kinki magazin - #40

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‹Elektronisch, aber arm.›

Während die Majors durch illegale Musikdownloads und den parallelen Einbruch der CD-Verkäufe seit Anfang des Jahrtausends reihenweise herbe Verluste einfahren und die nach wie vor starken Vertriebsnetze nicht mehr vollständig ausreizen können, profitiert Audiolith zumindest sekundär von den Möglichkeiten der Digitalisierung: Im Gegensatz zur grossen Konkurrenz ist die Kommunikation über Blogs und soziale Netzwerke glaubwürdig, weil ehrlich und unverfälscht – doch für die gut 16 000 FacebookFans können sich die Hamburger nichts kaufen. ‹Auch, wenn wir viele Leute mit einer grossen Cloud erreichen, ist es auf der rein monetären Seite kein Erfolgsmodell. Du kannst es nicht zu Geld machen – genauso wenig wie das, was die Künstler bloggen und die Fans dann lesen›, sagt Artur. Wenn Berlin gemäss des Slogans des Stadtmarketings ‹arm, aber sexy› ist, wirkt das Audiolith-Imperium in diesem Moment auf einmal ‹elektronisch, aber arm›. Entsprechend klein sind die Sprünge, die sich mit klassischem Marketing unternehmen lassen. ‹Wenn Ira Atari ein Album herausbringt, haben wir nicht die Möglichkeit, überall Plakate zu schalten und Radiowerbung zu machen, einen Knall zu erzeugen, damit alle in den Laden rennen und die Single in die Charts kommt›, sagt Artur. Es bleibt nur der Weg über alternative Pfade - und die Anekdoten aus dem PR-Alltag des Indie-Labels klingen gesellig wie ein Spieleabend mit guten Freunden: Da werden Journalisten zur ‹Dorfdisko Geiselfahrt› im AudiolithTourbus eingeladen, bei der sie die Bands nach Dörbeln, Oelde, Tannheim-Egelsee und HöhrGrenzhausen begleiten. Oder es werden 600 Euro in 50er-Scheinen in die Menge der Konzertbesucher bei Omas Teich-Festival geworfen. Finanzieller Übermut? ‹Ich hatte den Geldbeutel vom Merch in der Hand und wir haben ganz vorne getanzt›, erinnert sich Artur. ‹Die Frage ist eben: Was bringt mehr  – die Fuffies da reinzuwerfen oder eine Anzeige in einem Stadtmagazin zu schalten? Diese Aktion hat uns mehr PR gebracht  –  weil sie spontan war.›

‹Die, die nur Audiolith und diesen gewissen Sound kennen, kann ich mit meiner Musik nicht so richtig befriedigen›, glaubt sie. Finanziell über Wasser halten kann sie sich nur mit Mühe. ‹Ohne eine grosse Marketing-Maschinerie sehe ich für mich nicht so den riesigen Durchbruch.

‹Wir wollen uns nicht ausverkaufen und vorhersehbar sein.› Das ist eben der Nachteil an einem Label, das sich Freiheit ganz oben auf die Fahne schreibt.› Und trotzdem ist es das ideale Pflaster für ihre Synthie-Pop-Gehversuche: ‹Es macht Spass mit den Jungs von Audiolith, Lars bindet mich nicht. Ich habe das Gefühl, jederzeit gehen zu können - und deshalb bin ich auch noch da.› Eine grosse Plakatkampagne, die Songs in Dauerrotation in die Radiostationen gekauft − Dinge, die Ira Atari gerne einmal erleben würde. ‹Aber ich würde dann auch ganz schnell wieder aussteigen wollen›, glaubt sie. Vielleicht ist Ira Ataris Synthie-Pop Vorreiter einer neuen Audiolith-Fraktion. ‹Vielleicht gebe ich aber auch bald wieder Klavierunterricht›, erwidert sie, ganz Indie-Label-like. Die Planung geht bis zum nächsten Konzert am folgenden Abend, die Freiheit für die Künstler und die des Labels wird hochgehalten. Wo der Weg der Label-Landschaft hinführt? ‹Vielleicht verteilen sich die Regeln der Freiheit auch auf die Major Labels›, hofft Ira. ‹Oder es gibt gar keine Labels mehr. Wobei ich Glück habe, dass bei mir Audiolith draufsteht. Da ist das Label ja selbst der Star.› Ein T-Shirt von Sony Music würde schliesslich niemand freiwillig anziehen – eines von Audiolith bekanntermassen schon. Weitere Info zum Label und seinen Bands findest du unter audiolith.net.

Laut, schlau und tanzwütig: Frittenbude aus Bayern.

Das Label als Band?

Eine Marke soll Audiolith trotzdem nicht werden. ‹Dagegen sträuben wir uns. Wir wollen uns nicht ausverkaufen und vorhersehbar sein. Wenn es ein Erfolgsrezept gibt, dann eben genau das: nicht zur Marke zu werden und dem letzten Fan noch irgendetwas zu verkaufen.› Merchandise gibt es dennoch zuhauf im Webshop, der mit seinen Shirts − Audiolith-Gründer Lars Lewerenz gibt gerne das Model − und Buttons geradezu klassisch anmutet. Denn wo Audiolith drauf steht, soll auch Audiolith drin sein. Doch genau darin besteht die Krux der Sache: Obwohl die Künstler unterschiedlich klingen, ist für viele Fans alles unter dem Namen Audiolith eine Band. Als ich Ira Atari, die bürgerlich Göbel heisst, vor ihrem Konzert in Mainz treffe, wirkt das schwitzige Frittenbude-Konzert in Frankfurt wie aus einer anderen Welt. Die studierte Pianistin ist die einzige Frau im Audiolith’schen Männerzirkus, hat vor wenigen Jahren noch als Lehrerin gearbeitet und eine reflektierte Ausdrucksweise. kinki musik

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