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Auf der Suche nach Realität

Bewerten mittelständische Unternehmen Compliance Maßnahmen angemessen?

MMan weiß übereinander Bescheid, vertraut und kann sich leiden. Ein solch enges und persönliches Verhältnis ist für mittelständische Unternehmen, besonders Familienunternehmen, nicht unüblich. Der folgende Artikel beleuchtet Besonderheiten der Konstitution von mittelständischen Unternehmen, anhand dieser kann eine Kluft zwischen Soll- und Ist-Zustand vieler Unternehmen in Deutschland festgestellt werden.

Wir können unsere Umgebung nur auf einer Ebene erleben und definieren, die eine Beziehung zur Welt und dem uns Umgebenden herstellt, es ist uns jedoch nicht möglich, diese Welt objektiv und unbeeinflusst zu erleben. Wir nehmen Konzepte und Heuristiken an, um die Realität unserer Welt zu beschreiben und versuchen zu verstehen. Das gilt übergeordnet für unzählige Disziplinen, letztendlich für die Wirtschaft, den dazugehörigen Unternehmen und darin integrierten Compliance-Systemen. Diese Kategorisierungen sind notwendig, um menschliches Miteinander und dessen Strukturen zu ermöglichen, allerdings können sie sich genauso auch negativ auswirken.

Klein- und mittelständische Unternehmen schließen nach Definition des IfM (Institut für Mittelstandsforschung) 99,5% aller Unternehmen in Deutschland ein. Die Führungsstrukturen gliedern sich in Eigentümer- und Familienunternehmen, sowie in fremdgeführte Unternehmen. Bei den Kategorien der Besitzstrukturen lassen sich Einzelpersonen, Familien oder Fremdbesitz durch Mischfinanzierung oder eine Publikumsgesellschaft unterscheiden. Hierbei sind sie Teil der Klassifizierung, wenn sie weniger als 500 Mitarbeiter haben und der Jahresumsatz weniger als 50 Mio. Euro beträgt. Weitere Definitionen haben oft höher an gesetzte Mitarbeiter- und Umsatzzahlen.

Durch Vorfälle wie die Schmiergeld-Affäre bei Siemens 2006 oder das deutsche Gebietskartell in der Zuckerindustrie im Jahr 2016 ist Compliance bei Großunternehmen zur Priorität geworden und wurde umgehend implementiert. Die Wichtigkeit von Compliance Strukturen ist mittelständischen Unternehmen teils bewusst, regelmäßig, jedoch noch nicht vollends etabliert und generiert nicht die erforderliche Anerkennung – weitaus weniger als die Hälfte der Unternehmen haben umfassende Compliance Systeme.

Gerade familiengeführte Unternehmen – welche 90% in Deutschland ausmachen - spielen dabei durch ihre Besonderheiten eine wichtige Rolle. Gemeint ist die Priorisierung von Familienharmonie, Anstellung der Familie und finanzieller Unabhängigkeit über Wertmaximierung, Einkommen und Innovation. Grundsätzlich lassen sie sich in zwei übergeordnete Strömungen unterteilen: Eine zielt auf die „Components of Involvement“ ab, hierbei liegt die Gewichtung Eigentum, Management und Kontrolle, um durch die Familiendynamik die angestrebte Entwicklung in Hinblick auf Werte und Präferenzen zu verwirklichen. Bei der weiteren Strömung handelt es sich um den „Essence“-Ansatz, zwar wird die Beteiligung der Familie vorausgesetzt, der Hauptfokus bezieht sich aber auf das Wesen, die Visionen und das Verhalten des Familienunternehmens.

Eine Problematik, die sich bei der Etablierung von Compliance im Mittelstand übertragen lässt, ist das Aufkommen von Informationsdefiziten innerhalb von Unternehmen. Es lassen sich verschiedene Referenzrahmen herauskristallisieren, die zu von der Arbeitsrealität divergierenden Konzepten leiten und dadurch das Denken der Mitarbeiter und der Führungsetage innerhalb eines Unternehmens beeinflusst.

Dazu lassen sich die Begriffe „a posteriori“ und „a priori“ aus der Erkenntnistheorie nach Kant hier oberflächlich anführen: Ersteres meint Wissen, das unmittelbar aus Erfahrungen mit Hilfe verschiedener Sinne geschlossen wird.

Unternehmen teils bewusst, regelmäßig, jedoch noch nicht vollends etabliert und generiert nicht die erforderliche Anerkennung – weitaus

Die Konklusion, dass ein Kreis groß sei, kann nur gemacht werden, weil vorher andere Kreise gesehen wurden und der vorliegende mit den vorigen Eindrücken abgleichen werden kann. Letzteres meint Wissen, das mit Hilfe von Analyse gewonnen wird. Es werden logische, analytische Schlüsse gezogen, ohne dabei aktiv auf Erlebnisse mit Sinneswahrnehmungen zurückzugreifen. Die daraus geschlossenen Folgerungen lassen sich mit der Rechenaufgabe 2+2 verdeutlichen. Nachdem das Zählen einmal gelernt wurde, weiß man, dass das Ergebnis 4 ergibt. Die Ergebnisse der Analyse lassen sich einzig und alleine durch den Verstand bestimmen.

Oft ist durch Eindrücke erworbene Erfahrung unabdingbar, um logische und richtige Entscheidungen zu treffen, dennoch gibt es Sachverhalte, bei denen die Erfahrungen irreführen können. Nun folgt ein Beispiel, das bei der Führungsebene beim Thema Compliance entsteht, wenn der Blick durch die Brille der eigenen Sinneswahrnehmung (a posteriori) täuscht und vom objektiven logisch-analytischen (a priori) abweicht: Aufgrund vorherrschender Vertrauensverhältnisse halten sich Mittelständler in Bezug auf Compliance Verstöße für deutlich weniger anfällig als Großunternehmen. Dabei wird vernachlässigt, dass jedes Unternehmen grundsätzlich gefährdet ist, zum Beispiel in Wirtschaftskriminalität verwickelt zu sein. So ermittelte eine KPMG-Studie aus dem Jahr 2018, dass jedes dritte Unternehmen in den beiden Vorjahren in Wirtschaftskri-