kinki magazin - #40

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nd Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloss, und blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele. So einfach funktioniert es im ersten Buch Moses. Dabei steckt in diesem ‹Erdenkloss› und dem ‹Odem› das grösste Geheimnis überhaupt: Die Entstehung des menschlichen Lebens. Seit Jahrtausenden versucht der Mensch dieses Mysterium zu entschlüsseln, mit dem einen grossen Ziel, es Gott gleichzutun. Wir haben die DNA des Lebens entschlüsselt, haben ein Schaf geklont, sind dabei, das Meer zu erforschen und haben unsere Fahne auf dem Mond platziert. Wieso dann nicht auch den Menschen reproduzieren? Das Begehren nach Beleben des Unbelebten ist uralt. Aber was passiert, wenn wir Gott spielen? In der Literatur findet man viele Geschichten über mögliche Ausgänge, zu Beginn sind es Figuren aus Lehm oder Holz, später werden es technische Automaten, deren Ähnlichkeit mit uns selbst uns doch oft unheimlich wird. Deshalb enden die meisten dieser Geschichten alles andere als glücklich.

Schon bei Homer tauchen Roboter auf

Die Idee eines Roboters als arbeitende Menschennachahmung liegt weit zurück: Bereits Jahrhundert vor Christus beschreibt Homer in seiner Ilias die Geschichte eines griechischen Gottes, der mit Hilfe des Feuers Goldstatuen erschafft, sie belebt und als Dienerinnen einsetzt. Auch die Legende des Prager Golems, eines aus Lehm geformten Menschen, der nicht sprechen, aber Befehle ausführen kann, liegt weit zurück. Aus der Kindheit kennt jeder die Geschichten

Wieso nicht auch den Menschen reproduzieren? Das Begehren nach Beleben des Unbelebten ist uralt. von Pinocchio, das Märchen vom Nussknacker und dem Zauberer von Oz. Die Erzählungen werden oft nicht als Schöpfungsgeschichten wahrgenommen, doch stets geht es um die Erschaffung eines menschenähnlichen Wesens und um die Suche nach der Menschlichkeit. Die Geschichten handeln stets von Abenteuern, auf denen die Puppen Eigenschaften und Tugenden erlernen, die sie zu einem ‹echten Menschen› machen sollen. Aber erst im 20. Jahrhundert wird es technisch: Die Brüder Josef und Karel Capek prägen den Begriff des Roboters im Theaterstück R.U.R., seitdem sind ‹Automat› und ‹Roboter› – tschechisch für ‹Arbeiter› – ein Hauptthema der Science-Fiction-Literatur. Die Beziehung zwischen Mensch und dem künstlich gezüchteten Wesen wird in der Literatur unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten betrachtet und schwankt häufig zwischen Faszination und Abscheu, Freundschaft und feindlicher

Bedrohung. Das Verhältnis Mensch und Maschine ist wohl ein zwiespältiges. Deshalb lohnt es sich, genauer zu betrachten, wie die grossen Dichter und Denker mit dem Thema umgehen.

Es wird ein Mensch gemacht. Den Grundstein findet man bereits im 16. Jahrhundert in den Schriften des Wissenschaftlers Theophrastus Paracelsus: Er beschreibt die Theorie, dass durch 40-tägige Fäulung des menschlichen Samens die Erzeugung eines künstlichen Wesens möglich sei. Goethe knüpft an diese naturwissenschaftliche Forschung in ‹Faust II› an und lässt den Lehrling Wagner aus anorganischen, ‹vielhundert Stoffen› den Menschenstoff komponieren. Homunculus besitzt eine menschenähnliche Gestalt, Geist und Herz, jedoch nichts Organisches. Er begleitet Faust zur Walpurgisnacht, auf der er an einem Felsen zerspringt. Somit beendet er sein Dasein zumindest ohne Schaden zu hinterlassen, und die Kritik an künstlich erschaffenem Leben hält sich somit in Grenzen.

Tote Materie und elektrische Ladung

Anders in dem literarischen Höhepunkt romantischer Gruselgeschichten über den Mensch als Schöpfer künstlichen Lebens: Mary Shelleys 1818 entstandener Roman ‹Frankenstein› ist die Geschichte eines von Menschenhand erschaffenes Wesen. Frankenstein hat die Vision, tote Materie durch elektrische Ladung zum Leben zu erwecken. Aus verschiedenen Leichenteilen bastelt er sich ein Wesen und belebt es durch einen physikalischen Impuls. Doch er begeht den grossen Fehler, keine Verantwortung für sein Monster zu übernehmen. Die Abwendung von seinem Geschöpf hat verhängnisvolle Auswirkungen: Das erschaffene Wesen fühlt sich alleine gelassen. Durch seine Missgestalt trifft es immer wieder auf Abstossung. Der Zwischenzustand seiner Existenz – weder Roboter noch Mensch noch Tier – ist das Tragische der Geschichte. Aus Einsamkeit bringt das anfangs liebe Monster (welches übrigens über ein sehr zur romantischen Strömung passendes Gemüt verfügt) Frankensteins Familie um. Mary Shelley thematisiert hier die Verantwortung, die der Mensch über sein erzeugtes Wesen hat. Eine deutliche Antwort auf die Frage, was passiert, wenn wir uns anmassen, zum Schöpfer zu werden.

Die Automatenpuppe

Romantisch-gruselig geht es auch in E.T.A. Hoffmanns Schauermärchen ‹Der Sandmann› zu. Die Idee von Automaten oder Maschinenmenschen ohne inneres Leben sind in der Zeit um 1816 hoch aktuell, hier geht es um die künstliche Frau Olimpia. Ein zentrales Motiv stellen die Augen dar, durch die der Alchemist ‹Sandmann› meint, die menschliche Seele greifen zu können. Zwanzig Jahre baut er an Olimpia, einer Puppe, die Klavier spielen, tanzen und auf Menschen regieren kann. Und dazu auch noch unglaublich gut aussieht. Der Protagonist Nathanael verliebt sich in den Automat, der über keinerlei Gefühle 31

oder eigene Intelligenz verfügt, allein seine Gestalt ist human. Das seltsame Wechselspiel zwischen Traum und Wirklichkeit und die verwirrenden Wahrnehmungsstörungen Nathanaels erzeugen eine unheimliche Stimmung in der romantischen Erzählung. Das Verhältnis zwischen Mensch und Automat wird als unnatürlich und schrecklich beschrieben und findet kein gutes Ende: Nathanael weiss selbst nicht mehr, was wahr und was erdacht ist und stürzt sich schliesslich in den Tod.

Literatur gegen Maschine

Auch heute noch erzeugen zu menschlich wirkende Maschinen oft unangenehme Gefühle in uns. Die grösste Angst ist es wohl, die Kontrolle über unsere ‹Arbeiter› zu verlieren, wenn diese eine eigenständige Intelligenz entwickeln. In der Technik strebt man jedoch danach, Maschinen mit möglichst viel künstlicher Intelligenz zu versorgen. Diese Entwicklung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass es durchaus hoch entwickelte Maschinen in Form von Robotern gibt, die uns im Alltag Arbeit abnehmen könnten. Und jeder technische Fortschritt wurde stets von der Literatur aufgesogen und oftmals zu ähnlichen Horrorvisionen verarbeitet: War es zu Frankensteins Zeiten noch der Strom, welcher künstliches Leben erschaffen sollte, so wird heutzutage das menschliche Gehirn in Science-Fiction-Dramen mit Festplatten und der Organismus mit einem grossen Computer verglichen. Die Wahrheit liegt wohl in keiner der jeweiligen Theorien verborgen, denn auch heute noch scheint die Wissenschaft trotz riesiger Fortschritte meilenweit vom Geheimnis des ‹Odems› entfernt. Doch die Literatur wird auch in Zukunft mit erhobenem Zeigefinger all jene Versuche, welche in Richtung ‹Gott spielen› gehen, kritisch unter die Lupe nehmen. Nicht nur aus Angst vor einer allfälligen Menschmaschine. Sondern vor allem aus Angst vor uns selbst.


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