Journal der Künste 06 (DE)

Page 1

APR 2018

JOURNAL DER KÜNSTE

06


EDITORIAL

Das Journal der Künste in seiner sechsten Ausgabe gruppiert sich um den Themenkomplex der Sprachfindung zwischen Text, Ton, Form und Inhalt. Ein zentrales Projekt der Akademie der Künste für das Frühjahr 2019 befindet sich aktuell in der Gestaltfindung, insbesondere zwischen der Schriftstellerin Kathrin Röggla und dem Komponisten Manos Tsangaris. Wie kann es gelingen – von den Werkzeugkästen der verschiedenen Kunsthandwerke ausgehend –, die Formfrage neu zu verknüpfen mit den Themen Öffentlichkeit und Intimität, wo und wie wirken künstlerisches Denken und Formgeben in den gesellschaftlichen und politischen Raum? Wir zeigen kleinere Bausteine einer großangelegten Forschungssituation, an der weitere Künstlerinnen und Künstler wie Karin Sander, Mark Lammert oder Eran Schaerf beteiligt sind. [Seite 10 bis 13] Wie kann eine Sprache gefunden werden für die traumatisierenden und vitalen Erinnerungen von jungen Menschen, die aus den Trümmern ihrer Kriegsregionen fliehen mussten und in Deutschland eine temporäre Schutzzone gefunden haben? Das ist der Antrieb für das Erzählpartnerprojekt der Akademie, in dem Flüchtlinge und Autoren in Deutschland über Monate hinweg gemeinsam an insgesamt zwanzig Geschichten gearbeitet haben. Der Textbeitrag von Senthuran Varatharajah öffnet ein erstes Fenster dieser Sprachwerkstatt. [Seite 4 und 5] Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, nimmt explizit Stellung zur Sprachlosigkeit gegenüber dem kolonialen Erbe Deutschlands und Europas. Auch geht es darum, im Dialog von den eigenen Gewissheiten Abstand zu nehmen und die Rolle von Bildung und Kultur neu zu reflektieren.

Der Aufgabe, ein Papier zum Thema „gendergerechte Sprache“für die Akademie zu verfassen, hat sich eine Arbeitsgruppe der Sektion Literatur gestellt. Das Ergebnis versteht sich allerdings weniger als Grundlagenpapier denn als gedanklicher Impulsgeber für eine nachhaltige und umsichtige Debatte. [Seite 30 und 31] Auf zehn Seiten widmen wir uns in dieser Ausgabe auch der JUNGEN AKADEMIE, dem Stipendiatenprogramm der Akademie der Künste. Ein neuer Jahrgang von Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt wird sich zur Frühjahrs-Mitgliederversammlung vorstellen. In einer polemischen Abrechnung widmet sich der Komponist Mithatcan Öcal der Krise einer zeitgenössischen Musiksprache in der Türkei. Fiston Mwanza Mujila, Schriftsteller und Stipendiat des Jahrgangs 2017, beschreibt zudem die Vitalität, die in dem Zusammenleben und -arbeiten der Stipendiaten in Berlin entstehen kann. Entstanden sind „eilige Notizen“ zwischen Graz und Berlin. [Seite 32 bis 41] Für eine intuitive Kultur des Hörens steht Joseph Matthias Hauer, dessen autographe Partituren aus dem Nachlass von Hermann Scherchen von dem Leiter des Musikarchivs, Werner Grünzweig, als Fundstück aus dem Archiv vorgestellt werden. [Seite 42 und 43] Marc Matter erinnert an das Verlagsprogramm der Edition S Press, das für experimentelle Literatur, Beat-Poetry und Konkrete Poesie steht und das beim aktuellen Poesiefestival auf Hörstationen präsentiert wird. [Seite 44 bis 45] Und schließlich rückt mit dem Beitrag von Ariane Martin eines der bedeutendsten Archive der Akademie, das von Heinrich Mann, in den Fokus. Am Beispiel der Beziehungen Heinrich Manns zur Akademie wird die ganze Dimen[Seite 6 bis 9] sion politischen Denkens und Handelns für die Literatur greifbar, Die Schriftstellerin Monika Rinck taucht ein in die vielschich- die zeigt, wie eng auch die Mitglieder der Akademie heute in der tigen Ebenen der Sprachwelt und erschließt dem Leser mit ihrer Tradition der Aufklärung des 20. Jahrhunderts stehen. [Seite 46 bis 49] Carte blanche – dem Künstlerinsert des Journals – imaginäre und Eine Art Schlusswort hat der Freundeskreis mit dem Beitrag politische Räume „Aus dem Begriffsstudio“. [Seite 14 bis 18] seines Mitglieds Mathias Döpfner, der die Fragen von Archiv und In zwei Beiträgen thematisieren die Experimentalfilmerin aktueller Kunstszene auf der Ebene der Medienlandschaft reflekBirgit Hein und die Kuratorin Angela Lammert am Beispiel des tiert. Wie sehr hat die Digitalisierung unsere Wirklichkeit bereits Schwerpunktprogramms „Underground und Improvisation“ die verändert? [Seite 50] Einen direkten Kommentar zur Lage in Europa Bedeutung von künstlerischen Sprachen jenseits der offiziellen gibt unser Mitglied Mirosław Bałka ab! Wir hatten ihn gefragt nach Kunstideologie in Osteuropa, aber auch der Institutionen im Wes- einer Perspektive für Europa. [Seite 3] ten. Was war Underground in den Zeiten des Kalten Kriegs? Und was ist Underground heute? [Seite 19 bis 25] Johannes Odenthal Die Fotografin Julia Baier hatte die Gelegenheit, die SchriftstelProgrammbeauftragter der Akademie der Künste, Berlin lerin Silvia Bovenschen kurze Zeit vor ihrem Tod in deren Wohnung zu porträtieren. Entstanden ist eine kleine Hommage an eine beeindruckende Frau und Instanz der deutschen Literatur. [Seite 26 bis 29]

S EE SUPPLEMENT FOR ENGLISH TRANSLATIONS


Mirosław Bałka, Let's make it easier, 2018


Baba, es regnet.

OUR STORIES – REWRITE THE FUTURE

BEIRUT

DU SAGST,

Senthuran Varatharajah

Baba, erinnerst du dich an den Umfang der Sonne? Baba, erinnerst du dich an ihren Stand, als sie kurze Schatten auf unsere Straße warf? Baba, erinnerst du dich? Baba. Ich erinnere mich an deine Stimme, als du mich gerufen hast. Baba. Hast du mich gesehen? Baba, hinter unserem Auto habe ich auf dich gewartet. Baba, hörst du den Regen wie er auf die Scheibe fällt, hörst du das gleichmäßige Trommeln auf dem Dach, Baba, hörst du es, über uns? Baba. Wo sind wir? Baba, sag mir, wie die Berge heißen. Baba, der Himmel ist niedrig. Baba, kannst du ihn mit deinen Händen berühren? Baba, bring ihn zu mir. Baba, ich möchte einen Körper teilen. Baba, kannst du mich im Rückspiegel sehen? Baba, ich sitze hinter dir mit fast geschlossenen Augen. Baba, wusstest du, dass dieses Auto schwarz sein wird wie diese Nacht, als du es letztes Jahr mit Ami gekauft hast? Baba, wusstest du, dass man uns auf dieser Straße, in ihren Biegungen und auf ihren Schlaglöchern nicht sehen wird? Baba. Wir sind diese Nacht. Baba. Ich weiß, dass du es wusstest. Baba, das Fernlicht bleibt im Nebel hängen. Baba, er ist vor uns. Baba. Wie lange fahren wir noch? Baba, sieh mich an. Baba, ich sehe dich. Baba, ich sehe dich durch den kleinen Spalt, den meine Lider bilden. Baba, warum sagst du nichts? Baba, riechst du den Hunger durch unsere geschlossenen Münder, Baba, kannst du ihn riechen? Baba, kannst du etwas durch den Regen sehen, die Felder, von denen du uns erzählt hast, einen Fluss, der ansteigen wird wie Angst, die Berge, die namenlosen Berge, Steine, Geduld? Baba. Brich mir den Rücken. Baba, ich möchte telefonieren. Baba, ich möchte Jedo und Tete anrufen. Baba, ich möchte ihre Stimmen hören. Baba, ich möchte, dass sie hier sind. Baba. Warum sind sie nicht hier? Baba, warum? Baba, warum liebst du Assad nicht? Baba, ich liebe, ich liebe, ich liebe – Baba. Ich sehe nichts.

WIR NENNEN ES

ASPHALT 4

Der Geruch der Straße, ihr Geräusch. Diese Straße riecht anders. Sie klingt anders. Du sagst, wir nennen es Asphalt. Ich höre ihn durch das Fenster, durch diese Lücke, die so breit ist wie ein Finger, ich höre ihn unter den Reifen. Ich will meine Hand gegen den Wind halten, ich will, dass sie die Luft durchschneidet wie ein stumpfes Messer, ich will seine Abdrücke sehen auf dieser Haut, wie er an ihr zieht, wie er sie formt, wie er seine Spuren hinterlässt. Ich will es sehen. Ich falte meine Hände mit falsch verzahnten


Fingern. Der Geruch der Straße. Ihr Geräusch. Du sagst, wir nennen es Asphalt, und ich habe es gesagt, als du mit diesem Auto, dem BMW, gekommen warst, nach der Arbeit, unsere Straße, Damaskus, diese Sonne, ihr Stand, ihr Umfang über uns, Stimmen, diese Stimmen aus einem Fenster, aus den Läden, ich höre sie, ich kann sie sehen, nicht das, was vor uns liegt, Baba, was liegt vor uns, im Nebel, hinter dem Nebel, ist es Nebel, der vor uns liegt, Baba, fahren wir durch ihn, Baba, wo fahren wir hin? Baba. Sag es mir. Du bist so still, Baba. Baba. Wo ist deine Stimme? Links wohnen Ami und Amti, rechts wohnen Jedo und Tete. Links wohnten Ami und Amti, rechts wohnten Jedo und Tete. Baba? Wo wohnen wir? Baba, wo werden wir jetzt bleiben? Der Geruch der Straße. Ihr Geräusch. Du legst eine CD ein. Ich lege meinen Kopf ans Fenster, ans Glas, und es ist glatter und kühler als in meiner Vorstellung. Ich sehe wieder den Regen, ich höre ihn, wie er fällt, ich sehe den Riss am Horizont, diese gebrochene, entfernte Linie, Bergspitzen, diese Konturen, die sich vom Himmel abheben, sie sind schwarz. Meine Schläfe. Sie wird einen Abdruck in der Beschlagung hinterlassen, einen Kreis, so groß wie eine Münze. Ich schließe meine Augen. Baba, ich weiß nicht, ob ich dir davon erzählt habe, von diesem Geräusch, das leer klang, leerer, als ich es erwartet hatte, es kam, Baba, es kam, es kam, ich weiß nicht, woher es gekommen war. Ich war in der Schule. Es war an einem Dienstag, ich weiß es, als wäre es gestern gewesen, aber es war nicht gestern, es war nicht gestern, als du vor dem Fenster standest und ich die Form deines Rückens sehen konnte, diese gebrochene, entfernte Linie, die an deinen Schultern beginnt, und die dort abfällt. Baba, wo war der Strom? Wir saßen im Wohnzimmer. Ich hatte Teelichter aus der Kommode geholt, dort, wo sie liegen, übereinander­ gestapelt, vier übereinander, sechs in einer Reihe, im zweiten Fach, links, unten, dort, wo wir immer Licht geholt haben, wenn der Strom ausfiel. Es war das zwölfte Mal, das zwölfte Mal in dieser Woche. Die ganze Stadt war dunkel. Ich habe nicht gezählt, aber du hast es gesagt, diese Zahl, gegen das Glas, das glatt war und vielleicht kühl, das war alles, Baba, das war alles, was du gesagt hast, Baba. Ich lege einen Finger ins Wachs. Er ist weiß und wärmer. Eine Pfütze. Wir saßen im Wohnzimmer, und ich wusste noch nicht, dass du namenlos sein wirst, an diesem Abend, gestern, gestern, aber es war nicht gestern, Baba, es war nicht gestern, als du vor dem Fenster, vor diesem Fenster standest, namenlos wie ein Berg, wie ein Stein, wie Geduld, du warst stumm wie sie. Aber das war gestern, Baba, es war ein anderer Tag, ein anderer Morgen, ein anderer Abend, eine andere Nacht, es war gestern, als wir mit Ami und Amti, mit Jedo und Tete im Wohnzimmer saßen, es war gestern, als Mama keinen Tee aufsetzen konnte, aber das war gestern, war es gestern, Baba? Baba. Wie lange fahren wir noch?

JOURNAL DER KÜNSTE 06

Baba, wie weit ist ein Morgen? Baba. Wann warst du das letzte Mal im Libanon? Baba, wie lange ist es her? Baba. Das Glas ist kalt. Ich spüre es an meiner Schläfe, die unebene Straße, diese Geschwindigkeit. Wie weit gestern zurückliegt. Baba. Wie weit fahren wir noch? Wie zwei Hände, wie zwei Handflächen, die gegeneinanderschlagen, einmal, ein lautes plötzliches Klatschen, so klang es, so klang dieses Geräusch, es kam, ich weiß, ich weiß nicht, woher es gekommen war. Es klang wie ein lautes Klatschen oder so, als hätte jemand etwas fallen lassen, einen leeren Körper aus einer Höhe. Es klang wie dieser Körper. Es klang wie ein Kran, der einen Container ohne Inhalt fallen lässt. Es klang wie Stahl. Ich weiß nicht, wie ein leerer Container klingen würden, aber an ihn, an ihn und an zwei Hände, an zwei Handflächen und an diesen leeren Container denke ich, wenn ich es beschreiben müsste, dieses Geräusch, aber dir muss ich es nicht beschreiben, Baba, du kennst es. Du kennst es, du kennst dieses Geräusch. Du hast es gehört. Baba. Ich wollte mich unter dem Tisch verstecken. Ich wusste noch nicht, was es war. Ich wusste noch nicht, dass Bomben so klingen würden, wie zwei leere Hände, wie zwei Handflächen, die gegeneinanderschlagen, wie ein Kran, der einen leeren Container aus einer unbestimmten Höhe fallen lässt, wie ein Hohlraum aus Stahl, der auf Asphalt trifft, wie das Fallenlassende, das Fallende und dieser Fall, wie dieses Fallen, ich wusste es nicht, bis zu diesem Augenblick, aber ich wusste, ich werde es wissen, und ich wusste es. Baba, ich weiß es. Baba. Ich weiß nicht, ob ich dir davon erzählt habe. Baba. Schläft Mama? Baba. Es regnet.

Ich habe diese Namen in deiner Stimme gehört, aus deinem Mund, sie kamen aus dieser Öffnung, sie kamen aus den beiden Linien, die du zusammenpresst. Baba. Ich sehe dich. Baba. Dein Mund ist eine Sonne, er ist so dunkel wie sie. Baba. Ich erinnere mich nicht. Ich erinnere mich nicht, ob du diese Namen gegen das Glas gesprochen hast, aber du hast sie gesagt. Du machst die Musik lauter. Meine Kopfhörer liegen in meiner linken Hosentasche. Die Jogginghose ist grau. Baba. Das Licht. Hinter uns liegt Damaskus. Hinter uns liegt unsere Straße, diese Sonne, ihr Stand, ihr Umfang, Stimmen, diese Stimmen aus Fenstern, aus Läden, ich höre sie, ich kann sie sehen, wir haben sie hinter uns gelassen. Links wohnen Ami und Amti, rechts wohnen Jedo und Tete. Wir haben in der Mitte gewohnt. Baba. Durch diese Nacht sind wir gekommen. Durch diese Nacht kommen wir. Meine Schläfe. Glas. Du bist langsamer gefahren, du bist langsamer gefahren, als es näherkam, als wir näherkamen, du hältst an. Es war keine Tankstelle. Ich habe Münder aus dem Fenster gesehen, sie kamen aus dem Nichts, kleine Öffnungen, so groß wie eine Münze, so groß wie ein Auge, so dunkel wie deine, wie die von ihm, kleine schwarze Münder, schwarze Sonnen, vier Männer haben sie um ihre Schultern getragen, sie hatten dieselbe Farbe. Baba. Ich habe sie gezählt. Baba. Fahr los. Baba. Warum fährst du nicht? Baba. Warum sprichst du so langsam, Baba, warum so leise? Baba. Wir sind diese Nacht. Vergiss das nicht. Wenn du sagst, wir werden zurückkommen, dann werden wir zurückkommen. Ich drücke meine Knie gegen den Sitz. Der Geruch der Straße. Ihr Geräusch.

Baba. War das Syrien? Baba. Die Lichter, als wir uns näherten.

Baba, in welche Richtung ziehen Wolken? Baba, wie lange fahren wir noch?

Baba. Die Lichter, als wir gingen. Baba. Der Lauf.

SENTHURAN VARATHARAJAH, geboren 1984, studierte Philosophie, evangelische Theologie und Kulturwissen-

Aus dem Nichts.

schaft in Marburg, Berlin und London. Er lebt in Berlin. 2016

Baba. Und es gibt Dinge, die wir auch im Dunkeln nicht sagen. Hinter dem Auto habe ich auf dich gewartet, Baba. Baba. Assads Augen lagen auf mir. Baba, sie haben mich unter dem Tisch gefunden. Baba. Sie sehen anders aus als deine. Baba. Sie haben dieselbe Farbe. Baba. Ich sehe sie durch den Rückspiegel, aber du, du siehst mich nicht. Ich drücke mein Knie gegen deinen Sitz, aber du, du siehst mich nicht, Baba, du glaubst, ich würde schlafen. Baba. Ich schlafe auch. Ich möchte schlafen, bis wir angekommen sind, bis wir ankommen werden, falls wir ankommen sollten, Libanon, sagst du, Beirut, hast du gesagt. Baba. Hast du es gesagt?

Zunahme der Zeichen. Senthuran Varatharajah ist einer der

veröffentlichte er im Fischer Verlag den Roman Vor der beteiligten Autoren des Projekts Unsere Geschichten. Our Stories – Rewrite the Future der Akademie der Künste, Berlin, in dem junge Geflüchtete ihre Geschichten erzählen und Autoren diese Berichte oder Fragmente in eine literarische Form bringen. In 20 Erzählpartnerschaften ist nach intensiven, über ein Jahr währenden Begegnungen eine Vielzahl an ästhetisch unterschiedlichsten Texten entstanden. Mehr zum Projekt unter rewrite-the-future.de

5


DEKOLONIALITÄT IN DER POLITISCHEN BILDUNG Thomas Krüger

Ain Bailey, Klangkünstlerin und DJ, tritt beim Symposium Performances of No-thingness am 26./27. Mai 2018 in der Akademie der Künste, Berlin, auf.


Die Entwicklung des Völkerrechts ist eng verwoben mit dem von Europa aus vorangetriebenen Kolonialismus: mit globalisierter Ausbeutung, Landraub und Völkermorden. Dabei wurden völkerrechtliche Grundprinzipien so ausgelegt, dass sie Kolonialver­ brechen legitimierten. Ein Debattenbeitrag von Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung

Kulturelle und edukative Institutionen in unserem Land sind immer noch blind bezüglich der kolonisierenden Vergangenheit Deutschlands. Da kann man sich auch nicht mit dem Argument herausreden, dass der Holocaust die Erinnerungskultur präge und quasi alle anderen Vergangenheiten versiegele. Es ist nicht hinnehmbar, dass im Namen eines grenzenlosen Unrechts ein anderes grenzenloses Unrecht verzwergt und unsichtbar gemacht wird. Wir brauchen öffentliche Resonanzräume, die sich diesem Befund stellen und Wege zu einer Institutionenselbstkritik bahnen. Ein umfassender Dekolonisierungsprozess der gesamten Gesellschaft ist längst überfällig und er hat mehrere Dimensionen: Wenn wir über koloniales bzw. postkoloniales Unrecht sprechen, sprechen wir zwangsläufig auch über Strafverfolgung. Sie ist nicht nur ein wichtiger – wenn nicht sogar elementarer – Schritt hin zur materiellen Gerechtigkeit für die Opfer und deren Ange­hörige. Die Strafverfolgung trägt zur Stabilisierung von Post-Konflikt-

Gesellschaften bei; sie versucht, die Wahrheit zu ermitteln oder sich dieser zumindest anzunähern. Der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck bezeichnete Gerichte einmal zutreffend als mögliche „Foren des Protests“. Durch die Gerichtsverfahren wird nicht nur Unrecht geahndet und Recht gesprochen. Die Verfahren erzeugen vor allem Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Sie sind Aushandlungsorte für Fragen, die eine strafrechtliche Aufarbeitung allein nicht beantworten kann: beispielsweise wann Schuld und vor allem schwere Schuld als aufgearbeitet gilt. Oder aber, was Gerechtigkeit ist. Sie ist nicht per se vorhanden, sie kann nicht per Dekret verordnet werden. Was in einer Gesellschaft allgemeingültig als gerecht empfunden wird, ist immer Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Wessen Verbrechen werden überhaupt vor Gericht gestellt und welche nicht, wessen Opferleid wird sichtbar? Um diese Fragen verhandeln zu können und überhaupt ins Bewusstsein und die Öffentlichkeit zu holen, braucht es Resonanzräume. In den Gerichtssälen geht es nämlich nicht allein um eine strafrechtliche Verfolgung – sie schaffen genau solche Resonanzräume. Darin sind sie den Resonanzräumen der politischen Bildung verwandt, über die ich, sehen Sie es mir nach, einige Worte verlieren muss. Es gehört zur Aufgabe der Bundeszentrale für politische Bildung / bpb, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken.

Ayrson Heráclito, Sacudimento da Maison des Esclaves em Gorée Díptico I, 2015, 2-Kanal-Videoarbeit, Filmstill

JOURNAL DER KÜNSTE 06

7


Dem kann die politische Bildung nur gerecht werden, wenn sie gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in den Blick nimmt. Und sie muss noch einen Schritt darüber hinausgehen und zur kritischen und selbstkritischen Auseinandersetzung mit hegemonialen Meinungen anregen, denn wir sind nicht die Pressestelle der Machtrepräsentanz, sondern Platzhalter für kontroverse Aushandlungsprozesse. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass Resonanzräume entstehen und Diskursmöglichkeiten eröffnet werden. Im Konzept der Veranstaltungsreihe der Akademie der Künste „Koloniales Erbe / Colonial Repercussions“ heißt es: „Die europäische Aufklärung und damit das Fundament der westlichen Wertegemeinschaft – der Wissenskanon, die Institutionen, die Sammlungen – hatte ihre materiellen Grundlagen zu einem wesentlichen Teil in kolonialen Herrschaftsstrukturen. Zugleich hat der bis heute behauptete Anspruch der Aufklärung an universaler Gültigkeit zu einer fortdauernden Hierarchisierung von Kulturen geführt. Aus diesem Grund ist eine Kritik der eigenen Gewissheiten essenziell für die Fortsetzung des Projekts Aufklärung.“ Die bpb ist eine Bildungsinstitution, die Wissen vermittelt – und damit Gewissheiten schafft. Und genau das macht sie zu einem zentralen Deutungsort. Wir sind Teil der seit Jahrzehnten wirkenden hegemonialen Wissenskulturen und -produkte, wir haben sie über Jahrzehnte aktiv mit produziert und reproduziert und wir tun das womöglich auch noch heute. Dessen müssen wir uns unbedingt gewahr sein, vielleicht sogar oft erst gewahr wer-

NIC Kay tritt bei Performances of No-thingness auf.

8

den. Denn, wie jede andere Strategie auch, ist Wissen weder universal noch folgenlos. Wir müssen uns die Frage nach kognitiver Gerechtigkeit stellen: Was gilt warum und wo als Wissen? Wer definiert Wissen? Wer hat Zugang zu (welchem) Wissen? Wer profitiert von der jeweiligen Bildungspolitik? Welche Perspektiven werden wahrgenommen? Wenn wir uns genau diese Fragen aufrichtig stellen, bekommen wir auch die Ignoranz der Blindstellen in den Blick: Was wissen wir nicht? Was wollen wir nicht wissen? Welche Perspektiven werden nicht wahrgenommen? Und warum? Bisher hat sich die politische Bildung sehr stark vom Zielgruppengedanken leiten lassen und dabei vielleicht an der einen oder anderen Stelle übersehen, dass durch Bildung Subjekte geformt werden. Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak hat auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, indem sie education – verstanden als Erziehung wie Bildung – als „möglichst zwangsfreie Neuordnung von Begehren“ beschrieben hat. Ein Nachdenken, was in den Subjekten wie und mit welchen Konsequenzen neugeordnet wird, ist genauso unabdingbar wie die Reflexion des eigenen Standpunkts. In diesem Sinne fasst Paul Mecheril, Direktor des Center for Migration, Education and Cultural Studies an der Universität Oldenburg, Bildung als ein „sich selbst durch Wissen in Frage stellen lassen“ auf. Er schlägt als Zielsetzung von Bildung vor, „sich zu den epochaltypischen Schlüsselproblemen globaler Ungleichheit in ein Verhältnis zu setzen“.


Ayrson Heráclito, Sacudimento da Casa da Torre Díptico I, 2015, 2-Kanal-Videoarbeit, Filmstill. Beide Arbeiten von Ayrson Heráclito waren bei (Post-)Koloniales Unrecht und juristische Interventionen am 26./27. Januar 2018 in der Akademie der Künste, Berlin, zu sehen.

Das heißt, dass sich die politische Bildung nicht damit begnügen darf, Wissen über globale, europäische, deutsche oder lokale Verhältnisse zu vermitteln. Sondern sie muss auch dazu anregen, „dass sich die Individuen und sozialen Gruppen […] mit ihrer mehr oder weniger privilegierten Stellung in der Welt auseinandersetzen und sich ihrer Involviertheit in Strukturen globaler Ungleichheit und Gewalt sowie ihrer spezifischen Handlungsmöglichkeiten bewusst werden“. Oder, um es mit Spivak zu sagen, „die Hinterfragung der eigenen Privilegien bleibt eine Notwendigkeit“. Gerade deshalb braucht es eine „Solidarität unter einander Unvertrauten“, wie Paul Mecheril sie fordert. Das bedeutet zweierlei, wobei beides eng miteinander verknüpft ist. Zum einen geht es darum, von sich selbst Abstand zu nehmen, das heißt: die eigenen identitären und materiellen Interessen reflektierend zurückzustellen – wenn man so will, sie zu vernachlässigen. Zum anderen heißt Solidarität, die „Anderen“ als Subjekte anzuerkennen und ihnen im inklusiven Sinn Subjektivität zu ermöglichen. Politische Bildung wird sich deshalb aktiv an der Konstruktion und Dekonstruktion von Identitäten beteiligen, indem sie Räume des Aushandelns schafft. Solche Prozesse stellen einen wichtigen Schritt der politischen Subjektwerdung dar – und letztlich auch der Entstehung und Definition von heterogenen Gesellschaften. Es gilt, Aspekte wie Ungewissheit, Utopie, Diversität oder Ambiguität zu fördern, die für die Zukunftsoffenheit der demokratischen

JOURNAL DER KÜNSTE 06

Gesellschaften fundamental sind. Dabei können die juristische Aufarbeitung wie die politische Bildung als quasi Wahlverwandte ihren Beitrag leisten. Wer Vielfalt demokratisch leben und als Ziel verfolgen will, muss die aus Vergangenheit und Gegenwart resultierenden globalen Ungleichheiten nicht nur moderieren, sondern bearbeiten, bekämpfen und hinter sich lassen.

Dieser Text wurde als Rede bei der Auftaktkonferenz (Post-)Koloniales Unrecht und juristische Interventionen am 26. und 27. Januar 2018 in Kooperation mit dem European Center for Constitutional and Human Rights, ECCHR, im Rahmen der gemeinsamen Veranstaltungsreihe Koloniales Erbe / Colonial Repercussions der Akademie der Künste mit der Bundeszentrale für politische Bildung / bpb gehalten. Das Projekt wird am 26. und 27. Mai 2018 mit der Plattform Performances of No-thingness (Konzept: Nana Adusei-Poku) weitergeführt, in der die Kulturproduktion der Black Diaspora als Kritik hegemonialer Konstrukte von Identität ins Zentrum gestellt wird. Mit Autumn Knight, Okwui Okpokwasili, Sorryyoufeeluncomfortable u. a. Als Abschluss entwirft das Symposium „Planetary Utopias – Hope, Desire, Imaginaries in a Post-Colonial World” am 23. und 24. Juni 2018 das utopische Potenzial einer postkolonialen Gesellschaft. Konzept: Nikita Dhawan; mit Angela Davis, David Scott, Gayatri Chakravorty Spivak u. a.

9


10

Skizzen von Manos Tsangaris (Seite 10 bis 13)


WO KOMMEN WIR

HIN Vorbereitende Beiträge zu einer akademie-internen Werkstatt (2. Teil)

JOURNAL DER KÜNSTE 06

EINFÜHRUNG EINES ELEFANTEN OHNE WIKIPEDIA  Kathrin Röggla Wo kommen plötzlich all die Elefanten her? Wir wissen es nicht, wir wissen nur, sie kommen derzeit durch alles Mögliche durch und sind dann angeblich eine Krankheit, eine Drohung, eine Pleite, ein Unvermögen, ein Widerspruch, eine Brutalität, ja manchmal, so wird behauptet, sind sie sogar nur ein Sprichwort, das auf ein gewisses kommunikatives Versagen hinauswill, das wir später aus Romanen und Theaterinszenierungen herauslesen können. Wir trauen uns scheinbar nicht, gewisse Fragen zu stellen, obwohl wir es besser wissen. Oder wir können es schlicht nicht, und zwar als Gruppe. Einer von uns könnte es vielleicht, aber zusammen können wir es nicht, was ziemlich merkwürdig ist. Was ist das für eine Situation, kollektiv Fragen nicht stellen zu können in einer vermeintlich tabufreien Gesellschaft, in der noch dazu ohne Ende öffentlich kommuniziert wird? Ist es am Ende ein dynamisches Versagen oder bleibt die Unmöglichkeit zur Thematisierung auf einer Stelle stehen? Soll man es als ein politisches Unvermögen bezeichnen oder eher ein technisches oder gehört das gar zusammen? Klar ist, die Elefanten vermehren sich, aber bleiben dabei immer in der situativen Singularität. Wie zeigt sich dies formal? Sind es unsere gesellschaftlichen Frage-Antwort-Spiele, d. h. die Formate, in denen wir kommunizieren, z. B. die Interviews, WhatsAapp-Chats, Übersetzungen, Übertragungen, Protokolle, in denen sich diese Ausweichbewegungen finden lassen? Wer könnte sie aufzeichnen und wie würde diese Kommunikationsstörung dann zu erkennen sein? Wo findet sie statt? Nur im primären sozialen Raum oder auch im Netz? Und was hat das mit dem Unglauben zu tun, den der Philosoph Jean-Luc Nancy in Was tun? erwähnt, ein Unglauben, dem sich alle Antworten heute gegenübersehen? Vielleicht hängt beides zusammen. Zudem ist der Elefant dick. Ja, das kann man schon sagen. Er zeichnet sich aus durch Monstrosität. Wir vermeiden, etwas wahrzunehmen, nein, zu äußern, das uns beinahe an die Wand drängt, wir bewegen uns drumherum, obwohl dieser Umgebungsraum praktisch nicht mehr existiert. Es ärgert natürlich, dass wir ausgerechnet von einem Unvermögen zum Kollektiv gemacht werden, zu einem unfreiwilligen also, wo wir ansonsten eher vereinzeln und nach Gegenbewegungen suchen. Aber was können wir Künstler in dieser Situation auch anderes machen, als uns an den Rändern, den Formen des Elefanten entlang zu bewegen, mal langsamer, mal schneller, mal rhythmischer, mal impulsiver, um seine Form zu erkunden. Denn so viel sei gleich verraten: Es fällt nicht immer leicht, die Situationen aufzulösen, in der dieses Tier sich zeigt. Vielleicht ist es auch nicht immer gut, ihn zum Verschwinden zu bringen. Die sich rasch vergrößernden Elefantenbibliotheken dieser Welt beginnen auch eher von einer Zunahme des Phänomens auszugehen als einer Abnahme. In Z. gibt es bereits eine stattliche Ansammlung von 14.357 Büchern, die den Raumelefanten thematisieren, ob aus zoologischer, kommunikationstheoretischer, sozialpsychologischer, aber auch humortheoretischer Sicht. Eine nun anstehende

11


Konferenz in B. wird sich unter der Leitung eines Teams um Frau Prof. Birkenhäuser und Herrn Prof. Gupta Devi darum bemühen, dieses unfreiwillige Tier zum Sprechen zu bringen, ja seine Klassifikation vorzunehmen, auch wenn der offizielle Konferenztitel ein ganz anderer ist und sich mehr um Nahostpolitik, was sage ich, um Migrationspolitik zu drehen scheint. Unabhängig davon wird in F. eine Archäologie des gegenwärtigen Elefanten begonnen, der immer wieder ausgegraben werden muss, weil er sich oft genug unter dem Schutt unserer Vermeidungsbewegungen kaum noch zeigen kann, obwohl es heißt, dass eben gerade diese ihn scharf hervortreten lassen. Diesbezüglich gehen derzeit die Einschätzungen auseinander. In einer Gegenkonferenz in B. wird man sich dagegen um Elefantenschädel kümmern und um die Frage, ob dieses Tier etwa irgendwoher kommt – sein Auftauchen ist ja ziemlich plötzlich, manche sagen, abrupt, obwohl das nicht richtig ist. Der Elefant erscheint, was ja einige Zeit benötigt. Manche schreiben ihm insofern asiatische oder afrikanische Wurzeln zu, obwohl das offiziell geleugnet wird. Allen ist klar, bis die richtigen Fragen kommen, wird einiger Gesprächsraum verbrannt werden. Vielleicht haben wir den dann auch nicht mehr. Insofern, wenn andernorts behauptet wird, es sei eben die Postdemokratie, die hier mit dem Erscheinen dieses Tieres anklopfen würde, oder der Postkolonialismus im Gewand der Postdemokratie, dass es diese unsere Gesellschaft sei, die durch beständigen Formenwandel geht, und diese notwendigerweise eine europäische sei, dann kann darauf nur mit einem alten Zitat Heiner Müllers geantwortet werden: Europa sei nur als Verbindung der Schuldigen zu denken. Diese Schuld hat sich unseres Erachtens allerdings heute gedreht oder hat neue Fahrt bekommen, und zwar aus der Zukunft. Der Elefant ist ein Zukunftstier geworden und findet nur deswegen seinen stärksten Ausdruck in der Rückwärtsgewandtheit, den Retrotopien, die der Soziologe Zygmunt Bauman beschrieben hat. Wenn sich ein Elefant im Raum bewegt, dann tut er es rückwärts, und so weiß z. B. die Gruppe von Bundestagsabgeordneten schon wieder nicht, wie sie mit den AfDlern umgehen soll, denen sie sich jeden Tag im Gang gegenübersieht. Einfach grüßen? Anfangsprobleme, sicher, klar, aber man darf hier durchaus fragen, wie etwas als Kommunikationsstörung zu bezeichnen ist, was in Wahrheit einen Riss durch ein Zeitalter darstellt. Wie kann ich von Frage-Antwort-Spielen sprechen, wenn es um politische Zerreißkräfte, ja Zerschlagungskräfte geht, wenn verbale Gewalt beinahe ständig im Spiel ist? Wir wissen, der Elefant im Raum ist größer – wie kann er also nur einmal kurz herüber ins Büro gekommen sein und nun ist er wieder fort? Woran sind alle Gespräche erstorben? Wird dieses Tier sich mit seinen Artgenossen zusammenschließen und den Rest der Regierungsbildung übernehmen? Nein, so weit wollen wir nicht gehen! KATHRIN RÖGGLA, Schriftstellerin, ist Vizepräsidentin der Akademie der Künste, Berlin, und Mitglied der Sektion Literatur.

12

KUPFERKLAU

Manos Tsangaris

Immer wenn ich das Dach des Studios der Akademie am Hanseatenweg sehe, wie es aus der Erde aufragt, denke ich an unseren Ehrenpräsidenten, Klaus Staeck, der einmal sagte, die Akademie leide immer wieder an Kupferklau. Hinterhältige Kupferdiebe schneiden Stücke vom Dachbelag ab, um sie zu veräußern. Kupfer ist sehr viel wert. Aus Kupferlegierungen können zum Beispiel Münzen geprägt werden. Ich bin dafür, eine Akademie-eigene Kupfermünze einzuführen, die den Namen Staecki trägt. Ein Staecki ist 100 bis 200 Euro wert. Man kann ihn aber auch gegen Kunst eintauschen. So erblüht die akademie-interne Wirtschaft. Sie floriert, wir dinieren. Das Dach löst sich auf. Der Himmel steht uns offen. Heute habe ich wieder dreieinhalb Staeckis Gewinn gemacht. Und unser Dach? Wird demnächst mit Gold gedeckt werden, sagt man. Daraus könnten wir dann den Meerapfel-Taler machen, die Meeräpfel. Der Kupferklau, denke ich, hat uns vorangebracht.

MANOS TSANGARIS, Komponist, ist Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion Musik. Seit 2012 ist er Direktor der Sektion.


JOURNAL DER KÜNSTE 06

13


CARTE BLANCHE

MONIKA RINCK

die Treffsicherheit der Taxonomen 4165 Witterungswanderung 4166 the natural fool of fortune 4164

I am even the natural fool of fortune. Use me well. You shall have ransom. Let me have surgeons. I am cut to th’ brains. So King Lear.

mehrfach riskierter Narzissmus 4169 the dignity of Durchgeknalltness 4168

erwirrung ist nicht mehr länger das Ziel. Ich sehe die Entmächtigung V der Sprache als Instrument der Analyse durch ihren euphemistischen Gebrauch, und die Ermächtigung der Sprache zur Reduktion von gesellschaftlicher Komplexität zugunsten irgendwelcher aus­ gedachter Identitäten und deren identitätsprogrammierter Beurteilungspraxis. Wie müssten Gedichte sein, um dem entgegenzuwirken?

er Rätselkram der Allegorie und die Geheimniskrämerei d des Verschwörers 4171 das Aufjaulen des digitalen Hirtenhundes 4172 als Nachtrab überstandner Qual 4170

ine von vielen Übersetzungen für die Shakespeare-Zeile „in the E rearward of a conquer’d woe“. Andere Varianten: als Nachhut weichender Bedrängnis; im Geleit von Schmerz, der schon verwunden; im Nachzug überstandner Not; im späten Nachgang ueberwundnen Leids. (Wasserzeichen der Poesie.) – Aber der Nachtrab! Sodass am frühen Morgen kompakte Tiere auf Hufen vorbeitrabten, in der Ferne verschwänden und ganz leicht, unter dem Fuß, pochte die Gegend, indem sie sich endlich wieder erweiterte.

vererzte Konferenzzapfen 4174 deine Lügenloge 4175 Gesamtenvironment Lachsack 4176 ent-ichende Wirkung der Landschaft 4173

Untertitel zum Kapitel: Der Mensch und seine Landschaft, in Döblins Abhandlung Das Ich über der Natur aus dem Jahr 1927. „Wie ver­hält sich die Landschaft zu dem Menschen oder zu den Menschengruppen, die auf ihr siedeln, mit ihr leben? Obwohl, mit der gewöhn­lichen, linearen Zeitvorstellung betrachtet, der Mensch ein sehr altes Produkt der Erde ist und die Erde nicht imstande wäre, ihn jetzt zu erschaffen, wirkt sie noch dauernd auf ihn. … Es quellen dauernd Hilfsseelen, umbildende seelische Elemente, aus der Nahrung, im Umgang mit den Tieren, den Bäumen, den Elementen. … Dieses Saugen der heimatlichen Landschaft an dem Menschen. Der Boden will sie wie Pflanzen in sich hineinziehen.“ 4177

gymnastische Anführungszeichen

Versteinerte Bläschen, haben Sie die gesehen? Und den Gedanken­ sturm? Da hinten? In dieser „Birne“, Birne übrigens mit deutlichen Anführungszeichen, gymnastischen Anführungszeichen, wie sie auch genannt werden, unter der Hand der Grammatiker. 4178 4181

ungeheuer wie Elefantenschleppen das unvermeidliche Narrentief

Es senkt sich das Narrentief über die Stelle wo Realgeschichte und Triebgeschichte aufeinandertreffen, pioneers of post-rational politics steigen von ihren Ponys und bauen matters of opinion um zu matters of fact, leicht verspätet tritt die Sequenz hinzu, to prevent everything from happening at once. Jedoch: life is not a paragraph // and death I think is no paranthesis. (e. e. cummings)

AUS DEM BEGRIFFSSTUDIO 14

4182

Umerziehungslager Narration

ier müssen endlich wieder Geschichten erzählt werden. Nein, müsH sen sie nicht. „In life, most people would regard it as futile to guess one’s future by figuring what would make an effective story and would smile at someone who imagines himself invulnerable on a given occasion because otherwise his life would make no sense,


but in reading literature this way of thinking is often justified and typically used. For this reason, we sense the artifice of time in narrative literature.“ (Gary Saul Morson: Narrative and Freedom, 1994) 4183 4184 4185 4186 4187

der Sturz ins Niemalsgeübte kolossale Maikäfer von Berserkerwuth ergriffen im Zwielicht der Verdopplung, die es halbiert der Wespenkrug meines Willens Gnuu nuu – das ist die Schlüsselantwort, so die Dichterin Christine G Lavant. Aber auf welche Frage? Auf diese: „Sie fragt heim­ tückisch: ‚Teufel oder Pfaffen?‘ / Ich sage blind die Schlüssel­ antwort: ‚Gnuu‘ / und viele staunen atemlang darüber.“ Ja, und viele staunen atemlang darüber. Manche staunen noch heute. (Lavant: Gedichte aus dem Nachlass)

Verfremdung durch Sorgfalt 4189 Scheibenplastinat einer Ente 4188

Unklare Prädispositionen, vor der Erfindung des MRT, grunzen die Enten. Halali. Ein wandernder Eremit trägt schwer am Caravan der Einsamkeit. Trambahn hält. Kundiger, verkündige, was nur du verkünden kannst, den ganzen Rest lass weg. Wo habt ihr die Nadel versteckt? – Wir haben die Nadel in der Ente versteckt, in der Ente der Welt.

gegenseitige Betextung 4192 The Imp of the Perverse 4193 die geheime Humboldtecke im eigenen Seelenhaushalt 4194 deducting the duck 4191

Bitte nennen Sie mir Alter abzüglich der Ente. Zwölf! Seltsam, abzüglich der Ente sind fast alle Menschen nicht viel älter als zwölf.

4195

dreich: dismal (adj), the mind of a man of winter 250 Tonnen Saurierknochen, nicht: Sauerkirschen unaddierbare Angst eine Hineingenommenheit ins Äußerste mit einer annähernd stifterischen Hitze ein biologisches Hamster-Panorama par excellence

4196 4197 4198 4199 4200

„Den Abschluss und zugleich den dramaturgischen Höhepunkt der ganzen Präsentation bildete ein ‚Hamsterbau mit zwölf Jungen‘. In einem massiven Erdblock waren angeschnittene unterirdische Gänge mit einer mit Körnern gefüllten Vorratskammer zu sehen, darin eine vielköpfige Hamsterfamilie. … Eine Europakarte gab das Verbreitungsgebiet des Hamsters an, Skizzen und anatomische Präparate machten auf die Besonderheiten der Hamster-Backentaschen aufmerksam, und ein mit Körnern gefülltes Standglas präsentierte sich als Darstellung eines authentischen Wintervorrats eines Hamsters. Dass ein Hamsterbau eine besonders günstige Umgebung für bestimmte Insekten darstellt, visualisierte eine Zusammenstellung von 53 Käferarten, die in einem Bau gefunden worden waren. Welche natürlichen Feinde Hamster haben, erklärte schließlich eine nachgestellte dramatische Szene, in der ein Hermelin einen jungen Hamster tötet. Das gesamte Ensemble war ein ‚biologisches‘ Hamster-Panorama par excellence.“ (Susanne Köstering: Natur zum Anschauen. Das Naturkundemuseum des deutschen Kaiserreiches 1871–1914) 4201 4202 4204 4206 4207 4208

selling banality with braggadocio Verquickungswert und Phrase der Erschlankung jemanden um die Wette begönnern Hermeline im Winterkleid, Fuchsgruppe Wanderratte in Verteidigungsstellung Mäusebussard auf dem Rinnstein sichernd

JOURNAL DER KÜNSTE 06

4209

Nebelkrähen im Streit um einen Knochen 4210 Rohrdommelgruppe (in Planung) 4211 Steinmarder, eine Wildgans anschneidend 4214 eine abkömmliche Publikation 4215 erschwerter Freigang, harte Matten 4216 bis in den hellen Ernst gesteigert 4217 oberflächliche Besessenheit 4218 spinnefeind den bewegten Gedanken 4220 die Miedertracht der Völlerei 4221 wie aus Kieseln und Flamencos gekeltert 4222 flanc de colline à l’automne 4223 der Angstkomet 4224 deutliche Anweisung zur Feuerwerkerey 4225 Mangellassi

ntschuldigen Sie, meine Frau vermisst das Ziegenmilchmangolassi! – E und schon wird ein tagelang schweigendes Paar wieder zum eingeschworenen Team gegen die feindliche Umwelt des Wellnesshotels.

4226 Pillowsophy 4227 bösewichtelnd 4228 Taubenhaucher 4229

eine Inflation des Gelingen Georg Friedrich Handy 4231 Schriftsteller aus der gemütlichen Welt 4232 eine Kolonie verrückter Ameisen 4233 in sich selbst ennuyiert 4234 Gesetz des unbenennbaren Etwas 4235 des Papstes zerknautschte Schuhe 4236 der parallelepipedisch-bankig absondernde Pyroxengranitporphyr von Beucha 4230

um Mitnehmen lag auf dem Heizkörper des grünen Treppenaufgangs Z des Portals 10 des Naturkundemuseums ein Buch mit 68 Abbil­ dungen im Text, 92 Figuren auf 14 Tafeln und 10 Abbildungen auf 6 Beilagen in Mappe: Steinkonservierung.

4237

tauende Menschen auf der Straße das Dilemma als Dämmerungstier the famous Singer and Soleier frischgepflügte pflegeleichte Vorgärten die aufgebärende Seele bei Anbruch der Lämmerung im Eichenforst der Streichelwurst wahnbefangen und realitätstauglich

4238 4239 4240 4241 4242 4243 4244

„ ‚Die Zweideutigkeit‘ des Lebens als wahnbefangen und reali­ tätstauglich, schreibt Foucault, ‚ist endlos reversibel und kann schließlich nur durch den Tod gelöst werden‘.“ (Werner van Treeck: Dummheit. Eine unendliche Geschichte)

4245

ein morosophos, ein Töricht-Weiser Reden in den Schenken lernen Dîner du Diplodocus das Teelicht im Transit kaltes Reservoir des Frühlings Pre-Socratic Take Away ein erstarrtes Mobile Denker und Drescher Schausaal der Seele

4246 4247 4248 4249 4250 4252 4253 4254

15


4255 bezärteln 4256 Wahnsagekunst 4257 der leidenschaftlichste Nacktkletterer der deutschen

Literatur 4258 Einfallslosigismus 4259 auf den Müll der Erfüllung werfen 4260 Verwaltungssprache Hasenpfote 4261 unsere Teilnehmung an der Lustigkeit eines kleinen beliebten Tierchens 4262 Selber Nebelnutte 4263 Lied vom Meta-Realismus der Garagenabverkäufe 4264 die in die Erde hinabtauchende Luft 4265 der Charakter des Drängenden 4266 Triebe mit passivem Ziel 4267 irreduzible Materialität des Nichts 4269 ein immerwährendes An-sich-halten 4270 Bündnis von Glut und Gummitwist 4272 ein Hegeldeckchen 4273 Flixbuscuvée 4274 der Beichtstuhl der Überhitzung

4275

ommt es infolge der Errichtung des aufgesockelten Beichtstuhls K zum Klangschalenaufguss? Wird sich die geheime Gebrauchs­ anweisung des Ölzylinderfundaments offenbaren? Werden Falter mit der Übertragung betraut? Wird die Armee der unverstärkten Liedermacher die Errichtung der Schleuse verhindern? Was haben die weißen Pfauen damit zu tun? Und wer wartet indes tagelang in Hamm auf den verpassten Anschluss?

the Half-Horse 4276 Mimesis with a twist 4277 unter dem Schwiegel der Versiegenheit 4278 misconduct and skittishness 4279 die Automobil-Polka des Herrn Salabre 4280 eine Figur namens Hate-to-be-contradicted 4281 festivals of misrule 4282 jene mischgliedrige Vorschöpfung des Empedokles 4283 mit Verbissenheit überhäutet 4284 ein unmöglich zu tragisierender Held 4285 von außen stammelnde Inhalte in dieser Nachricht 4286 Ausgeglitschte und Herabgekommene 4287 der beste Bote der Übernatur 4290 abtiefen [Infinitiv] 4292 le Wocken-Ente 4293 die gebieterische Tendenz zur Nachahmung 4294 im irrationalistischen Transgressionsdiskurs 4295 untötend 4296 Hans Castorps Hadesfahrt auf Skiern 4297 eine leergeparkte Fläche 4298 der zelebrierte Kellner der Körperin 4299 ein Dorf namens Nachitschewan 4300 der ganzen, zarten, ehrwürdigen alten Welt 4302 mit Befriedigung vollgestopft wie Knallkörper 4303 fossile Abdrücke von verlorenen Koffern 4305 ein bärtiger ityphallischer Sartyr 4306 zu schwermütiger Trauer umgestimmt

16

4307

Bergbäche, in Spalten verkrallt 4308 ein vermauertes Drama 4309 mein beruflicher Pferdegang 4313 diese Mischung aus verstaubten Phantomen und ungeduldigen Gören

W as von den Reisen bleibt: „Vor dieser Mischung aus verstaubten Phantomen und ungeduldigen Gören – der höchste Lohn für so viel Mühen, Sorgfalt und Arbeit – nahmen wir uns das Recht heraus, einen Schatz von Erinnerungen auszupacken, die auf einer solchen Sitzung auf ewig zu Eis erstarrten und die sich, während man im Dämmerlicht sprach, von einem loszulösen und eine nach der anderen wie Kieselsteine in die Tiefe eines Brunnens zu fallen schienen. So sah die Rückkehr aus.“ (Claude Lévi-Strauss: Traurige Tropen. Übersetzt von Eva Moldenhauer)

4314

Klauen, die verschleißfrei ineinander gleiten narratives Aquaplaning Einfädel-, Ausfädel- und Verflechtungsmanöver feindliche Ströme im Knotenpunktbereich die schwerrückigen, meerbeweidenden Muscheln wie Phönix aus dem Ascher Gone to Pieland

4315 4317 4318 4320 4321 4322

„On one occasion they had brought home a high-quality pie from ‘some superior delicatessen.’ The pie was set down on the kitchentable as they entered, but when suppertime arrived, there was no sign of it, and its disappearance was never solved. From then on, whenever something became mislaid, they would say it had pro­ bably ‘Gone to Pieland’.“ (Aus dem Vorwort zu Iris Murdochs Roman A Fairly Honourable Defeat, von Peter J. Reed) 4323

von einem kleinen Schnapsglas genügend versteckt 4324 Schätze im Glanz jenes Lustlosen 4327 die Minute, die nicht weiß zu vergehen „Der Minute entgegensehen, die nicht weiß zu vergehen hieß ganz draußen stehn, fern des linearen Geschehens, hieß die langwierige Reparatur / der Mechanik eines Zeigers.“ (Sema Kaygusuz: Schwarze Galle. Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe) 4329 4330

Hotel de l’univers in allen Verlaufsformen der Rage türzte herab den Katarakt der infiniten Fragen, in allen VerlaufsS formen der Rage und schrie schließlich, ganz tief auf den Grunde gekommen: Gnuhiu!

4332

die Lärmtrompeten des Nichts 4333 Grasaffe „Es war drei Uhr nachts, aber im Sommer, und schon halb hell. Da erhoben sich im Stall des Herrn von Grusenhof seine fünf Pferde Famos, Grasaffe, Tournemento, Rosina und Brabant.“ (Aus Kafkas Tagebüchern, 27. III 14) 4334

wie auf Carnevalswagen besserer Länder 4335 hurtige Wechsel 4336 am Tropf der Verkehrssünder 4337 Goethes entsetzliches Wesen „Nichts geschrieben. Weltsch bringt mir Bücher über Goethe, die mir eine zerstreute, nirgends anwendbare Aufregung verursachen. Plan eines Aufsatzes ‚Goethes entsetzliches Wesen‘. Furcht vor dem zweistündigen Abendspaziergang, den ich jetzt für mich eingeführt habe.“ (Aus Kafkas Tagebüchern, 31. I 12) 4338

Einheimische und Fremde von Bedeutung eine Tafelrunde nervöser Leute 4342 foppende Geleitfanfaren 4340


4343

mit Faunskopf und sonstigem Zubehör 4344 die schreckliche Rue de la Gaieté

trindberg steht auf, geht, von Gewissensbissen überfallen, durch S die schreckliche Rue de la Gaieté, wo die gemachte Lustigkeit der Menge ihn beleidigt, durch die düstere, schweigsame Rue Delambre, eilt nach dem Boulevard Montparnasse und wirft sich vor der Brasserie des Lilas auf einen Sessel, wo kurz darauf, sehr zu seinem Missfallen, Studentni mit ihren Kokotni parataxeln.

4365

Veuve Clochard Jauchzet, benimmrufet, frohlocket 4367 an intense occult passion for zebras 4366

Um einen langen Brief zu beenden, schrieb Iris Murdoch am 16. August 1942 aus London an Marjorie Boulton, eine Esperanto-Expertin: „I must go now. (I am going to the Zoo this afternoon, chiefly to see the zebras – I have an intense occult passion for Zebras.) Write when you feel inclined and let me know how life treats you.“

ein Geselle der Eulen 4346 im Dienste raffinierter Heuchelei 4347 de shark well goberned 4348 das Hirn des Waldes

4368

Die Krause Glucke, Sparassis Crispa, mit einem Pinsel von Tannen­ nadeln und Waldboden befreit, in Butter gedünstet, mit Wermut abgelöscht, gesalzen, gepfeffert, zu Geflügel gereicht.

4372

colder more civilised sort of chaps s’accuse and s’excuse a charming exsurrealist in the French Army horresco referens Para-philosophical gossip only spannungslose, intentionslose Komplexität the elaboration of shadow as a medium die schwänzelnderen der Notizen hochnervöser Wind mit ballonförmigen Griffen

4345

4349 Üşüdüğümüzün

„Eines Tages endet die zerstreute Lebendigkeit dieses Kribbelns / Eins bleibt in langen Büchern die Erinnerung an unser Großes Frieren.“ Die letzten beiden Zeilen des Gedichte Das Große Frieren von Turgut Uyar, Cok Üşümek, übersetzt von Uta Schlegel. 4350

eine lächerliche Empfindlichkeit der Grenzen die sommerlichen Zertrümmerungen 4352 zwischen Rêve und Rewe 4353 schmerzempfindlicher Glibber 4351

4355

eil die Bevorzugung Einzelner zur Verschlechterung führt, beginW nen wir zunächst mit dem Boarding für unsere Priority-Passagiere und Inhaber der Gold-Card. Alle anderen Passagiere bleiben bitte noch sitzen, und der schmerzempfindliche Glibber, in den alles eingemacht ist, ersteht aus dem Marmor, verlegt sich, versetzt die lieben Kniegelenke in Panik.

sexuelle Miterregung als Nebengewinn

„Gewiss ist das Austoben der eigenen Affekte dabei in erster Linie anzuführen, und der daraus resultierende Genuss entspricht einer­ seits der Erleichterung durch ausgiebige Abfuhr, andererseits wohl der sexuellen Miterregung, die, darf man annehmen, als Neben­ gewinn bei jeder Affekterweckung abfällt und dem Menschen das so sehr gewünschte Gefühl der Höherspannung seines psychischen Niveaus liefert.“ (Freud: Psychopathische Personen auf der Bühne) 4356

ein Beau an der Grenze des Präsens

Dass es gerade noch so geht. Aber der Boden scheint zu schwanken, auf dem er steht. O Hüftgelenk, o Lendenschurz, o bittersüße Fügung.

4369 4370 4371 4375 4376 4377 4378

Hinzutritt die Vervielfältigung des Ungesagten durch das Weglassen des Kontextes. Ich kann nicht zurückblättern, um mich darüber zu informieren, wer denn nun mit dieser zweiten Person gemeint sein könnte. Das bleibt in den meisten Fällen ungesagt – aber stört auch nicht weiter. Ein hochnervöser Wind mit ballonförmigen Griffen, und unklare Agenten der Identifikation. Mit jedem Umblättern, weiß ich nicht - - - - weiß ich nicht mehr, wo ich mich befinde. Bodenlose Tauschprozesse, auch wenn lexikalische Bedeutungen größtenteils bestehen bleiben. Jetzt kommt der Herr mit dem Sparschäler und Gurke - - - wird - - Palme. 4379

der gekaperte Schlaf 4380 bodenlose Tauschprozesse 4381 Sound of Rollkoffer versus Sound of Shaking the Lackspray 4383 Identifikation mit unklaren Agenten 4384 das gewaltsame Vergehen der dem Leben aufgezwungenen Träume 4385 kraft des sprachlichen Ausdrucks der guten Müdigkeit „Mehr als Schein aber und zur ganzen Wahrheit wird es, weil, kraft des sprachlichen Ausdrucks der guten Müdigkeit, noch über der Versöhnung der Schatten der Sehnsucht bleibt und selbst der des Todes: dem ‚Warte nur balde‘ wird mit rätselhaftem Lächeln von Trauer das ganze Leben zum kurzen Augenblick vor dem Einschlafen. Der Ton des Friedens bezeugt, dass Frieden nicht gelang, ohne dass doch der Traum zerbräche.“ (Adorno zu Wandrers Nachtlied)

4357

4386 unter Missachtung der Eckermannhaftigkeit

4358

der Reiz der unverständlichen Anrufung die vom Hass verbrannten Worte 4359 der Bronchien-Saurus

Der transparente schmerzempfindliche Glibber, worin ich das Flugzeug nicht fand, steht nun in den Bronchien, umhüllt die BronchoKlause, den Bronchien-Saurus. Wie war das Licht? Hell. Und der Boden marmorglatt, happitalistisch und hart. Überall feuerge­ fährliche Liquide: Destillate, Hochprozentiges, Parfums. Und die Kaviarbar! Die kaviarfahrbare Kaviarbar! [Flughafen Atatürk]

4361

Spuk als Verwechslung 4362 gespenstige Selbstverwechselung 4364 Vertrauen sub Rosa

„ Niemand beichtet gern in Prosa; Doch vertraun wir oft sub Rosa / In der Musen stillem Hain.“ Keine ungereimte Beichte? Heimlich mit geschlossnen Augen, vor der Menge abgespartem Tadel, ihrem einbehaltnen Lob, eine kleine Weile schweigsam sein. Lass indes die Augen zu.

JOURNAL DER KÜNSTE 06

Die Frage sei, so Blumenberg, ob (der tote, mineralisch in der von ihm angelegten Wirkungsgeschichte versteifte) Goethe, „aus dieser Schlinge des ihm Abgehörten unter Missachtung der Eckermannhaftigheit herauszuziehen sei. Es ist die Inszenierung seiner Versteifung über die Todesstarre hinaus.“

4387

das hilflos sich erprobende Wimmern ironisierend 4388 auf allen Hochebenen scheitern 4389 der Chemismus des eben noch ausgelegten Traumes 4390 the Demon of the Soul on the Composite Elephant 4391 Anarcho-Merkantilismus 4392 esprit d’escalier „In den hier vereinten Kapiteln versuche ich also genau das: etwas besser zu sagen, was ich bereits gesagt habe – und ein bisschen mehr. Das Buch ist daher eine Art Hommage an den esprit d’escalier, der uns alle mit unterschiedlicher Heftigkeit heimsucht. Soweit

17


meine Entschuldigung.“ (Eduardo Viveiros de Castro: Die Unbeständigkeit der wilden Seele. Übersetzt von O. Precht) 4393 Gewissenspisse 4394 die verwischte Grenze zwischen schwindelerregendem

Delirium und Volkslied eine Kette genialer, zum Teil inversiver Paronomasien 4396 Unterströmung der Bedeutung 4397 sterner stuff 4398 Polnisches Gendering nach Prof. Cotten 4395

„In den Texten findet das polnische Gendering Anwendung: alle für alle Geschlechter notwendigen Buchstaben in gefälliger Reihenfolge ans Wortende, z.B. ‚dier Bundespräsidentni‘.“ (Ann Cotten: Fast Dumm. Essays von on the road. Herausgegeben von Manfred Rothenberger in Zusammenarbeit mit dem Institut für moderne Kunst Nürnberg. starfruit publications, Fürth 2017) 4400 4404 4405 4406 4407 4408

Wendekreise des Hefehörnchens Tun ohne das Wissen des Wollens der mitspielende Hintergrund und das Gesetz der Ruhe das Geleise der Junggrammatiker die Aufenthaltsräume unseres Denkens Discuss Halmgedicht

iscuss im Kontext von Halmgedicht: Das Ende der Identität. Die D Halme. Dies ist was der Halm denkt. / Das ist, was er verschweigt. Dies bleibt / leider dies. Halm-Identität muss an ihr / Ende kommen. Halm. Halm. Halm. Halm. / Alle Halme sind verdammt // nochmal anders. // Jetzt: Die Frauen.

4409

negative Idealisierung

Was ist negative Idealisierung? Das ist: Wenn ich Dich gelten lasse, akzeptiere ich ein Ich-Ideal, das mich vernichtet. (Besser nicht.) 4410 das dritte Säuseln 4411 wasserdurchlässige Zimmer 4412 das Mich der Wahrnehmung 4414 Spiel jenseits von identitätsprogrammierter

Beurteilungspraxis

MONIKA RINCK, Schriftstellerin, ist seit 2012 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion Literatur. www.begriffsstudio.de

18


UNDERGROUND +

IMPROVISATION


Zwei Beiträge zu den aktuellen Ausstellungen der Akademie der Künste, Free Music Production / FMP: The Living Music und Notes from the Underground – Art and Alternative Music in Eastern Europe 1968–1994

Lutz Dammbeck, Herakles, 1984, Video, Szenenfotografien


UNDERGROUND IN OSTEUROPA – UNDERGROUND HEUTE? Angela Lammert

Underground wurde im historischen Verlauf und in den jeweiligen osteuropäischen Ländern unterschiedlich verstanden und definiert. Der Begriff ist in der Rückschau nicht zu verallgemeinern. Mehr noch: Der Titel der Ausstellung Notes from the Underground, der auf Fjodor Dostojewskis 1864 erschienenen Roman Aufzeichnungen aus dem Kellerloch anspielt, ist in seiner Übertragung auf die Zeit Osteuropas hinter dem Eisernen Vorhang ein Paradox. Ein produktives, das vor Augen führt, was genau zu beschreiben ist: die Funktionsweisen von Distributionssystemen, Deutungsmodellen, Grauzonen und formalen Eigenarten, die das kulturelle Feld von Gegenkulturen (jenseits verbreiteter Klischees vom Underground) bestimmen. Underground in Osteuropa bedeutete nicht zwingend antikom­ munistisch zu sein oder gar Gefängnis – dennoch war das Risiko der Konsequenzen ein anderes, höheres, als es im Allgemeinen im Westen der Fall war. In den abschließenden Kommentaren einer aktuellen Serie zur Underground Music in der englischen Zeitung The Guardian1 werden Jazz, Queer Punk und Broken Electronics von Osteuropa bis zu den USA weniger in ihrer politischen Verwur­zelung als zunehmend in Abgrenzung zum Kommerz diskutiert. „We play music as a way to understand ourselves and the world – we are not products!“ Die Ausgangsfrage ist eher, ob Underground in der Musik noch existiert, wo alles weltweit online sichtbar ist? Aber würde es hier nicht gelten, gerade jetzt die systemkritische Dimension des Undergrounds für die Gegenwart in Erinnerung zu rufen?

Das englische Wort Underground steht für eine nichtkommerzielle Gegenbewegung zu einem etablierten Kunst- und Kulturleben – eine Minderheiten-Kultur in der Gesellschaft, die sich als Gegenstrom zum Mainstream etabliert. Die spätere Integration beraubt den Underground oftmals – was hier auch heißt: immer wieder – seines subversiven Gehalts und reduziert ihn auf rein formaläs­thetische Elemente. Oder er wird zu einem marketingwirksamen Schlagwort ohne die ursprünglichen Inhalte. Existenzielle Impulse und Kommerzialisierungsprozesse sind miteinander verwoben. So führte im 19. Jahrhundert Dostojewskis Roman fast zum Ruin der Zeitschrift seines Bruders, in der er erschien. 1991 – im Jahr nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – verfilmte der amerikanische Regisseur Gary Walkow unter dem Titel Notes from the Underground diesen eine Psychologie der Erniedrigung entwickelnden Text. Notes from the Underground ist auch der Titel des 2013 erschienenen dritten Studioalbums der amerikanischen Rap-Rock-Band Hollywood Undead, das innerhalb einer Woche den zweiten Platz der Billboard-Charts erzielte. Seit 2010 betreibt diese Band ein eigenes Online-Radioprogramm – eine alternative Strategie, die in den vergangenen Jahrzehnten im osteuropäischen Underground enorm an Ausstrahlung gewonnen hat. Ein anderes Beispiel: Eduard W. Limonov, das reale Vorbild des von dem französischen Autor Emmanuel Carrère 2011 publizierten Romans Limonov, kehrte nach seinen Exilstationen Paris und New York 1991 als ehemaliger russischer Dissident, Schriftsteller und Politiker nach Moskau zurück und wurde Mitbegründer der als radikal rechts geltenden Nationalbolschewistischen Partei Russlands – als „autoritärer Querulant und Protestler“, als „natio­ nalistischer (und panslawistischer) Egozentriker mit Diktatoren­ allüren“ 2. Gleichzeitig wird er zum Dissidenten innerhalb der Dissidentenszene. Echte Dissidenz sei auch in den USA unerwünscht – so Limonovs Resümee. Vertreter des Underground wollen bisweilen nicht mit einem solchen Label verbunden werden – es hätte sich

AG. Geige auf dem 3. Internationalen Art Rock Festival, Kongresshalle Frankfurt am Main, 1. März 1991

JOURNAL DER KÜNSTE 06

21


Zorka Ságlová, Bällewerfen (Házení míčů) in den Bořín Teich, Happening in Průhonice, April 1969

schließlich um Notgemeinschaften gehandelt. Freundschaften seien die entscheidende Basis, denn Underground sei nur die andere Seite der Medaille einer staatlich verordneten Kunstpolitik. Innerhalb der aktuellen Kunstszene spielen Off Spaces oder Projekträume, Privatwohnungen oder Zwischennutzungen alternativer Räume eine Rolle. Vorläufer gehen auch hier auf das 19. Jahrhundert, insbesondere in Frankreich, zurück. Als Beispiel sei hier Gustave Courbets 1855 mit hohem finanziellen Aufwand errich­ tetes temporäres Ausstellungsgebäude „Pavillon du Réalisme“ genannt. Ablehnung durch die etablierte Kunstszene gehört zur Vorstellung moderner, avantgardistischer Kunstschaffender und ist nicht erst mit dem Underground unter totalitären Systemen verbunden. Damit würden auch Produktionen der sogenannten Hochkultur eine Art Underground darstellen. Auffallend prominent waren bei der documenta 14 und der Biennale in Venedig 2017 die Themenfelder „Sound“ und „Scores“ vertreten. Die Ausstellungsobjekte reichten von der Rekonstruktion eines historischen Synthesizers und Partituren der aus Jugoslawien stammenden Katalin Ladik über die akustischen Graffiti aus Froschstimmen von Ben Patterson oder das Sound Piece In the Woods There Is A Bird... von Olaf Nicolai in Athen bis zum Kunstwerkcharakter eines elektroakustischen Studios im französischen Pavillon in Venedig, das der Bildhauer Xavier Veilhan mit Lionel Bovier und Christian Marclay eingerichtet hatte und in dem das Publikum die Musikerinnen und Musiker bei ihren Produktionsprozessen beobachten konnte. Wird hier womöglich ein Phänomen, das in den 1970er Jahren in der Szene der bildenden Kunst schon einmal virulent war, als Möglichkeit einer innovativen künstlerischen Ar­tikulation angesichts globaler Konflikte ins Feld geführt? Ist das eine aktuelle Referenz auf das Thema Underground? Das Sound Piece von Olaf Nicolai basiert auf archivierten Klangmaterialien aus Radio­berichten. Als Quellen dienen das Hintergrundrauschen von Demonstrationen, Randale, Kundgebungen, bei denen er die Beziehung von Klang und Inhalt erforscht und aus denen er einen „sound track“ verschiedenartiger Stimmungen generiert. Ein Zufall?

22

Nicolai beschreibt im Rückblick seine künstlerische Prägung durch die 1980er Jahre in der DDR3 – man habe keine Nähe zur autonomen Kultur gesucht, sondern zu Freunden mit ähnlichen Interessen und Leidenschaften. Man fand sich in einer Kunstszene wieder, die als autonom beschrieben wurde. Autonom sei eine Metapher – es sei von Abhängigkeiten neben dem System, anderen sozialen Dynamiken und eher suspekten Ausstiegsmechanismen zu reden. Der ebenfalls aus der DDR stammende Lyriker Bert Papenfuß, der auf andere Weise das Verhältnis von Sprache und Klang bis heute auslotet und reflektiert, schreibt 2004 – fünfzehn Jahre nach der Wende: „Die Freiheit wird nicht kommen, Freiheit wird sich rausgenommen.“4 Es ist ein historisches Kapitel mit aktuellen Fragen: Was erzählen fast dreißig Jahre nach dem Mauerfall Deutungshoheiten und Selbsteinschreibungen in die Kunstgeschichte? Ist der erneute Blick in Geschichte und Kunstpraxis Osteuropas eine weitere Ghettoisierung oder eröffnet er die Chance einer notwendigen Vermittlung von zu wenig Bekanntem und Unbekanntem? Was überhaupt ist Underground und wird von wem und wann als solcher verstanden? Wie transferiert er sich in die Gegenwart? Kann man den Rollen einer Notgemeinschaft entrinnen? Wie ist das Verhältnis von Grenzüberschreitungen und Grauzonen? Haben sich Abhängigkeiten, Unzufriedenheit und Nischen nur verschoben? Welche Formen von Renitenz sind neu zu erinnern? „Anarchie ist machbar, Frau Nachbar! […] Aber nicht auf hoher See.“ 5 1  Ben Beaumont-Thomas, „Final instalment of our underground music series“, The Guardian, 6.12.2017, online https:// www.theguardian.com/music/2017/dec/06/from-bush-doofto-clowncore-your-favourite-underground-music-scenes. 2  Bert Papenfuß, Ur-Rumbalotte. Opera Semiseria für Großes Besteck, Berlin 2017, S. 89. 3  Olaf Nicolai, „Der Konzeptkünstler Olaf Nicolai spricht von einer Abhängigkeit der autonomen Kunstszene vom damaligen gesamtgesellschaftlichen und politischen System“, in: Uta Grundmann, Die Herausbildung der alternativen Kunstszene in der DDR (Dossier Autonome Kunst in der DDR), online: http:// www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/autonomekunst-in-der-ddr/55785/die-herausbildung-einer-alternativen-kunstszene. 4 Papenfuß, Ur-Rumbalotte, S. 302. 5  Papenfuß, „Graffito 1978 in Ottensee“, in: Ebd., S. 15.

ANGELA LAMMERT ist Leiterin interdisziplinärer Sonderprojekte der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste in Berlin und Privatdozentin am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin.


Kaarel Kurismaa, Dripping Sounds, 1975, Klangobjekt, 103 × 103 × 58 cm


NOTIZEN ZUM UNDERGROUND IM WESTEN Birgit Hein

Als der Begriff „Underground-Film“ Ende der 1950er Jahre in Anfang 1968 wurde in Köln von Filmemachern und Filmjournalisten Amerika aufkam, bezog man sich auf Filme, die kein Vertriebs- die Gruppe XSCREEN gegründet. Als eine der ersten Organisationen system gefunden hatten, weil sie außerhalb des kommerziellen in Deutschland für Veranstaltungen der Subkultur brachten sie den Produktionssystems entstanden waren. Dabei ging es um die Werke internationalen Underground-Film ins Kino. Dazu gehörten auch der Filmemacher, die bereits in den 1940er Jahren mit ihren 16-mm- politische Dokumentarfilme, wie die Anti-Vietnamkriegs-Filme, die Filmen die Trennung von den Strukturen des Hollywood-Kinos voll- im offiziellen Kino keine Chance hatten. Die konsequente Missachzogen hatten, um ihre eigenen persönlichen Filme zu machen, und tung sexueller und politischer Zensur begeisterte das Publikum, die sich 1960 zur Bewegung des New American Cinema zusammen- führte aber bald zum Konflikt mit der Staatsanwaltschaft. geschlossen hatten. Sie wollten die filmischen Gestaltungsmittel „Kaum ein Ereignis der jüngeren Kulturgeschichte Kölns dürfte erweitern und inhaltliche und visuelle Tabus durchbrechen, vor mehr Wirbel verursacht haben als die Veranstaltung ‚Underground allem die Sexualität betreffend, die der Zensur der mächtigen Explosion’ der Gruppe XSCREEN (Kölner Studio für unabhängiFilmindustrie unterlagen. gen Film). Dieses multimediale ‚Environment‘ fand, parallel zum Das erste große freie erotische Werk des New American zweiten Kölner Kunstmarkt, im Rohbau des U-Bahnhofs Neumarkt Cinema war der Film Flaming Creatures (1962/1963), in dem der statt; gefördert vom Kulturdezernenten Kurt Hackenberg, wurde amerikanische Performancekünstler Jack Smith eine Transvestiten- die Veranstaltung Zielscheibe eines beispiellosen PolizeieinsatOrgie schilderte. Der Film wurde verboten und denjenigen, die ihn zes. Die überzogenen Maßnahmen der Ordnungshüter im Verein zeigen wollten, wurden Gefängnisstrafen angedroht. Mit Flaming mit den spontanen Widerstands- und Protestformen, die sich daran Creatures begann der Mythos des Underground, des Verbotenen, anschlossen, spiegeln repräsentativ das gesellschaftliche Klima Sexuellen zu wachsen, der allmählich immer mehr Zuschauer jener Tage, die Verzahnung von Aktions- und Reaktionsmustern.“2 anzog, obwohl (oder gerade weil) er von der etablierten Filmkritik Gegen Ende der 1970er Jahre endete die Avantgarde-Bewegung verrissen wurde. des formalen und strukturellen Films im Kunstbereich. Inzwischen In Europa setzte die Bewegung des Avantgarde- und Under- gab es die Kommunalen und Programm-Kinos zur Verbreitung der ground-Films unter dem Einfluss des New American Cinema erst historischen und zeitgenössischen Filmkultur. Mitte der 1960er Jahre ein. Viele der Filmemacher kamen von der Im Zusammenhang mit dem Punk beginnt um 1977 die Super-8bildenden Kunst zum Film, den sie als neues bildnerisches Medium Bewegung einer jüngeren Generation, die Filme, Live-Musik und entdeckten. Schon deshalb besteht eine enge Beziehung zur Kunst- Performance verbindet. An Orten wie New York und West-Berlin entwicklung der 1960er Jahre, die dabei jedoch weniger an die Ästhe- entsteht eine neue internationale Szene in Clubs, Bars und altertik der immer populärer werdenden Pop-Art als an die radikalere nativen Zentren. Antikunst des Fluxus anknüpfte. Unter dem Einfluss von Fluxus entMitte der 1980er Jahre lebt der Underground-Film in der stand in Europa und den USA fast gleichzeitig die Bewegung des Tradition der 1960er Jahre in New York noch einmal auf mit den strukturellen Films, der ihn auf seine grundlegenden Eigenschaften auf Schock, Provokation und Konfrontation angelegten Super-8reduzierte wie Material, Lichtprojektion, Zeit- und Wahrnehmungs- Filmen des „Cinema of Transgression“. Im Underground sind sie gesetze, um Film als künstlerisches Medium neu zu etablieren. aber nicht mehr wegen der Zensur, sondern wegen der immer noch „Unter dieser neuen Art von Film ist weit mehr zu verstehen, begrenzten Vorführmöglichkeiten. Als Mitte der 1990er Jahre die als der Begriff Underground in seiner heutigen und ursprünglichen Übertragung von Super-8-Film über Video auf DVD möglich wird, Bedeutung umfasst. Seine Entwicklung außerhalb des kommerzi- erhalten sie internationalen Kultstatus. Underground ist schon ellen Systems beruht vor allem darauf, dass es sich hier um per- lange Subkultur. sönliche Äußerungen handelt, ähnlich wie bei Werken der bilden1  Birgit Hein, Film im Underground, Berlin 1971. den Kunst, die alle Freiheit beanspruchen und nur in völliger 2  Enno Stahl, „Kulturkampf in Köln, die XSCREEN-AFFÄRE 1968“, Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte 22 (2007), Unabhängigkeit entstehen können. Die Definition als persönlicher S. 177–200. Film beinhaltet zugleich die ungeheure Vielfalt von Filmformen, für die bis jetzt noch kein zusammenfassender Begriff gefunden worBIRGIT HEIN, Filmemacherin und Filmwissenschaftlerin, ist den ist. Alle bisher gebräuchlichen Bezeichnungen wie avantgarde, seit 2007 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion experimental, underground, unabhängig, das andere Kino sind Bildende Kunst. Seit 2012 ist sie Stellvertretende Direktorin unzureichend.“1 der Sektion.

24


XSCREEN 'Underground Explosion' 20.10.1968 im U-Bahnhof Neumarkt



MEIN NACHMITTAG MIT

SILVIA BOVENSCHEN Julia Baier

Es war ein gewöhnlicher Montag und ich war unterwegs zu Silvia Bovenschen. Es war nicht klar, dass die folgende Begegnung im Nachhinein enorm an Bedeutung gewinnen würde. Als Fotografin wirst du über die Jahre eine Spezialistin der flüchtigen Begegnungen. Wenn du es schaffst, kommst du für einen kurzen Moment einer fremden Person sehr nahe. Du versuchst trotz der Kürze der Zeit zu deinem Gegenüber eine Verbindung aufzubauen, das Fotografieren passiert dann oft eher nebenbei. Und genau so ist es an diesem Montag auch. Ich finde mich neben dem ausgeklappten Sofa von Silvia Bovenschen wieder. Sie lässt mich ohne Scheu gleich in ihren privaten Raum, lädt mich ein, neben ihr Platz zu nehmen. Sie versteckt nicht die Zigaretten, Fernbedienungen und Tabletten, die schön aufgereiht neben ihr liegen. Sie sitzt adrett bis auf die Schuhe gekleidet, mit ausgestreckten Beinen und überrascht mich mit ihrer Klarheit. Wir kommen gleich ins Gespräch, ich erzähle von meiner Erfahrung aus Studienzeiten als Assistentin bei einer an Multipler Sklerose leidenden Frau und wir reden über die Tücken dieser Krankheit. Rund 50 Jahre lang lebe sie schon mit MS. Beiläufig erwähnt sie, was es für ein Wunder sei, dass sie trotz all ihrer durchgestandenen Krankheiten noch am Leben sei. Mir fallen ihre leuchtend lebendigen, blauen Augen und ihre rauchige Stimme auf. Und der Schalk, der ihr die ganze Zeit im Nacken sitzt (den ich später beim Lesen ihrer Bücher wiederfinde).

JOURNAL DER KÜNSTE 06

Diese zierliche Frau hat etwas Beeindruckendes. Offensichtlich hat sie trotz ihrer Krankheitsgeschichte nie die Regie über ihr Leben abgegeben, hat sich etwas sehr Positives bewahrt. Wir erinnern uns daran, dass ich ja zum Fotografieren gekommen bin. Sie ruft ihre Pflegerin zu sich: „Wie sehe ich aus? Ist der Kragen am richtigen Platz? Und meine Haare?“ Ich mag die Art, wie sie die Frau zu Rate zieht – respektvoll und fordernd. Wir machen die Bilder, mit und ohne Zigarette. – „Wer soll mir denn das jetzt noch verbieten, wo es doch sowieso jeden Moment zu Ende sein kann?!“ Irgendwann gesellt sich ihre Lebensgefährtin Sarah Schumann dazu. Und es entspinnt sich ein Gespräch unter vier Frauen unterschiedlichen Alters über Fotografie, Musik usw. Ich fühle mich wie in einem kulturellen Salon, umgeben von den wunderbaren, figürlichen Gemälden von Sarah Schumann an den Wänden. Sie sind auch sehr interessiert an meiner Arbeit, ich erzähle von meiner bevorstehenden Tourneebegleitung der Deutschen Kammer­ philharmonie Bremen nach China und meinen Büchern. Silvia bestellt eines und Sarah drückt mir gleich das Geld in die Hand. Ich verabschiede mich und gehe. Fast zwei Stunden sind wie im Flug vergangen. Ein paar Tage später bringe ich noch schnell vor dem Abflug das signierte Buch zur Post. „Gerade kam auf 3sat, dass Silvia Bovenschen gestorben ist.“ Diese Nachricht erreicht mich ein paar Tage später in Schanghai. Gerade mal zwei Wochen ist unser Treffen her. Zurück aus China klingelt bei mir das Telefon. Es ist Sarah Schumann. Sie solle mir von Silvia ausrichten, ich sei eine großartige Fotografin. Sie hätten sich mein Buch noch gemeinsam angesehen. Und sie könne sich dem nur anschließen. Es ist eine tiefe Dankbarkeit, die ich verspüre. Dankbarkeit für die flüchtigen und doch so intensiven Begegnungen, die mir mein Leben als Fotografin beschert. Und dafür, dass ich die Letzte sein durfte, die ein Porträt von dieser so klugen und sympathischen Frau gemacht hat. Die Fotografien entstanden im Kontext eines Interviews, das Silvia Bovenschen kurz vor ihrem Tod der taz gab. Das Interview erschien am 28. Oktober 2017.

JULIA BAIER lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte erst Psychologie und Romanistik, später Fotografie an der Hochschule für Künste Bremen. Seit 1998 ist sie als freischaffende Fotografin tätig. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, durch Stipendien gefördert, und in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen gezeigt. Sie hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht: Sento (2008), Water Matters (2013) und In Tune – Variations on an Orchestra (2015).

27


Zwei kurze Auszüge, ausgewählt von Ingo Schulze und Kathrin Röggla

FREUNDSCHAFT

VERSÄUMNISSE Einmal fragte mich jemand, ob ich glaube, in meinem Leben etwas versäumt zu haben. Ich war erstaunt, daß mir gar nicht so viel einfiel. Ich gab die Frage an meine Freundin S. Sch. weiter. Sie überlegte lange. Ich wartete auf eine dramatische Antwort. Dann sagte sie: »Ich bin nicht Motorrad gefahren.« Mir fällt auch noch etwas ein: Ich konnte nie auf zwei Fingern pfeifen. Silvia Bovenschen, Älter werden. Notizen, S. Fischer, Frankfurt am Main 2006

28

Freundschaft ist auch eine Form. Sie ist alles andere als regellos. Davon haben die Alten viel verstanden. Aristoteles spricht im Zusammenhang mit der Freundschaft von etwas Schöpferischem, Kunstvollem. Kierkegaard suchte allerdings das ästhetische Moment zugunsten einer ethischen Verpflichtung in seine Schranken zu verweisen. Gleichwohl müssen Temperierungen, Beschleunigungen und Distanzierungen absichtslos und intuitiv genau balanciert werden … Wenn heute ernsthafte Menschen von der Freundschaft sprechen, scheint die Freundschaft auf der Basis ungebremster Sympathie einen Katalog höchst altmo­discher Tugenden vorauszusetzen: Loyalität, Großmut, Wahrhaftigkeit, Treue, Ehrbarkeit, Toleranz – aber auch Diskretion, Respekt, Distanz, Unabhängigkeit, Takt, Geschmack (der Katalog ist erweiterungsfähig). … Wenn Montaigne davon träumt, „dass es in der Freundschaft kein Geschäft noch Anliegen gibt als sie selbst“, wenn uns dagegen der skeptische Gracián die Kunst lehrt, seine „Freunde zu nutzen“, und wenn Schopenhauer sogar von der Freundschaft zu Tieren als der einzigen, die frei von Verstellungen ist, spricht, so sind dies keine bloßen Gegensätze, es sind Drehungen des großen Tanzes. Möglichkeiten, die ineinandergreifen, die nicht in ihrer jeweiligen Verabsolutierung, sondern in ihrer wechselseitigen Bedingtheit die Signatur der Freundschaft ausmachen … Sie hat immer eine Geschichte. Diese Geschichte ist immer eine der Bewährungen. Freundschaft kennt kein an ihr Ende projiziertes Erfüllungsmoment, kein allgemeines Ziel, keine orgiastischen Höhepunkte, keine ekstatischen Sensationen, die wie in der Liebe die Zeit stillzulegen scheinen. Im Älterwerden der Freunde und Freundinnen reflektiert sich die eigene, die biographische Zeit. Auszug aus Silvia Bovenschen, „Vom Tanz der Gedanken und Gefühle“, in: dies., Schlimmer machen schlimmer lachen, Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1998


JOURNAL DER KÜNSTE 06

29


ZIVILE PRÄAMBEL

Grundlegende Richtlinien einer „gendergerechten Sprache“ als Handreichung für die Akademie zu erarbeiten, diese Initiative ging von der Gleichstellungsbeauftragten aus und sollte von Senat und Geschäftsführung beschlossen werden. Die Sektion Literatur hatte sich in ihrer Sektionssitzung damit befasst und eine Arbeitsgruppe gebildet, um dem Senat ein Grundlagenpapier vorzulegen. Dass diese Aufgabe nicht leicht sein würde, auch angesichts einer aufgeladenen Debatte, war klar. Es ist ein Widerspruch in sich, Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die dem sprachlichen Pluralismus zugeneigt sind und eben nicht der Festlegung von Äußerungsformen, zu Direktiven zu bewegen. Folgendes Papier ist nach mehreren Sitzungen entstanden, es ist mehr ein gedanklicher Impulsgeber, ein Wegweiser, ein Einspruch gegen die vielleicht zu oberflächlichen Lösungen, in der Hoffnung auf eine nachhaltige und umsichtige Debatte, die in der Akademie fortgeführt wird.

ZUM VERSUCH DER ENTIDEOLOGISIERUNG DER GENDERSPRACHDEBATTE

1  Sprachlicher Umgang zwischen Menschen sollte getragen sein von Respekt, im Idealfall von Höflichkeit. Das schließt ein den Respekt vor dem wichtigsten menschlichen Verständigungsmittel, der Sprache.

2  Auf neue Komplexitäten und die Notwendigkeit, ältere sprachliche Patriarchalismen zu vermeiden, kann auch die deutsche Sprache flexibel reagieren. Ihr Reichtum erlaubt es, niemanden zu dis­ kriminieren, weder Individuen noch Menschengruppen, weder im mündlichen noch im schriftlichen Sprachgebrauch. Auch geschlechtergerechte Sprache erfordert sprachliche Sensibilität.

3  Wer darüber hinaus die Sprache durch neue Wortbildungen, Partizipialkonstruktionen und Genusmanipulationen mit dem Anspruch auf mehr Gerechtigkeit verändern und normieren will, ist sich meist nicht im Klaren darüber, welche neuen Missverständnisse damit produziert werden und wie einzelne Veränderungen systemische Auswirkungen auf das Sprachgefüge haben.

4  Technizistische Eingriffe in die Sprache widersprechen deren grundsätzlich inkonsequenter und vielfach alogischer Beschaffenheit. Zu einer gerechten Form der Repräsentation gehört das persönliche Moment, das nicht in Statuten dargestellt werden kann. Verständigung hat einen persönlichen, unberechenbaren Faktor – die Idee, man könne eine schwierige Sachlage per Sprachregelung ein für alle Mal lösen, ist eine Illusion. Alle Versuche, der Sprache ihre immanente Mehrdeutigkeit auszutreiben und sie mit der Vorgabe

30


einer geschlechtergerechten Differenzierung zu verordneter Einsinnigkeit zu zwingen, führen zu Verarmung. Jede verordnete Sprache widerspricht dem Geist sprachlicher Freiheit und trägt Züge des Bürokratischen. Auch wenn die Bürokratie ein Recht auf Schubladendenken in Anspruch nimmt, darf sie sich nicht anmaßen, ihre Sprachregelungen der Gesellschaft aufzuzwingen.

5  Respekt vor den Menschen wird derzeit gern verwechselt mit Anerkennung von „Identität“. Dabei hat jeder Mensch ein Vielfaches an Identitäten (Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Herkunft, Bildung, Religion, Arbeit, Alter, politische Orientierung usw.), wovon einige erfreulicherweise variabel sind. Eine Identität, die auf Formeln zu bringen wäre, gibt es nicht. „Identität fängt da an, wo man zu fragen aufhört“, hat Philip Roth einmal gesagt. Identitäres Denken und identitäre Zuschreibungen negieren die Vielfalt des Einzelnen und führen zu Ideologie und Rassismus, können jedenfalls kein Maßstab für Sprachgerechtigkeit sein. Im vorauseilenden Gehorsam Pluralwörter mit Unterstrichen, Sternchen oder anderen Binnenzeichen zu zerhacken, um niemanden zu verletzen, geschieht häufig aus solcher Ideologisierung einer einzigen Identität. Es gilt, den heterogenen Zug, der jeder Pluralbildung zu eigen ist, stärker zu verdeutlichen. Auch der grammatische Plural bringt nicht immer eine Summe von Gleichen hervor, sondern versammelt unterschiedliche Elemente, die damit nicht mehr im Einzelnen genannt werden müssen, und ab einer gewissen Anzahl auch nicht mehr genannt werden können. Das darf allerdings nicht über die Unterschiedlichkeit der Elemente, aus denen sich der Plural zusammensetzt, hinwegtäuschen. Angesichts der üblichen Vereinfachungen (die Muslime, die Frauen, die Deutschen) besteht die Aufgabe darin, den Plural nicht als gleichförmig zu denken, sondern als Menge von Differenz.

6  Die Vorstellung, ungelöste gesellschaftliche Probleme durch Sprachnormierungen antizipatorisch lösen zu können, ist ebenfalls eine verbreitete Illusion. Vier Beispiele: •  Diese Gesellschaft ist nicht imstande, Frauen in gleicher Weise zu bezahlen, zu berenten und zu behandeln wie Männer; sie setzt offenbar mehr Energie in die sprachkosmetische Normierungsarbeit als in die politische Bekämpfung dieser Missstände. •  Diese Gesellschaft ist nicht imstande, Schülerinnen und Schülern ausreichende Orthografie- und Grammatikkenntnisse beizubringen, ihnen die Basis eines guten Deutschunterrichts zu geben und Sprachsensibilität zu vermitteln; zugleich verlangt sie absolute Korrektheit in Details der Gendersprache. •  Unsere Einwanderungsgesellschaft ist nicht imstande, ein Einwanderungsgesetz zu beschließen und Ausländer auf vernünftige Weise zu Inländern zu machen, stattdessen werden die Zugewanderten von Sprachpolizisten vereinnahmt, die

JOURNAL DER KÜNSTE 06

schon Journalisten dazu bringen, die Flüchtlinge zu diskri­ minieren: Wer vor Krieg, Mord, Vergewaltigung, Vertreibung, Gewalt fliehen musste, wird als „Geflüchteter“ in einen sprachlichen Topf geworfen mit denen, die vor einem Gewitter, einem Termin oder einem Hund flüchten. •  Und ein viertes Beispiel: Berlin ist nicht imstande, für eine effiziente Verwaltung zu sorgen, aber dieser Verwaltung werden die fragwürdigsten Sprachregelungen aufoktroyiert.

7  Wir gehen davon aus, dass es den meisten Sprechern und Spreche­ r­innen nicht darum geht, ihr Gegenüber zu verletzen. Sprachliche Sensibilität, eine gewisse Umsicht und Lernbereitschaft können dabei helfen, gedankenlose Verletzungen des Anderen zu vermeiden. Jeder Sprachgebrauch bleibt Gegenstand der Deutung, und in einer lebendigen Sprache ist ausreichend Raum sowohl für Präzision als auch für Mehrdeutigkeit.

8 •  W er glaubt, davon absehen zu müssen, dass das grammatische Geschlecht nicht mit dem biologischen Geschlecht identisch ist, der sollte die entsprechenden Wörter, etwa bei Berufsbezeichnungen, jeweils ausschreiben und durch die Konjunktion „und“ miteinander verbinden. Allerdings zeigt sich am Beispiel der Satzung der Akademie, wie aufgebläht ein Text durch dieses Verfahren wird; so legt sich in rechtlich relevanten Texten der grundsätzliche Hinweis nahe, dass das grammatische Geschlecht solcher Wörter stets beide biologischen Geschlechter meint und umfasst. •  Oft kann die Antwort auf die Frage, wer konkret gemeint ist, eine sprachliche Handreichung geben, sowohl bei Gruppen wie bei Einzelnen. •  Statt behördlichen Empfehlungen oder den vielfach irreführenden Vorschlägen des „Genderwörterbuchs“ zu folgen, empfehlen wir, den Reichtum der Sprache mit Bedacht auszuschöpfen. Diese Ratschläge scheinen uns besser als die bequemen und bürokratischen Sternchen, Binnen-Is, Schräg- oder Unterstriche, die nicht gesprochen werden können und in der orthografischen Praxis einer Akademie der Künste zu vermeiden sind. Sie sind respektlos gegenüber Leserinnen und Lesern und untergraben das Sprachgefühl.

Arbeitsgruppe zum Thema „Gender und Sprache“ der Sektion Literatur (Friedrich Christian Delius, Friedrich Dieckmann, Jörg Feßmann, Monika Rinck, Kathrin Röggla, Matthias Weichelt), 10. Januar 2018

31


JUNGE AKADEMIE

GRAZ–BERLIN. Fiston Mwanza Mujila

EILIGE NOTIZEN

Wir trennen uns nicht mehr, seit wir uns kennengelernt haben. Wir sind wider unseren Willen zu Fingern einer selben Hand geworden. Soweit unsere Verpflichtungen es uns erlauben, bemühen wir uns also, uns zu treffen, möglichst am Wochenende. Auf der Speisekarte: Geschwafel über Kunst und Poesie, Plaudereien ohne Hand und Fuß, eine improvisierte Filmvorführung, Spaziergänge durch Berlin, ein auf der Terrasse geschlürfter Kaffee oder Saft … Yiran (Zhao), von ihrem Status Komponistin, ebenso wie Benjamin (Stölzel), haben sich entschlossen, ihr Aufenthaltsstipendium gleichzeitig mit mir zu absolvieren. Die erstere, angereist aus Linz, residiert wie ich in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, der letztere, wohnhaft in Bayern, genauer gesagt in München, logiert in Kreuzberg in einem weiteren Atelier der Akademie der Künste. Die Inspiration und ihre Anforderungen Der Tagesablauf gestaltet sich unterschiedlich. Jeder hat seine Weise, sich die Zeit einzuteilen. Dennoch muss ich gestehen, dass ich Yiran bewundere. Sie ist in der Lage, den Tag zur Gänze in ihrem Atelier zu verbringen, wenn sie komponiert oder eine Klanginstallation testet. Oft ertappe ich mich dabei, über ihre Art zu komponieren zu grübeln. Ich sage mir, dass ich, wäre ich Komponist, das Räderwerk der Sache überblicken und es mir vielleicht ersparen könnte, ihr Fragen zu stellen, die immer gleichen, bezüglich ihres Arbeitsrhythmus – wobei

32

Rhythmus nicht der ideale Ausdruck ist, ich würde sagen, ihres Tempos. Unter Komposition begreife ich den Akt, ein Werk zu produzieren, jedoch auch die Verfassung, in der sich der Schaffende befindet, das Dekor, das Tasten (des Werkzeugs, soweit es den Bildhauer betrifft), die unvermittelte oder jähe Inspiration, die den Künstler aus einer langen Blockade erlöst. Meine kreative Geste liegt, seit ich in Berlin bin, am anderen Ende jener meiner Kollegin. Zurzeit entwerfe ich ein Stück. Alle zwei Minuten flüchte ich aus meiner Wohnung. Alles spielt sich ab, als verließen die Figuren des Theaterstücks die Seiten, drängten sich in meine Räume und forderten mich auf, ihnen zu essen und trinken zu besorgen. Nebenbei gesagt, ich esse viel während des Schreibens. Es ist gut möglich, dass auch meine Figuren sich an der Völlerei beteiligen. Eins jedoch steht fest, sie leben mit in meiner Bude, überfallen mich, rauben mir den Atem … Woraus der Drang resultiert, mich im Gegensatz zu Yiran hinauszubegeben in den Tiergarten, um mir – und meinen Figuren – die Beine zu vertreten. Vor zwei Tagen unterhielt ich mich länger mit ihr. Sie wollte sich von meiner Stimme inspirieren lassen, um ein „Musik“-Stück zu entwickeln. Ich setze dieses Wort in Anführungszeichen, da ihre Arbeit in formaler Hinsicht auf Transgression zielt. Yiran ließ mich wissen, dass diese Idee auf das PLENUM zurückging, als sie mich meine Texte deklamieren sah. Sie entdeckte meine Lyrik, ich wurde zu einem Teil des Mysteriums ihrer Vorstellungswelt.


EINES SCHREIBAUFENTHALTES Makutano oder der Ort aller Hoffnungen Wenn ich mir die Aktivitäten des PLENUMS ins Gedächtnis rufe, fällt mir sofort der suahelische Begriff MAKUTANO ein. Dieses Wort bedeutet Begegnungsort oder, um genauer zu sein, Raum, wo Menschen anderen Menschen begegnen. Und im weiteren Sinne, Ort des Wissens, der Wissenschaft, des Teilens, des Respekts und vor allem des Zuhörens, da er voraussetzt, dass, wenn jemand seine Meinung kundtut, die anderen warten, sich gedulden, zuhören … In Afrika war die Praxis des MAKUTANO in zahlreichen Stammesgesellschaften verbreitet. Das PLENUM ist, meiner bescheidenen Meinung nach, eine Variante des MAKUTANO. Seit 2007 gewährt die Akademie der Künste, Berlin, jungen internationalen Künstlern ein Aufenthaltsstipendium im Rahmen des Programms JUNGE AKADEMIE. Jedes Jahr schlagen je zwei Mitglieder jeder Sektion – die Akademie verfügt über deren sechs, darunter die Literatur – ihren Kollegen zwei Künstler vor. Die zwölf ausgewählten Künstler werden vor dem eigentlichen Aufenthalt nach Berlin ins PLENUM eingeladen, eine Art Generalversammlung, um jedem die Gelegenheit zu geben, sein Werk sowie seine laufenden Projekte zu präsentieren. Meine Kandidatur wurde durch Aleš Šteger von der Sektion Literatur der Akademie der Künste vorgestellt. Aleš hatte mich vor einigen Jahren zu seinem Poesiefestival nach Ptuj eingeladen. Er fungiert also als Pate. In meinem Falle widerfuhr mir zusätzlich zu Aleš das Glück, seitens des PLENUMS durch einen zweiten Mentor begleitet zu werden, Thomas Lehr, ebenfalls von der Akademie der Künste, ansässig in Berlin, von dem ich soeben die Lektüre seines jüngsten Romans Schlafende Sonne abgeschlossen habe. Jede künstlerische Disziplin sollte ein mit vielen Fenstern versehenes Haus sein. Diese letzteren erlauben es der Luft, zwischen Innen und Außen hin und her zu zirkulieren, verbinden den Bereich des Privaten mit dem des Öffentlichen. Dazu kommt mir ein Ausspruch Ciceros in den Sinn, den ich in meiner Kindheit vernahm, gemäß welchem alle die Allgemeinbildung betreffenden Disziplinen miteinander verbunden sind und verbunden in einer Art Verwandtschaftsverhältnis. Das PLENUM hat das Verdienst, den schöpferischen Akt aus der ihn umgebenden Einsamkeit herauszuholen. Dort gab es sie, diese Fenster und Türen zur Arbeit meiner Kollegen aus der JUNGEN AKADEMIE. So habe ich das Kino von Ines (Thomsen) entdeckt, die die Thematik der Einsamkeit, des Exils und der Erinnerung erforscht und deren Figuren so anrührend sind, dass sie uns noch monatelang im Kopf bleiben. Die Kamera von Nikias (Cgryssos) ihrerseits erforscht das Schlechte in uns. Mit schwarzem Humor, gepaart mit Sarkasmus, richtet er einen eisigen Blick auf die menschliche Natur. Der Mensch, da er es ist, um den es geht, befindet sich ebenfalls im Zentrum des künstlerischen Wirkens von Akram (Assam), einem jungen Regisseur aus Bagdad. Die Kraft seiner Arbeit liegt auch darin: Er versucht nicht, Anteilnahme oder Mitleid auf sich zu ziehen, sondern wirft die Welt auf ihr eigenes Bild zurück. Sein Werk ist ein Gesang, ein langer Gesang der Hoffnung. Von Akram

JOURNAL DER KÜNSTE 06

zu Isabel (Zintl), Architektin und Lehrbeauftragte in Stuttgart, ist es nur ein Schritt. Utopie des Wünschens und der Hoffnung, richtet sich das Projekt „Vertical Open Space“ auf die Domestizierung und Aneignung des Luftraums. Als in der deutschen Hauptstadt ansässiger Architekt erforscht Martin (Hakiel) unter anderem die Mechanismen der Macht und des Sinns von Geschichte bei der Errichtung öffentlicher Bauten. Arturo (Domínguez Lugo), in dessen Thematik ich mich wiederfinde, inszeniert den nackten Körper. In seiner Technik offenbart sich so etwas wie eine Art Fenstersturz und die Auffaltung dieses Körpers: der Körper als Ware, der Körper als Objekt, der Körper als Raum des Widerstands, der Körper als Gedächtnis, kolonisierter Körper, versklavter Körper, zerstückelter Körper … Dekonstruktion als Poesie des Möglichen, so könnte ich das Vorgehen von Lucía (Simón Medina) zusammenfassen, die sich an der Kreuzung künstlerischer Verfahren befindet und, in klarer Konsequenz, sowohl Logik und Mathematik als auch die Sprache und die Musik aufruft. Die Musik von Hakan Ulus, türkisch-deutscher Komponist, richtet sich auf Spiritualität durch Referenz an den Koran, aber auch entsprechend seinem Verständnis von Kunst. Für ihn bedeutet Komponieren oder Schöpferischsein eine spirituelle Suche, ein Gespräch zwischen dem Künstler und den „höheren Mächten“. Dank dem PLENUM erhielt ich außerdem die Gelegenheit, das Universum von Dénes Krusovszky zu entdecken, einem Dichter meiner Generation. Nun werde ich mich mit einigen weiteren Zeilen Yiran und Benjamin zuwenden, die ich seit meiner Ankunft in Berlin regelmäßig treffe. Entkörperte Anatomie oder die Macht des Wortes Bei der Betrachtung – ich analysiere es nicht, ich warte, dass das Werk zu mir spricht, ein Bewusstsein in mir weckt, mich befragt, meinen Bauch durchrüttelt – einer Skulptur von Benjamin, zwei unerwartbar verbundene Wörter und ich weiß nicht welches Motiv gehen mir durch den Kopf: Anatomie und Sprache. Bezogen auf die Sprache würde ich sagen, er ist ein solarer Poet. Ein Poet des Lichts. Ein Poet der in der tropischen Sonne (jua auf Suaheli) explodierenden Morgendämmerung. Seine Skulpturen sind Wörter. Seine Skulpturen sind ein Alphabet. Seine Skulpturen sind eine Sprache. Jede von ihnen erzählt, spricht, kolportiert oder (je nachdem) listet Geschichten auf, die, oft in sukzessiven Wellen, das Vergessen und den Verlust transportieren. Um mich begreiflich zu machen: Der Künstler arbeitet – zumindest in den Werken, die ich sah – mit recycelten, aufgesammelten oder zer­ fallenden Materialien. Und nach ihrem Maßstab erschafft er als solarer Poet, als Poet der in der tropischen Sonne explodierenden Morgendämmerung, eine (zuweilen gewundene) Sprache, um die Welt zu sagen. Zur Anatomie könnte ich Folgendes äußern: Die Skulpturen organisieren sich wie Körper. Sie sind Körper oder sehen so aus, zerstückelte oder zerfetzte Körper, die der solare Poet flickt, ausbessert, zusammensetzt zum Heile der Welt hienieden. Ästhetik des plötzlichen Erscheinens? Was ich mit Exaktheit weiß: dass seine

IN BERLIN Skulpturen einen latenten Konflikt oder zumindest einen Dialog auf Augenhöhe mit dem Raum unterhalten, in den sie sich einfügen, und dass sie bei jedem Wechsel des Raums – so wie die Hoffnung – andere Utopien aufzeigen. Ästhetik des plötzlichen Erscheinens? Stimmen und Dinge oder die Ritualisierung der Poetik der Zeichen Komponistin? Zu Beginn sah ich (ohne lang zu überlegen) Yiran als Komponistin, bis zu dem Tag, an dem ich anfing, mit ihr über ihre Arbeit zu diskutieren, ihr Werk zu sehen und zu hören, das den Raum musikalischer Komposition (bis zum Exzess) erforscht, in Frage stellt (ohne jedoch zu behaupten, adäquate Lösungen zu liefern), ihn sprengt. Sie verwendet und (bisweilen) zweckentfremdet Musikinstrumente, das heißt, sie kann aus ihnen andere (nicht vorgesehene) Klänge, neue Hoffnungen herauslocken, neue Klänge erzeugen, ausgehend von anderen Gegenständen. Dazu kommen bei einer Komposition die Stille, das Licht, die visuellen Künste, performative und mediale Elemente. Yáo yè, an dem Yiran zurzeit arbeitet, ist eine Serie von Installationen und/oder Performances, aus­ gehend von u. a. hängenden Objekten. Der Terminus 摇 (yáo) 曳 (yè) ist ein sehr poetisches chinesisches Wort, das „sanft schwingen“ bedeutet und den Blick auf im Wind sanft schwingende Dinge beschreibt. Ton und Licht sind Teil der (alternativen) Anordnung neuer Möglichkeiten, die Welt einzufangen. Der Körper, der Quelle von Energie ist, spielt eine maßgebliche Rolle und tritt nacheinander als visuelles wie als akustisches Objekt in Erscheinung. Diese Sakralisierung oder Ritualisierung mündet in Performances und Installationen, deren Feld sich zeitlicher und räumlicher Anordnung widersetzt. Wie bei Benjamin lässt sich das Werk nicht fixieren, es öffnet tausend Horizonte aus Träumen, Utopien, Prophetien und Hoffnung. Der Vorzug eines Aufenthaltsstipendiums an einem interdisziplinären Ort ist, dass es die Freundschaft und Zusammenarbeit mit anderen Künstlern fördert. Yiran ist entschlossen, ein Projekt mit mir zu realisieren. Eines Tages werde ich, vielleicht, Gedichte in Resonanz mit Benjamins Skulpturen ausrichten. Wer weiß? Aus dem Französischen von Leopold von Verschuer

FISTON MWANZA MUJILA, geboren 1981 in Lubumbashi/ Demokratische Republik Kongo, lebt in Graz, wo er bereits 2009/2010 Stadtschreiber war. Er schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke und unterrichtet afrikanische Literatur an der Universität Graz. Tram 83 (Zsolnay, 2016) ist sein erster Roman, für den er bereits zahlreiche Preise erhielt, u. a. den Internationalen Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt 2017. Er gehörte 2017 zu den Stipen­d iaten der JUNGEN AKADEMIE.

33


JUNGE AKADEMIE

STIPENDIATEN

RAMY AL-ASHEQ Ramy Al-Asheq (* 1989) ist ein syrisch-palästinensischer Lyriker, Schriftsteller und Journalist, der seit drei Jahren in Deutschland lebt. 2014 erschien sein erster Lyrikband in Jordanien: ‫„( مالحألا ىلع ا ًريس‬Walking on Dreams“), dem im Herbst 2016 seine Erzählungen ‫مل ذم‬ ‫„( تمأ‬Since I Didn’t Die“) und im Frühjahr 2017 erneut ein Band mit Gedichten folgte: ‫رفسلا بايت سبال‬ („In My Travel Outfit“). Ende 2017 gründete Al-Asheq das zweisprachige Kulturmagazin FANN. Er ist Mitgründer der ArabischDeutschen Literaturtage Berlin, die erstmals im Februar 2018 stattfanden und zu einer festen Einrichtung werden sollen. Bald wird er als Kurator für das Literaturhaus Berlin eine Reihe namens „My Favourite Kitab“ betreuen, in der Autoren und Autorinnen gebeten sind, ihre Lieb­ lings­bücher vorzustellen.

STEFANIE HEIM

Monika Rinck, Schriftstellerin, seit 2012 Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Literatur

GEDÄCHTNISHUNDE Für Labeebah Lahham

Individuelle und gleichzeitig universelle Themen, wie die Frage­ stellung zur Identität im Kontext der Prägung und des soziokulturellen Umfelds, sind wiederkeh­rende Themenschwerpunkte meiner Arbeit. Dabei bediene ich mich wahlweise der Stilmittel des Hörspiels oder der Klangkunst. Durch den Einsatz von O-Ton-Material können hybride auditive Formen erwachsen.

Einst wussten wir, dass die Öffnung am hinteren Ende des Kopfes Versuchen würde, zu verschlucken, was wir hinter uns werfen Wie ein Staubsauger Um alles zurückzuholen in der Gestalt von Hunden, die uns beißen und bellen Und vom Fleisch unseres Glückes fressen Die mit den Knochen der Lieder spielen Und traurige Welpen gebären Sich tanzend in den Gehirnwindungen der Gegenwart ausbreiten Und in jeden Winkel des Schädels pinkeln Sie hinterlassen ihre Signatur: Hier zogen vorbei die Gedächtnishunde Übersetzung: Benedikt Römer

MIRKAN DENIZ Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit dem Friedensvertrag von Lausanne von 1923, aktuell mit den Räumlichkeiten, die im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen stehen, unter anderem der Chevalier Suite im Hotel Château d’Ouchy, die damals ein Kon­ ferenzsaal war. Der Raum wird in der Performance als Zeuge der damaligen Ereignisse verstanden und in Szene gesetzt. Thematisch knüpfe ich an die Arbeit Masa an, bei der ich mit einer Replik des Tisches, auf dem der Vertrag unterschrieben wurde, verschiedene öffentliche Aktionen durchgeführt habe. Mit dem Friedensvertrag von Lausanne wurde Kurdistan in vier Teile geteilt und Kurd_innen genauso wie Armenier_innen entrechtet.

Mirkan Deniz wurde 1990 in Istanbul geboren und lebt heute in Wien und Zürich. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten sind politische Ereignisse in Kurdistan. Mit einer konzeptuellen Kunstform ruft sie diese Momente der Geschichte ins Gedächtnis und fragt, wo und wie sie stattgefunden haben und inwiefern sie mit unserem Kontext zu tun haben. Die von ihr initiierte offizielle Schenkung einer Replik des Tisches, an dem 1923 die Verträge von Lausanne unterzeichnet wurden, an die Schweiz wurde sowohl von der Präsidentin des Großrates des Kantons Waadt als auch von Bundesrat Didier Burkhalter als Departementsvor­ stand des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten mit der Begründung abgelehnt, dass dies keine Schweizer Angelegenheit sei. Wulf Herzogenrath, Kunsthistoriker und Kurator, Direktor der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste

34


MARINA POLEUKHINA

Fragment der Partitur zu “ . “ für fünf Gitarren

CYLIXE Supervenience ist eine seriell erzählte Online-Story in Tagebuchform. Ein Blog, aus Sicht einer Frau, die durch ungeklärte Umstände fast 100 Jahre in die Vergangenheit gereist ist – und jetzt im Berlin des Jahres 2018 gefangen zu sein scheint. Sie forscht nach den Ursachen ihrer fantastischen Reise, aber vor allem nach einem mög­lichen Rückweg in ihre eigene Zeit – unsere Zukunft. Durch ihren Blog erfahren die LeserInnen mehr über die Zeit, aus der die Autorin kommt, einer progressiven Zukunft, die zwar keiner Utopie gleichkommt, sich aber durch technischen, sozialen und politischen Fortschritt auszeichnet. Vergleiche zwischen einer möglichen Zukunft und einer komplexen Gegenwart werfen Fragen nach Handlungsmöglichkeiten auf.

JOURNAL DER KÜNSTE 06

Man sitzt im Zug – ein Löffel klimpert im Glas, ein Sitznachbar hält ein Buch, fortwährend ziehen Menschen und Objekte vorüber, Wolken wandern in ihrer eigenen Geschwindigkeit. Dieser Raum bringt alle Dinge zusammen, obwohl sie in ihrem eigenen Zeitfenster existieren. Eine Geste enthält die Absicht des Klangs, Instabilität und den Klang selbst. Das Musikinstrument hier ist sehr vielschichtig, voller Details und Parameter. Es könnte das Licht sein, das unter dem Papier hervorscheint, oder eine auf dem Boden tanzende Zimbel. Es gibt keine Distanz. Der Klang ist wie ein Wort, das Menschen einlädt, auf eine bestimmte Weise zuzuhören. Aber Wahrnehmung ist Handlung – und es ist möglich, mit seinem ganzen Körper zuzuhören. Ein Künstler spielt die Bassgitarre und nimmt irgendwann zwei Metallrohre, legt sie an seine Ohren und beginnt, sich mit seinem ganzen Körper im Kreis zu drehen. Er wird selbst zu einem Zuhörer im Stück. Wann wird eine Improvisation zu einem Gemälde? Diese Grenzlinie ist zu schmal, um sie zu ziehen – möglicherweise existiert sie nur als Gedanke. Was macht Klang und worin ist er enthalten? Jeder meiner künstlerischen Versuche widmet sich der Erforschung dieses Bereichs. Dieses ganz bestimmten, winzigen Bereichs. Gewidmet den Stücken, die aus dieser Erforschung entstehen.

35


SUSANN MARIA HEMPEL

VATER, SIEHST DU NICHT, DASS ICH VERBRENNE ist ein filmisches Abschiedsfest; es wird gefeiert von einem knappen Dutzend erwerbsloser und erwerbs­ unfähiger Personen aus meiner Heimatstadt Greiz. In dieser ostthüringischen „shrinking city“ erwecken die verbliebenen Einwohner oft den Eindruck, keine andere Wahl zu haben: Von Krankheit oder Armut gelähmt, verlassen „Die Übrigen“ den Ort auch dann nicht, wenn sie ihn satt haben. Manchmal erinnern sie sich an die Möglichkeit eines anderen Auswegs und springen von der höchsten Ziegelsteinbrücke der Welt. Die steht direkt am Ortsausgang.

ALEXANDER KHUBEEV Unter den Konzepten, mit denen ich arbeite, stechen drei besonders hervor: neue Techniken zu schaffen, ein Instrument zu spielen; an einer Verbindung zwischen Musik und anderen Medien (wie Licht und Video) zu arbeiten; mit dem physiologischen Aspekt der Wahrnehmung zu arbeiten. In jeder Komposition kommt mindestens einer dieser Aspekte zum Tragen. Das Besondere daran ist, dass es sich hier nicht einfach um Effekte handelt: Diese Aspekte verstärken nicht nur eine musikalische „Haupt“-Idee, sondern werden zu einem essenziellen Teil von Drama und Struktur.

ADISA BAŠIĆ RACHE Aus dem Zyklus „Das Volk spricht“ Vorrede „Der Zyklus Das Volk spricht besteht aus Sätzen, von Menschen artikuliert, die verschiedene Formen von Torturen überlebt haben … Die Autorin hat ihre Aussagen nur geliehen, losgelöst und ihnen eine Überschrift gegeben.“ Rache Ich weiß, wer meine Frau und meinen Sohn und meine Tochter ermordet hat. Ich weiß, einer von ihnen ist zurückgekehrt. Er hat eine Bäckerei. Aber ich sehe zu, dass ich bei ihm niemals etwas kaufe.

36

Während eines einmonatigen Aufenthaltes in Sarajevo lernte ich 2012 eine gewisse Adisa Bašić kennen. Wie nebenbei erfuhr ich, dass sie schreibt, und dass sie in jenem Jahr in Österreich den Großen Preis für Literatur aus dem Osten und Südosten Europas, Bank Austria Literaris, erhalten hatte. Auf Deutsch erschien im österreichischen Wieser Verlag 2012 der Band Werbespot für meine Heimat. Das bitter Simmernde dieses Titels verweist auf selbstbewussten Sarkasmus. Die ins Jugoslawien der Endsiebziger hineingeborene und während der feindlichen Auseinandersetzung vermeintlich unversöhnlicher Nationalismen früh erwachsen gewordene Poetin schreibt ohne Scham, ungezügelt, direkt und auf eine europäische Weise muslimisch, was mich fasziniert. Kathrin Schmidt, Schriftstellerin und Sozialpsychologin, seit 2015 Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Literatur


MITHATCAN ÖCAL Mithatcan Öcals Essay zum Umgang mit Neuer Musik in der Türkei finden Sie auf den Seiten 40/41.

KLEOPATRA MARKOU

MARTINA WEGENER bauchen Eine Beschäftigung mit dem Problem: Bauch. Der macht, zumindest bei mir, oft Geräusche und verdaut manchmal anders als erwartet. Ich zog für 2 Monate in eine fremde Stadt, beschäftigte mich mit Seeohren, dem Gastrointestinalen Mikrobiom, kommensalen Verhältnissen, trug eine Bauchtasche, schaute Loriot und den Paten, und nahm in verschiedenen Selbstversuchen hochaktive Darmsymbionten ein. Es entstand eine – akustisch dem Verdauungsprozess ähnliche – CD in Zusammenarbeit mit unterschied­ lichen Künstlern sowie eine sechswöchige Ausstellung mit anschließender Publikation. (www.ismellpainter.com)

Wie können wir die „Distanz“ zwischen dem Schauspieler und dem Publikum überbrücken? Wie kann ich einem Theaterstück eine globale Dimension verleihen und seinen Inhalt durch meine Selbstinszenierung oder gar durch das Erzählen einer persönlichen Geschichte oder Erfahrung in etwas Universelles und folglich Politisches übersetzen? Wie kann der Schauspieler auf der Bühne durch eine transzendente physische und mentale Erfahrung einen „leeren Raum“ erschaffen, sodass das Unsichtbare sichtbar gemacht werden kann und dem Publikum ermöglicht wird, Zeuge dieser kollektiven Erfahrung zu werden und mitzumachen? Mein jüngstes Projekt mit dem Titel Get To Know Kassandra wurde zu BLOOM UP – Rodeo Münchner Tanz- und Theaterfestival eingeladen. Es ist eine Gemeinschaftsarbeit, geschrieben und aufgeführt zusammen mit drei Künstlerinnen aus verschiedenen Sparten (Regisseurin, Tänzerin/Performerin, Bühnenbildnerin/Kostümdesignerin) und unterschiedlichen Ländern. Es dreht sich um die Frage: „Wer ist Kassandra in unserer heutigen Zeit?“ Als ein Nachfolgeprojekt meiner bisherigen Recherchen und in Form eines offenen Kooperationsnetzwerks möchte ich den Archetypus von Antigone erforschen, um eine Performance zu erarbeiten, die das Konzept von Liebe und Opfer im heutigen Europa behandelt. Während meines Aufenthalts an der Akademie der Künste möchte ich einen offenen und interaktiven Dialog mit dem Mythos der Antigone in Berlin führen: durch meine persönlichen Erfahrungen in der Stadt, die Sammlung von Material und die Geschichten der dortigen Bewohner.

GRIPS hätte Kleopatra Markou gern in einer Produktion besetzt, was leider nicht ging, da ihr Lebensmittelpunkt Athen war. Kleopatra ist eine sehr begabte, vielseitige Schauspielerin, hochintelligent, nachdenklich, neugierig und als begehrte Akteurin der Freien Szene Athens politisch überaus engagiert. Mit ihr zu diskutieren, zu spinnen und zu feiern, ist immer ein Gewinn – und ein Vergnügen. Volker Ludwig, Dramatiker und Theaterleiter, seit 2010 Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Darstellende Kunst

JOURNAL DER KÜNSTE 06

37


YORGOS LOIZOS

Yorgos Loizos Arbeit mit dem Advanced Virtual and Technological Architecture Research Laboratory (AVATAR) der University of Greenwich untersucht die räumlichen und zeitlichen Beziehungen zwischen Architektur, Fotografie, Technologie und dem menschlichen Körper. Er erforscht experimentelle Praktiken in der Architektur, um unsere sozialen und technologischen Umgebungen zu analysieren – durch eine Mischung aus analogen und digitalen Medien, die von Zeichnungen und Objekten zu Installationen übergehen und seine kreative Praxis weiterentwickeln. Ian Ritchie, Architekt und Stadtplaner, seit 2013 Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Baukunst

Meine Forschung befasst sich mit den Beziehungen zwischen der digitalen Architektur des 21. Jahrhunderts und dem analog fotografierten menschlichen Körper seit dem 19. Jahrhundert. Ich habe eine Reihe von Forschungsmethoden identifiziert und entwickelt, die den Surrealismus und die Choreografie des Zufalls, die Fotografie sowie filmische Präzedenzfälle ergründen. Parallel dazu habe ich die Erfindung der Fotografie und die benötigten Räume untersucht, die helle und dunkle Umgebungen simulieren, um den menschlichen Körper abzubilden. Neben architektonischen und fotografischen Präzedenzfällen faszinieren mich immer wieder das Design relevanter Filmsets, der Bau von Miniaturmodellen, visuelle In-Camera-Effekte und reale, nicht-digitale Bühnensets. Meine kontinuierliche Studio-Arbeit umfasst eine Serie von dreidimensionalen Objekten mit dem Titel photographic darkroom probes. Diese Objekte fungieren als Stücke im Maßstab 1:1, und in ihnen befinden sich Objekte im Maßstab 1:6; eine Treppe, Drehtüren, ein Fenster zum Hof, ein Flur, eine Badewanne, der Dachboden und der Keller, die ich als komplexe häusliche Ökologien erachte. Jeder dieser DunkelkammerVersuche untersucht ein spezielles architektonisches Element, und zusammen ergeben sie experimentelle Instrumente, um ein Haus zu entwerfen.

Darkroom Probe #1

AMBRA VIVIANI

Die sieben letzten Lieder, Ausstellungsansicht, We invite you to hope, kuratiert von Carolyn Christov-Bakargiev und Chus Martínez, Kunsthaus Baselland, 2017

38


ALICIA HERNANZ

Alicia Hernanz’ internationale akademische und berufliche Erfahrung hat sie in ihrer Überzeugung bestärkt, dass nur ein multidisziplinärer, kooperativer Ansatz es den Architekten ermöglicht, eine entscheidende Rolle bei der Lösung realer Probleme zu spielen. Das Problem der Unterbringung von Millionen von Flüchtlingen weltweit ist dafür ein Beispiel. Alicia Hernanz’ leidenschaftlicher Glaube an die transformierende Kraft der Architektur lässt sie hoffen, dass sie mit ihrer Forschung konkrete Projekte zur Linderung der weltweiten Migrationskrise entwickeln kann.

LYNN MUSIOL

Ian Ritchie, Architekt und Stadtplaner, seit 2013 Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Baukunst

Solange die Gestaltung von Flüchtlingslagern auf ein kurzfristiges Überleben ausgelegt ist, ist es für die dortigen Bewohner unmöglich, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, geschweige denn zu arbeiten oder eine Existenz aufzubauen. Aus diesem Grund sollen die temporären Städte, an denen ich arbeiten will, bestimmte Aspekte erfüllen wie die Bereitstellung von medizinischer Versorgung, Bildung, Arbeitsstellen, liquiden Mitteln sowie Schutz vor Gewalt. Aber auch technische Aspekte wie Konstruktion, Nachhaltigkeit, Entwicklung der Infrastruktur und Rückbaumöglichkeiten sollen berücksichtigt werden. Welche Art der Siedlung bietet mehr Nachhaltigkeit aus physikalischer, sozialer und wirtschaftlicher Sicht? Welche Auswirkungen hätte es beispielsweise, eine vertikale Siedlung in ein etabliertes Stadtgebiet einzubinden? Wäre dies aus einem infrastrukturellen, materiellen und sozialintegrativen Gesichtspunkt nachhaltiger? Von der Erforschung temporärer Einrichtungen, die Forschungslager, Festivals, auf Zeit eingerichtete Lager für den Abbau von natürlichen Ressourcen usw. beherbergen, können wir vieles über Planung und Gestaltung, Flussmanagement, Entwicklung der Infrastruktur, kulturelle Identität, Raumaneignung und Anpassungsfähigkeit in urbanen Verhältnissen lernen. Durch die Untersuchung solcher Einrichtungen und weiterer dazugehöriger Aspekte möchte ich zur Gestaltung und Planung von Flüchtlingssiedlungen als effizienten und nachhaltigen Städten statt temporären Existenzcamps beitragen. Dies wird hoffentlich ein Umdenken über den Sozialstatus der Flüchtlinge ermöglichen und bewirken, dass temporäre Einrichtungen als Orte gesehen werden, die Möglichkeiten eröffnen – nicht als Problemfälle.

IN DIESEM MODELLARTIGEN DENKEN [ein space, der nie hat geschrieben sich frei von deinem Wort] schifft sich Ppx in den Frachter eine Abkehr. Sagt: Kanns nicht glauben, das Wort löst sich auf [gießt in Form nur das, was als Haltung bestritten ward], verkehrt stetig [Tempo.ralität!] & verlor neben der Drehung rechts den Nautilus [aber selten zerbrach der Himmel an einem Morgen, Ppx!] als er lag in Einkehr hinten. Nah [ein Modell aus Luft, das Ecken von sich nahm und faltete auf die, die hier blieben [vorn als bewiesen sie sich das Viele] und seicht davontrugen] eine Welt, die vorbei hier schiebt das Schöne [das Prozesshafte, das Sinnliche, das Queere], wie eine Wand, die zerrt und schichtet X [das Hintergründige, Biografische] vor eine Leere [wächst ja hier in deiner Hand nur ins Grobe, ein weißer, zementierender Rand, der sich so schmiert und kleckst, ein ganzes Geschmiere da, horizontal ausgelagert], Ppx. Was es dann tut, Vergangenheit nicht damals zu sehen. Wie sich dann hält ein Raum, wenn Ecken rundgefeilt. Wo der dann steht, metastabil, Ppx.

Bauarbeiten an der Schule El Jiracito, einem Komplex kostengünstiger Räumlichkeiten, die aus Sandsäcken errichtet werden. Das Projekt in Nicaragua wurde 2017 von Alicia Hernanz’ Kollektiv Knitknot Architecture fertiggestellt.

Übersetzungen aus dem Englischen von Yvonne Gerstheimer

JOURNAL DER KÜNSTE 06

39


JUNGE AKADEMIE

DAS NEUE-MUSIK-TIER Mithatcan Öcal

Mithatcan Öcal, Stipendiat der Sektion Musik, beschreibt die Krise einer türkischen Kunstszene zwischen europäischer, globaler und nationaler Fremdbestimmung. Seine kritische Reflexion auf Wurzellosigkeit und nackte Einsamkeit fragt nach den Möglichkeiten der Verbindung von künstlerischer Produktivität und gesellschaftlicher Verantwortung. Johannes Odenthal

Unter den Begriffen, denen Staaten mit schwacher Wirtschafts- bzw. Klassenstruktur Bedeutung beimessen, stand und steht Kunst auf einem der hintersten Ränge. Das Problem der Identitätslosigkeit oder auch Richtungslosigkeit, wie es heute in der sogenannten „Dritten Welt“ nicht allein in der Kunst, sondern nahezu in allen an der Realität orientierten Bereichen verbreitet ist, versuchte man in der Türkei nach dem Ende des Osmanischen Reiches mit den Ideologien der Modernisierung und „Verwestlichung“ zu lösen, die verschiedene Regierungen aus Europa zu importieren suchten. Wie bei allen aufoktroyierten, mit der Struktur der Gesellschaft inkompatiblen Ideologien blieb das wirkungslos (dass ein solcher Versuch effektiv sein würde, war auch nicht zu erwarten). Das vom Staat für den Künstler vorgesehene ästhetische Identitätskonzept hat sich seit der Republikgründung Anfang der 1920er Jahre nahezu unverändert erhalten. Statt für die Ausbildung einer eigenen Identität erforderliche Mechanismen in Gang zu setzen, baut die Türkei – die sich aus unerfindlichen Gründen nicht modernisiert – weiter darauf, den Menschen im Land die Idee einer „nationalistischen Aufklärung“ einzuimpfen. Künstler, die gegen Nationalismus und „nationalistische Kunst“ eine kritische Haltung einnehmen, wurden und werden diskriminiert, Aufträge werden ihnen vorenthalten. Ihnen blieben und bleiben alle Türen verschlossen, sie wurden, wenn man das so sagen kann, dem Verderben über­ lassen. Ungebildet-elitäre und gleichzeitig politischpubertäre Kunstmanipulatoren (inklusive derjenigen, die zumindest Anlass zu einem Funken Hoffnung geben), sind heute in den Musik-Institutionen federführend. Mit Initiativen und Programmen wie „Komponistenförderung“, „Aufführungsmöglichkeiten“, „Finanzielle Mittel für junge Talente“ schrieben diese Überbleibsel einer vergangenen, offiziellen Ideologie der Ästhetik der Türkischen Fünf 1 unverdiente Bedeutung zu, frei nach dem Motto: Dieses oder jenes Werk erfüllt die Voraussetzungen, gemocht zu werden, und darf ausgearbeitet werden. Eine solche Ästhetik, die vom Beginn des 20. Jahrhunderts datiert und einst Komponisten zur Zensur ihrer Werke

40

nötigte, ist von der heutigen gesellschaftlichen Realität weit entfernt. Und doch müssen vielversprechende Entwicklungen der letzten zehn Jahre auf institutioneller Ebene wieder dem alten System weichen. Kompositionslehrer fördern ihre Schüler in diesem Geist, selbst talentierte Komponisten speisen notgedrungen mit ihren Werken diese „Ästhetik der offiziellen Ideologie“. Nehmen wir an, Sie haben sich entschlossen, Komponist zu werden, sind noch jung und möchten Ihre Musik zu Gehör bringen, ohne sich bei jemandem einzuschmeicheln. Dann ist in der Türkei heute der einzige Weg für Sie (bei dem Sie auch Geld verdienen können), sich an Wettbewerben zu beteiligen. Um bei den jährlich ausgerichteten Kompositionswettbewerben von der Jury angenommen zu werden, wird erwartet, dass Sie das Ziya-Gökalp-Rezept der „Harmonisierung“ von Volksmusik und europäischer Musik anwenden. 2 Werfen wir einen Blick auf zwei Absätze der Teilnahmebedingungen 3 des diesjährigen Kompositionswettbewerb der in der Türkei hochangesehenen staatlichen Süreyya-Oper: „3. Von den Kompositionen wird erwartet, dass es sich um eigenständige Werke handelt, die Assoziationen und Inspiration aus der traditionellen Musiksensibilität [gemeint ist die europäische Klassik in der Türkei, MÖ] beziehen, die Auffassung der Makam-Musik reflektieren oder aus Bearbeitungen bestehen. 4. Bei der Beurteilung der Werke werden das formale Verständnis, harmonische, melodische und rhythmische Eigenschaften, Orchestrierung und musikalische Qualität berücksichtigt.“ Es lässt sich schnell feststellen, dass Kapital und Fördertöpfe, die historisch die Entwicklung der Musik in der Türkei voranbrachten, stets auf Seiten der „Ästhetik der offiziellen Ideologie“ standen. Angesichts dieser ästhetischen Zwänge sind für einen Komponisten die Möglichkeiten, ein Werk innerhalb des Systems zu realisieren, stark eingeschränkt. Künstler empfinden die herrschende künstlerische Ästhetik in ihrem Land zu Recht als artifiziell und extrem traditionell. Sie sehen sich der Gefahr ausgesetzt, erneut im Schatten von Identi-

täten zu verschwinden, die weder eine strukturelle noch eine historisch gewachsene Realität für sie selbst darstellen, weil diese Identitäten auf ästhetischen Idealen gründen, die aus Ländern importiert wurden, in denen die Kunst auf solideren historischen Fundamenten steht. Denn importierte, hierzulande auf einer entsprechend schwachen Basis stehende Denksysteme, von denen man glaubt, sie wären dem Aufbau einer eigenen Identität dienlich, führen unbemerkt zur Glorifizierung des importierten „Denkens“ bzw. „Systems“. Schlussendlich münden sie darin, dass der Künstler, dem es nicht gelingt, eine eigene Identität zu entwickeln, in das adaptierte, oder besser: kopierte System assimiliert wird. In einer solchen Situation weiß er nicht mehr, was richtig und was falsch, was „schön“ und was „schlecht“ ist, und klammert sich an eine ihn stärkende „Macht“ – glaubt aber gleichzeitig, seine Gedanken und sein Gewissen wären frei. So ist er denn auch überzeugt, ihm sei etwas Großartiges gelungen, wird aber tatsächlich zum Sklaven von Affirmationsinstanzen anderer Länder. Darunter dürfen wir nun nicht verstehen, dass Mentoren in Ländern, die uns unterstützen, oder diese Länder an und für sich dem „aus der Fremde“ kommenden Künstler keine Freiheit ließen. Doch die gewährte Freiheit kann lediglich in einem von ihnen vorgegebenen – und entsprechend eingeschränkten – Bereich ausgelebt werden. Zudem verfügt jedes Land über eigene Wahrheiten in Bezug auf die „hohe Kunst“. Ein Künstler, der sich aufschwingt, außerhalb davon seine eigene Wahrheit zu erschaffen, erhält keine Garantie dafür, nicht wieder, wie zuvor schon im eigenen Land, im Stich gelassen zu werden. Derzeit gehen unzählige Künstler aufgrund verschiedener Schwierigkeiten im eigenen Land dennoch ins Ausland. Andere beugen sich dem System und tun, was von ihnen verlangt wird. In der Türkei, in der die Figur des „unabhängigen Künstlers“ vom Verschwinden bedroht ist, hat die hohe Anzahl ignorierter Komponisten viele von uns dazu motiviert, an unserer Arbeit mehr als „jeder andere“ festzuhalten, die Akademien zu verlassen, uns autodidaktisch fortzubilden und uns in einen Elfenbeinturm zurückzuziehen. So erlebten wir, dass in den letzten Jahren zahlreiche junge Komponisten aus der Türkei im Ausland mit prestigeträchtigen Preisen ausgezeichnet wurden. Ich freue mich sehr über die individuellen Erfolge meiner Kollegen und Schicksalsgenossen. Die Lage aber, die ich von mir selbst kenne und einigermaßen einzuschätzen vermag, ist – ungeachtet dessen, wie sehr uns wer auch immer den Rücken stärkt, welche Erfolge auch immer wir erringen – doch die: die Einsamkeit (geschuldet der Position zwischen zwei Polen) und unser Problem der „Identitätslosigkeit“ lösen sich nicht auf. Offenbar haben wir keine Richtung oder Geschichte, von deren Wurzeln wir profitieren könnten. Es mag banal klingen, in einer Welt, in der das Regionale praktisch verschwunden, alles gleichzeitig globalisiert und individualisiert ist, noch von einem Identitätsproblem zu sprechen. Hinsichtlich Information und Material leben wir in einem internationalisierten Zeitalter, berücksichtigt man aber die Bedingungen der Kunst und ihrer Ästhetiken sowie soziopolitische Unterschiede, zeigt sich, wie stark der Einfluss des Regionalen weiterhin ist. So sehr uns unsere individuellen Erfolge in Ländern mit solider historischer und ökonomischer Basis auch freuen, kann das Problem, keine eigene Richtung bzw. Schule und infolgedessen auch kein Konzept von „gut und richtig“ zu haben, jeden Künstler in die Krise stürzen.


In einer Welt, in der das „Wissen“ die Grenzen des Planeten gesprengt hat, lassen sich für einen in der Krise befindlichen Komponisten die Grenzen der „Wahrheiten hoher Kunst“ nicht anhand klarer Linien ziehen. Die aufgezählten Probleme geben aber eine Antwort auf die Frage, mit welchen ästhetischen bzw. strukturellen Problemen ich mich herumschlage. Ich habe zwar für mich keine Lösung gefunden, kann aber einen Vorschlag zur Struktur und Funktion von Kunst unterbreiten. Er bildet lediglich meine Wunschvorstellung ab und ist bislang nicht praktisch umgesetzt. Nach meiner Auffassung – und der meiner Kollegen in unserem vor zwei Jahren gegründeten Komponistenkollektiv 4 – sollte Kunst ihre Kraft aus der Solidarität von Kollegen beziehen, die von ähnlichen Sorgen umgetrieben werden; ästhetisierte Ideen sollten nicht im Schatten individueller Egos bleiben. Kunst sollte frei und unabhängig von jedwedem hierar­ chischen Mechanismus, von Akademien und Systemen, von Bürgertum und vom Monopol der Kunstpolizei sein. Kunst sollte in der Lage sein, aktuelle Sorgen in der Bevölkerung sowie schmerzhafte Begleiterscheinungen gesellschaftlicher Entwicklung im Rahmen diverser Disziplinen und Konzepte zu analysieren und zu hinterfragen. Kunst sollte aufrichtig untersuchen, was „gut und richtig“ ist. Dabei muss sie ehrlich erkennen, wo Konzept und Ausführung (Idee und Handwerk) das „Gute und Richtige“ berühren, und darf die unbestreitbare Kraft des stiefmütterlich behandelten „Handwerks“ nicht in Abrede stellen. Zum Schluss seien noch einige Punkte – ausgehend von deutlich sichtbaren Aspekten der Realität – angesprochen: Auf dem Boden, auf dem wir aufgewachsen sind, der uns „ausmacht“ und eine besondere Geografie darstellt, die wir als „Fegefeuer“ bezeichnen können, die mit keinem Zentrum strukturell verbunden ist, die weder im Osten noch im Westen liegt und von keiner Seite

gestärkt wird, in der das gesamte kulturelle Kapital wurzellos ist beziehungsweise sich auf rutschigem Terrain befindet (oder das zumindest vorgibt) – auf diesem Boden ist die Tätigkeit des Komponierens eine Aneinanderreihung von Phänomenen, für die nicht einmal ein aussagekräftiges Beispiel aus der Kunstgeschichte herangezogen werden kann. Die Initiative liegt allein bei den Einzelpersonen. Eine solche individuelle Initiative findet außerhalb von zentralen Strömungen statt, wie es sie in der Vergangenheit gab, und ähnelt nicht einmal Gruppen „nicht kategorisierbarer“ Künstler oder sonstigen Organisationsformen. Hier existiert eine inkompatible Lebensform, die sich zwar an die strukturelle Funktion von Realität bzw. Geschichte anlehnt (wie ein Wild­gewächs, das neben einem großen Baum sprießt) „dort aber nicht sein sollte“. Ist es möglich, diese Wurzellosigkeit, diese nackte Einsamkeit, diese Waisenexistenz, all das Negative in produktive Energie zu verwandeln? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich sonderbare Existenzformen, die gern Krach machen, die glücklich sind, wenn sie von Computerprogrammen synthetisierte sonderbare Geräusche vernehmen, in der aktuellen Musikwelt Gehör verschaffen können? In diesem Land läuft seit dreißig Jahren die gesamte Information und Produktion in Bezug auf klassische Musik über Fotokopien. Die entsprechenden theoretischen und kritischen Texte sind nicht ins Türkische übersetzt. Käuflich erworbene Partituren von Peters, Ricordi, Schott finden sich bei niemandem zu Hause (ebenso wenig in Bibliotheken). Die gesamte Literatur liegt aber an bestimmten Orten in Form von Fotokopien oder illegal beschafften PDF-Dateien vor. Mit vereinten Kräften zerreißen die Komponisten bei uns die irgendwo erbeuteten Informationen und verschlingen sie. Dementsprechend ist Neue Musik hier ein von Institutionen und Markt unabhängiger, frei erlebter Bereich. Hier sind „primitive

Neue-Musik-Tiere“ zu sehen, die sich in wilder Gier gedankenlos auf Töne und neue Ausdrucksformen stürzen. Ob der durch diese Verzweiflung ausgelöste Zustand der Agonie neue Türen öffnet? Meine Kollegen und ich sind in jedem Fall eine Folge dieser Entwicklung. Was hier getan wird, was hier geschieht, ist eine Lebensform, die sich im Jargon der Straße als „Piraterie“ bezeichnen lässt. So, meine geschätzten Freunde Gott sei Dank haben wir hier das Buch der Piraterie geschrieben. Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

1  Mit „Die Türkischen Fünf“ werden international die ersten professionellen Komponisten klassischer europäischer Musik in der Frühphase der Türkischen Republik zusammengefasst (Ahmet Adnan Saygun, Ulvi Cemal Erkin, Cemal Reşit Rey, Hasan Ferit Alnar, Necil Kazım Akses) 2  Bei einer eingehenderen Analyse wird deutlich, dass die Ästhetik der offiziellen Ideologie von der Definition einer „Nationalmusik“, wie Ziya Gökalp sie in Türkçülüğün Esasları (Die Grundlagen des Türkentums) 1923 vornahm, bestimmt ist. Dieser Definition zufolge „wird unsere Nationalmusik aus der Verschmelzung der Volksmusik unseres Landes mit der europäischen Musik hervorgehen. Die Volksmusik schenkte uns unzählige Melodien. Wenn wir sie sammeln und nach den Formen der europäischen Musik ‚harmonisieren’, gewinnen wir eine Musik, die sowohl national als auch europäisch ist. 3  Siehe http://www.sureyyabesteyarismasi.kadikoy.bel.tr/ assets/besteyarismasartname.pdf 4  Das Istanbul Composers Collective wurde von sechs Komponisten bzw. Improvisatoren – Onur Dülger, Emre Dündar, Şükret Gökay, Mehmet Ali Uzunselvi, Mithatcan Öcal und Uğurcan Öztekin – als freie, unabhängige Organisation für Neue Musik gegründet.

Mithatcan Öcal

JOURNAL DER KÜNSTE 06

41


NEUES AUS DEM ARCHIV 42

FUNDSTÜCKE EINE INTUITIVE KULTUR DES HÖRENS Er war nicht nur der „Entdecker“ der Zwölftonmusik, sondern auch ein Vorläufer der Minimal Music: Josef Matthias Hauer, 1883 in Wiener Neustadt am südlichen Rand des Wiener Beckens geboren, stand mit bedeu­ tenden Künstlern seiner Zeit in Kontakt (etwa mit dem Bildhauer Fritz Wotruba und dem Philosophen Ferdinand Ebner), wurde öfter zum Vorbild literarischer Figuren (bei Hermann Bahr, Otto Stoessl, Franz Werfel) als seine Konkurrenten und blieb dennoch dem musikalischen Establishment suspekt. „Trotz vielen Nachahmern“ sei er „immer noch der einzige Kenner und Könner der Zwölftonmusik“, stempelte er erhobenen Hauptes in seine Partituren und griff damit deutlich den Spiritus rector der Zweiten Wiener Schule, Arnold Schönberg, an. Zwölftonmusik sei „die Musik, die Kunst aller Künste, die Wissenschaft aller Wissenschaften“, fügte er handschriftlich am Ende der Partitur zur Zwölftonmusik op. 82 für Orchester an, um alle Zweifel an der übergeschichtlichen Bedeutung seiner Entdeckung der ewigen Gesetze vom „Melos“ und von den „Tropen“ zu beseitigen. Doch die Vertreter der Schönbergschule, die auf der vorherrschenden Ausdrucksästhetik beharrten, verlachten den kauzigen Außenseiter, der im Alter mit seiner prägnanten Hornbrille, seinem Schnurr- und Kinnbärtchen und seinen eingefallenen Wangen aussah wie ein chinesischer Weiser, und haben es bis heute geschafft, Hauer weitgehend aus der Diskussion über die Musik des 20. Jahrhunderts auszuschließen. Nach ihrem Begriff von Musik lässt sich Hauers Kunst nicht fassen. Zu denken gab ihnen nur die Tatsache, dass die vom Dirigenten Hermann Scherchen herausgegebene Zeitschrift Melos 1921 nicht nur theoretische Texte Hauers, sondern in einer Notenbeilage auch dessen Präludium für Celesta aus demselben Jahr veröffentlichte, das Alban Berg sofort auf Zwölftonfelder hin untersuchte. Einer intuitiven Kultur des Hörens wollte Hauer dienen und vereinigte in seiner Musikanschauung fernöstliche, theosophische und anthroposophische Elemente. Während Schönberg mit seiner Methode der Komposition mit „zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ eigentlich eine vollkommene Polyphonie anstrebte, womit er „die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre“ sicherzustellen hoffte, wandte sich Hauer gegen die idealistische Musikkultur des Abendlandes, die er mit den Begriffen des Schauens, Begreifens und Vergleichens verband. Am Ende der Partitur seiner Zwölftonmusik für neun Soloinstrumente op. 73 aus dem Jahr 1937 fasste Hauer in seiner akkuraten VolksschullehrerHandschrift zusammen: „Das Musikalisch-Mathematische, das Intuitive muß den höchsten Rang im geistigen Leben des Menschen einnehmen, weil es mit der Wahrheit und Wirklichkeit, mit der ‚geistigen Realität‘ in engster Fühlung lebt, zum allüberschauenden Gipfel menschlicher Erkenntnis führt, zum großen Welterleben, während das Begrifflich-Wortsprachliche, das Ideenhafte nur zu leicht ‚tendenziös‘ in Geschwätz und Lüge ausartet: in Polemik, Dialektik, Sophistik; Philosophie, Anthroposophie, Theosophie; Theologie, Ideologie, Pneumatologie; Phänomenalismus, Spiritismus, Okkultismus.“

Werner Grünzweig Nur noch kurze Zeit sollte Hauer seine Kompositionen mit Opusnummern versehen. In den verbleibenden zwei Dekaden seines Lebens verfasste er über 1.000 Zwölftonspiele ohne individuelle Bezeichnung: Beispiele für eine von kompositorischer Intention weitgehend befreite Musik, wie sie, wiederum von anderen, erst viel später realisiert wurde. Er habe in seinem ganzen Leben nur ein einziges Werk geschrieben, behauptete Hauer von sich selbst. Mehrere autographe Partituren Hauers befinden sich im Nachlass des Dirigenten Hermann Scherchen im Musikarchiv der Akademie der Künste. Es ist bezeichnend, dass Scherchen, der immer auf der Suche nach dem Neuen und Ungewöhnlichen in der Kunst war und in seinen späten Jahren sogar elektronische Musik und Jazz förderte, auch Künstler gelten ließ, die mit seinen künstlerischen Überzeugungen nicht von vornherein übereinstimmten. Scherchen war mit Hauer in persönlichem Kontakt und nahm einige von dessen Werken nicht nur in das Programm seines „Ars Viva“-Verlags auf, sondern dirigierte seine Musik auch, wovon die handschriftlichen Eintragungen in das Autograph von op. 73 zeugen. Es ist verständlich, dass er hauptsächlich Bezeichnungen zur Dynamik (dem Lautstärkeverlauf) ergänzte, war dies doch gerade der Bereich, in dem Hauers Musik im Ohr des Hörers am ehesten Defizite aufwies und der vom Komponisten selbst mit Vorsatz nicht präzisiert wurde, um jeden individuellen Ausdruck zu vermeiden. Überhaupt scheinen Vortragsbezeichnungen, die in der Schönbergschule oft in übergroßer Zahl Verwendung fanden, für Hauers Musik keine Relevanz zu haben. Die Anweisung „Vortrag je nach Melos“ am Beginn einer Komposition scheint für seine Musik vollkommen genügt zu haben. WERNER GRÜNZWEIG ist Leiter der Musikarchive an der Akademie der Künste.

Schlussklang von Josef Matthias Hauers Zwölftonmusik op. 82 aus dem Jahr 1939 mit Nachbemerkung des Komponisten. Das Autograph befand sich im Besitz des Dirigenten Hermann Scherchen und wird heute als Teil seines Nachlasses im Musikarchiv der Akademie der Künste aufbewahrt. Hauer bezeichnete sich selbst als den „Entdecker“ und nicht den „Erfinder“ der Zwölftonmusik und meinte damit, dass die Zwölftonmusik keinen individuellen Schöpferakt repräsentiere, sondern die aller Schöpfung innewohnenden Gesetze widerspiegele, die er lediglich hörbar gemacht habe. Das Zwölftonspiel war wohl auch Anregung für Hermann Hesses 1943 erschienenen Roman Das Glasperlenspiel, in dem der Autor jene Kunstübung als „ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unserer Kultur“ charakterisierte. „Denn wie jede große Idee hat [das Glasperlenspiel] eigentlich keinen Anfang, sondern ist, eben der Idee nach, immer dagewesen.“ Der Stempel, den Hauer seit 1937 unter seine Signatur setzte, sollte, nachdem Schönberg und er in den 1920er Jahren sogar ein gemeinsames Buch zu dem Thema in Erwägung gezogen hatten, seine polemische Distanz zu Schönbergs Methode der „Musik mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ dokumentieren.



NEUES AUS DEM ARCHIV

SOUND OF POETRY OF SOUND Marc Matter

AKUSTISCHES AUS DEM AKADEMIE-ARCHIV BEIM POESIEFESTIVAL BERLIN Beim diesjährigen Poesiefestival in der Akademie der Künste wird an zwei Hörstationen eine Auswahl aus dem Verlagsprogramm der Edition S Press zu erleben sein. Vor allem in den 1970er Jahren widmete sich die Edition neben experimenteller Literatur und Beat-Poetry auch der konkreten Poesie. Der Verlag beschritt damit neue Wege: Die Werke erschienen auf Tonbändern und Audiokassetten.

Akustische Literatur ist eine Gattung, deren frühe Formen im Dada, Futurismus und der expressionistischen Dichtung zu finden sind. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden diese Ansätze weiterentwickelt, wobei die Lautgestalt der Sprache auf unterschiedlichste Arten erkundet wurde. Es entstanden immer mehr Arbeiten, deren Publikation in Buchform eine Notlösung darstellte,

44

sodass neue Formen des Verlegens gefunden werden mussten: Performances, Lesungen, poetische LiveAktionen oder im Studio produzierte elektroakustische Dichtungen wurden mit erschwinglich gewordenen Tonbandgeräten aufgezeichnet und auf Tonträgern publiziert. Für drei junge Leute – den Gymnasiallehrer Nikolaus Einhorn, den Künstler Axel Knipschild und die Germanistikstudentin Angela Köhler (heute Koehler) – drängte sich damals „wie von allein“ die Idee auf, „einen Verlag zu gründen, der diese Arbeiten in der Form verlegen und vertreiben würde, für die sie konzipiert waren, in der akustischen“ 1. Mit dieser Motivation startete der S Press Tonbandverlag. International gab es zwar ähnliche, meist von KünstlerInnen selbst organisierte Verlagsprojekte, doch im deutschsprachigen Raum war es Pionierarbeit. Die über achtzig Veröffentlichungen folgten den Grundprinzipien, dass die Auswahl möglichst international und die Aufnahmen authentisch sein sollten. Dies hieß, die AutorInnen selbst so weit als möglich an der Produktion zu beteiligen.


Gleich zu Beginn würdigte S Press die frühen Ansätze des Dada und Expressionismus durch die Veröffentlichung von Raoul Hausmann und Otto Nebel. Letzterer lebte damals in Bern, wohin er während der Nazizeit emigriert war. Dort besuchten ihn die frischgebackenen VerlegerInnen Ende 1969 mit einem Tonbandgerät im Gepäck, um Aufnahmen für die ersten beiden Produktionen zu machen. Wenig später ging es zu Raoul Hausmann in Limoges, der ein Tonband mit selbst eingesprochenen Lautgedichten aus den Jahren 1918 bis 1946 zur Verfügung stellte, welches einige Jahre zuvor von Henri Chopin aufgenommen worden war. Daraus entstanden drei weitere Titel, die auf Kompaktkassette und, wie auch einzelne andere Titel, als Spulentonband im Schuber herausgegeben wurden. Doch dies war erst der Anfang, denn das Verlagskonzept sah eine „möglichst umfassende Dokumentation der akustischen Literatur und ihrer Vorformen vor“. Michael Köhler, der Bruder von Angela Koehler, kam 1972 zum Verlag, indem er den Kontakt zu John Cage herstellte, der im Sommer des Jahres für die Aufführung seiner gerade entstandenen konzeptuellen Textcollage Mureau in Berlin war. Cage hatte dafür Tagebucheintragungen von Henry David Thoreau über Musik, Geräusche und Stille unter Verwendung von Zufallsoperationen zu einer klingenden Sprechkomposition verarbeitet. Er sprach sie am Tag nach der Aufführung noch einmal in einem Hotelzimmer für S Press ins Tonbandgerät. Zwei Jahre später ging Köhler für Recherchen über Charles Olson in die USA, wo er viel mit seinem Aufnahmegerät unterwegs war, um Dichter bei öffentlichen Lesungen oder auch zu Hause aufzunehmen – „Die Autoren […] sagten uns, daß sie lieber in einer informellen Situation, etwa in ihrer Wohnung oder an einem anderen ruhigen Ort, lesen als in einem Studio. Sie sagen, die spezielle Situation im Studio wirkt sich hemmend auf ihr Lesen aus.“ In den USA entwickelte sich damals eine neue Art von Vortragskunst, die mit freien Rhythmen experimentierte, Jargonzitate und Redewendungen übernahm sowie performative oder musikalische Elemente inte­ grierte. In rascher Folge erschienen diese Aufnahmen im S Press Programm: Beat Poetry von Gary Snyder, Lawrence Ferlinghetti, Allen Ginsberg, John Giorno und Anne Waldman, Language Poets wie Larry Eigner und Robert Creeley, aber auch Clark Coolidge, Michael McClure, oder Ted Joans mit seinen Jazz Poems. Im deutschsprachigen Raum waren unter anderem Friederike Mayröcker, Matthyas Jenny oder Konrad Bayer mit Lesungen eigener Texte vertreten; Ernst Jandls 13 radiophone Texte wurden dagegen unter Verwendung elektronischer Klangeffekte bei der BBC in London produziert. Konkrete Poesie fand beispielsweise mit den Konstellationen von Eugen Gomringer sowie mit der Sammlung Texte von Helmut Heißenbüttel Eingang ins Programm. Im Sprechstück Arbeiten des Verlagsmitbegründers Nikolaus Einhorn wird ausschließlich das titelgebende Wort durch verschiedene Stimmen variiert, Der krimgotische Fächer. Lieder und Balladen von Oskar Pastior ist hingegen in einer Art poetischer Privatsprache verfasst, deren Reiz sich besonders im Vortrag des Autors entfaltet. Sonderfälle sind die poetischen Texte von SchülerInnen einer siebten Gymnasialklasse, die unter dem Titel Gedichte sind gemalte Fensterscheiben erschienen sind, sowie die Veröffentlichung des Vortrags To Understand What We Are Fighting For des Mitbegründers des American Indian Movement, Clyde Bellecourt.

JOURNAL DER KÜNSTE 06

bei öffentlichen Veranstaltungen und Festivals vorgestellt, im Radio gespielt oder in Tageszeitungen und Zeitschriften besprochen. Auch von der Arbeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, die eine Weiterentwicklung der akustischen Literatur und des „Neuen Hörspiels“ aktiv unterstützten, profitierte der Verlag. Gerhard Rühms Auftragswerke für den Rundfunk erschienen bei S Press wie auch Radioarbeiten von Bazon Brock oder Schuldt. Mit dieser breiten Palette unterschiedlichster Spielformen der akustischen Literatur sind die Veröffen­t­ lichungen des S Press Tonbandverlags auch heute noch eine einzigartige Quelle. Der Verlag wurde von Michael Köhler noch bis zu seinem Tod 2005 weitergeführt. Sein Nachlass – der auch zahlreiche Tondokumente enthält – befindet sich im Literaturarchiv der Akademie der Künste. 1  Alle Zitate sind einem mit HINHÖREN überschriebenen Typoskript über die Edition S Press entnommen, das vermutlich von Michael Köhler im Jahr 1975 verfasst wurde. Es befindet sich in Köhlers Nachlass im Archiv der Akademie der Künste (Köhler-Michael 322).

Durch die Beschäftigung mit der indigenen Kultur Nordamerikas – es waren auch Aufnahmen von „Indianerpoesie“ geplant – sollte der Weg zurückverfolgt werden zu den Quellen der gesprochenen Überlieferung, wie sie lange vor dem technischen Zeitalter und vor Gutenberg existierte. Die Veröffentlichung auf Audiokassetten erwies sich vor allem als ökonomisch vorteilhaft, insbesondere bei den kleinen Auflagen des S Press Tonbandverlags, dessen Bestseller mit wenigen hundert Exemplaren neben den Klassikern Hausmann und Nebel von internationalen Stars wie Patti Smith oder John Cage stammten. Zudem hatte das Tonband schon von seiner Konstruktion her entscheidende Vorteile der Schallplatte gegenüber, weil Aufnahmen damit überall und zu jeder Zeit möglich sind. Es eignet sich außerdem als Instrument der Dichtung, weil das Sprachmaterial damit weiterverarbeitet, zerschnitten und neu arrangiert, die Abspielgeschwindigkeit verändert, durch Filterung die Tonqualität entstellt oder mehrere Aufnahmen übereinanderkopiert werden können. „Alle diese Möglichkeiten regten die Phantasie und Experimentierfreude der Autoren an und führten zu einer ganz neuartigen literarischen Form: der ans Band, nicht mehr in Partituren darstellbaren akustischen Literatur, der direkt mit dem Tonband produzierten Stücke.“ Solche elektroakustischen Sprachkunstwerke veröffentlichte S Press beispielsweise von den französischen poètes sonores Henri Chopin, François Dufrêne oder Bernard Heidsieck, bei denen die kreative Verwendung neuer Medien wie des Magnetophons bereits zum Selbst­ verständnis einer zeitgenössischen poetischen Praxis gehörte. Allerdings waren Vertriebsmöglichkeiten rar, weshalb die Distribution durch enthusiastische Kleinarbeit über das Szene-Netzwerk erledigt wurde. Die Kassetten fanden aber durchaus ihren Weg zum Publikum, denn sie wurden international auf Kunst- und Buchmärkten sowie

MARC MATTER, Medienkünstler und Autor akustischer Texte, leitet den Studienschwerpunkt Musik und Text am Institut für Musik und Medien, Robert Schumann Hochschule Düsseldorf.

Das 19. poesiefestival berlin findet vom 24. bis zum 31. Mai 2018 unter dem Motto „Werte Vers Kunst“ statt, veran­staltet vom Haus für Poesie in Kooperation mit der Akademie der Künste. Internationale Dichterinnen und Dichter sind eingeladen, Werte durch Verskunst zu befragen und ihre Poesie auf die Bühne zu bringen. Ein Schwerpunkt liegt auf der konkreten, visuellen und Sound-Poesie.

45


NEUES AUS DEM ARCHIV 46

HEINRICH MANN UND DIE AKADEMIE

Lebenslauf aus dem Personalbogen für das Archiv der Akademie, 1926

Ariane Martin


Tagung der Sektion für Dichtkunst, 3. November 1929. Stehend v.l.: Bernhard Kellermann, Alfred Döblin, Thomas Mann, Max Halbe; sitzend v.l.: Hermann Stehr, Alfred Mombert, Eduard Stucken, Wilhelm von Scholz, Oskar Loerke, Walter von Molo, Ludwig Fulda, Heinrich Mann

Der Schriftsteller Heinrich Mann war ein entschiedener Befürworter der Weimarer Republik. Auch als Mitglied der Akademie der Künste und Vorsitzender der Sektion für Dichtkunst setzte er sich nachdrücklich für Demokratie, Menschenrechte und die Freiheit der Kunst ein. Seine vielfältigen Diskussionsbeiträge sind in dem kürzlich erschienenen und in der Akademie vorgestellten vierten Band Essays und Publizistik der Kritischen Gesamtausgabe der Werke nachzulesen. Sie sind beispielhaft für eine Aufgabe, die sich die Akademie der Künste bis heute zu eigen macht: „… die Sache der Kunst in der Gesellschaft zu vertreten.“ Der letzte Vorsitzende der Abteilung für Dichtung (im Volksmund: Dichterakademie) der Preußischen Akademie der Künste in der Weimarer Republik hieß Heinrich Mann (1871–1950). Sein Nachlass, zumindest der größte Teil, befindet sich heute im Literaturarchiv der Akademie der Künste.1 Heinrich Mann wurde am 27. Januar 1931 auf einer außerordentlichen Hauptversammlung zum Ersten Vorsitzenden der Sektion für Dichtkunst – wie sie damals noch hieß – gewählt. Heftige Auseinandersetzungen über die politische Ausrichtung der Sektion, ideologische Streitigkeiten über das Selbstverständnis der Schriftsteller, waren vorangegangen. Sie hatten dazu geführt, dass der vorherige Vorsitzende Walter von Molo im Herbst 1930 von seinem Amt zurücktrat, dann aber auch Anfang Januar 1931 drei „völkisch“ orientierte Mitglieder aus der Akademie austraten und die demokratisch Gesinnten nun in der Überzahl waren. Am 8. Oktober 1931 wurde Heinrich Mann für die Zeit bis zum 30. September 1934 als Vorsitzender wiedergewählt. Diese Amtszeit war bekanntlich der politischen Umstände wegen stark verkürzt. Die Nationalsozialisten gelangten am 30. Januar 1933

JOURNAL DER KÜNSTE 06

an die Macht, Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt. Diese Ereignisse markierten das Ende der Republik und der demokra­ tischen Ausrichtung ihrer Institutionen, darunter die Akademie der Künste mit der für Literatur zuständigen Abteilung. Die letzte Sitzung unter der Leitung Heinrich Manns fand am 5. Januar 1933 statt. „6 h Akademie“ hielt er unter diesem Datum in seinem Notizkalender fest. Sein erzwungener Austritt aus der Akademie (zusammen mit dem von Käthe Kollwitz) erfolgte am 15. Februar 1933. Präsident der Akademie der Künste war seit wenigen Wochen Max von Schillings, den Vorwand für den Ausschluss bot ein aktuell erneut plakatierter Aufruf „Dringender Appell!“ aus dem Vorjahr zur Reichstagswahl 1932, mitunterzeichnet von Heinrich Mann, Käthe Kollwitz, Albert Einstein und anderen Künstlern und Intellektuellen. Dieser Aufruf hatte vor der „Vernichtung aller persönlichen und politischen Freiheit in Deutschland“ gewarnt, für „ein Zusammengehen von SPD und KPD“ im Wahlkampf plädiert und zum Handeln aufgefordert: „Sorgen wir dafür, daß nicht Trägheit der Natur und Feigheit des Herzens uns in die Barbarei versinken lassen!“ Sechs Tage darauf ging Heinrich Mann ins Exil – „abgereist“, nichts weiter, liest man unter dem 21. Februar 1933 in seinem Notizkalender. Heinrich Mann – berühmt durch seine Abrechnung mit der wilhelminischen Mentalität in Der Untertan, in den 1920er Jahren engagiert für die deutsch-französische Verständigung und für Europa – war den Zeitgenossen bekannt als entschiedener Republikaner. „Il a écrit pour la République dans un temps où c’était encore dangereux.“ So heißt es beispielsweise über ihn am 18. Juni 1927 in der französischen Wochenzeitung Les Nouvelles littéraires, in einem Interview mit Emil Ludwig, das die von Kurt Tucholsky herausgegebene Weltbühne am 29. Juni 1927 nachdruckte: „Er hat für die

47


Republik geschrieben, als es noch gefährlich war.“ Als Vorsitzender der preußischen „Dichterakademie“ war der unermüdlich für die Demokratie eintretende Schriftsteller in den letzten Jahren der Weimarer Republik aber eben auch ein Repräsentant einer ihrer Institutionen. Beim Thema „Heinrich Mann und die Akademie“ findet denn auch überwiegend diese letzte Zeit Beachtung, kaum aber seine ersten fünf Jahre als einfaches Mitglied. Dabei setzte er sich von Anfang an mit großem Elan für die Sektion für Dichtkunst und in ihrem Namen ein, um für demokratische Prinzipien und Rechts­ staatlichkeit, für Menschenrechte und Menschlichkeit zu wirken. Es lohnt sich daher, einen Blick auf den Anfang und die ersten Jahre zu werfen. Am Nachmittag des 30. Oktober 1926 schickte Heinrich Mann, gerade auf Vortragsreise in Wien, ein Telegramm an Max Liebermann, den Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste: „nehme die mich hoch ehrende wahl dankbar an stop versichere sie herr praesident meiner herzlichen verehrung = heinrich mann.“ Drei Tage zuvor hatte in Berlin die konstituierende Sitzung der Sektion für Dichtkunst stattgefunden. Sie war durch einen Erlass des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 19. März 1926 der traditionsreichen Akademie der Künste zu Berlin angegliedert worden. Die vom Kultusminister Carl Heinrich Becker am 7. Mai 1926 ernannten Gründungsmitglieder Ludwig Fulda, Thomas Mann und Hermann Stehr erhielten den Auftrag, die neue Sektion durch Zuwahlen aufzubauen. Sie wählten am 27. Oktober 1926 in der konstituierenden Sitzung 24 weitere Mitglieder hinzu, darunter Heinrich Mann, der damals noch in München wohnte. Die Anfrage des Akademie-Präsidenten Max Liebermann, ob er die Wahl in dieses Gremium annehme, wurde am 30. Oktober 1926 im Wiener Musikvereinssaal von Ernst Lothar verlesen und gleichzeitig bekanntgegeben, dass Heinrich Mann „bejahend geantwortet habe“ (so die Formulierung in zahlreichen Zeitungen, die über das Geschehen berichteten). Die Wahl Heinrich Manns in die nun konstituierte Sektion für Dichtkunst fand in der Presse starke Resonanz. Die Berichte exponierten ihn oft gleich in den Überschriften: „Heinrich Mann und die Dichterakademie“ – so titelten am 3. November 1926 die Münchner Neuesten Nachrichten, „Heinrich Mann Mitglied der Dichterakademie“ am selben Tag der Hamburger Anzeiger und tags zuvor die Prager Presse. Neben der Anerkennung gab es von Anfang an aber auch massive Anfeindungen: „Auch Heinrich Mann Mitglied der Dichterakademie“ überschrieb der Völkische Beobachter vom 1./3. November 1926 seine Notiz, die mit der Bemerkung schließt, Heinrich Mann sei „einer der größten Pornographen Deutschlands, Judenstämmling“. Diskreditierungen dieser Art illustrieren drastisch, dass der Nationalsozialismus nicht erst gegen Ende der Weimarer Republik eine drohende Gefahr für den ersten demokratischen Staat auf deutschem Boden war. Insgesamt bezeugen die vielen Pressenotizen die öffentliche Aufmerksamkeit, die der prominente politische Schriftsteller fand. Noch bevor am 18. November 1926 mit der Wahl von Wilhelm von Scholz zum Vorsitzenden die nun eigentlich konstituierende Sitzung stattfand und die Sektion ihre Arbeit offiziell aufnahm, wurde

48

am 15. November 1926 eine Kundgebung „Die Dichter warnen den Reichstag“ veröffentlicht, die das „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ zu verhindern suchte, ein Zensurgesetz, gegen das Heinrich Mann sich mit einer ganzen Reihe von Artikeln einsetzte (vergebens, es wurde am 18. Dezember 1926 rechtskräftig).2 Dem Kampf gegen die Zensur widmete er – als Sektionsmitglied gestützt durch eine staatliche Institution, die Preußische Akademie – viel Kraft. Er stürzte sich in die Arbeit. In seinem eigenhändig geschriebenen Lebenslauf im Formular Personalnachrichten für das Archiv der Akademie der Künste hatte er erklärt, er folge der „Überzeugung, dass die Literatur zeitgeschichtlich bedingt und den Kämpfen der Mitwelt verpflichtet ist“. Heinrich Mann nahm die neue Institution sehr ernst. Er unterbreitete in einem Schreiben vom 6. Dezember 1926 dem Vorsitzenden Wilhelm von Scholz Vorschläge, welche Aufgaben von der Sektion wahrzunehmen seien, und führte als ersten Punkt aus: „Wenn das Schundund Schmutzgesetz, wie wir hoffen, im Reichsrat zu Fall gebracht sein wird, dürfen wir diese Gefahr nicht ruhen und dann wiederkehren lassen.“ Dieses Schreiben ist als Programmschrift aufzufassen. Heinrich Mann hat mit ihm ein „Aktionsprogramm entworfen“, wie er es in der Sitzung vom 26. Oktober 1927 charakterisierte. Wie wichtig ihm die Freiheit des Geistes war, zeigt die von ihm verfasste „Warnung vor dem Zensurgesetz. Ein Appell der Dichterakademie“ (am 16. März 1927 im Berliner Tageblatt) gegen eine weitere drohende gesetzgeberische Maßnahme. Die Sektionsmitglieder hatten diesen Appell zustimmend aufgenommen, die Veröffentlichung befürwortet. Das war nicht bei jeder der von Heinrich Mann für die Sektion formulierten Stellungnahmen so. Seine Ausführungen zum restriktiven Sexualstrafrecht im

Telegramm von Heinrich Mann an den Präsidenten der Akademie, Max Liebermann, Wien, 30. Oktober 1926


Taschenkalender 1933. Am 5. Januar 1933 fand die letzte Sitzung der Sektion für Dichtkunst unter Leitung Heinrich Manns statt.

Strafgesetzentwurf von 1927, „§ 300. Bericht an den Arbeitsausschuß der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste“, passten den Sektionskollegen nicht (er veröffentlichte sie 1929 in seiner Sammlung Sieben Jahre. Chronik der Gedanken und Vorgänge). Sein Anfang 1928 entworfener Protest im Zensurfall Johannes R. Becher, gegen den eines Romans wegen ein Hochverratsverfahren lief, blieb seinerzeit unveröffentlicht, da er den Sektionskollegen ebenfalls zu weit ging (der Erstdruck findet sich in Band 4 der Ausgabe Essays und Publizistik). Gedruckt wurde allerdings sein programmatischer Essay „Dichtkunst und Politik. Bericht an die Preußische Akademie der Künste, Sektion für Dichtkunst“ über das bereits im Kaiserreich reflektierte Verhältnis von Geist und Macht, das hier als eine Art Grundsatzerklärung zu Sinn und Zweck der Sektion für Dichtkunst gestaltet ist. Er erschien im Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929 (zuvor in der Neuen Rundschau). In diesem Essay verbirgt sich – nach historischen Ausführungen im ersten und der fingierten konkreten Adressierung des Kultusministers im zweiten Teil – im Finale des ganz auf Gegenwart orientierten dritten Teils eine dezidierte Stellungnahme zum Fall Becher, ohne allerdings den Namen zu nennen. Greift man einen Tag aus Heinrich Manns Terminkalender des Jahres 1929 heraus, dann wird klar, wie stark die Akademie auch den Alltag des Schriftstellers prägte, schon bevor er Sektionsvorsitzender wurde. Am 28. Oktober (Montag) hat er zum Beispiel notiert: „Akad. 11 h Wass. üb. Hofm. Sitzung der Ausw.“ Die Sitzung der Sektion für Dichtkunst in der Akademie der Künste am 28. Oktober 1929 war auf 11 Uhr angesetzt. Heinrich Manns Unterschrift auf der Anwesenheitsliste belegt seine Teilnahme, ebenso das Protokoll. Erörtert wurden die im Zuge der Affäre um die Imagewerbung Walter von Molos für eine Zeitschrift erfolgten Angriffe auf den Vorsitzenden, der anschließend wiedergewählt wurde. Diskutiert wurde aber auch eine Reihe weiterer Themen, darunter Fragen zur Schutzfrist im Urheberrecht (Heinrich Mann „rät, einen neuen, durch Beispiele illustrierten Aufruf zu verfassen“) und nicht zuletzt die Bezeichnung der Sektion (Heinrich Mann schlägt „literarische Kunst“ vor). Die nachmittags fortgesetzte AkademieSitzung mit den auswärtigen Mitgliedern der Sektion hat Heinrich

JOURNAL DER KÜNSTE 06

Mann zwar notiert, er blieb ihr aber fern. Oskar Loerke, der Sekretär der Sektion, der auch die Protokolle schrieb, hielt am 28. Ok­tober 1929 in seinem Tagebuch fest: „Die bewegte, im Wahlakt peinliche Generalversammlung in der Akademie. Molo wiedergewählt. Nachmittags neue Sitzung.“ 3 Heinrich Manns abgekürzte Notiz zwischen den beiden die Akademie-Sitzungen betreffenden Einträgen ist aufzulösen: Wassermann über Hofmannsthal. Er nahm abends an der von der Sektion für Dichtkunst in der Akademie der Künste (Pariser Platz 4) veranstalteten Gedenkfeier für Hugo von Hofmannsthal teil, bei der Jakob Wassermann die Gedenkrede hielt. Die Presse vermerkte seine Anwesenheit. Im Streit um die Bezeichnung der Sektion – antiquiert „Dichtung“, eher neutral „Dichtkunst“ oder moderne Schreibweisen integrierend „Literatur“ – bündelten sich die eingangs erwähnten ideologischen Auseinandersetzungen. Heinrich Mann nahm 1931 als soeben gewählter Vorsitzender in seinen Artikeln „Pariser Platz 4“ und „Sektion für Dichtkunst“ (am 14. und 15. Februar 1931 jeweils in der Frankfurter und in der Vossischen Zeitung) sogleich Stellung zu der scharfen Kontroverse um das Selbstverständnis der Sektion für Dichtkunst zwischen Gegnern und Befürwortern der Weimarer Republik. Dass er zu den entschiedenen Befürwortern zählte, ist bekannt. Zu unterstreichen ist aber auch, dass die Akademie der Künste entscheidend von ihm geprägt war. 1  Die hier angeführten Zitate stammen aus dem HeinrichMann-Archiv im Literaturarchiv sowie dem Archiv der Preußischen Akademie der Künste im Historischen Archiv. 2  Die Texte, die Heinrich Mann für die Sektion für Dichtkunst oder über sie schrieb (und unterschrieb), sind alle kommentiert nachzulesen in diesen Bänden der kritischen Gesamtausgabe Essays und Publizistik (hg. von Wolfgang Klein, Anne Flierl und Volker Riedel), die im Aisthesis Verlag (Bielefeld) erscheint – Band 4: 1926 bis 1929, hg. von Ariane Martin (2018), Band 5: 1930 bis Februar 1933, hg. von Volker Riedel (2009), Band 6: Februar 1933 bis 1935, hg. von Wolfgang Klein (2009). 3  Oskar Loerke, Tagebücher 1903–1939, hg. von Hermann Kasack, Frankfurt am Main 1986, S. 208.

ARIANE MARTIN ist Professorin für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Mainz, Mitherausgeberin des Heinrich Mann-Jahrbuchs und Präsidentin der Heinrich Mann-Gesellschaft.

49


FREUNDESKREIS

WERTE IM DIGITALEN WANDEL Mathias Döpfner

Donald Trump regiert via Twitter. Die Plattform zieht er den professionellen Möglichkeiten eines Präsidenten vor. Dem Pressestab. Seiner Sprecherin. Den Journalisten, die das Pressecorps bilden. Und auch der Möglichkeit, jeder Zeitung, jedem Fernsehsender auf der Welt ein Exklusivinterview anbieten zu können und sofort gehört zu werden. Alle anderen amerikanischen Präsidenten kommunizierten auf diesen klassischen Wegen. Die Entscheidung, die Trump für sich traf, ist weniger eine Charakterfrage, als man glauben mag. Sondern eher eine Frage der Möglichkeiten. Denn mit Ausnahme von Barack Obama hatte keiner seiner Vorgänger Zugang zu Twitter. Die Plattform wurde erst 2006 entwickelt, und es dauerte ein paar Jahre, bis sie sich vom Spielzeug für Nerds zu einem funktionalen Kommunikations-Instrument entwickelte. Donald Trump erreicht über Twitter nicht unbedingt mehr Menschen, als es seine Vorgänger schafften. Bemerkenswert an seiner Entscheidung ist das Gegenteil: dass er nicht weniger erreicht. Denn nach den Maßstäben, die wir noch vor wenigen Jahren an die Welt gelegt hätten, müsste Twitter der Toyota Corolla der Kommuni­ kation sein. Solide, gebaut für die Massen. Aber keine besonderen Fähigkeiten. Kein Werkzeug für einen Präsidenten. Aber der Markt hat sich verändert. Porsche für jeden – die Demokratisierung der Sendemöglichkeit.

Barack Obama mit der Kolumnistin Helen Thomas vor dem Pressecorps des Weißen Hauses.

Twitter im Weißen Haus ist nur ein Beispiel für die tiefgreifende Veränderung der Welt, die wir alle derzeit durchleben. Für ihre Qualität und ihre Auswirkungen. Und eigentlich ist das ein (linker) Traum: dass der Präsident über den Kanal kommuniziert, der auch dem Arbeiter oder dem Studenten zur Verfügung steht. Dass er wahr

50

geworden ist, ist zunächst eine kapitalistische Errungenschaft. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit war Kommunikation so günstig und gleichzeitig so effizient. Die Reichweite jeder Botschaft ist potenziell unendlich. Den viralen Effekt, der die massenhafte Verbreitung einer Botschaft im Netz bewirkt, kann man forcieren. Oft genug trifft er aber auch die Botschaften von Menschen, die nicht damit gerechnet haben, dass ausgerechnet ihr Facebook-Post, ihr Snap-Video oder ihr Tweet um die Welt gehen. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen sind unübersichtlich. Kultur und Gesellschaft verändern sich so schnell und so tiefgreifend wie zuletzt nach der Erfindung des Buchdrucks oder des Rads. Fundamentale Werte stürzen zusammen wie Lehmbauten während eines Erdbebens. Ein paar Beispiele: Die Nachrangigkeit der Kopie im Vergleich zum Original wird für kommende Generationen schwer zu begreifen sein. Jahrhundertelang hatte sich die Menschheit an den Qualitätsverlust zwischen Original und Kopie gewöhnt. Auf einer Festplatte ist die Kopie einer Musikdatei aber ebenso gut wie das Original. Neue Formen oder enge Verwandte der Kopie, wie zum Beispiel das Streaming, stellen die Frage, was überhaupt Kopie, was Original ist. Weder im (urheber-)rechtlichen noch im philosophischen Sinn gibt es eine schlüssige Antwort. Die Unterscheidung zwischen Sender und Empfänger war in der Medientheorie seit der Erfindung des Briefs eindeutig und offensichtlich. „User generated content“ hat die beiden Rollen auf eine einzige verdichtet. Das betrifft zum Beispiel die Mehrzahl der Nutzer von sozia­ len Plattformen wie Facebook, Snapchat, Twitter. Sie sind beides: Sender und Empfänger. Die Blockchain verbindet Anonymität, Verschlüsselung und Sicherheit. Ihre erste große Leistung: eine komplett digitale Währung ohne zentrale Instanz wie eine Zentralbank zu etablieren. Vor wenigen Jahren hätte das kaum jemand für möglich gehalten. Und das war wohl erst der Anfang dessen, was die Blockchain zu leisten im Stande ist. Und selbst die Grenze zwischen Gegenwart und Zukunft verschwimmt, weil die ersten Künstlichen Intelligenzen mit immer besserer Prognosetechnologie einen Ausschnitt der Zukunft in der Gegenwart präsentieren können: Dieser Patient wird mit 99 % Wahrscheinlichkeit an Krebs erkranken, dieser Mensch wird einen

Terroranschlag begehen, dieser einen Einbruch. Gleichzeitig verändert sich auch unser Verhältnis zur Vergangenheit, weil die gesunkenen Kosten für Speicher dafür sorgen, dass wir unsere Gedanken, Wege, Emotionen sowie Fotos, Sprach- und Videodateien in Positionsdateien (GPS) und selbst im Chip unseres Autos speichern. Und auch darauf sind weder der Staat als Gesetzgeber und Inhaber des Gewaltmonopols noch der Mensch an sich vorbereitet. Die offenen Fragen überwiegen der Anzahl und der Qualität nach bei weitem die Antworten, die wir der technischen Entwicklung bislang abgerungen haben. Klingt das nach Furcht? Nach Sorge? Ja, auch. Weil sich in den letzten Jahren gezeigt hat, dass die Entwicklung an sich neutral ist: weder gut noch schlecht. Und damit für beides geeignet: das Gute und das Schlechte. Die Stimme des Volkes auf Twitter mag vor fünf Jahren manchen Herrscher das Fürchten gelehrt haben. Heute sind die sozialen Netzwerke Mittel ebenjener Autokraten, die mit Perfidie und zahlreichen Tricks die öffentliche Meinung beeinflussen, Lügen verbreiten und ihre Schandtaten verschleiern.

In den Umwälzungen sind auch Gewissheiten, die den Markt bislang stabilisierten, verlorengegangen. Ein Nebeneffekt der geringen Speicherkosten und der daraus resultierenden Überflutung der Welt mit Medieninhalten ist, dass die Zahlungsbereitschaft für Nachrichten auf einem historischen Tiefpunkt angelangt ist. Effekte wie dieser gefährden schlussendlich die Demokratie. Dass wir eine Renaissance des Populismus von Links und Rechts erleben, wird von den neuen Medien nicht nur begünstigt, sondern ermöglicht. Es liegt an uns allen, im digitalen Wandel das zu bewahren, wofür Helden der Vergangenheit immer wieder gekämpft haben: unsere Werte. Individuelle Freiheit, Demokratie, Gleichheit vor dem Gesetz, Menschenrechte, Einigkeit, das (amerikanische) Recht darauf, nach dem eigenen Glück zu streben, und – insbesondere als Lehre der deutschen Geschichte – ein entschiedenes, starkes „Nie wieder“ zu Diktatur und Verfolgung von Minderheiten. In den frühen Jahren der Digitalisierung hat das Netz gezeigt, dass es einen positiven Wandel bewirken kann. Nie zuvor waren Wissen und Bildung und damit auch Reichtum und Wohlstand so weit verbreitet wie heute. Wenn es gelingt, die Weichen richtig zu stellen, kann das digitale Zeitalter so viel schöner und friedlicher werden als alle Jahre der Vergangenheit. Aber dafür werden wir kämpfen müssen.

MATHIAS DÖPFNER, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, ist Mitglied der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste.


BILD- UND TEXTNACHWEISE

IMPRESSUM

Bild- und Textnachweise

Journal der Künste, Ausgabe 6, April 2018 Auflage: 4.000

S. 3 © Mirosław Bałka | S. 6 Foto © Alice Marcelino, S. 7+9 Fotos © Ayrson Heráclito, S. 8 Foto Sarah-Ji Rhee, © Sarah-Ji Rhee und NIC Kay | S. 10–13 © Manos Tsangaris, VG Bild-Kunst, Bonn 2018 | S. 19+20 Stills Barbara Berthold-Metselaar © Lutz Dammbeck, VG Bild-Kunst, Bonn 2018, S. 21 Foto © Dieter Wuschanski, S. 22 Foto Jan Sagl © Sammlung Muzeum Sztuki, Łódź, Zorka Ságlová, VG Bild-Kunst, Bonn 2018, S. 23 Art Museum of Estonia Tallinn © Kaarel Kurismaa, VG Bild-Kunst, Bonn 2018, S. 25 Foto © Kölner Stadtanzeiger | S. 26+29 Fotos © Julia Baier, Texte S. 28 © S. Fischer Verlag und Verlag der Autoren | S. 32 Foto © Christian Schneegass | S. 34 von oben Porträt © Rashad Alhindi, Porträt © Rosa Hopp, Porträt © Mirkan Deniz, S. 35 von oben Porträt © Anna van Kooij, Werkabbildungen © Marina Poleukhina, Porträt und Werkabbildungen © cylixe, S. 36 von oben Porträt © Samuel Henne, Porträt © Nadezhda Sarycheva, Porträt © Zoran Lešić, S. 37 von links Porträt und Werkabbildung © Martina Wegener, Porträt © Giorgos Vitsaropoulos, S. 38 von oben Porträt © Yiannis Kolozis, Werkabbildung © Yorgos Loizos, Foto © Lucius Müller, Werkabbildung © Christian Knörr, S. 39 von links Porträt © Lynn Musiol, Porträt und Werkabbildung Alicia Hernanz | S. 41 Foto © Filiz Şahin | S. 43 Akademie der Künste, Berlin, Hermann-ScherchenArchiv Nr. 2027, pag. 59 | S. 44+45 Gestaltung Nikolaus Einhorn © Edition S Press, Akademie der Künste AVM31.4605, AVM-31.4599, AVM-31.4361/ 2, AVM-32.4689/7, Cover außer S. 44 oben auch: Michael-Köhler-Archiv Nr. 310 | S. 46-49 Akademie der Künste, Berlin, PrAdK, PerS. DI 33, Foto PrAdK 315, PrAdK 805, Heinrich-Mann-Archiv Nr. 474 | S. 50 links Foto © Everett Collection/Bridgeman Images, rechts mauritius images / B Christopher / Alamy Wir danken allen Inhabern von Bildnutzungsrechten für die freundliche Genehmigung der Veröffentlichung. Sollte trotz intensiver Recherche ein Rechteinhaber nicht berücksichtigt worden sein, so werden berechtigte Ansprüche im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Das Journal der Künste erscheint viermal jährlich und ist an allen Standorten der Akademie erhältlich. Mitglieder der Akademie der Künste bekommen ein Exemplar zugesandt. © 2018 Akademie der Künste © für die Texte bei den Autorinnen und Autoren © für die Kunstwerke bei den Künst lerinnen und Künstlern Verantwortlich für den Inhalt Werner Heegewaldt Johannes Odenthal (V.i.S.d.P.) Kathrin Röggla Redaktion Martin Hager Marie Altenhofen Anneka Metzger Korrektur Claudius Prößer Gestaltung Heimann + Schwantes, Berlin www.heimannundschwantes.de Lithografie Max Color, Berlin Druck Druckerei Conrad GmbH, Berlin Sollten Sie Einzelexemplare oder ein Abonnement wünschen, wenden Sie sich bitte an info@adk.de. Ein Teil der Auflage enthält einen Beileger mit allen Texten auf Englisch. Der Einleger kann auch unter info@adk.de bestellt werden. ISSN (Print) 2510-5221 ISSN (Online) 2512-9082 Digitale Ausgabe https://issuu.com/journalderkuenste Akademie der Künste Pariser Platz 4 10117 Berlin T 030 200 57-1000 info@adk.de, www.adk.de akademiederkuenste

Die im Journal vertretenen Auffassungen geben die Meinung der jeweiligen Verfasser wieder und entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Akademie der Künste. Gefördert durch:



Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.