kinki magazin - #34

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Gruss, der so viel wie ‹Helfe dir Gott› bedeutet. Ich drehe mich noch einmal nach ihr um, nachdem sie abgebogen ist. Das Kind, dessen Kinn auf ihrer rechten Schulter ruht, schaut mir ohne irgendeine Gesichtsregung tief in die Augen. Mein unwillkürliches Lächeln erwidert es nicht. Dann mache auch ich mich zu meinem Ziel auf.

‹Du kannst nicht glücklich sein. Weil dein Herz nicht mehr dir gehört.› Lange bevor ich auch nur in die Nähe des Hauses gekommen bin, kündet der Hund meinen Besuch an. Vom Gartentor aus rufe ich so lange ‹Alo›, bis sich krächzend die Haustür öffnet und eine ältere Frau erscheint. Durch das Gitter des Gartentors erkläre ich ihr den Grund meines Besuchs, worauf sich ihre misstrauische Mine etwas mildert und sie mich hereinbittet. Ich nehme auf einem Sessel Platz und sie setzt sich neben mich auf einen Hocker. Sie heisse Maria und habe diese Gabe von ihrer Grossmutter geerbt, erzählt sie. Viele Menschen suchten bei ihr Rat. Im Zimmer ist es kalt, man sieht unseren Atem gefrieren, wenn wir reden. Die Wahrsagerin blickt sehr ernst und fast schon etwas bitter. Irgendwie gelingt mir kein Lächeln. Maria ruft etwas auf Romanes ins Nebenzimmer, dann sagt sie, sie werde mir schon mal aus der Hand lesen, bis der Kaffee fertig ist. Ich soll meine Hand zur Faust schliessen und mir etwas wünschen. Als ich die Handfläche öffne, beginnt Maria deren Konturen zu entziffern. ‹Ein Gedanke verfolgt dich, bevor du nachts einschläfst, ein Gedanke verfolgt dich, wenn du morgens aufwachst und ein Gedanke lässt dich nicht los›, sagt sie und hebt ihren Blick nur kurz von meiner Hand, um meine Zustimmung zu vernehmen. Daraufhin fährt sie fort. ‹Geld hast du genug, Liebe hast du genug und dennoch bist du nicht glücklich. Ein tiefer Schmerz verdunkelt dein Leben›, sagt sie und wartet wieder meine Zustimmung ab. ‹Hier, in deinem Herzen, schlummert er›, erklärt sie weiter und setzt ihren Finger dabei auf meine linke Brust. ‹Hier hast du ihn begraben›, fügt sie hinzu und tippt mit dem Finger auf meine Brust. Seltsamerweise blitzt in Marias dunklem Gesicht gerade in diesem Moment kurz ein Lächeln auf, das zwei Goldzähne entblösst. Nach einer kurzen Pause sagt sie: ‹Ein Unglück hat dich zu mir geführt, aber ich kann dir noch nicht genau sagen welches. Zu undeutlich ist deine Handfläche, im Kaffeesatz wird es leichter zu lesen sein.›

Dämonen

Wenig später kommt auch schon ein junges Mädchen mit der rauchenden Tasse ins Zimmer. Unter dem aufmerksamen Blick der Wahrsagerin nippe ich daran, während mir eine zähe Flüssigkeit mit lauter kleinen Pulverkörnchen in den Mund strömt. Angestrengt versuche

ich den bitteren Geschmack zu überlächeln. Ziemlich barsch schickt Maria das Mädchen mit den schwarzen Zöpfen aus dem Zimmer. ‹Es bringt Unglück, wenn jemand meine Deutungen mithört›, erklärt sie mir. Während ich mühselig die dunkle Brühe schlürfe, fragt sie mich, ob ich nachts nicht manchmal ein Pochen höre. ‹Nur ganz leise, kaum hörbar, aber doch da›, erläutert sie. ‹Ja, weiss nicht, kann sein, wieso?› stammle ich. ‹Nur so›, entgegnet sie erneut mit einem kurz aufflackernden Lächeln. Verwirrt trinke ich den letzten Rest meines Kaffees. In der Tasse ist jetzt nur noch der Satz zurückgeblieben. Mit dem Daumen soll ich hineindrücken. Gemeinsam schauen Maria und ich auf den schwarzen Grund der Tasse. ‹Ich sehe einen grossen Streit›, orakelt Maria. ‹Einen Streit, in dem dir jemand grosses Verderben gewünscht, in dem er dir den Bösen Blick gegeben hat. Seit damals begleitet dich Unheil auf deinem Weg.› Als sie diese Worte zu Ende

‹Es gibt Menschen, denen kann selbst ich nicht helfen, weil Gott will, dass sie leiden.› gesprochen hat, hustet sie mehrmals sehr eindringlich. ‹Sag, bist du glücklich?› fragt sie mich daraufhin. ‹Naja, ich weiss nicht so genau›, entgegne ich. ‹Du kannst nicht glücklich sein. Weil dein Herz nicht mehr dir gehört›, sagt sie und tippt wieder auf meine linke Brust. ‹Aber wem gehört es dann?› möchte ich von Maria wissen. Abermals taucht dieses seltsame Lächeln in ihrem sonst todernsten Gesicht auf. ‹Dem Teufel?› frage ich befremdet. Erschrocken flüstert Maria, ich solle Seinen Namen nicht in den Mund nehmen. Einen Moment halten wir beide inne und ich meine hören zu können, wie jemand nebenan Sonnenblumenkerne isst: jede einzelne Hülse wird mit den Zähnen aufgebrochen und nur das winzige Innere verspeist, die leere Schale auf ein Häufchen zu den anderen geschmissen.

Exorzismus

‹Wie lange bleibst du noch in Rumänien?› fragt mich Maria. ‹Morgen geht mein Flug›, erwidere ich. ‹In neun Tagen hätte ich dich von dem Fluch befreien können. Ich will mein Bestes versuchen, aber vermutlich wirst du wieder kommen müssen›, sagt sie. ‹Es gibt Menschen, denen kann selbst ich nicht helfen, weil Gott will, dass sie leiden. Aber dein Unglück ist nicht der Wille Gottes, dir kann ich helfen›, erklärt sie. Dann soll ich eine Banknote von grossem Wert herausholen. Ich zücke einen Schein. ‹500.000?› kom55

mentiert Maria unwillig. Sie verwendet noch die alten Geldbezeichnungen. Vor ein paar Jahren gab es eine Währungsreform, da wurden überall vier Nullen gestrichen. Im Sprachgebrauch sind die alten Bezeichnungen aber immer noch geläufig und mit umgerechnet etwa 30 Franken ist man in Rumänien auch heute noch ein Millionär. ‹Wenn es dir wirklich ernst ist, solltest du mindestens 900.000 opfern, 100.000 für jeden, dem du Böses getan hast›, sagt Maria und richtet meinen Schein dabei in mehrere Winkel des Zimmers, so als würden dort all die Menschen stehen, denen ich Leid zugefügt habe. Ich zücke eine weitere Banknote mit dem Porträt von Aurel Vlaicu und erhöhe auf eine Million Lei. ‹Ich werde jetzt einen Segen über dich sprechen, der dein Herz von dem Übel befreien soll, das in ihm wohnt.› Bei diesen Worten nimmt Maria die beiden Geldscheine, richtet sie auf mein Herz und schlägt mit ihnen ein grosses Kreuz genau vor meiner linken Brust. ‹Danke›, sage ich. Sie nickt und lässt das Geld in ihrem Rock verschwinden. Dann verabschieden wir uns. Draussen dunkelt es bereits. Laternen gibt es hier keine. Ich schaue auf meine Schuhe. Sie sind nass, aber sauber. Über mir krähen ein paar Raben. Ich schaue hoch zu ihnen in den sternenlosen Himmel. Wie Dämonen ziehen sie einsam über mir ihre Bahnen. Ein Taschentuch halte ich in den Händen. Maria hat es mir zum Abschied in die Hand gedrückt. ‹Meine Nummer. Falls du Hilfe brauchst›, hat sie dabei gesagt. Irgendwie lag Mitleid in ihren Augen. Es ist stärker geworden, nachts das Pochen.


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