilung des türkischen Außenministeriums ihre Grabungstätigkeit in der antiken Stadt wieder aufnehmen.

© Ernst Reisig | Pixelio

Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann war seit 2010 Vorsitzender des Expertenrats im Integrationsministerium. Von 2011 bis 2017 war der gebürtige Düsseldorfer Vizerektor der Universität Wien und dort auch für die Belange Internationales zuständig. Er war als Vertreter der Österreichischen Universitätenkonferenz Uniko auch im Aufsichtsrat der OeAD-GmbH tätig. Faßmann studierte Geografie und Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Anschließend war er wissenschaftlicher Angestellter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1991 habilitierte er an der Universität Wien. Am 18. Dezember 2017 wurde Faßmann als Bundesminister für Bildung in der ÖVP-FPÖRegierung angelobt, seit 8. Jänner umfasst das Megaressort Wissenschaft und Forschung, auch Kindergärten und Elementarpädagogik sind eingebunden. Wir gratulieren herzlich und freuen uns auf eine weitere gute Zusammenarbeit!

© Roland Ferrigato | Klub der Wissenschaftsjournalist/innen

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© oevp.at

Das Vereinigte Königreich plant die Mitgliedschaft zur Europäischen Union mit 31. März 2019 zu beenden. Die Austrittsverhandlungen laufen noch. Mit dem Abschluss der ersten Phase der Verhandlungen wurde auch ein vorläufiges Ergebnis bezüglich der Europäischen Programme erzielt. Demnach würden bis zur Antragsrunde alle Projekte mit britischer Beteiligung voll finanziert und das Vereinigte Königreich kann an Erasmus+ bis zur Antragsrunde 2020 voll teilnehmen. Es handelt sich um eine vorläufige Einigung, die zum Abschluss der Verhandlungen bestätigt werden muss. https://bildung.erasmusplus.at/brexit

© Lupo | Pixelio

Brexit und Erasmus+: Update zum EU-Austritt Großbritanniens


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© Pixabay

Bildung in Zahlen

6.500

Schüler/innen mehr als im Schuljahr 2015/16

Personen studieren an Österreichs Hochschulen

Um 0,6 % bzw. 2.438 Personen mehr Studierende als im Vorjahr gab es im Studienjahr 2016/17 an Österreichs Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen.

26+46+42+17+8+25 25 %

beträgt der Anteil internationaler Studierender an Österreichs Hochschulen

Im Vergleich zum Studienjahr 2014/15 stieg der Anteil an Studierenden mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft von 23 % auf 25 % leicht an. 46 % 42 % 26 %

25 %

17 %

8%

Universitäten

Kunstuniversitäten

Privatuniversitäten

78 % der Studierenden sind an öffentlichen Universitäten, 14 % an Fachhochschulen inskribiert

78 z 8 14 +

383.517

© Pixabay

Erstmals seit zwölf Jahren gab es wieder eine ansteigende Gesamtschüler/innenzahl. Zuvor waren rückläufige Gesamtzahlen ab dem Schuljahr 2005/06 die Regel, eine Folge des Geburtenrückgangs seit den frühen 1990er-Jahren.

Fachhochschulen

Pädagogische Hochschulen

Gesamt

14 % Fachhochschulen

8 % Privatuniversitäten und Pädagogische Hochschulen

78 % Universitäten

Weniger Studierende an Pädagogischen Hochschulen, starke Zuwächse an Privatuniversitäten Die Zahl der Lehramtstudierenden an Pädagogischen Hochschulen verringerte sich gegenüber dem Vorjahr um 1,9 % auf nunmehr 14.280. An Privatuniversitäten hat die Zahl der Studierenden im Jahresvergleich um rund ein Fünftel (19,6 %) zugenommen. Quelle: Statistik Austria


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Emilia Appiou | Erminia Sciacchitano

Where the past meets the future European Year of Cultural Heritage 2018

Emilia Appiou is a Seconded National Expert from the Cypriot Ministry of Education and Culture, working for the Creative Europe Programme.

© https://europa.eu/

Erminia Sciacchitano is a Seconded National Expert from the Italian Ministry for Cultural heritage and Activities and Tourism, working at Cultural heritage Policy development. Both of them are members of the European Commission Task Force for the European Year of Cultural Heritage 2018.

In December 2017, EU Heads of State and Government highlighted the importance of Cultural Heritage. This was the first time in decades that cultural heritage got mentioned at such a high level. On the eve of the launch of the European Year of Cultural Heritage, this was a much welcome invitation to Member States, the Council and the European Commission to showcase the social and economic importance of culture and cultural heritage across the continent. In the last couple of years, cultural heritage has regained importance in the field of European cultural policy. Back in 2014 European institutions have recalled that this is a precious resource of remembrance, understanding, identity, dialogue, cohesion and creativity aspects for our economy, for our environment and for our society as a whole. In its 2014 policy document »Towards an integrated approach to cultural heritage for Europe«, the Commission acknowledged that the sector is at a »crossroads« with reduced public budgets and increasing environmental and physical pressures on heritage sites. In the midst of illegal trafficking of cultural artefacts, this digital shift is transforming value chains and expectations. Cultural heritage has great capacity to promote social cohesion and integration through regeneration of neglected areas, creation of locally-rooted jobs, and promotion of shared understanding and a sense of community. Moreover, heritage is a key component and a contributor to the attractiveness of Europe's regions, cities, towns and rural areas for residents, tourists, creative and private enterprises, generating additional benefits in other policy areas. The 2018 European Year of Cultural Heritage offers a valuable opportunity to promote debate and raise awareness of the importance, value and potential of European cultural heritage, and to facilitate engagement with the general public and stakeholders in its protection and sustainable management. It will stimulate research and innovation and a better evaluation of its contribution to economic growth and social cohesion.

The year will also be a stimulus for sharing experiences and good practices at a European, national, regional and local level, concerning the safeguarding, governance and promotion of the European cultural heritage, building capacity to face today's challenges. Previous EU actions, such as the European Heritage Days, the EU Prize for Cultural Heritage/Europa Nostra Awards or the European Heritage Label have accumulated a lot of experience. The interdependency between cultural heritage and education Heritage education is an approach to teaching and learning based on the idea that heritage offers the opportunity to learners to engage in experiences that make them learn. By directly experiencing, examining, analysing and evaluating cultural heritage such as buildings, monuments, workplaces, landscapes, artefacts, rituals and traditions, learners gain knowledge, intellectual skills and a wider range of competences that enhance their capacities for maintenance and improvement of the society and ways of living. For many decades, »cultural heritage« was associated with monuments, museums and archaeology. The relation between cultural heritage and education usually took the form of passive visits to monuments or museums and it was restricted to observing historic monuments or objects. Very often it included guided tours focusing on the chronological history of events lacking connection with learners’ life experiences − booklets telling all the details of a particular monument without any linkage to either its context, or to the prior knowledge or experiences of learners. In the last decades, cultural heritage has taken a broader meaning including non-material heritage, natural, urban and rural landscapes, digital and film heritage. It has been recognised that cultural heritage plays a central role in our societies, creating a feeling of togetherness within and across national


7 Kulturelles Erbe und Bildung

© Rainer Sturm | Pixelio

»Where the past meets the future.« The aim of the European Year of Cultural Heritage is to encourage more people to discover and engage with Europe‘s cultural heritage, and to reinforce a sense of belonging to a common European space.

borders and promoting mutual understanding and shared values, thus care for cultural heritage is growing. Cultural heritage is used more and more in the teaching environment, mainly to bring it to the attention of as many pupils as possible and to enrich the learning process. Pupils will be the future caretakers of cultural heritage. Cultural heritage education helps them to: ÆÆ learn about their local or regional cultural heritage. This helps them to build bridges between the past and the future, find the connections between their local and regional cultural elements with the European and open up their minds towards other cultures ÆÆ become aware of the threats cultural heritage is facing and learn how the local, national and international community works to safeguard it ÆÆ discover how they can contribute and become actively involved in its protection and conservation and make themselves heard ÆÆ be equipped with the necessary tools and skills which will help them make balanced decisions in order for them to build the future, whilst respecting the past and its traditions Cultural heritage, when used in an educational environment, is more than the gathering of information about the past and historic sites and more than a topic in history or art lessons. On the contrary: ÆÆ It is a brilliant tool to motivate pupils and to help them gain valuable insight into the past, the present and the future. ÆÆ It enables teachers to go beyond the boundaries of school subjects and the everyday tasks. It is a perfect teaching aid for making different aspects of the school curriculum more interesting, meaningful and understandable. ÆÆ It allows teachers to use pupil-centred approaches in their teaching such as interdisciplinary approach, project work, co-operative, inter-

active learning and discovery based learning. ÆÆ It implies learning out of the classroom and involvement of cultural and heritage actors from the local and regional community. This involves a broader engagement of society in the learning processes and as such contributes to social cohesion. ÆÆ It is inspiring to teach about ancient times, about people, about the present and the future as it can very easily help in connecting pupils’ personal experiences and behaviour with events and processes in the past and thus further develop their historical identity. ÆÆ It is a useful instrument to teach pupils about their part in a long historical process and that the way people interpret events is based on the experience and the knowledge of the previous generations. Cultural heritage fosters open-mindedness and tolerance towards different cultures Cultural heritage sites, traditional events and museum collections reflect millennia of human creativity, intellectual debates, exchanges and dialogue among civilisations. They also tell of wars and tragedies. They have shaped Europe. These traces constitute a precious stimulus for remembrance, understanding, identity, dialogue, cohesion and creativity for our society. The European Year can help rekindle a sense of belonging to a common European space by involving citizens in events and projects all over Europe, engaging them in a deeper reflection about the roots, the construction and meaning of our identity as Europeans. The goal of the year is to reconnect all citizens with their roots as Europeans, and encourage them to look at cultural heritage as a shared resource for their future. This is why the motto of the year is »Our heritage. Where the past meets the future«.

It has been recognised that cultural heritage plays a central role in our societies, creating a feeling of togetherness within and across national borders and promoting mutual understanding and shared values.


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Kulturelles Erbe – ein komplexer Begriff Geschichtsvergessenheit, Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit der Vergangenheit. Prof. Dr. Aleida Assmann studierte Anglistik und Ägyptologie an den Universitäten Heidelberg und Tübingen. Sie lehrte an der Universität Konstanz und nahm Gastprofessuren an der Princeton University in New Jersey, Rice University in Houston Yale University in New Haven und der Universität Chicago wahr. Im Sommersemester 2005 hatte sie die Peter-Ustinov-Gastprofessur an der Universität Wien inne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind kulturelles Gedächtnis, Erinnerung und Vergessen. Assmann ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Projekt »Haus der Geschichte Österreich«.

Seit der französischen Revolution beginnt in modernen westlichen Kulturen eine Geschichte der Wertschätzung von Kulturerbe, die aufs Engste mit der Erfahrung ihrer Vernichtung verbunden ist.

Vererbt und geerbt wird in Familien seit Menschengedenken. Ein Erbe ist eine Gabe der Vorfahren, die uns über den Tod hinweg mit ihnen verbindet. Gebäude, Besitz und Objekte gehen von einer Hand in die andere über und knüpfen dabei ein Band, das die Schwelle der Generationen und die Grenze zwischen Toten und Lebenden überschreitet. Aber nicht jedes Erbe möchte man antreten. Es gibt ja auch Hypotheken und andere Belastungen, die man nicht verlängern möchte. Vererbt und geerbt wird auch in Nationen und anderen Kollektiven. Dafür hat sich der Begriff des »kulturellen Erbes« (französisch »patrimoine«, englisch »heritage«) eingebürgert. Seit der französischen Revolution beginnt in modernen westlichen Kulturen eine Geschichte der Wertschätzung von Kulturerbe, die aufs Engste mit der Erfahrung ihrer Vernichtung verbunden ist. Der Großangriff auf kulturelles Erbe während der französischen Revolution war paradoxerweise von einer neuartigen Wertschätzung in Gestalt neuer Formen der Konservierung, Sicherung und Deutung dieses Erbes für die Zukunft begleitet. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es in Europa historische Archive, Museen und Geisteswissenschaften, in denen Geschichte nach wissenschaftlichen Maßstäben gesammelt, ausgestellt, gedeutet und angeeignet wird. Das konnte die Geschichte der eigenen Nation sein oder die der Menschheit. Das British Museum in London, der Louvre in Paris und die Museumsinsel in Berlin entstanden als nationale Museen, in denen koloniale Imperien ihre durch archäologische Projekte gewonnenen Trophäen als Weltgeschichte zur Schau stellten. Die Idee vom Schutz des kulturellen Erbes ging in zwei Weltkriegen katastrophisch unter und wurde nach dem 2. Weltkrieg mit der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten (1954) wiederbelebt. Im Kalten Krieg ging die Gefahr der Zerstörung auch von Maßnahmen der Modernisierung wie die Anlage eines

großen Stausees in der oberägyptischen Wüste aus. Die Antwort darauf war die Versetzung des Tempels von Abu Simbel als erstes Großprojekt der UNESCO. Wieder haben wir es mit einer Dialektik zu tun: Damals forcierten wirtschaftliche Interessen massive Eingriffe in die Natur mit irreversiblen ökologischen Konsequenzen; gleichzeitig schuf sich die »Weltgesellschaft« mit den Stätten des »Weltkulturerbes« Reservate kultureller Nachhaltigkeit. Heute ist es der Terror des IS, der die Bedeutung des kulturellen Erbes ins allgemeine Bewusstsein hebt. Abbé Henri Grégoire hatte Ende des 18. Jahrhunderts den Begriff »Vandalismus« geprägt, der als Lehnwort sofort in andere europäische Sprachen übernommen wurde. Nur »Barbaren und Sklaven«, so hatte Grégoire geschrieben, »hassen die Wissenschaften und zerstören die Monumente der Kultur. Freie Menschen lieben und bewahren sie«.1 Gewaltsame Zerstörung von Monumenten galt bereits im Jahre 1800 als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« und als Bruch der Gemeinschaft der »Kulturstaaten«.2 Die IS-Milizen führen Krieg gegen die westliche Zivilisation, der sich gerade auch gegen die pluralistische Idee einer inklusiven Menschheit richtet. Die symbolisch inszenierten und über die globalen Kommunikationsnetze verbreiteten Akte des Vandalismus haben der Frage nach dem kulturellen Erbe eine neue globale Dringlichkeit gegeben. Die aktuelle Frage lautet nicht mehr: Was gibt es noch, und was können wir erhalten?, sondern immer öfter, wie im Fall von Palmyra: Was gab es, was wurde jüngst zerstört, und was können wir mit Hilfe welcher Informationen wieder aufbauen? In dem Moment, wo wir etwas als »kulturelles Erbe« bezeichnen, 1 Astrid Swenson, The Rise of Heritage. Preserving the Past in France, Germany and England, 1789–1914, Cambridge: University Press 2013, 34 2 Astrid Swenson, 39, 195.

© Dieter Schütz | Pixelio

Aleida Assmann


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© Wikimedia Commons

Kulturelles Erbe und Bildung

haben wir es angenommen und treten dieses Erbe an. Das schließt Selbstverpflichtungen ein, mobilisiert den Tourismus und eröffnet eine historische Langzeitperspektive, die von der Vergangenheit in eine unbegrenzte Zukunft reicht. Der Wert des kulturellen Erbes verbindet sich vorrangig mit lokalem oder nationalem Stolz. Das Erbe, das angetreten wird, stiftet einen Identitätsbezug, der wiederum eine affektive Bindung zur eigenen Geschichte und Region stiftet. Das kulturelle Erbe wird dabei zum wichtigen Bestandteil einer kollektiven Biografie, es stützt die Identität einer Region oder Nation wie ein Stammbaum oder eine Familiengeschichte. Kulturelles Erbe ist inzwischen allerdings weit mehr als der Kampf um globale Anerkennung für herausragende nationale Heiligtümer; es geht zunehmend auch um grenzüberschreitende Regionen und die Wertschätzung von Ensembles, wobei die Verbindung von Kulturschutz und Umweltschutz immer enger wird. Kulturelles Erbe ist aber nicht nur an Orten verankert, sondern auch in der Zeit. Periodische Gedenktage und Jubiläen holen ein Stück Vergangenheit in die Gegenwart herein, um sie zu inszenieren, zur Wiederbesichtigung anzubieten und neu zu bewerten. Wiederholung schließt in Demokratien die kritische Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe ein. In ihrer Wandelbarkeit spiegeln Jubiläen und Gedenkdaten den offenen Deutungshorizont der Geschichte. In historischen Jubiläen versichert sich eine Gesellschaft der zentralen Wendepunkte und dauerhaften Impulse ihrer Geschichte; diese Daten bilden einen Rahmen für Wir-Inszenierungen, sie bieten Anlässe für persönliche Teilhabe an Veranstaltungen, Debatten und Reflexionen, die das Geschichtsbewusstsein der Gesellschaft aktualisieren und die unterschiedlichen Generationen miteinander synchronisieren.3 3 Vgl. Eintrag »Jahrestag« von Beate Binder in: Lexikon Gedächtnis und Erinnerung, hg. von Jens Ruchatz et al, 2001, 290–291.

2018 ist ein europäisches Gedenkjahr. Es holt Daten wie 1848, 1938, 1968 ins Bewusstsein der Bürger/innen zurück, um sie im europäischen Kontext neu zu deuten. Deshalb wird am 12. November 2018 eine Republik-Ausstellung eröffnet, mit der sich zugleich das neue »Haus der Geschichte Österreich« (HGÖ) vorstellt. Mit dem Friedensschluss nach dem 1. Weltkrieg beginnt die Neuordnung des modernen Europas, mit dem wir noch heute leben. Ehemalige imperiale Monarchien wie Deutschland und Österreich-Ungarn verwandelten sich damals in Demokratien und bauten überkommene Hierarchien und Ungleichheiten ab. Doch dieser Weg war nicht gradlinig. Auf die kurzlebigen Demokratien folgten Diktaturen und erst nach dem 2. Weltkrieg wurde bestätigt und vertieft, was nach dem 1. Weltkrieg begonnen hatte. 1955 erfand sich Österreich mit dem Staatsvertrag als ein neutrales Land neu und entsorgte dabei elegant die belastenden Kapitel seiner Geschichte. Geschichtsmuseum als kritischer Lernort Dieses Erbe kann man aber nicht so einfach ausschlagen wie eine fremde Hypothek. Entsprechendes zeigt sich gerade auch am geplanten Berliner Humboldt-Forum: Koloniale Opfererinnerungen, die mit kulturellem Erbe verbunden sind, kann man nicht mehr so einfach übergehen. Ein Geschichtsund Demokratiemuseum könnte ein kritischer Lernort und ein Forum des öffentlichen Austauschs werden, der nachwachsenden Generationen historisches Grundwissen vermittelt und allen Besucher/innen vor Augen führt, wie leicht sich eine Demokratie selbst abschaffen kann. Der Begriff des kulturellen Erbes ist also wesentlich komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint: Wie eine Ellipse umfasst er die Pole von Zerstören und Bewahren, von nationaler und transnationaler Perspektive und von Stolz und selbstkritischer historischer Verantwortung.

1955 erfand sich Österreich mit dem Staatsvertrag als ein neutrales Land neu und entsorgte dabei elegant die belastenden Kapitel seiner Geschichte.


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Kurt Luger

Kulturerbe, Identität und Tourismus Lebendige Tradition dient als Rohstoff für den Kulturtourismus. Sie kann sich an Beispielen der Vergangenheit orientieren und durch die Herstellung von Analogien zu Lösungen für gegenwärtige Problemstellungen finden. Univ.-Prof. Dr. Kurt Luger i. R. ist Inhaber des UNESCOLehrstuhls »Kulturelles Erbe und Tourismus« und Professor für transkulturelle Kommunikation im Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Weiters ist er Vorsitzender von EcoHimal, Gesellschaft für Zusammenarbeit Alpen-Himalaya. kurt.luger@sbg.ac.at www.kurt-luger.at

Menschen sind Nahbereichswesen. Der Traum von der Nachbarschaft mit der ganzen Welt scheint in einem gewissen Ausmaß über den Tourismus, eine zeitbeschränkte Sonderform von Migration, und über die Filter der Medien- und Informationstechnologien erfüllbar. Das Trennende von Raum und Zeit lässt sich tendenziell zwar aufheben, aber Kulturen und Lebensstile benötigen ihr eigenes Umfeld, um ihre faszinierenden Besonderheiten, und damit distinkte Formen der Andersheit, zu entwickeln. Diese zu respektieren und die Unterschiede im Sinne einer Diversität auch wertzuschätzen, ist Ziel der Europäischen Union wie der UNESCO, die im kulturellen Erbe einen besonderen Wert sieht und das Erbe der Menschheit durch seine Konventionen bewahren möchte. Kultur – die Landkarten der Bedeutung

© Corner stone | Pixelio

Der Traum von der Nachbarschaft mit der ganzen Welt scheint über den Tourismus erfüllbar.

Unter Kultur verstehen wir ein Menschenwerk, durch das eine Gesellschaft zu ihren Formen findet. In ihr schlägt sich Prozesshaftes nieder – Bewegung, Anpassung, Veränderung und Innovation. Triebkräfte des kulturellen Wandels sind Bildung und Technik, Mobilität und Migration. Sie dynamisieren die Gesellschaften, wirken auf Politik und Wirtschaft und verändern in der Folge auch die kulturelle Ordnung. Damit geraten das moralische Selbstverständnis einer Gesellschaft, ihre Werte und Identitäten in Bewegung und bringen hybride Formen und transkulturelle Lebensstile hervor. In den westlichen Industriegesellschaften ist es in erster Linie die Medien- und Kulturindustrie, die neue Themen, Ideen, Lebens- und Modernisierungsentwürfe in eine Gesellschaft einbringt und damit kulturelle Wandlungsprozesse initiiert. Kultur, das Formenprogramm einer Gesellschaft, wird durch Kommunikation gesteuert. Sitten, Glaubenssysteme und Lebensweisen verändern sich auch unter dem Einfluss der medialen Inszenierungen.

Kulturelles Erbe als lebendige Tradition Tradition kann man als die Häufung alter Sitten verstehen, als Bindung an die Vergangenheit, als fragloses Hinnehmen von Gebräuchen und Symbolen und ihre Legitimierung durch die Vergangenheit sowie die Verbrämung des Althergebrachten unter dem Signum des Heiligen. Traditionen behaupten sich in den vom permanenten Wandel gekennzeichneten modernen Gesellschaften dann, wenn sie ihren Nutzen nachweisen und in aktuelle Lebensbezüge eingearbeitet werden können. Traditionelle kulturelle Praktiken können sich aber auch als obsolet erweisen, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt wieder relevant und »modern« werden, somit wieder in den Zeitgeist passen, wie dies bei der Vintage-Mode der Fall ist. Ein konservativer Traditionsbegriff erschöpft sich im widerspruchslosen Erhalten des Besitzstandes der eigenen Geschichte und des Reservoirs des bestehenden Lebens. Tradition kann aber auch heißen, sich an Beispielen der Vergangenheit zu orientieren und durch die Herstellung von Analogien zu Lösungen für gegenwärtige Problemstellungen zu finden. Neuinterpretation des Traditionellen Wäre Kulturerbe nur die Unterschutzstellung des Gefährdeten, des Ausgemusterten, das damit vor dem Vergessen bewahrt wird, so würde man der Tradition und bewährten Lebenspraktiken wohl nicht gerecht werden. Als Kulturerbe sind auch Techniken des Handwerks bzw. der Lebensführung im Kontext spezieller Umweltbedingungen zu sehen. Diese Sichtweise schließt die gesamte Ordnung der Dinge ein und öffnet auf diese Weise den Begriff in sehr umfassender Weise. Möglich wäre daher auch eine Neuinterpretation des Traditionellen. In einen neuen und gegenwärtigen


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© Helge Kirchberger Photography

Kulturelles Erbe und Bildung

Luger sieht die aktuelle Debatte zum kulturellem Erbe als Chance, die Deutungshoheit über das Traditionelle, Hergebrachte und Heimatliche nicht mehr alleine dem politischen Konservativismus zu überlassen.

Zusammenhang gestellt wäre es auch in diesem zu bewerten. Auch das Überlieferte muss sich neu bewähren – wenn es das tut, kann man von einer lebendigen Tradition sprechen. Solche Traditionen sind typisch für das reichhaltige Kulturerbe Europas und sie sind auch der Rohstoff für den Kulturtourismus, der durch Neugier und Interesse am Fremden angetrieben wird. Im Tourismus werden Geschichten erzählt, die Archive des Vergangenen und Vergessenen wieder zugänglich gemacht. Eine seriöse Vermittlung des kulturellen Erbes erzeugt einen Mehrwert, weil jede Region ihre historische Eigenheit hat, die für die lokale Identität der Menschen von Bedeutung ist. Wenn sie diese mit den Gästen teilen wollen, so können diese einen Einblick in lebensweltliche Zusammenhänge gewinnen. Sie erwerben damit ein begreifendes Wissen und über das »Place Making« gelingt ihnen ein sozio-emotionaler Zugang zu diesem Raum.

erzielen und persönliche Bezüge für Orte des Gedächtnisses wie der Erfahrung für Tourist/innen und Einheimische schaffen. Heimat lässt sich im Zeitalter der entfesselten Mobilität und globalen Wanderungsbewegungen nicht mehr auf einen Ort reduzieren. Sie entsteht dort, wo wir Verhaltenssicherheit erfahren, im Umgang mit Dingen, Situationen und Menschen. Daraus erwächst Überschaubarkeit im Sinne einer sozialen Kompetenz und Heimat in ihrer Symbolträchtigkeit repräsentiert die Vertrautheit, Nähe und Verlässlichkeit von konkreten Lebensverhältnissen. Das gilt für Einheimische wie für Tourist/innen. Beide sind auf der Suche nach Antworten, die ihnen helfen, die Welt zu verstehen und Ordnung in ihr Leben zu bringen. Heutzutage ist das gesellschaftliche Leben vielfach aus seinen örtlich begrenzten Zusammenhängen gelöst, die Moderne hat die Gesellschaft von den Gewissheiten der Tradition entfernt und Identitäten in Bewegung gebracht. Über das Materielle hinaus stellen die

Die gegenwärtige Debatte um Tradition oder Heritage eröffnet mehrere Möglichkeiten, eine Neupositionierung des ideologisch vielfach sehr konservativ gerahmten Kulturerbes vorzunehmen. Der Bezug zu nachhaltigem Wirtschaften und pfleglichen Umgang mit der Natur fördert die Rückbesinnung auf erprobte Traditionen. Damit kommt eine Wertschätzung für das Gemeinwohl und bewährte kulturelle Praktiken zum Ausdruck. Darin lässt sich sogar eine gesellschaftspolitische Kritik an der Ordnung des globalen Netzwerkkapitalismus ausmachen und der Versuch erkennen, die Deutungshoheit über das Traditionelle, Hergebrachte und Heimatliche nicht mehr alleine dem politischen Konservativismus zu überlassen. Gleichzeitig lässt sich aber ein enger historischer Bezug zwischen Landschaften und vergangenen Lebensweisen entziffern, durch die Erzählung Aufmerksamkeit

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Emotionale Geografie als Kompensationsraum

Heimat entsteht dort, wo wir Verhaltenssicherheit erfahren, im Umgang mit Dingen, Situationen und Menschen.

Im Tourismus werden Geschichten erzählt, die Archive des Vergangenen und Vergessenen wieder zugänglich gemacht.


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Menschen vermehrt Fragen nach innerer Sinnhaftigkeit, suchen Anhaltspunkte im Vertrauten, streben nach subjektiver Sicherheit in einer Zeit des prekären Wohlstands, des beschleunigten ökonomischen und sozialen Wandels. Damit werden Sehnsüchte angesprochen, die vorzugsweise im Urlaub nach Befriedigung verlangen und diese Wochen scheinen das Zeitfenster zu sein, in dem Verlustkompensation betrieben und gleichzeitig ein Gegenraum gesucht wird, der für die erlittenen Niederlagen des Alltags entschädigt. Das Kulturerbe erzählt somit nicht nur Geschichten von der Vergangenheit und taucht vergangene Zeiten in einen Sepiafilter. Das Kulturerbe wirft eine neue Sichtweise auf die Welt, verbindet das alte Wissen mit neuen Bedeutungen und verhilft auf diese Weise auch zu einer neuen Selbstsicherheit. In permanter Zeitnot Die heutige Hochgeschwindigkeitsgesellschaft führt zu einer Entbettung von Raum und Zeit. Das In-der-Welt-Sein verliert an Resonanz, der Be-

schleunigungszirkel lässt die Gegenwart schrumpfen und führt zu permanenter Zeitnot. Das Individuum empfindet eine wachsende Entfremdung von seiner räumlichen und materiellen Umgebung, weil es ihm kaum mehr gelingt, Handlungs- und Erlebnisepisoden zu einem ganzen Leben zusammenzufügen. Jürgen Habermas nennt dies die dreifache Entzweiung des Ichs – mit der Gesellschaft, mit der inneren Natur und mit der äußeren Natur. Der Tourismus bietet einen Gegenraum zur Kompensation dieses Orientierungs- und Sinnverlustes. Welterbestätten, mit Kultur getränkte Landschaften oder historische Altstädte – und ganz besonders die Alpenregionen mit ihrer topografischen wie kulturellen Buntheit – bieten auf diese Weise einen Sehnsuchtsraum. Tourismushabitate sind somit ein Produkt sozialer Konstruktionen und imaginärer Geografien, weil sie mit bestimmten Vorstellungen, Gefühlen und Stimmungen aufgeladen werden. Als Heterotope mit Erlebnishaftem inszeniert können sie sinnlich erschlossen und emotional als ein glücklich machender Fernraum angeeignet werden.

© Rainer Sturm | Pixelio

Welterbestätten, mit Kultur getränkte Landschaften oder historische Altstädte – und ganz besonders die Alpenregionen mit ihrer topografischen wie kulturellen Buntheit – bieten auf diese Weise einen Sehnsuchtsraum.


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Gabriele Eschig

Welterbe für junge Menschen Jugendliche für die Bedeutung des Kultur- und Welterbes zu sensibilisieren, ist das Ziel des UNESCO-Bildungsprogramms.

Außergewöhnliche geologische Formationen, bedeutende Denkmäler und herausragende Kulturlandschaften zählen aufgrund ihres außergewöhnlichen universellen Wertes zum UNESCO-Welterbe. Sie zeugen von der natürlichen Vielfalt, spiegeln Geschichte wider, erzählen von herausragenden kulturellen Leistungen und menschlichem Erfindungsgeist. Auf der Welterbeliste befinden sich aktuell 1.073 Natur- und Kulturstätten in 167 Staaten. Österreich ist derzeit mit zehn Stätten vertreten: Es sind dies Schloss und Gärten von Schönbrunn, die historischen Stadtzentren von Wien, Salzburg und Graz, die Semmeringeisenbahn, die Kulturlandschaften Wachau, Fertö-Neusiedler See und Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut, die prähistorischen Pfahlbauten rund um die Alpen sowie die alten Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas. Die »UNESCO-Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt« hat ausdrücklich zum Ziel, jene für die ganze Menschheit bedeutsamen Natur- und Kulturstätten für künftige Generationen zu erhalten. Da Gesellschaften ihre kulturelle Ausstattung von Generation zu Generation nicht über die Gene weitergeben können, müssen andere Formen der Vermittlung, wie traditionelle Weitergabe, Bildung usw., diesen Transfer übernehmen. Paradox formuliert: Weil Kultur nicht genetisch vererbbar ist, muss sie vererbt und geerbt werden. Die affektive Bindung an Bestehendes und Vergangenes, das man nicht ignorieren, vernachlässigen, verlieren oder gar zerstören und deshalb in besondere Obhut nehmen möchte, hat zur Idee der Welterbe-Bildung beigetragen. Die Zukunft des kulturellen Erbes soll daher in die Hand junger Menschen, die Entscheidungsträger/innen von morgen sind, gelegt werden. Denn neben Naturkatastrophen, Kriegen und Armut gefährden vor allem Unwissenheit, Vernachlässigung und mangelnde Wertschätzung den Erhalt des Welterbes. Das UNESCO-Bildungsprogramm

»Welterbe für junge Menschen« wurde 1994 ins Leben gerufen, um Jugendliche für die Bedeutung des Erbes zu sensibilisieren. Die erste umfassende Unterrichtsmappe der UNESCO erschien 1998. Sie stellt Lehrerinnen und Lehrern Unterrichtsideen und Materialien zu verschiedenen Themen – von Welterbe und Identität über Tourismus und Umwelt bis zur Friedenserziehung – zur Verfügung und bietet Anregungen für unterschiedliche pädagogische Zugänge und Vermittlungsformen. Um auch in Österreich das Bewusstsein und Wissen über das österreichische Welterbe zu fördern, erstellte die Österreichische UNESCO-Kommission die Unterrichtsmaterialien »Welterbe für junge Menschen – Österreich«. Darin werden die österreichischen Welterbestätten einzeln vorgestellt, ihre Besonderheiten beschrieben, aber auch internationale Vergleiche gezogen. Schwerpunktthemen wie Bedrohungen, Schutz und Management sollen zum Nachdenken und zur kritischen Auseinandersetzung anregen. Welterbe-Bildung will den respektvollen Umgang mit Kultur und Natur fördern und zum historischen und kulturellen Verständnis beitragen. Interkulturelles und globales Lernen ist gerade im Zeitalter der Globalisierung unverzichtbar. Welterbe-Bildung fördert in diesem Zusammenhang den kulturellen Austausch und damit das Gemeinschaftsgefühl und die Solidarität gegenüber fremden Kulturen – geht es doch beim Welterbe um das gemeinsame Erbe der Menschheit. Obgleich Welterbe vielfältig und divers ist, stehen am Ende Gemeinschaft und Gemeinsamkeiten im Zentrum. Das bessere gegenseitige Verständnis bildet die Grundlage für ein friedliches Miteinander. Das Welterbe-Bildungsprogramm steht ganz im Ziel und Einklang mit der großen Leitidee der UNESCO, den Frieden im Geist der Menschen zu verankern. Die Unterrichtsmaterialien können über die Österreichische UNESCO-Kommission bezogen werden: www.unesco.at

Mag. Gabriele Eschig ist seit 2000 Generalsekretärin der Österreichischen UNESCOKommission. Von 1993 bis 2000 war sie Mitarbeiterin des Bildungsministeriums, Abteilung für internationale Angelegenheiten. Eschig studierte Romanistik und Germanistik an der Kunstakademie Linz und der Universität Wien.


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Herbert Dutzler

Das Regionale und die EU Regionales in der EU? Am Ende sogar in der Schule, in der Fortbildung? Brauchen wir das? Macht das Sinn? Ist das nicht dasselbe wie Nationalismus? Eine Annäherung an einen positiven Regionalbegriff. Mag. Herbert Dutzler ist Lehrer und Kriminalschriftsteller. Er studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Salzburg und unterrichtet Deutsch und Englisch am Bundesrealgymnasium Schloss Wagrain in Vöcklabruck. Bekannt wurde Dutzler vor allem durch die Altausseer Regionalkrimis wie z. B. »Letzter Kirtag« oder »Letzer Saibling« im Haymon Verlag.

© Peter Kainz | Pixelio

Das Salzkammergut, hier im Bild der Toplitzsee, dient Dutzler als Quelle der Inspiration und Basis für regionale Identifikation.

Ich unterrichte am Rand des Salzkammerguts, zwölf Jahre auch direkt in einem von dessen Zentren, in Gmunden. Die Geschichte der Region ist geprägt vom Salzabbau, von der damit einhergehenden intensiven, großräumigen Nutzung der Holzbestände – man könnte auch sagen: Abholzung −, die schon vor Jahrhunderten begonnen und sehr früh auch streng reglementiert wurde. Dann gibt es die mit dem kaiserlichen Jagdrecht verbundenen sozialen Probleme, in moderner Zeit die Herausforderung, die der Massentourismus mit sich bringt. Ja, und dann natürlich auch noch die Auseinandersetzungen zwischen den katholischen Habsburgern und den mehrheitlich protestantischen Salzkammergutlern. All diese Elemente formen so etwas wie eine Identität der Bewohner/innen des Salzkammerguts, und die drückt sich nicht nur über die politische Geschichte, sondern auch über Literatur, Musik und bildende Kunst aus. Und alle diese Elemente sind natürlich auch Teil des Schulunterrichts, der wesentlich dazu beiträgt, die Identität der Bewohner/innen einer Region herauszubilden. Und ich rede hier nicht von einer exklusiven Identität, die Fremde ausschließt, sondern von einer inklusiven, die – was die Schule betrifft – die Kinder der Einwanderer aufnimmt, mitnimmt und so die Region zu ihrer – man wagt es kaum, den Begriff zu benutzen – Heimat macht. Und so denke ich, dass gerade die positive Identifikation mit dem Regionalen, dem Lokalen, für die EU eine große Bedeutung hat, weil sie einem abstrakten, exklusiven Nationalismus entgegenwirken kann, wenn man sie, wie schon erwähnt, inklusiv versteht. Welchen Beitrag leistet nun die Schule konkret zu dieser positiven Identifikation? Wenn unsere Schüler/innen auf den berüchtigten Wander- und viel moderneren Projekttagen selbst sehen können, wie Salz in Hallstatt gewonnen wird, wie es seit Jahrtausenden schon die Region geprägt hat,

wie die Holzknechte gelebt haben, die das Brennmaterial für die Sudpfannen heranzuschaffen hatten, wie die Schiffleute in Stadl-Paura an der Traun schließlich das Salz aus dem Salzkammergut bis nach Wien hinunter verschifft haben, dann lernen Kinder und Jugendliche zu verstehen, woher ihre Kultur kommt und was sie geprägt hat. Und wenn sie aus einer anderen Kultur kommen, egal ob Ostdeutschland oder Afghanistan, können so das Interesse an und Verständnis für den Ort geweckt werden, an dem sie sich gerade befinden. Ich denke, man nennt das Integration. Ein abstrakter Nationalismus, der mit Begriffen wie Ehre, Vaterland etc. etc. operiert und in Frage stellt, ob jene, die nicht hier geboren sind, überhaupt Teil dieser Region/ Nation sein können, bewirkt genau das Gegenteil. Teil dieser regionalen Identität sind zum Beispiel auch die Alpen, das Gebirge, der Schnee. Wir haben es heute in der Schule mit Kindern zu tun, die mit ihren Lehrerinnen und Lehrern das erste Mal auf einen Berg hinaufsteigen, oder von mir aus auch fahren, und erleben, wie das Land von oben aussieht. Und das gilt für alle Herkunftshintergründe. Wir erleben, welche Begeisterung Kinder entwickeln, wenn sie – oft auch erstmals auf Schulveranstaltungen – mit Schnee, richtigem, üppigem, weißem Tiefschnee – zu tun haben. Wir sehen, wie sie aus sich herausgehen können, wenn man ihnen anbietet, Sportarten zu erlernen – von denen, zugegeben, nur einige wenige wirklich regionalen Bezug haben, aber dennoch. Ein weiteres bedeutendes Element für das Entwickeln regionaler Identität habe ich selber im Rahmen eines EU-Projekts mit Schüler/innen und Lehrer/innen aus Nordirland erleben dürfen: das Essen. Thema der Arbeit, die über ein Wiki von allen Beteiligten bearbeitet wie gelesen und betrachtet werden konnte, waren Spezialitäten aus den jeweiligen Regionen. Und dabei stellte sich heraus, dass durchaus unterschiedliche Ernährungsgewohn-


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© Herbert Dutzler

Kulturelles Erbe und Bildung

Das Regionale ist Herbert Dutzler wichtig und das zeigt sich auch in seinen Altausseer Regionalkrimis.

vertretend für viele andere möchte ich nur Franz Kain, Elisabeth Reichart, Barbara Frischmuth und Christoph Ransmayr nennen. Sie haben – wie viele andere – wesentliche Elemente regionaler Kultur in ihre Werke eingebracht und stehen somit für Regionalliteratur im besten Sinne, die natürlich gleichzeitig auch europäische Literatur und Weltliteratur von hohem Rang darstellt. Und so möchte ich schließlich den Bogen schlagen zu meinen eigenen Romanen, von denen die Serie um den Altausseer Polizeiinspektor Gasperlmaier am bekanntesten ist. Vielfach wurde mir gesagt und geschrieben, ich hätte mit meinen Charakteren das Wesen und die Eigenheiten der Menschen des Salzkammerguts trefflich dargestellt. Dabei habe ich beim Schreiben einfach in mich hineingehorcht, meine Erfahrungen und Erinnerungen hervorgeholt und so ganz unbewusst Charaktere erschaffen, in denen viele Bewohner/innen unserer Region sich und ihre Mitmenschen wiedererkennen. Vielleicht, so denke ich mir manchmal, habe ich auch dazu beigetragen, regionale Identität zu entwickeln.

Die positive Identifikation mit dem Regionalen, dem Lokalen, hat für die EU eine große Bedeutung, weil sie einem abstrakten, exklusiven Nationalismus entgegenwirken kann − wenn man sie inklusiv versteht.

© Rainer Strum | Pixelio

heiten existieren. So haben Österreicher/innen bisher weder von Boxty oder Champ gehört, während Leberkäsesemmeln oder Bauernkrapfen den Nordir/innen völlig fremd sind. Und so erleben wir auch, wie Kinder und Jugendliche durch Schulveranstaltungen – namentlich EU-Projekte – die Möglichkeit bekommen, ihre regionale Identität mit der anderer Regionen in der EU zu vergleichen. Denn obwohl Shoppingcenter weltweit völlig identitätsfrei gleich gestaltet sind, gibt es innerhalb Europas kulturelle Unterschiede, die bis ins Badezimmer und die Toilette hineinreichen. Der Vergleich zwischen den Kulturen öffnet das Bewusstsein und verhindert Engstirnigkeit und Vorurteile. Nicht von ungefähr wurde schon an der Universität gelehrt, dass Bildungsbenachteiligung großteils auf vier Faktoren beruht, die in der »katholischen Arbeitertochter vom Land« kulminieren. Gemeint sind damit konfessionelle Uniformität, die kein Andersdenken zulässt, die soziale Schicht, aus der man kommt, die Tatsache, dass man weiblich ist, und, viertens, das Leben auf dem Land. Regionale Identität zu schaffen und diese – durch Austausch – mit anderen zu vergleichen, kann helfen, diese Sterotype aufzubrechen. Ein Beispiel, das ich hier noch anführen möchte, betrifft das Regionale in der Literatur. Sehr oft wird der Begriff im öffentlichen Diskurs abwertend gebraucht – so, als sei zum Beispiel ein Regionalkrimi etwas weniger Wertvolles als …, ja, als was eigentlich? So etwa, wie die Regionalliga im Fußball, die natürlich im Niveau weit unter der Bundesliga oder gar der Champions League rangiert. Das ist natürlich, auf kulturelle Leistungen bezogen, völliger Unsinn, und so habe ich schon vor Jahrzehnten versucht, der regionalen Literatur – auch im Sinne von Identitätsstiftung – Raum im Unterricht zu geben. Und da brauchen sich weder das Salzkammergut noch Oberösterreich zu verstecken. Stell-


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Friedrich Schipper

Kulturelles Erbe in Gefahr Die Organisation Blue Shield bemüht sich um den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.

Mag. Dr. Friedrich Schipper ist ein österreichischer Archäologe und Experte für Kulturgüterschutz. Weiters ist er Generalsekretär des österreichischen Nationalkomitees Blue Shield und externer Lehrbeauftragter am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. www.blueshield.at

Namensgebendes Symbol ist der blau-weiße Schild, der auf der Basis der 1954 abgeschlossenen Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten als völkerrechtlich vereinbartes Schutzzeichen für Kulturgut fungiert.

Das Europäische Jahr des Kulturerbes 2018 ist ein vorläufiger Höhepunkt in einer Reihe von Initiativen der Institutionen der Europäischen Union oder des Europarats zum Schutz des Kulturerbes auf unserem Kontinent. Im Rahmen zahlreicher europäischer Konventionen, Maßnahmen, Konferenzen und Initiativen werden politische Rahmenbedingungen zum Schutz des Kulturerbes vereinbart. Auch der Europäische Forschungsrat berücksichtigt in seinen Programmen seit vielen Jahren dieses Thema. Man kann durchaus schließen: Den Verantwortungs- und Entscheidungsträgern in Europa ist die Wichtigkeit unseres Kulturerbes für die Geschichte, Identität und Zukunft unserer Gesellschaft sehr wohl bewusst – wohl auch gerade vor dem Hintergrund der Zerstörungen von Kulturgütern im 1. und 2. Weltkrieg, aber auch – räumlich begrenzt – in den so genannten Jugoslawienkriegen. Allerdings spielt der Kulturgüterschutz bei bewaffneten Konflikten, wie er in der Haager Konvention von 1954 und den zwei Zusatzprotokollen von 1954 und 1999 kodifiziert ist, bei all diesen politischen Konzepten zum europäischen Kulturerbe keinerlei Rolle. Diese Fehlstelle setzt sich auch bei den geplanten Veranstaltungen zum aktuellen Europäischen Jahr des Kulturerbes fort, auch wenn die gezielte Zerstörung von Kulturgut bei den jüngsten Konflikten im arabischen Raum – im Irak und in Syrien, aber auch in Mali – öffentlich, medial und politisch sehr wohl wahrgenommen und thematisiert werden. Dabei ist der Krieg als wesentliche Ursache für Zerstörung von Kulturgut historisch wie aktuell durchaus bewusst. Die Haager Konvention definiert schützenswertes Kulturgut wie folgt: a. bewegliches oder unbewegliches Gut, das für das kulturelle Erbe der Völker von großer Bedeutung ist, wie z. B. Bau-, Kunst- oder geschichtliche Denkmäler kirchlicher oder weltlicher Art, archäologische Stätten, Gruppen von Bauten, die als Ganzes von historischem oder künstlerischem Interesse sind, Kunst-

werke, Manuskripte, Bücher und andere Gegenstände von künstlerischem, historischem oder archäologischem Interesse sowie wissenschaftliche Sammlungen und bedeutende Sammlungen von Büchern, von Archivalien oder von Reproduktionen des oben umschriebenen Kulturguts; b. Gebäude, die in der Hauptsache und tatsächlich der Erhaltung oder Ausstellung des unter a. umschriebenen beweglichen Guts dienen, wie z. B. Museen, große Bibliotheken, Archive sowie Bergungsorte, in denen im Falle bewaffneter Konflikte das unter a. umschriebene bewegliche Kulturgut in Sicherheit gebracht werden soll; c. Denkmalzentren, das heißt Orte, die in beträchtlichem Umfange Kulturgut im Sinne der Unterabsätze a. und b. aufweisen. Die jeweils zuständige nationale Behörde entscheidet, welche Kulturgüter der oben beschriebenen Art unter Schutz gestellt werden sollen, listet diese auf, meldet sie der UNESCO als Depositar der Konvention und versieht die entsprechenden Kulturgüter auch mit dem Blauen Schild, dem bekannten Kennzeichen der Haager Konvention. Die Konvention kennt dabei zwei Maßnahmenpakete: die Sicherung und die Respektierung. Die Sicherung umfasst alle staatlichen Maßnahmen, die schon in Friedenszeiten gegen die voraussehbaren Folgen eines bewaffneten Konflikts getroffen werden können. Die Respektierung meint alle militärischen Maßnahmen in der Durchführung eines bewaffneten Konflikts, konkret indem die Konfliktparteien [...] [...] es unterlassen, dieses Gut, die zu dessen Schutz bestimmten Einrichtungen und die unmittelbare Umgebung für Zwecke zu benutzen, die es im Falle bewaffneter Konflikte der Vernichtung oder Beschädigung aussetzen könnten, und indem sie von allen gegen dieses Gut gerichteten feindseligen Handlungen Abstand nehmen; sowie ferner jede Art von Diebstahl, Plünderung oder anderer widerrechtlicher Inbesitznahme von Kulturgut sowie jede sinnlose Zerstörung solchen Guts zu verbieten, zu verhindern und nötigenfalls solchen Handlungen ein Ende zu setzen.


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© Sippel | Pixelio

Kulturelles Erbe und Bildung

Bilder der syrischen Wüstenstadt Palmyra aus dem Jahre 2007, also vor der Zerstörung durch den »Islamischen Staat« (IS).

Darüber hinaus sieht die Konvention nach Art. 7 eine Reihe von Maßnahmen zur Implementierung ihrer Prinzipien in den jeweils nationalen Streitkräften vor, [...] [...] konkret schon in Friedenszeiten in ihre militärischen Dienstvorschriften oder Anweisungen Bestimmungen aufzunehmen, die geeignet sind, die Einhaltung dieses Abkommens zu gewährleisten und den Angehörigen ihrer Streitkräfte Achtung vor der Kultur und dem Kulturgut aller Völker beizubringen. Alle militärischen Maßnahmen nach Art. 5 im Krieg und Art. 7 im Frieden werden auch als »militärischer Kulturgüterschutz« bezeichnet. Beide, Kulturgüterschutz im Allgemeinen und militärischer Kulturgüterschutz, sind eine Querschnittsmaterie, die immer von zivilen wie militärischen Stellen gemeinsam in Rahmen einer zivil-militärischen Zusammenarbeit geplant, vorbereitet und umgesetzt werden müssen. Dabei spielen auch Expertenorganisationen eine unterstützende Rolle, insbesondere auch jene Organisation, die den Namen des Kennzeichens der Konvention trägt: die UNESCO-affiliierte Nichtregierungsorganisation Blue Shield. Sie ist gleichsam kulturelles Gegenstück zum Roten Kreuz und führt zunächst auf internationaler Ebene die Kompetenz der fünf Kulturerbe-Fachorganisationen zusammen: ÆÆ International Council on Archives (ICA) ÆÆ International Council of Museums (ICOM) ÆÆ International Council on Monuments and Sites (ICOMOS) ÆÆ International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) ÆÆ Coordinating Council of Audiovisual Archives Associations (CCAAA) Gleichzeitig ist Blue Shield auch ein Netzwerk von nationalen NGOs, die mit Kulturgutschutz befasst sind. Blue Shield agiert also auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Die Organisation koordiniert vorbereitende Maßnahmen, um auf Katastrophenfälle und Notfallsituationen rasch und

professionell reagieren zu können. Dabei tritt sie als beratendes Organ der UNESCO auf, stellt aber ihre Expertise grundsätzlich allen anfragenden Institutionen (wie z. B. nationalen Regierungen) zur Verfügung. Ein wichtiges Aktionsfeld ist das Lobbying für die Implementierung von internationalem Recht zum Schutz von Kulturgut, vorbereitenden Maßnahmen zur Minimierung von Risiken sowie die Ausbildung von Fachpersonal auf regionaler Ebene. Die Anerkennung dieser wichtigen Arbeit fand ihren Ausdruck im 2. Protokoll zur Haager Konvention, das 1999 verabschiedet wurde. In der Folge kam es zur Gründung zahlreicher nationaler Komitees, die im Sinne von Blue Shield International in ihren jeweiligen Ländern wirken. Diese dienen auch als Schnittstelle von Fachleuten, regionalen und nationalen Behörden, Einsatz- und Streitkräften. Dadurch bilden sie ein Forum für den Austausch von Erfahrungen und Informationen, was der Verbesserung von vorbereitenden Maßnahmen für den Ernstfall dient. Das österreichische Nationalkomitee Blue Shield wurde 2008 gegründet. An der Universität Wien hat Blue Shield Österreich ein Kompetenzzentrum für Kulturerbe, Kulturmanagement und Kulturkommunikation für die akademische Arbeit ausgebildet (kultur.univie.ac.at). Blue Shield Österreich befasst sich auch intensiv mit dem Problem des illegalen Handels mit geraubtem Kulturgut, vor allem weil bewaffnete Konflikte oft mit der Plünderung von Kulturgut einhergehen. Daher hat Blue Shield Österreich mit den Bundesministerien für Inneres und Finanzen auf Basis des Blue-ShieldMemorandums ein Kulturgüterschutz-Panel an der Sicherheitsakademie Wien eingerichtet, das als Schnittstelle fungiert und Maßnahmen zur Bekämpfung der Kulturgutkriminalität entwickelt. Jüngste Initiative von Blue Shield Österreich anlässlich des Europäischen Jahres des Kulturerbes 2018 ist nun die erstmalige Erstellung eines Programms für die Kreativwoche »KinderuniKunst« – denn Kulturgüterschutz geht alle an, auch die Jüngsten.

»Manches Herrliche der Welt Ist in Krieg und Streit zerronnen: Wer beschützet und erhält, Hat das schönste Los gewonnen.« Johann Wolfgang von Goethe


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Philipp Rohrbach | Adina Seeger

Wider das Vergessen Das Austrian Heritage Archive enthält eine digitale Sammlung lebensgeschichtlicher Interviews österreichischjüdischer Emigrant/innen in den USA und Israel. Philipp Rohrbach, MA ist Historiker, 2007/08 war er als Gedenkdienstleistender am Leo Baeck Institut in New York tätig. Seit 2010 ist Rohrbach wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI). Er leitet gemeinsam mit Adina Seeger das Projekt Austrian Heritage Archive. Mag. Adina Seeger Die Historikerin ist Assistenzkuratorin am Jüdischen Museum Wien. Als Mitarbeiterin des Vereins Gedenkdienst leitet sie gemeinsam mit Philipp Rohrbach das Projekt Austrian Heritage Archive.

© Leo Baeck Institut Jerusalem

© Leo Baeck Institut New York

Bild 1: Kurt Schoen (1. v. l.) als Medizinstudent 1937 in Wien. Geb. 1915 in Wien, floh er 1938 über die Niederlande nach New York/USA. Bild 2: Abschiedsfeier für Felicia Breitner (2. v. l.) vor ihrer Emigration 1957 von England nach Israel. Felicia Breitner, geb. 1921 in Wien, gelang 1939 die Flucht nach England, später ging sie nach Israel.

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Nach dem »Anschluss« Österreichs an NS-Deutschland kam es zu einer massiven Welle gesellschaftlicher und staatlicher Gewalt gegenüber Jüdinnen und Juden. Zur Emigration gezwungen, gelangten von den rund 210.000 Jüdinnen und Juden, die 1938 in Österreich lebten, etwa 30.000 in die USA, 15.000 flohen nach Palästina, dem späteren Israel. Beide Länder zählen zu den Haupt-Exilorten für die vertriebene und verfolgte jüdische Bevölkerung Österreichs. Vor über 20 Jahren entsandte der Verein GEDENKDIENST die ersten Auslandszivildienstleistenden an das Leo Baeck Institut New York, um dort im Rahmen des Projekts Austrian Heritage Collection die Lebensgeschichten dieser vertriebenen Österreicher/innen zu dokumentieren. Dokumentation von Lebensgeschichten vertriebener Österreicher/innen seit 1996 Dies geschah in Form biografischer Interviews und der Sammlung lebensgeschichtlicher Materialien (Fotos, Dokumente, Tagebücher, Memoiren etc.). Von Beginn an ging es allerdings nicht nur um wissenschaftliche Dokumentation: Erklärtes Ziel des Projekts war es auch, dazu beizutragen, dass eine Generation von jungen Österreicherinnen und Österreichern ehemalige, vom NS-Regime verfolgte Österreicher/innen trifft, sich mit deren Lebensgeschichten auseinandersetzt und somit dazu beiträgt, Brücken zwischen diesen zwei Generationen zu schlagen. In den geführten Interviews legen die ehemaligen Österreicher/innen Zeugnis von ihrem Leben vor 1938 ab und sprechen von der Zäsur des »Anschlusses«, die für viele mit Ausgrenzung und Gewalterfahrungen verknüpft war. Die Interviews beinhalten darüber hinaus Berichte über das Überleben im NS-Regime sowie von Vertreibung und Flucht. Nicht zuletzt finden sich darin auch Erzählungen vom Ankommen und dem Aufbau einer neuen Existenz am Fluchtort sowie etwa zu Fragen der Identität.

Erweiterung des Interviewprojekts auf Israel und Entwicklung einer Onlinedatenbank Mittlerweile haben 40 junge Österreicher/innen über 600 Interviews mit ehemaligen österreichischen Jüdinnen und Juden in den USA geführt; die Sammlung hat sich zu einem bedeutenden Archiv österreichisch-jüdischer Emigration entwickelt. Im Jahr 2012 wurde die Austrian Heritage Collection auf Israel ausgeweitet, wo seither rund 100 Interviews durchgeführt und dazugehörige lebensgeschichtliche Materialien gesammelt wurden, die am Leo Baeck Institut Jerusalem archiviert wurden. Im Zuge dessen wurde eine Onlinedatenbank und eine dazugehörige Webseite entwickelt, auf der die Interviews aus den USA und aus Israel sukzessive in aufbereiteter Form – das heißt: voll transkribiert, beschlagwortet und in Verbindung mit illustrierenden lebensgeschichtlichen Materialien – kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Alle Interviews werden in voller Länge auf der Webseite veröffentlicht und sind mit Hilfe eines Recherchetools durchsuchbar. Eine Antwort auf die Frage nach dem Ende der Zeitzeugenschaft Das Austrian Heritage Archive ermöglicht somit eine umfassende Auseinandersetzung mit dem lebensgeschichtlichen Erbe vertriebener jüdischer Österreicher/innen. So soll auch sichergestellt werden, dass in Zukunft – wenn Zeitzeug/innen nicht mehr selber sprechen können – die Lebensgeschichten von jenen, die Opfer von nationalsozialistischer Verfolgungs- und Vertreibungspolitik waren, nicht in Vergessenheit geraten.

Weitere Informationen: www.austrianheritagearchive.at


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Marius Müller

European Students’ Association for Cultural Heritage © Rainer Sturm | Pixelio

Living Cultural Heritage – Preserving Cultural Heritage – Forming European Future

Die European Students’ Association for Cultural Heritage (ESACH) ist ein interdisziplinäres Netzwerk an mehreren Hochschulen in aktuell acht europäischen Staaten. Begründet im Februar 2017 anlässlich des von der Europäischen Kommission ausgerufenen Europäischen Kulturerbejahres 2018, verfolgt das Engagement der ESACH drei Zielstellungen: ÆÆ Kulturelles Erbe als gemeinschaftliche, europäische Verantwortung sichtbar zu machen, ÆÆ Bewusstsein für die materiellen und immateriellen Bestandteile des kulturellen Erbes zu wecken, ÆÆ Schutz und Pflege des kulturellen Erbes als gesamtgesellschaftlichen Wert zu unterstreichen und neue Möglichkeiten der Aneignung aufzuzeigen.

Marius Müller, BA studiert an der Universität Passau. Er ist Mitbegründer der ESACH und Volunteer der Plattform ArThemis des Art-Law Center an der Universität Genf.

© Carmen Missal © Carmen Missal

Unter dem Motto »Where the past meets the future« bauen die verschiedenen Projekte der lokalen ESACH-Gruppen auf drei Säulen: Information, Kommunikation und Interaktion. Die ESACH an der Universität Passau ist Gründungs- und Koordinationskomitee sowie aktive Hochschulgruppe in einem. Am Institut für Volkskunde/Kulturantrophologie der Universität Hamburg widmet sich ESACH dem Cross-Generational Research im Rahmen des »Young Heritage Studio«. Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter des ARTIS Instituto de História da Arte der Universität Lissabon informieren auf ihrem Heritage-Blog über lokale und europäische Kulturerbethemen. Promotionsstudierende und Studierende der Denkmalpflege der Vrije Universiteit Brussel, der BTU Cottbus sowie

der Universität Girona sind ebenso Teil des ESACHNetzwerks wie die Gruppe am UNESCO-Lehrstuhl für Kulturgüterschutz der Universität Opole. Der interdisziplinäre Ansatz der ESACH soll als Beitrag zu einer notwendigen Neubestimmung der europäischen Kulturvorstellungen des 21. Jahrhunderts verstanden werden. Dadurch wird nicht nur das kulturelle Erbe als wesentliches Element einer individuellen europäischen Identität begreifbar, sondern dessen Erhalt als Verantwortung der jungen Generationen und als Grundlage jeder verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung sichtbar. www.esach.eu

Initiiert von Studierenden der Universität Passau ist das ESACHNetzwerk inzwischen an mehreren europäischen Hochschulen aktiv.


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Ursula Panuschka

Europa – eine große kulturelle Vielfalt und Einheit Unter dem Motto »Sharing Heritage – Gesellschaft im Wandel« laufen verschiedene Initiativen zum Thema Kulturerbe.

Mag. Ursula Panuschka ist Bereichsleiterin für Erasmus+ Schulbildung bei der OeAD-GmbH.

Europa feiert 2018 das Europäische Jahr des Kulturerbes. Mit diesem Themenjahr soll das Bewusstsein für die europäische Geschichte und die europäischen Werte geschärft und das Gefühl einer europäischen Identität gestärkt werden. »Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.«1 Das 21. Jahrhundert ist geprägt von dynamischen, sich exponenziell beschleunigenden Veränderungen in der Kultur,- Lern- und Arbeitswelt. Das sogenannte »Kulturerbe« spielt dabei eine wesentliche Rolle für die Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft (7,8 Mio. Arbeitsplätze hängen 1 Artikel 27.1. der Menschrechte

Gedenkjahr 2018 1918 wurde das Frauenwahlrecht in Österreich eingeführt. 1918 endete der grausame 1. Weltkrieg mit erheblichen Veränderungen in der politischen Landkarte Europas. Am 12. November 1918 proklamierten Präsident Franz Dinghofer und Staatskanzler Karl Renner, begleitet von den beiden anderen Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung Karl Seitz und Prälat Johann Nepomuk Hauser die Republik Österreich. 13. März 1938/10. April 1938: für eine zivil-gesellschaftliche europäische Kultur »gegen das Vergessen« bzw. »für das Erinnern«! Auch die 68er-Bewegung feiert heuer ihren 50. Geburtstag. Auf europäischer Ebene begehen wir das Kulturjahr Österreich-Albanien mit dem Motto »Gemeinsames Neuentdecken«. Europäische Kulturhauptstädte sind Leeuwarden (Niederlande) und Valletta (Malta). Von Klimt bis Conchita Wurst Gustav Klimt (†6. Februar 1918), Otto Kolomann Wagner (†11. April 1918), Johann »Hans« Hölzl/Falco (†6. Februar 1998), Karl Marx (*5. Mai 1818), Elisabeth Mann Borgese (*24. April 1918), Nelson Mandela (*18. Juli 1818), Leonard Bernstein (*25. August 1918), Adalbert Stifter (†1868), Claude Debussy (†25. März 1918), Emma Stone und Conchita Wurst feiern 2018 ihren 30. Geburtstag.

europaweit indirekt mit dem kulturellen Erbe zusammen), denn es besteht aus einer Vielfalt von Aspekten – materiell sowie immateriell. Es geht auch – basierend auf der Europäischen Kulturagenda 2007 – um die Verbreitung des kulturellen Erbes durch den Ausbau der Digitalisierung, mit dem Ziel eines verbesserten Zugangs der Öffentlichkeit zu den unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Ausdrucksformen. Diese Maßnahme stellt eine bildungspolitische Zielsetzung dar und ist integraler Bestandteil sämtlicher europäischer Kooperationsund Mobilitätsaktivitäten. Lernerfahrungen mit Erasmus+ Durch die im Rahmen des Bildungsprogramms Erasmus+ gemachten Lernerfahrungen im Ausland werden kulturelle und sprachliche Hindernisse ebenfalls abgebaut. Auch die persönliche Weiterentwicklung wird gefördert. Die Vielfalt Europas wird direkt erlebbar. Bildung nimmt eine Schlüsselrolle ein. Eine Besonderheit im Schulwesen sind die UNESCO-Schulen, denn sie machen Themenschwerpunkte wie Welterbe, nachhaltige Entwicklung, Friedenserziehung, Menschenrechte und Gendergerechtigkeit, Biodiversität und Klimawandel, Toleranz und Interkulturalität für ihre Schülerinnen und Schüler sicht- und erlebbar. Einige UNESCO-Schulen nutzen auch die Möglichkeiten des Programms Erasmus+ zum Austausch, um voneinander zu lernen und längerfristig mit anderen europäischen Schulen zusammenzuarbeiten.2 Der Bereich Erasmus+ Schulbildung/eTwinning-Österreich unterstützt die europäische bildungspolitische Priorität für 2018. Unter dem Motto »Sharing Heritage – Gesellschaft im Wandel« sollen zahlreiche Initiativen umgesetzt wer2 http://publications.europa.eu/webpub/com/factsheets/culturalheritage/en


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Zehn europäische Initiativen für das Europäische Jahr des Kulturerbes Engagement

1. Gemeinsames Kulturerbe: Kulturerbe gehört uns allen 2. Kulturerbe in der Schule: Kinder entdecken die wertvollsten Schätze und Traditionen Europas 3. Jugend für Kulturerbe: Junge Menschen erwecken Kulturerbe zu neuem Leben

Nachhaltigkeit

4. Kulturerbe im Wandel: Wiederbelebung von industriellen, religiösen und militärischen Stätten und Landschaften 5. Tourismus und Kulturerbe: verantwortungsvoller und nachhaltiger Tourismus rund um das Kulturerbe

Schutz

6. Wertschätzung des Kulturerbes: Entwicklung von Qualitätsstandards für das Eingreifen in das Kulturerbe 7. Gefährdetes Kulturerbe: Bekämpfung von illegalem Handel mit Kulturgütern und Management von Risiken für das Kulturerbe

Innovation

8. Kompetenzen im Zusammenhang mit Kulturerbe: bessere allgemeine und berufliche Bildung für traditionelle und neue Berufe 9. Alles für das Kulturerbe: Förderung von gesellschaftlichen Innovationen und der Teilnahme der Menschen und Gemeinschaften 10. Kulturerbe und Wissenschaft: Forschung, Innovation, Wissenschaft und Technologie zugunsten des Kulturerbes

Beispielhaft sei ein Projekt der Volksschule Mank aus NÖ mit dem Titel »Let’s share our culture« erwähnt: »We will celebrate European year of Cultural Heritage 2018. We will explore national, regional and personal cultural heritage thanks to our own perceptions of the cultural richness of our countries: this exploration will lead us to different productions such as creative writing and exhibitions.«3 Auch hervorzuheben ist das länderübergreifende Projekt der Neuen Mittelschule Haiming: »Bridges between Borders« verbindet vier Schulen aus Italien, Tschechien, Estland und Österreich, um auf diese Weise kulturellen Austausch und durch ein wachsendes Verständnis füreinander, ein zunehmendes Bewusstsein der Schüler/innen als europäische Bürger/innen zu fördern.4 eTwinning bietet österreichischen Pädagoginnen und Pädagogen im Jahr 2018 zudem die Möglichkeit, an nationalen und internationalen Konferenzen, Seminaren und Workshops zu diesem Thema teilzunehmen. Einen guten Einstieg bietet der Professional-Development-Workshop unter dem eTwinning-Schwerpunktthema 2018 »Cultural Heritage«, welcher vom 19. bis 21. April 2018 3 https://nss.etwinning.net/projects/project/145591 4 http://www.bridges-between-borders.eu

in Thessaloniki, Griechenland stattfindet.5 Als Höhepunkt werden bei der Abschlusskonferenz zum Europäischen Jahr 2018 am 6./7. Dezember 2018 in Wien die besten europäischen eTwinning-Projekte zum Thema Kultur/Kulturerbe ausgezeichnet und vor den Vorhang geholt. Als nicht erneuerbare Ressource ist das kulturelle Erbe (Europas) einzigartig. Es entspringt der Interaktion zwischen Menschen und Orten und ist durch ständige Wandlung gekennzeichnet. Und wie das Wort Kulturerbe schon ausdrückt, handelt es sich um ein Erbe. Es liegt also an den Erben, ob und wie sie diese Erbschaft antreten. In dieselbe Richtung blickt Maestro Plácido Domingo, Präsident von Europa Nostra, indem er mit folgendem Plädoyer den Kern des Europäischen Jahres des Kulturerbes bestens getroffen hat: »Unser kulturelles Erbe ist Europas größtes Geschenk an die Welt. Lassen Sie uns dieses Erbe feiern und gemeinsam erleben, erkunden und genießen. Lassen Sie es uns gemeinsam behüten und achten! Nutzen wir es als Inspirationsquelle für neues Schaffen und neue Beziehungen.«6 Weitere Informationen: https://europa.eu/cultural-heritage/toolkits_de

Viele UNESCOSchulen nutzen die Möglichkeiten des Programms Erasmus+ zum Austausch mit anderen europäischen Schulen.

5 www.etwinning.at 6 https://www.welt.de/sonderthemen/kulturerbejahr

Unser kulturelles Erbe: Wo Vergangenheit und Zukunft einander begegnen.

© https://europa.eu/cultural-heritage

den, um die Bedeutung des Kulturerbes vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen aufzuzeigen. Für Projekte kann das Thema Kulturerbe auf verschiedenste Weise als Inspiration dienen: ÆÆ für die Entdeckung der Vielfalt europäischer Kulturen durch Interaktion mit Schülerinnen und Schülern aus anderen Ländern ÆÆ zur Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen Erbe oder ÆÆ zur Suche nach kulturellen Gemeinsamkeiten in Europa


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Marlies Auer

Culture Pilots: Stadtführungen mit neuer Perspektive Migrant/innen bieten geführte Rundgänge durch einen Stadtteil an und geben dadurch Einblicke in ihre Lebenswelt. Marlies Auer ist Produkt- und Projektmanagerin für innovative Bildungsprojekte am BFI OÖ. Sie ist seit über 20 Jahren begeisterte Bildungsarbeiterin auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene. 2016 wurde Auer als Erasmus+ Botschafterin für Berufsbildung ausgezeichnet.

© Transit Projectes | Gigi Guizzo

© Eva Gütlinger

Die Spaziergänge gibt es bereits in vielen Städten, so auch in Barcelona und Marseille.

Culture Pilots verbindet Bildung, Migration, Kultur und Tourismus in Europa in einem einzigartigen Projekt, in dem Migrant/innen Stadtteilführungen in europäischen Städten aus ihrem speziellen Blickwinkel und mit starken Bezügen auf ihre kulturelle Herkunft anbieten. Das Projekt richtete sich an neu zugezogene Migrant/innen in fünf europäischen Städten, die nach einer Weiterbildung zur Stärkung von Schlüsselkompetenzen und des Bewusstseins über die eigenen Fähigkeiten einen Einblick in ihre Lebenswelt und die kulturelle Vielfalt in ihren Stadtteilen gaben. Durch die von den Teilnehmer/innen selbst entwickelten Führungen kamen Tourist/innen, Stadtbewohner/innen und Einheimische gleichermaßen in Kontakt mit unterschiedlichsten Kulturen, Geschichten, Menschen und Lebensformen. Die persönlichen Verbindungen förderten die Toleranz, das Verständnis und die Freude an vielfältigen Gestaltungsformen von Leben und Kultur. Im Projekt wurde ein Ausbildungslehrgang entwickelt, der vielfältige Aspekte und Inhalte von Kulturgeschichte, Stadtraumanalyse, kultureller Vielfalt, Projektmanagement, Präsentationstechniken, Kommunikation und Konfliktmanagement enthielt. Die Entwicklung und Umsetzung einer eigenen Stadtteilführung war ebenso Teil des Lehrgangs. Entwickelt und umgesetzt wurde das Projekt Kulturlotsinnen (Culture Pilots) vom BFI OÖ ursprünglich im Rahmen von Linz09, der Linzer Kulturhauptstadt; es wurde mit dem Staatspreis für Erwachsenenbildung ausgezeichnet. Aufgrund des Erfolgs wurde das Projekt über das EU-Programm Leonardo da Vinci (Vorgänger von Erasmus+ Berufsbildung) gemeinsam mit fünf europäischen Partnern aus dem Kultur-, Bildungs- und Sozialbereich in vier weitere Städte transferiert – nach Barcelona, Lissabon, Vicenza und Marseille. Im EUProjekt wurden zwischen 2011 und 2013 47 Teilnehmer/innen als Culture Pilots ausgebildet, die mehr als 250 interkulturelle Stadtführungen mit mehr als 3.000 Teilnehmer/innen durchführten.

Ebenso wie in Linz, wo die Führungen nach wie vor über den von den ausgebildeten Kulturlotsinnen und -lotsen gegründeten Verein ibuk gebucht werden können, wurde das Projekt in allen teilnehmenden Städten sehr gut angenommen. Die Rückmeldungen aller Teilnehmer/innen an den Führungen waren ausgesprochen positiv. Cultur Pilots verbinden Bevölkerung Der Austausch über das kulturelle Erbe einer Stadt mit Diskussionen darüber, wie dieses von unterschiedlichen Bewohner/innen und Tourist/-innen wahrgenommen oder gelebt wird, trägt sehr viel zur Verständigung quer über Bevölkerungsgruppen bei. Verbindendes kann so über Trennendes gestellt werden, gemeinsames Erleben steht vor Abschottung, kulturelle Vielfalt und Ausdrucksformen können gemeinsam reflektiert werden. Die ausgebildeten Kulturlotsinnen erlebten das Projekt ebenso als sehr positiv und sehr wichtig für ihr berufliches Leben in Europa, viele konnten danach einen deutlichen Schritt aus dequalifizierten Arbeitsverhältnissen in andere berufliche Bereiche setzen, da neben Kompetenzen auch Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit im Projekt gesteigert wurden. Das Projekt hat neben Bildungs-, Berufs- und Kulturaspekten auch touristische Bedeutsamkeit. Führungen von neu Zugezogenen ergeben durch ihren Blickwinkel neues Potenzial für Besucher/innen. Unter www.culturepilots.eu können das Curriculum für die Ausbildung der Teilnehmer/innen sowie Videos und Berichte über das Projekt jederzeit eingesehen werden. Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein die Verfasserin. Die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.


23 Kulturelles Erbe und Bildung

oead.news im Gespräch mit

Evelyn Kaindl-Ranzinger Learning heritage – oder: Kulturelle Bildung in einer diversen Gesellschaft, aktives Lernen aus europäischer Vielfalt. Interview: Christoph Sackl

oead.news: Was war die spannendste oder inspirierendste Erfahrung im Projekt? Kaindl-Ranzinger: Für die Projektleitung war die Offenheit für Zusammenarbeit und Aufnahme der Lernenden durch die jeweiligen Partner besonders begeisternd. Die Signale, sich im Bewusstsein eines gemeinsamen europäischen Kulturerbes auch langfristig als Netzwerk zu verstehen und Kooperationen zu erwägen, waren deutlich und zeigten auch nach Ende des Projekts ihre Wirkung. oead.news: Können Sie uns etwas mehr über die Wirkung nach Projektende sagen? Was hat es bei Ihrer Zielgruppe bewirkt? Kaindl-Ranzinger: Als nachhaltiges Beispiel ist eine Idee zu erwähnen, die im Rahmen einer Tagung im September 2016 unter den Teilnehmer/innen diskutiert und ausgefeilt wurde und letztlich im Jänner 2018 als europaweites Projekt zu Qualitätsentwicklung und »Social return« im Kulturprogramm unter finnischer Leitung eingereicht

wurde. Innerhalb des Konsortiums lassen sich bei den Partnern teils große Entwicklungssprünge in die erwartete Richtung beobachten: Spezifische neue Programmangebote, erweiterte Zielgruppenarbeit und ein klarer Zugewinn an Sicherheit im Umgang mit dem europäischen Umfeld sind direkte Ergebnisse des Projekts.

Mag. Evelyn Kaindl-Ranzinger ist Projektleiterin beim MUSIS – Steirischer Museumsverband.

oead.news: Hat die Teilnahme an Erasmus+ die Mobilitätsteilnehmer/innen persönlich verändert? Kaindl-Ranzinger: Der Motivationsschub war immens. Sämtliche Beteiligten gewannen große Sicherheit im Umgang mit internationalen Partnern. Es gelang Kolleg/innen, durch interne Wissensweitergabe ihre Position zu stärken und innerhalb ihrer Teams Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf neuen Wegen zu wecken. Dinge sind in Bewegung geraten.

»Der Blick über den Tellerrand des Eigenen rückt Relationen und Bedingungen ins rechte Licht.«

oead.news: Was bedeutet die europäische Projektarbeit für Sie und was hat sich durch die Teilnahme an europäischen Projekte an der Institution geändert? Kaindl-Ranzinger: Für MUSIS als Verband war das Projekt die Unterstützung der Community kleiner und regionaler Museen, aus dem Reagieren ins aktive Handeln zu gelangen, beim Blick über den Tellerrand des Eigenen, Relationen und Bedingungen kennenzulernen und ins rechte Licht zu setzen. Statt in die angelsächsischen und nordischen Staaten zu blicken und deren hohe Qualität in der Kulturerbevermittlung zu beneiden, wurde Handwerkszeug erworben, um selbst aktiv zu werden und die eigenen Konzepten neu zu erfinden. Der Verband wurde durch das Projekt als Ermöglicher wahrgenommen. Für eigenständige Initiativen einer Projekteinreichung fehlt es den Museen nahezu grundsätzlich an Ressourcen. In der Folge erhielt MUSIS außergewöhnlich viele Anfragen aus ganz Österreich, in einer weiteren Einreichung involviert zu werden. Schon im Folgejahr verdoppelte sich das Konsortium. www.musis.at

Die Teilnehmer/innen der European Museums Adviser Conference 2016 im Yorkshire Sculpture Park, Wakefield. Beide Bilder auf der Seite © Heimo Kaindl

oead.news: Worum ging es in Ihrem Projekt? Kaindl-Ranzinger: Viele kommunale oder regionale Museen abseits der touristischen Hotspots und Blockbuster-Ausstellungen nehmen ihre Rolle als Orte der Kommunikation und als lebenslange Lernorte sehr bewusst wahr. Sie nützen die Chancen von Dreidimensionalität, Originalität und Historizität und nehmen einen zentralen Platz in der Entwicklung ihrer Bezugsräume ein. Unser Projekt in Erasmus+ Erwachsenenbildung KA 1 zielte darauf ab, dass sich Kulturvermittler/innen und Kustod/-innen ergänzende Kompetenzen aneignen können, die sie befähigen, proaktiv auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen in der kulturellen Bildungsarbeit zu reagieren. Hierzu zählen partizipatorische Modelle zur Teilhabe am Kulturschaffen, diversitätssensible Methoden, die Barrieren abbauen, um Erleben und Lernen zu ermöglichen sowie die Nutzung digitaler Werkzeuge zur Wissensverbreitung.


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Alois Maier

Projekt »BrotZeit« verknüpft Erasmus+ und Sparkling Science Schülerinnen und Schüler forschen zu den Gewohnheiten des Brotkonsums in verschiedenen EU-Staaten. Mag. Alois Maier ist Lehrer an der HLW Hermagor (Wirtschaft): www.hlwhermagor.at/lehrer.html und Koordinator des Erasmus+ Teams an der HLW Hermagor. Sparkling Science Projektkoordinatorin für die HLW-Hermagor, Fr. Mag. Gabriele Waysocher

Die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe (HLW) Hermagor nimmt seit dem Schuljahr 2002/2003 an Mobilitätsprojekten im Rahmen von Erasmus+ teil. In zwei Sparkling-ScienceProjekten beschäftigten sich Schülerinnen und Schüler der HLW Hermagor und des Bildungszentrums Lesachtal gemeinsam mit lokalen Partnern unter der wissenschaftlichen Leitung von Gerhard Strohmeier und Andrea Sieber von der AlpenAdria-Universität Klagenfurt und mit Unterstützung des Kärntner Medienzentrums für Bildung und Unterricht mit dem »kulturellen Erbe« in der Region Lesachtal. Die Sparkling-Science-Projekte an der HLW Hermagor koordinierte Gabriele Waysocher.

© angieconscious | Pixelio

Traditionelle Brotherstellung im Lesachtal Im ersten Projekt waren Schülerinnen und Schüler »dem Flachs auf der Spur« (2012–2014), interviewten Zeitzeugen und ließen im gemeinsamen Handeln den Anbau von Flachs und die Verarbeitung des Flachses zu Leinen wieder aufleben. Das Anschlussprojekt »BrotZeit« (2015–2017) widmete sich gleichfalls der Erforschung der landwirtschaftlichen und handwerklichen Praktiken zum Anbau und zur Verarbeitung von Getreide und der Herstellung von Brot. Ziel des Projekts war es, das lokale Wissen und die Praktiken zum immateriellen Kulturerbe »Lesachtaler Brotherstellung« zu untersuchen, dieses Wissen zu sichern und zu dokumentieren und diese Traditionen gemeinsam im intergenerationellen Dialog zu praktizieren. Immaterielles Kulturerbe erfordert gelebte Tradition. So konnte die HLW-Schülerin Manuela Hohenwarter im Rahmen ihrer vorwissenschaftlichen Arbeit »Brot – Geschmack erleben – Tradition bewahren«, betreut von Emanuela Morgenfurt (Diplompädagogin HLW Hermagor) und unter wissenschaftlicher Begleitung von Andrea Sieber (AAU), einen Vormittag mit der 1. Klasse der NMS Lesachtal planen und gestalten, d. h. Getreidearten

erklären, verschiedene Getreidearten zu Mehl mahlen und diese zu verschiedenen Brotteigen verarbeiten. Während die Teige reiften, gab es einen Informationsblock und ein Quiz sowie danach ein gemeinsames Brötchen formen und Backen. Des Weiteren erarbeitete die Schülerin einen Fragebogen für diese 1. Klasse, um die Gewohnheiten des Brotkonsums in den Familien der Schüler/innen und Nachbar/innen herauszufinden. Ergänzend konzipierte die angehende Maturantin ein Brottagebuch für die Schülerinnen und Schüler, damit diese ihre eigenen Essgewohnheiten acht Tage lang dokumentieren konnten, wie z. B. welches Brot wurde gegessen, aus welcher Region stammte es usw. Warum also die Erforschung der Brotkonsumgewohnheiten nur auf die Region beschränken? Das Thema »Brot« passt wunderbar in das Ausbildungsfeld der HLW Hermagor, insbesondere zu den Gegenständen Ernährung, Biologie, Kulturtourismus und dem Gastronomiebereich und nicht zuletzt zum Mobilitätsprojekt Erasmus+. Dies ist eine Gelegenheit für die Schülerinnen und Schüler, nicht nur ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und ihre praktischen Fähigkeiten vornehmlich im gastronomischen Bereich unter Beweis zu stellen, sondern auch andere Kulturen kennenzulernen und die Kultur des Brotes in anderen Ländern zu erforschen. Mittels Fragebogen und in Einzelinterviews wurden die verschiedenen Aspekte des Brotkonsums erhoben: Welche Art von Brot bevorzugt wird? Wie oft und was tatsächlich pro Tag bzw. Woche in den besuchten Ländern England, Italien, Malta, Portugal und Schottland gegessen wird? Ob es selbst gebacken oder wo es gekauft wird und wie die persönliche Einstellung der Menschen in diesen Ländern zu Brot und Gesundheit ist. In einer Abschlusspräsentation an der HLW Hermagor berichteten dann die Erasmus+ Teilnehmerinnen und Teilnehmer von ihren Erfahrungen in den einzelnen Staaten und stellten die Ergebnisse der Befragung vor. https://lesachtalerbrot.wordpress.com


25 Kulturelles Erbe und Bildung

Andrea Sieber

Kulturerbe ist nicht, Kulturerbe wird gemacht! Schüler/innen erleben, wie lebendige Traditionen sich im alltäglichen Handeln verändern und Neues integrieren. regionalen und nationalen Forschungspartnern (u. a. Gemeinde Lesachtal, Bildungszentrum Lesachtal, HLW Hermagor, Kärntner Medienzentrum, Österreichische UNESCO-Kommission) wurde deutlich, dass lebendige Traditionen nicht einfach vorhanden sind, sondern sich durch Transformation, Neuentstehung, Übernahmen, Wiederbelebung und Erfindungen ausgestalten. Die Aneignung und die Teilhabe an lokalem Erfahrungswissen öffnete durch den intergenerationellen Aushandlungsprozess über innere Bilder des kulturellen Selbstverständnisses einen Erfahrungsraum für den Erwerb von Handlungskompetenzen und die Herausbildung von Gemeinsinn. Immaterielles Kulturerbe und die Vergangenheit bildeten die Grundlage für einen alters- und interessensübergreifenden Begegnungs- und Austauschprozess. Geprägt war dieser durch mehrere Dimensionen, die zu konkreten Handlungsmöglichkeiten im Lesachtal führten: Identität, Verständnis des Umfeldes, Betrachten des größeren Ganzen, Verbundenheit, Sinnhaftigkeit und Verantwortung.

DI (FH) Andrea Sieber, MA ist Universitätsassistentin am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung der AlpenAdria-Universität Klagenfurt. Sie hat Landschaftsarchitektur, Agrarpädagogik, Sozialbetriebswirtschaft und Social Cooperation studiert. Ihre aktuellen Forschungsthemen sind im Bereich kulturelle Nachhaltigkeit und partizipative Forschung angesiedelt. Sie ist beratend im Netzwerk »Faro Convention Action Plan« des Europarats im Bereich Kulturvermittlung aktiv sowie bei der Citizen-Science-Plattform »Österreich forscht«.

Definition immaterielles Kulturerbe:

Immaterielles Kulturerbe beschreibt lebendige kulturelle Ausdrucksformen, die maßgeblich vom menschlichen Wissen und Können getragen werden. Hierzu zählen laut dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes »mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, darstellende Künste, gesellschaftliche Praktiken, Rituale und Feste, Wissen und Praktiken in Bezug auf die Natur und das Universum sowie traditionelle Handwerkstechniken« (UNESCO 2003). Die unterschiedlichen Formen werden in Form von Fertigkeiten, Können und Wissen von Generation zu Generation weitergegeben, stetig neu gestaltet und verändert. Sie sind Ausdruck von Kreativität und Erfindergeist, stiften Identität und Gemeinsinn.

© HLW Hermagor

Die Sicherung, die Weitergabe und der Transfer von immateriellem Kulturerbe legen neue Formen von Wissensvermittlung und der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern nahe. Citizen Science, die Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern an Forschungsprozessen, nimmt dabei eine immer wichtigere Rolle ein. In den Sparkling-Science-Projekten »BrotZeit. Lesachtaler Brot im intergenerationellen Dialog« und »Landscape and Youth. Eine Spurensuche zum Flachs im Lesachtal« gingen wir der Frage nach, inwiefern partizipatorische Ansätze das Verständnis für immaterielles Kulturerbe sowie Wissenschafts-, Medien- und Demokratiekompetenzen der Schülerinnen und Schüler stärken können. Die beiden Projekte vernetzten Forschung, Kulturerbe, Partizipation und empirische Bildung, um das Innovationspotenzial von Citizen Science in der schulischen Bildung zu erforschen und das Bewusstsein für das kulturelle Erbe stärker zu verankern. Mit Jugendlichen immaterielles Kulturerbe zu entschlüsseln, bedeutete, dieses als Quelle zu nutzen und dessen Gestaltungszusammenhang und -wandel im Spannungsfeld von naturräumlichen Voraussetzungen und menschlichem Handeln herauszuarbeiten. Zentrale Methode war dabei der gemeinsam gestaltete Lern- und Entwicklungsprozess, der in der Auseinandersetzung von Beobachtung, Selbstbeobachtung, Aktion und Reflexion tragend und impulsgebend wirkte. So war der Wissensentwicklungsprozess eng verwoben mit sozialen und kommunikativen Prozessen und wurde zu einem großen Teil erst dadurch ermöglicht. Kollektives Lernen fand dadurch statt, dass bereits vorhandenes, lokales (implizites) Wissen durch partizipative Prozesse der Datenerhebung, -analyse und Ergebnispräsentation expliziert und systematisiert wurde (intergenerationelle Erzählcafés, praktische Hands-on-Aktivitäten, Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen, gemeinsame Datenanalyse, performativ-kreative Ergebnispräsentation etc.). In der Zusammenarbeit mit lokalen,


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Martha Keil

»Post-Holocaust-Erziehung« mit Fragezeichen In drei Sparkling-Science-Projekten forschten Jugendliche zur jüdischen Geschichte ihrer Heimatregion. Der Begriff »Post-Holocaust-Erziehung« mutet sperrig an – welche Erkenntnisse sollen Schülerinnen und Schülern durch historische Projekte vermittelt werden und welche handlungsrelevanten Fähigkeiten sollen sie dadurch gewinnen? Der Anspruch an uns Historikerinnen und Historiker ist hoch: Ein »involviertes Erinnern« (Astrid Messerschmidt) wird gefordert, die Ausbildung »moralischer Gefühle« und gar »die leibliche Sensibilisierung für das Übertreten moralischer Grenzen« (Micha Brumlik). Dies steht im Kontext der allgemeinen Erwartung an Schulen, familiäre Erziehungsdefizite auszugleichen und familientradierte Narrative und Vorurteile nachhaltig zu verändern. Dies ist auch von den engagiertesten Lehrpersonen kaum zu leisten; im Rahmen von wenigen Workshop-Tagen innerhalb von zwei Projektjahren können allenfalls erste Schritte für neue Haltungen gesetzt werden. In drei Sparkling-Science-Projekten des Injoest forschten Schülerinnen und Schüler mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten zur jüdischen Geschichte ihrer Heimatregion, wobei das Thema mit einer für die Jugendlichen relevanten Fragestellung verbunden war: Das Projekt »Sag mir, wo die Juden sind« (2011/12) fragte nach Zugehörigkeit und Verlust: »Was bedeutet für mich Heimat? Was macht meine Identität aus? Somit war es kein reines Arbeiten in der Vergangenheit«, so zwei Schülerinnen einer 7. Klasse in der Feedbackrunde. Hochaktuell wurde die Diskussion, als eine Schülerin ihrer Klasse erstmals enthüllte, als Flüchtling 1

Bild 1: Zeitzeug/innengespräch mit Hannah Fischer, Juni 2013 in der ehemaligen Synagoge St. Pölten. Bild 2: Jo Ann Rothenberg, deren Vorfahren aus Österreich flüchteten, umarmt eine Schülerin.

mit einem unklaren Aufenthaltstitel in Österreich zu leben. Plötzlich wurden die erforschten Schicksale der aus St. Pölten vertriebenen Jüdinnen und Juden real greifbar. Zeitzeug/innengespräche mit ehemaligen »Kindertransport-Kindern« im Rahmen des Projekts »Das Ende (m)einer Kindheit? Die Rettung jüdischer Kinder aus Österreich 1938–41« (2013/14) ermöglichten einen ähnlich empathischen Zugang. Die Frage nach dem Konstrukt von Kindheit und deren Ende wurde sehr persönlich und kontrovers diskutiert. Im Projekt »Abgemeldet – Die Zwangsumsiedlung der St. Pöltner Jüdinnen und Juden in Wiener Sammelwohnungen 1938– 42« (2015/16) konnten die Forschungsergebnisse besonders eindrucksvoll angewandt werden: Im Juni 2016 besuchten auf Einladung des Injoest 92 Nachkommen vertriebener jüdischer Familien St. Pölten und die am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schüler hielten für sie an den jeweiligen Wohnorten Führungen ab. Auch in diesem Projekt zeigte sich, wie bedeutend persönliche Begegnungen mit Menschen sind, deren Familiengeschichte man ansonsten nur als Namen und Daten aus trockenen Dokumenten kennt. Das Hauptanliegen der Post-Holocaust-Erziehung, die Wertschätzung von Diversität und Anerkennung von Anderssein, findet selbst bei der innovativsten Geschichts- und Kulturvermittlung ihre Grenze. Sie ist zwar eine notwendige Basis, ihre praktische Erprobung muss aber in der realen Begegnung erfolgen. 2

Beide Fotos © Injoest

PD Dr. Martha Keil Die Historikerin und Judaistin ist Senior Scientist am Institut für österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien und leitet das Institut für jüdische Geschichte Österreichs (Injoest, St. Pölten). www.injoest.ac.at martha.keil@injoest.ac.at


27 Kulturelles Erbe und Bildung

Cyril Dworsky

Zugang im Welterbe schaffen

Im Projekt »Doing Welterbe – Welterbe begreifen« erforschen Kinder die prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen.

Bild 1: Dass Forschung auch spannend sein kann, zeigt sich im Projekt »Doing Welterbe«, das Schüler/innen gemeinsam mit dem Naturhistorischen Museum Wien, dem Kuratorium Pfahlbauten und der Universität Wien durchführten. Bild 2: Die 3D-Objekte der Schüler/innen wurden Teil einer Wanderausstellung zum Thema Welterbe.

Mag. Cyril Dworsky ist Archäologe und Wissenschaftskommunikator. Als Geschäftsführer des Kuratoriums Pfahlbauten und Kulturerbemanager ist sein Schwerpunkt das unterwasserarchäologische Kulturerbe in Österreich, insbesondere das UNESCO-Welterbe »Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen«. Im Kinderbüro der Universität Wien ist er für internationale Projekte verantwortlich und arbeitet seit Jahren in den Bereichen des gemeinsamen Forschens mit Kindern und Jugendlichen und des gleichberechtigten Zugangs zu Wissenschaft und Bildung.

1 © Alexandra Schwell

lität des UNESCO-Welterbes der prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen geforscht. Besonders wichtig war dabei, dass die Kinder Meinungen und Geschichten aus ihrem vertrauten Umfeld in selbst durchgeführten Interviews einfangen konnten, um mit uns darüber zu diskutieren. Dabei wurden viele unterschiedliche – auch kontroversielle – Perspektiven auf Kulturerbe deutlich. Nicht zuletzt auch, dass häufig unsere Definition von kulturellem Erbe eine meist subjektiv, regionale Sichtweise ist. Diese eingefangenen Geschichten rund um das kulturelle Erbe wurden durch die Möglichkeit eines eigenen Schöpfens und Gestaltens ergänzt. Durch den Einsatz dreidimensionaler Dokumentationsmethoden bei archäologischen Objekten und der eigenen Erzeugung neuer Kulturartefakte (3D-Drucke) wurde auf spielerische Art und Weise eine neue Art von Kulturerbe erzeugt. In der Kombination aus inhaltlicher Auseinandersetzung und praktischem Gestalten wurde klar, dass man auch als Kind Anteil haben kann. Neue Inhalte wurden geschaffen, die ein Mosaiksteinchen im kulturellen Erbe darstellen und nicht abstrakt und unnahbar erscheinen, sondern persönliche Bedeutung haben. Zwei Empfehlungen lassen sich aus dieser Erfahrung ableiten: Es ist wichtig, dass man Kinder, aber auch Erwachsene, regelmäßig mit Kulturerbe in Kontakt bringt und dabei hilft, das eigene kulturelle Erbe zu identifizieren. Dabei muss unbedingt Raum für Diskussion und unterschiedliche Perspektiven bleiben. Zusätzlich sollte der Gestaltungsspielraum und die Teilhabe ausgebaut werden. Es braucht individuelle Ermächtigung, um über eigene Handlungen Anteilnahme zu erzeugen.

2 © Michael Tavernaro

Unter welchen Prämissen sollen und wollen wir kulturelles Erbe vermitteln? In der Diskussion um erhöhtes Bewusstsein zum Erhalt und zur Nutzung von kulturellem Erbe wird meistens in einem Defizitmodell gedacht. Man geht davon aus, dass die Menschen ein geringes Verständnis für kulturelles Erbe zeigen und dass es aus diesem Grund notwendig ist, früh durch Information und Aufklärung gegenzusteuern. Das Ansetzen im Bildungsbereich ist richtig, die Wirkung hängt aber stark von der Methode ab. Nur im günstigsten Fall liegt nämlich bereits ein Grundinteresse vor. Das hängt sehr stark von der individuellen Umgebung ab. Wird das eigene Elternhaus, das vertraute Umfeld, bereits als Milieu mit einer Wertschätzung für kulturelles Erbe wahrgenommen, kann bereits aus einer günstigen Ausgangslage gestartet werden. Das bedeutet, dass wahrscheinlich bereits eine gewisse Selbstverständlichkeit im Umgang mit Kulturerbe vorhanden ist. Da dies aber nicht die Regel ist, sollte man sich umso mehr die Frage stellen, warum ein bestimmter Teil unseres Kulturerbes für die individuelle Person überhaupt interessant sein sollte? Nur weil man selbst von der Bedeutung und der Wichtigkeit überzeugt ist? Großer Enthusiasmus und ein Talent, diesen auch auf andere Menschen übertragen zu können, kann hier natürlich durchaus befruchtend wirken. Aus diesem Grund ist es übrigens so lohnend, wenn man die Möglichkeit findet, Kinder direkt mit Forscherinnen und Forschern, die für ihr Thema brennen, zusammenzubringen. Die grundsätzliche Herausforderung ist es aber vielmehr, für die Kinder ein Wegbegleiter zu einem eigenen Zugang zu kulturellem Erbe zu sein. Dieser Weg kann sehr unterschiedlich ausfallen und führt unter Umständen auch an ein anderes, ungeplantes Ziel. Im Sparkling-Science-Projekt »Doing Welterbe – Welterbe begreifen« haben wir gemeinsam mit Kindern über die Narrative und die Materia-


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Werner Fulterer

refugees{code} – coding school for integration Geflüchtete lernen bei einem Wiener Verein das Programmieren.

Mag. Werner Fulterer ist Mitarbeiter der OeAD-GmbH und für oead4refugees« zuständig. www.oead.at/oead4refugees facebook.com/oead4refugees www.refugeescode.at

Beide Fotos © Eva Klausner

Flüchtlinge suchen Jobs, Unternehmen suchen IT-Personal − der Verein refugees{code} schließt diese Lücke.

Die Coachingeinheit im Projektraum am alten Gelände des Nordbahnhofs beginnt leicht verspätet: Wie jeden Freitag rekapitulieren hier die 17 Männer und drei Frauen in der Gruppe die erarbeiteten Inhalte der vergangenen Woche. Alle haben Fluchthintergrund, fast alle kommen aus Syrien, Irak oder Afghanistan, einige bringen bereits Programmiererfahrungen mit, andere nicht. Seit Oktober erlernen die aus knapp 150 Bewerber/innen Ausgewählten das Programmieren, dazu kommen noch Workshops zu Projektmanagement und Bewerbungstechniken – binnen eines Dreivierteljahres werden sie so für den österreichischen Arbeits-markt fitgemacht, ein dreimonatiges Praktikum inklusive. Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung werden dabei großgeschrieben. oead.news sprach mit den Initiator/innen Stefan Steinberger, Daniela Wolf und Alexander Hartveld. oead.news: Warum ist das Projekt entstanden? Wir haben refugees{code} im Jahr 2016 ins Leben gerufen. Die Grundidee entstammt der Erkenntnis, dass praktisch jedes Unternehmen Programmierer/innen sucht, und Geflüchtete Jobs suchen. Diese beiden Dinge wollten wir einfach zusammenführen. Neben einer beruflichen Perspektive wollten wir den Geflüchteten aber auch Hilfe auf einer grundsätzlicheren Ebene geben: Man darf den Einfluss eines strukturierten Tagesablaufs und das Zusammensein mit einer Community von Gleichgesinnten auf die Persönlichkeit nicht unterschätzen! Wir haben hier selbst miterlebt, wie mit den ersten Lernerfolgen das Selbstbewusstsein aufblüht, wie sich die Körperhaltung verbessert. Schon nach wenigen Wochen sehen wir so viel mehr Lachen, Lebensfreude und Motivation. Und mehrere unserer

früheren Absolvent/innen haben bereits Festanstellungen gefunden. oead.news: Wer unterrichtet die Teilnehmer/innen? Kern des Programms ist ein bereits bestehender und erfolgreicher Massive Open Online Course (MOOC) der Harvard University, bei dem die Teilnehmer/innen durch Videos und Übungen in das Arbeiten mit den Programmiersprachen C, Python und JavaScript eingeführt werden. Bei uns erhalten sie darüber hinaus direkte Unterstützung durch Trainer/innen und Mentor/innen, zweimal pro Woche auch durch Tutor/innen der TU Wien. oead.news: Welche Ressourcen stehen refugees{code} zur Verfügung? Wir nutzen derzeit einen Raum der NordbahnHalle, dort können sich die Teilnehmer/innen nicht nur mit den anderen austauschen und gegenseitig weiterhelfen, sondern es gibt auch regelmäßige Termine mit den Trainer/innen bzw. Mentor/innen. Zusätzlich bieten wir noch unsere eigene Lernplattform und verschiedene frei verfügbare MOOCs. Wir setzen auch auf die Kooperation von Bildung und Wirtschaft und kooperieren mit der TU Wien, die im Rahmen der Flüchtlingsinitiative »welcome TUcode« Unterstützung beim Abhalten der VorOrt-Veranstaltungen bietet. Zudem arbeiten wir für ein weiteres Projekt (»DevelopMe_«) mit der Wirtschaftsagentur Wien zusammen. refugees{code} bekam zudem finanzielle Unterstützung und Sachspenden durch diverse Programme und Unternehmen. oead.news: Was sind eure derzeitigen Pläne für die Zukunft des Projekts? Ziel für unseren nächsten Kurs ab Herbst 2018 wird es sein, die Frauenquote zu erhöhen; für Anfang 2019 planen wir auch ein neues Programm nur für Frauen.


29 Kulturelles Erbe und Bildung

Liana Safaryan

Österreich-Bibliothek Jerewan – Treffpunkt der Kulturen Die Bibliotheken sollen einer breiteren Öffentlichkeit österreichische Literatur sowie Informationen über Geschichte und Gegenwart Österreichs zugänglich machen. Dr. Liana Safaryan ist Leiterin der ÖsterreichBibliothek Franz Werfel in Jerewan. www.oesterreich-bibliotheken.at

Bild 1: »Süßes Österreich – Apfelstrudelworkshop«, Lukas Mayrhofer lehrte den Lehrer/innen in seiner Landeskundeeinheit, wie man den berühmten Wiener Apfelstrudel zubereitet. Bild 2: Die Österreich-Bibliothek Franz Werfel in Jerewan.

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© Inga Ivanova

Anlässlich des Staatsbesuchs des damaligen österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer in Armenien besuchte Margit Fischer die ÖsterreichBibliothek, 2014 folgte der amtierende Bundeskanzler (damals Außenminister) Sebastian Kurz. Zusammen mit der Österreich-Bibliothek Jerewan organisiert Kultur und Sprache regelmäßig die Österreich-Tage, Seminare zum DACHPrinzip, zur österreichischen Landeskunde und Methodik-Didaktik des Deutsch als Fremdsprache (DaF)-Unterrichts. Das österreichische Bildungsministerium entsendet Unterrichtsreferent/innen und liefert österreichische Beiträge zu Tagungen für Deutschlehrer/innen. Im Rahmen der Österreich-Tage haben u. a. bekannte Schriftsteller/innen wie Martin Auer und Renate Welsh Lesungen gehalten und in Workshops Tipps zum kreativen Schreiben gegeben. Seit Herbst 2012 ist ein Lektoratsstandort an der staatlichen W.-Brjussow-Universität für Sprachen und Sozialwissenschaften eingerichtet. Seit 2016 ist das Lektorat von Moritz Lenglachner besetzt. Er unterrichtet Landeskunde und Sprachvermittlung und versucht so, Österreich mit all seinen Aspekten darzustellen. Ferner betreut Lenglachner die erste armenisch-österreichische Studierendenzeitung und wirkt bei der Planung und Organisation von kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen der Österreich-Bibliothek und des Lehrstuhls für Deutsch mit. Auf Universitätsebene funktioniert die Kooperation zwischen der Universität Wien und der Brjussow-Universität blendend. Seit über 16 Jahren werden OeAD-Auslandspraktikant/innen für ein Semester im DaF-Unterricht nach Armenien entsandt. Seit Juni 2011 werden am lizenzierten ÖSDPrüfungszentrum an der Brjussow-Universität Prüfungen zum Erlangen des Österreichischen Sprachdiploms Deutsch abgenommen.

2 © Moritz Lenglachner

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts bestehen enge Beziehungen zwischen dem armenischen und dem deutschsprachigen Raum – nicht zuletzt dank des Mechitaristen-Ordens in Wien, der ein wichtiges historisches Bindeglied zwischen den beiden Ländern darstellt. Im Jänner 2017 wurde der 25. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich und Armenien begangen. Die Österreich-Bibliothek Jerewan ist an der staatlichen Waleri Brjussow-Universität für Sprachen und Sozialwissenschaften angesiedelt, 2010 wurde sie durch Martin Eichtinger, damaliger Leiter der Kulturpolitischen Sektion im österreichischen Außenministerium, eröffnet. Im Rahmen der internationalen Konferenz »Franz Werfel und seine Zeit«, wurde die Bibliothek im Jahr 2012 in »Österreich-Bibliothek Franz Werfel« umbenannt. Die Österreich-Bibliothek Franz Werfel in Armenien ist eine der umfassendsten ausländischen Büchersammlungen mit über 4.000 Bänden, österreichischen Zeitungen und Zeitschriften sowie CDs und DVDs zu verschiedenen Themen mit Österreichbezug, die auch über einen Onlinekatalog entlehnt werden können. Die Schwerpunkte der Bibliothek sind österreichische Literatur, Literaturund Sprachwissenschaft, Deutsch als Fremdsprache, Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte sowie österreichische Geschichte und Landeskunde. Die Österreich-Bibliothek Jerewan ist auch ein Kulturzentrum, in dem Veranstaltungen in Kooperation mit der Österreichischen Botschaft für Armenien und der Kulturpolitischen Sektion des österreichischen Außenministeriums stattfinden. Sie bietet einer breiten Öffentlichkeit regelmäßig wissenschaftliche Workshops und Vorträge, didaktisch-methodische, landeskundliche Seminare sowie Buchpräsentationen, Autorenlesungen, Ausstellungen und Filmvorführungen. So fanden z. B. im Rahmen der Aktion »Österreich liest« schwerpunktbezogene Veranstaltungen statt.


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OeAD-Events

Veranstaltungskalender Der OeAD bietet Plattformen zur öffentlichen Diskussion rund um Mobilität und Internationalisierung. Details und Infos zur Anmeldung finden Sie unter www.oead.at/events.

13. April 2018, 18.00 Uhr | Wien Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien Zehnte Wendelin Schmidt-Dengler-Lesung im Rahmen der Franz Werfel-Jahrestagung liest Maja Haderlap aus »langer transit« und »Engel des Vergessens« 13. April 2018 | Wien OeAD-Haus | Ebendorferstraße 7 | 1010 Wien Kultureinrichtungen meet Erasmus+ Erasmus+ hat sich zum Ziel gesetzt, neue partizipatorische und interkulturelle Herangehensweisen im Rahmen von strategischen Partnerschaften zum Austausch bewährter Praxis bzw. zur Innovation zu unterstützen und lädt Kulturvermittler/innen ein, die Möglichkeiten der transnationalen Vernetzung und Projektentwicklung von Erasmus+ kennenzulernen. 15. Mai 2018 | Wien OeAD-Haus | Ebendorferstraße 7 | 1010 Wien APPEAR in practice: Building knowledge on organic farming in Armenia and Uganda Im Rahmen der Veranstaltung werden Erfahrungen aus zwei APPEAR-Projekten zu ökologischer Landwirtschaft in Armenien und Uganda präsentiert. Zudem wird diskutiert, wie in Zusammenarbeit zwischen Praxis und Universität agrarökologisches Wissen generiert werden kann, um nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden zu etablieren. 23. bis 25. Mai 2018 | Wien Raiffeisen Forum | Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Pl. 1 | 1020 Wien Jugend Innovativ Bundesfinale 2018 Im Rahmen von Jugend Innovativ, Österreichs größtem Innovationswettbewerb für Schüler/innen und Lehrlinge, werden die 35 besten Wettbewerbsprojekte österreichischer Schulteams in

einer Ausstellung präsentiert. Highlight der dreitägigen Veranstaltung ist die Preisverleihung, bei der die Innovationsstiftung für Bildung Publikumspreise vergibt.

28. bis 30. Mai 2018 | Wien Europahaus | Linzer Straße 429 | 1140 Wien EuroApprentices Network Meeting Go. Learn. Share »EuroApprentices« ist eine Initiative mit dem Ziel, europäische Mobilität im Rahmen von Erasmus+ unter Lehrlingen zu fördern und die Lehre als Bildungsweg attraktiver zu machen. Beim jährlichen Netzwerktreffen sollen Workshops und Aktivitäten den Lehrlingen die Möglichkeit bieten, sich zu vernetzen und Erasmus+ in ihrer Peergroup zu verbreiten. 5. bis 8. Juni 2018 | Russland Universität für Geodäsie und Kartografie | Moskau Erasmus+ Kooperationsseminar mit Russland Die Nationalagentur Erasmus+ Hochschulbildung und das russische Nationale Erasmus+ Office organisieren ein gemeinsames Kooperations- und Kontaktseminar für österreichische und russische Hochschulen in Moskau. Das Seminar soll dem Aufbau und der Verstärkung von Kontakten zwischen Partnerhochschulen beider Länder dienen. 14. bis 15. Juni 2018 | Wien Wiener Schulschiff | Donauinselplatz | 1210 Wien OeAD-Haus | Ebendorferstraße 7 | 1010 Wien Internationale eTwinning-Konferenz zur Donauraumstrategie Im Zentrum der Veranstaltung steht der Austausch der Pädagog/innen aus den Donauraumländern, das Kennenlernen gemeinsamen Kulturerbes im Donauraum, die Anbahnung zukünftiger grenzüberschreitender Projekte und das Vorstellen der eTwinning-Plattform unter fachlicher Anleitung.

Neues Förderprogramm für digitale Lehr- und Lernmittel startet Gefördert von der Innovationsstiftung für Bildung startet noch im Frühjahr 2018 ein neues Förderprogramm zum Schwerpunkt »Digitalisierung und Bildung«. Eingereicht werden können Projekte, die auf die Weiterentwicklung von digitalen Lehr- und Lernmitteln abzielen. Mit Hilfe von Citizen-Science-Methoden werden diese Lehr- und Lernmittel von Expertinnen und Experten mit Schülerinnen und Schülern und Lehrpersonen gemeinsam überarbeitet. Durch die Integration der Projekte ins Schulumfeld sollen aber nicht nur innovative und praxisorientierte Lehr- und Lernmittel entstehen, sondern es soll auch der bewusste, selektive, kritische und zielgerichtete Einsatz von digitalen Medien im Unterricht gefördert werden. Einreichberechtigt sind Forschungseinrichtungen, Schulen, Bildungseinrichtungen, gemeinnützige Institutionen und Unternehmen. Pro Projekt können maximal 25.000 Euro beantragt werden. Insgesamt stehen in der 1. Ausschreibung 200.000 Euro zur Verfügung. Abgewickelt wird das Programm von der OeAD-GmbH, Abteilung Public Science. Nähere Informationen stehen ab Anfang März auf www.innovationsstiftung-bildung.at/de/foerderungen zur Verfügung.


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© BirgitH | Pixelio

Franz Gramlinger

Bildung ist gleich Berufsbildung – eine Provokation? Die sechste Österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz stellt die Frage einer Neuorientierung in den Raum.

Zum bereits sechsten Mal findet am 5. und 6. Juli 2018 die Österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz (BBFK) im Museum Arbeitswelt in Steyr statt. Das Thema dieser für die Berufsbildung in Österreich wichtigsten, im Zweijahresrhythmus stattfindenden Konferenz ist »Bildung = Berufsbildung?!«. Die Gleichsetzung von Bildung und Berufsbildung – versehen mit einem Frageund einem Rufzeichen – im Titel der 6. BBFK soll durchaus provozieren. Sie soll zu einer kritischen und in die Zukunft gerichteten Diskussion um die Ziele einer beruflichen Bildung anregen. Die BBFK möchte ein möglichst breites, offenes Diskussionsforum bieten und eine tiefere Reflexion abseits eingefahrener wissenschaftlicher und ideologischer Pfade anregen. Berufsbildung verbindet zwei Leitkategorien, die selbst schwer fassbar und einem dynamischen Wandel unterworfen sind. Sowohl Bildung als auch Beruf sind an einen historischen und kulturellen Raum gekoppelt, der sich dynamisch entwickelt. 2018 soll die Frage in den Mittelpunkt gestellt werden, ob es durch das Allgemeine im Beruflichen und das Berufliche im Allgemeinen möglicherweise zu einer Neuorientierung unserer Bildungswelt kommt? Ob die Frage im Titel nicht vielleicht sogar obsolet geworden ist? Erwartet werden 220 bis 240 Teilnehmer/innen, die an den Arbeiten und Ergebnissen verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen inte-

Dr. Franz Gramlinger ist Leiter der Abteilung Qualitätsentwicklung und Transparenz bei der OeAD-GmbH. ressiert sind. Die Anzahl der Beiträge hat mit 102 einen neuen Rekordwert erzielt. Auf Basis der Einreichungen wird bis Mitte März das Programm festgelegt werden. Dazu finden Sie laufend Aktualisierungen auf www.bbfk.at. Die Keynotes werden Jutta Allmendinger (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung – WZB) und Geoff Hayward (University of Cambridge) halten. Eine Diskussionsrunde mit Expert/innen ist auch in diesem Jahr im Programm vorgesehen. Auch heuer wird wieder der vom BMBWF ausgeschriebene Österreichische Berufsbildungsforschungspreis bei der BBFK verliehen werden – die Ausschreibung finden Sie unter: www.bbfk.at/forschungspreis/forschungspreis-2018. Anmeldungen zur Konferenz werden bis 20. Juni 2018 entgegengenommen unter: www.bbfk.at/konferenz2018/anmeldung Bis 9. April 2018 ist eine Early-Bird-Registrierung möglich. Alle Infos – auch zu den ersten fünf BBFK – unter: www.bbfk.at.


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Maria Katelieva

Gemeinsam forschen für einen nachhaltigen Tourismus Transdisziplinarität als Instrument für die nachhaltige Tourismusentwicklung in der Kaukasusregion.

Alle Fotos der Doppelseite © Andreas Muhar

Maria Katelieva, MA ist Forscherin an der IMC Fachhochschule Krems. Sie studierte Tourismusmanagement sowie Kultur- und Sozialanthropologie und ist derzeit Doktorandin an der Universität für Bodenkultur Wien.

Universitäten können durch ihre Tätigkeit in Forschung und Lehre eine wichtige Rolle für die nachhaltige Entwicklung des Tourismussektors übernehmen. Diese Rolle, sowie die Verknüpfung von Wissenschaft, Praxis und Politik, sollen durch das APPEAR-Projekt CaucaSusT auch in Armenien und Georgien gestärkt werden. Die Fortschritte in diesem Bereich hängen von innovativen Hochschulpraktiken ab, unter anderem von der Einführung transdisziplinärer Ansätze in die Lehre und Forschung. Transdisziplinäre Zugänge beschäftigen sich mit praxisnahen Problemstellungen und beziehen auch Nicht-Wissenschaftler/innen in Prozesse der Forschung und Lehre ein. Transdisziplinarität soll dazu beitragen, die Grenzen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft durchlässiger zu machen und die Teilhabe der betroffenen Bevölkerung zu erhöhen. Gerade im Bereich der nachhaltigen Tourismusentwicklung ist es sehr wichtig, die Probleme aus verschiedenen Perspektiven (ökologisch, ökonomisch, sozial) anzuschauen und gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung die Lösung zu suchen. Die wissenschaftlichen Theorien zur Transdisziplinarität wurden überwiegend auf Basis von Erfahrungen im Kontext der Forschung in westlichen

Ländern oder in Entwicklungsländern des globalen Südens entwickelt; in den Ländern der Kaukasusregion mit ihrer spezifischen Geschichte als Nachfolgestaaten der Sowjetunion gab es bisher recht wenig Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld. Somit bietet dieses Projekt auch eine gute Gelegenheit zur Weiterentwicklung und Anpassung vorhandener Konzepte der Transdisziplinarität. Die Gebirgslandschaften der Kaukasusregion haben aufgrund ihrer ganz speziellen natürlichen und kulturellen Diversität ein beachtliches Potenzial für den Tourismus, das aktuell noch zu wenig genutzt wird. Die spezifischen Probleme des nachhaltigen Tourismus in diesen Regionen ergeben sich größtenteils durch die schwache Kooperation der einzelnen Stakeholder aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor. Es gibt kein funktionierendes Netzwerk, das den Austausch von Informationen und Ressourcen ermöglicht, um ein ganzheitliches Tourismusangebot zu gestalten. Dadurch ist die Angebotspalette stark fragmentiert und in vielen Regionen werden neben den Unterkünften keine weiteren Dienstleistungen angeboten. Bemerkenswerte Einzelinitiativen mit Pioniercharakter gibt es an vielen Orten, sie sind aber zu wenig in breite Konzepte eingebunden. Aufgrund des fehlenden Destinationsmanagements mangelt es auch an touristischen Informationen, Wanderwegmarkierungen sowie allgemeinen Marketingaktivitäten der Destinationen. Da insbesondere das Interesse der westeuropäischen Touristen an den Bergregionen des Kaukasus immer mehr steigt, ist es wichtig, das touristische Angebot zu vervollständigen und die Kooperation zwischen den lokalen Stakeholdern zu stärken.

Das Team des APPEAR-Projekts CaucaSusT bei einem Meeting im Kaukasus.


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An vielen Orten braucht es noch Fantasie, um eine positive Zukunft zu entwickeln: Abstumani, einstmals Kurort der Zarenfamilie.

Die Projektpartner aus Österreich, die Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) und die Fachhochschule International Management Center (IMC) Krems, teilen ihre Expertise im Bereich der nachhaltigen Tourismusentwicklung sowie ihre Erfahrung in der praxisnahen, partizipativen Forschung mit Fallbetroffenen, um ein passendes Modell für die akademische Welt in diesen Ländern zu gestalten. Gemeinsam mit der Tbilisi State University (TSU) in Georgien und der Armenian State Pedagogical University (ASPU) werden aktuelle Probleme der nachhaltigen Entwicklung von Tourismus in ausgewählten Pilotregionen identifiziert und als Fallbeispiele in den universitären Unterricht integriert. Die Studierenden aus verschiedenen Disziplinen werden sich ein Semester lang mit den Problemen der nachhaltigen Tourismusentwicklung in der jeweiligen Pilotregion beschäftigen und gleichzeitig eine solide theoretische Grundlage in den transdisziplinären Ansätzen bekommen, um sich auf die Feldforschung vorzubereiten. Am Ende des Semesters werden die Studierenden zwei Wochen in der jeweiligen Pilotregion verbringen und sich mit der Problematik vor Ort auseinandersetzen. In dieser Zeit sollen sie versuchen, in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung sowie Vertreter/innen von Verbänden und Behörden Szenarien für die weitere Entwicklung der Region zu finden, um konkrete Projektvorschläge auszuarbeiten. Für die praktische Umsetzung ist eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit anderen Prozessen der Regionalentwicklung vorgesehen. Durch die transdisziplinären Forschungs- und Unterrichtsmethoden sollen nicht nur die Studierenden einen Einblick in die Realität bekommen, sondern auch konkrete Lösungen für die lokale Wirtschaft gefunden werden. Dabei ist das Spektrum der Probleme der nachhaltigen Tourismusentwicklung in den Regionen sehr breit gefächert, von mangelnder Infrastruktur über Missachtung des Naturschutzes bis hin zu schwacher regionaler

Kooperation. Umso wichtiger ist es, die Erfahrung der lokalen Bevölkerung und das Wissen der Studierenden und Lehrenden aus verschiedenen Disziplinen einzubeziehen, um die Problematik ganzheitlich zu erfassen. Ein weiteres Ziel des Projekts ist der Kapazitätsaufbau hinsichtlich der transdisziplinären Forschung und Lehre an den Universitäten in Armenien und Georgien. Im Jahr 2017 wurde in beiden Ländern eine Reihe von Trainings bzw. Workshops durchgeführt, die das Ziel hatten, die Themen Transdisziplinarität und nachhaltige Tourismusentwicklung vorzustellen und gemeinsam mit den Lehrenden der TSU und der ASPU zu diskutieren, wie sie in die verschiedenen Disziplinen integriert werden können. Die Lehrenden haben sich im Anschluss daran mit den Themen aus der Perspektive der eigenen Disziplin auseinandergesetzt und die Lehrpläne ihrer Studiengänge adaptiert, damit die neuen Inhalte einen Platz im Unterricht finden. Diese akademische Partnerschaft soll auch auf einer breiteren Ebene einen Beitrag zur Koordinierung der akademischen Aktivitäten sowie der Kohärenz und Integration der Forschungsergebnisse in die öffentliche Politik in Armenien und Georgien leisten. Durch die Zusammenarbeit mit dem regionalen wissenschaftlichen Netzwerk für die Kaukasus-Bergregion (Scientific Network for the Caucasus Mountain Region) werden die Ergebnisse zur Stärkung der touristischen Entwicklung in der gesamten Kaukasus-Region beitragen. APPEAR ist das Hochschulkooperationsprogramm der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Weitere Informationen: https://appear.at/caucasust

Der Blumenreichtum des Kaukasus ist begeisternd und stellt einen wichtigen Faktor für die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus dar.

Studierende aus verschiedenen Disziplinen beschäftigen sich ein Semester lang mit den Problemen einer nachhaltigen Tourismusentwicklung


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Doris Bauer

Es ist uns eine Ehre … … der Entwicklungsforschung alle zwei Jahre einen Preis zu verleihen!

Mag. Doris Bauer ist Mitarbeiterin der Abteilung Bildung und Forschung für internationale Entwicklungszusammenarbeit bei der OeAD-GmbH.

Die Kommission für Entwicklungsforschung (KEF), die 2009 von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum OeAD wanderte, möchte unter anderem die Entwicklungsforschung in Österreich sichtbarer machen. Entwickeln lässt sich viel, von Technologien über Medikamente bis hin zu Werkstoffen und (ländliche) Räume. All dies könnte ebenfalls als Entwicklungsforschung bezeichnet werden, doch die KEF fördert seit über 35 Jahren Forschung für und über die Entwicklung von sogenannten »Entwicklungsländern«. Sie unterstützt Partnerschaften von österreichischen Forschungseinrichtungen mit jenen in Ländern des globalen Südens, Projekte, in denen gemeinsam an Lösungen für gleichermaßen lokale wie globale Probleme in einem konkreten Kontext geforscht wird. Diese Form der Entwicklungsforschung will die KEF über die Forschungsförderung hinaus einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen, stets bemüht, neue Wege zu beschreiten.

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Alle Fotos dieser Seite © OeAD-GmbH | APA-Fotoservice, Schedl

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Bild 1: Georg Grünberg, Empfänger des Hauptpreises 2015. Bild 2: SC Barbara Weitgruber überreicht den Nachwuchspreis 2015 an Robert Hafner. Bild 3: Erste Preisträgerin des seit 2013 vergebenen Nachwuchspreises war Alexandra Grieshofer, Dissertantin an der Universität Wien und inzwischen Mitarbeiterin der Abteilung Bildung und Forschung für Entwicklungszusammenarbeit bei der OeAD-GmbH, mit dem damaligen Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, Gerhard Glatzel (BOKU) und Erich Thöni (damals Vorsitzender des KEF-Kuratoriums).


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© Dominik Stoppavherr

Digitalisierung in der Bildung

Einer dieser Wege eröffnete sich Ende 2012, als gemeinsam mit dem Wissenschaftsministerium der Österreichische Preis für Entwicklungsforschung ins Leben gerufen wurde. Seitdem werden alle zwei Jahre junge Wissenschaftler/innen auf der einen und etablierte Entwicklungsforscher/innen bzw. Entwicklungsforschungsinstitutionen auf der anderen Seite für ihr Engagement, ihre Forschung, ihre herausragenden Leistungen oder ihr Lebenswerk geehrt. Der Nachwuchspreis für Jungwissenschaftler/innen steht jedes Mal unter einem anderen thematischen Fokus. Für den Hauptpreis nominiert das wissenschaftliche Kuratorium der KEF herausragende Personen bzw. Institutionen. Preisträger/innen 2013 bis 2017 2013 widmete sich der Nachwuchspreis grundlegenden Fragen: »Was ist Entwicklung? Welche Entwicklungswege können/müssen beschritten werden? Welche Rolle spielt dabei die Wissenschaft?« Erste Nachwuchspreisträgerin war Alexandra Grieshofer, Dissertantin an der Universität Wien und inzwischen Mitarbeiterin der KEF. Der erste Hauptpreis erging an das Centre for Development Research (CDR), eine wissenschaftliche Einheit der Universität für Bodenkultur Wien, die sich der Entwicklungsforschung sogar in ihrem Namen verpflichtet hat und seit Jahren starke Beziehungen zu Forschungseinrichtungen im globalen Süden pflegt und diese in vielfältigen Forschungskooperationen ausbaut. 2015 wurde Georg Grünberg der Hauptpreis verliehen. Er ist langjähriger Lateinamerikaforscher und ambitionierter Wissenschaftler in der Zusammenarbeit mit lokalen Institutionen und NGOs.

Nachwuchspreisträger 2015 wurde Robert Hafner von der Universität Innsbruck, der mit seiner Monografie »handlung/macht/raum. Urbane Materialsammler-Kooperativen und ihre Livelihoods-Strategien in Buenos Aires« eine wissenschaftlich überzeugende Arbeit vorgelegt hat. 2017 riefen die Vereinten Nationen das »Internationale Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung« aus, die KEF folgte diesem Thema und der Nachwuchspreis fragte, »Was nachhaltiger Tourismus für Entwicklung alles kann bzw. nicht kann«. Salomé Ritterband, eine junge Kultur- und Sozialanthropologin, reichte den Siegerartikel »Tradition Re-Interpreted – A New Generation. The Children of the Ju/’Hoansi San Learning, Rehearsing and Re-Enacting Intangible Cultural Heritage for a Sustainable Future in Indigenous Tourism« ein. Den Beitrag der Nachwuchspreisträgerin finden Sie auf der nächsten Seite. Den Hauptpreis teilten sich die Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) und der Verein Frauen*solidarität. Beide Organisationen sind seit vielen Jahren in der Entwicklungsforschung aktiv, zudem feierte die ÖFSE ihr 50-jähriges Jubiläum, die Frauen*solidarität ihr 35-jähriges. Verliehen wurde der Preis 2017 im Rahmen der 7. Österreichischen Entwicklungstagung in den ehrwürdigen Hallen der Universität Graz. Wir gratulieren allen bisherigen Preisträger/innen und freuen uns 2019 auf die vierte Ausschreibung des Österreichischen Preises für Entwicklungsforschung, der von der Kommission für Entwicklungsforschung (KEF) aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) vergeben wird. Weitere Informationen: https://kef-research.at/de

Im ehrwürdigen Rahmen der Aula der Universität Graz wurde am 17. November 2017 der Österreichische Preis für Entwicklungsforschung zum dritten Mal verliehen.


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Salomé Ritterband

»Sie wollen uns tanzen sehen!« Das Inszenieren eigener Tradition und Kultur kann für eine nachhaltigere Zukunft genutzt werden.

Salomé Ritterband, MA studierte Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und arbeitet derzeit als Kulturvermittlerin im Welt-museum Wien. Ihr Interesse für das Performative entstammt aus ihrer jahrelangen Mitarbeit bei verschiedenen Theaterproduktionen. Sie ist Trägerin des Österreichischen Nachwuchspreises für Entwicklungsforschung 2017.

© Salomé Ritterband

Kulturelle Darbietungen der Ju/'Hoansi im Nordosten Namibias.

Namibia, ein Land das neben Löwen und Giraffen, Sanddünen und Meer auch eine große Vielfalt indigener Gesellschaften beheimatet. Durch Filme wie »Die Götter müssen verrückt sein« (Uys, 1980) und durch die ausgiebige, wissenschaftlich-ethnologische Befassung mit ihnen sind die San aus dem südlichen Afrika fast weltberühmt geworden. »Ich bin Touristen seit meiner Kindheit gewöhnt und ich stand schon oft vor der Kamera. Ich war sogar beim berühmten Film ›Die Götter müssen verrückt sein‹ dabei!«, erzählt uns #Oma !Kunta lachend, ein Ju/‘Hoansi, dessen Dorf Doupos im Nordosten Namibias seit Jahrzehnten von Anthropolog/innen und Tourist/innen besucht wird. Die San, zu der auch die Ju/‘Hoansi gehören, wurden im Lauf der letzten Jahrhunderte von verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Nationalstaat an den Rand der Gesellschaft verdrängt und um ihre traditionellen Territorien betrogen. In Namibia stellt der Tourismus heute den zweitgrößten Wirtschaftssektor des Landes dar, und die San im Nordosten des Landes werden seit den 1980er Jahren regelmäßig von Reisenden besucht. Statistisch gesehen würden die Einnahmen nicht ausreichen, aber für die Bewohner/innen der Region rund um Tsumkwe ist der Erlös aus dem Tourismus sehr bedeutend. Henry /ui Nyani, Manager und Guide des Living Museums in Grashoek, berichtete uns in einem Interview: »Unsere traditionelle Kultur bringt uns Gäste und Einkommen. Wir haben kaum andere Jobmöglichkeiten. Geld für Kleidung, für die Schule – das bekommen wir durch unsere Kultur, die die Gäste hier im Living Museum erfahren wollen.« Als ich 2014 zweimal in Namibia war – einmal mit einem Feldpraktikum der Universität Wien unter der Leitung der Professoren Werner Zips und Manuela Zips-Mairitsch, und einmal mit meinem Kollegen Josef Wukovits, um für meine Masterarbeit in Kultur- und Sozialanthropologie zu forschen – besuchte ich insgesamt vier Dörfer in der

Region rund um Tsumkwe. Diese Dörfer liegen verstreut und abgeschieden am Rand der KalahariWüste, in der ursprünglichen Heimat der ehemalig nomadisch lebenden San. Die Nyae Nyae Conservancy wurde im Jahr 1998 begründet und verbindet Naturschutz mit sozialer Entwicklung. Die Finanzierung erfolgt zum Teil durch Einnahmen des Tourismus und das Management liegt in den Händen der lokalen Bevölkerung. Sowohl in der Nyae Nyae, als auch in der N≠a Jaqna Conservancy befinden sich außerdem die Living Museums der San. Mit der Initiative des Deutsch-Namibiers Werner Pfeifer – der bis heute selbst als Wikinger und »Steinzeitmensch« in Freiluft-Museen in Norddeutschland arbeitet – wurde 2004 das Erste dieser Art gegründet, um neugierigen Besucher/innen aus dem In- und Ausland das traditionelle Kulturerbe näherzubringen. Man muss als Reisender mit dem Allradantrieb über einen holprigen, mit Pfützen und Steinen unterbrochenen Pfad fahren, bis man vor dem gut beschilderten Eingang des Living Museums steht. Sofort sind alle Dorfbewohner/innen informiert und augenblicklich wird man freundlich und professionell von zwei Englisch sprechenden Guides begrüßt, die einem das »Menü« mit den kulturellen Darbietungen präsentieren. Im »traditionellen Dorf« – das abseits des »modernen Dorfes« mit idyllischen Strohhütten als Präsentationsfläche dient – wird man kurz darauf von den Darsteller/innen empfangen, die sich blitzschnell ihre traditionellen Kleider angezogen haben und auf Wunsch einen »Bushwalk«, einen »Hunting Trip«, traditionelle Tänze oder gar eine San-Hochzeitszeremonie vorführen. Das mag bei der Leserin/beim Leser den Beigeschmack eines Zoos oder gar einer Völkerschau erwecken – die Ju/‘Hoansi sprechen aber für sich selbst und werden nicht von außen dargestellt. Die künstlich erbauten traditionellen Dörfer wurden außerdem zum Schutz der lokalen Bevölkerung eingerichtet. Durch diese Trennung gelten klare Regeln


© Dominik Stoppavherr

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Salomé Ritterband erhält den Nachwuchspreis für Entwicklungsforschung von SC Barbara Weitgruber und Erich Thöni.

für beide Seiten: Die Darsteller/innen ziehen morgens ihre Arbeitsuniform an, lassen Gegenstände aus ihrem Alltagsleben zurück und kehren abends nach getaner Arbeit in die geschützte Privatsphäre zurück, während sich die Tourist/innen nur in vorgegeben Rahmen bewegen dürfen. Während des ersten Feldpraktikums besuchten wir verschiedene Dörfer, erlebten die kulturellen Darbietungen in den Museumsdörfern quasi aus Sicht der Tourist/innen und ergänzten unsere Daten mit narrativen Interviews. Auf der zweiten Reise lebten mein Kollege und ich für einen knappen Monat im Dorf Doupos, nachdem wir über Facebook Kontakt zu einem jungen Mann aus der nahe gelegenen Stadt Tsumkwe hergestellt hatten. Entgegen der Erwartung, dass wir den eingerichteten Campingplatz mit zahlreichen Touristenbussen teilen müssen, wurden wir eingeladen, direkt im Dorf zu wohnen. Hier entstand ziemlich schnell das Gefühl sich »hinter den Kulissen« zu befinden, da die Darsteller/innen regelmäßig das »moderne Dorf« verließen und wir nur noch aus der Ferne die traditionellen Lieder hörten. Während die Erwachsenen uns klar machten, dass wir nicht bei den offiziellen Darstellungen erwünscht waren, erfreuten sich die Kinder unserer Gesellschaft. Sie umringten uns von früh bis spät und boten uns zahlreiche traditionelle Aktivitäten an – ganz so, wie wir sie ein paar Monate zuvor mit ihren Eltern erlebt hatten, nur mit mehr Gelächter und weniger Routine. Anhand dieser Beobachtungen wird ersichtlich, dass die Museumsdörfer neben dem ökonomischen Mehrwert vor allem für die jüngeren Generationen wertvoll sind. Dies bestätigte uns auch Khau Morris aus Grashoek: »Ich finde, das ist das beste Projekt, denn jetzt bringen wir unseren Kindern bei, wie unser altes Leben war.« Die Kinder sind auf spielerische Weise fast täglich mit traditionellen Techniken, Liedern und Wissen konfrontiert und bauen es in ihre Alltagsspiele ein. Für die jungen Erwachsenen

hingegen ist das Erlernen des kulturellen Erbes die Basis für eine berufliche Zukunft und eine realistische Möglichkeit für regelmäßiges Einkommen. Mobbing, Armut und mangelnde Infrastruktur stellen ein großes Problem in den Schulen der Region dar. Schulisches und traditionelles Wissen wurden bisher nie ergänzend vermittelt und sind bis heute schwer miteinander zu vereinbaren. Einige Kinder entscheiden sich für die bequemere Möglichkeit, gleich in das touristische Business der Eltern einzusteigen, während andere aufgrund der Schule nicht mehr dazukommen, das traditionelle Wissen zu vertiefen. Eine Kombination beider Schulbildungen könnte jedoch die Arbeit in den Museumsdörfern bereichern. Bereits jetzt sind die Ju/‘Hoansi durch den Tourismus erfahrenere und selbstbewusste Experten ihres Kulturerbes geworden, die interessierte Besucher/innen informieren. Vertreter/innen werden nach Südafrika, Deutschland, Frankreich, Italien und bis nach Südkorea eingeladen, um sowohl ihr traditionelles wie auch ihr unternehmerisches Wissen zu teilen. Fachspezifisches Know-how und das daraus folgende Selbstbewusstsein könnte die San noch besser dabei unterstützen, sich im eigenen Nationalstaat als würdige Vertreter/innen ihres immateriellen Kulturerbes zu behaupten.

Es ist wichtig, schulisches und traditionelles Wissen ergänzend zu vermitteln.

Publikation (erscheint im März 2018)

Salomé Ritterbrand: »Tracking Indigenous Heritage. Ju/'Hoansi San Learning, Interpreting and Staging Tradition for a Sustainable Future in Cultural Tourism in the Tsumkwe District of Namibia«. Lit Verlag Reihe: Legal Anthropology and Indigenous Rights Bd. 3, 180 S, 29,90 EUR, 29,90 CHF, br., ISBN 978-3-643-90976-3


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Michael Dippelreiter

Historisch betrachtet: Wien 1, Ebendorferstraße 7 Die Geschichte des heutigen OeAD-Hauses beginnt im späten 19. Jahrhundert. Ein Rückblick in die Wiener Neorenaissance.

© Alle Fotos der Doppelseite: Eva Müllner | OeAD-GmbH

Prof. Dr. Michael Dippelreiter studierte an der Universität Wien Geschichte und Kunstgeschichte. Er verfasste zahlreiche Publikationen zur Regional-, Zeitund Bildungsgeschichte und war bis 2017 Mitarbeiter der OeAD-GmbH.

Der heutige Sitz der OeAD-GmbH, des Österreichischen Austauschdienstes, in der Ebendorferstraße im ersten Wiener Gemeindebezirk, liegt gut angebunden in nächster Nähe des Rathauses und der Universität. Es wurde 1882–1883 von Heinrich von Ferstel und Karl Köchlin erbaut. Das streng historistische Gebäude im Stil der Wiener Neorenaissance besitzt einen runden Eckturm mit Konsolbalkon und grüner Tambourkuppel. Das Eingangsportal mit toskanischen Halbsäulen liegt unter einem konvex geschwungenen Balkon mit Schmiedeeisengitter. Das Gebäude wurde als repräsentatives Wohnhaus errichtet und auch diesem Zweck zugeführt. Während des 1. Weltkriegs ging das Gebäude in die Verwaltung des Kriegsministeriums über, welche Dienststellen des Wiener Korps darin unterbrachte. Nach dem Krieg kam das Gebäude an die Arbeiterkammer (AK) und in weiterem Verlauf an die Gewerkschaft Bau-Holz, von der es durch die OeAD-GmbH angemietet wurde. Die Anmietung und schließlich der Erwerb des Gebäudes durch die Arbeiterkammer soll in diesem Beitrag erzählt werden1. Nach der Beschlussfassung über das Arbeiterkammergesetz, welches mit 9. Juni 1920 in Kraft trat, war die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten dringend geworden. Die Räumlichkeiten sollten mit Rücksicht auf ihre umfassende Tätigkeit und ihren repräsentativen Charakter möglichst im Bereich des 1. Bezirks liegen, einen großen Sitzungssaal für die in der Wahlordnung vorgesehenen 100 Kammermitglieder sowie zwei kleinere Sitzungssäle für Ausschussberatungen und Parteienverhandlungen bieten. Darüber hinaus sollten im Gebäude auch Organisationen und Verbände Platz finden, mit welchen die Kammer in engster Fühlung steht. Daraus geht eindeutig hervor, dass die gemeinsame Nutzung mit einzelnen Abteilungen der Gewerkschaft bereits damals angedacht 1 Der Autor dankt Dr. Klaus Dieter Mulley, dem Leiter des Archivs der Arbeiterkammer in Wien, für die Überlassung der Unterlagen.

war. Der Staatssekretär für soziale Verwaltung, Ferdinand Hanusch, und der Präsident der Arbeiterkammer für Wien, Franz Domes, hatten schon die Zweckmäßigkeit einer räumlichen Anbindung der beiden Organisationen erkannt; die Gewerkschaften hatten damals ihre Räumlichkeiten im »Vorwärtshaus« an der Wienzeile. Das spätere Sozialministerium war gesetzlich verpflichtet, die Errichtungskosten für geeignete Büroräume vorzustrecken bzw. über die jeweiligen Gemeinden auf Suche zu gehen. Ursprünglich ging die AK von einer Belegung von 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus und es wurde eine genaue Liste der benötigten Einrichtungsgegenstände erstellt: Sie reichte von Schreibtischen und Wascheinrichtungen (bestehend aus Lavoir, Krug und Seifenschale) über Schirmständer, Spucknäpfe und Papierscheren bis hin zu Salongarnituren für die Zimmer des Präsidenten. Die Suche gestaltete sich sehr schwierig. Verschiedene Gebäude – in der Mehrzahl Staatsämter (später Ministerien) – wurden vorgeschlagen. Die Nutzer weigerten sich jedoch, auszuziehen. Hochrangige ehemalige Persönlichkeiten reagierten empört auf die Zumutung, in neue Büros zu übersiedeln. Weder das für Bundesgebäude zuständige Ministerium noch die Gemeinde Wien waren fähig, geeignete Räumlichkeiten bereitzustellen; die Wahlen für die AK konnten nicht stattfinden und mittlerweile waren die Sozialdemokraten aus der Regierung ausgeschieden. Das nährte den Verdacht, dass die bürgerlichen Parteien die Etablierung der Arbeiterkammer in Wien verhindern wollten. Der ehemalige Staatssekretär Ferdinand Hanusch kam nun als Sekretär in die Wiener AK und wurde hier speziell mit der Suche nach einem Quartier betraut. Erneut wurde festgehalten, dass eine gewisse repräsentative Ausstattung von größtem Wert sei. Nunmehr ging man schon von einem größeren Raumbedarf aus (mindestens 30 Räume) für einen eventuell geplanten Ausbau und die


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Miteinbeziehung anderer Arbeiter/innen-Organisationen in die Räumlichkeiten. Bei einer Sitzung, bei der u. a. der christlichsoziale Minister für Bauten Eduard Heinl, Ferdinand Hanusch und Vertreter der Stadt Wien teilnahmen, bestätigte Heinl die dringende Notwendigkeit für ein solches Gebäude der AK und auch die Relevanz für eine Zusammenlegung ähnlicher Organisationen. Dabei wurde auf ein Haus in der Universitätsstraße 7 verwiesen, das früher als Korpshaus diente und in dem 1920 zahlreiche Organisationseinheiten des Heeresministeriums untergebracht waren. In unmittelbarer Nachbarschaft, in der Liebiggasse 5 und in der Ebendorferstraße 7, waren Abteilungen des Landwirtschaftsministeriums untergebracht. Kaufpreis 1929: Rund 1,04 Mio. Schilling Es waren nunmehr vier Ministerien eingebunden, was eine Entscheidung ungemein erschwerte. Beim Ministerrat am 18. Jänner 1921 erhob der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft Einspruch gegen den Antrag, das Haus Ebendorferstraße 7 für die AK frei zu machen. Der Bundeskanzler selbst, es war der heute weitgehend unbekannte christlichsoziale Michael Mayr, entschied sich für den Antrag von Bautenminister Heinl, das Gebäude an die AK Wien zu übergeben. Schien nun auf politischer Ebene die Sache erledigt, so kam indes die Ministerialbürokratie ins Laufen: Die Übernahme der Kosten für Übersiedlungen waren nämlich nicht geklärt worden. Desgleichen versuchten die Ministerien, nur Teile des Gebäudes herauszugeben, argumentierten sie doch damit, der Bedarf der AK wäre mit zwei Stockwerken leicht zu decken. Bei einer Sitzung am 2. Februar 1921 im Ministerium für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten konnten die Fronten geklärt werden: Das gesamte Gebäude wurde der AK zugesprochen. Nun mussten noch die finanziellen Mittel besorgt werden, um das Gebäude zu adaptieren und die nötige Einrichtung zu

beschaffen. Bei einem Ministerrat am 7. Juni 1921 wurde zum ersten Mal der Kauf des Gebäudes durch die Arbeiterkammer erwogen. Daraufhin kam es noch im Juli 1921 zu einer Übereinkunft, die den Weg zu Belegung des ganzen Hauses durch die AK und verwandter Organisationen freimachte. Im Frühjahr 1922 schloss die Staatsgebäudeverwaltung einen Mietvertrag mit der AK, der sehr günstige Konditionen enthielt. 1928 dachte die AK erneut an einen Ankauf des Gebäudes, weil durch den Auszug des Landarbeiter-, Lebensmittelarbeiter- und Buchbinderverbandes dem Büro der AK nun nahezu das gesamte Gebäude zur Verfügung stand. Es verblieben im Frühjahr 1929 nur noch der Bund der Freien Gewerkschaften im 4. Stock und ein paar Hoflokalitäten im Betrieb der Verbände der Kleinbauern und der Glasarbeiter, die jedoch ihren Auszug erwogen. Zur selben Zeit waren der Lesesaal der Studienbibliothek fertiggestellt worden, ebenso Räumlichkeiten für den Parteienverkehr. Die Arbeiterkammer Wien entschloss sich also, das Gebäude Ebendorferstraße 7 käuflich zu erwerben. Der Kaufpreis betrug 1.043.449,70 österreichische Schilling, was einem heutigen Umrechnungskurs von ungefähr drei Mio. Euro entspricht. Die weitere Verwendung des Gebäudes in Kürze: In der Zeit des autoritären Ständestaates beherbergte das Gebäude den staatlichen Gewerkschaftsbund. Nach dem Anschluss Österreichs und der Auflösung von Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer bezog es die »Deutsche Arbeitsfront«. Nach dem Ende des Krieges und der Niederwerfung des nationalsozialistischen Deutschlands konnte das Gebäude durch die wiedererrichtete Arbeiterkammer erneut bezogen werden. Nach der Übersiedlung der AK in die Prinz-Eugen-Straße in das neu errichtete Gebäude auf den Gründen des ehemaligen Palais Rothschild 1960/61 wurde hier die Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter untergebracht, die das Gebäude bis heute an die OeADGmbH vermietet.

Die Geschichte des Gebäudes in der Ebendorferstraße 7 ist eng mit jener der ersten Republik verbunden.


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Florian Groiss

Mehr als 2.500 Citizen Scientists forschten 2017 beim Award mit Überwinterungsprobleme bei Bienenvölkern, Eichhörnchenzählen oder politische Mitgestaltungsoptionen für Jugendliche − das Interesse am Mitforschen war groß. Florian Groiss ist Mitarbeiter der Abteilung Public Science bei der OeAD-GmbH.

Gewinnerinnen und Gewinner des Projekts »PolitikRadar« mit Projektmitarbeiterin Alice Binder (1.v.l.) und Sektionschefin Barbara Weitgruber (1. v. r.).

Bereits zum dritten Mal konnten sich Interessierte Citizen Scientists, vor allem Schülerinnen und Schüler, im Mai und Juni 2017 bei wissenschaftlichen Projekten beteiligen und mit ihren Fähigkeiten die Forschung unterstützen. Acht Projekte aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen standen zur Auswahl. So waren bei »bienenstand.at« Imkerinnen und Imker aufgerufen, den Überwinterungserfolg ihrer Bienenvölker aufzuzeichnen. Die Daten der Citizen Scientists trugen zu neuen Erkenntnissen über die Winterverluste von Bienenvölkern bei und sollen durch Identifikation von Best-PracticeMethoden helfen, die Verluste in Zukunft zu reduzieren. Bewohnerinnen und Bewohner der neun österreichischen Landeshauptstädte konnten beim Projekt »Hörnchen zählen« auf fotografische Eichhörnchenjagd gehen. Das wissenschaftliche Team konnte so einen ersten Überblick über das Vorkommen von Eichhörnchen in den Landeshauptstäd-

ten gewinnen. Tierisch ging es auch beim Projekt »Amphibien und Reptilien Österreichs« zu, wo Citizen Scientists zahlreiche Fotomeldungen einsandten. Die Daten wurden in die herpetofaunistische Datenbank des Naturhistorischen Museums aufgenommen und für naturschutzfachliche Gutachten, wissenschaftliche Forschung, Publikationen, Bücher, Diplomarbeiten und Vorträge verwendet. Kampf gegen Spam-Mails Computeraffine Kids halfen bei »Spielen gegen Phishing« Spam-Mails zu bekämpfen. Gesammelte Daten der Citizen Scientists wurden auch für die Normierung eines eigens entwickelten PhishingIQTests herangezogen. In Graz unterstützten Pädagoginnen und Pädagogen mit ihrer pädagogischen Erfahrung das Projekt »Früherkennung von Entwicklungsstörungen«, bei »PolitikRadar« sammel-


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Die Verleihung der Citizen Science Awards 2017 an der Universität Wien stieß auf reges Interesse.

ten Jugendliche politische Mitgestaltungsangebote und bei »Wasser schafft« Daten zu Bächen und Flüssen Österreichs. Beim Projekt »Unsere vertriebenen Nachbarn« halfen Bürgerinnen und Bürger bei der spannenden Forschungsarbeit, die sich mit der Veränderung des Lebens der jüdischen Bevölkerung Niederösterreichs vor, während und nach der NS-Zeit beschäftigte. Eine engagierte Mitforscherin stellte sogar Kontakt zu Nachkommen vertriebener Familien in Australien her – eine beachtliche Leistung. Festveranstaltung als krönender Abschluss Die Möglichkeit bei Citizen-Science-Projekten mitzuarbeiten stieß auch im vergangenen Jahr auf reges Interesse: Neben 1.938 Erwachsenen forschten auch 615 Schülerinnen und Schüler beim Citizen Science Award 2017 mit. Als Abschluss des Awards versammelten sich am 21. November über 200

Gäste im großen Festsaal der Universität Wien, um gemeinsam die Gewinnerinnen und Gewinner zu feiern. Highlights des festlichen Abends waren unter anderem der Festvortrag von Hjalmar Kühl vom Leipziger Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie über das Citizen-Science-Projekt »Chimp & See« und ein Video des Wiedner Gymnasiums. Für dieses erhielt die Schule den Sonderpreis in Höhe von 3.000 Euro für das kreativste Video, das die Teilnahme am Citizen Science Award dokumentierte. Insgesamt wurden an diesem Abend 15 Schulen bzw. Schulklassen und elf Gruppen bzw. Einzelpersonen ausgezeichnet. Begeistert zeigte sich auch OeAD-Geschäftsführer Stefan Zotti: »Das große Interesse an diesem Award zeigt, dass Wissenschaft die Mitte der Gesellschaft erreicht hat. Citizen Science ist eine große Chance für die Wissenschaft und ein Gewinn für die vielen freiwillig Engagierten.«

Citicen Science Award 2018 Auch 2018 ist es wieder möglich, bei ausgewählten Forschungsprojekten mitzuarbeiten. Interessierte Citizen Scientists, vor allem Schülerinnen und Schüler, sind von 1. Mai bis 30. Juni eingeladen, bei mehreren Citizen-Science-Projekten mitzuforschen und Geld- und Sachpreise zu gewinnen. Darüber hinaus wird ein Sonderpreis für Schulklassen ausgerufen, die mit einem besonders kreativen Video ihre Partizipation im Rahmen des Citizen Science Awards dokumentieren. Alle Preise werden bei einer feierlichen Festveranstaltung im Herbst 2018 vergeben werden. Die Themenpalette der Projekte ist erneut breit gefächert und deckt u. v. a. folgende Forschungsfelder ab: Vogelfreund/innen können den Waldrapp im Almtal oder den Mauersegler in Wien beobachten, Naturfreund/innen Beobachtungen des schwarzen Holunders und des Wiesen-Knäuelgrases in den »Naturkalender« eintragen. Beim Projekt »Topothek« werden Mitforschende zu Historikerinnen und Historikern, indem sie mithelfen, private Geschichtsquellen zu sichern und aufzubereiten. Und im Projekt »Reden Sie mit!« tragen Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Erfahrungswissen im Bereich Unfallverletzungen zur Erstellung von Forschungsfragen bei. Vierter Award – vielfältige Beteiligungsformen Ziel des Citizen Science Awards 2018 ist es, wie bereits in den vergangenen drei Jahren, Bürgerinnen und Bürger aus ganz Österreich – vor allem aber Schülerinnen und Schüler – für Forschung und Innovation zu begeistern und den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu vertiefen. Weitere Informationen: www.zentrumfuercitizenscience.at/de/award


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Katrin Handler

Erasmus+, das Tagebuch Im Erasmus+ Tagebuch konnten im Jahr 2017 Erasmus+ Teilnehmer/innen ihre vielfältigen und wertvollen Erfahrungen ihres Auslandaufenthalts festhalten.

© Elif Diricanli

© Anna Ratschiller

© Marie-Claire Stoll

Katrin Handler, BA ist Mitarbeiterin der Nationalagentur Erasmus+ Bildung bei der OeAD-GmbH.

Im Rahmen des Jubiläums »30 Jahre Erasmus« lud die Nationalagentur Erasmus+ Bildung gemeinsam mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich Teilnehmer/innen des Programms ein, ihre Erfahrungen in einem Erasmus+ Tagebuch zu teilen. Insgesamt 30 Erasmus+ Teilnehmer/innen aus Schulbildung, Berufsbildung, Hochschulbildung und Erwachsenenbildung nahmen an dem Wettbewerb teil und erzählten von ihren Erlebnissen in 13 verschiedenen Ländern. Die Gründe, einen Erasmus+ Auslandsaufenthalt zu absolvieren sind so vielfältig, wie die Teilnehmer/innen selbst: Von Schülerinnen, die im Rahmen einer Schulpartnerschaft nach Portugal gingen, um eine Fachschule für Pferde- und Landwirtschaft zu besuchen, über eine Berufsschülerin, die im Rahmen ihrer Ausbildung zur Frisörin ein Praktikum in Finnland machte, über zahlreiche Studierende, die in unterschiedlichen Ländern ihr Auslandssemester absolvierten, bis hin zu Erwachsenenbildnern, die Erfahrungen für ihre berufliche Praxis im Ausland sammelten.

Rückkehr nach Rom sichere. Neue Freunde findet Viktoria Gschliesser rasch: »Mit unseren Mitschülern verstehen wir uns blendend – es sind wirklich alle so cool drauf, ich glaube, Portugiesen sind eigentlich immer gut gelaunt.« Und für Rahel Schmidbauer war es »eine ganz neue, aber auch sehr aufregende Erfahrung«, sich in einem Internat einzuleben. Sich im Ausland zurechtzufinden, ist eine der wichtigsten Erfahrungen. Caroline Pölzl beschreibt den Hürdenlauf durch den (Uni-)Alltag: »Step 1: Angabe endlos vieler Daten, System-Shutdown für 30 Minuten – mon dieu!! […], Step 2: Metro-Karte Navigo-Pass besorgen.« Für Max Mayrhofer ging es in seinem Projekt darum, »Kriterien für qualitatives inklusives Zusammenleben zwischen Neuankommenden und autochthoner Bevölkerung« zu definieren. Elif Yagmur Diricanli konzentrierte sich indes auf ihre Masterarbeit: »I am working on energy storage in batteries. The aim is to increase the energy storage of lithium-ion batteries […].«

Let’s get started

Neben den formalen Lernerfahrungen und den vielfältigen Herausforderungen, die ein Erasmus+ Auslandsaufenthalt mit sich bringt, eignen sich die Teilnehmer/innen einen immensen kulturellen Wissensschatz an. Angefangen bei kulinarischen Köstlichkeiten, die es zu entdecken gilt, wie etwa in Portugal »Pão de Deus – Gottes Brot, eine Süßspeise, die eine Mischung aus Milchbrot und Kokosbusserl ist« (Anna Naglmayr), über Frisurentrends in Finnland »Männer tragen sehr lange Haare und Dauerwellen, Frauen eine extrem auftoupierte Löwenmähne. Strähnen sind eher dick, die sogenannten Streifenhörnchen« (Lisa Hoffmann) bis hin zu den zahlreichen Städten und Landschaften, die es zu erkunden gibt. Tauchen wir alsdann ein in die faszinierende Welt der Kultur und lassen wir uns gemeinsam mit Pauline Unterleitner von einem Flamenco in Sevilla auf der Plaza de España verzaubern, »ein wunderbarer Ort, der voll von Leben ist, wo sich Touris-

»Kofferpacken ist nie leicht und schon gar nicht für ein halbes Jahr«, schreibt Pauline Unterleitner. »Die Suche nach einer passenden Praktikumsstelle benötigte viel Geduld«, so Celina Wiktorin und Lisa Sandner hatte ganz konkrete Ziele: »I wanted to find a city/institute where research has a high level of importance.« Die Berufsschülerin Lisa Hoffmann hätte niemals gedacht, dass sie sich überwinden könne, im Ausland ein Praktikum zu starten. Schon nach drei Tagen weiß sie: »Es war die beste und richtige Entscheidung!« »Unzählige Studierende aus aller Welt wuseln verloren über den Campus der römischen Universität Sapienza«, schildert Anna Ratschiller ihre ersten Eindrücke und klärt auf, dass der Trevi-Brunnen nicht wirklich ein Wunschbrunnen sei, sondern der Wurf der Münzen über den Rücken lediglich die

Auf den Spuren von Europas Kulturerbe


einer »interesting Dutch tradition« begangen wird, »it’s called ›seen Abraham‹ for men and for women ›seen Sarah‹, […] it means you are old and wise enough […] and your whole street will know about it«. Zum Abschluss nimmt uns Silvia Zirbisegger in Trinidad, dem »Land mit den meisten Feiertagen weltweit […] zum höchsten Wasserfall Trinidads, dem Maracas Waterfall« mit. Die vielen Berichte im Erasmus+ Tagebuch geben einen Einblick, wie wertvoll Erasmus+ Erfahrungen für den weiteren Lebensweg sind, zusammenfassend nennt Caroline Pölzl als Gründe »learn about Europe, learn another language, build international friendships, […] think international« und auch Marie-Claire Stoll ist sich sicher, »to dive into a culture and its values is an experience I can probably fall back on all my life«.

© Pauline Unterleitner

mus und Einheimisches vermischt«, passieren wir in Paris mit Caroline Pölzl die »historical Bibliothèque Saint-Genviève to enter the Panthéon. Unbelievable how beautiful ancient religious paintings are«, und machen wir in Portugal mit Anna Naglmayr »einen Ausritt über das endlose Gelände von der Coudelaria de Alter do Chão […] an riesigen Koppeln, Olivenbaumplantagen und ausgetrockneten Wasserspeichern vorbei«. Fliegen wir anschließend nach Dublin, um die »Cliffs of Moher […], spektakulär und wahrscheinlich die bekanntesten Klippen in Irland« (Caroline Lercher) zu besichtigen und eine gute Zeit zu haben, oder, wie die Iren zu sagen pflegen: »Let’s go have some craic.« (Sabine Ring) Lassen wir uns mit Kerstin Mitterer in Norwegen von der Aurora Borealis verzaubern, die sich »unglaublich, fast gespenstisch, wie ein gelb-grüner Vorhang, […] auf dem Himmel […] bewegt« und gehen wir mit Lisa Hoffmann in Finnland »in den Wald, auf [die] Suche nach einem Elch. Jede Menge Bäume, Moos, Pilze, Blätter und andere Tiere, nur kein Elch. Leider«. In Estland nimmt uns Marie-Clair Stoll »on a trip through the Lahemaa Nationalpark. The landscape of the national park is characterised by a beautiful coastline, ocean bays, forests, moors, rivers, and lakes« und in Deutschland zeigt uns Lisa Sandner die »Heidelberger Castle Illumination and Fireworks and the Heidelberger Schlossfestspiele. Both take place in and around the castle which is an amazing location.«. In den Niederlanden erfahren wir von Elif Yagmur Diricanli, wie dort der 50. Geburtstag mit

© Sabine Ring

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Preisverleihung im Festsaal der Universität Wien Die besten Erasmus+ Tagebücher wurden am 30. November 2017 im Rahmen des Erasmus+ Awards ausgezeichnet und die Gewinner/innen Anna Naglmayr (Schulbildung), Lisa Hoffmann (Berufsbildung), Elif Yagmur Diricanli (Hochschulbildung) und Max Mayrhofer (Erwachsenenbildung) konnten sich über Reisegutscheine im Wert von je 400 Euro freuen. Alle Erasmus+ Tagebücher finden Sie unter: https://erasmusplus.europa.or.at/login/facebook

Sabine Wagner | Annibelle Seilern

Der österreichischen Nationalagentur Erasmus+ Bildung ist es ein großes Anliegen, Projekte von herausragender Qualität sowie außergewöhnlich engagierte Projektträger/innen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und auszuzeichnen. Bereits zum dritten Mal wurde der Erasmus+ Award im Bereich Bildung verliehen. Die besten Erfolgsgeschichten, Projekte und Partnerschaften wurden am 30. November 2017 von Bildungsministerin Sonja Hammerschmid, SC Elmar Pichl (Wissenschaftsministerium) und Jörg Wojahn (Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich) im feierlichen Rahmen an der Universität Wien ausgezeichnet: Das BG/BRG Leibnitz mit dem Schulbildungsprojekt »The future of education starts now!«, der IFA-Verein in der Berufsbildung mit »IFA VET mobility+ 2015« sowie die Fachhochschule Vorarlberg GmbH für die Mobilität von Studierenden und Mitarbeiter/innen in der Hochschulbildung (2015). Gütesiegel gingen weiters an Atempo für ihr Erwachsenenbildungsprojekt »Innovative Bildungsansätze für digitale und kulturelle Inklusion« und das Berufsförderungsinstitut Oberösterreich für die Strategische Partnerschaft »MIGOBI – Entrepreneurial Spirit in VET and Adult Education«. Die nationalen Erasmus+ Botschafterinnen und Botschafter sind gute Beispiele gelebter Internationalität, Botschafter/innen 2017 sind: Gisela Gutjahr (Schulbildung), Elisabeth Schmid (Berufsbildung), Marlene Grabner (Hochschulbildung) und Herbert Depner (Erwachsenenbildung). Ausgezeichnet wurden auch die Gewinnerinnen und Gewinner des Erasmus+ Tagebuch Wettbewerbs, mehr dazu siehe Artikel »Erasmus+, das Tagebuch«.

© OeAD-GmbH/APA-Fotoservice/Hörmandinger

Die Verleihung des Erasmus+ Award 2017 – ein glanzvoller Abschluss des »30 Jahre Erasmus«-Jubiläums in Österreich


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Rita Michlits

Hochschultagung 2017: Eine Rückschau Qualität in der Mobilität ist eines der Kernthemen der OeADGmbH. Die Jahrestagung von OeAD und Erasmus+ Hochschulbildung beleuchetete den Mehrwert für Institution und Individuum. Mag. Rita Michlits leitet die Abteilung Kommunikation, Information und Marketing der OeAD-GmbH. Michlits hat Publizistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien studiert und ist seit September 2013 im OeAD tätig.

Bild 1: Die Jahrestagung 2017, die erstmals als gemeinsame Veranstaltung von OeAD und Erasmus+ Hochschulbildung abgehalten wurde, fand in den modernen Räumlichkeiten der Universität Salzburg, im Unipark Nonntal statt. Bild 2: OeAD-Geschäftsführer Stefan Zotti und Sylvia Hahn, Vizerektorin für internationale Beziehungen an der Universität Salzburg, eröffneten die Hochschultagung mit einem Willkommensempfang im Europasaal am Mönchsberg.

Alle Bilder der Seite © Christine Cavallotti OeAD

Bild 3: Ein Willkommensempfang am Mönchsberg war Auftakt und erste Vernetzungsmöglichkeit für die dreitägige Jahrestagung im November 2017.

Welche Auswirkungen haben Auslandserfahrungen auf den Berufsweg? Dieser Frage widmete sich Nicolai Netz vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in seiner Keynote zur OeAD-Jahrestagung 2017. Seine Schlüsse zieht Netz unter anderem aus Analysen von Studierendensozialerhebungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden, Absolvent/innenpanels und Studienberechtigungspanels. Sein Fazit: Auslandserfahrung prägt die Internationalität des Berufswegs. »Absolventinnen und Absolventen, die im Ausland waren, arbeiten häufiger im Ausland und sind auch im Inland häufiger in internationale Arbeitszusammenhänge eingebunden«, sagte Netz. »Wer ein Auslandspraktikum absolviert hat, ist häufiger in großen und multinationalen Unternehmen tätig und erzielt höhere Gehälter.« Ein Wechsel des Arbeitgebers in frühen Erwerbsjahren wirke sich gewinnbringend aus, so Netz. Knapp die Hälfte der Befragten würden in dem Land arbeiten, in dem sie ihren Studien- oder Praktikumsaufenthalt absolviert haben. Für eine wissenschaftliche Karriere scheinen studienbezogene Auslandserfahrungen ebenfalls von Nutzen zu sein. »Diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen später auch eher zu Forschungszwecken ins Ausland, sind stärker in internationale Forschungskontexte eingebunden und besser in internationalen Netzwerken verankert«, führte Netz weiter aus.

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Dass die Jahrestagungen von OeAD und Erasmus+ Hochschulbildung erstmals in einem »Doppelsetting« stattgefunden haben, vermerkte OeADGeschäftsführer Stefan Zotti positiv. Das rege Interesse am Thema und eine hohe Beteiligung an der Tagung, die von 13. bis 15. November in Salzburg stattfand, geben ihm recht. 230 Teilnehmer/innen aus ganz Österreich fanden sich im Unipark Nonntal der Universität Salzburg ein. Qualität und Qualitätssicherung in der Mobilität bezeichnete Zotti in seiner Eröffnungsrede als Kernthemen des OeAD und diesen Kernthemen widmete sich die dreitägige Veranstaltung. Zotti: »Mobilität ist kein Selbstzweck und auch kein individueller Wert im Sinne der Employability. Sie ist ein Kernstück einer umfassenden Mobilisierungsstrategie, einer Reformagenda.« Für die Umsetzung einer zukunftsweisenden Mobilitätsstrategie hoffe er auf die Unterstützung der neuen Bundesregierung, aber auch der anwesenden Gäste aus den Hochschulen und anderen Institutionen. Austausch als Lebenselixier der Unis »Austausch« bezeichnete Heinrich Schmidinger, Rektor der Universität Salzburg, als »ein Lebenselixier für unsere Universitäten«. Eine Universität, die nicht international aufgestellt sei oder sich nicht darum bemühe, sei überhaupt keine Universität. Mit einem Anteil an internationalen Studierenden

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von 36 Prozent liege die Universität Salzburg über dem österreichischen Durchschnitt. Und Barbara Weitgruber, Sektionschefin für internationale Angelegenheiten im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, zufolge bildet internationaler Austausch »die zentrale Grundlage für eine Wissensgesellschaft«. Die Förderung der Mobilität – von Studierenden und Forscher/innen über Lehrende bis zu nichtwissenschaftlichem Hochschulpersonal – sei ein wichtiger Beitrag für Österreich als Wissenschaftsstandort. Die Steigerung der internationalen Mobilität sei auch Ziel des Gesamtentwicklungsplans des BMBWF. »Aktion Eule« – Maskottchen reist mit Lobend erwähnte Sektionschefin Weitgruber die Publikation »Grenzen überschreiten. Facetten und Mehrwert von qualitätsvoller Auslandsmobilität in der Hochschulbildung«, die bei der Jahrestagung vorgestellt wurde. »Sie ist ein gelungenes Beispiel der Umsetzung unserer Mobilitätsstrategie«, sagte Weitgruber. Regina Aichner vom OeAD ließ bei der Präsentation des Buches exemplarisch neun Autor/innen zu Wort kommen. »Die Publikation ist sehr bunt und vielseitig und reicht von Fachartikeln bis zu Erfahrungsberichten«, fasste Aichner zusammen. So stellte die FH Kärnten ein Mobilitätsprogramm für Frauen über 30 vor, die KPH Wien/ Krems ein im Curriculum verankertes Mobilitätsfenster und die Universität Graz die »Aktion Eule«. Diese nahm ihren Anfang mit einem Studierenden, der zu seinem Auslandsaufenthalt nach Utrecht mit dem Fahrrad fuhr und das neue Maskottchen mitgenommen hatte. Seitdem präsentiert die Universität Graz ungewöhnliche und alltägliche Geschichten der mobilen Studierenden auf ihrer Website. Die Eule begleitet die Geschichten. In der Podiumsdiskussion, die den Mehrwert internationaler Mobilität für Individuen und Institution thematisierte, hob Sylvia Hahn, Vizerektorin für internationale Beziehungen und Kommuni-

kation an der Universität Salzburg, die Rolle von auslandserfahrenen Studierenden als »Promotor/innen für eine weltoffene Gesellschaft« hervor. Staff Mobility hielt Hahn ebenfalls für einen wichtigen Aspekt und für Lehrende sei ein Auslandsaufenthalt ein Muss. Um an der Willkommenskultur arbeiten zu können, müsse man auf allen Ebenen ansetzen. Auslandsaufenthalte hätten schließlich einen gesellschaftspolitischen Aspekt: »Fremdenfeindlichkeit ist dort am größten, wo man keine anderen Kulturen kennengelernt hat«, resümierte Hahn. Barbara Bittner, Rektorin der FH Campus Wien, brachte die soziale Dimension in die Diskussion ein. Sie möchte Hürden abbauen, um auch finanziell schwächer Gestellten einen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. Bittner sprach sich für eine gute Einbettung der Auslandsaufenthalte ins Studienprogramm aus. Wichtig sei es, »nach der Rückkehr den Aufenthalt zu reflektieren«, so Bittner.

Bild 1 (v. l.): Rektor Heinrich Schmidinger, Universität Salzburg, Keynote Speaker Nicolai Netz, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Erasmus+ Botschafterin Katharina Binder, Barbara Weitgruber, Sektionschefin im BMBWF, Vizerektorin Sylvia Hahn, Universität Salzburg, und OeAD-Geschäftsführer Stefan Zotti

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Bild 2: Das Bläserensemble der Universität Mozarteum unter der Leitung von Bernhard Hagspiel begleitete die Jahrestagung 2017. Bild 3: Das Thema »Internationale Mobilität und Qualität – Trends, Facetten und Herausforderungen« stieß auf reges Interesse. Rund 230 Teilnehmer/innen besuchten die Tagung im November 2017. Bild 4: Heinrich Schmidinger, Rektor der Universität Salzburg, bezeichnet Austausch bei seinem Grußwort als »ein Lebenselixier für unsere Universitäten«. Bild 5: Nicolai Netz, Deutsches Zentrum für Hochschulund Wissenschaftsforschung, erläuterte in seiner Keynote die Effekte von Auslandsmobilität auf die berufliche Karriere.

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© Christine Cavallotti OeAD

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In dieselbe Kerbe schlug eine der Kernbotschaften aus dem Forum 3 »Skills and Soft Skills: Mehrwert für den Berufsweg«. (Insgesamt fanden sieben Foren statt.) In einer besseren Vor- und Nachbereitung von Auslandsaufenthalten liege Potenzial für mehr Qualität in der Mobilität, waren sich die Expert/innen einig. Tutor/innen an den Hochschulen sollten die Studierenden dabei unterstützen, die konkreten Kompetenzen und Fähigkeiten herauszuarbeiten, die sie bei einem Auslandsaufenthalt erwerben. Dies könne ihnen später bei Bewerbungen um einen Arbeitsplatz helfen. Dass es den Lebenslauf besonders aufwertet, wenn man Erfahrungen in weniger frequentierten Ländern nachweisen kann, ist zwar kein Geheimnis. Dennoch bedarf es verstärkter Anstrengungen, um 3 1

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etwa Länder in Zentral-, Ost- und Südoeuropa als Mobilitätsziel in den Vordergrund zu rücken. Die Teilnehmer/innen im Forum 4 beschäftigte daher die Frage, was dem sogenannten »geistigen Eisernen Vorhang« entgegenzuhalten und wie eine breitere Gruppe zu überzeugen sei, dass es »im Osten viel Neues« gibt. Kurzfristige Aufenthalte – etwa im Rahmen von Sprachkursen und Summer Schools – könnten als Einstieg dienen, Testimonials als Vorbilder und Multiplikator/innen eingesetzt werden. Dem Thema Staff Mobility widmete sich das Forum 5. Im Rahmen der Lehrendenmobilität gelte es, die Anerkennung der erbrachten Leistungen an der Gastinstitution zu verbessern. So müssten etwa an den Universitäten die Unterrichtsstunden oft nachgeholt werden, monierten die Forumsteilnehmer/innen, die kleineren Institutionen seien hier flexibler. Mobilitätsstrategie für Incomings Mit der Forderung nach einem größeren Angebot an englischsprachigen Lehrveranstaltungen, der Integration globaler Themen und entwicklungsrelevanter Fragenstellungen sowie der entsprechenden Weiterentwicklung der Curricula thematisierte Andreas Melcher von der Universität für Bodenkultur Wien wichtige Eckpunkte der Internationalisierung in Forum 6 »Globaler Faktor von Mobilität«. Melcher referenzierte auf den UN-Aktionsplan Agenda 2030 und die nachhaltigen Entwicklungsziele, die 2015 beschlossen wurden. Vor diesem Hintergrund bedürfe es unterstützender Maßnahmen, um etwa die Mobilität von Studierenden aus außereuropäischen Ländern und speziell aus Entwicklungsländern nach Österreich zu fördern und ihre Erfahrungen und Perspektiven in die heimischen Hörsäle zu holen. Internationale Studierende bereichern unsere Hochschulen, waren sich auch die Teilnehmer/innen aus Forum 7 einig. Um ihr Potenzial für die eigene Hochschule zu nutzen, bedürfe es allerdings klarer Strukturen und – wie so oft – einer Strategie. Bild 1: In der Podiumsdiskussion im Rahmen der Jahrestagung 2017 betont Sylvia Hahn, Universität Salzburg (3. v. l.), den gesellschaftspolitischen Aspekt von Auslandsaufenthalten. Sie bilden einen Kontrapunkt zu Fremdenfeindlichkeit. An der Diskussion mit Moderatorin Katharina Garzuly (4. v. l.) nahmen weiters teil: Barbara Babic, Universität Wien, Barbara Bittner, FH Campus Wien, Elvira Welzig, AIT, und Katharina Binder, The Ventury. Bild 2: In sieben Foren widmeten sich die Teilnehmer/innen aus Hochschulen und weiteren Institutionen den verschiedenen Qualitätsaspekten der Hochschulmobilität: Sie reichten von Qualitätssicherung und den Zugang für alle über die Rolle der Incomings bis zum globalen Faktor von Mobilität. Bild 3: Kurzweilige Einblicke in die Publikation »Grenzen überschreiten. Facetten und Mehrwert von qualitätsvoller Auslandsmobilität in der Hochschulbildung« gewährten neun der über 60 Autor/innen (v. l.): Agnes Kriz und Sandra Allmayer, beide FH Technikum Wien, Michaela Etzlinger-Raab, FH Gesundheitsberufe OÖ, Heiko Vogl, PH Steiermark, Richard Pirolt, KPH Wien/Krems, Michael Roither, FH Burgenland, Karin Schwach, Universität Graz, Susanna Holzer, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, und Andrea Stitzel, FH Kärnten, im Bild mit Regina Aichner, die die Publikation im OeAD-GmbH begleitete.


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Rita Michlits | Barbara Sutrich

Österreich feiert 100.000 Erasmus-Studierende Im Rahmen der Jahrestagung 2017 von OeAD und Erasmus+ zeichnete das Wissenschaftsministerium vier Studierende aus. 1

Alle Bilder der Seite © OeAD-GmbH | APA-Fotoservice, Vogl

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Bild 1 (v. l.): Ernst Gesslbauer, Nationalagentur Erasmus+ (OeAD-GmbH), Daniela Schilcher, Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, Heribert Wulz, BMBWF, Stefan Zotti, OeAD-GmbH, und Gerhard Volz, Nationalagentur Erasmus+ Hochschulbildung (OeAD-GmbH) Bild 2: Das Wissenschaftsministerium zeichnete aus allen vier Hochschulsektoren eine Vertreter/in aus (v. l.): DimitriAlexander Jilin, TU Wien, Sarah Babinger, FH Joanneum, Daniela Schilcher, Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, und Johannes Gasser, Absolvent der KPH Wien/Krems

Im Jubiläumsjahr 2017 feierte ganz Europa das Reformprogramm Erasmus, seit 2014 mit Plus. Neun Millionen Menschen waren mit dem Bildungsprogramm während der vergangenen 30 Jahre unterwegs. Bei den Studierenden hat Österreich mittlerweile die 100.000-er Marke erreicht, Österreich beteiligt sich seit 25 Jahren an Erasmus+ und seinen Vorgängern. Dieses freudige Ereignis war Anlass für einen Festakt. Im Rahmen der Jahrestagung von OeAD und Erasmus+ Hochschulbildung im November in Salzburg zeichneten Wissenschaftsministerium (BMBWF) und OeAD stellvertretend für alle Studierenden, die das Programm bisher nutzten, vier Studierende aus den vier Hochschulsektoren aus. »Es muss unser Ziel sein, Österreichs junger Generation auch in Zukunft eine Hochschulbildung zu garantieren, die die Fähigkeit zu global vernetztem Denken fördert und die internationale Zusammenarbeit unterstützt«, sagte Heribert Wulz, stellvertretender Sektionsleiter im BMBWF, in seiner Festrede. Erasmus sei gelebte Selbstverständlichkeit. Das stetig wachsende Interesse untermauere die starke Identifikation mit Europa und den europäischen Werten. »Der Wille der Menschen, ins Ausland zu gehen, ist ungebrochen. Österreich ist eines der wenigen Länder, denen es gelingt,

100 Prozent der Fördermittel aus Brüssel abzuholen«, zeigte sich Ernst Gesslbauer, Leiter der Nationalagentur Erasmus+ in der OeAD-GmbH, mit dem Ergebnis hoch zufrieden. Für die österreichischen Privatuniversitäten erhielt Daniela Schilcher eine symbolische Auszeichnung. Sie studiert Musik und Kunst an der Privatuniversität der Stadt Wien. Ein Semester lang belegte sie Kurse an der Stockholm University of the Arts. Johannes Gasser, Absolvent der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems, hat über den Verein Concordia in Bukarest ein Praktikum gemacht. Sarah Babinger studiert an der FH Joanneum Umweltmanagement und war ebenfalls in Bulgarien. An der TU Gabrowo konnte sie sich ein internationales Netzwerk aufbauen. Und Dimitri-Alexander Jilin von der TU Wien hat Erasmus eine zweite Heimatstadt beschert. Für die italienische Universitätsstadt L‘Aquila, in der große Teile 2009 durch ein verheerendes Erdbeben zerstört worden waren, erstellte der angehende Geoinformatiker eine Karte der Altstadt. Jilin erzählt, dass er erst im Oktober wieder an der Universität von L‘Aquila war: »Der Bürgermeister hat mich angerufen, ob ich nicht die ganze Stadt kartieren könnte.« Vielleicht wird die zweite Heimatstadt eines Tages erster Arbeitsplatz.


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