N'Jus HS16

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Justiz im Alltag Double Degree in Kyoto Interview mit Prof. Dr. iur. Marc Thommen Jus studieren an den Universitäten Bern und Zürich - Ein Vergleich Zeitschrift der Zürcher Jusstudierenden

Vortrag über spektakuläre Kapitalverbrechen Herbstsemester 2016



Editorial Das Recht ist eine schwierige Sache. Das erste, was man im Jusstudium lernt ist, dass «es darauf ankommt». Das Recht ist unglaublich vielseitig und lässt sich nur sehr schwer auf etwas reduzieren. Nicht umsonst wurde als Symbol für dieses wankelmütige Gebilde eine Frau gewählt. In der alten römischen Mythologie steht Iustizia für die ausgleichende Gerechtigkeit. Später symbolisiert sie immer mehr das Zusammenspiel der durch göttliche Ordnung bestehenden Gerechtigkeit und der strafenden, rächenden Gerechtigkeit. Daher hält sie in der linken Hand eine Waage und in der rechten das Richtschwert. Der Waagbalken steht oft schräg, um den Grundsatz «in dubio pro reo» zu versinnbildlichen. Ihre Augenbinde soll ihre Unparteilichkeit symbolisieren. Das vorliegende N’Jus® befasst sich mit dem Thema «Justiz im Alltag». So wird unter anderem diskutiert, ob Meteorologen für falsche Prognosen zur Verantwortung gezogen werden sollten. Auch enthält es einen Bericht über den Vortrag von Ulrich Weder, ehemaliger Leiter der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, der von einigen seiner spektakulärsten Fällen erzählt.

Zudem durfte ich ein Interview mit Herr Prof. Thommen führen, in dem er mir von seiner Tätigkeit als Gerichtsschreiber in der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Lausanne erzählt und wie er dorthin gekommen ist. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei ihm bedanken! Nun wünsche ich aber der Leserschaft viel Vergnügen bei der Lektüre dieser und vieler weiterer spannender Artikel. Gina Krückl

Redaktionsleitung: Gina Krückl



Inhaltsverzeichnis

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Worte auf einem Blatt Papier

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Double Degree Kyoto

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Interview mit Prof. Dr. iur. Marc Thommen Ehemaliger Bundesgerichtsschreiber heute Strafrechtsprofessor

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Jus studieren in Bern Ein Vergleich

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Jus studieren in Zürich Ein Vergleich

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Blick hinter die Kulissen bei Bär & Karrer

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Neues aus dem Fachverein

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Rückblick auf spektakuläre Kapitalverbrechen Ein Vortrag von Ulrich Weder

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Circolo Giovani Giuristi Zurigo Strafrechtliche Konsequenzen falscher Wetterprognosen?

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Kolumne Un mese nel bel Paese – ein erfrischender Erfahrungsbericht

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Sudoku


Worte auf einem Blatt Papier Andrea Hauser

Wenn ich erzähle, dass ich Jus studiere, denken die meisten Leute an das Strafrecht. Sie haben diese Szene vor Augen, wie ein psychopathisch dreinblickender Mörder in einem schicken Gerichtssaal auf der Anklagebank sitzt. Ein zähnefletschender Staatsanwalt tritt heldenhaft gegen einen moralisch fragwürdigen Verteidiger auf. Diese Szene hat zwar nicht viel mit der Realität zu tun, aber wie so oft vergessen das die Meisten, weil sie lieber Popcorn essend zusehen.

Doch was entspricht der Realität? Nun ja, in der Realität ist das Recht nicht immer so filmreif, so skandalös, so heroisch. Und das Recht will ja der Realität gerecht werden. Letztendlich ist im allgemeinen Verständnis Recht nur etwas, was auf einem Blatt Papier geschrieben steht. Doch geht das überhaupt? Kann Recht der Realität gerecht werden? Was haben Regeln auf einem Blatt Papier mit der Realität zu tun? Die Leute beschweren sich oft über die vielen Vorschriften, die es inzwischen gibt. Wenn man das nun analog auf die Realität anwenden würde, lässt das den Schluss zu, die Gesellschaft sei vielseitiger und komplexer geworden. Denn was als selbstverständlich gilt, beurteilt jeder subjektiv. Das Recht versucht also zwischen den verschiedenen Meinungen einen Kompromiss zu bilden, um dann die Selbstverständlichkeit objektiv festzulegen. Ja, möglicherweise mag es für Dich selbstverständlich sein, dass Du beim Autofahren nur so schnell fährst, wie Du auch rechtzeitig reagieren kannst. Aber Andere, welche entweder vom Adrenalinrausch gepackt werden, oder zu einer grosszügigeren Selbsteinschätzung neigen, verhalten sich dies-

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bezüglich nicht immer so vorbildlich, wie Du das vielleicht tust – vielleicht. Und überhaupt, woher weisst Du, unter welchen Umständen Du effektiv noch schnell genug reagieren kannst? Unsere „objektiven“ Beurteilungen lassen nicht selten zu wünschen übrig, besonders, wenn eigene Vorlieben oder Fähigkeiten darin verwickelt sind. Wir denken immer, das Recht sei da, um uns zu schützen, aber dem ist nicht zweifelsfrei so: zum einen schützt Dich das Recht, zum anderen schützt es vor Dir.

Zum Einen schützt Dich das Recht, zum Anderen schützt es vor dir.

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Doch um auf eine der obengenannten Fragen zurückzukommen: Kann Recht der Realität gerecht werden? Das geschriebene Recht für sich? Nein. Denn das Recht besteht, wie viele Mitmenschen scharfsinnig erkannt haben und wir Jusstudenten mühsam erarbeiten, aus vielen Gesetzen, Verordnungen, kurz Regeln, die befolgt werden müssen. Diese sind aber noch keine Realität. Denn was bringt eine Vorschrift, welche ein stossendes Ergebnis erzielt? Wie wir alle wissen, oder noch lernen werden, wird eine Vorschrift, bei welcher sich herausstellt, dass sie nicht mit der Realität vereinbar ist, schlichtweg nicht angewandt. Wenn man das Recht also mit allen Schriftsätzen gleichsetzt und den Alltag völlig ausser Acht lassen will, dann

wird Recht weder der Realität, noch sonst jemandem gerecht. Genau aus diesem Grund muss es angewandt werden. Von Anwälten, Richtern, Gerichtsschreibern und anderen. Denn, wenn niemand das Papier mit den Regeln liest, weiss auch niemand, was draufsteht. Letzten Endes hat das Recht nichts mit der Realität zu tun. Die Menschen, die damit arbeiten machen es real. Also liebe Jusstudenten: Lest die Gesetzestexte und vor allem die Kommentare und Lehrbücher. Denn durch euch werden sie Realität. Wenn sie niemand anwendet, sind es nur Worte auf einem Blatt Papier.

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Double Degree Kyoto Kevin Ardüser

Nach einem Austauschsemester in Peking reiste ich durch Asien und gelangte unter anderem nach Japan. Wie sich herausstellte eine Insel im Pazifik, die ich unbedingt näher kennenlernen musste.

Das Land unzähliger Facetten Die Doshisha Universität liegt inmitten von Kyoto. Kyoto ist als alte Haupt- und Kaiserstadt mit unzähligen UNESCOWeltkulturerbe-Bauten eine der geschichtlich und kulturell bedeutendsten Städte Japans. Die klassische japanische Architektur Kyotos, zusammen mit den atemberaubenden ShintoSchreinen und Buddhisten-Tempeln gewähren nicht nur einen Einblick in den kulturellen Ursprung Japans; das belebte, modernere Stadtzentrum und die ansässigen Elektronikunternehmen, wie beispielsweise Nintendo, Kyocera oder Electronic, zeigen den Gegensatz zwischen alter Tradition und wirtschaftlicher Weiterentwicklung auf. An Partymöglichkeiten mangelt es ebenfalls nicht. Unweit der Universität findet man diverse Bars und Clubs, die bis in die Morgenstunden Musik spielen und zum Verweilen einladen. Zudem führt der berühmte Kamo-Fluss durch die Stadt, an dem sich Jung und Alt zu einem Bier oder Sake treffen.

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Neben Kyoto bietet die langgezogene Insel Japans, im Norden auf Höhe von Wladiwostok, im Süden auf ungefähr dem gleichen Breitengrad wie Hawaii, zahlreiche weitere Ausflugsziele. In einem kurzen Überblick lassen sich einige meiner Erfahrungswerte, wie folgt, zusammenfassen: In Tokyo, der bevölkerungsreichsten Stadt der Welt, lernte ich das Wirtschaftszentrum Japans kennen, in Okinawa tauchte ich neben Walhaien, in Nagano in den Hot Springs schlürfte ich neben Snow Monkeys Cocktails, in Hiroshima liess mich die Geschichte des zweiten Weltkriegs verstummen. Der Vollständigkeit halber muss ich natürlich noch ergänzen, dass Japan geographisch eine gute Basis für weitere Ausflüge darstellt; in Asien, aber auch interkontinental.

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Eine traditionsreiche Universität mit 29'000 Studenten Die Doshisha Universität ist im Privatbesitz und bietet neben 400 Clubs und Circles, denen jedermann beitreten kann, verschiedene kostenlose Indoor- und Outdoor-Sportmöglichkeiten an. Der Japanischunterricht ist ebenfalls gratis. Ausserdem werden zahlreiche Veranstaltungen und Tagesausflüge organisiert. Hervorheben möchte ich die phänomenale Betreuung durch das Universitätspersonal: E-Mails werden im Stundentakt beantwortet und bei Problemen, selbst bezüglich persönlichen Belangen, ist das Personal jederzeit zur Hilfestellung bereit.

Dies ist meines Erachtens nicht nur mit der guten Organisation und Studierendenbetreuung zu erklären, sondern auch damit, dass Japaner allgemein sehr freundlich und vor allem hilfsbereite Personen sind. Die Universität bietet leider keine Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Campus an. Allerdings berät und unterstützt sie angehende Studenten bei der Wohnungssuche. Ich lebte gefühlte fünf Velominuten vom Campus entfernt in einem Wohnhaus zusammen mit etwa 100 anderen Studenten. Neben einem Sento (japanisches Bad) befand sich eine Mensa im Haus, wo das Morgen- und Abendessen angeboten wurde. Pro Monat bezahlte ich (inklusive Sento und Essen) CHF 700.-, was verglichen mit Zürich doch sehr erschwinglich ist.

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Privatunterricht und Simultanübersetzung Die Doshisha Universität unterscheidet sich bezüglich den Fächern und deren Ablauf von der UZH insofern, als man als Leistungsnachweis meist keine Prüfung am Ende des Semesters ablegen muss, sondern Essays/Arbeiten während des Semester einreichen, sich im Unterricht aktiv beteiligen und teils Vorträge in den Lektionen halten muss. Persönlich begrüsse ich dieses System, da man nach dieser Art sein Rechtsenglisch effizienter erlernen und erweitern kann. Die einzelnen Fächer werden auch von wesentlich weniger Studenten besucht. Die Hälfte meiner Fächer wurden von fünf bis zehn Studenten besucht, bei anderen Fächern genoss ich sogar Privatunterricht beim Professor. Ein Fach habe ich auf Japanisch besucht, wobei es von einer Simultaninterpretation (Japanisch - Englisch) durch zwei Übersetzerinnen begleitet wurde. Was ich sehr schätzte war, dass jeder Student das ganze Jahr durch einen Arbeitsplatz in einem study room zugewiesen erhielt, den man 24/7 für sich reserviert hat. Während meines ganzen Jahres konnte ich ausserdem als teaching assistant arbeiten und dabei wertvolle Erfahrungen sammeln. Ausserdem sind gewisse Professoren hervorragend vernetzt und unterstützen ambitionierte Studenten, die während oder nach ihrem Studienaufenthalt ein Praktikum absolvieren wollen. So habe ich durch einen Professor einen Partner einer grösseren Wirtschaftskanzlei in Osaka kennengelernt, bei welcher ich einige Zeit später ein Praktikum absolvierte, wodurch mir die japanische Wirtschaftskultur nähergeführt wurde. Erfahrungen fürs Leben Ein Studienaufenthalt an der Doshisha Universität fördert nicht nur das vergleichende Rechtsdenken und die englischejuristische Ausdrucksweise. Gleichzeitig erhält man ein Verständnis über die wunderbare, aber für uns doch sehr eigenartige und schwierig erfassbare Kultur und Denkweise der Japaner.

Japan gilt als wirtschaftlich und vor allem technologisch sehr fortschrittliches Land, das aber verglichen mit anderen industrialisierten Ländern einen sehr geringen Ausländeranteil aufweist. Auf den Strassen ist die Bevölkerungsüberalterung erkennbar und der Mangaboom hält seit Jahrzehnten bei Jung und Alt an. Die japanische Verfassung ist US-Amerikanischer Herkunft, das heimische Privatrecht hat unter anderem französische und deutsche Prägung und das japanische IPR hat gar schweizerischen Einfluss. Solche japanische Eigenarten beginnt man erst zu verstehen, wenn man im Land der aufgehenden Sonne gelebt und studiert hat.

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Interview mit Prof. Dr. iur. Marc Thommen Ehemaliger Bundesgerichtsschreiber heute Strafrechtsprofessor Gina Krückl

Wieso wurden Sie Jurist?

Schwierige Frage gleich zu Anfang. Ich bin weit und breit der erste Jurist in meiner Familie. Nach der Schule wusste ich eigentlich noch nicht so genau, was ich machen wollte. Es gab drei Fächer, die mich stark interessierten: Philosophie, Theologie und Recht. Bei all diesen drei Fächern geht es letztlich um Regeln und die Frage, wie man das Leben normativ in den Griff kriegen kann. Ich habe mich schlussendlich für Jura entschieden, zum Teil, weil es gegenüber den Eltern und den Freunden einfacher zu erklären war. Und als ich dann an verschiedenen Unis diverse Vorlesungen besucht habe, gefiel mir am Recht, dass es zwar auch grundlegende Fragen aufwarf, aber dennoch auf etwas Bodenständigem beruhte. Ich war auch einer, der am Anfang in der hintersten Reihe gesessen und Zeitung gelesen hat, aber ich konnte mich sehr schnell begeistern und habe angefangen mich wirklich zu engagieren. Hatten sie während des Studiums einen Wunschberuf?

Ehrlich gesagt, nein. Ich habe mich im Studium einfach treibenlassen, aber ich hatte doch einige Schlüsselerlebnisse. Eines davon war die Rechtsphilosophievorlesung bei Professor Kurt Seelmann in Basel; er hat genau die grundlegenden Fragen gestellt, die mich interessierten. Dort wurde mir auch klar, dass ich eine Dissertation machen und so zumindest eine gewisse Zeit akademisch tätig sein möchte. Dass ich schlussendlich in der Akademie enden würde, habe ich aber noch nicht vorhergesehen. Strafrecht war aber immer «ihre» Fachrichtung?

Nein, gar nicht, ich hatte im Strafrecht die schlechteste Note im Lizenziat. Professor Christian Schwarzenegger hat mir

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nach der mündlichen Prüfung gesagt, dass das jetzt aber gar nichts gewesen sei. Interessiert hat es mich eigentlich schon. Mein Herz schlug aber für das Staatsrecht und das Verwaltungsrecht. Dort war ich dann auch Assistent bei Professor Georg Müller. Ich wollte eigentlich eine Dissertation im öffentlichen Recht machen, dann kam aber Kurt Seelmann auf mich zu und bot mir eine Nationalfondsstelle an. So driftete ich dann ins Strafrecht ab. Wie wird man Gerichtsschreiber?

Ich habe in verschiedenen Gerichtsstationen gearbeitet, zuerst war ich beim Bezirksgericht in Zürich als Auditor. Für eine solche Stelle kann man sich bewerben und wird, sobald eine Stelle frei wird, angefragt. Als Gerichtschreiber bei der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Lausanne habe ich mich erst beworben, nachdem ich bereits meine Dissertation und mein LLM abgeschlossen hatte. Ich war dort Bundesrichter Hans Wiprächtiger als persönlicher Gerichtsschreiber zugeteilt. Wir haben uns auf Anhieb super verstanden.

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Was waren Ihre Aufgaben?

Erstinstanzlich geht es vorwiegend um Faktensammlung, am Bundesgericht dürfen Fakten grundsätzlich nicht mehr infrage gestellt werden, es wird eigentlich nur noch die Rechtsanwendung geprüft. Ich war zu der Zeit am Bundesgericht, als die Revision des Allgemeinen Teils des Strafrechts in Kraft trat. Es war wirklich sehr spannend, da wir neue Lösungen suchen mussten. Ich würde es jedem, der sich das zutraut und die Möglichkeit dazu erhält, raten, das einmal in seinem Juristenleben zu machen. Man verlässt seinen eigenen Sprachraum und kommt mit Juristen aus der ganzen Schweiz zusammen. Was macht ein Gerichtschreiber am Bundesgericht?

Das Bild des reinen Protokollführers stimmt sicher nicht. Zunächst, weil es praktisch keine mündlichen Verhandlungen gibt. Der grösste Teil verläuft in einem rein schriftlichen Verfahren und dort gilt es einen Entscheid zu begründen. Am besten kann man die Tätigkeit verstehen, wenn man die Zahlen betrachtet. Die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat jährlich ca. 1200 Fälle, davon werden rund zwei Drittel in Dreier- oder Fünferbesetzung entschieden. Das bedeutet, dass jeder Richter pro Tag einen Urteilsentwurf, am Bundesgericht nennt man das Referat, verfassen und zusätzlich bei zwei anderen Urteilen mitentscheiden muss. Da dies schlicht und ergreifend nicht möglich ist, wird ein grosser Teil der Arbeit delegiert. Dies geschieht in unterschiedlichem Ausmass, es gibt Richter, die genaue Instruktionen geben, wie sie denn Fall gelöst haben möchten und es gibt Richter, die ihre Gerichtsschreiber selbst ein Urteil erarbeiten lassen. Dann hätten Sie aber sehr viel Einfluss?

Deutsch argumentierte, mein Gegenüber in Französisch oder Italienisch. Es gibt ein paar Gerichtschreiber, meist Tessiner, die Urteile in mehreren Sprachen verfassen können. Das kann ich nur bewundern. Können Sie uns irgendeine Anekdote aus dem Bundesgericht erzählen?

Ich durfte mal als Übersetzer für den Supreme Court Justice Anthonin Scalia fungieren und er bat mich, ihm unser Verfahren zu erklären. Und als ich ihm erzählte, dass zunächst der referierende Richter einen Urteilsvorschlag verfasst, der dann in Zirkulation geht, hat das Justice Scalia sichtlich verwirrt. Er erklärte mir, dass es bei ihnen undenkbar wäre, dass die anderen Richter nur über dieses Referat urteilen, nicht aber ein eigenes Urteil anhand des Dossiers fällen. Dieses Verfahren ist allerdings sehr viel anspruchsvoller und wäre bei uns so nicht umsetzbar, da entweder die Menge der Richter erhöht oder die Menge der Fälle reduziert werden müsste. Das Supreme Court entscheidet im Jahr ca. 70-80 Fälle, die strafrechtliche Abteilung allein über 1000. Das zeigt den grossen Einfluss des Referatsverfassers; wenn dieser etwas übersieht oder falsch auffasst, besteht eine grosse Chance, dass das überhaupt nicht diskutiert wird. Dieser Verantwortung muss man sich bewusst sein. Zynisch zu werden ist das Schlimmste, das einem passieren kann. Gerade in den ersten Instanzen ist eine gewisse Abstumpfung fast nicht zu vermeiden, wenn man täglich mit Extremsituationen konfrontiert wird. Man darf aber nie aufhören sich selbst zu hinterfragen. Das bedeutet, dass der Gerichtsschreiberalltag vorwiegend im Büro stattfindet?

Ja, gerade die erfahrenen Gerichtsschreiber haben sehr viel Einfluss, aber natürlich auch sehr viel Wissen. Es gibt Urteile, die genauso übernommen werden, wie vom Gerichtschreiber entworfen. Natürlich gibt es auch solche, die komplett über den Haufen geworfen werden. Aber dennoch hat der, der das Referat schreibt, unglaublich grossen Einfluss. Darum ist diese Tätigkeit so spannend; Man hat zwar nicht die Verantwortung eines Richters, aber die Möglichkeit seine Tätigkeiten auszuüben. Bei Ihrer Tätigkeit als Gerichtschreiber, mussten Sie alles in Französisch verfassen?

Nein, man muss zwar passiv die Amtssprachen verstehen, aber es gilt das Prinzip: Jeder redet und schreibt in seiner Muttersprache. In fachlichen Diskussionen war es normal, dass ich in

Ja, das ist sicher so. 95% der Tätigkeit sitzt man alleine in seinem Büro und brütet über einen Fall. Es ist absolut keine interaktive Tätigkeit, den sozialen Kontakt muss man suchen. Ich selbst hatte vom Studium noch einige Freunde in der Romandie und habe auch mit einigen Arbeitskollegen viel unternommen. Das Arbeitspensum ist sehr unterschiedlich, man muss im Schnitt ein Referat mit dem Umfang einer mittleren Seminararbeit pro Woche abliefern. Es ist sicher zeitintensiv, aber man kann sich die Zeit gut einteilen. Und durch das einsame Arbeiten gibt es kaum Ablenkungen und man kann sich ganz auf die Arbeit fokussieren bis man mit dem Ergebnis zufrieden ist. In 80% der Fälle gelingt dies, aber es gibt auch hard cases, bei denen man mit dem Ergebnis kämpft.

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Fällt Ihnen so ein hard case ein?

Ein Fall, den ich später auch in der Festschrift von Hans Wiprächtiger aufgearbeitet habe: Es ging um einen bekannten Zürcher Travestiekünstler, der durch eine Verwicklung von dummen Zufällen im Fahndungsgebiet eines Überfalls unterwegs war. Da er nach Hause rannte, hielt ihn die Polizei versehentlich für den Täter. Beim Versuch ihn an der Flucht zu hindern, wurde er zwischen dem Polizeiwagen und einer Wand eingeklemmt. Dabei verlor er ein Bein. Die Zürcher Behörden stellten den Fall ein, da den Polizisten kein Vorsatz habe nachgewiesen werden können. Am Bundesgericht konnten wir den Fall mangels Auswirkungen auf die Zivilforderungen des Opfers nicht behandeln. Dieser Entscheid hat mich wirklich verfolgt, denn das war ein Fall, bei dem wir Stellung hätten nehmen müssen.

Nach der Prüfung habe ich eine Oberassistenzstelle in Luzern bekommen und damit verbunden die Möglichkeit zur Habilitation. Glauben Sie, dass Sie jetzt noch mehr Einfluss haben, als zu Ihren Gerichtsschreiberzeiten?

Ich würde es umgekehrt formulieren. Ich glaube, wenn man einen Studenten begeistern und ihm die Augen für grundlegende Fragen öffnen kann, dass man dann einen „impact“ hat, den man mit Urteilen und Büchern wahrscheinlich nicht erreichen kann. Das macht für mich einerseits die Faszination der Lehre aus, aber andererseits ist es das, was die Lehre sehr aufwendig macht. Für eine Doppelstunde brauche ich heute noch mindestens einen Tag Vorbereitung.

Wieso sind Sie vom Bundesgericht gegangen?

Gibt es etwas, was sie stört hier in Zürich?

Das war eigentlich ganz banal. Als ich zum Bundesgericht kam, fehlte mir noch die Anwaltsprüfung und ich wollte sie unbedingt noch machen, da sie, egal wo man schlussendlich arbeitet, eine Art juristische Lebensversicherung ist. Ich wollte eigentlich das Pensum beim Bundesgericht reduzieren, dies ging aber leider aus Personalgründen nicht. Es war also absolut kein Entscheid gegen das Bundesgericht, sondern vielmehr eine für die Anwaltsprüfung. Während der Anwaltsprüfung habe ich bei der Oberstaatsanwaltschaft Zürich gearbeitet.

Eigentlich nicht, ich habe hier meine Traumstelle gefunden und habe sehr grossen Spass sowohl in der Lehre als auch in der Forschung. Manchmal würde ich mir von den Studierenden etwas mehr Engagement wünschen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Begeisterung insbesondere für das Strafrecht im ersten Jahr noch gross ist, dann aber deutlich abflacht. Das mag wohl auch an den harten Prüfungen liegen. Ich war früher selbst im FVJus, ich war bei denen dabei, die die Prüfungen für die Prüfungssammlungen zusammengetra-

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Aktuell


gen haben. Ich finde studentische Vereine super. Es profitieren wahnsinnig viele davon, aber leider gibt es nur wenige, die sich dafür engagieren. Diese Konsumhaltung hat mich schon während dem Studium gestört, darum wollte ich mich selber auch beteiligen. Man sollte sich mehr einbringen auch in den Veranstaltungen. Hier haben wir vorwiegend Massenveranstaltungen, bei denen man sich einfach berieseln lassen kann. So besteht die Gefahr, dass dieser Konsummodus eine Geisteshaltung wird und man sich dann aufregt, wenn irgendwelche Programmbestandteile, wie zB. Podcasts, nicht funktionieren. Es ist ein Geben und ein Nehmen und ich finde hier dürfte und sollte mehr von der Studentenschaft kommen. Mir selbst wurde das erst richtig bewusst, als ich im Ausland studierte. Dort sind die Aufnahmebedingungen sehr viel höher, was interessanterweise auch zu mehr Engagement führt. Dieses leidenschaftliche Engagement vermisse ich hier manchmal. Welche Fähigkeiten sollte man als Jurist haben?

Ganz zentral sind sicherlich die Sprachfähigkeiten. Diese muss man sich weitgehend aneignen. Es braucht aber auch eine gewisse Freude daran, mit der Sprache zu spielen und das sind sich viele nicht bewusst. Ohne diese Freude wird man in diesem Beruf nicht glücklich. Und darum habe ich eine unglaubliche Bewunderung für die italienischsprachigen Studenten, weil sie nicht in ihrer Muttersprache Jura studieren können.

Ich habe noch eine Frage, aber die haben Sie eigentlich schon beantwortet und zwar, ob Sie den Studierenden empfehlen eine Karriere bei Gericht anzustreben?

Ich finde, es gehört zur Abrundung einer Juristenausbildung einmal in einem Gericht gearbeitet zu haben, egal auf welcher Stufe. Aber auch die Anwaltstätigkeit sollte man zumindest als Substitut einmal erlebt haben. Ganz unabhängig davon, was man machen möchte, sollte man beide Seiten gesehen haben. Haben Sie noch andere Tipps für die Studierenden?

Irgendwann in seiner Juristenkarriere merkt man, dass man mit seiner Ausbildung stark auf die Schweiz fokussiert ist. Deshalb empfehle ich, wenn es irgendwie geht, während des Studiums ins Ausland zu gehen. Die Uni Zürich hat attraktive Angebote, die man nutzen sollte. Ein Grossteil derer, die die Möglichkeit hätten, ist einfach nur zu bequem. Manchmal muss man sich aus seiner comfort zone rausbewegen. Ich kenne niemanden, der sein Auslandsjahr als verlorene Zeit betrachtet. Es braucht zwar Mut, der Lohn ist jedoch eine unvergessliche Zeit.


Jus studieren in Bern Ein Vergleich Céline Müller

Aufbau des Studiums Das JUS Studium in Bern beginnt im ersten Jahr mit den sogenannten „starting days“, welche in der Woche vor dem eigentlichen Studienbeginn stattfinden. Das Hauptziel dieser Veranstaltung liegt darin, mit anderen Studenten jeglicher Studienrichtungen Kontakte zu knüpfen.

In den folgenden Jahren werden verschiedene Rechtsteilgebiete genau analysiert und detailliert erlernt. Der Bachelor dauert mindestens drei Jahre bzw. sechs Semester, der Master nochmals weitere eineinhalb Jahre bzw. drei Semester. Dabei kann der Student sich erst im Master auf einen Schwerpunkt festlegen.

Vorlesungsaufteilung Im ersten Jahr bestreiten die Studenten drei Module: Strafrecht AT, Privatrecht AT (Obligationenrecht) und öffentliches Recht, welches sich im ersten Semester nochmals unterteilt in Staatsorganisationsrecht und Grundrecht sowie im zweiten Semester in Völkerrecht und Verwaltungsrecht. Der Stundenplan ist zum Teil vorgegeben. Die Studenten haben vorbestimmte Vorlesungen, können jedoch während drei verschiedenen Zeitspannen ihre Übungslektionen absolvieren. Die drei Grundfächer des ersten Jahres bleiben im zweiten Jahr

bestehen, es wird jedoch der BT und nicht der AT durchgenommen. Zudem kommen weitere Fächer hinzu: Wirtschaftsrecht, Europarecht sowie ein Grundlagenfach. Im Grundlagenfach kann zwischen Römischen Recht, Rechtsgeschichte sowie Theoretischen Recht gewählt werden. Im dritten Jahr bestreiten die Studenten praktisch nur noch Übungslektionen, welche neben Seminararbeiten und der Bachelorarbeit sowie den Vorbereitungen auf die Bachelorprüfungen die Woche ausfüllen.

Professoren Im Allgemeinen sind die Professoren kompetent und wissen, wovon sie reden. Viele von ihnen haben bereits einige Zeit als Anwalt oder Anwältin gearbeitet und haben nun Freude daran gefunden, ihr Wissen den Studenten weiterzugeben. Dabei ist es jedoch völlig menschlich, dass einige den Stoff besser ver-

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mitteln als andere. Die Lektionen sind auch durch das Interesse eines jeden Studenten beeinflusst, da dieses an den einzelnen Fächern unterschiedlich gross sein kann. Aus diesem Grund gibt es keinen absoluten Lieblingsprofessor.

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Standort der Universität Die Universität und ihre Fakultäten sind in der Stadt verteilt. Die Jusstudenten studieren vorwiegend im Hauptgebäude, in der «UniS» sowie im «vonRoll». Das Hauptgebäude befindet sich direkt über dem Hauptbahnhof der Stadt Bern und ist mithilfe eines Lifts oder eines Treppenhauses leicht zu erreichen.

Die sogenannte «UniS», ein früheres Frauenspital, befindet sich ca. 300 m neben dem Hauptgebäude und ist von da aus auch leicht zu Fuss zu erreichen. Das sogenannte „vonRoll“, ein früheres Eisenwerk der Firma vonRoll AG, besteht aus mehreren Gebäuden und ist vom Bahnhof sowie vom Hauptgebäude aus mit dem Bus in kurzer Zeit erreichbar.

Infrastruktur Die Uni Bern verfügt über mehrere Bibliotheken, unter anderem eine umfangreiche juristische Bibliothek im Hauptgebäude. Die Bibliothek bietet eine Vielzahl an Arbeitsplätzen, um zwischen oder nach den Lektionen nochmals den Stoff durchzugehen und auf die Prüfungen zu lernen. Ausserdem bietet die Bibliothek auch einen Raum mit ca. zwanzig Computerarbeitsplätzen sowie einen Druck- und Kopierraum.

Neben den vielen Bibliotheken gibt es auch in praktisch jedem Unigebäude eine Mensa, welche täglich verschiedene Menüs anbietet. Im Hauptgebäude befindet sich ausserdem noch die Buchgenossenschaft der Universität, bei welcher die notwendigen Lehrmittel besorgt werden können.

Freizeitangebot Die Uni hat ein breites Sportangebot an, bei welchem für jedermann etwas zu finden ist. Die Sportveranstaltungen sind in verschiedene Leistungsstufen gegliedert, sodass für Anfänger und Fortgeschrittene die Lektionen angemessen gestaltet werden können. Die Lektionen werden meist von Studierenden geleitet.

Neben dem Sportangebot gibt es natürlich auch noch Studentenpartys, welche meist im Club «Le Ciel» stattfinden. Schon in der ersten Semesterwoche findet dort die Semesterstartparty statt, welche von den Studenten fleissig besucht wird. Wöchentlich folgen weitere.

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Die offizielle Hauptstadt der Schweiz Die Stadt Bern hat jedoch noch vieles mehr zu bieten, als nur ein interessantes Studium. Die Altstadt, in welcher auch Einstein für kurze Zeit verweilte, ist noch in zum grössten Teil erhalten. Das Bundesparlament, das Bundesgericht sowie die

Nationalbank sind ebenso in unmittelbarer Nähe der Altstadt. Diese Gebäude sind jedoch nicht öffentlich zugänglich. Weiter gibt es viele Sehenswürdigkeiten sowie Ausgangsmöglichkeiten und Freizeitangebote.

Fazit Die Stadt Bern bietet neben einem interessanten und umfangreichen Studium noch viele weitere Gründe, sich für einen Lehrgang in der Hauptstadt zu entscheiden.

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Persönlich kann ich eine solche Entscheidung lediglich befürworten, da ich meine im Nachhinein auch wiederholen würde.

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Jus studieren in Zürich Ein Vergleich

Gina Krückl

Aufbau des Studiums Jeder Jusstudent der Universität Zürich muss zuerst das Assessmentjahr bestehen, anschliessend folgen mindestens zwei Jahre Aufbaustufe bis zum Bachelorabschluss. Der Master, in dem man sich auch auf eine Richtung festlegen kann, dauert dann noch mindestens eineinhalb Jahre.

Um sich im ersten Jahr zurecht zu finden, veranstaltet der FVJus in Zusammenarbeit mit der juristischen Fakultät sowie einem anderen juristischen Verein jedes Jahr den Erstsemestrigentag.

Voresungsaufteilung Das erste Jahr besteht aus fünf Teilen: Einführung in die Rechtswissenschaft, Privatrecht, Strafrecht, Staatsrecht und Rechtsgeschichte. Ab der Aufbaustufe gibt es neben den Pflichtmodulen verschiedene Wahl- und Wahlpflichtpoole, aus denen man sich Fächer aussuchen kann bzw. muss. Schlussendlich müssen nicht nur alle Pflichtmodule erfolgreich absolviert werden, sondern es müssen auch eine genügende Menge an ECTS-Punkten (für den Bachelorabschluss konkret 180 ECTS) vorgewiesen werden.

Beim Masterstudium bestehen mehr Freiheiten, insbesondere wenn man sich für den Allgemeinen Master entscheidet. In diesem Fall kann man neben der Masterarbeit fast beliebig Module auswählen. Für den Master sind dann auch nur noch 90 ETCS-Punkte erforderlich.

Professoren Ob man sich für ein Fachgebiet interessiert, hängt nicht zuletzt auch vom Dozenten ab. Deshalb ist es umso wichtiger einen Dozenten zu haben, dessen Vorlesungsstil einem entspricht.

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich mit ihren mehr als fünfzig verschiedenen Professoren bietet natürlich den Vorteil, dass sicher jeder eine Vorlesung findet die seinen Vorstellungen entspricht.

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Standort der Uni Das Hauptgebäude der Uni ist ca. fünfzehn Gehminuten vom HB entfernt, von denen man zwei auch mit der Polybahn zurücklegen kann.

Gleich gegenüber ist das Rechtswissenschaftliche Institut (RWI). Zentraler geht es nicht mehr. Grosse Lehrveranstaltungen finden häufig im Häldeliweg statt, zu dem man nochmals fünf Minuten den Zürichberg hochgehen muss.

Infrastruktur Im RWI befindet sich die Rechtswissenschaftliche Bibliothek mit ungefähr 200'000 Büchern. Zudem bietet sie über 500 Arbeitsplätze, sowie einen PC-Arbeitsraum, einen Kopierraum und mehrere Gruppenarbeitsräume. Die Bibliothek verfügt nur über einen Präsenzbestand, wenn man Bücher ausleihen möchte, kann man dies in der Zentralbibliothek tun, die aber über eine weniger grosse Auswahl an juristischen Büchern verfügt. Auf dem Unigelände befindet sich das ZSUZ-Studentenlädeli, das neben Essen und Büromaterial auch eine kleine Auswahl an Fachbüchern anbietet. Wenn man allerdings ein etwas spezielleres Buch braucht, geht man zu Schulthess ins Niederdörfli. Das Hauptgebäude allein bietet zwei Mensen – eine grosse und eine kleine. Zusätzlich gibt es noch eine kleine

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Mensa im RWI, eine vegane Mensa im alten PH-Gebäude und eine Asiamensa in der ETH. Die Stadt Zürich hat ein grosses und verwirrendes Tram- und Busnetzwerk, das es den Studenten ermöglicht grösstenteils auf einen eigenen, fahrbaren Untersatz zu verzichten und mit ein bisschen Übung findet man sich gut zurecht. Zwar sind die öffentlichen Verkehrsmittel zu den Stosszeiten heillos überfüllt und halten sich nicht im Geringsten an den Fahrplan, da aber alle fünf bis zehn Minuten ein neues Tram kommt, ist das zu verkraften. Zudem gibt es für die Feierwütigen an den Wochenenden das Nachtnetz, wodurch Samstags und Sonntags die ganze Nacht durch Öffentliche Verkehrsmittel zwischen einigen Stationen verkehren.

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Freizeitangebot Jeder Student ist Mitglied im ASVZ, dessen Angebot von Yoga über Karate und Fechten auch aussergewöhnlichere Sportarten wie Bogenschiessen, Kanufahren und ein Bootcamp umfasst. Für einige Sachen zahlt man zwar eine Gebühr, die aber so weit unter den alltäglichen Preisen liegt, dass es sich definitiv lohnt, auch solche Aktivitäten einmal auszuprobieren. Zudem befinden sich an diversen Standorten in und um Zürich Fitness- und Sporthallen die genutzt werden dürfen. Für diejenigen, die lieber auf der Tanzfläche schwitzen, bietet Zürich eine grosse Vielzahl an Möglichkeiten. Zuvorderst natürlich das Nachtseminar, das jeden Donnerstag im Plaza veranstaltet wird und für viele Studenten mindestens einmal im Semester zur Pflichtveranstaltung gehört. Daneben gibt es noch unzählige andere Clubs, Bars, Pubs, Cafés und Restaurants, in denen man seinem ausserstudentischen Leben frönen kann.

Die inoffizielle Hauptstadt Auch neben der Uni hat Zürich einiges zu bieten, ganz zuoberst auf der Liste natürlich unser Zürisee. Ob man an einem freien Nachmittag darin baden oder sich nur kurz über Mittag auf eines der zahlreichen Bänkchen gleich am Ufer setzten möchte – der See lädt zum Verweilen ein. Auch der Zoo ist

eine gern und gut besuchte Attraktion. In der Bahnhofstrasse reihen sich die grossen Mode- und Schmuckmarken aneinander und daneben gibt es in der Stadt unzählige kleine Boutiquen – Secondhand, Vintage, Modern – was das Herz begehrt.

Fazit Zürich ist die bevölkerungsreichste Stadt der Schweiz, was man an den überfüllten Trams und Strassen auch schnell merkt. Hier geht alles schnell; wenn man unter der Woche mal jemanden gemütlich schlendern sieht, sind es meist Studenten oder Touristen. Genauso wie die Stadt, ist auch das Studium an der Universität Zürich. Die Vorlesungen sind voll und die Erklärungen kurz und schnell. Man kann sich das ganze Semester treiben lassen, landet schlussendlich aber vielleicht an der falschen Station.

In Zürich ist zwar alles unpersönlicher, dadurch wird man aber schnell selbstständiger. Daher kann ich das Jusstudium an der Universität Zürich allen empfehlen, die die Freiräume schätzen, aber mit der damit einhergehenden Eigenverantwortung auch umgehen können. Ich zumindest würde mich jederzeit wieder für ein Justudium an der Universität Zürich entscheiden.

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Blick hinter die Kulissen bei Bär & Karrer Bettina Hunter

Wie sieht eigentlich ein Arbeitstag bei einer grossen Zürcher Wirtschaftskanzlei aus und wie verläuft der Bewerbungsprozess? Antworten auf diese Fragen und noch viel mehr bot der Kanzleibesuch bei Bär & Karrer gleich zu Beginn dieses Herbstsemesters.

Blick hinter die Kulissen Mitte September fanden sich gegen 30 Studierende bei der Brandschenkenstrasse in der Nähe des Bahnhofs Enge in Zürich ein, um einen Blick hinter die Kulissen bei Bär & Karrer zu werfen. Nach einer kurzen Begrüssung erzählten drei verschiedene Partner sowie jeweils ein Substitut bzw. eine Substitutin etwas über ihren jeweiligen fachlichen Tätigkeitsbereich und darüber, wie sich ihre Arbeit im Alltag darstellt. Anschliessend wurden verschiedene mögliche Laufbahnen sowie Mitarbeiterentwicklungsprogramme bei Bär & Karrer vorgestellt und es wurde aufgezeigt, welche Möglichkeiten Bär & Karrer bietet, um sich während dem Substitutenjahr auf die Anwaltsprüfung vorzubereiten.

Kompetent oder arrogant? Engagiert oder überfordert? Alles eine Frage der Erwartungshaltung! Nach einer kurzen Pause ging es weiter mit dem eigentlichen Highlight des Besuchs: einer Kostprobe aus dem Bär & Karrer College, in dem die Kanzlei ihre Anwältinnen und Anwälte nicht nur in juristisch technischen Bereichen weiterbildet, sondern auch in anderen für die Arbeit als Wirtschaftsanwalt wichtigen Bereichen wie z.B. Projektmanagement, Bilanzen und Finanzkennzahlen oder Auftritt und Körpersprache. Wie der Unterricht aussieht, zeigte der Münchner Stefan Spies, ehe-

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maliger Theaterregisseur und Dozent für Schauspielkunst, heute Coach für Körpersprache am Bär & Karrer College. Er „spielte“ als Einstieg einen Verwaltungsrat oder Manager, welcher seinem Publikum – bestehend aus Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – ein gutes Resultat präsentieren kann. Dabei spielte Stefan Spies das Verwaltungsratsmitglied dreimal in je unterschiedlicher Art und Weise – zunächst nervös, dann relaxed und als Abschluss eine Zwischenstufe. Die anschliessende Frage ans Publikum: Wie würde man selbst das Verhalten der drei Varianten des Verwaltungsratsmitglieds beurteilen? Und wieso? Seine Antwort: entscheidend ist die Spannung. Ist zu viel vorhanden wirkt der Auftritt unsicher, zu wenig und man wirkt desinteressiert. Erstrebenswert in diesem Fall war somit die Zwischenvariante. Anschliessend wurde anhand verschiedener Alltagssituationen das Auftreten verschiedener, von ihm dargestellten Figuren analysiert und ihre Wirkungen auf das Publikum aufgezeigt. Die erste dargestellte Situation zeigte einen Verwaltungsrat, der seinem Publikum schlechte Neuigkeiten überbringen muss. Einmal trat der Verwaltungsrat mit grossem Selbstvertrauen auf, beim zweiten Mal mit eher weniger. Dabei reichten die Wahrnehmungen des Publikums von vertrauenserweckend bis arrogant in Bezug auf die erste Variante und engagiert bis überfordert auf die zweite.

Aktuell


Es folgten ein Gespräch zwischen Käufer und Verkäufer beim Kauf eines Anzugs sowie ein Gespräch zwischen zwei Arbeitskollegen zur Lösung eines Problems. Wiederum wurde zunächst im Publikum diskutiert, welche Person man bevorzugen würde. Die Antworten fielen dabei sehr unterschiedlich aus: während die einen die erste Variante des Verkäufers als arrogant bezeichneten, wurde er von anderen als kompetent wahrgenommen.

Ob nun eine Person mit ihrem jeweiligen Auftritt gut ankommt, liegt dabei vor allem an den Erwartungen des Gegenübers. Abschliessend stellte Stefan Spies die Frage, wie viele unterschiedliche Typen man nun genau bei den gespielten Charakteren unterscheiden könne. Seine Antwort: zwei; und zwar solche, die Raum geben (Tiefstatus) und solche, die Raum nehmen (Hochstatus). Ob nun eine Person mit ihrem jeweiligen Auftritt gut ankommt, liegt dabei vor allem an den Erwartungen des Gegenübers. So wird von einem Manager grundsätzlich erwartet, dass er sich im Hochstatus bewegt. Privat kann dies durchaus zu Pro-

blemen führen. Entscheidend ist also zu erkennen, welcher Status von einem erwartet wird und entsprechend switchen zu können. Zum Abschluss sollten wir alle aufstehen, uns in Grüppchen anschauen und kurz mustern. Dann forderte Stefan Spies alle Anwesenden auf sich vorzustellen, sie würden ein Medaillon tragen, welches es zu präsentieren gilt. Und wiederum sollte man sich umschauen und sich überlegen, ob es im Gegensatz zu vorher Unterschiede gibt. Und ja, aus meiner Sicht waren solche tatsächlich erkennbar.

Wurst, Brot & Bier - Fazit Nach dem formellen Teil des Anlasses folgte ein Rundgang durch die Kanzlei. Dabei wurde jeweils eine kleine Gruppe Studierender von einem Substitut bzw. einer Substitutin durch die Räumlichkeiten von Bär & Karrer geführt. Neben einem Blick in ein Substitutenbüro, den Pausenraum sowie den hauseigenen Fitnessraum bot der Rundgang auch die Möglichkeit von den Substituten etwas mehr über ihren Alltag zu erfahren und ihre Erfahrungen zu hören. Zum Abschluss des Besuchs gab es im Garten Wurst und Bier sowie die Gelegenheit sich mit den Mitarbeitern von Bär & Karrer auszutauschen und individuelle Fragen zu stellen. Alles in allem kann ich sagen, dass sich der Besuch bei Bär & Karrer definitiv gelohnt hat, um einen Einblick in diverse Bereiche des Anwaltsberufs und die Arbeitsweise dieser Kanzlei zu erhalten. Ich würde jedem, der die Möglichkeit dazu erhält, empfehlen diese zu nutzen.

Aktuell

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Neues aus dem Fachverein Mit dem nasskalten Wetter der ersten Wintertage nähert sich auch das Ende des Semesters. Zeit für einen kurzen Rückblick auf die Events und Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate, aber auch ein Ausblick auf das, was uns im verbleibenden Semester noch so erwartet.

Erstsemestrigentag Auch dieses Jahr haben wieder gegen 600 Erstsemestrige ihr Jusstudium an der Uni Zürich aufgenommen. Um ihnen – genau wie ihren Vorgängern in den Jahren zuvor – den Einstieg in die neue universitäre Umgebung zu erleichtern, organisierten der Fachverein Jus, ELSA Zürich sowie die Rechtswissenschaftliche Fakultät den Erstsemestrigentag. Im Rahmen dieses Einführungstages erfahren die neuen Jusstudierenden das Wichtigste zu Vorlesungen, Modulbuchungen, dem Leben an der Uni und vielem mehr. An dieser Stelle möchten wir uns auch bei den über 30 freiwilligen Helfern bedanken, die diesen Tag auch dieses Jahr zu einem Erfolg werden liessen.

jusCoaching Neben dem Erstsemestrigentag organisierte der Fachverein auch das jusCoaching – ein Tutoring-Programm, das die Erstsemestrigen durch ihr erstes Jahr an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät begleitet. Auch in diesen Sommer haben wir wieder einige Neuerungen eingeführt, um das jusCoaching bestmöglich auf die Studierenden abzustimmen. So werden sie dieses Jahr neu in kleineren Gruppen betreut und auch die jusCoaches erhalten mehr Unterstützung durch den Fachverein, beispielsweise durch das Info-Essen.

Nachtseminar Halloween Special Diesen Oktober hostete der Fachverein Jus wieder eine Ausgabe des Nachtseminars – und zwar das Halloween Special. Das Besondere dabei: der Kostümwettbewerb! Es gab einige sehr einfallsreiche und toll umgesetzte Kostüme und so konnten die dreiköpfige Jury sich für die Gewinner entscheiden. Auch abgesehen vom Wettbewerb war es eine super Party und wir freuen uns schon auf die nächste, bei der Ihr hoffentlich - wieder - dabei seid.

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Bewerbungsworkshop mit Deloitte Gleich zu Beginn des Semesters organisierte der Fachverein Jus in Zusammenarbeit mit Deloitte einen Bewerbungsworkshop. In diesem Rahmen hatten rund 20 Studierende die Möglichkeit sich bei Experten über Do‘s and Dont‘s beim Bewerbungsverfahren zu informieren und zu erfahren, wie eine Bewerbung vom Empfänger wahrgenommen wird. So gab es vier verschiedene Posten, bei denen die Studierenden Tipps fürs Bewerbungsgespräch erhalten, mehr über den Arbeitsalltag bei Deloitte erfahren, ihren CV checken lassen und bei einem fiktiven Vorstellungsgespräch ihr Auftreten üben konnten.

Assessment – und jetzt? Als eine Art Weiterführung des jusCoaching-Programms hat der Fachverein dieses Jahr neu auch eine Infoveranstaltung für die Drittsemestrigen organisiert. Dabei wurden verschiedenste Themen, wie das Schreiben einer Seminararbeit und das System der Aufbaustufe, besprochen. Aufgrund des regen Interesses und der grossen Teilnehmerzahl werden wir diesen Event gerne auch nächstes Jahr wieder anbieten.

RECHT praktisch! Im Rahmen unserer Event-Reihe „RECHT praktisch!“ konnte der Fachverein Jus auch dieses Semester wieder verschiedene Einblicke in die Praxis bieten. Gleich zu Beginn des Semesters durften wir mit rund 40 Studierenden die Kanzlei Niederer Kraft & Frey besuchen und erhielten einen Einblick in den Alltag einer der grössten Wirtschaftskanzleien in Zürich. Eine Erfahrung der ganz anderen Art bot der Besuch im Flughafengefängnis. In diesem Rahmen konnten Studierende sehen, was eigentlich nach einer Verurteilung in einem Strafprozess geschieht, bzw. wo eine Freiheitsstrafe verbüsst wird.

Anstehende Anlässe Obwohl die Hälfte des Semesters bereits vorüber ist sind noch längst nicht alle Events vorbei. Neben der alljährlichen ASVZ Volley Night findet im Dezember auch wieder der Weihnachtsapéro statt. Dabei lassen wir bei Weihnachtsguetzli und Glühwein das Semester ausklingen und freuen uns auf die Weihnachtsfesttage sowie die anschliessenden Semesterferien.

Werde auch Du aktiv! Möchtest Du an geselligen Events oder Karriereveranstaltung teilnehmen oder diese selbst organisieren? Dann melde Dich per E-Mail an contact@fvjus.ch oder schaue ganz unverbindlich an einer unserer Veranstaltungen vorbei! Für den Fachverein Bettina Hunter, Präsidentin

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Rückblick auf spektakuläre Kapitalverbrechen Ein Vortrag von Ulrich Weder Gina Krückl

Ulrich Weder studierte erst nach einer Lehre hier an der Universität Zürich Jus. Von 1981 bis 2016 war er Bezirksbzw. Staatsanwalt, ab 2001 leitete er die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, dort wo die spektakulären Delikte bearbeitet werden. Zudem war er stellvertretender Oberstaatsanwalt. Zuerst weist er uns darauf hin, dass er nur über jene Kapitalverbrechen berichten wird, mit denen er sich selbst beschäftigt hat und dass er aus zeitlichen Gründen aus seinen Fällen eine Auswahl treffen musste und er uns deshalb nur von solchen vollendeten Tötungsdelikten erzählt, die ihn neben den untersuchungstaktischen und auch den strafprozessualen Herausforderungen irgendwie auch menschlich emotional besonders und über das Urteilsdatum hinaus berührt und bewegt haben. Er hat sich mit ca. 50 vollendeten Tötungsdelikten intensiv befasst und die verhängten Freiheitsstrafen ergeben zusammengerechnet 550 Jahre und 6 lebenslängliche. Dies ist nur ein Ausschnitt, gerade versuchte Tötungen kommen weitaus häufiger vor als vollendete. Dann erklärte er, dass er den Fall Marco Camenisch auslässt, da er über diesen schon ausführlich im Juristenverein des Kantons Zürichs berichtet hat. Auch wird er ungelöste Fälle, sogenannte cold cases, auslassen. Dann weist er uns noch darauf hin, dass er die folgenden Fälle justiziell nicht allein bearbeitet hat, sondern im Zusammenwirken mit polizeilichen Ermittlern, untersuchungsführenden Staatsanwälten, Rechtsmedizinern, Forensikern, forensischen Psychiatern, Richtern und Verteidigungen, die ihre rechtsstaatlich unabdingbare Aufgabe meist korrekt und fair wahrnahmen.

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Die Leiche am Wassberg

Ende November 1984 kam sein damaliger Chef Rolf Neuhaus in sein Büro und versuchte, ihm den Fall schmackhaft zu machen. Dank seines Charmes und seiner Überredungskunst übernahm Herr Weder den Fall schliesslich. Ausgangspunkt dieses Verfahrens war ein Strafgefangener der damaligen Strafanstalt Regensdorf, der von einem Tötungsdelikt erzählte, dass im Herbst 1982 im Zürcher Drogenmilieu an einem Piccolo begangen worden sein soll. Haupttäter solle der Deutsche B.K., Mittäter ein Italiener sein. B.K. soll zudem 1983 zusammen mit einem anderen Mittäter einen Juwelier am Neumarkt überfallen haben. Das Wissen des Strafgefangenen erschien aufgrund mehrerer Umstände als glaubhaft, vor allem in Bezug auf den bewaffneten Raubüberfall stimmte vieles. Zudem galt der Drögeler Piccolo seit Sommer 1983 als vermisst. Am 15.03.85 konnte B.K. in Schwyz verhaftet werden, einige Tage später gab er den Raubüberfall zu und am 27.03.1985 auch das Tötungsdelikt. Der Mittäter, der 23-jährige A.Z. konnte ohne Hilfe von B.K. polizeilich ermittelt werden und gab die Tötung bereits in seiner ersten Einvernahme zu. Das Tötungsdelikt stellte sich als Raubmord heraus, Piccolo wurde geschlagen und ihm wurde von beiden Tätern mehrere Messerstiche in Bauch und Brust versetzt. Danach wurde sein Schliessfach mit mehreren 10’000 Franken geleert und die beiden Täter haben die Leiche auf den Wassberg transportiert, dort liegen lassen und einige Tage später vergraben. Aufgrund des zwecks Leichentransport gemieteten Lieferwagen konnte sowohl der genaue Tatzeitpunkt, der 17.06.82, als auch das Vergraben der Leiche rekonstruiert werden. Am 02.04.85 konnte die Leiche exhumiert werden. Die beiden Raubmörder wurden aufgrund einer vom nachmaligen Regierungsrat Christan Huber erfolgten erhobenen Anklage am 07.04.86 mit 18 bzw. 17 Jahren bestraft.

Wieso Herr Weder sich an diesen Fall erinnert: Einmal weil es das erstes Tötungsdelikt war, das er untersuchte. Zudem würde er nie die Anspannung vor der ersten Einvernahme vergessen, gerade wegen der Frage, ob sie bei dem bei der Polizei abgegebenen Geständnis bleiben würden, jetzt da auch die Verteidigung anwesend war. Der dritte Grund ist, dass die Leiche erst nach einigem Graben entdeckt wurde. Entsprechend war die anschliessende Erleichterung sehr gross. Damals gab es das Beweismittel des DNA-Profils noch nicht, die Identität der Leiche konnte allein anhand der Zahnröntgenbilder des Getöteten festgestellt werden. Ein weiter Grund für die bleibende Erinnerung war, dass er den Haupttäter nach dessen langjährigen Strafvollzug nochmals zufällig im Tram traf und dieser ihm erzählte, wie sehr er sich beruflich und persönlich zum Positiven verändert habe. Eine weitere Spezialität dieses Falles war, dass ihm der Hintergrund dieses Tötungsdelikts später noch oft begegnen sollte. Drogen jeglicher Art setzten die Hemmschwelle, welche den Menschen naturgemäss von Gewaltdelikten abhält, erheblich herab. Der Drogenkonsum steht oft mit der Begehung schwerer, unfassbarer, auch gewaltüberschiessender, eskalierender Straftaten in Zusammenhang. Und zuletzt: Die Gruppendynamik unter jungen Menschen führt nicht selten zu schweren Straftaten, die einzelne Personen wohl nicht begehen würden. Mehrere Täter schaukeln sich gegenseitig hoch und keiner will zurück, um das Gesicht nicht zu verlieren. Nun ein zweiter Fall, der an den zwei letztgenannten Bemerkungen nahtlos anschliesst.

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Ein Mord in einem fahrenden Auto

Es war eine grausame, gefühllose Art der Tötung, die drei junge Männer an einer 18-jährigen Frau am Samstagabend, den 14.03.92, auf der Fahrt in einem Subaru verübt haben. Täter und Opfer haben sich im Februar 1992 kennengelernt und haben zusammen mit einem fünften, der sich kurz vor der Tötung aber zurückgezogen hatte, eine Clique gebildet, die sich vor allem mit Autoausfahrten, Restaurantbesuchen und dem exzessiven Konsum von Haschisch befasst hat. Sie ging den beiden nachmaligen Haupttätern zunehmend wegen unbedeutenden Gewohnheiten auf die Nerven; etwa, dass sie stundenlang im Auto sass ohne etwas zu sagen, beim einen Haupttäter zuhause persönliche Gegenstände liegen liess und den anderen während der Arbeit besuchte. Deswegen haben vor allem diese beiden Täter, aber auch der dritte, sie misshandelt mit angedeuteten und effektiven Schlägen ins Gesicht oder mit dem Anzünden ihrer Haare. Am fraglichen Samstagnachmittag sprachen die beiden Haupttäter in Anwesenheit des späteren Gehilfen darüber, dass diese Andrea einfach wegmüsse („mir machen d’Andrea kaputt“). Der eine Haupttäter forderte die anderen dazu auf, dass sie ihn anfeuern müssten, wenn er sie erwürgen würde. Der dritte wollte einfach nur mitkommen, falls es denn wirklich passierte. Dann wurde die junge Frau angefragt, ob sie Lust habe am Abend auf die Hulftegg zu fahren und ob sie dem späteren Gehilfen 30 Franken Benzingeld ausleihen könne; die junge Frau willigte in beides ein. Gegen 19:00 Uhr wurde die junge Frau durch den Gehilfen abgeholt, und sie nahm auf dem Beifahrersitz Platz, hinter sich die beiden Haupttäter. Auf einem Parkplatz tranken sie Bier und Kaffee Lutz und rauchten Cannabis-Joints, die grösstenteils vom Opfer zur Verfügung gestellt worden waren. Auf der Rückfahrt legte einer der Haupttäter seinen Hosengurt der jungen Frau um den Hals und begann, sie zu würgen; es gelang ihr aber den Gurt nach vorne zu reissen und ihn nach hinten zu werfen. Dann nahm der andere Haupttäter den Gürtel und legte ihn erneut um den Hals der jungen Frau und begann sie derart

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heftig zu würgen, dass sie zu husten anfing. Sie hatte bereits Würgemale am Hals, als der Gehilfe sie aufforderte, mit dem Würgen aufzuhören. Die beiden Haupttäter meinten aber, nun müssten sie ihre Kollegin umbringen, sonst würde sie später etwas sagen. Sie würgten sie erneut, stemmten sogar ihre Füsse in die Sitze und grölten dabei so lange, bis sie tot war. Der Chauffeur, zwar sichtlich in Panik, half ihnen in der Folge, die Leiche zu einem Feldweg zu bringen, wo sie sie liegen liessen. Sie steckten ihr zudem einen Finger in die Scheide, um eine Vergewaltigung vorzutäuschen. Einer schlug noch vor, ihr einen Messerstich ins Herz zu versetzten, um sicher zu gehen, dass sie wirklich tot war; dazu hatte aber keiner den „Mut“. Die beiden Haupttäter brüsteten sich mit ihrer Tat gegenüber dem Gehilfen und demjenigen, der kurz vorher noch ausgestiegen war. Die drei Täter reinigten zudem noch in derselben Nacht den Wagen, entsorgten mitgenommene Kleidungsstücke und ihr Portemonnaie und einigten sich darauf, nötigenfalls auszusagen, sie hätten das Opfer in der Disco Schützenhaus ausgeladen. Am nächsten Tag verbrachten sie die Leiche in eine andere Gegend und warfen sie dort in einen Wasserschacht. In den nächsten beiden Tagen erkundeten sie sich dann scheinheilig bei der Mutter des Opfers nach dessen Verbleib. Am folgenden Dienstag fanden Strassenarbeiter ihre Leiche und fünf Stunden später wurden sie schon verhaftet. Am Dienstag und Mittwoch legten sie ihre Geständnisse ab. Alle drei wurden später wegen Mordes verurteilt, die beiden Haupttäter zu 17 und 14 Jahren, der Gehilfe wurde in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen. Er erhob nachher eine eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen an das Schweizerische Bundesgericht. Diese Beschwerde war erfolgreich, worauf er nur als Gehilfe zum Tatbestand der vorsätzlichen Tötung bestraft wurde. Dies änderte nichts an der Art der Sanktion.

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Ein vorhersehbarer und vermeidbarer Mord

Dieser Fall bildet ein trauriges Musterbeispiel für das Zaudern und Zögern staatlicher Behörden und Organen in der Verhütung eines angekündigten Verbrechens. Dieser Mord eines ExMannes an seiner Ex-Frau am 20.02.1992 auf einem Parkplatz ist auch deshalb erwähnenswert, weil er der Ausgangspunkt eines Strategiewechsels der Strafjustiz gegenüber häuslicher Gewalt und schliesslich am 01.04.2004 auch zur grundsätzlichen Offizialisierung dieses Kriminalitätsphänomens führte. Der Täter, ein in Argentinien geborener Auslandschweizer, und das Opfer, eine Peruanerin, heirateten 1975, bekamen einen Sohn und eine Tochter, übersiedelten 1980 in die Schweiz und 1987 wurde die Ehe geschieden. Vor und nach der Scheidung kam es zu massiven Übergriffen des Täters gegen seine Frau. 1985 kam es während einer faktischen Trennung dazu, dass der Täter mit einem Eispickel in die Wohnung des Opfers eindrang und in Anwesenheit der Kinder Möbelstücke zusammenschlug. Wenige Monate vor der Scheidung drang der Täter mit einem Fleischmesser in die Räumlichkeiten des Arbeitsortes seiner Frau ein, packte sie an den Haaren und versetzte ihr einen Messerstich in die linke Flanke. Der Täter wurde deswegen wegen einfacher Körperverletzung mit 10 Monaten bestraft, bedingt und mit der Weisung, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen. 1990 brach er erneut in die Wohnung seiner Frau ein. Urteil: 6 Mo-

nate bedingt und ambulante Massnahme unter Aufschub des Strafvollzugs. Am Heiligabend 1992 schlug er dann seine ExFrau zu Boden und drückte ihr, in der Absicht sie zu blenden, mit den Daumen derart in die Augen, dass sie sich notfallärztlich und stationär behandeln lassen musste. Dies tat er, nachdem er ihr direkt und indirekt über die Kinder angedroht hatte, sie zu blenden. Es war die reinste Hölle in welcher diese Frau lebte. Sie fühlte sich von der Polizei, der Justiz und der Vormundschaftsbehörde im Stich gelassen, was sie auch mehrfach schriftlich festhielt. Sie sah ihrem gewaltsamen Tod als unausweichlichem Schicksal entgegen. Tatsächlich beschaff te sich der Täter am 16.02.1993 ein Filetiermesser und kündigte seinen Mord auch bei einem Arbeitskollegen an. 4 Tage später tötete er seine Ex-Frau in seinem Personenwagen mit 4 wuchtigen Stichen in den Bauch. Das Treffen hatte er mit ihr vereinbart, um den Rückzug des von ihr wegen des versuchten Erblindens gestellten Strafantrag zu erlangen. Die 41-jährige Mutter verblutete innerhalb weniger Minuten, ihr Ex-Mann fuhr noch mit ihr im Auto zum Bezirksgefängnis Dielsdorf, wo er sich der Polizei stellte. Am 01.12.1995 wurde er durch das Zürcher Obergericht wegen Mordes und versuchter schweren Körperverletzung mit einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe bestraft.

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Ein Tötungsdelikt und sein anonymisierter Zeuge Dieser Fall hat Herrn Weder über 10 Jahre beschäftigt. Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein Tötungsdelikt im Drogenmilieu, und nach Wissen von Herrn Weder ist es das einzige Tötungsdelikt, das zu einem guten Teil auf einem Zeugen beruht, der im ganzen Strafprozess und bis zum heutigen Tag anonymisiert ist. Am 15.10.2001 hat ein serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger einen Landsmann hinter dem Restaurant Hirzenbach in Zürich aus nächster Nähe durch einen Genickschuss erschossen. Beobachtet hat diese Tat ein Zeuge, der auch den Täter kannte. Der Zufall wollte es, dass damals, am 01.01.2002, in der kantonalen Strafprozessordnung eine Gesetzesrevision in Kraft getreten ist, die es erlaubt hat, einen Zeugen zu seinem Schutz zu anonymisieren, wenn er durch seine Aussage einer erheblichen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wurde. Zweieinhalb Monate nach dem Tötungsdelikt ist es dann gelungen, den wegen Waffenbesitzes im Untersuchungsgefängnis Zürich einsitzenden Täter kurz vor seiner geplanten Ausschaff ung aus der Schweiz zu verhaften. Er hat allerdings jegliche Täterschaft bestritten. Der Zeuge hat seine Beobachtungen gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Geschworenengericht in der Folge immer übereinstimmend geschildert. Seine Angaben liessen sich auch mit den forensischen und den rechtsmedizinischen Erkenntnissen bestätigen, etwa bzgl. des hochgradig angenäherten Genickschusses, aber auch des Zusammensackens und des Aufschlagens des Opfers am Boden, aber auch bzgl. einer Brille, die als Folge der Tat im Gesicht des Opfers noch verschoben wurde. Auch das Schutzbedürfnis des Zeugen konnte in diesem Fall problemlos belegt werden, Täter wie Opfer haben in einem kriminellen Umfeld, dem Drogenhandel, verkehrt, sie waren vorher auch mehrfach mit massiver Gewalt aufgefallen. Das Zürcher Geschworenengericht hat dann diesen Täter unter anderem aufgrund dieser anonymisierten Zeugenaussage 2004 wegen vorsätzlicher Tötung schuldig gesprochen und mit 14 Jahren und 9 Monaten Zuchthaus bestraft. Dem Zeugen kam zwar ein erheblicher Beweisgehalt zu, indessen waren aber auch noch andere Beweismittel vorhanden, etwa das falsche Aussageverhalten des Täters bzgl. seines Aufenthaltsorts während des Tatzeitpunkts. Es gab aber auch frühere belastende Aussagen aus dem Milieu: Personen, die ihre Aussagen zwar zu Protokoll gaben, aber als es dann darum ging, diese Aussagen vor dem Täter zu bestätigen, die Aussagen entweder widerriefen oder derart relativierten, dass sie für sich allein nicht geeignet gewesen wären, einen Schuldspruch zu stützen. Auf eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten hat dann das Kassationsgericht (KassG) dieses geschworenen32

gerichtliche Urteil aufgehoben. Das KassG befand, dass diese Anonymisierung grundsätzlich zulässig war, aber weil der Schuldspruch massgeblich auf die Aussage eines anonymisierten Zeugen sich abstütze, sei er konventionswidrig, das verletze die Verteidigungsrechte und das Fairnessgebot. Die staatsrechtliche Beschwerde mit der Rüge, das KassG habe Art. 6 EMRK unrichtig interpretiert und angewendet, war mangels entsprechender Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft nicht möglich. Letztlich blieb hier nur übrig, eine Verletzung eidgenössischen Rechts, bestehend im Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach Art. 269 Abs. 1 der damaligen Bundesstrafprozessordnung geltend zu machen. Und tatsächlich war dies für die Staatsanwaltschaft das prozessuale Eingangstor für die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Diese war dann nicht nur formell, sondern auch materiell erfolgreich. Das Bundesgericht stimmte dem KassG zwar durchaus zu, mit der Feststellung, dass die Argumentation des EGMR, wonach anonymisierte Zeugenaussagen grundsätzlich verwertbar seien, sofern sie nicht ausschliesslich oder entscheidend den Schuldspruch abstützen, an einem inneren Widerspruch leide. Denn entweder genügen die übrigen Beweise für einen Schuldspruch, dann ist der anonymisierte Zeuge gar nicht nötig, oder diese übrigen Beweise genügen nicht, und dann ist aber der anonymisierte Zeuge ein zumindest mitentscheidendes oder eigentlich entscheidendes Element der Beweisführung. Das Bundesgericht hat daher in seiner Rechtsprechung vor dem geschilderten Hintergrund den Fokus auf eine Gesamtwürdigung der Beweise gelegt, die anhand der folgenden Feststellung vorzunehmen ist: Hatte der Beschuldigte trotz der Beschneidung seiner Verteidigungsrechte durch Kompensationsmassnahmen insgesamt gleichwohl - trotz Anonymisierung des Zeugen - einen fairen Prozess oder nicht. Im vorliegenden Straffall hat man gewisse Kompensationsmassnahmen eben als solche erkannt: Das Gericht konnte immerhin den Zeugen selbst befragen, seine Identität, seine Glaubwürdigkeit wurden einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen und Verteidiger und Angeklagter konnten, wenn auch unter optischer und akustischer Abschirmung, dem Zeugen Zusatzfragen stellen. Das Schweizerische Bundesgericht hat daher den Beschluss des KassGs wieder aufgehoben, zumal der Schuldspruch eben auch nicht allein durch die Aussagen des anonymisierten Zeugen getragen wurde. Der Verurteilte hat sich dann noch an den EGMR gewandt, und dieser hat die Beschwerde des Verurteilten am 06.12.2012 abgelehnt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Verurteilte seine Strafe bereits verbüsst, und war in sein Heimatland ausgeschaff t worden.

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Ein Tötungsdelikt mit einem Freispruch

Am 21.01.1996 wurde in der Nähe des Grünwalds in Zürich ein 27-jähriger Jugoslawe durch zwei Schüsse in den Kopf regelrecht hingerichtet. Das Obergericht verurteilte am 12.03.98 eine 28-jährige, geständige Portugiesin wegen Totschlags mit 6 Jahren Zuchthaus, weil sie die Tötung des Opfers zusammen mit ihrem 39-jährigen Schwager geplant habe. Dieser Schwager wurde aufgrund ihrer Aussage zunächst wegen vorsätzlicher Tötung zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Zürcher Geschworenengericht stützte sich dabei unter anderem auf die einzige direkte Zeugin, die erwähnte Schwägerin. Das Urteil des Geschworenengerichts wurde durch das Urteil des Kassationsgerichts in der Folge aufgehoben, weil das Geschworenengericht belastende Aussagen des Ehemannes der Portugiesin willkürlich zu Lasten der beschuldigten Person gewürdigt habe und bezüglich eines Gehilfen von einem mangelhaften und unklaren Gutachten auszugehen sei. Aufgrund dieses kassationsgerichtlichen Entscheids und weil der Vorsitzende des Geschworenengerichts zwischenzeitlich zum Regierungsrat gewählt worden war und somit als Richter nicht mehr zur Verfügung stand, wurde im Sommer 2000 der gesamte Geschworenengerichtsprozess wiederholt. Das Problem in diesem zweiten Prozess war, dass die Schwägerin des Haupttäters nun im Gegensatz zum ersten Verfahren von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte.

Daher konnte sich das Geschworenengericht, wie es in seinem Urteil schrieb, nicht aus eigener Anschauung ein positives Bild von der Schwägerin und Zeugin machen, und es hat dann den Haupttäter in dubio pro reo freigesprochen, weil nicht mit rechtsgenügender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass die Schwägerin ihn zu Unrecht als Täter bezeichnete, um den wahren Täter vor der Strafverfolgung zu schützen. Die Frage, ob sie den Besuch ihres Zwillingsbruders kurz vor der Tat im ersten Prozess bewusst verschwiegen oder lediglich aus Versehen unerwähnt gelassen habe, blieb unbeantwortet. Diese Theorie einer Dritttäterschaft, von der Verteidigung des Haupttäters schon im ersten Prozess geschickt vertreten, wurde im ersten geschworenengerichtlichen Urteil noch klar verneint, unter anderem mit dem Hinweis, es sei erstellt, dass dieser Zwillingsbruder die Schweiz vor der Tat verlassen habe. Die kantonalrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde, die Herr Weder damals gegen den Freispruch erhoben hatte, war erfolglos. Aufgrund des dann in Rechtskraft erwachsenen Urteils musste diesem Beschuldigten unter dem Titel Schadenersatz 215’000 Franken ausbezahlt werden und zudem eine Genugtuung - er war viereinhalb Jahre in Untersuchungs- und Sicherheitshaft von 160’000 Franken geleistet werden.

Herr Weder hat sich selbst nach der Pensionierung gefragt, was eigentlich das Interessante an diesen Fällen war und was ihn auch damals schon in ihren Bann gezogen hat. Die Menschen und ihre Geschichten, die hinter jedem Fall stecken, das war es, das ihn von Anfang an interessierte.

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Strafrechtliche Konsequenzen falscher Wetterprognosen Tommaso Caprara

Keine Pflichtverletzung im Fall des ETF Im Sommer 2013 wurden am Eidgenössischen Turnfest (ETF) in Biel bei einem heftigen Sturm dutzende Personen verletzt. Die Organisatoren gaben damals an, die Wetterlage verfolgt und sich auf die Wetterprognosen von Meteo Schweiz gestützt zu haben. Da beim genannten Ereignis verschiedene Personen schwer verletzt wurden, kam der Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung (Art. 125 StGB) in Frage. Da es sich dabei um ein Offizialdelikt handelt, wurde eine Untersuchung durch die zuständige Staatsanwaltschaft eröffnet (Art. 125 Abs. 2 StGB).

dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung einen Erfolg, wie den eingetretenen, herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Die Adäquanz sei nur dann zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolges erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren – namentlich das Verhalten des Beschuldigten – in den Hintergrund drängen (vgl. BGE 135 IV 64 f., E. 2.1 m.H.).

Im Zentrum der Strafuntersuchung stand die Frage, ob der Sturm für den Direktor des ETF und für das Organisationskomitee voraussehbar gewesen war und ob ihnen ein strafrechtlich relevantes Verhalten (d.h. eine Pflichtverletzung) vorgeworfen werden könnte. Eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit liegt im schweizerischen Strafrecht dann vor, wenn die betreffende Person die Vorsicht nicht beachtet, zu der sie nach den Umständen und nach ihren persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 Satz 2 StGB). Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Vorhersehbarkeit des Erfolges. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Daher ist zu fragen, ob der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen bzw. erkennen können und müssen. Für die Beurteilung dieser Frage wendet das Bundesgericht das Kriterium der Adäquanz an. Danach muss das Verhalten des Täters geeignet sein, nach

Letzten Monat hat die zuständige Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Direktor des Turnfests eingestellt. Hauptgrund der Verfahrenseinstellung war die fehlende Voraussehbarkeit des Wetterereignisses. Der Direktor und sein Team haben alle erdenklichen und nötigen Vorsichtsmassnahmen getroffen, um auf den von den Meteorologen vorausgesagten Sturm zu reagieren. Die effektive Windstärke war selbst für Meteo Schweiz nicht vorhersehbar, sodass eine Sorgfaltspflichtverletzung dem Direktor angesichts der gesamten Umstände nicht vorgeworfen werden konnte (so die Medienmitteilung der zuständigen Staatsanwaltschaft). Dieser Entscheid steht im Einklang mit der oben erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung und ist zu begrüssen. Damit wird die Organisation und Durchführung von Turn- und anderen Festen in der Zukunft nicht zusätzlich erschwert, weil die Organisatoren keine strafrechtliche Verantwortung für unvorhersehbare Ereignisse befürchten müssen.

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Giovani Giuristi Zurigo


Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Meteorologen? Man könnte sich die Frage stellen, ob allenfalls die Meteorologen im Falle von Wetterprognosen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen, zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden könnten. Dies insbesondere, wenn im Rahmen von Grossveranstaltungen, die gestützt auf eine günstige Wetterprognose durchgeführt werden, Personen aufgrund eines Unwetters verletzt werden oder gar ums Leben kommen. Diese Frage ist aus den folgenden Gründen zu verneinen. Eine Bestrafung wegen einer Straftat setzt i.d.R. vorsätzliches Handeln des Täters voraus, d.h. das Wissen und den Willen bezüglich der Tatbestandsverwirklichung (Art. 12 Abs. 2 StGB). Dies wird bei Meteorologen hinsichtlich einer schädigenden Folge aufgrund einer falschen Wetterprognose in der Regel kaum der Fall sein. Daher stellt sich die Frage, ob allenfalls eine Bestrafung wegen einer fahrlässigen Tatbegehung in Betracht gezogen werden könnte. Voraussetzung dafür wäre das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung, was wiederum die Vorhersehbarkeit des Taterfolges bedingen würde (vgl. oben).

Zweck von Wettervorhersagen ist die Erstellung einer Prognose eines Zustandes der Atmosphäre zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort in einem bestimmten Gebiet. Die Abschätzung der künftigen Wetterentwicklung stellt damit eine Prognose dar, welche definitionsgemäss nicht zur hundertprozentigen Genauigkeit und Zuverlässigkeit führen kann, weil sich diese später immer als falsch herausstellen könnte. Die Meteodienste unterstreichen deshalb auf ihren Websites mit einer ähnlichen Formulierung, sie würden hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit, Genauigkeit, Aktualität, Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der veröffentlichen Informationen keine Gewährleistung übernehmen (siehe z.B.: http://www. meteoschweiz.admin.ch/home/ueber-uns/rechtliches.html, abgerufen am 2.10.2016). Dies erscheint auf den ersten Blick unbefriedigend, ist jedoch als sachgerecht zu betrachten. Die Zukunft ist bekanntlich unsicher. Sofern die meteorologischen Daten für die Erstellung der Wetterprognose sorgfältig analysiert und nach den anerkannten Grundsätzen bewertet werden, ist eine Sorgfaltspflichtverletzung somit zu verneinen. Das Gegenteil zu verlangen, wäre realitätsfremd und ist daher abzulehnen.

Giovani Giuristi Zurigo

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Un mese nel bel Paese Corrida

Nach Abschluss meiner letzten – zumindest universitären – Prüfungen hatte ich mich für einen Intensivsprachkurs in Italien eingeschrieben, um meine nicht mehr intakten Italienischkenntnisse wieder zu reaktivieren. Aber nicht (nur) der Sprache als solche wegen, die zu Recht als die „lingua melodiosa“ bezeichnet wird; vielmehr war es mein erklärtes Ziel, mit guten Italienischkenntnissen die eigenen Chancen auf eines der zahlreichen, von der Bundesverwaltung angebotenen juristischen Hochschulpraktika zu erhöhen, welche dem Vernehmen nach bei Juristinnen und Juristen sehr begehrt zu sein scheinen. Ein geradezu schweizerischer Ansatz könnte man meinen – und das von einem Nichtschweizer! Die Wahl der Destination verlief – anders als die Wahl des Bundespräsidenten im östlichen Nachbarland – pannenfrei und unspektakulär: In die Hauptstadt des „bel Paese“ (umgangssprachlich für Italien) sollte es gehen, nach Rom! Die so genannte ewige Stadt mit der so frustrierenden ewigen Stauproblematik! Pädagogisch vorbildlich schildere ich zunächst die positiven Eindrücke, die ich während meines vierwöchigen Aufenthalts in dieser Metropole gewonnen habe.

Wenn einer eine Reise tut, dann hat er nach seiner Rückkehr offensichtlich ein gewisses Mitteilungsbedürfnis. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die kulinarische Seite Roms: Wohin man auch geht, das Essen ist vorzüglich! Das liegt vermutlich weniger an den jeweiligen Kochkünsten, sondern vielmehr an der Verwendung frischer und qualitativ hochwertiger Zutaten. Dasselbe galt auch für meine Gastfamilie, mit der ich regelmässig zu Abend ass, vorausgesetzt der Mann kochte; für die Frau galt dies nicht, denn im Vergleich zu ihren Speisen ist sogar der Spaghetti-Plausch in der Studenten-WG ein regelrechtes Geschmacksfeuerwerk. Des Weiteren sind selbstverständlich die vielen, wunderschö-

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nen Plätze Roms anzuführen – eine Augenweide, die man jedoch aufgrund der Heerscharen von Touristen an den Wochenenden leider nicht zu Gesicht bekommt. Auch die aufschlussreichen Bekanntschaften mit interessanten Menschen werden mir in Erinnerung bleiben, wobei die überwältigende Mehrheit nach der Anfangseuphorie wohl auf den üblichen Facebook-Freundestatus reduziert wird und sich die inskünftige Kommunikation auf wenige Briefwechsel an Silvester und/oder an den jeweiligen Geburtstagen beschränken dürfte. Zweifellos vermisse ich mein tägliches Ritual: Auf halber Strecke zur Schule betrat ich stets dieselbe Bäckerei, wurde stets mit einem warmen „ciao caro“ begrüsst, trank stets den gleichen Kaffee und ass stets den gleichen Kuchen. Einzig der Preis war kurioserweise nie derselbe und ich bin bis zum heutigen Tage nicht wirklich dahinter gekommen, wieso. Aber vielleicht nennt man das auch einfach „dynamic pricing“. Der Kontrast, der sich mir bot, hätte jedenfalls nicht grösser sein können: In der ersten Woche nach meiner Rückkehr in die Schweiz – es war kurz vor Mittag – grüsste ich lächelnd den Postboten mit den Worten „Guete Morge“, was dieser etwas unwirsch mit folgender Aussage quittierte: „Dä Morge isch dä im Fall scho verbi!“ Mit finsterer Miene drückte er mir das Paket in die Hand und wandte sich dann wortlos ab. Eine Erfahrung der unangenehmen Art ist das römische öffentliche Verkehrssystem: Die normative Kraft des Faktischen verleitet zur Annahme, der Taktfahrplan wäre noch nicht eingeführt worden. Und die Auslastung der hiesigen Trolleybusse unter den Sammelbegriff „Dichtestress“ zu fassen, erscheint angesichts der Verhältnisse in Rom geradezu als zynisch. Immerhin erschliesst sich mir nun die eigentliche Bedeutung des Wortes „Stosszeiten“. In Anbetracht dieser Umstände dürften wohl insbesondere die Präventivmediziner frohlocken: Ich versuchte fortan den öffentlichen Verkehr bestmöglich zu meiden und ging stattdessen Strecken zu Fuss, die ich in Zürich niemals ohne Fortbewegungsmittel zurücklegen würde. Zudem ermöglicht ein Spaziergang abseits der klassischen Touristenattraktionen das Entdecken eher unerwarteter Seiten dieser zumeist mit der Antike in Verbindung gebrachten Stadt, wie etwa moderne Kunstformen der „Street Art“ im Quartier Ostiense.

Kolumne


Thema

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