N'Jus HS15

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Grenzen des Rechts Art. 190 BV: Grenze der Geltung der BV Berufsperspektiven: Steuerberatung Interview mit Prof. Graber Zeitschrift der Z端rcher Jusstudierenden

Input von Prof. Schloenhardt Herbstsemester 2015


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Editorial

Geschätzte Leserschaft Grenzen – wir alle begegnen ihnen ständig in unserem täglichen Leben: Sie können geographischer, ideologischer, gesellschaftlicher oder rechtlicher Natur sein. Es gibt wohl kaum etwas, das nicht in irgendeiner Art und Weise begrenzt wäre. Und doch sehen wir uns als „frei“, die Schweiz als „freies Land“ an. Freiheit und Grenzen sind dabei nicht etwa Widersprüche, denn Freiheit setzt auch immer gewisse Grenzen voraus: So endet die Freiheit einer Person stets dort, wo diejenige eines Mitmenschen beginnt. Oder wie dies Immanuel Kant in seinem Werk „Metaphysik der Sitten“ treffend zum Ausdruck brachte: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ Gerade auch unsere Gesetze versuchen, eine Ordnung zu schaffen, in der jeder frei und selbstbestimmt leben kann. Das Recht setzt unseren Handlungen dann Grenzen, wenn diese dazu geeignet sind, unsere Freiheit auf Kosten anderer zu extensiv auszuüben. Doch das Recht begrenzt nicht nur, sondern kennt auch selber Grenzen. Um ein Beispiel zu nennen: Gesetze versuchen oftmals Missstände zu verhindern. Damit dies aber überhaupt möglich ist, müssen diese Missstände von Gesetzen

Redaktionsleitung: Carmen Honegger

erfasst sein. In der heutigen, sich rasch verändernden Welt tauchen jedoch immer und immer wieder Situationen auf, die das geltende Recht so noch nie gesehen hat. Die Gesetzgebung hinkt in der Regel den tatsächlichen Gegebenheiten hinterher, reagiert vielmehr, als dass sie vorkehrt. In diesem Sinne kommt das Recht schnell an seine Grenzen, wenn neue Entwicklungen auftreten. Dies konnte insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Internets beobachtet werden. Das vorliegende N’Jus® versucht, einige Aspekte dieser „Grenzen des Rechts“ genauer zu beleuchten. So wird unter anderem die Bedeutung von Art. 190 BV diskutiert und der Frage nachgegangen, ob Art. 190 BV die Geltung der Bundesverfassung beschränkt. In einem Interview mit Prof. Graber steht die Frage im Vordergrund, inwiefern grundlegende Begriffe der Rechtswissenschaften unter den Bedingungen von neuen Technologien herausgefordert werden. Letztlich richtet Prof. Schloenhardt sein Wort an die Studierenden. Er beschäftigt sich mit der interessanten Frage der Schlepperkriminalität und den diesbezüglichen Grenzen des Strafrechts. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei ihm bedanken! Nun wünsche ich aber der Leserschaft viel Vergnügen bei der Lektüre dieser und vieler weiterer spannender Artikel! Carmen Honegger



Inhaltsverzeichnis

6 Neue Technologien und die Grenzen des Rechts Interview mit Prof. Dr. Christoph B. Graber

12 Art. 190 BV als Grenze der Geltung der Schweizerischen Bundesver- fassung? Überlegungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

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Berufsperspektiven in der Steuerberatung

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Wie gut schneidet das Rechtsstudium an der UZH im internationalen Vergleich ab?

30

Die Qual der Wahl

Ausserfakultäre Fächer

Arbeitsplätze an der Uni

34

38 Gerichtsluft schnuppern Kurzpraktikum am Bezirksgericht Andelfingen

42 „ELSA Moot Court Competition“ im WTO-Recht Die internationale Handelsdiplomatie hautnah erleben

48

Geld, Macht, Liebe und die Grenzen des Rechts

50

Neues aus dem Fachverein

53

Ius Alumni

54 Circolo Giovani Giuristi Zurigo The Limits of Studying Law 55 Kolumne Reiter in Gesetzestexten 56 Input: Prof. Dr. Andreas Schloenhardt Schlepperkriminalität und die Grenzen des Strafrechts 58

Sudoku


Neue Technologien und die Grenzen des Rechts Interview mit Prof. Dr. Christoph B. Graber Julia Meier

Professor Christoph B. Graber forscht an den Grenzen des Rechts. Wir haben uns mit ihm über die grundlegenden Begriffe in der Rechtswissenschaft unterhalten und ihn gefragt, wie diese unter den Bedingungen von neuen Technologien herausgefordert oder gar gesprengt werden. Anhand von Beispielen zeigt er auf, wie die digitale Welt das Recht herausfordert und wie wir damit umgehen können.

Ihr Lebenslauf zeichnet einen spannenden und

mehr als sieben Jahre lang und es waren verschiedene Projekte des Schweizerischen Nationalfonds und auch ein längerer Forschungsaufenthalt in Australien damit verknüpft. Seit nun etwa drei Jahren stehen Fragen normativer Wirkungen von Technologien im Internet im Zentrum meiner Forschungsarbeit. Das ist ein grosses Projekt, das wohl noch längere Zeit meine Forschungsagenda bestimmen wird.

facettenreichen Werdegang auf und Sie haben sich im Laufe der Zeit mit den verschiedensten Themen befasst. Können Sie uns die Entwicklung und Verschiebung ihrer Forschungsschwerpunkte kurz schildern?

Die Forschungsschwerpunkte wechselten im Verlauf meiner Tätigkeit tatsächlich immer wieder. So beschäftigte ich mich zum Beispiel im Zusammenhang mit meiner Habilitation intensiv und über mehrere Jahre hinweg mit dem Spannungsfeld Handel und Kultur im internationalen Recht. Nach meiner Berufung an die Universität Luzern baute ich dann einen Schwerpunkt für Kommunikations- und Kulturrecht auf. Die sich hier stellenden Fragen überlappten teilweise mit jenen, die ich in meiner Habilitationsschrift untersucht hatte. Glücklicherweise konnte ich eine Stiftung dafür gewinnen, 50% meines Ordinariats an der Uni Luzern als Forschungsprofessur zu finanzieren. Das ermöglichte mir, meine Forschungsarbeiten auch auf das Gebiet des Immaterialgüterrechts, insbesondere im Zusammenhang mit neuen Technologien, auszudehnen. In dieser Zeit entstand ein Band zu Fragen des Digital Rights Management (DRM) und der Kollektivverwertung und später auch ein Buch, in welchem die Regulierung von Computer- und Videospielen im Internet unter dem Gesichtspunkt der kulturellen Vielfalt untersucht wurde. Parallel dazu richtete sich mein Forschungsinteresse auf ein neues Themengebiet, das auf internationaler Ebene dann grosse Aktualität erhielt: die Frage des rechtlichen Schutzes kulturellen Wissens indigener Völker. Dieses Thema beschäftigte mich

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Gibt es eine zugrundeliegende Frage, welche Ihre Forschung begleitet? Eine Frage, welche Sie bei Ihrer Arbeit motiviert und sich wie ein roter Faden durch diese verschiedenen Gebiete hindurchzieht?

Es ist vielleicht weniger eine Frage, die überdachend wirkt, als vielmehr eine Herangehensweise. Bei all den genannten Forschungsprojekten waren immer virulente gesellschaftlichrechtliche Entwicklungen der Auslöser meines Forschungsinteresses. Diese Entwicklungen riefen Fragen hervor, die nach einer interdisziplinären und grundlagenorientierten Forschungsmethode verlangten. Da es sich um neue gesellschaftliche oder technisch-wirtschaftliche Entwicklungen handelte, wäre es nicht möglich oder zumindest nicht sinnvoll gewesen, lediglich geltendes Recht anzuwenden. Deshalb musste ich immer interdisziplinär und vor allem rechtssoziologisch vorgehen und neue Entwicklungen als soziale Tatsachen verstehen, einordnen und untersuchen, welche Wirkungen sie in rechtlich-normativer Hinsicht haben und diese mit dem geltenden Recht vergleichen. Daraus ergaben sich Fragen wie beispielsweise: Wie wird Recht von anderen Systemen der Gesellschaft, beispielsweise der Wirtschaft, beobachtet?

Thema


Werden neue gesellschaftlich-technische Entwicklungen durch das geltende Recht hinreichend und befriedigend geordnet und geregelt? Welche Defizite zeigen sich allenfalls und wie müsste man das Recht anpassen, um befriedigendere Resultate herbeizuführen? Das, was meinen Forschungsprojekten gemeinsam ist, hat somit viel mehr mit der gewählten Methode als mit einer bestimmten Frage zu tun. Was verstehen Sie unter der normativen Wirkung von neuen Technologien? Wie können Tatsachen eine solche Wirkung entfalten?

Vielleicht ist es am besten, diese Frage anhand eines Beispiels zu beantworten. Nehmen wir DRM-Technologien, Technologien also, die den Zugang zu und die Nutzung von digitalen Informationen regeln. Solche Technologien können zum Beispiel die Nutzung eines eBooks einschränken, indem dem Besitzer vorgeschrieben wird, auf welchem Gerät er das elektronische Buch zu lesen hat. Dies wiederum kann mit Urheberrechtsschranken kollidieren, die bestimmte Nutzungen erlauben. So erlaubt das schweizerische Urheberrechtsgesetz, von einem legal erworbenen eBook eine nicht beschränkte Anzahl Kopien

Wenn wir uns nun im Bereich neuer Technologien im Internet oder in der Biotechnologie umschauen, dann stellen wir fest, dass diese offensichtlich nicht vom Staat produziert werden. Auch wenn diese Technologien – wie am Beispiel der eBooks erläutert – regulatorische Wirkungen entfalten, haben diese weniger mit dem Staat zu tun, als mit Aktivitäten privater Unternehmen. Somit stellt sich die Frage, wie ein Rechtsbegriff definiert werden müsste, der in der Lage ist, mit regulatorischen Wirkungen von privat kontrollierten Technologien umzugehen. Was ist Recht unter diesen neuen Bedingungen? Müssen wir in diesem Bereich einen neuen Rechtsbegriff verwenden? Was heisst eigentlich Recht? Damit hängt die bereits angesprochene Frage nach der Definition von „Regulierung“ zusammen. Dieser Begriff taucht oft gemeinsam mit der Frage „Was ist Recht?“ auf. Unter Regulierung

Es stellt sich die Frage, was Recht unter den Bedingungen von neuen Technologien überhaupt bedeutet. Prof. Dr. Christoph B. Graber zum privaten Gebrauch herzustellen. Die DRM-Technologien verhindern jedoch, dass das eBook beispielsweise vom Kindle Reader auf einen PC kopiert wird. Dann stellt sich die Frage, ob solche Technologien regulatorische Wirkungen haben, die mit Wirkungen rechtlicher Regulierung vergleichbar sind. Wie am Beispiel DRM erläutert, können Wirkungen neuer Technologien in bestimmten Fällen mit Regeln kollidieren, die durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber geschaffen wurden. Somit stellt sich die Frage, was Recht unter den Bedingungen von neuen Technologien überhaupt bedeutet. Ist der Rechtsbegriff, den wir als Juristinnen und Juristen gemeinhin verwenden, zu überprüfen? Dieser Begriff ist weitgehend identisch mit der von John Austin geprägten Definition von Recht: „commands backed by penal sanctions“. Im Vordergrund stehen also Befehle des staatlichen Gesetzgebers, die durch die Drohung staatlicher Sanktionen im Widerhandlungsfalle untermauert werden. Dieser Rechtsbegriff ist staatszentriert.

Thema

Christoph B. Graber hat seit dem Frühlingssemester 2015 einen Lehrstuhl an der Universität Zürich für Rechtssoziologie mit besonderer Berücksichtigung des Medienrechts inne. Zuvor war er Gründungsmitglied der rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Luzern. Er hat verschiedene Bundesämter sowie die OECD in Fragen des Kommunikations-, Kulturund Urheberrechts beraten. Im Herbstsemester bietet er die Vorlesung „Regulation without Law? Law and the Technologies of the Twenty-First Century“ an, wo viele Fragen des Interviews vertieft werden. Die theoretischen Grundlagen der Rechtssoziologie vermittelt er in den Vorlesungen „Rechtssoziologie“ (Bachelor) und „Legal Sociology“ (Master), die beide im Frühlingssemester angeboten werden.

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verstehe ich, vereinfacht gesagt, die Absicht eines Akteurs, mit bestimmten Mitteln auf den Autonomiebereich von Personen einzuwirken. Ist dies dasselbe wie Recht, oder gibt es allenfalls Regulierungen, die nicht selbst schon Recht sind, beispielsweise Regulierungen durch Technologien oder wirtschaftliche Praktiken? Damit verbunden ist auch die Frage der Normativität. Was ist Normativität unter den Bedingungen dieser neuen Technologien? Normativität wird gemeinhin als etwas verstanden, das ein Sollen vorschreibt. Normativität ist ein typisches Merkmal des Rechts. Rechtliche Bestimmungen werden oft als verfestigte normative Erwartungen verstanden. Wie sind diese Begriffe nun im Zusammenhang mit regulatorischen Wirkungen neuer Technologien zu sehen? Ist Normativität im Spiel, wenn, um beim vorherigen Beispiel zu bleiben, eine DRM-Technologie uns nicht erlaubt, ein eBook wie rechtlich erlaubt zu nutzen? Ist diese Wirkung normativ oder müsste man hier einen anderen Begriff verwenden? Das sind Fragen, welche mit Grenzen des Rechts im 21. Jahrhundert zusammenhängen. Haben Sie bereits eine Antwort auf die Frage, welche Elemente dieser neue Rechtsbegriff enthält? Können Sie bereits jetzt ein Zwischenfazit vorweisen?

Ich kann diese Frage noch nicht beantworten, denn sie ist Gegenstand des neuen Forschungsprojektes, das auf mehrere Jahre angelegt ist. Im Sinne meiner bewährten Vorgehensweise werde ich Rechtsprobleme, die durch neue Technologien hervorgerufen werden, als Case Studies analysieren und Fragen wie die folgenden stellen: Haben wir es hier mit Recht zu tun oder allenfalls mit Regulierungen? Tangieren diese Technologien normative Erwartungen? Was kann getan werden, wenn sich zeigen sollte, dass das demokratisch legitimierte Recht durch Technologie ausgehebelt wird?

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Es ist diese vorsichtige, iterative Vorgehensweise, die mir im Moment passender erscheint, als bereits einen neuen Rechtsbegriff zu postulieren. Weil wir mit grundlegenden Fragen gesellschaftlich-technischer Entwicklung konfrontiert sind, können wir nicht einfach mit den Fingern schnippen und sagen, wir haben jetzt einen neuen Rechtsbegriff, der nun alles erfasst. Wir müssen rechtssoziologisch vorgehen und diese Veränderungen erst im Detail studieren: versuchen zu verstehen, was genau passiert und untersuchen, wie sich die Verwendung von Technologien in spezifischen Zusammenhängen auf Freiräume von Individuen und Gesellschaft auswirken. Am Dritten Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigung im September hielten Sie einen Vortrag zum Verfassungsdenken im Internet. Bedeutet dies, dass wir nicht nur unseren Rechtsbegriff, sondern auch den Verfassungsbegriff überdenken müssen?

Der Verfassungs- und der Rechtsbegriff sind eng miteinander verknüpft. Die Frage nach dem Recht unter den Bedingungen neuer Technologien und die Frage nach dem Verfassungsbegriff in Zeiten der Globalisierung hängen miteinander zusammen. Ich habe an diesem Kongress wiederum anhand eines praktischen Beispiels, der Netzneutralität, den Verfassungsbegriff reflektiert. Ich postuliere, dass die Netzneutralität dabei ist, sich als neuer Verfassungswert auf globaler Ebene zu etablieren. Ich versuche, diese für Verfassungsjuristinnen und Verfassungsjuristen provokative These zu belegen, indem ich empirisch am Beispiel der USA zeige, wie sich die Netzneutralität aus der Mitte der Zivilgesellschaft heraus, mit Unterstützung von Bürgerrechtsorganisationen und im Dialog mit der Federal Communications Commission (FCC) und US-amerikanischen Gerichten Schritt für Schritt zu einem fundamentalen Wert der amerikanischen Verfassung entwickelt. Angefangen hat dieser Verfassungsprozess mit Forderungen von Bürgerrechtsorganisationen und Internetaktivisten in den USA, dass die Netzneutralität zu gewährleisten sei, dass also das Blockieren oder Bremsen von Datenpaketen im Internet oder das Unterscheiden zwischen „fast lanes“ und „slow lanes“ verboten werde. Gefordert wurde eine offene Internetinfrastruktur. Diese Diskussion läuft bereits seit mehr als zehn Jahren. Erst vor kurzem hat sich die FCC dazu durchgerungen, solche Forderungen ernst zu nehmen. Sie richtete eine Plattform im Internet ein, wo Interessierte einen Regelungsentwurf kommentieren konnten. In dieser Phase sandten rund vier Millionen Personen Kommentare an die FCC und/oder schrieben ihre Abgeordneten an, um die Adressaten für die Sache der Netzneutralität zu sensibilisieren. Sie waren erfolgreich: Am 26. Februar 2015 hat die FCC eine Verordnung

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verabschiedet, die eine strenge Regelung der Netzneutralität im Sinne der zivilgesellschaftlichen Forderungen vorsieht. Sie werden nun zu Recht einwenden: das ist kein Verfassungsrecht, sondern lediglich eine Verordnung der FCC. Verfassung ist tatsächlich etwas, das mehr beinhaltet als bloss Regulierung oder Gesetzesrecht. Verfassung bedeutet immer auch ein hierarchisches Verhältnis zum Gesetzesrecht und die Reflexion von Regeln im Lichte fundamentaler Rechtsgrundsätze. Notwendig ist somit eine Beobachtung zweiter Ordnung: Eine Regelung des Rechts ist aus einer übergeordneten Perspektive zu überprüfen, etwa hinsichtlich ihrer Legitimation oder ihres Verhältnisses zu anderen wichtigen Normen. Erst wenn dieser Test bestanden ist, kann von der Entwicklung von Verfassungsstrukturen gesprochen werden. Davon sind wir im Fall der Netzneutralität aber noch weit entfernt. Zurzeit befinden wir uns auf einer Vorstufe, wo sich die Frage stellt, ob sich die Netzneutralität von einem politischen Grundsatz zu einem Prinzip des Rechts mausert. Diese Frage wird von Gerichten entschieden. Tatsache ist nämlich, dass die grossen US-amerikanischen Telekommunikationsunternehmen die FCC-Verordnung gerichtlich angefochten haben. Freilich schafft ein Gerichtsentscheid, selbst wenn er zu Gunsten der Netzneutralität ausfallen würde, noch kein Verfassungsrecht. Was fehlt? Unter einer Verfassung verstehen Juristinnen und Juristen gewöhnlich ein Dokument, das mit dem „Siegel“ Verfassung ausgestattet ist. Wenn wir nun aber in die US-amerikanische Verfassung blicken, so werden wir dort nichts zur Netzneutralität finden. Hier kommt nun die rechtssoziologische Theorie zum Zuge. Nach Niklas Luhmann

entstehen Verfassungsrechte zunächst als soziale Institutionen, bevor sie als rechtliche Institutionen re-formuliert werden. Damit lässt sich postulieren, dass Prozesse des „bottom-up constitutionalism“ parallel zu Prozessen demokratisch legitimierter Verfassungsentwicklung möglich sind. Im Falle der Netzneutralität in den USA lässt sich beobachten, wie sich ein neues Grundrecht des Internets zunächst als Institution

Die Netzneutralität ist dabei, sich als neuer Verfassungswert auf globaler Ebene zu etablieren. der sozialen Verfassung entwickelt. In diesem Sinne kann die Verordnung der FCC als erste von drei Stufen eines Verfassungsprozesses von unten nach oben verstanden werden. Ein Prozess, der aus der Gesellschaft heraus eingeleitet worden ist, zunächst noch diffus und eher politischer als rechtlicher Natur ist und erst allmählich in die Sprache des Rechts „übersetzt“ wird. Wenn nun ein Berufungsgericht in absehbarer Zeit zum Schluss kommen sollte, dass es sich bei der Netzneutralität um einen Grundsatz verbindlichen Rechts handelt, könnte der nächste Schritt der Verfassungsentwicklung über den

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US Supreme Court laufen. Falls das amerikanische Verfassungsgericht aufgerufen würde, das Urteil der Vorinstanz zu überprüfen, könnte das zur Entwicklung neuer Verfassungsstrukturen führen. Theoretisch müsste die Netzneutralität in einen Zusammenhang mit etablierten Verfassungsrechten gestellt werden und die Frage aufgeworfen werden, ob es sich um einen elementaren Wert handelt, der es verdient, verfassungsrechtlichen Rang zugeschrieben zu erhalten. Rechtssoziologisch gesehen

Die Zivilverfassung kann in einen Dialog mit der formalen Verfassung treten. ist nicht entscheidend, ob diese Norm im formalen Text der amerikanischen Verfassung steht oder über den geschilderten Prozess Schritt für Schritt – eher unbemerkt als bemerkt – im Rahmen einer dynamischen Weiterentwicklung des bestehenden Rechts schleichend dort hineingelangt. Gestatten Sie mir zur Veranschaulichung eine Analogie zum schweizerischen Verfassungsrecht, das die Möglichkeit von ungeschriebenen, durch das Bundesgericht „gefundenen“ Grundrechten kennt. In seiner Praxis zur Bundesverfassung von 1874 hat das Bundesgericht mehrere Grundrechte „gefunden“, für die es im geschriebenen Verfassungstext keinen direkten Anknüpfungspunkt gab. Ein prominentes Beispiel ist die Anerkennung der Meinungsfreiheit als ungeschriebenes Grundrecht. In diesem Fall war für das Bundesgericht – abgesehen von der Präsenz des Grundrechts in Verfassungen der Kantone – massgeblich, dass die Meinungsfreiheit als selbstverständliche Voraussetzung der Pressefreiheit angesehen wurde. Weil die Pressefreiheit in der geschriebenen Verfassung existierte, entschied das Bundesgericht im Jahre 1965, die Meinungsfreiheit als ungeschriebenes Grundrecht der Bundesverfassung zu anerkennen. In der Schweiz kennen wir somit ein Verfahren, das es erlaubt, Verfassungswerte, die sich zunächst aus der Zivilgesellschaft heraus entwickeln, in den Corpus der offiziellen Verfassung hineinzunehmen. Am Beispiel des Schweizer Rechts sehen wir somit, wie die Zivilverfassung in einen Dialog mit der formalen Verfassung treten kann. Im Sinne dieser Analogie gedacht wäre auch im US-amerikanischen Kontext die grosse Bedeutung der Netzneutralität für die Verwirklichung des „right of free speech“ zu unterstreichen, ein Grundrecht, das bekanntlich durch das First Ammendment der US-amerikanischen Verfassung garantiert wird. Die Netzneutralität schützt die technischen Voraussetzungen freier Kommunikation und ist damit eine Voraussetzung für die Ausübung der free speech.

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Sie haben am Anfang Ihre Methode als grundlagenorientiert beschrieben. Ihr Vorgehen scheint jedoch sehr praxisorientiert zu sein?

Ein anderer Begriff für Rechtsoziologie ist Rechtstatsachenforschung und das ist genau das, was ich mache. Ich gehe von Tatsachen und faktischen Entwicklungen aus, die allenfalls rechtliche Wirkungen entfalten bzw. die Rechtsstellung von Personen tangieren können. In diesem Sinne entspricht mein Vorgehen dem klassischen Verständnis der Rechtssoziologie. Bei der normativen Einordnung dieser Tatsachen und Entwicklungen nehme ich anerkannte Theorien des Rechts zu Hilfe. Oft zeigt sich dann, dass diese Theorien selbst wiederum an Grenzen stossen, weil sie zu Zeiten entstanden sind, als die Phänomene, die ich untersuche, kein Thema waren, oder weil bestimmte Fragen von der Theorie gar nicht erfasst werden. Dann muss man das theoretische Grundgerüst allenfalls anpassen oder nach kreativen Lösungen suchen, wenn man sonst nicht weiterkommt. Inwiefern profitiert das Recht von den Erkenntnissen der Rechtssoziologie? Braucht es einen interdisziplinären Ansatz, um mit den Grenzen des Rechts umzugehen?

Was nützt eine wunderbare rechtliche Regel, wenn sie in der Praxis nicht die Wirkung entfaltet, die der Gesetzgeber intendiert hat? Um wiederum ein Beispiel zu nennen: Italien führte in den Siebziger- oder Achtzigerjahren ein Mieterschutzgesetz ein, das Vermieter so sehr in ihren Rechten einschränkte, dass von Vertragsfreiheit nicht mehr die Rede sein konnte. Dies hatte zur Folge, dass die Vermieter ihre Wohnungen gar nicht mehr vermieteten und in den Neunzigerjahren in Italien

Das Internet zwingt uns in der Tat oft dazu, lange bewährte rechtsdogmatische Vorstellungen zu hinterfragen. Wohnungen trotz grosser Wohnungsnot zuhauf leer standen. Das ist ein Beispiel dafür, dass rechtliche Regeln oft Wirkungen entfalten, die nicht mit dem übereinstimmen, was sich der Gesetzgeber erhofft hatte. Rechtssoziologie bedeutet, dass man solche Phänomene untersucht und sieht, dass es Regeln gibt, welche nicht sinnvoll

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wirken. Die Aufgabe besteht nun darin, Wirkungsdefizite des Rechts zu entdecken und zu überlegen, warum die intendierte Wirkung nicht eintritt, sowie allenfalls Verbesserungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Ich würde meinen, dass die Rechtssoziologie eine wichtige Hilfsdisziplin des Rechts ist, die unter den Bedingungen neuer Technologien noch stark an Bedeutung gewinnt. Das Internet zwingt uns in der Tat oft dazu, lange bewährte rechtsdogmatische Vorstellungen zu hinterfragen. Vieles, was Sie postulieren, sprengt die traditionellen Begriffe der Rechtsdogmatik und ist provokant. Wie gehen Sie mit dieser Stellung in der Wissenschaft um? Stossen Sie oft auf Gegenwehr?

Ich versuche immer mein Publikum dort abzuholen, wo es ist, und war damit auch meist erfolgreich. Vieles ist auch eine Frage der Formulierung. Man muss jedoch, wenn man eher ungewöhnliche Theorien vertritt, einen grösseren Argumentationsaufwand leisten und unbedingt bei dem ansetzen, was common sense ist. Dann kann man Schritt für Schritt aufzeigen, wo das Bekannte nicht mehr verfängt, wo die Mainstreamvorstellungen nicht mehr funktionieren oder ins Leere laufen.

Danach legt man dar, welche alternativen Vorstellungen denkbar sind. Können Sie uns Studierenden einen Tipp auf den Weg geben, wie wir mit diesen Grenzen des Rechts umgehen sollen, ohne selbst an Grenzen zu stossen?

Studierende in den unteren Semestern lernen gewissermassen, wie es ist: was ist Recht und was ist Verfassung. Viele sind zunächst überrascht, wenn sie in meine Vorlesung kommen und merken, dass diese Begriffe, die sie als fast selbstverständlich hingenommen haben, von mir hinterfragt werden. Ich beobachte aber, dass viele Studierende rasch erkennen, dass es Sinn macht weiterzudenken und zu reflektieren. Als junge Akademikerin oder als junger Akademiker profiliert man sich ja dadurch, dass man kritisch nachfragt und nicht einfach alles hinnimmt, was einem vorgesetzt wird. Das macht später den Unterschied und entscheidet, ob jemand in einem Beruf erfolgreich ist, der selbständiges Denken fordert. Für einen denkenden Menschen geht es generell darum, alles, was einem als selbstverständlich präsentiert wird, kritisch zu überprüfen. Herzlichen Dank für das spannende Interview!

Die ganze Welt des Wirtschaftsrechts

SWISS LAW FIRM OF THE YEAR 2015

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R E C H T S A N W Ä LT E


Art. 190 BV als Grenze der Geltung der Schweizerischen Bundesverfassung? Überlegungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit Patrick Müntener, Christian Stähle

Der nachfolgende Aufsatz bietet einen Überblick über die sich aus Art. 190 BV ergebenden – vermeintlichen und tatsächlichen – Grenzen der Rechtsgeltung der Schweizerischen Bundesverfassung.1 Wir beschäftigen uns bewusst nicht mit Art. 189 Abs. 4 BV, da dieser nur die direkte Anfechtung betrifft und insoweit von Anfang an keine Grenze der Rechtsgeltung der BV bildet.2 Art. 190 BV lautet nach geltendem Recht wie folgt: „Bundesgesetze und Völkerrecht sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend.“

Historische Verortung Die Schweizerische Bundesverfassung von 1848 sah zwar noch keine dem Massgeblichkeitsgebot von Art. 190 BV entsprechende Bestimmung vor, doch war es aufgrund des Misstrauens gegenüber den nicht unmittelbar demokratisch legitimierten Richtern und der sehr begrenzten Zuständigkeit des (nichtständigen) Bundesgerichts in staatsrechtlichen Angelegenheiten undenkbar, dass das Bundesgericht Bundesgesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung prüfen könnte.3 Als mit der Totalrevision der Bundesverfassung im Jahre 1874 die Kompetenzen des Bundesgerichts in staatsrechtlichen Angelegenheiten erweitert werden sollten, befürchtete insbesondere der Nationalrat einen zu grossen Machtverlust des – demokratisch besser legitimierten – Parlaments gegenüber dem Bundesgericht.4   TSCHANNEN bezeichnet die Thematik um Art. 190 BV als „eine Quelle

1

nicht abreissender studentischer Verwirrungen“ (TSCHANNEN PIERRE, Rezension von BIAGGINI GIOVANNI/GÄCHTER THOMAS/KIENER REGINA (Hrsg.), Staatsrecht, in: ZBl 113/2012, S. 384 ff., 387).

Daher wurde ein von Bundesrat JAKOB DUBS formulierter Gegenantrag deutlich angenommen, welcher als „politische Kompensation“ zur Erweiterung der staatsrechtlichen Kompetenzen dem Bundesgericht verbot, Bundesgesetzen sowie Staatsverträgen unter Berufung auf die Verfassung die Anwendung zu versagen (vgl. Art. 113 Abs. 3 aBV).5 Der Ausschluss der Überprüfbarkeit von Bundesgesetzen bzw. Staatsverträgen auf ihre Verfassungskonformität bezweckte daher primär den Schutz der Stellung des Parlaments als oberstes Organ des Staates und nicht den Schutz der direkt-demokratischen Rechte.6 Dies zeigt sich namentlich darin, dass das Massgeblichkeitsgebot nach Art. 113 Abs. 3 aBV auch die unter Ausschluss des Referendums beschlossenen dringlichen allgemeinverbind-

5

BURCKHARDT WALTHER, Kommentar der schweizerischen Bundesver-

fassung vom 29. Mai 1874, 3. Auflage, Bern 1931, S. 773; EPINEY ASTRID, Art. 190 BV, in: WALDMANN BERNHARD/BELSER EVA MARIA/ EPINEY ASTRID (Hrsg.), Basler Kommentar, Bundesverfassung, Basel

2

Statt vieler HALLER WALTER, Art. 189 BV, in: EHRENZELLER

2015, N 1; HANGARTNER YVO/LOOSER MARTIN E., Art. 190 BV,

BERNHARD/SCHINDLER BENJAMIN/SCHWEIZER R AINER J./

in:

VALLENDER KLAUS A. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung,

SCHWEIZER R AINER J./VALLENDER KLAUS A. (Hrsg.), Die

St. Galler Kommentar, 3. Auflage, Zürich/St. Gallen 2014, N 58 ff., insb. 59.

schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Auflage, Zürich/

3

Zum Ganzen LOOSER MARTIN E., Verfassungsgerichtliche Rechtskon-

St. Gallen 2014, N 1.

trolle gegenüber schweizerischen Bundesgesetzen, Eine Bestandesaufnahme un-

6

ter Berücksichtigung der amerikanischen und deutschen Verfassungsge-

HÄFELIN ULRICH/HALLER WALTER/KELLER HELEN, Schweize-

richtsbarkeit, der Geschichte der schweizerischen Verfassungsgerichtsbarkeit

risches Bundesstaatsrecht, 8. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2012, § 66 N 2087;

EHRENZELLER

BERNHARD/SCHINDLER

BENJAMIN/

So HALLER [Fn. 4], N 143; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 1;

sowie der heutigen bundesgerichtlichen Praxis, Diss., Zürich/St. Gallen

LOOSER [Fn. 3], § 8 N 146 ff. A.M. SCHIESSER FRIDOLIN, Die akzessori-

2011, §7 N 30 ff., insb. 36.

sche Prüfung, Ein Beitrag zur Lehre vom akzessorischen Prüfungsrecht un-

4

HALLER WALTER, Art. 113 BV, in: AUBERT JEAN-FR ANCOIS/EI-

ter besonderer Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung,

CHENBERGER KURT/MÜLLER JÖRG PAUL/RHINOW RENÉ A./

Diss., Zürich 1984, S. 206 f.

SCHINDLER DIETRICH (Hrsg.), Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Basel/Zürich/Bern 1996, N 142. Dazu auch das Protokoll über die Verhandlungen des Nationalrates betreffend Revision der Bundesverfassung 1871/72, Bern 1873, S. 501.

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lichen Bundesbeschlüsse umfasste.7 Art. 113 Abs. 3 aBV wurde als Art. 191 in die neue Bundesverfassung übernommen und im Rahmen der Justizreform praktisch unverändert als Art. 190 BV bekräftigt, wobei der Vorschlag des Bundesrates, mindestens die akzessorische Überprüfung von Bundesgesetzten zuzulassen, von der Bundesversammlung klar abgelehnt wurde.8 Art. 190 BV war alsdann immer wieder Gegenstand hitziger Debatten. Letztmals stimmte der Nationalrat am 6. Dezember 2011 einer ersatzlosen Streichung von Art. 190 BV zu. Der Ständerat trat aber auf die entsprechende Vorlage nicht ein.9 Allgemeine Bemerkungen zu Art. 190 BV Es stellt sich vorweg die Frage, ob die Fälle, in denen ein Gericht ein Bundesgesetz bzw. völkerrechtliche Normen für verfassungswidrig hält, überhaupt zahlreich sind. Nun, während früher solche Konstellationen für die Ausnahme gehalten  So auch HALLER [Fn. 4], N 143, welcher interessanterweise anmerkt,

7

dass Bundesrat Jakob DUBS „kein Freund des Referendums“ war. Dubs distanzierte sich später – als er Mitglied des Bundesgerichtes war – von der durch Art. 113 Abs. 3 aBV erfolgten Beschränkung der richterlichen Normenkontrolle.

Vgl. die Nachweise bei SEILER HANSJÖRG, Verfassungsgerichtsbarkeit

10

zwischen Verfassungsrecht, Richterrecht und Politik, in: ZSR 2010 II, S. 381 ff., S. 404; sodann etwa BIAGGINI GIOVANNI, Bundesverfassung, Kurzkommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Mit Auszügen aus der EMRK, den UNO-Pakten sowie dem BGG, Zürich 2007,

EPINEY [Fn. 5], N 8 ff.; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 2; vgl.

8

zum Ganzen auch LOOSER [Fn. 3], § 7 N 163 ff. 9

wurden,10 scheint zunehmend anerkannt zu sein, dass in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen die bundesgerichtliche und die bundesparlamentarische Beurteilung der Verfassungsmässigkeit einer Regelung zu unterschiedlichen Resultaten führte.11 Soweit die entsprechende Regelung dem Referendum unterlag, äussert sich in solchen Fällen auch das Volk, welches bei Abstimmungen über ein Bundesgesetz bzw. einen völkerrechtlichen Vertrag übrigens an die Bundesverfassung gebunden ist und daher nur verfassungskonforme Regelungen annehmen darf.12 Eine nähere Betrachtung von Art. 190 BV rechtfertigt sich aufgrund der staatspolitischen Schlagkraft dieser Thematik also ohne Weiteres. Art. 190 BV bestimmt, dass Bundesgesetzte und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwenden Behörden massgebend sind. Dabei handelt es sich nach h.L. und Recht-

N 3 zu Art. 190 BV; HÄFELIN/HALLER/KELLER [Fn. 6], § 66 N 2090; TSCHANNEN PIERRE, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossen-

EPINEY [Fn. 5], N 11; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 3. Die

schaft, 3. Auflage, Bern 2011, § 8 N 9.

(wissenschaftliche) Debatte wurde auch unter Professoren hart geführt.

11

Erwähnt seien hier statt vieler: BIAGGINI GIOVANNI, Ausbau der Ver-

Bundesgesetzgeber als verfassungskonform, vom Bundesgericht (bezüglich

fassungsgerichtsbarkeit: ersatzlose Aufhebung von Art. 190 BV als optimaler

einer identischen kantonalen Regelung) aber als verfassungswidrig beurteilt

Weg?, in: ZBJV 148/2012, S. 241 ff.; GRIFFEL ALAIN, Die Rolle der

wurde. Vgl. sodann AUER ANDREAS/GRIFFEL ALAIN, Die schweizerische

Staatsrechtslehrerinnen und -lehrer in der Politik – am Beispiel der (ge-

Bundesverfassung ohne Art. 190, in: „Justice - Justiz - Giustizia“ 1/2012, N 15.

scheiterten) Erweiterung der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: GOOD AN-

12

DREA/PLATIPODIS BETTINA, Direkte Demokratie Herausforderungen zwischen Politik und Recht – Festschrift für Andreas Auer zum 65.

SEILER [Fn. 10], S. 406 ff., listet auf 35 Seiten auf, wo eine Regelung vom

Vgl. AUER/GRIFFEL [Fn. 11], N 21, welche bezweifeln, ob das Volk

überhaupt als Verfassungsrichter taugt.

Geburtstag, Bern 2013, S. 111 ff.

Thema

13


sprechung um ein Anwendungsgebot und kein Prüfungsverbot.13 Dies bedeutet, dass sich eine vorfrageweise Überprüfung der Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen bzw. Völkerrecht wohl rechtfertigen kann; wird eine solche aber festgestellt, muss der entsprechende Erlass angewendet werden,14 und zwar selbst dann, wenn die Verfassungswidrigkeit – nach Ansicht des Rechtsanwenders – offensichtlich juristisch begründet ist.15 Das Bundesgericht wäre wohl sogar gesetzlich dazu zu verpflichten, die Bundesversammlung auf verfassungsrechtlich problematische Bestimmungen von Bundesgesetzen und völkerrechtlichen Verträgen hinzuweisen.16 Folgt man dieser Auffassung, trifft das Bundesgericht nicht nur ein Anwendungs-, sondern auch ein Prüfungsgebot.

Die Bundesversammlung ist beim Erlass der Bundesgesetze an die Bundesverfassung gebunden. Verhältnis Bundesverfassung – Bundesgesetz Nun, was sagt Art. 190 BV in Bezug auf das Verhältnis der Bundesverfassung zu Bundesgesetzen? Er sagt eigentlich nur eines: Bundesgesetze sind unabhängig davon anzuwenden, wie der Rechtsanwender die Verfassungskonformität des Bundesgesetzes einschätzt.17 Er sagt aber insbesondere nicht, dass Bundesgesetze normhierarchisch über der Bundesverfassung stehen – auch mit Art. 190 BV gilt der Geltungsvorrang der Bundesverfassung (!)18 – oder dass die Bundesversammlung

von der Bundesverfassung abweichen könne.19 Im Gegenteil: Die Bundesversammlung ist beim Erlass der Bundesgesetze an die Bundesverfassung gebunden – insbesondere muss sich jede Norm in einem Bundesgesetz auf eine Verfassungsgrundlage stützen und keine darf der Verfassung widersprechen.20 Im Ergebnis besagt Art. 190 BV also nur, dass es der Bundesversammlung statt dem Bundesgericht zukommt, zu entscheiden, ob ein Bundesgesetz verfassungskonform ist.21 Um auf die im Titel dieses Beitrags aufgeworfene Frage zurückzukommen: Art. 190 BV setzt der Geltung der Bundesverfasssung in Bezug auf Bundesgesetze keine Grenzen. Als Bundesgesetz, und damit als massgebend i.S.v. Art. 190 BV, gelten alle Bestimmungen, die die Bundesversammlung im formellen Verfahren der Bundesgesetzgebung erlässt (vgl. Art. 163 Abs. 1 BV). Ein Teil der Lehre will die Massgeblichkeit per se ausschliessen, wenn es um Bundesgesetze geht, die gegen zentrale Werte der Bundesverfassung, insbesondere gegen die Kerngehaltsgarantien, verstossen.22 Dieser Auffassung kann aber nicht gefolgt werden, da jede von der formellen Massgeblichkeit abweichende Interpretation des Begriffs „Bundesgesetz“ eine Antwort auf die Frage der Verfassungsmässigkeit impliziert und damit Art. 190 BV negiert.23 Nicht relevant ist, ob ein Bundesgesetz (i) dringlich erklärt wurde, (ii) ob es „rechtssetzend“ ist oder einen Einzelfall regelt und schliesslich (iii) ob es wichtige oder unwichtige Bestimmungen i.S.v. Art. 164 BV betrifft.24 Nicht massgebend sind hingegen alle Erlasse „ohne formellen Bundesgesetzescharakter“, selbst wenn der betreffende Erlass von der Bundesversammlung erlassen (etwa ein Bundesbeschluss i.S.v. Art. 163 Abs. 2 BV) oder von ihr genehmigt worden ist.25 Durch das Massgeblichkeitsgebot werden mittelbar auch

AUER/MALINVERNI/HOTTELIER [Fn. 16], N 1936; EPINEY [Fn. 5],

19

N 21 f.; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 6 f.; TSCHANNEN [Fn. 10], § 8 N 7. Vertiefter auch LOOSER [Fn. 3], § 17 N 52 ff. 20

Statt vieler TSCHANNEN [Fn. 10], § 8 N 5; sodann EPINEY [Fn. 5], N 21 f.;

HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 6 f. 21

Statt vieler BGE 140 I 305 E. 5; 139 I 180 E. 2.2; 136 I 65 E. 3.2; 131 II

13

710 E. 5.4; 129 II 249 E. 5.4. GRIFFEL ALAIN, Rechtsschutz insbesondere Verfassungsgerichtsbarkeit,

in:

BIAGGINI

GIOVANNI/GÄCHTER

THOMAS/KIENER REGINA (Hrsg.), § 27 N 91; HÄFELIN/HALLER/ KELLER [Fn. 6], § 66 N 2089; RHINOW RENÉ/SCHEFER MARKUS, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Auflage, Basel 2009, § 28 N 2857.   Statt unzähliger BGE 140 I 305 E. 5; 139 I 180 E. 2.2; 136 II 120 E. 3.5.1;

14

131 II 710 E. 5.4; 129 II 249 E. 5.4. BIAGGINI [Fn. 10], N 13 zu Art. 190 BV; GRIFFEL [Fn. 13], § 27 N 91; RHINOW/SCHEFER [Fn. 13], § 28 N 2857.

TSCHANNEN [Fn. 10], § 8 N 8. Teilweise wird suggeriert, Art. 190 BV

sei ein „juristisches Paradoxon", weil die Verfassung – die als solche quasi per definitionem absoluten Vorrang vor Bundesgesetzen geniesst – durch verfassungswidrige Gesetze derogiert werden könne, was der formellen Natur der Verfassung zuwiderlaufe (so AUER/GRIFFEL [Fn. 11], N 13). Dieses Problem wird relativiert, wenn man berücksichtigt, dass Art. 190 BV eben nichts am Geltungsvorrang der BV ändert. Ob die Bundesversammlung oder das Bundesgericht über die Verfassungskonformität eines Bundesgesetzes entscheidet, kann nämlich an der "formellen Natur“ der Verfassung nichts ändern.

So explizit HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 6.

22

AUER ANDREAS/MALINVERNI GIORGIO/HOTTELIER MICHEL,

in: IMBODEN MAX (Hrsg.), Staat und Recht, Basel/Stuttgart 1971, S. 255.

Droit constitutionnel suisse, Volume I, L’Etat, 3. Auflage, Bern 2013, N 1943;

Vgl. sodann die Nachweise bei HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 15.

MÜLLER JÖRG PAUL, Verfassung und Gesetz: Zur Aktualität von Art. 1

23

Abs. 2 ZGB, in: recht 2000, S. 119 ff., 128.

24

15

16

Siehe dazu die obigen Ausführungen und Hinweise.

17

18

14

Vgl. auch EPINEY [Fn. 5], N 28.

AUER/MALINVERNI/HOTTELIER [Fn. 16], N 1928; EPINEY [Fn. 5],

N 28; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 15 f.

Deutlich TSCHANNEN [Fn. 10], § 8 N 7; sodann BIAGGINI [Fn. 10], N 4

und 8 zu Art. 190 BV; EPINEY [Fn. 5], N 21 f.; HALLER [Fn. 4], N 221.

So namentlich IMBODEN MAX, Normkontrolle und Norminterpretation,

AUER/MALINVERNI/HOTTELIER [Fn. 16], N 1929 f.; EPINEY

25

[Fn. 5], N 28; HANGARNTER/LOOSER [Fn. 5], N 17 ff.

Thema


Verhältnis Bundesverfassung – Völkerrecht Die Bindung der Gerichte an Völkerrecht – und zwar selbst dann, wenn dieses nach Ansicht des Rechtsanwenders verfassungswidrig ist –, stellt eine „schweizerische Besonderheit“ dar.29 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist Art. 190 BV als eine für die Rechtsanwendung geltende Regelung über das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Völkerrecht zu betrachten, wobei sich aber nach wohl herrschender Auffassung aus der betreffenden Bestimmung keine hierarchische Ordnung zwischen Landesund Völkerrecht ergibt.30 Das Massgeblichkeitsgebot des Völkerrechts im Sinne von Art. 190 BV beinhaltet demnach grundsätzlich keine materiell-rechtliche Regelung zugunsten des Vorrangs des Völkerrechts vor dem Verfassungsrecht, sondern lediglich – aber immerhin – ein verfahrensrechtlicher Anwendungsvorrang gegenüber widersprechendem Verfassungsrecht.31 Klar ist, dass mindestens ius cogens der Bundesverfassung auch materiell-rechtlich vorgehen muss. Dies ergibt sich u.E. 26

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kantonale Erlasse und Verordnungen des Bundes (insb. des Bundesrates) geschützt, und zwar wenn zwischen der (verfassungswidrigen) Regelung der Verordnung bzw. des kantonalen Erlasses und des Bundesgesetzes ein zwingender sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, diese also durch das Bundesgesetz entweder direkt gefordert oder explizit zugelassen wird.26 Sonst aber gilt: Wird eine kantonale Gesetzesbestimmung angefochten, so greift das Anwendungsgebot nach Art. 190 BV grundsätzlich nicht und die Befugnis des Bundesgerichts zur Überprüfung eines kantonalen Erlasses ist uneingeschränkt, auch wenn dieser inhaltlich der Regelung eines Bundesgesetzes entspricht. „Dabei ist sogar in Kauf zu nehmen, dass sich bei einer solchen Prüfung allenfalls Zweifel an der Verfassungsmässigkeit eines Bundesgesetzes ergeben können.“27 Selbiges gilt grundsätzlich auch für die Verordnungen des Bundes.28

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Statt vieler BGE 136 I 49 E. 3.2; 136 I 65 E. 3.3; 130 II 509 E. 9.2; 130 I 26

E. 2.2.2. Ferner AUER/MALINVERNI/HOTTELIER [Fn. 16], N 1952ff.; BIAGGINI [Fn. 10], N 12 zu Art. 190 BV; EPINEY [Fn. 5], N 31; HANGARNTER/LOOSER [Fn. 5], N 29.   Statt vieler BGE 140 I 353 E. 4.2; 136 I 49 E. 3.2; 136 I 65 E. 3.3; 109 Ia

27

273 E. 2b.   Vgl. BGE 140 II 194 E. 5.8, in dem es um die Überprüfung einer unselb-

28

ständigen Bundesratsverordnung geht.   HÄFELIN/HALLER/KELLER [Fn. 6], § 66 N 2088. Dass die Kompetenz

29

zur Überprüfung von völkerrechtlichen Verträgen auf ihre Verfassungskonformität dem Bundesgericht entzogen ist, beruhte ursprünglich darauf, dass das Parlament nicht wollte, dass Staatsverträge, welche eventuell in die Kompetenz der Kantone fielen, vom Bundesgericht als verfassungswidrig qualifiziert werden. Heute steht hingegen der Schutz des Völkerrechts im Vordergrund (vgl. EPINEY [Fn. 5], N 1; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 1, 8, 23). 30

u u

BGE 133 V 367 E. 11.1.2; EPINEY [Fn. 5], N 42; HÄFELIN/HALLER/

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KELLER [Fn. 6], § 63 N 1918; KIENER REGINA/KÄLIN WALTER,

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Grundrechte, 2. Auflage, Bern 2013, S. 20; LOOSER [Fn. 3], § 8 N 302;

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TSCHANNEN [Fn. 10], § 9 N 27.

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31

LOOSER [Fn. 3], § 8 N 302.

15


aber nicht primär aus Art. 190 BV, sondern aus Art. 193 Abs. 4 bzw. Art. 194 Abs. 2 BV. Was Art. 190 BV über die Grenzen der Geltung der Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht sagt, ist somit diffus und – soweit wir die Judikatur und Lehre überblicken – noch nicht vollständig geklärt. In Anbetracht dessen, dass Völkerrecht trotz widersprechendem Verfassungsrecht anzuwenden ist bzw. letzteres nicht zur Anwendung gelangt, ist aber doch eher dafür zu halten, dass das Völkerrecht – jedenfalls in gewissen Fällen – der Rechtsgeltung der Bundesverfassung Grenzen setzt. Vorne haben wir hingegen ähnlich ausgeführt, dass Bundesgesetze anzuwenden sind, wenn sie der Verfassung widersprechen, sie der Bundesverfassung aber – anders als hier – dennoch keine Grenzen zu setzen vermögen. Darin liegt aber kein Widerspruch: Die Bundesverfassung gilt nämlich

Die Massgeblichkeit von kantonalen Staatsverträgen ändert nichts an der innerstaatlichen Normhierarchie. auch beim Erlass von Bundesgesetzen; die Entwicklung von völkerrechtlichen Normen muss sich hingegen nicht immer nach der schweizerischen Bundesverfassung richten.32 „Völkerrecht“ – und damit dem Massgeblichkeitsgebot nach Art. 190 BV unterworfen – sind alle für die Schweiz verbindlichen Bestimmungen des Völkerrechts. Art. 190 BV umfasst also nicht nur die klassischen Staatsverträge bzw. völkerrechtlichen Verträge, sondern auch das Völkergewohnheitsrecht, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sowie Beschlüsse von internationalen Organisationen, soweit sie für die Schweiz verbindlich sind (so z.B. die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates nach Art. 25 UN-Charta).33 Aus Art. 190 BV lässt sich allerdings keine Regel für allfällige Konflikte zwischen verschiedenen, für die Schweiz verbindlichen Normen des Völkerrechts ableiten.34 Daher muss, soweit der Konflikt nicht mittels Auslegung beseitigt werden kann, die Normhierarchie berücksichtigt

werden, wie sie sich aus dem Völkerrecht selbst ergibt.35 Indes kennt das Völkerrecht keine Normhierarchie im klassischen Sinne (vgl. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut). Die völkerrechtlichen Rechtsquellen sind vielmehr als gleichwertig zu betrachten.36 Die Ausnahme bildet einzig die UN-Charta und das soft law: Ersteres, weil die Verpflichtungen der UN-Charta aufgrund von Art. 103 UN-Charta sowie Art. 30 Abs. 1 WVK Vorrang zu beanspruchen vermögen, soweit diese nicht gegen ius cogens, d.h. zwingendes, für alle Völkerrechtssubjekte verbindliches Recht, verstossen.37 Letzteres, weil dem sogenannten soft law der Rechtsfolgewillen und die Rechtsqualität fehlt.38 Fraglich bleibt schliesslich, ob das völkerrechtliche Massgeblichkeitsgebot nach Art. 190 BV auch für jene Verträge gilt, welche die Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeitsbereiche mit dem Ausland abschliessen (vgl. Art. 56 Abs. 1 BV). Gegen die Massgeblichkeit von kantonalen, völkerrechtlichen Verträgen wurde früher eingewendet, dass der historische Ursprung des Massgeblichkeitsgebotes durch die Gewaltenteilung begründet sei und die Massgeblichkeit kantonaler Verträge demnach der „ratio legis“ widerspräche.39 Dies ist zwar durchaus zutreffend, doch hat sich das Verständnis der Norm in dem Sinne gewandelt, als dass heute der Schutz des Völkerrechts an sich im Vordergrund steht.40 Ferner wird eingewendet, dass die von den Kantonen geschlossenen völkerrechtlichen Verträge – aus landesrechtlicher Perspektive – dem kantonalen Recht zuzuordnen sind, welches eben durch das Bundesrecht derogiert wird (vgl. Art. 49 Abs. 1 BV).41 Dabei wird aber übersehen, dass auch die Massgeblichkeit von kantonalen Staatsverträgen im Sinne von Art. 190 BV nichts an der innerstaatlichen Normhierarchie, d.h. dem Vorrang des Bundesrecht (Art. 49 Abs. 1 BV), zu ändern vermag, sondern eben nur einen verfahrensrechtlichen Anwendungsvorrang begründet.42 Daher erscheint die Massgeblichkeit von kantonalen Staatsverträgen im Sinne von Art. 190 BV als gerechtfertigt, wobei letztlich angemerkt sei, dass aus völkerrechtlicher Sicht so oder so die kantonalen Staatsverträge   BGE 133 II 450 E. 6.2.

35

Vgl. statt vieler PETERS [Fn. 32], S. 75.

36

Vgl. statt vieler PETERS [Fn. 32], S. 85 ff.

37

Vgl. HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 23, mit Hinweis auf

38

SCHERRER THOMAS, Geschichte und Auslegung des Massgeblichkeitsgebot nach Art. 190 BV, Diss., St. Gallen 2001, S. 136 f.   K ÄLIN WALTER, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde,

39

2. Auflage, Bern 1994, S. 30 ff., insb. 32. Vgl. ferner auch HALLER [Fn. 4], N 176 f.; RHINOW/SCHEFER [Fn. 13], § 38 N 3630, welche – ohne 32

So ist z.B. die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht unabhängig davon

Begründung – die Massgeblichkeit von kantonalen Staatsverträgen „eher“

möglich, ob die Schweiz einer entsprechenden Regelung überhaupt zugestimmt

verneinen.

hat, soweit sie nicht ein „persistent objector“ ist. Vgl. dazu die Ausführungen

40

bei PETERS ANNE, Völkerrecht, Allgemeiner Teil, 3. Auflage, Zürich/Basel/

N 24.

Genf 2012, S. 76 ff.

41

BURCKHARDT [Fn. 5], S. 790; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5],

GRISEL ANDRÉ, A propos de la hiérarchie des normes juridiques, in:

BGE 133 II 450 E. 6.1; 120 Ib 360 E. 2; AUER/MALINVERNI/

33

ZBl 1987, S. 377 ff., 383.

HOTTELIER [Fn. 16], N 1931; EPINEY [Fn. 5], N 29; HANGARTNER/

42

LOOSER [Fn. 5], N 23; RHINOW/SCHEFER [Fn. 13], § 38 N 3626;

Ausführungen bei LOOSER [Fn. 3], § 8 N 425 f. Gleicher Meinung im

SEILER [Fn. 10], S. 463.

Ergebnis: AUER ANDREAS, La juridiction constitutionnelle en Suisse, Basel/

BGE 133 II 450 E. 6.2.

34

16

So explizit HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 24; vgl. auch die

Frankfurt a.M., 1983, N 129; SCHIESSER [Fn. 6], S. 206 ff.

Thema


massgebend sind, und zwar unabhängig davon, ob diese bundesrechtskonform sind oder nicht (vgl. Art. 27 WVK). Konsequenterweise sind daher auch kantonale Staatsverträge massgebend im Sinne von Art. 190 BV. Grenzen von Art. 190 BV? Auch die Anwendung von Art. 190 BV unterliegt gewissen Grenzen. Dabei wird zwischen indirekten und direkten Grenzen differenziert. Als indirekte Grenze existiert eine partielle Quasi-Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen – die freilich nichts am Anwendungsgebot ändert – in folgenden

Der Anwendbarkeit von Art. 190 BV sind somit durch die BV selbst Grenzen gezogen. Fällen: Einerseits bleibt es dem Bundesgericht unbenommen, Bundesgesetze auf deren Verfassungskonformität zu prüfen, wobei Bundesgesetze – was sich aus der allgemeinen Methodenlehre ergibt – verfassungskonform auszulegen sind. Daran ändert auch Art. 190 BV nichts.43 Andererseits unterliegen gleichlautende bzw. analoge Bestimmungen in kantonalen Erlassen oder Verordnungen des Bundes grundsätzlich nicht dem Massgeblichkeitsgebot von Art. 190 BV, womit sich das Bundesgericht mindestens indirekt über die Verfassungskonformität von Bundesgesetzen ausspricht, sofern die Norm nicht durch ein Bundesgesetz „gefordert oder zugelassen“ wird.44 Als direkte Grenze von Art. 190 BV wird regelmässig der „Grundsatz der Einheit des Verfassungsrechts“ angeführt, wonach Art. 190 BV nicht integral Vorrang vor allen anderen Normen der Bundesverfassung zukommen kann.45 Der Anwendbarkeit von Art. 190 BV sind somit durch die BV selbst Grenzen gezogen. Soweit eine solche direkte Grenze von Art. 190 BV vorliegt, bedeutet dies, dass die Bundesverfassung trotz Art. 190 BV auch im Verhältnis zu Bundesgesetzen Anwendung findet und nicht nur eine blosse Prüfung erheischt. Vorweg: Behauptet eine Verfassungsbestimmung von sich, für alle rechtsanwendenden Behörden massgebend zu sein, geht sie Art. 190 BV als lex specialis vor.46 Was geschieht aber,

wenn von einem solchen Vorrang nicht ausdrücklich die Rede ist? Hier nun wird die rechtliche Diskussion kontrovers, jedenfalls aber sehr diffus.47 Zahlreiche Stimmen meinen, dass das Anwendungsgebot bei grundrechtlichen Kerngehalten nicht greife,48 oder bereits dann nicht, wenn ein Bundesgesetz gegen eine „unmittelbar den Bürger verpflichtende oder berechtigende Norm“ verstosse.49 Gegen solche Ansätze spricht – abgesehen davon, dass der Kerngehalt der Grundrechte relativ unklar ist50 –, dass mit der Konzeption von Art. 190 BV die Überprüfung der Verfassungsmässigkeit von Bundesgesetzen der Bundesverssammlung und nicht dem Bundesgericht auferlegt, aber eben nicht der Vorrang der Verfassung in Frage gestellt werden soll.51 Sodann soll Bundesgesetzen auch dann die Anwendung versagt werden, wenn „eine verfassungsrechtliche Norm gebietet, eine bundesgesetzliche Bestimmung in atypischen Einzelfällen ausnahmsweise nicht anzuwenden“52 bzw. bei „verfassungsrechtlichen Geboten, deren Ziel die Realisierung der Einzelfallgerechtigkeit ist“53, sodann wenn – in bestimmten Konstellationen – die Prinzipien von Treu und Glauben, der Nichtrückwirkung von Gesetzen, des Schutzes wohlerworbener Rechte oder der Gleichbehandlungsgrundsatz dies gebieten.54 Schliesslich soll Art. 190 BV auch dann keine Anwendung erheischen, wenn das Gesetz einen qualifizierten, schweren Verfahrensmangel aufweist, wobei wiederum unklar ist, was darunter zu verstehen ist.55

47

Statt vieler die Übersichten in EPINEY [Fn. 5], N 35 ff.; HALLER [Fn. 4],

N 221; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 43. 48

AUER/MALINVERNI/HOTTELIER [Fn. 16], N 1947; KÄLIN [Fn. 39],

S. 18 f.; K ÄLIN WALTER, Verfassungsgerichtsbarkeit, in: THÜRER DANIEL/AUBERT JEAN FR ANCOIS/MÜLLER JÖRG PAUL (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 74 N 30, mit der Begründung, dass sich diese Pflicht aus Art. 36 Abs. 4 BV ergebe, der zu Art. 190 BV lex specialis sei; TSCHANNEN [Fn. 10], § 8 N 11. 49

IMBODEN MAX, Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz, in: IMBODEN

MA X (Hrsg.), Staat und Recht, Basel/Stuttgart 1971, S. 257 ff., S. 264. 50

Vgl. statt vieler SCHWEIZER RAINER J., Art. 36 BV, in: EHRENZELLER

BERNHARD/SCHINDLER BENJAMIN/SCHWEIZER R AINER J./ VALLENDER KLAUS A. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Auflage, Zürich/St. Gallen 2014, N 44 f., und die dort nachgewiesene Rechtsprechung und Literatur.   So namentlich auch HALLER [Fn. 4], N 221.

51

HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 45; LOOSER [Fn. 3], § 13 N 6 ff.,

52 43

wobei jeweils eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Vgl.

aber „der klare, dem gesetzgeberischen Willen entsprechende Sinn einer

auch die Ausführungen bei EPINEY [Fn. 5], N 35 ff.

Norm“ (vgl. BGE 136 V 161 E. 6.4).

53

Statt vieler EPINEY [Fn. 5], N 35 ff., insb. 37. Grenze der Auslegung bildet

44

Vgl. BGE 116 V 198 E. II.3 c; sowie die in Fn. 26 zitierte Rechtsprechung

HALLER [Fn. 4], N 223 ff.; EPINEY [Fn. 5], N 37, meint hingegen, dass

sich das Gebot der Nichtanwendung eines solchen Bundesgesetzes aus dem

und Literatur. 45

HALLER [Fn. 4], N 222.

54

Illustrativ zum Grundsatz der Einheit des Verfassungsrechts EPINEY

Gesetz selbst ergäbe, was nichts mit Art. 190 BV zu tun habe. Ebenso

ASTRID, Die Verfassung ist als Einheit anzusehen, in: NZZ Nr. 25 vom 31.

TSCHANNEN [Fn. 10], § 8 N 11, welcher von sog. „gesetzesimmanenten

Januar 2014, S. 21; HÄFELIN/HALLER/KELLER [Fn. 6], § 3 N 75 ff.,

Anwendungsverboten“ spricht.

insb. 148.

55

46

Als Beispiel sei etwa Art. 197 Ziff. 11 (Übergangsbestimmungen) Abs. 2 BV

der Volksinitiative „Ja zum Schutz der Privatsphäre“ erwähnt.

So HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 30, nach welchen dies dann gege-

ben ist, wenn der Mangel „dem betroffenen BG die erforderliche demokratische Legitimation abspricht“.

Thema

17


Wie eingangs erwähnt ist die Rechtslage alles andere als klar. Daraus wird bisweilen gefolgert: „Dies ist eine aus Gründen der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit unbefriedigende Situation. Allein schon deswegen ist die Einführung einer verfassungsrechtlich vorgesehenen und gesetzlich geregelten Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen zu befürworten.“56 Auf die Vorteile einer Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit wird zurückzukommen sein. Dieser Aussage ist aber bereits hier etwas entgegenzuhalten: Dass die Situation um Art. 190 BV derart kompliziert ist, liegt zu einem nicht unerheblichen Teil an der Lehre bzw. der Rechtsprechung selbst, die – so scheint es zum Teil – verzweifelt versuchen, möglichst viele Bundesgesetze einer Verfassungsgerichtsbarkeit zu unterstellen.57 Art. 190 BV ist nämlich an und für sich klar. Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz? Die Leitfrage wurde in den vorstehenden Abschnitten beantwortet: Während Bundesgesetze keinen Einfluss auf die Rechtsgeltung der Bundesverfassung haben, kann dies beim Völkerrecht durchaus der Fall sein. Es bleiben noch einige abschliessende Gedanken zu dieser Thematik de lege ferenda: Mit Vehemenz wird in der Mehrheit der Lehre ein Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit befürwortet.58 Die Argumente dafür sind vielfältig und können im Rahmen dieses Aufsatzes nur in der gebotenen Kürze berücksichtigt werden: Anzuführen ist vorweg, dass es stossend ist, wenn den Rechtsunterworfenen mit der in Art. 29a BV verankerten Rechtsweggarantie zwar der Weg an das Gericht eröffnet wird, diesem aber die Kompetenz fehlt, eine i.S.v. Art. 190 BV massgebliche Norm anhand der Grundrechte, welche notabene durch die Schweizerische Bundesverfassung garantiert werden, akzessorisch zu überprüfen.59 Die Problematik akzentuiert sich (mindestens im Ergebnis) zwar nur in jenen Fällen, in welchen das Völkerrecht nicht die gleichen Grundrechte bzw. nicht den gleichen Schutzbereich garantiert wie die Bundesverfassung,60 da in diesem Fall nach der (schwankenden) Rechtsprechung

HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 46.

56

Interessant zum Beispiel die Konstruktion bei KÄLIN [Fn. 48], § 74 N 31,

57

um zu begründen, weshalb willkürlichen Bundesgesetzen die Anwendung zu versagen ist (analoge Anwendung von Art. 1 Abs. 2 ZGB).

des Bundesgerichts der Primat des Völkerrechts gilt.61 Daraus resultiert eine nicht rechtfertigbare Spaltung des Grundrechtsschutzes: Grundrechte, die auch im Völkerrecht garantiert werden, können gerichtlich durchgesetzt werden, was bei solchen, die (in an sich verbindlicher Art) „nur“ in der schweizerischen Bundesverfassung enthalten sind (wie z.B. die Eigentumsgarantie), nicht der Fall ist. De facto wird damit die Verfassungsgerichtsbarkeit – sowie die Schaffung integral anzuwendener Normen – an internationale Organe delegiert, die die Funktion eines Ersatzverfassungsgerichts übernehmen.62 Dies ist problematisch! Erwähnt sei etwa, dass doch gerade dadurch der

De facto wird die Verfassungsgerichtsbarkeit an internationale Organe delegiert. Eindruck entstehen kann, dass „fremde Richter fremdes Recht“ auf die Betreffenden anwenden, obwohl dieselben Ergebnisse unter Berufung auf Normen der schweizerischen Bundesverfassung erzielt werden könnten, sofern die Gerichte über die entsprechende Kompetenz verfügten. Hinzugefügt sei, dass die im heutigen System fehlende umfassende Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen vor allem zu Lasten des Föderalismus geht und damit zu einer Verringerung der Kompetenzen der Kantone führt. Dies deshalb, weil das Bundesrecht immer umfassender wird, und zwar gerade auch jenseits der durch die schweizerische Bundesverfassung dem Bund zugebilligten Kompetenzgrundlagen.63 Soweit man es mit dem Föderalismus ernst meint, müssten den Kantonen für die Durchsetzung ihrer „Kantonsautonomie“ griffige Instrumente zugebilligt werden, wie z.B. eine Verfassungsgerichtsbarkeit.64 Die Schlagkraft der dargelegten Argumente hängt aber wohl stark davon ab, ob man es eher dem Bundesgericht oder der Bundesversammlung zutraut, die Verfassungsmässigkeit von Bundesgesetzen zu beurteilen. Es mag sein, dass die Bundesversammlung diese Aufgabe früher in einem angemessenen Rahmen bewältigte, in letzterer Zeit scheint das Parlament

Statt aller AUER/GRIFFEL [Fn. 11], N 1 ff.; AUER ANDRES/KIENER

58

REGINA/UHLMANN FELIX, Richterliche Prüfung auch für Bundesgesetze, in: NZZ vom 22. Juni 2011, S. 13; BIAGGINI [Fn. 10], N 3 zu Art. 190 BV;   Vgl. dazu die ausführlichen Bemerkungen bei HANGARTNER/LOOSER

EPINEY [Fn. 5], N 43; GRIFFEL [Fn. 9], S. 111 ff.; HANGARTNER/

61

LOOSER [Fn. 5], N 46 ff. Gegen eine Verfassungsgerichtsbarkeit SEILER [Fn.

[Fn. 5], N 31, und die dort zitierte Rechtsprechung und Literatur.

10], S. 387 ff.

62

Vgl. HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 49.

Vgl. EPINEY [Fn. 5], N 43; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 49.

HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 48.

63

60

Statt vieler HANGARTNER Y VO, Zwischenhalt in der Verfassungsge-

64

richtsbarkeit, in: AJP 2012, S. 1213 ff., S. 1215 f.; GLASER ANDREAS,

schweizerischen Föderalismus – nur noch Symbolik?, in: AJP 2013, S. 1332 ff,

Direktdemokratisch legitimierte Grundrechtseinschränkungen, in: AJP 2014,

S. 1336, welcher anmerkt, dass ansonsten „selbst Verfassungsbestimmungen,

S. 60 ff., S. 67. Zur Thematik auch ZÜND ANDREAS, Grundrechtsver-

die zum Schutz der Autonomie der Kantone Rechtsansprüche normieren, im

wirklichung ohne Verfassungsgerichtsbarkeit, in: AJP 2013, S. 1349 ff.

Ergebnis symbolisch [bleiben].“

59

18

Vgl. WALDMANN BERNHARD, Verfassungsrechtlicher Rahmen des

Thema


aber das „verfassungsrechtliche Gewissen“ verloren zu haben,65 was wohl auch auf den stärkeren Populismus zurückzuführen ist. Man wird das Gefühl nicht los, dass die fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit nicht dem Schutz des Volkswillens, sondern der Immunisierung der Akte des Parlaments dient.66 Ein Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit ist deshalb zu begrüssen. Fraglich bleibt letztlich noch, wie denn der Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit ausgestaltet werden sollte. Dabei muss geprüft werden, ob ein diffuses oder ein konzentriertes System der Verfassungsgerichtsbarkeit sinnvoller wäre und welche Arten der Normenkontrolle (abstrakte oder konkrete) man zulassen möchte. Bei einer diffusen Verfassungsgerichtsbarkeit könnten alle Gerichte die Verfassungsmässigkeit von Bundesgesetzen bzw. von Völkerrecht infrage stellen, wohingegen beim konzentrierten System die Beurteilung der Verfassungsmässigkeit einer Regelung allein dem Bundesgericht übertragen würde.67 Die abstrakte Normenkontrolle würde es gestatten, ein Bundesgesetz bzw. Völkerrecht direkt anzufechten (und den entsprechenden Erlass aufzuheben). Die konkrete Normenkontrolle hingegen könnte nur im Rahmen eines Anwendungsfalles vorgenommen werden (was bei Gutheissung zur Nichtanwendung der Norm im Einzelfall führen würde).68 In der Lehre ist umstritten, welches Modell der Verfassungsgerichtsbarkeit zu bevorzugen ist: So stellt sich ein Teil der Lehre auf den Standpunkt, dass eine beim Bundesgericht konzentrierte Verfassungsgerichtsbarkeit mit inzidenter, d.h. konkreter, Normenkontrolle vorzuziehen sei, weil dies dem Gewaltenteilungsverständnis und der direkten Demokratie der Schweiz besser entspräche und zahlreiche kantonale Instanzen mit der Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundesgesetzen bzw. Völkerrecht so oder so überfordert seien.69 Eine andere Ansicht fordert die Übertragung des bewährten diffusen Systems auf die Verfassungsgerichtsbarkeit, und zwar ebenfalls mittels einer konkreten Normenkontrolle. Dies mit der Begründung, dass eine abstrakte Normenkontrolle nicht zum stark direktdemokratisch geprägten Gesetzgebungsprozess passe und durch das diffuse System ein „konstruktiver Dialog zwischen den Gerichten, ein Ringen um die überzeugendere Lösung“ entstehe, wobei klarerweise die definitive

Vgl. exemplarisch GRIFFEL ALAIN, Zweitwohnungen – schamloser

Entscheidung beim Bundesgericht läge.70 U.E. überzeugen die von der Literatur vorgebrachten Argumente teilweise nur bezüglich einem spezifischen Aspekt der Verfassungsgerichtsbarkeit. Bei einem allfälligen Ausbau müsste daher ein zwar komplexerer, aber möglichst differenzierter Ansatz verfolgt werden: Soweit es um die Anfechtung von kompetenzwidrig erlassenen Bundesgesetzen geht, ist u.E. eine beim Bundesgericht konzentrierte, nachträgliche Verfassungsgerichtsbarkeit unter Anwendung der Regeln der abstrakten Normenkontrolle zu bevorzugen, wobei das Beschwerderecht nur den Kantonen zu gestatten ist.71 Dies dient primär dem Schutz der föderalistischen Ordnung der Schweiz und wäre als eine Art „kantonale Autonomiebeschwerde“ zu betrachten. Ein konzentriertes System mit abstrakter Normenkontrolle eignet sich in diesem Fall besser, weil einerseits eine schnellere Entscheidung resultiert und die kantonalen Gerichte vom politischen Druck entlastet werden.72 Andererseits ist das Abwarten eines konkreten Anwendungsaktes bei der Kompetenzwidrigkeit nicht zielführend bzw. nicht prozessökonomisch. Soweit es um die Anfechtung von materiell bundesverfassungswidrigen Bundesgesetzen geht, ist u.E. ein diffuses System mit inzidenter Normenkontrolle zu begrüssen. Ein konzentriertes System würde die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens (ähnlich wie Art. 267 AEUV) bedingen, wie auch eines spezifischen Verfassungsgerichts, welches neben dem eigentlichen Bundesgericht existieren würde. Dies ist systemfremd und führt zu einer nicht gerechtfertigten Entwertung der kantonalen Instanzen. Inwieweit die kantonalen Instanzen durch die Überprüfung von Bundesgesetzen auf ihre Verfassungsmässigkeit generell überfordert sein sollen, ist nicht ersichtlich, bleibt doch die Entscheidungsgewalt letztlich beim Bundesgericht, welches eine vereinheitlichte Auslegung der Bundesverfassung, wie bei den zahlreichen Bundesgesetzen, zu garantieren hat. Letztlich sei angemerkt, dass es auch denkbar ist, dass in weiteren Angelegenheiten verschiedene, differenziertere Modelle eines Ausbaus zweckmässig sein könnten. So ist u.E. die Einführung einer Art „Verpflichtungsklage“ bei Nicht- oder nicht genügender Erfüllung eines Verfassungsauftrages nicht von vornherein auszuschliessen.73 Dies macht das System zwar komplexer, dafür erscheint die Lösung insgesamt als sachgemässer.

GRIFFEL ALAIN, Differenzierte Verfassungsgerichtsbarkeit - eine Antwort

65

70

Verfassungsbruch, in: NZZ Nr. 247 vom 24. Oktober 2014, S. 23. Wobei nach

auf MARTIN SCHUBARTHS Buch „Verfassungsgerichtsbarkeit“, in: SJZ

EPINEY [Fn. 5], N 45, auch die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit

107/2011 S. 460 ff., S. 463.

nicht „das Problem der Nichterfüllung oder nicht genügenden Erfüllung eines

71

Verfassungsauftrages“ löst.

72

Diese Auffassung nicht von vornherein ausschliessend EPINEY [Fn. 5], N 44.   Womit das von BIAGGINI [Fn. 10], S. 254; und RHINOW [Fn. 69], N 23,

Ebenso HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 48.

befürchtete Konfliktpotenzial zwischen Bund und Kantonen minimiert wer-

Vgl. statt unzähliger GRIFFEL [Fn. 13], § 27 N 25.

den könnte.

Vgl. statt unzähliger GRIFFEL [Fn. 13], § 27 N 35 ff.

73

66 67

68

Vgl. EPINEY [Fn. 5], N 45.

BIAGGINI [Fn. 10], S. 254; HANGARTNER/LOOSER [Fn. 5], N 50;

69

RHINOW RENÉ, Zum Schutz von Freiheit, Demokratie und Föderalismus: Ein Plädoyer für einen massvollen Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Jusletter vom 14. März 2011, N 19 ff.

Thema

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Berufsperspektiven in der Steuerberatung Carmen Honegger

Wer kennt sie nicht, die Steuern? Für viele ein notwendiges Übel, da der Staat ohne Steuern seine vielfältigen Aufgaben nicht wahrnehmen und somit nicht funktionieren könnte. Denn die Steuern dienen stets der Fiskalbeschaffung des Staates. Doch was ist, wenn Steuern zum Beruf werden? Gerade auch für Jusstudenten ist ein Berufsweg in der Steuerberatung eine mögliche Option. Und eintönig ist diese trotz vieler Vorurteile sicherlich nicht!

Arbeitgeber Steuerberater sind in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung tätig; sie arbeiten in Treuhandunternehmen, Rechtsanwaltskanzleien oder Industriebetrieben sowie als

Fachexperten bei Steuerverwaltungen oder der Steuerjustiz. Ein Steuerberater kann sich aber auch selbständig machen.

Vielfälgtige Aufgaben Zur Hauptaufgabe eines Steuerberaters gehört die korrekte Anwendung des Steuerrechts im Bereich der Tax Compliance von natürlichen und juristischen Personen. Der Steuerberater nimmt dabei eine beratende Funktion hinsichtlich aller steuerrechtlichen und wirtschaftlichen Fragestellungen ein und verfolgt das Ziel, die Interessen des Mandanten und dessen wirtschaftlichen Erfolg zu fördern. Dabei ist das eigentliche Ausfüllen von Steuererklärungen nur ein Bruchteil der Tätigkeiten eines Steuerberaters. Es gilt nämlich zu beachten, dass fast jeder Vorgang im Wirtschaftsleben steuerliche Fragen aufwirft. In diesem Sinne greift das Steuerrecht in den unterschiedlichsten Kontexten ein und bringt

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somit vielfältige Aufgaben mit sich: So sind Steuerbescheide zu prüfen, allenfalls Einsprüche zu erheben, die Kunden bei Transaktionen zu unterstützen und in der Finanzkontrolle zu beraten, Situationsanalysen vorzunehmen, Steuervereinbarungen (Rulings) mit den Steuerbehörden zu prüfen, Due-DiligencePrüfungen durchzuführen, Steuerfolgen und Steuerrisiken aufzuzeigen und Ideen zur Steueroptimierung zu entwickeln. Ein Steuerberater befindet sich schliesslich an der Schnittstelle zwischen den Interessen des Mandanten und den Vorgaben des Gesetzes: So gilt es im Einklang mit dem geltenden Recht für den Mandanten den grösstmöglichen Nutzen zu erzielen.

Thema


Profil eines Steuerberaters Um den beschriebenen Aufgaben gerecht zu werden, muss ein Steuerberater sowohl fachlich wie auch persönlich eine Bandbreite an Eigenschaften mit sich bringen. Fachliche Qualifikation Jeder Steuerberater benötigt fundierte Kenntnisse im Bereich des Steuerrechts, des Rechnungswesens, der juristischen Expertise sowie in Betriebswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre. Denn ein Steuerberater setzt sich sowohl mit betriebswirtschaftlichen wie auch juristischen Problemen auseinander. Eine optimale Steuerplanung setzt nicht nur Kenntnisse des geltenden Rechts voraus, sondern vielmehr auch solche der Betriebswirtschaft. Hinsichtlich juristischer Kenntnisse genügen rein steuerrechtliche nicht. Mit Blick auf verfahrensrechtliche Probleme sind insbesondere auch Kenntnisse des öffentlichen Verwaltungsrechts sowie Grundkenntnisse im Strafrecht und im Schuldbetreibungsund Konkursrecht vorausgesetzt und hinsichtlich der Vorsorgeplanung auch solche im Bereich des Sozialversicherungsrechts notwendig.

Persönliche Eignung Eine gewisse Affinität zu Zahlen ist wohl eine Grundvoraussetzung für eine Tätigkeit in der Steuerberatung. Aufgrund des direkten Kontakts mit Kunden nehmen zudem Beratungs-, Kommunikations- und Sozialkompetenzen einen sehr hohen Stellenwert ein. Entscheidend ist insbesondere, neue Kundenbeziehungen aufzubauen und bestehende zu pflegen. Kommunikative Fähigkeiten sind aber auch gegenüber Kollegen und Mitarbeitern von hoher Bedeutung: Es wird oftmals in Teams gearbeitet, weshalb Teamfähigkeit eine wichtige Eigenschaft ist. Ein Steuerberater muss jedoch auch belastbar sein, denn das Arbeitspensum ist in der Regel sehr hoch. Eine gewisse Mobilität und Flexibilität ist zudem von Vorteil – gerade in grossen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gibt es viele Reisen und Auslandseinsätze, da zahlreiche Prüfungen vor Ort beim Mandanten erfolgen. Weiter sollte ein Steuerberater auch eine grosse Lernbereitschaft mit sich bringen: So gibt es jedes Jahr neue Entwicklungen und Veränderungen hinsichtlich Gesetzgebung und Rechtsprechung.

Einstiegsmöglichkeiten und Ausbildung Studierende der Rechtswissenschaften können mit Bacheloroder Masterabschluss in der Steuerberatung Fuss fassen. Ein Anwaltspatent ist somit nicht erforderlich. Allenfalls lohnt es sich, bereits während der Studienzeit ein Praktikum zu absolvieren. So kann einerseits früh erkannt werden, ob einem die Tätigkeit als Steuerberater zusagt. Andererseits wird erste Berufserfahrung bei der späteren Bewerbung in der heutigen Zeit immer wichtiger. Nicht zuletzt hilft ein Praktikum auch immer, mit potenziellen Arbeitgebern

in Kontakt zu kommen und ebnet allenfalls den Weg für einen späteren Berufseinstieg. Hat man den Berufseinstieg schliesslich nach absolviertem Bachelor oder Master geschafft, wird grundsätzlich erwartet, dass man sich mit einem Berufsexamen entweder zum diplomierten Steuerexperten oder aber zum diplomierten Wirtschaftsprüfer weiterbildet. Dabei gelten beide Prüfungen als äusserst anspruchsvoll und entsprechend hoch ist die Durchfallquote.

Thema

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Diplomierter Steuerexperte Um in der Steuerberatung weiter zu kommen, kommt man am eidgenössischen Abschluss des „diplomierten Steuerexperten“ nicht vorbei. Dabei handelt es sich um eine interdisziplinäre Ausbildung im Bereich der Steuern, der Betriebswirtschaft und des Rechts, da, wie bereits weiter oben beschrieben, all diese Thematiken eine wichtige Rolle spielen. Der Steuerexpertenlehrgang beträgt dabei insgesamt rund dreieinhalb Jahre und ist grundsätzlich berufsbegleitend. Für die Ausbildung zum diplomierten Steuerexperten müssen sogenannte Vorkenntnismodule absolviert werden. Dabei handelt es sich um folgende fünf Module: „Steuerarten“, „Mehrwertsteuer“, „Betriebswirtschaft“, „Recht“ und „Steuerverfahrensrecht“. Alle Module werden mit einer Onlineprüfung geprüft. Es gilt aber zu beachten, dass lediglich die Module „Steuerarten“ und „Mehrwertsteuer“ obligatorisch sind. Nach dem erfolgreichen Absolvieren der obligatorischen Vorkenntnismodule folgt das sogenannte Expertenstudium. Dieses setzt sich aus E-Learning einerseits und Präsenzstudium anderer-

seits zusammen. Dabei werden in zwei Phasen Kenntnisse auf dem Gebiet des Unternehmenssteuerrechts, der Mehrwertsteuern, der Betriebswirtschaftslehre, der Steuern der natürlichen Personen, des internationalen Steuerrechts, des allgemeinen Rechts und des Steuerverfahrens- und Steuerstrafrechts vertieft vermittelt. Abschliessend muss in sämtlichen Gebieten, mit Ausnahme des letztgenannten, eine Modulprüfung (Dauer: 90 Minuten) absolviert werden. Zur Diplomprüfung ist man erst zugelassen, wenn man die Modulprüfungen entsprechend der Prüfungsordnung bestanden hat. Zudem werden vier Jahre Praxiserfahrung vorausgesetzt. Die Diplomprüfung setzt sich dabei aus folgenden Elementen zusammen: Es muss innerhalb von zehn Tagen eine Diplomarbeit verfasst, in den Bereichen „Steuern allgemein“, „Betriebswirtschaft“ und „Recht“ eine schriftliche Prüfung abgelegt, ein Kurzreferat gehalten und an einem Expertengespräch zu den allgemeinen Steuern teilgenommen werden.

Höhere Fachprüfung für Steuerexperten 2014 Gesamtstatistik DE

FR

Anmeldungen

124

36

Rückzug / Spezialfälle

18

5

-

23

Geprüft

106

31

-

137

Bestanden

58

10

68

Nicht bestanden

48

21

69

Bestanden %

55%

32%

50%

Nicht bestanden %

45%

68%

50%

Höchste Schlussnote

5.4

4.5

Tiefste Schlussnote

2.9

2.2

(Krank, Schwanger, Abbruch)

IT

CH 160

Quelle: http://www.expertsuisse.ch/dynasite.cfm?dsmid=507542

Diplomierter Wirtschaftsprüfer Wie auch beim diplomierten Steuerexperten müssen zunächst Prüfungen in den sogenannten Vorkenntnismodulen absolviert werden, bevor ins Expertenstudium gewechselt werden kann. Dabei handelt es sich um Thematiken aus den drei Fachgebieten „Volkswirtschaftslehre“, „Quantitative Methoden und Statistik“ und „Recht“. Ein direkter Einstieg in das Expertenstudium ist jedoch dann möglich, wenn Universitätsabsolventen aufgrund

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ihrer bisherigen Ausbildung bereits über die verlangten Vorkenntnisse verfügen und die diesbezüglichen Leistungsnachweise erbringen können. Wurden die Vorkenntnismodule erfolgreich absolviert bzw. musste man diese aufgrund von Vorkenntnissen aus dem Studium nicht ablegen, folgt die Grundausbildung zum diplomierten Wirtschaftsprüfer. Bestandteil dieser Grundausbildung

Karriere


sind die Module „Accounting & Finance“, „Audit“ und „Tax & Legal“. Die dazugehörenden Modulprüfungen müssen zwingend absolviert werden. Zuletzt muss die Diplomprüfung abgelegt werden. Um zur Prüfung zugelassen zu werden, müssen die bestandenen Modulprüfungen nachgewiesen werden, ebenso wie eine

siebenjährige kaufmännische Praxiserfahrung, wobei davon mindestens drei Jahre qualifizierte Fachpraxis sein müssen. Die eigentliche Prüfung besteht aus einer Fallstudie Professional Judgement, einem mündlichen Professional Judgement und einem Kurzreferat.

Ergebnisse der Wirtschaftsprüfer-Prüfung 2014 2014

2013

2012

332

337

324

Nicht zugelassen

-5

-4

-4

Zurückgezogen vor der Prüfung

-8

-9

-6

Fallstudie entgegengenommen

319

324

314

Zur Prüfung erschienen

319

324

314

Prüfung nicht bestanden

-90

-88

-90

Prüfung bestanden

229

236

224

71.79%

72.84%

71.33%

Total Anmeldungen

Erfolgsquote

Quelle: http://www.expertsuisse.ch/dynasite.cfm?dsmid=507489&c=Bericht_zur_Diplompruefung_2014

Gute Perspektive als Steuerberater Die Perspektiven für Steuerberater sind hervorragend. Nicht zuletzt die ständigen Änderungen, denen das Steuerrecht unterworfen ist, tragen dazu bei, dass ein hoher Beratungsbedarf von Unternehmen und Privatpersonen besteht. Auch zunehmend komplexe Sachverhalte rufen einen hohen Bera-

tungsbedarf hervor, weshalb eine Tätigkeit als Steuerberater durchaus lohnenswert ist. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass ein Steuerberater auch ein hohes Arbeitspensum hat und sich ständig weiterbilden muss.

Quellen und weitere Informationen Links: • http://www.expertsuisse.ch • Prüfungsordnung diplomierter Steuerexperte: http://www.expertsuisse.ch/dynasite.cfm?dsmid=507548 • Prüfungsordnung diplomierter Wirtschaftsprüfer: http://www.expertsuisse.ch/dynasite.cfm?dsmid=507489 • http://www.berufsberatung.ch/dyn/1199.aspx?id=3181 Artikel: • Svea Belz, Jakob Schröber, Anforderungen an Steuerexperten und Wirtschaftsprüfer, März 2013, https:// www.staufenbiel.ch/branchen-trends/wirtschaftspruefung/karriere-special-audit-tax-controlling/auditund-tax-anforderungen.html Buch: • Löffelholz Susanne, Hüsch Alexander R., Ernst-Auch Ursula, Berufs- und Karriere-Planer: Steuerberater und Wirtschaftsprüfer: Perspektiven – Berufsbilder – Prüfungen – Expertentipps, 3. Aufl., Wiesbaden 2013 Thema

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10 Fragen an: Tim Beständig

1. Weshalb haben Sie sich für eine Karriere in der Steu-

3. Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus?

erberatung entschieden?

Den typischen Arbeitsalltag gibt es bei uns nicht. Je nach Mandat fallen die unterschiedlichsten Arbeiten an. Wir beraten nationale und internationale Kunden bei komplexen Steuerthemen und prüfen unter anderem Steuerveranlagungen, bearbeiten Steuererklärungen und unterstützen unsere Mandanten bei Steuerrückstellungen. Zudem beraten wir sie bei Reorganisationen, Ansiedelungen aus dem Ausland und bei der Einholung von sogenannten Steuerrulings.

Steuerberater – der langweiligste Job der Welt? Im Gegenteil! Die Tätigkeiten eines Steuerberaters sind entgegen der weitläufigen Meinung weitaus abwechslungsreicher und spannender, als man im ersten Augenblick vermuten würde. Schon während meines Studiums fand ich das Zusammenspiel von Wirtschaft und Recht sowie die Tatsache, dass das Steuerrecht in viele andere Rechtsgebiete hineinspielt, sehr interessant. Ich habe während des Studiums diverse Vorlesungen im Steuerrecht besucht, um mir einen vertieften Einblick in die Materie zu verschaffen. 2. Wie wurden Sie auf Deloitte aufmerksam?

Über den Fachverein Jus habe ich von einem Deloitte M&A Tax Workshop erfahren und meldete mich kurzerhand an. Ich bekam darauf die Gelegenheit, ein viermonatiges Praktikum im Bereich „Unternehmenssteuern“ (Corporate Tax) zu absolvieren. Dabei hatte ich die Chance herauszufinden, ob mich dieser Bereich anspricht und ich mir eine längerfristige Karriere vorstellen könnte. Nach meinem Praktikum und kurz vor meinem Masterabschluss wurde mir eine Stelle als Consultant angeboten. Der überaus positive Eindruck der Firma sowie die attraktiven Weiterbildungsmöglichkeiten im Steuerbereich waren schliesslich entscheidend für meine Berufswahl.

Tim Beständig Tim Beständig hat den Master of Law an der Universität Luzern absolviert und einige Vorlesungen im Bereich Steuerrecht an der Universität Zürich besucht. Er arbeitet seit etwa zwei Jahren bei Deloitte im Bereich International Corporate Tax in Zürich. Seit letztem Jahr hat er mit der Ausbildung zum eidgenössisch diplomierten Steuerexperten begonnen. 24

4. Was sind besondere Herausforderungen in Ihrem Beruf?

Das breite Spektrum des Steuerrechts stellt einen immer wieder vor die Tatsache, sich schnell in neue und vor allem komplexe Sachverhalte einzuarbeiten, was für mich den Reiz dieser Tätigkeit ausmacht. Die internationale Verflechtung unserer Arbeit stellt in sprachlicher und fachlicher Hinsicht eine zusätzliche Herausforderung dar. 5. Welche Eigenschaften sollte man für eine Tätigkeit im Steuerrecht mitbringen?

Neben der fachlichen Qualifikation muss man eine Reihe persönlicher Eigenschaften wie Verschwiegenheit, Belastbarkeit, Gewissenhaftigkeit und analytisches Denkvermögen mitbringen. Die Zusammenarbeit mit Kunden erfordert zudem eine gewisse Empathie, um Kundenanfragen souverän beantworten und sich in ihre Bedürfnisse hineinversetzen zu können. Die Freude an der Arbeit darf dabei nicht auf der Strecke bleiben. Zu den fachlichen Qualifikationen zählen eine gewisse Affinität für Zahlen, betriebswirtschaftliche Kenntnisse und ein sicherer Umgang mit den Gesetzen. Das Fachgebiet verändert sich ständig, sei es durch Gesetzesänderungen, neue Rechtsprechungen, oder Praxisänderungen der Steuerbehörden. Die Bereitschaft für lebenslanges Lernen, um immer up-to-date zu sein, ist unerlässlich. 6. Ist das juristische Studium geeignet, um Steuerberater zu werden? Inwiefern?

Das juristische Studium ist für eine Karriere im Steuerbereich besonders gut geeignet. Für einen Steuerberater sind Kenntnisse in Wirtschaft und Recht von zentraler Bedeutung. Im beruflichen Alltag ist man stets mit Steuergesetzen und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen konfrontiert. Die während des Studiums erworbenen Fähigkeiten, wie man einen Sachverhalt analysiert, die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen heraussucht und Karriere


anschliessend auf den Sachverhalt anwendet, erleichtern einem den Einstieg in die Praxiswelt. Es empfiehlt sich ausserdem, neben den juristischen auch betriebswirtschaftliche Vorlesungen wie Accounting zu besuchen. 7. Auf was wird bei einer Bewerbung typischerweise geachtet?

berater im Herbst jeden Jahres und besucht die Schule weitere drei Jahre bis zu den Schlussprüfungen. Zu diesem Zeitpunkt ist man auch qualifiziert, als Manager ein Team und eigene Kundenmandate zu leiten. Danach steht einem Karriereaufstieg bis zum Partner und Inhaber der Firma nichts mehr im Wege. Zudem bietet Deloitte die Möglichkeit, Teilzeit und in einem flexiblem Arbeitsumfeld zu arbeiten.

Eine Bewerbung muss in erster Linie vollständig sein. D.h. wir erwarten, dass dem Dossier ein Motivationsschreiben, ein CV, Arbeitszeugnisse (falls vorhanden), Diplome und Notenauszüge des Bachelor- und Masterstudiums beiliegen. Klar erleichtern gute Noten und ein allfälliges Praktikum in einem ähnlichen Bereich den Einstieg in das Berufsleben, dennoch muss das Gesamtpaket des Kandidaten stimmen: die Motivation im Steuerrecht arbeiten zu wollen, die Persönlichkeit passend zur Firmenkultur, Teamfähigkeit und die fachlichen Kernkompetenzen.

9. Gibt es einen grossen Konkurrenzkampf?

8. Wie verläuft ein typischer Karriereweg in einer

In der heutigen spezialisierten Arbeitswelt empfiehlt es sich, mehrere Praktika zu machen, um herauszufinden, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen. Dies vereinfacht die spätere berufliche Entscheidungsfindung.

Unternehmung wie Deloitte?

Hochschulabgänger starten in unserer Steuerabteilung als Consultant – egal, ob man bei uns oder einem anderen Unternehmen bereits erste Praktikumserfahrungen gesammelt hat. Gleichzeitig beginnt man mit den ersten Modulen zum Steuer-

Natürlich möchte jeder seine eigenen beruflichen Ziele erreichen, aber grundsätzlich nicht auf Kosten anderer. Daher würde ich nicht von einem Konkurrenzkampf, sondern vielmehr von einem gesunden Ehrgeiz sprechen. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich unterstützt und bei Problemen gegenseitig hilft. 10. Was würden Sie einem Jusstudenten mit auf den Weg geben?

Wir danken Ihnen ganz herzlich für das Interview!

Deloitte Deloitte ist ein dynamisches und weltweit führendes Prüfungs- und Beratungsunternehmen, welches in den letzten Jahren in der Schweiz ein kontinuierliches Wachstum von durchschnittlichen 15% verzeichnen konnte. An den sechs Standorten in der Schweiz werden aktuell mehr als 1‘400 Mitarbeitende und über 225‘000 weltweit beschäftigt. Persönliche Weiterentwicklung, Flexibilität im Arbeitsalltag und ein vielfältiges und freundliches Arbeitsumfeld gehört zur Unternehmenskultur bei Deloitte. Alle Infoveranstaltungen von Deloitte finden sich auf folgender Webseite: www.deloitte.com/careers Thema 25 (Studenten > Events).


Wie gut schneidet das Rechtsstudium an der UZH im internationalen Vergleich ab? Tobias Aggteleky

Als Jusstudent der Universität Zürich hat man das Gefühl, das Studium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät (RWF) sei zeitintensiv und die Prüfungskriterien streng. Doch dieses Gefühl ist wohl den meisten Jusstudenten eigen, nicht nur denjenigen der UZH. Nun denn, wie steht das Rechtsstudium an der UZH im internationalen Vergleich tatsächlich da?

Begrenzte Vergleichbarkeit Zunächst einmal ist festzuhalten, dass eine vollständige Vergleichbarkeit aller Universitäten aufgrund der verschiedenen Bildungssysteme nicht gegeben ist. Insbesondere unterscheidet sich das anglo-amerikanische Hochschulsystem zu sehr von demjenigen kontinentaleuropäischer Staaten, als dass völlig schlüssige Vergleichskriterien existieren würden. So ist es im anglo-amerikanischen Bildungssystem von grösster Bedeutung, an welcher Universität man studiert. Mit einem Juris Doctor – dem amerikanischen BLaw-Äquivalent – einer durchschnittlichen Law School braucht man sich bei den grossen New Yorker Wirtschaftskanzleien gar nicht erst zu bewerben, und zwar unabhängig vom Notenschnitt. Folglich ist es entscheidend, seinen Abschluss an einer renommierten Law School zu erwerben (bei Studiengebühren von bis zu USD 50‘000 pro Jahr kann dies gerne wörtlich verstanden werden). Demgegenüber ist die Universität, an der man studiert hat, in Kontinentaleuropa weniger bedeutend – was zählt, sind die Noten. Trotz dieser grundlegenden Verschiedenheiten gibt es Ansätze, welche zumindest einen rudimentären Vergleich ermöglichen. Law School Rankings Die grosse Bedeutung der Universitätswahl in den Vereinigten Staaten bedingt einen mehr oder weniger anerkannten Standard, an welchem sich das Ansehen bzw. die Qualität einer Universität bemessen lässt. Hier kommen die University- und, im Falle der Rechtswissenschaften, die Law School Rankings ins Spiel. Zunächst gilt es einmal trotz der Vielzahl an verfügbaren Rankings den Wald vor lauter Bäumen nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist nicht ganz einfach, gibt es doch mittlerweile in den USA so viele Law School Rankings, dass es – nicht ganz

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frei von Ironie – sogar Rankings über die besten Law School Rankings gibt.1 Bei genauerem Hinsehen merkt man jedoch, dass nur wenige Rankings auch kontinentaleuropäische und insbesondere schweizerische Universitäten bzw. Rechtsfakultäten berücksichtigen. Von denjenigen Rankings, welche weltweit Universitäten

Schweizerische Universitäten passen oft nicht ins Schema der Rankings. berücksichtigen, gehören das Shanghai Ranking2 und das QS University Ranking3 zu den bekanntesten. Das QS University Ranking hat insbesondere den Vorteil, dass man spezifisch nach Fachrichtungen vergleichen kann. Entsprechend ist es im Hinblick auf die internationale Vergleichbarkeit der RWF das wohl aussagekräftigste. Bei der Fachrichtung „Law“ liegt die

1 Siehe dazu z.B. http://tippingthescales.com/2014/01/ranking-the-lawschool-rankings/. 2 http://www.shanghairanking.com/de/ARWU2015.html. 3 http://www.topuniversities.com/university-rankings/university-subjectrankings/2015/law-legal-studies#sorting=rank+region=+country=+faculty=+ stars=false+search=.

Aktuell


UZH irgendwo im Niemandsland zwischen Platz 51 und 100. Aufgrund des vermeintlich hohen Zeitaufwands des Rechtsstudiums an der UZH und der insbesondere im Assessmentjahr rigiden Selektion, ist diese Platzierung doch eher enttäuschend. Denn auch wenn der Zeitaufwand nicht mit der Qualität einer Ausbildung gleichgesetzt werden darf, so ist dieser doch eine Voraussetzung und in der Regel ein starkes Indiz. Tröstend wirkt der Umstand, dass andere schweizerische Rechtsfakultäten in diesem Ranking überhaupt nicht berücksichtigt wurden. Trotzdem stellt sich die Frage, wieso die RWF bloss durchschnittlich abscheidet. Obwohl es mittlerweile viele Rankings gibt, welche weltweit Universitäten berücksichtigten, sollte nicht vergessen werden, dass das „Ranken“ ein überwiegend amerikanisches oder zumindest anglo-amerikanisches Phänomen ist. Dementsprechend sind die Bewertungskriterien vieler Rankings auch auf das angloamerikanische Hochschulsystem ausgerichtet. Kriterien wie „Wie viele Prozent der Bewerber werden aufgenommen“ oder „Anzahl Studenten pro Lehrkraft“ sind auf schweizerische Rechtsfakultäten nicht ohne Weiteres übertragbar, da bei uns Universitäten grundsätzlich allen mit einem Maturitätsabschluss offen stehen. Dasselbe gilt für das Kriterium der Studentenzufriedenheit. Anglo-amerikanische Universitäten sind keine reinen Lerninstitutionen, sondern gehen weit über die eigentliche Schulausbildung hinaus: Man wohnt, isst und verbringt seine Freizeit auf dem Campus. Quasi das ganze Leben eines Studenten findet seinen Mittelpunkt in der Universität. Demgegenüber sind schweizerische Universitäten nach wie vor auf das Lehren und Lernen fokussiert. Britische oder amerikanische Studenten

werden ihre Universität zwangsläufig in einem besseren Licht sehen, da sie diese nicht nur mit Lernen und Prüfungen, sondern auch mit Sport, Home-Partys und Spring Break verbinden. Hinzu kommt, dass die Durchfallquoten verschwindend klein sind, was sich ebenfalls positiv auf die Studentenzufriedenheit auswirkt. Andere Rankings – wie das QS University Ranking – legen, neben der ebenfalls stark gewichteten Studenten-LehrkraftRatio, grössten Wert auf die Reputation einer Universität.4 Die Reputation sagt jedoch nur bedingt etwas über die Qualität einer Rechtsfakultät bzw. deren Lehre aus. Anglo-amerikanische Universitäten werden seit Jahrzehnten weltweit vermarktet und als das „Non-plus-Ultra“ dargestellt. Dies ist einer der Gründe, wieso sie einen so hervorragenden Ruf geniessen. Die Frage aber, ob ein Juris Doctor von Harvard tatsächlich die inhaltlich „bessere“ Ausbildung als ein BLaw bzw. MLaw an der UZH ist, kann die Reputation jedoch kaum beantworten. Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass schweizerische Universitäten oft nicht ins Schema der Rankings passen. Erfahrungen von Austauschstudenten und Prüfungstouristen Es gibt weitere, subtilere Indikatoren, welche auf die Qualität einer Universität bzw. einer Fakultät schliessen lassen. Einer davon ist der Prüfungstourismus: Ist es bedeutend einfacher 4 http://www.topuniversities.com/university-rankings-articles/worlduniversity-rankings/qs-world-university-rankings-methodology.

Aktuell

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Thema


an anderen Universitäten die erforderlichen ECTS Punkte zu holen, so werden einige Studenten diesen Umstand nach Möglichkeit ausnutzen. Von solchen Prüfungstouristen gibt es an der RWF einige5, was für die Zeitintensität und/oder Bewertungsstrenge der Ausbildung an der UZH spricht.

„An der ausländischen Uni war der Aufwand deutlich geringer.“ Früher konnte man sich an der UZH sogar die Noten anrechnen lassen, welche an einer ausländischen Universität erworben wurden. So kamen Studenten regelmässig mit einigen 5.5- und 6ern im Gepäck aus dem Austauschsemester in Rom oder Madrid zurück. Da dies jedoch zu offensichtlich wurde, hat die RWF diesem Treiben ein Ende gesetzt, so dass man sich heute nur noch die ECTS, nicht aber die Noten anrechnen lassen kann, welche man an ausländischen Universitäten erwarb. Trotzdem gehen auch heute noch viele Studenten der RWF für ein bis zwei Semester ins Ausland. Unabhängig von der Destination und der Reputation der gewählten Universität ist das Feedback immer dasselbe: „An der ausländischen Uni war der Aufwand deutlich geringer.“ Gleiches gilt im Übrigen für Austauschsemester an anderen schweizerischen Universitäten: auch solche gelten bei Studenten der RWF als „gemütlicher“. Dies zeigt, dass die Ausbildung zum Juristen an der UZH so durchschnittlich nicht sein kann – zumindest was den Aufwand betrifft. Dieselbe Sprache sprechen die Durchfallquoten, welche insbesondere in der Assessmentstufe vergleichsweise hoch sind. Hinzu kommt die Tatsache, dass immer mehr Studierende privat Hilfe in Anspruch nehmen, um bei den Prüfungen ein positives Resultat zu erzielen. Es ist klar, dass Durchfallquoten, beanspruchte Nachhilfestunden und ähnliche Werte sich nicht für einen internationalen Vergleich eignen. Dennoch kann festgehalten werden, dass das Studium der Rechtswissenschaften an der UZH wohl zu den anspruchsvolleren seinesgleichen gehört und man sich für einen MLaw einiges an Wissen aneignen muss. Persönliche Erfahrung Was Auslandaufenthalte betrifft, habe ich persönlich während meiner Studienzeit aus dem Vollen geschöpft: Jeweils ein Semester durfte ich an der Université de Neuchâtel und an der University of New South Wales in Sydney verbringen, gar ein ganzes Jahr zog es mich ans King’s College in London. Sowohl

die University of New South Wales als auch das King’s College stehen dabei im internationalen Vergleich vor der UZH – zumindest wenn man dem QS Ranking Glauben schenken will. Auch geniessen diese beiden Bildungsinstitute international wohl einen besseren Ruf. Und dennoch stimmen die Erfahrungen, welche ich machen durfte, mit den obigen Schlussfolgerungen überein: Der Aufwand an all meinen Gastuniversitäten war tatsächlich geringer als an der UZH. Da ich die Kurse jeweils zusammen mit „einheimischen“ Studenten besucht habe, hat dies auch nichts damit zu tun, dass ich als Austauschstudent eine besondere Behandlung geniessen durfte. Ganz im Gegenteil: Aufgrund des Sprachhandicaps hätte sich mein Aufwand an den Gastuniversitäten bei gleichbleibendem Stoffumfang und -schwierigkeit eigentlich erhöhen müssen. Die verschiedenen Gastuniversitäten kamen jedoch weder beim Stoffumfang, noch bei der Stoffschwierigkeit an das anspruchsvolle Niveau der UZH heran. Dementsprechend musste ich für dieselbe Anzahl Credits weniger Aufwand betreiben. Guter Ruf Schweizer Studenten im Ausland Es ist deshalb nicht überraschend, dass Schweizer – und insbesondere auch Zürcher – Jusstudenten international einen hervorragenden Ruf geniessen. Ob am King’s College in London oder an der Harvard University in Massachusetts, schweizerische

Eine erhöhte Selbstwertschätzung betreffend die eigene Universität würde nicht schaden. LL.M. Studenten und mitunter viele ehemalige UZHler gehören stets zu den erfolgreichsten Absolventen. All diese Indizien lassen – auch wenn sie grösstenteils auf persönlichen Erfahrungen einzelner Studenten beruhen – keinen anderen Schluss zu, als dass es sich beim Studium der Rechtswissenschaften an der UZH um eine vergleichsweise aufwendige und vermutungsweise gute Ausbildung handelt. Es wäre zu wünschen, dass sich Jusstudenten an der UZH dessen vermehrt bewusst werden. Damit man mich nicht falsch versteht: Ich propagiere keine Grossspurigkeit, wie sie den HSG-Studenten teilweise eigen ist. Aber eine erhöhte Selbstwertschätzung betreffend die eigene Universität würde nicht schaden.6

6 vgl.

http://www.tagblatt.ch/aktuell/panorama/panorama/Pulli-fuer-die-

Elite;art253654,3406416. 5 vgl. http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Pruefungstourismus-ausZuerich/story/12925892.

Aktuell

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Die Qual der Wahl Ausserfakultäre Fächer

Ein Jusstudium beinhaltet vorwiegend deutsch-sprachige Vorlesungen zu rechtlichen Themen: Von Familienrecht über Steuerrecht bis hin zu Strafrecht gibt es (fast) alles, was das Herz begehrt. Doch im Rahmen von 6 ECTSPunkten haben die Studierenden die Möglichkeit, einmal über den Tellerrand zu blicken und Vorlesungen in anderen Sprachen oder gar von anderen Fakultäten zu besuchen. Nachdem in der Ausgabe HS14 des N’Jus® bereits über die Fächer „Financial Accounting“, „Innere und äussere Geschichte der Beziehungen Schweiz – EU“, „English for Law C1-C2“ und „Einführung in die Praktische Philosophie: Einführung in die Politische Philosophie“ berichtet wurde, wenden wir uns nachfolgend drei weiteren Möglichkeiten zu.

Discussion d'arrêts du Tribunal fédéral et de la Cour européenne des droits de l'homme Bettina Hunter

Die sechs ETCS-Punkte, in deren Rahmen die Studienordnung den Studierenden tatsächlich eine freie Wahl lässt, stellen einen vor schwere Entscheidungen. Wieso soll man sich da für ein „gewöhnliches“ Modul der Rechtswissenschaftlichen Fakultät entscheiden und dann auch noch eines, welches in französischer Sprache gehalten wird? Genau auf diese Frage soll im nachfolgenden Text eingegangen werden. Aufbau der Vorlesung Die Vorlesung ist grundsätzlich dreigeteilt in die Abschnitte: Grund- bzw. Menschenrechte, Strafrecht sowie Privatrecht. Dabei besteht jeder Bereich aus etwa vier Doppellektionen und wird jeweils von einem anderen Dozenten gehalten. Im Zentrum der Vorlesung stehen immer Entscheide des Bundesgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Diese Entscheide müssen als Vorbereitung auf die jeweilige Lektion gelesen werden und werden dann sowohl inhaltlich wie auch lexikalisch besprochen. Auf diese Weise

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kann man einst Gelerntes wieder auffrischen und teilweise auch vertiefen. Es werden jedoch nicht bloss Bundesgerichtsentscheide analysiert, sondern man erfährt auch einiges über den Aufbau und die Arbeitsweise des Bundesgerichts sowie die Entstehung eines Bundesgerichtsentscheides. Sprachkenntnisse in Französisch Sprachkenntnisse in Französisch sind für Juristen (und wohl insbesondere für solche in der Schweiz) durchaus hilfreich und erleichtern die Recherche. Dieses Modul bietet einen guten Einstieg in die juristische Fachsprache auf Französisch, da man nicht wie bei einem gewöhnlichen Sprachkurs bloss Vokabeln lernt oder Übungen ausfüllt, sondern sich anhand eines Bundesgerichtsentscheides in ein bestimmtes Sachgebiet einliest. Meiner Meinung nach lernt man dadurch die einzelnen Wörter nicht abstrakt, sondern in einem konkreten Kontext, was zur Folge hat, dass man diese nicht nur besser versteht, sondern sich auch längerfristig merken und aktiv verwenden kann.

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In fo box • • • • •

ahlmodul ftliche Fa kultät, W Rechtswissenscha ) 3 ECTS ereitung (Lektüre henlektionen, Vorb oc W 2 : nd wa uf Zeita ter (einsemestrig) itte Dezember; en Jedes Herbstsemes liche Prüfung M ift hr sc is: we ch na Leistungs français, bien sûr!

Entspannte Atmosphäre Der Kurs findet jeweils von 18:15 bis 20:00 Uhr und somit le hr an ge bo t/ fa kLink s: eher spät am Abend statt. Alleren .u zh .c h/ H S15/ ng su le or .v w w cg-5062248 8/cg• ht tp :// w dings herrscht aufgrund der a-50 62 23 48 010/ cg 8/ 34 22 06 -5 187.modver50 00 00 02 /sc 36187/sm-50636 kleinen Teilnehmerzahl und 06 -5 /sm 09 25 62 50 62 2496/c g-50 vielleicht auch des „Freiwilliganst.html keitscharakters“ dieser Vorlesung eine sehr entspannte Atmosphäre. So hielten beispielsweise an einem Abend einige Juristen aus der Westschweiz die entsprechende Vorlesung. Zum Abschluss spielte einer der Gäste aus der Westschweiz sogar noch etwas auf seinem Alphorn vor. Ein Alphornkonzert zu später Stunde im RWI, das ist wohl ein eher seltenes Erlebnis! Zudem gibt es im Rahmen dieser Vorlesung die Möglichkeit, eine öffentliche Beratung des Bundesgerichts in Lausanne zu besuchen. Zusammenfassend kann ich dieses Modul wirklich nur empfehlen, es lohnt sich!

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Kernkompetenzen Internationale Beziehungen Michael Helbling Eigene Wege gehen Wer sich für eine geballte Mischung aus Geschichte, Politik, Philosophie und internationalem Recht interessiert, sollte unbedingt weiterlesen. Vor eineinhalb Jahren, als ich auf der Suche nach einem ausserfakultären Wahlfach war, stand ich vor der Wahl, den Weg zu beschreiten, den ca. 80 % der Jusstudierenden begehen, indem sie Financial Accounting oder einen Sprachkurs wählen, oder aber einen eigenständigen Pfad einzuschlagen. Schon Gelerntes in anderen Kontexten vertiefen Der durchschnittliche Jusstudent interessiert sich grundsätzlich für das politische Geschehen, welches eng mit der (internationalen) Rechtssetzung verbunden ist. Gerade deshalb eignet sich die Vorlesung „Kernkompetenzen Internationale Beziehungen": So werden in deren Rahmen Themenbereiche wie die historische Perspektive, Idealismus, Realismus, Weltordnung, Sicherheit, Weltfinanzsystem, Menschenrechte, Weltwirtschaft, Verkehrsund Kommunikationspolitik sowie Global Commons behandelt. Die internationalen Institutionen, die Staatsverträge, die grundlegenden Rechtsquellen der Menschenrechte sind dem angehenden Juristen bereits bekannt. Es empfiehlt sich daher, das Assessmentfach „Kernkompetenzen Internationale Beziehungen“ erst in den letzten beiden Bachelor-Semestern zu besuchen, um den vollen Wissensgewinn aus den Jusfächern zu „rezyklieren“ oder gleichsam mit dem Besuch des Moduls und der Übungen im Transnationalen Recht lerntechnisch effizient miteinander zu verbinden. Insgesamt betrachtet kann auf diese Art und Weise mit wenig Aufwand (am Massstab der Jusstudierenden gemessen) die Gesamtsumme an ausserfakultären ECTSPunkten gesammelt und dazu erst noch eine gute Note erzielt werden.

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In fo box • • • • • •

Philosophische Fa kultät/Institu t für Politik wisse 6 ECTS nschaf t (IPZ) Zeitauf wand: 2 Wochenlektione n, Vorbereitung Jedes Herbstsem (Lektüre) ester (einsemestr ig ) Vorkenntnisse: Passive Englischk enntnisse Leistungsnachw eis: schriftliche (im HS 14 no Choice), 2 stün ch Multiple dige Prüfung (b enotet), einmal ca. 2 Monate sp w iederholbar, äter

Link s: • ht tp ://w w w.v or le su ng en .u zh .c h/ H S15/ 50 00 00 07/sc-50 le hr an ge bo t/fa 30 6208/c ga-503 k06208140/c g-50 50318413/sm-503 3093 41/c g35165.modverans t.html

Der Teufel liegt im (administrativen) Detail Zum Schluss sind noch einige Hinweise administrativer Art zu erwähnen. So löst bereits das Einschreiben für den Kurs, um überhaupt an die Vorlesungsmaterialien zu gelangen, die Modulbuchung, sprich Prüfungsanmeldung, aus. Im Unterschied zur Buchung von Jus-Modulen läuft ausserdem die Stornierungsfrist früher ab. Von eminenter Wichtigkeit ist weiter, dass Bedacht auf die Kollisionsfreiheit von juristischen und politikwissenschaftlichen Fächern gelegt wird. Da die rechtswissenschaftliche Fakultät keine Rücksicht auf die Prüfungstermine externer Fakultäten nimmt, ist man selbst in der Pflicht, gegebenenfalls termingerecht ein Gesuch um Prüfungsverschiebung einzureichen. Die Wiederholungstermine finden ca. 2 Monate später statt. Für diejenigen, welche aber am ersten Termin wegen Prüfungskollision nicht teilnehmen können, entfällt der Wiederholungstermin im gleichen Semester. Wie bei ausserfakultären Fächern generell ist auch im vorliegenden Verhältnis Rechtswissenschaft – Politologie sicherzustellen, dass die positiven Prüfungsergebnisse rechtzeitig übermittelt und fristgerecht an den Abschluss angerechnet werden können.

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Chinesisch A1.1 Carmen Honegger

Sprachen nehmen in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert Tonhöhe begonnen wird, diese sich dann senkt und wieder ein. Gerade im Zeitalter der Globalisierung ist es wichtig, sich hebt, bedeutet hingegen Pferd. auch mit Anderssprachigen verständigen zu können. Doch Die grundlegenden Abweichungen von westlichen Sprachen weshalb bei westlichen Sprachen wie Englisch, Französisch machen Chinesisch so herausfordernd, aber eben auch so oder Spanisch bleiben? spannend. Der Chinesischkurs am Sprachenzentrum ist sehr Der Sprachkurs Chinesisch A1.1 richtet sich an alle Neuanfänger empfehlenswert für alle Sprachenbegeisterten, die sich für der Chinesischen Sprache. Es gilt gleich vorab zu erwähnen, die chinesische Sprache und den chinesischen Kulturkreis dass der Chinesisch-Sprachkurs sehr intensiv ist: So finden vier interessieren. Stunden Unterricht pro Woche statt und es kommen jeweils rund drei bis vier Stunden selbständiges Arbeiten hinzu. Denn: Chinesisch lernt sich nicht von selbst. Nicht nur gibt es Schriftzeichen, die es auswendig zu lernen gilt, sondern auch die Grammatik und Wörter In fo box t Zürich sind grundlegend verschieden von dem, der Universitä m u tr n ze en was wir kennen. Die erste Hürde besteht • Sprach r, wobei die lingssemeste h rü in der korrekten Aussprache der einzelnen F • 3 ECTS er d o trig: Herbst ester beginnen Wörter, denn in China wird mit „Tönen“ • Einsemes im Herbstsem ch li ig d le e A nfängerkurs Hausaufgaben gearbeitet. So drückt eine unterschiedliche Lesen), pro Woche & h 4 : d an , Schreiben, fw en u ch ta re ei p Z (S s Tonlage ein jeweils anderes Wort aus. Um • tfolio nachweis: Por gleich ein Beispiel anzuführen: Ein hohes, • Leistungs esters S Ende des em am g keine n fu rü P gleichbleibendes ma bedeutet beispielweise insteigerkurs E m ei Zhongguozi, b : n ge zun (Band 1) und e gc an sh • Vorausset Mutter; ein ma, bei dem in einer mittleren a, ohu tel: Zhonggu • Lehrmit shu xie. /l iste. b ot/spra chen ge n /a h .c zh : Link zentr u m.u w w.spra chen • htt p://w 11 r=2&gruppe= php?sprachn

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Arbeitsplätze an der Uni Natascha Honegger, Sabrina Hunger Lernräume sind während der Prüfungsphase oder teilweise das ganze Jahr über der Lebensmittelpunkt vieler Studierender. Hier verbringen sie lange Stunden fernab von all den Ablenkungsmöglichkeiten des Alltags. An der Uni kann man weder das eigene Zimmer aufräumen, noch ungestört auf dem gemütlichen Sofa TV-Serien schauen. Nur Facebook und E-Mail können einem schon mal zum Verhängnis werden. Damit auch jeder Studierende seinen perfekten Arbeitsraum entdecken kann, haben wir die wichtigsten Lernplätze herausgesucht und genauer unter die Lupe genommen. Was ist dir wichtig: Eine grosse Arbeitsfläche, Ruhe oder Bequemlichkeit?

RWI Für manche ist das RWI lerntechnisch der Himmel auf Erden, andere könnten darin wohl keine Minute verbringen. Eines ist jedoch trotz allem klar: Das RWI ist die Bibliothek für juristische Recherchen. Zwar sitzt man hier auch ab und an zwischen Biologen und Wirtschaftlern, doch grundsätzlich bietet die Bibliothek für unsereins alles, was das Herz begehrt: Kommentare, Gesetzessammlungen, Festschriften und Dissertationen – jedenfalls dann, wenn sie nicht bereits besetzt sind, oder von einem sozial inkompatiblen Mitstudenten versteckt wurden, der entweder die Konkurrenz ausschalten oder am nächsten Morgen ausschlafen möchte. Architektur Mit seinen sechs, zur Mitte hin offenen Etagen ist das RWI architektonisch beeindruckend, „geräuschetechnisch“ aber eher weniger. Einzig das silentium strictissimum sorgt für Ruhe, doch bereits Stühleschieben oder Niessen, das jeweils durch die ganze Bibliothek hallt, wird von gewissen Mitstudierenden mit bösen Blicken quittiert.

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Arbeitsplätze Dass die 500 Arbeitsplätze, die die Bibliothek bietet, für uns Jusstudenten (und alle anderen Bibliotheksbesucher) vollends genügen, ist jedenfalls während der Prüfungsphase im Sommer (ca. April bis Juni) eine Illusion, und so heisst es um 8 Uhr vor der Bibliothek anstehen, um einen Platz zu ergattern. Des Weiteren gilt in dieser edlen Halle ein striktes Ess- und Trinkverbot (nur Wasser in durchsichtigen Flaschen ist erlaubt) und es ist nicht gestattet, Taschen in die Bibliothek mitzunehmen. Ob Haustiere erlaubt sind, ist fraglich, da davon nichts auf der Verbotstafel steht. Ein Frauchen mit Hündchen hat es denn auch schon geschafft, an den Argusaugen des Infodeskpersonals vorbeizuschlüpfen und die Aussicht aus dem sechsten Stock gemeinsam zu geniessen. Ausstattung Das RWI verfügt über mehrere Kopierer auf den Stockwerken 1, 2, 3 und 6 sowie Parlatorien auf jedem Stockwerk, wenn man sich gemeinsam den Prüfungsfrust von der Seele sprechen

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Deutsches Seminar Das Deutsche Seminar befindet sich nahe des Studentenladens, des RWIs und des Hauptgebäudes. Es werden gleich zwei verschiedene Lernräume für Studierende angeboten: Im ersten Stock befindet sich der lebendige „Begegnungsraum“; wer dagegen eine ruhigere Atmosphäre schätzt, kann die Bibliothek im Untergeschoss zum Lernen nutzen. Die Bibliothek Die Bibliothek ist ähnlich wie viele andere Bibliotheken aufgebaut: Es gilt ein striktes Sprech- und Essverbot. Zudem werden Schliessfächer zur Verfügung gestellt. Als Besonderheit kann man auch einige Computerarbeitsplätze benutzen. Verglichen mit der RWI-Bibliothek ist diese Bibliothek eher klein, allerdings hat man aufgrund der etwas versteckten Lage im Untergeschoss und der grossen Tische oft gute Chancen, einen Platz zu finden. Die einzelnen Arbeitsplätze sind durch Holzwände voneinander getrennt, was eine optimale Vorbereitung für die angehenden Prüfungen in der Messe ermöglicht. Der Begegnungsraum Der Begegnungsraum dagegen ist etwas lockerer aufgebaut. Im Eingangsbereich befinden sich einige wenige runde Tische für Gruppengespräche. Vor markanten Stimmen kann man sich auch in der obersten Etage des Raums nicht vollkommen schützen, allerdings bemühen sich viele Studierende um eine angemessene Lautstärke. Im oberen Bereich stehen auf zwei Etagen verteilt kleine Zweiertische. Wer sich gerne ausbreitet,

möchte. Auf der sechsten Etage gibt es zudem einen Computerraum und kleine Besprechungszimmer. Auf dem sechsten Stockwerk des RWI gilt im Übrigen ein Laptop-Verbot, damit sich auch Lernende mit sehr feinem Gehör vollends wohlfühlen. Viele zieht es aber auch wegen der grossen Glasfenster ganz nach oben, durch die man auch echtes Tageslicht geniessen kann. Die Tische im RWI sind sehr gross, das heisst, man kann sich auch mit einer ganzen Sammlung von Büchern und Ordnern problemlos ausbreiten. Zudem verfügt jeder Tisch über eine eigene Steckdose. Die Bequemlichkeit der Stühle entspricht wohl dem universitären Standard. Die Bibliothek verfügt des Weiteren über Toiletten in beiden Treppenhäusern, und zwar jeweils auf den geraden Stockwerken für Frauen, auf ungeraden für Männer. Was die Raumtemperatur und Luftqualität betrifft: Die ist nicht immer ganz ideal. Insbesondere im Sommer kann es schon sehr heiss und stickig werden – und der Saunabesuch erübrigt sich gleich von selbst.

könnte ein Platzproblem haben, da die Tische relativ schmal sind. Erwischt man sogar einen Platz mit Steckdose, kann man sich sehr glücklich schätzen. Die speziell strukturierten Wände sind etwas gewöhnungsbedürftig. Zu langes Anschauen könnte zu Halluzinationen führen. Der Begegnungsraum ist vor allem um die Mittagszeit herum ein beliebter Aufenthaltsraum. Da viele Studierende jedoch dort nur relativ kurze Zeit verweilen, findet man meistens mit etwas Glück schnell einen Platz. Praktischerweise kann man im Begegnungsraum kopieren, sofern kein vorübergehender Defekt des Geräts vorliegt. Essen und Trinken ist unbeschränkt erlaubt. Um in den Genuss eines Kaffees zu kommen, muss man sich allerdings nach unten in die Bibliothek begeben. Als Alternative kann man sich auch im Studentenladen oder der RWI-Cafeteria verpflegen. Vorteilhaft ist, dass man dies als Gelegenheit nutzen kann, um etwas frische Luft zu schnappen. Oft stellt sich der Gang ins Freie als Überraschung heraus, da im fensterlosen Lernraum allfällige Wetterund Temperaturveränderungen nur schwer wahrnehmbar sind. Öffnungszeiten Montag-Samstag: 09.0019.00 Uhr

Kaffee, Zucker und andere wichtige Dinge Wie bereits erwähnt herrscht im RWI ein striktes Ess- und Trinkverbot. Für den insbesondere während der Prüfungsphase dringend benötigten Kaffee muss man daher einen kleinen Spaziergang in Kauf nehmen. Die nächstmögliche Ess- und Kaffeetrinkgelegenheit, die auch bei Wind und Wetter geeignet ist, ist die RWI-Cafeteria, für die man das Gebäude nicht einmal verlassen muss. Hier gibt es von Gipfeli über frische Salate, Wähen und Süsses alles, was das Studentenherz begehrt. Im Winter gibt es jeweils auch jeden Tag eine andere Suppe. Daneben gibt es in der Nähe des RWI noch den „Russo“, ein kleines Lebensmittelgeschäft, das aber auch Kaffee und warme Speisen über Mittag anbietet, sowie die Metzgerei „Reif“. Öffnungszeiten Montag-Freitag: 08.00-21.00 Uhr Samstag: 08.00-17.00 Uhr Vor den Prüfungen öffnet die Bibliothek auch am Sonntag

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Uni Turm Im Hauptgebäude der Universität Zürich befinden sich in den Geschossen K und L Arbeitsräume für Studenten. Da viele Studierende Vorlesungen im Hauptgebäude besuchen, werden die zentral gelegenen Lernräume sehr geschätzt. Architektur Aufgrund der kleineren Räume ist der Lärmpegel niedrig, was die Konzentrationsfähigkeit steigern kann und eine ideale Lernatmosphäre schafft. Die Raumtemperatur ist meist angenehm. Ausserdem sorgen die Fenster für etwas Tageslicht. Die Aussicht ist zudem sehr empfehlenswert, sofern man diese nebst Büchern und Lernstress geniessen kann. Arbeitsplätze Im Geschoss K hat man die Möglichkeit, in einem kleinen Raum mit rund 30 Arbeitsplätzen zu lernen. Ein weiterer, etwas grösserer Lernraum befindet sich zudem im Geschoss L, der ca. 50-60 Arbeitsplätze umfasst, darunter auch Einzeltische. Bedauerlicherweise sind die Lernplätze oft belegt, vor allem gegen Ende des Semesters.

auch drucken und kopieren kann. Allerdings sind die Computerarbeitsplätze oft belegt. Wer zusätzliche Entspannung sucht, kann sich in den Ruheraum des ASVZ in das Geschoss L begeben, in dem man bis zu einer Stunde ein Schläfchen in entspannter Atmosphäre halten kann.

Ausstattung Gleich neben dem Lernraum auf der Etage K befindet sich ein Aufenthaltsraum inklusiv Kaffeemaschine für gemeinsame Gespräche und Verpflegungsmöglichkeit. Ein Computerraum ist zusätzlich auf derselben Etage vorhanden, in dem man

Öffnungszeiten Während des Semesters: Mo-Fr 08.00-21.30 Uhr / Sa. 08.0013.00 Uhr In den Semesterferien: Mo-Fr 08.00-17.30 Uhr / Sa. 08.0013.00 Uhr

Lichthof Der Lichthof liegt im Hauptgebäude und ist kein richtiger „Arbeitsraum“, sondern vielmehr ein Ort, an dem man sich trifft, um zu essen, Kaffee zu trinken oder gemeinsam zu lernen. Natürlich gibt es aber auch hier viele, die für sich alleine lernen.

Das Positive ist, dass man seine Kaffee- und Zuckerration mit an den Tisch nehmen kann, das Negative, dass man sich vermutlich nicht sonderlich gut konzentrieren kann. Architektur Der Lichthof sieht genau so aus, wie es der Name vermuten lässt: Eine lichtdurchflutete Halle, die von den Gängen und Räumen des Hauptgebäudes umschlossen ist. Das Problem ist, dass gerade durch die offene Architektur der Geräuschpegel sehr hoch ist und ein einziges schreiendes Kind oder eine Gruppe lachender Studenten vollends genügt, um das ganze Hauptgebäude zu beschallen. Daher: Ohne Lärmresistenz ist effizientes Lernen hier kaum vorstellbar. Arbeitsplätze Der Lichthof bietet Stühle für schätzungsweise 350 Studenten und ist während des Semesters insbesondere am Mittag stets überfüllt, weil man in der angrenzenden Lichthof-RondellCafeteria auch essen kann.

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Die Tische sind rund und wenn man nicht alleine oder zu zweit am Tisch sitzt, gibt es kaum eine Möglichkeit, sich auszubreiten. Es ist somit eher ungeeignet, im Lichthof mit einem grossen Bücherarsenal aufzukreuzen. Ausstattung Ein Computerraum liegt ganz in der Nähe des Lichthofs, wo es auch einen Drucker und Toiletten gibt. Steckdosen sind bei den Tischen keine vorhanden. Bezüglich Temperatur kann gesagt werden, dass es im Sommer wegen der Glaskuppel oft viel zu heiss wird, während man im Winter jedenfalls nahe der Türen schon mal eine zweite Jacke gebrauchen könnte.

Kaffee, Zucker und andere wichtige Dinge Die nächste Mensa ist die Mensa „UZH Zentrum Lichthof Rondell“. Es gibt dort vor allem Fast-Food wie Burger und Pommes Frites, aber auch ein Vegi- und Fleischmenü sowie Salate. Natürlich gibt es auch Kaffee und Süsses. Ebenfalls im gleichen Gebäude gibt es noch die obere und untere Mensa, welche verschiedene Menüs zu günstigen Preisen anbieten. Öffnungszeiten Montag-Freitag: 07.00-22.00 Uhr Samstag: 07.00-13.30 Uhr In den Semesterferien: Montag bis Freitag nur bis 18:00 Uhr

Careum Cafeteria Die Cafeteria des Careums ist eigentlich medizinisches Territorium, aber wie es auch bei uns im RWI fachfremde Studenten gibt, wagen sich Jusstudenten ebenfalls – nicht zuletzt aufgrund des Vorprüfungs-Platzmangels – oftmals in fremde Gefilde. Das Careum bietet denn auch einige Vorteile, die nachfolgend genauer erläutert werden sollen. Architektur Zur Architektur der Cafeteria lässt sich nicht sonderlich viel sagen, ausser dass sie grosse Fenster hat und dadurch sehr hell ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Gebäuden gibt es in diesem Raum jedoch eine funktionierende Klimaanlage und somit ein gutes Lernklima.

Arbeitsplätze In der Careum-Cafeteria gibt es ungefähr 180 Plätze, und zwar sowohl normale Tische mit Stühlen, als auch hohe Tische oder – und das ist wohl der grösste Vorteil dieses Lernortes – Sofas. Wenn man es gemütlich möchte, ist daher das Careum die ideale Wahl. Die Tische sind zwar deutlich kleiner als etwa im RWI, es gibt jedoch grundsätzlich genügend Platz, um sich auszubreiten. Da es eine Cafeteria ist, ist es nicht ganz so ruhig wie etwa im RWI und somit ist Personen mit einem empfindlichen Gehör vom Careum abzuraten. Als letzter Punkt kann gesagt werden, dass auch hier (wie fast überall an der Uni) die Plätze während der Vorprüfungsphase sehr beliebt sind und es sich lohnt, bereits um acht Uhr vor Ort zu sein. Ausstattung Das Careum bietet nicht nur Sofas, sondern auch Mikrowellen, mehrere Kaffee-, Getränke- und Snackmaschinen, sowie Kühlschränke. Ein Drucker ist in der Cafeteria jedoch nicht vorhanden. Öffnungszeiten Montag-Freitag: 07.30-20.00 Uhr Samstag: 07.30-16.00 Uhr

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Gerichtsluft schnuppern Kurzpraktikum am Bezirksgericht Andelfingen Carmen Honegger

Während der vorlesungsfreien Zeit haben die Studierenden unzählige Möglichkeiten: Man kann eine Seminararbeit schreiben, seine Sprachkenntnisse in einem Auslandaufenthalt aufbessern oder aber einfach nur faulenzen. Eine weitere Alternative besteht darin, sich anhand eines Kurzpraktikums einen ersten Einblick in die Berufswelt zu verschaffen und so die Theorie, die an der Universität gelehrt wird, einmal in action zu erleben. In einem dreiwöchigen Schnupperauditorat bot sich mir diesen Sommer die Gelegenheit, am Bezirksgericht Andelfingen hinter die Kulissen einer ersten kantonalen Instanz zu blicken.

Schnupperauditorat oder Volontariat? Grundsätzlich gibt es für Studierende zwei Möglichkeiten, ein Schnupperauditorat an einem Bezirksgericht zu absolvieren: Einerseits kann dies im Rahmen eines Volontariats über die Universität selbst absolviert werden, andererseits kann der Student dies selbst in die Hand nehmen und sich bei einem Gericht für ein Schnupperauditorat bewerben. Bei der ersten Variante dauert das Praktikum stets zwei Wochen und findet in der Regel während des Semesters statt. Bewerben können sich sowohl Bachelor- als auch Masterstudenten, wobei erstere bereits 120 ECTS Punkte absolviert haben müssen. Weitere Voraussetzung ist das Absolvieren der Module Zivilprozessrecht und Strafprozessrecht und der Besuch der obligatorischen Einführungsveranstaltung. Am Ende des Praktikums muss eine kurze, schriftliche Arbeit verfasst werden. Im Gegenzug kann das Volontariat als Wahlmodul im Umfang von 3 ECTS Punkten an den Abschluss angerechnet werden. Im Gegensatz dazu kümmert sich der Student bei der zweiten Variante selber um sein Schnupperauditorat, das heisst, er bewirbt sich beim Gericht direkt. Dementsprechend gibt es auch von Gericht zu Gericht unterschiedliche Voraussetzungen: Einige Gerichte nehmen nur Studenten mit bereits absolviertem Bachelor, andere nehmen Studierende aller Semester. Auch die Dauer ist unterschiedlich – in der Regel zwischen zwei und vier Wochen – und der Beginn meist nach Absprache. So kann das Schnupperauditorat auch in den Sommer- oder Winterferien absolviert werden. Ich entschied mich für die zweite Variante. Dies einerseits deshalb, da ich ohnehin genügend ECTS Punkte während meines Bachelorstudiums „gesammelt“ hatte und dieses Praktikum auch nicht aus einer derartigen Motivation heraus absolvieren wollte. Andererseits wollte ich explizit nicht, dass das Praktikum

in die Vorlesungszeit fällt und fand zudem zwei Wochen etwas kurz. Da ich meinen Bachelorabschluss bei der Bewerbung noch nicht in der Tasche hatte, kam insbesondere das Bezirksgericht Andelfingen in Frage, da dort Studierende aller Semester ein

Schnupperauditorat Bezirksgericht Andelfingen Dauer: zwei bis vier Wochen Zeitpunkt: nach Absprache Voraussetzungen: Jusstudierende aller Semester Leistungsüberprüfung: keine Entlöhnung: keine Anmeldung/Bewerbung: beim Gericht direkt http://w w w.gerichte-zh.ch/organisation/bezirksgerichte/bezirksgericht-andelfingen/auditoriate.html

Praktikum

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Volontariat an einem Gericht: Gerichte: • Bezirksgerichte des Kantons Zürich • Preture Cantone Ticino Dauer: zwei Wochen, i.d.R. während des Semesters Voraussetzungen: • Module Strafprozessrecht und ZPR • Besuch der obligatorischen Einführungsveranstaltung • Bachelorstudenten: mind. 120 ECTS bereits absolviert Leistungsüberprüfung: • Vollständiges Absolvieren des Volontariats • Schriftliche Arbeit Entlöhnung: 3 ECTS Punkte (Wahlmodul) BEACHTE: das unentschuldigte Fernbleiben von der Einführungsveranstaltung sowie das unentschuldigte Nichterbringen eines Bestandteils des Leistungsnachweise gibt einen Fehlversuch! Anmeldung/Bewerbung: vgl. http://www.ius.uzh.ch/studium/lehrveranstaltungen/volontariat.html#

Schnupperauditorat absolvieren können. So bewarb ich mich vor rund einem Jahr für ein derartiges Schnupperauditorat an diesem Gericht. Das Bezirksgericht Andelfingen Andelfingen ist ein kleines, idyllisches Dorf, welches etwas nördlich von Winterthur liegt. Bereits vom Zug aus erspäht man den malerischen Kirchturm. Gleich daneben liegt das Bezirksgericht Andelfingen in einem etwas älteren, weiss gestrichenen Haus. Hier habe ich von Mitte August bis Anfang September mein Schnupperauditorat gemeinsam mit einer weiteren Studentin der Universität Zürich und einem Studenten der Universität Luzern absolviert. Das Bezirksgericht Andelfingen ist ein kleines Landgericht, das Arbeitsklima ist dementsprechend familiär und freundlich. Gerade auch aufgrund des Kontaktes zu Richtern, Gerichtsschreibern und Auditoren beim gemeinsamen Mittagessen war das Schnupperauditorat eine sehr lehrreiche Zeit. Tätigkeiten als „Schnuppi“ In den drei Wochen erlebten wir viele unterschiedliche Aspekte des Gerichtsalltags. So erhielten wir Einsicht in die Gerichtsakten und konnten an Gerichtsverhandlungen teilnehmen. Dabei erlebten wir Fälle betreffend Eheschutz, Ehescheidung, Arbeitsrecht und Vertragsrecht und konnten bei Rechtsöffnungen dabei sein. Als Teil des Gerichts sassen wir auf der Seite der Richter, Gerichtsschreiber und Auditoren – eine neue Perspektive im wortwörtlichen Sinne. So habe ich zwar als Schülerin bzw.

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Studentin bereits zwei Gerichtsverhandlungen beigewohnt, dies aber auf der Zuschauerseite. Im Unterschied zu damals konnten wir als „Schnuppis“ auch bei den Beratungen anwesend sein und so selbst miterleben, wie die Richter und Gerichts-

Wir erhielten Einsicht in die Gerichtsakten und konnten an Gerichtsverhandlungen teilnehmen. schreiber das weitere Vorgehen besprachen, Vergleichsvorschläge erarbeiteten oder sich sonst berieten. Gerade hinsichtlich Ehescheidungen war es meist sehr interessant, wie unterschiedlich die Verhandlungen abliefen und ausgingen, je nachdem, wie vergleichsbereit die Parteien waren. Hatten die Parteien beispielweise bereits im Vorhinein eine Konvention ausgearbeitet, war die Verhandlung innerhalb einer Stunde vorüber – seitens des Gerichts musste lediglich anhand einer Einzelbefragung abgeklärt werden, dass es der feste und freie Wille der Parteien war, sich zu scheiden und diese Konvention auch ohne Druck zustande kam. Es konnte aber auch sein, dass die Parteien so verstritten waren, dass auch nach vier

Praktikum


bis fünf Stunden kein Vergleich zustande gekommen war. Bei den Scheidungen war jeweils auch interessant, wie der Unterhaltsbedarf der einzelnen Personen berechnet wurde. Besonders eindrücklich waren die Verhandlungen, welche in der psychiatrischen Klinik Schlosstal in Winterthur stattfanden. Es handelte sich dabei jeweils um Fälle von Personen, die gemäss Art. 426 ff. ZGB fürsorgerisch untergebracht worden waren und die dagegen Beschwerde im Sinne von Art. 439 ZGB erhoben hatten. In den Verhandlungen waren jeweils der Patient, ein Gutachter und ein Vertreter der Klinik anwesend. Die Verhandlungen liefen jeweils so ab, dass zunächst der Gutachter auf einen Fragenkatalog antwortete (Hat die betroffene Person eine psychische Störung? Ist die psychiatrische Anstalt eine gute Einrichtung für die Behandlung der Person? Stellt die Person eine Gefahr für sich selbst oder für Dritte dar?). Danach konnten der Patient und die Klinik dem Gutachter Ergänzungsfragen stellen. Anschliessend schilderte die Klinik ihren Standpunkt und zuletzt wurde dem Patienten das Wort erteilt. Die erste Verhandlung, der ich in der psychiatrischen Klinik beiwohnte, war dabei die eindrücklichste. Es handelte sich um eine junge Frau, die manisch-depressiv war und klar unter starker Medikation stand. Mir vorzustellen, dass diese Frau nur wenig älter war als ich und dass bei ihr bereits von

einer chronischen Krankheit gesprochen wurde, war in gewisser Weise erschreckend. Neben der Gelegenheit, an den Verhandlungen teilzunehmen, erhielten wir von Zeit zu Zeit auch kleinere Aufträge: So konnten wir zu bestimmten Rechtsfragen Abklärungen mithilfe von Lehrbüchern und der Rechtsprechung treffen und darauf basierend Verfügungen entwerfen. An meinem letzten Tag durfte ich mich auch einmal am Protokoll versuchen. Fazit Ich kann ein solches Kurzpraktikum jedem empfehlen, der etwas mehr über die Tätigkeit an einem Gericht erfahren möchte. Es war eine spannende Zeit, die mir aufgezeigt hat, was eine Tätigkeit als Gerichtsschreiber oder Richter beinhaltet. Für mich persönlich war es auch das Richtige, das Praktikum im Rahmen eines „selbständig“ organisierten Schnupperauditorates und nicht im Rahmen eines Volontariates zu absolvieren. Ganz grundsätzlich möchte ich aber jedem ans Herz legen: Macht erste praktische Erfahrungen während eurer Studienzeit! Dies zeigt euch auch auf, in welchen Bereichen ihr nach eurem Studium möglicherweise tätig werden wollt, und stellt eine immense Bereicherung dar!

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Thema

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„ELSA Moot Court Competition“ im WTO-Recht Die internationale Handelsdiplomatie hautnah erleben Jean-François Mayoraz Im September letzten Jahres startete die 13. Ausgabe des „ELSA Moot Court Competition“. Es handelt sich dabei um den bedeutendsten internationalen Wettbewerb im Welthandelsrecht für Studierende. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich nahm zum ersten Mal mit einem Team bestehend aus drei Master-Studierenden teil und erreichte auf Anhieb das Weltfinale, welches im vergangenen Juni in Genf stattfand.

Internationaler Moot Court im Wirtschaftsvölkerrecht In der juristischen Ausbildung gibt es wenige Möglichkeiten, das gelernte theoretische Wissen praktisch anzuwenden. Eine willkommene Gelegenheit bieten hier Moot Courts. Dabei treten Studierende vor fiktiven Gerichten gegeneinander an und vertreten in einem erfundenen Streitfall die Prozessparteien. Moot Courts dienen als ideale Plattform, die erworbenen Kenntnisse in einem Rechtsgebiet zu vertiefen und praxisnah anzuwenden. Die Studierenden sind gefordert, in Teams zu arbeiten, eine Fülle von Informationen zu verarbeiten und ihre Argumente vor einem Gericht vorzutragen. Dies kommt einer anwaltlichen Tätigkeit in der Praxis sehr nahe. Mittlerweile existieren viele internationale und nationale Moot Courts, die eine grosse Bandbreite von Rechtsgebieten abdecken. Es gibt Moot Courts im Völkerrecht, Europarecht, Zivilrecht und – wie der hier vorgestellte Moot Court – im Wirtschaftsvölkerrecht. Der ELSA Moot Court Competition – oder kurz EMC2 – ist ein internationaler juristischer Wettbewerb, der seit 2002 jährlich stattfindet. Der Moot Court wird von der Jurastudentenvereinigung European Law Students’ Association (ELSA) organisiert. Rund 100 Teams nehmen jedes Jahr daran teil und simulieren ein Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO) zwischen zwei fiktiven Staaten. Grundlage dafür bildet ein erfundener, aus der Praxis inspirierter Streitfall im Bereich des zwischenstaatlichen Waren- und Dienstleistungshandels oder des Immaterialgüterrechts. Der Fall wird stets zu Beginn des akademischen Jahres im September publiziert. Die teilnehmenden Teams erhalten danach einige Monate Zeit, um ihre Klageschriften sowie -antworten für beide Prozessparteien zu verfassen und einzureichen. Die in den Rechtsschriften entwickelten Argumente werden in einer regionalen Ausscheidungsrunde (Regional Rounds), welche im Frühling des darauffolgenden Jahres stattfinden, mündlich vorgetragen. In

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Europa finden zwei Ausscheidungsrunden statt. Die jeweils vier besten Teams qualifizieren sich für das Weltfinale (Final Round) am Sitz der WTO in Genf. Hier treffen die besten 20 Teams aus der ganzen Welt aufeinander und machen den Gesamtsieger des Moot Courts unter sich aus. Die Arbeitssprache des Moot Courts ist Englisch. In dieser Sprache sind die Rechtsschriften wie auch die Plädoyers zu verfassen bzw. vorzutragen. Theorie: Einführung in das WTO-Recht Das dem EMC2 zugrunde liegende Rechtsgebiet ist das Recht der WTO (WTO-Recht), welches hauptsächlich den grenzüberschreitenden Austausch von Waren und Dienstleistungen sowie den Schutz von Immaterialgüterrechten regelt. Es bildet die Grundlage für die internationale Welthandelsordnung. Völkerrechtliche Regeln zu weiteren Handelsfragen finden sich ferner in Freihandelsabkommen und weiteren Verträgen wie bspw. in den Bilateralen I und II zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Wer sich dafür interessiert, wie Staaten ihre Handelsbeziehungen untereinander regeln, wird früher oder später mit dem WTO-Recht in Berührung kommen. Die WTO wurde 1995 gegründet und ist eine internationale Organisation mit Sitz in Genf. Sie hat aktuell 161 Mitglieder, welche rund 95% des Welthandels abdecken. Alle wichtigen Handelsnationen wie China, die USA, Russland oder Brasilien sind Mitglieder. Auch die Schweiz ist als Gründungsmitglied an die WTO-Regeln gebunden. Als institutioneller Rahmen für die Welthandelsordnung bietet die WTO seinen Mitgliedern in erster Linie ein Forum für Verhandlungen über Handelsabkommen sowie ein Streitbeilegungssystem. Unter dem Dach der WTO haben die Mitgliedstaaten eine Vielzahl von multilateralen Handelsabkommen abgeschlossen, die in drei Gruppen unterteilt werden können und damit gleichzeitig die drei Säulen der WTO bilden.

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Die erste Gruppe umfasst die Abkommen zum Warenhandel. Hier steht das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) im Vordergrund. Das GATT wird durch weitere Abkommen im Bereich Agrarhandel, Subventionen, technische Handelshemmnisse, etc. punktuell ergänzt. Die zweite Gruppe betrifft den Handel mit Dienstleistungen. Das GATS (General Agreement on Trade in Services) enthält die einschlägigen Regeln. Schliesslich werden in der Bildquelle: www.wto.org dritten Gruppe die handelsrelevanten Aspekte im Bereich des Geistigen Eigentums durch das TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) geregelt. Zu den in diesen Abkommen enthaltenen wichtigsten Prinzipien gehört das Prinzip der Nichtdiskriminierung, welches zwei Ausprägungen kennt. Zum einen sind die Mitglieder der WTO nach dem Prinzip der Meistbegünstigung (Most Favoured Nation; MFN) verpflichtet, Produkte aller WTO Mitglieder

Wer sich dafür interessiert, wie Staaten ihre Handelsbeziehungen untereinander regeln, wird früher oder später mit dem WTO-Recht in Berührung kommen. gleich zu behandeln. Zum anderen verlangt das Prinzip der Inländerbehandlung (National Treatment; NT), dass importierte Produkte aus Mitgliedstaaten der WTO gegenüber inländischen Produkte nicht diskriminiert werden. Das Prinzip der Nichtdiskriminierung kommt allerdings nur auf Endprodukte zur Anwendung und berücksichtigt unterschiedliche Produktionsund Verarbeitungsmethoden (Process and Production Methods, PPMs), die keine Veränderungen im Endprodukt bewirken, grundsätzlich nicht. So dürfen bspw. zwei gleich aussehende Fussbälle nach dem Prinzip der Nichtdiskriminierung weder beim Import (z.B. unterschiedliche Zolltarife) noch im Inland

(z.B. unterschiedliche Besteuerung) ungleich behandelt werden, auch wenn der eine Fussball unter bedenklichen Arbeitsbedingungen hergestellt wurde. Die Praxis zu PPMs ist allerdings wenig gefestigt. Ein weiteres wichtiges Abkommen ist die „Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Streitbeilegung“ (Dispute Settlement Understanding, DSU), welche die Streitschlichtung zwischen den Mitgliedstaaten regelt. Das Streitschlichtungssystem der WTO ist deren Kronjuwel und einzigartig im Völkerrecht. Es sieht ein dreistufiges Vorgehen bei Handelsstreitigkeiten aus den WTO-Abkommen vor. Die involvierten Streitparteien erhalten zunächst 60 Tage Zeit, sich im Rahmen eines Konsultationsverfahrens gütlich zu einigen. Danach können die Parteien ad hoc ein Schiedsgericht (Panel) einsetzen. Gegen den Entscheid des Panels kann bei der ständigen Rekursinstanz (Appellate Body) Berufung eingelegt werden. Dieser entscheidet letztinstanzlich über eine Handelsstreitigkeit. Sofern die unterlegene Partei den Entscheid nicht umsetzt, kann die Gegenpartei ermächtigt werden, Gegenmassnahmen zu ergreifen. Diese Möglichkeit erhöht die Durchsetzbarkeit des WTORechts erheblich. Zudem ist das Streitbeilegungsverfahren für alle Mitgliedstaaten obligatorisch. Das bedeutet, ein WTO-Mitglied muss sich dem Verfahren stellen, wenn es von anderen Mitgliedern beklagt wird. Insgesamt verfügt die WTO über ein effektives Streitbeilegungsverfahren, das die Einhaltung der Abkommen gewährleistet. Der EMC2 simuliert ein solches Streitbeilegungsverfahren auf Stufe Panel. Im zweiten Teil des Moot Courts wird eine Panel-Verhandlung durchgespielt; die Teams tragen ihre Argumente zum Streitfall mündlich vor. Das Panel besteht aus fachkundigen Experten, welche die Rolle der Schiedsrichter einnehmen. Sie fordern die Teams während der Verhandlung mit kritischen Fragen heraus und beurteilen im Anschluss die dargebotene Leistung.

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Thema


Praxis: Durchsetzung nationaler Produktionsstandards im Ausland aus Sicht des WTO-Rechts Ein Blick auf den Sachverhalt des letztjährigen EMC2 bietet ein gutes Beispiel für eine Handelsstreitigkeit zwischen zwei Staaten. Der fiktive Staat Viridium wurde von einer Naturkatastrophe heimgesucht, welche die landwirtschaftliche Infrastruktur des Staates komplett zerstörte und die damalige Regierung aufgrund deren mangelhaften Krisenmanagements zum Rücktritt zwang. In der Folge kam die „Grüne Partei“ an die Macht und beabsichtigte, den Landwirtschaftssektor in einer nachhaltigen Weise wiederaufzubauen. Dazu erliess die neue Regierung ein Gesetz, in dem strengere Bestimmungen für das Halten und Schlachten von Tieren sowie ein Importverbot für Tierprodukte eingeführt wurde, die nicht den neuen Produktionsanforderungen entsprachen. Der Staat Ruberia exportiert seit Längerem Tierprodukte nach Viridium und erreicht je nach Produkt einen Marktanteil von bis zu 80% im Markt von Viridium. Die neuen strengeren Vorschriften in Viridium in Verbindung mit dem Importverbot treffen Ruberia daher hart. Ruberia wehrt sich gegen die neuen Vorschriften, insbesondere gegen das Importverbot, und initiiert ein Streitbeilegungsverfahren vor der WTO. Die Moot Court-Teams waren nun aufgefordert, eine Klageschrift für Ruberia und eine Klageantwort für Viridium zu verfassen. Im Wesentlichen geht es in dieser Handelsstreitigkeit um die Frage, ob das WTO-Recht dem Staat Viridium Spielraum bietet, seine hohen Standards bei der Produktion von Tierprodukten auch gegenüber eingeführten Tierprodukten durchsetzen zu können. Es geht also um die unterschiedliche Behandlung von gleichartigen Produkten, welche verschiedenartig produziert wurden. Damit wird die Frage nach der Berücksichtigung von PPMs bei der Anwendung des Prinzips der Nichtdiskriminierung aufgeworfen. Obwohl es sich um eine fiktive Handelsstreitigkeit handelte, hatte der Fall zumindest für die Schweizer Teams einen besonders starken Bezug zur Realität. Ende November 2015 lief die Sammelfrist für die „Fair Food“-Initiative der Grünen ab, welche die Anwendung der hohen Schweizer Produktionsstandards auf eingeführte Landwirtschaftsprodukte fordert. Sofern diese Volksinitiative zustande kommt und zur Abstimmung vorgelegt wird, stellt sich wie im Moot CourtFall die Frage nach der WTO-Kompatibilität einer solchen Verfassungsbestimmung. Eine definitive Antwort zu dieser Frage konnte im Rahmen des Moot Courts nicht erwartet werden. Auf den ersten Blick schien Ruberia in einer stärkeren Position zu stehen. Aus dem Studium der jüngeren Rechtsprechung und der Literatur ergaben

sich allerdings durchaus gute Argumente auch für Viridiums Position. Die Teams legten denn auch interessante und innovative Argumente für beide Parteien vor. Es wird sich erst in einem realen Streitfall zeigen, wie die Mitglieder eines WTO-Panels einen solchen Streitfall beurteilen und inwieweit dies mit den Einschätzungen der Studierenden übereinstimmt. Teilnahme Die Universität Zürich war am letztjährigen EMC2 das erste Mal mit einem Team bestehend aus drei Studierenden vertreten. Nina Burghartz, Patricia Soltani und Luca Nef waren dabei sehr erfolgreich und qualifizierten sich an der Regional Round in Halle (D) für das Weltfinale in Genf. Die Teilnahme am EMC2 wird von Prof. Matthias Oesch im Rahmen eines Seminars und in Zusammenarbeit mit ELSA Zürich ermöglicht. Jeweils im Frühlingssemester werden die Studierenden über den Moot Court und das Auswahlverfahren informiert und können sich danach bewerben. Ein Team besteht aus zwei bis vier Studierenden und wird von Prof. Oesch sowie seinem Lehrstuhl begleitet. Der Moot Court spricht vor allem Studierende mit besonderem Interesse an internationalen Beziehungen und zwischenstaatlicher Streitbeilegung an. Kenntnisse im WTO-Recht sind erwünscht, aber nicht zwingend. Die ausgewählten Studierenden erhalten eine Einführung in das WTO-Recht und lernen die einzelnen Abkommen „on the case“ kennen. Eine Teilnahme am EMC2 lohnt sich trotz des beträchtlichen Arbeitsaufwandes, welcher mit 18 ECTS vergütet wird, in vielerlei Hinsicht. Zum einen erhalten die Studierenden einen Einblick in die internationale Handelsdiplomatie und vertreten einen Staat und seine Aussenwirtschaftsinteressen in einer Rechtsstreitigkeit. Zum anderen ermöglicht der Moot Court mit Praktikern und Studierenden aus aller Welt in Kontakt zu treten. Das soziale Rahmenprogramm ist sowohl an der Regional Round als auch am Weltfinale üppig gefüllt mit Stadtrundgängen, Kanzleibesichtigungen, Abendessen und Partys. Es bieten sich also genügend Gelegenheiten Leute kennenzulernen und neue Kontakte zu knüpfen. Diese internationale Atmosphäre des Moot Courts sorgt für ein besonderes Erlebnis.

Weitere Informationen Homepage des Lehrstuhls von Prof. Oesch: www.rwi.uzh.ch/oesch Homepage des Moot Courts: www.elsamootcourt.org

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Interview mit Teilnehmerinnen des Moot Courts

Nina Burghartz (NB) und Patricia Soltani (PS) haben zusammen mit Luca Nef als erstes Team der Universität Zürich am EMC2 teilgenommen. Im folgenden Interview erzählen sie von ihren Erfahrungen und geben Tipps für eine erfolgreiche Teilnahme.

Weshalb hast du dich für die Teilnahme am WTO Moot

Bist du vor dem Moot Court bereits mit dem WTO-Recht

Court gemeldet?

in Berührung gekommen?

NB: Primär aus Interesse am WTO-Recht. Daneben fand ich auch die Gelegenheit an einem Moot Court teilzunehmen toll, da man so Erfahrungen sammeln kann, die einem ein Jus-Studium sonst nicht bietet, insbesondere im Bereich Präsentationstechniken und Teamarbeit.

NB: Nicht wirklich. Im Rahmen der Völkerrechtsvorlesung haben mich aber die kurzen Bemerkungen zum Wirtschaftsvölkerrecht speziell interessiert. Zudem interessieren mich Schnittstellen zwischen Ökonomie und Recht grundsätzlich sehr.

PS: Ich wollte einen Moot Court machen, weil ich das für eine relevante und nützliche Erfahrung als Ergänzung zum theorielastigen Studium halte. Rückblickend war das die beste Entscheidung, die ich während meinem gesamten Studium getroffen habe.

PS: Nein, gar nicht. War es eine Herausforderung oder ein Problem sich in dieses neue Rechtsgebiet einzuarbeiten? Wie bist du vorgegangen?

NB: Am Anfang fand ich es schon eher schwierig, da ich überhaupt keinen Überblick über die wichtigsten Konzepte des WTO-Rechts hatte. Im Nachhinein meine ich, dass wir relativ „chaotisch“ und strategisch nicht besonders sinnvoll vorgegangen sind. Irgendwie haben wir uns zu spät mit den wichtigsten Grundkonzepten des WTO-Rechts auseinandergesetzt. So haben wir in den ersten beiden Monaten etwas Zeit verloren. Als dann aber die Abgabe der Written Submissions Mitte Januar näher kam, ging es plötzlich doch ganz gut und man gewann das WTO-Recht immer lieber!

Das Team in Action

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PS: Ich habe mich quälend langsam eingelesen – angefangen bei der allzu bekannten „in a nutshell“-Reihe, übergehend zum case law. Von den Fällen verstand ich zu Beginn nur Bahnhof, weil sie technische – teilweise naturwissenschaftliche – Fragen bis ins kleinste Detail abhandeln. Irgendwann begannen sich jedoch immer wiederkehrende Strukturen abzuzeichnen, denen man die wichtigsten Rechtsgrundsätze entnehmen konnte. Folglich war der Lernprozess genau anders herum wie bei einer klassischen Vorlesungsveranstaltung – eine bereichernde Herausforderung würde ich sagen.

Seminar


Von links nach rechts: Nina Burghartz, Patricia Soltani, Luca Nef

Was waren die Highlights für dich während diesem Moot

Was konntest du persönlich aus deiner Teilnahme an

Court?

diesem Moot Court mitnehmen?

PS: Die Plädoyers waren der beste und aufregendste Teil: Eine riesige Herausforderung, man muss mitdenken, spontane Argumente finden, sich behaupten, diplomatisch bleiben, die eigene Nervosität im Griff haben und das auf Englisch – unter anderem gegen Harvard – und so war es dann auch kein schlechtes Gefühl, gleich als Erstes aufgerufen zu werden, als die Weltfinalisten (in Halle) verkündet wurden.

NB: Ganz viele verschiedene Dinge, wovon die wichtigsten die Folgenden sind. Erstens: Weitgehende Kenntnisse im WTORecht, in einem kleinen Teil davon gar bis ins Detail der aktuellen akademischen Diskussion. Damit verbunden auch sehr viel Freude daran. Zweitens: Plädoyer-Fähigkeiten und die „fast echte" Erfahrung, einmal vor einem Panel und einer Gegenpartei aufzutreten und spontan auf deren Fragen / Argumente zu reagieren. Sodann auch die Erfahrung, länger an einem relativ umfangreichen und komplexen Fall zu arbeiten. Drittens: Sowohl sehr positive (bspw. zusammen intensiv an einer Formulierung einer kurzen Passage arbeiten) wie auch einige schwierige (bspw. Arbeitsaufteilung, Zeitmanagement, unterschiedliche Vorstellungen von „Arbeitsintensität“) Erfahrungen in Sachen Teamwork, die für die berufliche Zukunft sicher sehr wertvoll sein werden.

NB: WTO-Recht als super spannendes und herausforderndes Rechtsgebiet. Der Austausch und Vergleich mit den anderen Teams gefiel mir sehr. Die teilweise starken Plädoyer-Fähigkeiten anderer Mooties, etwa vom Team Harvard oder von den indischen Teams im Final, waren beeindruckend. Ebenso gefiel mir der Hauptsitz der WTO in Genf als Veranstaltungsort des Weltfinals sowie die internationale Atmosphäre und die verschiedensten Leute, die man dort getroffen hat. Interessant waren die herausfordernden mock pleadings und deren total unterschiedlicher Verlauf (je nach Panelisten). Und nicht zuletzt waren auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit unserem Coach und weiteren Personen des Lehrstuhls von Prof. Oesch bereichernd.

PS: Sehr einverstanden. Ausserdem: Bekanntschaften aus aller Welt und komplett anderen Kulturkreisen. Wem würdest du die Teilnahme an diesem Moot Court empfehlen?

Wie hast du die Welt der Handelsdiplomatie erlebt?

NB/PS: „We're like a family and the international trade law family is veeeerry small.“ Das immer wiederkehrende Mantra aller Referenten, Gäste, Panelisten, Akademiker, Anwälte, Networking-Gurus, Händeschüttler, lächelnden Brillenträger und aufgetakelter Promoterinnen. NB: Daneben auch einen Einblick in eine inhaltlich äusserst spannende Welt, die mich beruflich schon auch reizen würde.

NB: Ich würde den Moot Court Personen mit Interesse am WTO-Recht sowie mit Ausdauer und Leidenschaft für juristische Detailfragen und Spielereien empfehlen. PS: Allen, die Freude am akademischen Austausch in einem internationalen Umfeld haben und gerne mal über den Tellerrand der guten alten Alma Mater blicken würden.

Seminar

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Geld, Macht, Liebe und die Grenzen des Rechts Julia Meier Geld, Macht und Liebe bewegen unsere Welt. Das Recht versucht, diese Impulse irgendwie einem Normensystem zu unterwerfen, dem Chaos der Menschheit eine Struktur zu vermitteln und Verantwortlichkeit zu begründen. Das Recht stösst dabei zwangsläufig an seine Grenzen. Das vorliegende N’Jus versucht diesen Grenzen des Rechts auf die Schliche zu kommen – beginnen wir diese Suche doch bei den grossen Kräften unserer Welt.

Recht als Reaktion Die Finanzmärkte gehören zu den undurchsichtigsten menschlichen Systemen und legen eine unglaubliche Anpassungsfähigkeit an den Tag. Diese Eigenschaften führen dazu, dass das Recht immer hinterherhinkt; es kann die neusten Entwicklungen nur im Nachhinein aufnehmen, verarbeiten und im schlimmsten Falle lediglich versuchen, den Schaden zu begrenzen. So benötigen neue Zahlungsmittel wie Bitcoins eine rechtliche Grundlage und die Banken werden während den Nachwehen der Krise an die Kandare genommen und stärker reguliert. Eine neuere Entwicklung, welche das Recht herausfordert, ist das Phänomen der Negativzinsen. Auch der Grundsatz, dass dem Überlassen von Geld ein Entgelt gegenüber steht, ist in der Welt der Finanzen nicht in Stein gemeisselt. Die Finanzmärkte können sich dieser Umkehrung der Leistungsschuld relativ komplikationslos anpassen. Heute sind Negativzinsen ein Fakt. Im Nachhinein muss sich das Recht nun mit diesem neuen Faktum herumschlagen und versuchen, dieses in den eigenen Code, die juristische Sprache, zu übersetzen. Wenn für das Recht der Zinsbegriff vor der Null aufhört, worunter kann man dann Negativzinsen subsumieren? Die verschiedenen Lösungsvorschläge führen zu anderen Rechtsfolgen und Auswirkungen in den verschiedensten Rechtsgebieten. Auch wenn eine Antwort nicht einfach ist, muss sie doch geliefert werden – dies verlangen die Realität und unser dichotomes Rechtsdenken. Finanzmärkte wirtschaften und walten, das Recht versucht mit den Veränderungen umzugehen und schrittzuhalten. Das Recht kann oftmals, nicht bloss in der Finanzwelt, nur reagieren und muss sich mit dem Gegebenen abfinden. Dass das Recht dadurch an Grenzen stösst, ist unvermeidlich. Grenzenlose Liebe Und dann ist da die Liebe. Kein Phänomen dieser Welt wurde und wird mehr besungen, beschrieben, verflucht und vergöttert. Das Schöne an der Liebe ist, dass sie als Kraft nach eigenen

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universellen Regeln funktioniert und Grenzen missachtet, überwindet und verschwinden lässt. Auch wenn oft chancenlos, versucht das Recht diese Kraft in bestimmte Bahnen zu leiten. Das reicht von Konkubinatsverboten (dasjenige im Wallis wurde erst 1996 aufgehoben) bis hin zu rassistisch motivierte Überlegungen während der Apartheid, der Segregation oder dem Nationalsozialismus. Wenn es zur Liebe und ihrer rechtlichen Regelung kommt, ist heute die Diskussion zur „EheFürAlle“ allgegenwärtig. Dieses Jahr hat der Supreme Court der Vereinigten Staaten das Verbot der Ehe für Lesben und Schwule als verfassungswidrig erklärt, das katholische Irland per Volksentscheid die Ehe für Homosexuelle geöffnet und die beiden Rechtskommissionen der Schweizer Bundesversammlung stimmten einer entsprechenden parlamentarischen Initiative zu. Das Recht macht auch vor Sex, dem zwischenmenschlich intimsten Akt, keinen Halt. Beunruhigende und traurige Fälle von sexueller Gewalt an Universitäten und Colleges haben die USA erschüttert. Nicht nur abscheuliche Fälle von rape-culture, welche am pointiertesten mit der Zeile „no means yes, yes means anal“ ausgedrückt werden kann, sondern auch das Unter-denTeppich-Kehren durch die Universitätsleitungen, um den eigenen Ruf zu schützen, führten (endlich) zu einem Aufschrei und einer öffentlichen Diskussion. In Kalifornien mündete diese in einem Gesetz, welches auf Geländen von staatlich unterstützten Hochschulen sexuelle Aktivitäten nur bei einer „affirmative, unambigious and conscious decision“ beider Parteien erlaubt. Dies führt zur absurden Situation, dass man(n) vor dem Akt sicherheitshalber ein schriftliches Okay einholen sollte. Man kann sich fragen, ob das Recht geeignet ist, diese höchstpersönliche und intime Sphäre zwischen Individuen zu gestalten. Ist das Recht in diesen Fällen nicht vielmehr ein Spielball des Sittenverständnisses der Mehrheit oder eine hochgelobte Wunderwaffe, welche jedoch das Problem weder löst noch überhaupt zu lösen vermag? Führt unser Glaube an das Recht dazu, dass wir es in Sphären eingreifen lassen, wo es

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gar nichts zu bewirken vermag und eigentlich auch nichts zu suchen hat? Ist die Liebe vielleicht ein Bereich des Lebens, welchen das Recht inhärenterweise nicht regulieren kann? Macht im Recht Macht ist ebenso mit dem Menschsein verbunden wie die Liebe (und das Recht). Gewaltenteilung, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Schutz von Minderheiten sind etwas vom Grössten, was die Menschheit erschaffen hat. Die Erkenntnis, dass Macht eingeschränkt werden muss, wurde blutig gewonnen. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass Macht gerade im Recht immer eine Rolle spielen wird: Das Recht ist die Hure der Macht. Man kann diese Rolle begrenzen, versuchen Transparenz zu schaffen und ihren Einfluss einzuschränken, ja; aber wir müssen uns auch eingestehen, dass Macht mit dem Menschsein, und somit mit dem Rechtssystem, notwendigerweise verknüpft bleibt. Macht ist etwas Menschliches und Unmenschliches zugleich – um nochmals frei zu zitieren. Die Macht im Recht zeigt sich nur schon durch die, wiederum notwendige, Verknüpfung zur Politik. Dort spielen nicht nur der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ gemäss Habermas eine Rolle, sondern auch Networking, Lobbying, Einfluss, gesellschaftliche Hierarchien und Geld. Die Schweiz ist das einzige OECD-Land, welches keine Regeln zur Transparenz von Parteifinanzierungen kennt und wird dafür von der internationalen Gemeinschaft immer wieder gerügt. Der Bund erklärt diese fehlende Regulierung durch die Eigentümlichkeit der direkten Demokratie der Schweiz. Ob dieses Argument wirklich überzeugt, ist fraglich und die Transparenz-Gesetze in den Kantonen Genf, Tessin und Neuenburg beweisen das Gegenteil. Überspitzt gesagt: Der Mächtige definiert, was Recht ist. Kann das Recht somit gar nie „objektiv“ sein? Diese Frage stellen beispielsweise feminist legal theorists schon lange, scheitern aber oft am Gehört-Werden, zumindest in Kontinentaleuropa. So kann man die Entstehung der Menschenrechte als Versuch des weissen männlichen Mittelstandes verstehen, sich gegen seine grösste Bedrohung – den Staat, welcher ihm sein Eigentum und seine Freiheiten wegnehmen könnte – zu schützen. War und ist dies jedoch auch die grösste Bedrohung für Frauen, welche sich traditionell vielmehr in der private sphere bewegen? Dass sich das UN Committee against Torture nun auch mit Genitalverstümmelung und häuslicher Gewalt befasst, alles Menschenrechtsverletzungen, die nicht vom Staat ausgehen, geht in die richtige Richtung. Die Wissenschaftlichkeit im Recht Wir haben somit gesehen: Das Recht stösst oft an seine Grenzen. Es wird von der Wirklichkeit überrumpelt, ihm werden Bereiche zur Regelung übergeben, in denen es nur überfordert sein kann und seine Objektivität wird immer wieder (zu Recht) in Frage

gestellt. Doch all diese Grenzen sind Teil des Rechts und wohl bekannt. Wenn man sich diese immer wieder vor Augen führt, dann liefert das Recht auch die Mittel mit ihnen umzugehen und aus Begrenzungen Neues zu schaffen. Dies verlangt aber auch eine gewisse Demut und kritische Haltung, welche uns Juristinnen und Juristen manchmal abhanden kommt. Dass diese Grenzen aber dazu führen, dem Recht die Wissenschaftlichkeit abzusprechen, wäre ein Fehlschluss. Diese Negation ist eine Grenze, welche dem Recht immer wieder auferlegt wird und es sich manchmal auch selber setzt. Der Aufstieg und Erfolg der Naturwissenschaften, der hard sciences, hat dazu geführt, dass man alle anderen wissenschaftlichen Methoden weniger ernst nimmt. Die Geistes- wie auch die Rechtswissenschaften können keine eindeutigen, klaren Lösungen hervorbringen, sie sind weder messbar noch in genauen Zahlen ausdrückbar. Aus dem Vergleich der Methodik wird manchmal eine Hierarchisierung gefolgert und im schlimmsten Falle resultiert eine Negation der Wissenschaftlichkeit der Nicht-Naturwissenschaften. Dieses Fazit folgt einerseits aus einer Überhöhung der Objektivität der Naturwissenschaften und andererseits aus einem falschen Verständnis von Wissenschaftlichkeit. Diese These sprengt bei weitem den Rahmen dieser Ausführungen, soll aber trotzdem kurz erläutert werden. Auch die Naturwissenschaften bilden nicht die Welt an sich ab, sondern liefern Modelle, wie wir Menschen die Welt verstehen und welche lediglich durch ein einziges Experiment falsifiziert werden können. Diese Erkenntnis brachte uns Karl Popper vor ungefähr hundert Jahren. So ermöglichen uns die newtonschen Axiome der klassischen Mechanik zuverlässige Vorhersagen: dass beispielsweise der Apfel vom Baum fällt, und zwar mit einer bestimmbaren Geschwindigkeit. Aber Einstein sowie die Quantenmechanik haben die darin enthaltenen Fehler aufgedeckt und die klassische Mechanik somit falsifiziert. Es ist jedoch immer noch ein funktionierendes Modell der Welt und ihrer Naturgesetze, nicht mehr und nicht weniger. Die Wissenschaftlichkeit des Rechts besteht darin, dass es im Rechtsdiskurs bessere und schlechtere Argumente gibt. Es gibt Argumente, die vor Gericht niemals verfangen würden. Ein Gerichtsurteil muss nachvollziehbar sein und zu einer vertretbaren Lösung führen. Die Wissenschaftlichkeit des Rechts zeigt sich darin, dass die Methodenlehre im Recht eine grosse Rolle spielt, dass die Methode diskutiert wird, dass sie hinterfragt und neu aufgegleist wird. Dadurch, dass die Rechtswissenschaft an der eigenen Methode arbeitet, kann die Rechtswissenschaft einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Rationalität zu Recht geltend machen. Das Recht hat Grenzen, ja. Manche bestehen und andere sind lediglich Minderwertigkeitskomplexe, welche überwunden werden können. Aber wir müssen uns mit ihnen befassen.

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FACHVEREIN JUS

Neues aus dem Fachverein Das Jahr 2015 neigt sich unaufhaltsam seinem Ende entgegen und wir vom Fachverein Jus möchten diese Gelegenheit für einen kurzen Rückblick nutzen. Es liegt ein bewegtes Jahr hinter uns, wobei sich der Fachverein aufs Neue dafür einsetzte, die Interessen der Studierenden gegenüber der Fakultät sowie der Universität zu vertreten und zugleich den Studentenalltag mit verschiedenen Events – akademischer, sportlicher sowie sozialer Natur - zu bereichern.

Vorstand Aufgrund zahlreicher personeller Änderungen in den Reihen des Vorstandes wurden an der ausserordentlichen Generalversammlung vom 1. September 2015 Benedict Vogt und Patrick Müntener in den Vorstand gewählt. Benedict Vogt übernimmt das Amt des Vizepräsidenten und Patrick Müntener widmet sich als Kassier den Finanzen. Ferner bekleidet neu Bettina Hunter das Amt der Präsidentin. Den Zurückgetretenen danken wir für ihr Engagement im Fachverein! jusCoaching Während der Sommerferien hat der Vorstand das jusCoachingKonzept etwas erneuert und weiterentwickelt und wir haben uns sehr über die positiven Rückmeldungen gefreut. Für Erstsemestrige gilt aber weiterhin: Im ersten Jahr an der Uni und unzählige unbeantwortete Fragen? Dann bist Du bei den jusCoachings genau richtig. Dies ist eine Veranstaltungsreihe, in der Dir zunächst in einem kurzen Vortrag nützliche, allgemeine Informationen zu unterschiedlichen Themengebieten rund ums Jusstudium vermittelt werden. Beim anschliessenden

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Vorstand des Fachverein Jus, von links nach rechts: Benedict Vogt, Bettina Hunter, Patrick Müntener, Carmen Honegger

FV Jus


Podiumsdiskussion „Landes- vor Völkerrecht?“

Apéro kannst Du Studierenden höherer Semester, die sich als Coaches zur Verfügung stellen, im persönlichen Gespräch Fragen stellen. Die Coaches stehen Dir auch per E-Mail (juscoaching@fvjus.ch) zur Verfügung. Erstsemestrigentag Der alljährlich durch den Fachverein Jus, die ELSA Zürich und die Rechtswissenschaftliche Fakultät organisierte Erstsemestrigentag ging auch dieses Jahr (fast) reibungslos über die Bühne und erleichterte den „Neuen“ an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät den Einstieg.

JusCoaching

jusLess Party für Juristen Zur diesjährigen Edition der jusLess Party im Mascotte durfte der Fachverein die beiden Ständeratskandidaten Prof. Daniel Jositsch und Prof. Hans-Ueli Vogt zur Podiumsdiskussion begrüssen. Die beiden Politiker und Professoren der Rechtswissenschaften debattierten zu Themen wie Flüchtlingskrise und EU-Beitritt, erzählten aber auch aus ihrer Studentenzeit und ihrem Werdegang. Podiumsdiskussion Im April organisierte der Fachverein Jus eine Podiumsdiskussion zum Thema „Landes- vor Völkerrecht?“, welche knapp 1‘000 Zuschauer anlockte. Dabei diskutierten Persönlichkeiten der Politik sowie je ein Fachexperte der Rechts- und Politikwissenschaften über die Selbstbestimmungsinitiative der SVP sowie die Stellung des Völkerrechts (bzw. „fremder Richter“) im Allgemeinen.

Auf dem Stadtrundgang am Erstsemestrigentag 2015

RECHT praktisch! Gleich zu Beginn dieses Herbstsemesters durften wir mit rund 40 Studierenden Niederer Kraft & Frey besuchen und erhielten Abendessen nach der Aktivmitgliederversammlung

FV Jus

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so einen Einblick in den Alltag einer der grössten Wirtschaftskanzleien in Zürich. Im Rahmen dieses Besuches wurde zunächst NKF als Kanzlei vorgestellt und anschliessend gaben zwei Substitute einen Einblick in ihren Alltag. Nach einer kurzen Pause erzählte ein Partner etwas über den Sika-Fall und eine weitere Partnerin stellte kurz ihren Werdegang und ihren Weg zu NKF vor. Beim anschliessenden Apéro hatten die Studierenden die Gelegenheit, ihre individuellen Fragen zu stellen und mehr über NKF als Arbeitgeber zu erfahren. Anfangs Oktober durften wir dann auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich sowie das Flughafengefängnis besuchen. Auch bei den Kanzleien Lenz & Staehelin und Walder Wyss durften wir dieses Jahr erstmals einen Blick hinter die Kulissen werfen.

Kanzleibesuch bei Niederer Kraft & Frey

Werde auch Du aktiv! Möchtest Du an geselligen Events teilnehmen oder diese selbst organisieren? Dann wende Dich per E-Mail an contact@fvjus.ch oder schaue ganz unverbindlich an einer unserer Veranstaltungen vorbei! Für den Fachverein Bettina Hunter, Präsidentin

Our strength lies in our people Substitutin / Substitut Niederer Kraft & Frey ist eine grosse, international ausgerichtete Wirtschaftskanzlei in Zürich. Wir beraten und begleiten anspruchsvolle Klienten seit über 75 Jahren und erarbeiten innovative Lösungen für komplexe Herausforderungen. Möchten auch Sie Teil unseres Teams werden? Wir suchen überdurchschnittlich qualifizierte und dynamische Substitutinnen und Substituten. Wir bieten wertvolle Entwicklungsmöglichkeiten und spannende Arbeit in einem motivierenden Umfeld. Sie erleben bei uns viel Abwechslung, erhalten einen interessanten Einstieg in die Praxis und lernen eine der erfolgreichsten Schweizer Kanzleien von innen kennen. Ein erster Schritt zu Your NKF. Während des Studiums bieten wir auch im Rahmen von 4 bis 8-wöchigen Praktika einen Einblick bei NKF. Besuchen Sie uns auf www.your-nkf.ch

your-nkf.ch

Niederer Kraft & Frey AG Bahnhofstrasse 13 · CH-8001 Zürich Telefon +41 58 800 8000 · Telefax +41 58 800 8080 your-nkf@nkf.ch · www.nkf.ch

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be part of it FV Jus


Ius Alumni

Die Alumnivereinigung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät fördert die persönlichen Kontakte zwischen Ehemaligen und Studierenden. Sie will einen Austausch von Wissen und Erfahrungen über die verschiedenen Berufe hinweg ermöglichen. Hierfür organisieren die Ius Alumni diverse Fachvorträge, Führungen, Besichtigungen und andere Anlässe. Zudem unterstützen sie das Alumni-Haus, welches günstigen Wohnraum für Austauschstudierende anbietet. Eine Mitgliedschaft bei den Ius Alumni ist bereits mit dem Bachelor-Abschluss möglich. Im ersten Jahr kann eine Probemitgliedschaft gratis erworben werden, danach beträgt der Mitgliederbeitrag Fr. 40.- pro Jahr (bzw. eine Lebensmitgliedschaft Fr. 800.-).

Referat von Regine Aeppli

Veranstaltungskalender 2016 17.03.16, 18.30 Uhr:

Mitgliederversammlung Anschliessend Referat von Prof. Dr. Christine Kaufmann, Dekanin der Rechtswissenschaft- lichen Fakultät der Universität Zürich

21.04.16, 18.30 Uhr:

„Das Bundesgericht heute und morgen - Erfahrungen und Perspektiven“ Prof. Dr. Ulrich Meyer, Vizepräsident des Bundesgerichts

22.09.16, 18.30 Uhr:

„Rückblick auf spektakuläre Kapitalverbrechen“ Dr. Ulrich Weder, Leitender Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich

10.11.16, 18.00 Uhr:

Stadtspaziergang (Stadt Zürich)

Mitgliederversammlung mit Referat von Prof. Dr. Ernst

Referat von Dr. Peter Kurer

Alumni

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The Limits of Studying Law Francisco Rapp

The idea of studying law came to my mind when I was writing my high school thesis. I was investigating the evolution of drug legislation and comparing it with the evolution of the drug consumption in society… Impossible not to become fascinated by the potential of those black characters on a white paper! Studying law, you discover that your personality, your dignity, your health, even your life, the economy and the peace of your country and of the world can be protected or endangered by a law. Dick Marty once told me something like „just start studying law without worrying too much about the future. Knowing the law is the key. Once you understand how it works, you’re going to find the way to make things change, or at least to try“. For the first time in my life, I realized what I wanted to do when I grew up: to analyze social phenomena and change the law to prevent and heal sorrows, thus making everyone’s life better. Now, let’s go back to reality. After two years studying law at the University of Zurich, I can say I am impressed by how – no matter what unusual and sometimes unrealistic case you are given to deal with – you can write pages and pages about the legal consequences with just a few rules. Fortunately, I enjoy such exercises. In Zurich we really do learn a lot, but when I compare what we are learning with the reason why I started studying law, I have mixed feelings. Just like one would feel when throwing a huge amount of water in the sea to induce a change, but not seeing the level going up at all. I am going to try to express this feeling, to share it with you, through two examples describing moments of the past year, which made me feel like this. In one of his lectures on corporate law, Professor Sethe explained to us that the law responds to the needs of the companies or of the stakeholders (primary and secondary ones). Every country has to make its choices, copying from others, adapting itself or trying something new. Prof. Sethe showed us some different choices made by the USA, Germany and Switzerland and compared how these decisions affected the real world. Entire enterprises can sink and take with them thousands of employees with their families and expand the damage to other companies and even to entire branches of the economy. This approach goes in the exact direction I want to take; it helps us question every rule and try to think of new possibilities. The climax of my student enthusiasm was reached when Prof. Sethe introduced 54

us to the „UBS Rettung” talking about the different types of shares and obligations. Besides the risks for public funds and the democratic questionability of the decision, I was amazed by his words: while all other countries had to think of a way to save the “too big to fail“ banks, the Swiss government already had a strategy. Using the tools, which the economy and the law provide (mandatory convertible securities, coco-bonds and so on), they did something incredible. I agree that the whole process was surrounded by an infinity of unpredictable factors and a lot of luck, but these decisions did not just save the whole Swiss economy, they also led to a profit between 5 and 6,5 billion Swiss francs! Money we all are going to benefit from. Finally, we just learned about the share and obligation types the Swiss Code of Obligations recognizes; however, I still have no idea how to use these tools or how to create new ones, but I want to learn! Let’s turn to the second example. In one of his lectures on law and religion Prof. Thier introduced us to a very recent case. The school department of Zurich denied the approval to open the first Muslim kindergarten of Switzerland, named al Huda. Obviously, a public kindergarten could never have such a title because of the State’s religious neutrality, but a private one could. The latter may even plan an obligatory religious instruction for every child. At the beginning of July, an appeal against this decision has been rejected by the Zürcher Verwaltungsgericht, the Federal Supreme Court will yet have to express itself on this case. The verdict is based on parameters set out in the law. These parameters should be free from any religious connotation and guarantee that the children will be integrated in our society. The rule demands, in a very picturesque formulation, that every kindergarten transmits our Christian moral concepts (Art. 2 (1) VSG ZH). No one can discuss the fact that our value system has been imprinted by the Christian religion, but is it not tricky to assess whether or not the instruction program of a kindergarten fulfills these criteria? Should we base such a decision on objective parameters, should we bend the rules a bit or should we follow our instinct? Should public pressure play a role in this decision, in a situation with extreme standpoints because of current phenomena like ISIS or the migrant wave? How can I find the right answer, and most importantly, how can I provide the instruments for a fair and impartial decision? No one told me, but I really want to find out!

Circolo


Reiter in Gesetzestexten Ein futuristischer Nachruf Corrida Seit bald einer Dekade zählen Reiter in Gesetzestexten zum Survival Kit vieler Jusstudierenden, denn im Kampf durch den Paragraphendschungel fungieren sie als Kompass, der eine Orientierung ermöglicht: Das Auffinden einschlägiger Bestimmungen oder auch ganzer Erlasse in Gesetzessammlungen kann aufgrund des Einsatzes von Reitern erheblich erleichtert werden. Der gezielte Griff zum Reiter versetzt den jeweiligen Verwender in die Lage, die relevante Rechtsgrundlage, welche zuvor im Rahmen des Selbststudiums herausgearbeitet und im Lichte der ratio legis ausgelegt wurde, vollständig zu erschliessen. Auf diese Weise können Zusammenhänge sichtbar gemacht und vernetztes Denken gefördert werden. Freilich muss beim Einsatz von Reitern – wie auch sonst im Leben – der gesunde Menschenverstand ständiger Begleiter sein: Wer beispielsweise mehr Zeit für das Setzen von Reitern als für das Lernen und Erarbeiten des Prüfungsstoffes aufwendet, sollte seine Prioritäten wohl etwas überdenken. Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung, dass ab dem Frühjahrssemester 2016 die Verwendung von Reitern in Gesetzestexten, die an die Prüfung mitzunehmen sind, untersagt sein wird, nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Und doch scheint das Schicksal der Reiter besiegelt zu sein. Aber wie immer, wenn etwas zu Ende geht, denkt man bekanntlich an den Anfang zurück. Nachfolgend wird denn auch die bewegte Geschichte der Reiter nachzuzeichnen und am Beispiel der schweizerischen Verfassungsgeschichte historisch zu verorten sein.

Ancien Régime: Zur Zeit des Lizentiatsstudiums, das heisst dem Vorgängermodell von Bologna, war das Setzen von Reitern nicht zulässig. Liberalismus: Im Zuge der Einführung des Bologna-Systems wurde vom gänzlichen Verbot der Reiter abgesehen und bestimmt, dass diese in beliebiger Anzahl verwendet werden dürften, sofern sie eine einheitliche Farbe, Form und Grösse aufwiesen und nicht – auf wie auch immer geartete Weise – verändert worden waren. Zudem durften die Reiter nicht in den Gesetzestext hineinragen. Rückblickend kann diese Zeit als eine erste Hochblüte der Reitersetzung betrachtet werden. Restauration: Die liberale Reiterregelung kam aber in der Folge zunehmend unter Druck; eine Rückkehr zum Ancien Régime wurde beabsichtigt. Auf Initiative des Fachverein Jus wurde schliesslich eine Regelung in Kraft gesetzt, die zwanzig Reiter pro Gesetz für zulässig erklärte. Regeneration: Die Regelung, welche eine Beschränkung der Reitersetzung in quantitativer Hinsicht statuierte, währte jedoch nicht lange. Die liberalen Ideen setzten sich erneut resolut durch; die Reitersetzung erlebte eine zweite Hochblüte, die bis zum Frühjahrssemester 2016 andauern sollte. Es durfte eine beliebige Anzahl Reiter in beliebiger Form und Farbe verwendet werden, sofern sie nicht maschinell bedruckt oder handschriftlich gekennzeichnet worden waren. Erstmals durften die Reiter sogar in den Gesetzestext hineinragen. Mit der Ankündigung des Verbots der Reiter ab dem Frühjahrssemester 2016 und der Rückkehr zum Ancien Régime schliesst sich gewissermassen der Kreis. Diese Entwicklung ist meines Erachtens nicht zu begrüssen, denn mit einem gänzlichen Verbot wird dem Prinzip der Erforderlichkeit nicht genügend Rechnung getragen. Ein auf Einzelfälle beruhender Missbrauch rechtfertigt ein gänzliches Verbot nicht. Die Zukunft ist zwar naturgemäss ungewiss, jedoch deutet vieles darauf hin, dass das Reiterverbot nächstes Semester in Kraft treten wird. Der Blick in die Vergangenheit stimmt mich allerdings zuversichtlich, denn: Nichts ist so beständig wie der Wandel!

Kolumne

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Schlepperkriminalität und die Grenzen des Strafrechts Prof. Dr. Andreas Schloenhardt

Das Bild von skrupellosen Schleppern, die Flüchtlinge unbeschreiblichen Gefahren aussetzen und Profit aus deren Verzweiflung schlagen, prägt für viele das heutige Verständnis von Flucht- und Migrationsbewegungen. Überfüllte Boote auf dem Weg nach Italien und Griechenland, zusammengepferchte Menschen in Kastenwägen und Personen, die von Schleppern auf Autobahnen ausgesetzt werden, dominieren seit langem die Berichterstattung zu diesen Themen. Der Ruf nach Grenzkontrollen, Grenzzäunen und höheren Strafen gegen Schlepper wird jeden Tag lauter. Trotz dieser Bilder suchen viele Flüchtlinge willentlich die Unterstützung von Schleppern, in der Hoffnung, Sicherheit für sich und ihre Familien zu finden. Auch die hohen Kosten,

die sich zum Beispiel für Schleusungen von Syrien nach Europa auf 20’000 Franken und mehr belaufen können, halten viele Menschen nicht davon ab, ihr gesamtes Hab und Gut zu verkaufen und sich bei Verwandten und Freunden Geld zu leihen, um die Schlepper zu bezahlen. Ohne die Schleppermethoden entschuldigen oder beschönigen zu wollen, muss man sich dennoch vor Augen führen, dass die Schlepper nur Symptom, aber nicht Ursache von Flüchtlingsströmen sind. Die Schlepper dienen oft als Sündenbock, wenn Ignoranz einsetzt, Voraussicht fehlt und die Politik versagt. Durch die zunehmende Abriegelung der Grenzen bieten die Schlepper für viele Menschen die einzige Möglichkeit, Armut, Verfolgung und Hoffnungslosigkeit zu entkommen und in sichere Länder zu gelangen. Es ist auch falsch die geschleusten Personen als naiv abzustempeln und zu behaupten, diese wüssten nicht, worauf sie sich einlassen.

Die Schlepper sind nur Symptom, aber nicht Ursache von Flüchtlingsströmen.

Prof. Dr. Andreas Schloenhardt Andreas Schloenhardt ist Professor für Strafrecht an der University of Queensland in Brisbane, Australien und Professorial Research Fellow am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, Österreich. Am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich unterrichtet er Transnational Organized Crime und International Crime and Criminal Law.

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Zum einen sind die Menschen durch die Medien sehr wohl über die Kosten und Risiken informiert und erhalten oft Auskunft von Angehörigen und Bekannten, die zuvor auf ähnliche Weise geschleust wurden. Zum anderen sind die vielen dramatischen Fälle auch Indiz dafür, wie gross die Not und Verzweiflung vieler Menschen ist, dass sie sich auf derart gefährliche Schleppermethoden einlassen. Die Unterscheidung zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen, die oft gezielt benutzt wird, um Unmut gegen Migranten zu machen, ist ebenfalls weitgehend realitätsfremd. Verschiedene Studien zeigen, dass Personen, die von Krisensituationen fliehen, in aller Regel sowohl den politischen Umständen wie auch der schlechten wirtschaftlichen Lage entkommen wollen. In weiten Teilen Syriens, Somalias, Afghanistans und in vielen anderen Teilen der Welt lassen sich Religion und politische Meinung ebenso wenig ausüben wie geregeltes

Input


Arbeiten oder die Versorgung der eigenen Familie. Es ist illusorisch zu glauben, dass Flüchtlingsbewegungen und Schlepperkriminalität durch Zäune und Grenzkontrollen gestoppt werden können. Im Gegenteil, derartige Massnahmen treiben die Flüchtlinge den Schleppern regelrecht in die Hände, machen die Schlepperkriminalität noch profitabler und zudem gefährlicher und unberechenbarer. Daran können auch neue Straftaten und höhere Freiheitsstrafen für Schlepper nichts ändern. Hinzu kommt auch, dass das Dublin-III-Abkommen die Hauptverantwortung für Asylbewerber an die EU-Aussengrenzen verlegt, was massiv zur innereuropäischen Schlepperkriminalität beiträgt, da viele Flüchtlinge versuchen, unentdeckt nach Deutschland, Grossbritannien oder Schweden zu gelangen und nicht in anderen EU Staaten verweilen wollen, die teilweise mit der Betreuung von Asylbewerbern überfordert oder dazu nicht willens sind. Jüngste Vorschläge, Asyl-Anlaufstellen in Italien und Griechenland einzurichten, tragen dieser Tatsache ebenfalls nicht ausreichend Rechnung. Angesichts der katastrophalen Ereignisse vor den Küsten von Libyen und Lampedusa, und jüngst auch auf Österreichs Autobahnen, wo am 26. August 2015 ein LKW mit 71 toten Flüchtlingen entdeckt wurde, wird es höchste Zeit umzudenken und neue Lösungen zu entwickeln. Oft debattiert werden in diesem Zusammenhang verschiedene Modelle, die darauf ausgerichtet sind, die Migranten aus Herkunfts- oder Transitländern direkt in die Zielländer zu bringen. Dazu zählt zum Beispiel die Aktion, syrische Flüchtlinge aus der Türkei und anderen Zufluchtsstaaten nach Deutschland und Österreich auszufliegen und anzusiedeln. So begrüssenswert wie derartige Massnahmen sind, muss man darauf hinweisen, dass diese Programme nur einem sehr kleinen Teil der über 60 Millionen Flüchtlinge weltweit helfen. Zudem sind diese Massnahmen mit sehr langen Wartezeiten und hohen Kosten verbunden, und die Flüchtlinge werden oftmals wegen ihrer Qualifikationen, Bildung und Religion ausgewählt, so dass viele Migranten nicht berücksichtigt werden und oft für viele Jahre und Jahrzehnte in Flüchtlingslagern zurückbleiben. Der Vorteil solcher Vorschläge liegt allerdings darin, dass der Staat im Prinzip die Rolle der Schlepper übernimmt und überflüssig macht. Das gelingt dadurch, dass organisierte, legale Migrationsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies ist in der Tat der einzige Weg um Schlepperkriminalität nachhaltig zu bekämpfen. Mittel- und langfristig ist es daher sinnvoll, Flüchtlingen die Möglichkeit zu bieten, von Heimat- und Transitländern aus Asyl zu beantragen; eine Möglichkeit, die 2001 in vielen EU-Ländern abgeschafft wurde. Derartige Verfahren sollten schnell und unbürokratisch durchgeführt werden, um dadurch Menschen in Notlagen zu helfen und ihnen Vorteile zu gewähren,

wenn sie nicht auf Schlepper zurückgreifen, um illegal in die Zielländer zu gelangen. Des Weiteren bleibt auch anzumerken, dass Flüchtlingsströme voraussehbar sind und Schlepperkriminalität vermeidbar ist. Die Umstände, die grosse Migrationsbewegungen auslösen, zeichnen sich in aller Regel viele Jahre im Voraus ab. Lange bevor Migranten auf Schlepper zurückgreifen müssen, lassen sich erste Präventions- und Hilfsmassnahmen ergreifen. Anrainerstaaten, in denen Flüchtlinge zunächst Zuflucht suchen, bedürfen zudem grösserer Unterstützung, sodass die Versprechen von Schleppern weniger attraktiv werden und der Druck weiter zu wandern weniger akut ist. Mehr Vertrauen

Es ist illusorisch zu glauben, dass Flüchtlingsbewegungen und Schlepperkriminalität durch Zäune und Grenzkontrollen gestoppt werden können. sollte auch der Arbeit von Organisationen wie dem United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) und der International Organization for Migration (IOM) entgegengebracht werden, die den Flüchtlingen mit dem Notwendigsten helfen und dazu beitragen, langfristige Lösungen für die Umsiedlung, Integration oder Rückführung von Flüchtlingen zu finden. Auch in Zukunft wird es zu umfangreichen Flüchtlingsströmen und dramatischen Schlepperaktivitäten kommen. Die Länder Europas müssen einsehen, dass sie diese nicht verhindern und endlos kriminalisieren können, aber dass es möglich ist Ursachen zu erkennen, Gefahren für Flüchtlinge zu reduzieren und Schlepperkriminalität zu verhindern.

Input

Veranstaltung Prof. Schloenhardt wird am Mittwoch, 16. Dezember 2015, um 18.00 Uhr zum Thema „Samariter oder Straftäter: Zur Strafbarkeit von Fluchthilfe und Migrantenschmuggel“ am Rechtswissenschaftlichen Institut der Univerität Zürich vortragen. Der Vortrag findet im Raum KOL-G-217 statt.

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Sudoku

Gewinne einen Gutschein! Gewinne einen Gutschein der Schulthess Buchhandlung im Wert von 100 Franken. Sende daf체r eine Email mit den drei Zahlen (von links nach rechts) der rot unterlegten Felder und deinen vollen Namen an njus@fvjus.ch. Einsendeschluss: 1. Mai 2016

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R채tsel


Impressum N’Jus® Zeitschrift des Fachverein Jus Ausgabe Herbstsemester 2015 Herausgeber: Fachverein Jus Redaktion N’Jus® Rämistrasse 74/66 8001 Zürich www.fvjus.ch njus@fvjus.ch Druck und Auflage : Seeprint 2000 Exemplare

Chefredaktion Carmen Honegger

Input Prof. Dr. Andreas Schloenhardt

Autoren Tobias Aggteleky Michael Helbling Carmen Honegger Natascha Honegger Sabrina Hunger Bettina Hunter Jean-François Mayoraz Julia Meier Patrick Müntener Francisco Rapp Christian Stähle Ricardo Wiehalm

Lektorat Carmen Honegger Bettina Hunter Ricardo Wiehalm Aldo Zanelli Layout Carmen Honegger Natascha Honegger Werbung Carmen Honegger njus@fvjus.ch


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