Jewish Museum Berlin: JMB Journal Nr. 5

Page 32

deutsche Sprache aus der Zeit vor dem Holocaust und ihre Auswahl an kulturellen Leitbildern als AriadneFäden für eine Rückbesinnung auf die beste und durch größte Offenheit gekennzeichnete deutsche Vergangenheit nutzen. Meine Anregung stieß auf fassungsloses, peinliches Schweigen. Ich konnte mir gut vorstellen, was sich in dem Moment in den Köpfen der deutschen Politiker abspielte: „Wir können doch nicht die ‚heilige‘ jüdische Referenz aus der Vergangenheit als Richtschnur für die Zukunft verwenden ... da würde man uns doch vorwerfen, nach all der Zerstörung noch die Chuzpe zu haben, unsere Opfer als Musterbeispiel hinzustellen; zudem sind doch die Juden so besonders und außergewöhnlich ...“ Ich würde sagen, es könnte gerade die Aufgabe einer Einrichtung wie des Jüdischen Museums Berlin sein, den neuen Einwanderern eine jüdische Landkarte der kulturellen Vergangenheit Deutschlands anzubieten. Ich würde dabei sogar Gerschom Scholems berühmte polemische Bemerkung als Aufhänger nehmen, die deutsch-jüdische Symbiose habe es nie gegeben, außer in den Köpfen deutsch-jüdischer Intellektueller, die nur miteinander Umgang pflegten, nicht aber mit den „Teutonen“ in den deutschen Kulturräumen. Dieses Thema ist zwar heute nicht mehr relevant, doch bedeutsam bleibt die Liste der Autoren, Musiker, Künstler und Denker, für die jene kultivierten Juden und ihre Meinungsführer sich begeisterten. Die Chancen stehen gut, dass Einwanderer gleich welcher Herkunft dieser Liste zustimmen würden, denn sie enthält das Beste und das am wenigsten Ethnozentrische der deutschen Kultur. Hinzu kommt, dass es heute zum Beispiel eine wachsende Zahl deutsch-türkischer Autorinnen und Autoren gibt, die in makellosem Deutsch schreiben, sogar in einem charakteristisch deutschen Bezugsrahmen argumentieren, und sich dabei dennoch türkische Gedanken im Kafkaschen Sinn bewahren. Der zweite Bereich ist das, was ich anthropologische Kultur nenne: all die nichtsprachlichen Zeichen, die eine gemeinsame nationale Zugehörigkeit ausdrücken, sei es der Abstand, den Menschen zueinander einhalten, seien es die Gesten, mit denen sie ihre Worte untermalen, die Art, vor einem Geschäft oder an einer Bushaltestelle Schlange zu stehen, die Straße zu überqueren usw. Eine der interessantesten Entdeckungen an den Runden Tischen, die ich im Rahmen der res publica-Veranstaltungen in sechs europäischen Ländern organisierte, war, wie „schwedisch“, „französisch“, „britisch“ und „deutsch“ (in der Körpersprache, aber ebenso in den gedanklichen Kategorien) die neue Generation der gemeinhin „muslimisch“ genannten Immigranten geworden war – und zwar schlicht dadurch, dass sie in den jeweiligen Ländern lebte. Man kann argumentieren, die nationalsozialistische Obsession mit den Rassenunterschieden sei gerade aus der Angst geboren,

32

J M B JOURNAL

could use the pre-Holocaust Jewish passion for the German language and their choice of cultural icons as useful Ariadne threads into the very best and most open German past. My suggestion was met with a stunned and embarrassed silence. I could very well imagine what went on at the time in the minds of the German political elites: “We cannot possibly use the ‘hallowed’ Jewish reference of the past as a guide for the future… for we would be accused of destroying first and then having the chutzpah of using our victims as models, besides Jews are so special and so exceptional…” I would argue that it could be precisely the task of an institution such as the Jewish Museum Berlin to offer to the country’s new immigrants a Jewish map into the German cultural past. And I would even use as a starting point Gershon Scholem’s well known provocative barb that the German-Jewish symbiosis never existed except in the minds of elite German Jews who were only interacting with each other, not with “Teutons” inside Germany’s cultural spaces. That issue is no longer relevant today, but what remains pertinent is the list of authors, musicians, artists, and intellectuals that impassioned those cultivated Jews and their avant-gardes. There is a good chance that immigrants of all backgrounds would relate to the same roster because it stood for the very best, and the least ethnocentric, of German culture. Besides, there is now a growing number of German-Turkish authors who write in the most impeccable German, and even using purely German references to make their points, while retaining Turkish “thoughts” à la Kafka. The second realm is what I would call “anthropological culture”: all those non-verbal signs which indicate a shared national belonging whether it be the distances people keep between each other, the gestures which accompany their speech, the way they queue in front of a store or a bus, how they cross streets, etc. One of the most interesting discoveries of the res publica round tables which I organized in six different European countries, was just how “Swedish,” “French,” “British,” and “German” (in body language but also in mental categories) the new generation of generically called “Muslim” immigrants had become by the simple fact of having lived in their respective countries. One can argue that the Nazi obsession with racial differences stemmed precisely


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.