Filmpodium Programmheft Mai/Juni 2021 // Programme issue May/June

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16. Mai – 30. Juni 2021

FILM NOIR INTERNATIONAL RENÉ HUBERT


DEMNÄCHST

Franklyn (2008, mit Eva Green)

FLUCHT NACH VORN NEW VOICES IN BLACK CINEMA EVA GREEN, REINE DE L’OBSCUR

Vom Stummfilm bis zur Gegenwart:. Die ganze Kunst des Kinos. im Filmpodium Zürich, www.filmpodium.ch.


01 Editorial

Programm-Plandemie Im Dezember 2020 dachten wir noch, dass die zweite Welle der Covid-19Chose bald verebbe und uns wieder ein regulärer Kinobetrieb erlaubt sei. Dank Virus-Mutanten und Corona-Ignoranten sind die Zahlen dann jedoch wieder hochgeschnellt, und alles hat sich verzögert. Wie andere, die kulturelle und sonstige Veranstaltungen planen, haben auch wir immer neue Szenarien entworfen, um den ständig wechselnden Zeithorizonten für die Wiedereröffnung gerecht zu werden, die sich diffus abzuzeichnen schienen. Zwei Prinzipien leiteten uns dabei: inhaltlich möglichst wenig von dem Programm der Monate Dezember bis Februar, das bereits rechtlich abgeklärt und bezahlt war, zu opfern und möglichst im Mai/Juni zu einer regulären Programmstruktur zurückzukehren. Der Zeitraum für die «Pufferprogrammierung» bis Mitte Mai schwand aber zusehends, sodass wir gezwungen waren, das Stummfilmfestival auf Anfang 2022 zu verschieben und die verbliebenen Godard-Filme in den Sommer zu verpflanzen. Nun hat der Bundesrat überraschend beschlossen, dass die Kinos im April wieder öffnen dürfen, und so können wir immerhin die Hommagen an Friedrich Dürrenmatt und an Ulrike Ottinger bis Mitte Mai über die Bühne bringen. Bitte beachten Sie dazu unsere Website und die Flyer mit dem Programmkalender im Kino; für ein eigenes Programmheft oder einen Versand hat die Zeit seit dem Bundesratsbeschluss nicht mehr gereicht. Andere Kinos versuchten ja während des Shutdowns, wenigstens mit einem Bein auf den Streaming-Zug aufzuspringen und ihrem Stammpublikum kuratierte Online-Programme anzubieten. Diese Option kam für uns nicht in Frage, zum einen, weil die Streaming-Rechte für Filmklassiker meist anders verliehen werden als die Vorführrechte fürs Kino, zum andern, weil sich das Filmpodium als physischer Veranstaltungsort versteht, wo die Begegnung mit der Filmkunst auf der grossen Leinwand stattfindet und ein Gemeinschafts­ erlebnis ist, das zum Austausch einlädt. Auch wenn die Corona-Schutzmassnahmen – Maskenpflicht, höchstens 50 Personen im Saal, keine Konsumation – dieses gemeinsame Filmerleben noch einschränken, hoffen wir doch, Sie bald wieder in unserem Kino zu ­begrüssen. Wenn alles so bleibt, können Sie im Mai/Juni sogar ein halbes Dutzend Stummfilme geniessen, und dies, wie üblich, mit Live-Musik. Die Angaben in diesem Heft entsprechen dem Stand Mitte April. Bitte überprüfen Sie das aktuelle Programm und die gültigen Spielzeiten jeweils auf www.filmpodium.ch. Michel Bodmer Titelbild: Frances McDormand in The Man Who Wasn’t There


02 INHALT

Film noir international

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«Noir ist das Genre der Nacht, der Schuld, der Gewalt und der unerlaubten Leidenschaft, und kein Genre wirkt so verführerisch», schrieb Roger Ebert. Der klassische Film noir entstand in den 40er- und 50er-Jahren als Reaktion auf existenzielle Brüche in der Gesellschaft. In den 60er-Jahren begannen Filmschaffende, diese «naiven» Vorbilder bewusst aufzugreifen, sie zu variieren, zu hinterfragen, zu parodieren. Gemeinsam bleibt allen Werken das Austragen von Konflikten ausserhalb geltender Gesetze; das stilistische Spektrum des internationalen Neo-Noir ist aber enorm breit und reicht von Point Blank zu Pulp Fiction, von Le samouraï zu Memories of Murder, von Sexy Beast zu Suburra, von Devil in a Blue Dress zu Revanche und von Wild Things zu Easy Money. Bild: Chinatown

René Hubert: Kleider machen Stars

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«Was war der grosse Traum von Hollywood überhaupt? Eine ganz fantastische Welt zu ihrer Zeit. Mit grossem Glamour und mit wundervollen Ausstattungen und herrlichen Kleidern. Was es dazu brauchte? Viel Arbeit und viel Geld.» René Hubert (1895– 1976), von dem dieses Zitat stammt, wurde in Frauenfeld geboren und wanderte nach seiner Ausbildung als Stickereizeichner nach Paris aus, wo er eine Karriere als Designer begann, die ihn auch nach Hollywood führte. Rund 200 Filme prägte er mit seinen Kostümen. Das Museum für Gestaltung widmet Hubert eine Ausstellung; wir zeigen elf Filme, die einige seiner markantesten Kreationen zeigen, darunter Things to Come, That Hamilton Woman, Heaven Can Wait und Désirée, der Hubert eine Oscarnomination einbrachte. Bild: René Hubert mit Ingrid Bergman


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The Story of Film: Episoden 1–3

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Der nordirische Filmhistoriker Mark Cousins erzählt in seiner 17-teiligen Serie The Story of Film: An Odyssey (2011) chronologisch die Filmgeschichte nach und weicht dabei oft vom Kino-Kanon ab. Neben den ersten drei Episoden der Serie, welche die Jahre 1895–1932 abdecken, zeigen wir fünf Meister­ werke der Stummfilmzeit, die Cousins ausführlich kommentiert: Robert J. Flahertys wegweisenden Dokumentarfilm Nanook of the North, den akrobatischen Klamauk Safety Last! mit Harold Lloyd, Erich von Stroheims legendäres Epos Greed, King Vidors Sozialdrama The Crowd und Yasujiro Ozus schönen Coming-ofAge-Film Ich wurde geboren, aber ... Bild: Ich wurde geboren, aber …

Filmpodium für Kinder: Zambezia

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Vor der bunten Kulisse der afrikanischen Savanne erzählt dieser Animationsfilm vom luftigen Reich der Vögel, aber auch vom Erwachsenwerden. Denn der junge Falke Kai will seine eigenen Erfahrungen sammeln, auch wenn das seinem Vater nicht gefällt. In Zambezia, der Gemeinschaft der Vögel, findet er eine neue Familie. Bild: Zambezia

Einzelvorstellungen Leopold Lindtberg und Omanut: 38 Marie-Louise, Die letzte Chance Premiere: 41 Essais von Hannes Schüpbach Zur Rietberg-Ausstellung: 42 Die Höhle der vergessenen Träume Zur Stadthaus-Ausstellung: 43 Sottosopra, Katzenball Sélection Lumière: 44 Lacombe Lucien



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Film noir international Die Geschichte des Film noir ist ganz wie die Filme selbst: verführerisch, labyrinthisch, hoffnungslos und, wie es Raymond Chandler einmal sagte, «dark with something more than night». Ko-Kurator Benedikt Eppenberger zeichnet die Entwicklung dieses Genres nach, das weltweit immer neue Cineastinnen und Cineasten inspiriert. Ein Blick in die Angebotslisten von Netflix und Co. zeigt: Der Film noir ist überall und dabei zum nostalgischen Klischee, zur Industrienorm geworden. Dass das Genre aus sich heraus neue Blüten treibt, bleibt die Ausnahme. In der Regel geistert der Film noir als unerlöstes Gespenst durch die digitale Film- und Serienwelt; als flackernde Erinnerung an ein Kino, das, wie Raymond Chandler in «The Simple Art of Murder» schrieb, «den Mord jenem Schlag von Menschen zurückgab, die Grund haben zu morden, und nicht nur da sind, um eine Leiche zu liefern». Die nach Romanen von Dashiell Hammett und James M. Cain gedrehten Filme The Maltese Falcon (1941) und Double Indemnity (1944; Drehbuch: Raymond Chandler) gelten als Gründungswerke des klassischen Film noir. Ihre Schöpfer John Huston und Billy Wilder kannten diese GenreBezeichnung allerdings nicht. Den Begriff Film noir prägte erst 1946 der französische Kritiker Nino Frank, dem aufgefallen war, wie gewisse Studio-Regisseure die (relative) Freiheit, die sie bei der Herstellung von B-Pictures genossen, dazu nützten, die dunkle Seite des American Dream hervorzukehren. Im Hollywood der 1940er-Jahre hatte sich eine Untergattung des Kriminalfilms etabliert, in der sich die Fälle nicht mehr lösen liessen. Hier irrten von Depressionsängsten, Kriegserfahrungen und Femmes fatales gebeutelte Antihelden durch reale und seelische Trümmerlandschaften. Mittels neuer Filmtechniken übersetzten mehrheitlich vom deutschen expressionistischen Kino geprägte Film-Emigranten diesen Pessimismus in ein diffuses Licht- und Schattenspiel, das zum klassischen Noir-Merkmal wurde. Brachen bereits die frühen Noirs mit linearer Erzählform und eindimensionaler Heldenzeichnung, gingen gewisse B-Picture-Regisseure nach dem Krieg inhaltlich und formal noch radikaler zur Sache, was deren Filme zu Vorboten der aufdämmernden Postmoderne machte. Als 1958 Touch of Evil erschien, realisierte Orson Welles zwar nicht, dass er damit den wohl letzten klassischen Film noir gedreht hatte; er wusste sich aber in einer Tradition, in der das populäre Kino «erwachsen» geworden war. < >

Der Tunnel am Ende des Lichts: Memories of Murder Virtuoses Spiel mit Noir-Versatzstücken: Pulp Fiction


06 Vom klassischen Film noir zum Neo-Noir Wie subversiv Wilder, Welles und Co. mit ihren Noirs die Glücksideologie der Traumfabrik unterwandert hatten, entdeckten in den 1950er-Jahren junge Filmkritiker wie Jean-Luc Godard und François Truffaut beim Studium des klassischen Hollywoodkinos. Die existenzialistische Prägung dieser Filme verband die Noir-Regisseure mit ihren Verehrern, die in der Kunst, wie diese Hollywood-Haudegen die Revolte ins Kommerzkino geschmuggelt hatten, ein Vorbild für ihre zukünftige «politique des auteurs» sahen. Die Beschäftigung mit dem Film noir führte zu weiteren Entdeckungen, unter anderem von Jacques Becker, Henri-Georges Clouzot oder Jean-Pierre Melville, die abseits von Hollywood bereits eigene pechschwarze – im Fall von Melville (Le samouraï, 1967) fast schon abstrakte – Noirs drehten. Diese Einzelgänger, zusammen mit den Matadoren der Nouvelle Vague, sollten die Geburt des Neo-Noir aus dem Geiste des klassischen Film noir entscheidend voranbringen. Es waren von dieser neuen Welle erfasste europäische Regisseure, die in den 1960er-Jahren den Film noir in die USA zurückbrachten und eine neue Generation von US-Filmemachern auf die Sprengkraft ihres eigenen Filmerbes stiessen. So vermochte der Brite John Boorman in seinem ersten US-Film Point Blank 1967 mittels vertrackt non-linearer Erzählweise und psychedelischer Farbdramaturgie eine der Schwarzweissmagie des klassischen Film noir vergleichbar unheimliche Stimmung zu erzeugen. Als Ende der 1960erJahre junge Filmschulabgänger, TV-Recken und Grindhouse-Studio-Desperados die Traumfabrik enterten, stellten sie sich als Auteurs selbstbewusst in eine Noir-Kontinuität und bescherten New Hollywood mit Neo-Noirs erste Höhepunkte. Robert Altmans The Long Goodbye (1973), Francis Ford Coppolas The Conversation (1974) oder Martin Scorseses Taxi Driver (1976) nahmen in ihrer labyrinthischen Struktur die zeitgenössisch paranoide Grundstimmung in den USA auf, spielten aber alle in einer Noir-Welt, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenzufallen schienen. Zur selben Zeit gingen der Pole Roman Polanski und sein Drehbuchautor Robert Towne mit Chinatown (1974) andere Wege. Dass die beiden die kunstvoll verschachtelte Filmhandlung in der Entstehungszeit der ersten klassischen Films noirs ansiedelten, dabei gleichzeitig die Art-Déco-Szenerie in das sehnsuchtsvoll glänzende Licht Kaliforniens tauchten, sorgte einerseits für einen bemerkenswerten Verfremdungseffekt, andererseits für eine RetroÄsthetik, die bis heute nachwirkt. Es war dann Lawrence Kasdan, der 1981 mit seinem fiesen Neo-Noir Body Heat und dem von ihm geschriebenen Raiders of the Lost Ark Hollywood den Weg in die Blockbuster-Zukunft wies. Er demonstrierte, wie mit aktualisierten Versatzstücken aus der B-Picture-Vergangenheit ein neues Produktions- und Verwertungsmodell aufgezogen werden konnte. Gleichzeitig


07 führte der Brite Ridley Scott mit seinem Dystopiekrimi Blade Runner (1982) vor, dass sich der Noir in jedes Genre, in jede Zeit und in jeden Raum übertragen liess. Neo-Noir in Popkultur und Postmoderne Die Folge war, dass Noir zum Popkultur-Fetisch wurde. Aus dem stetigen Warenstrom ragten aber immer wieder einzelne Werke von Künstlerinnen und Künstlern heraus. So träumte sich David Lynch 1997 mit Lost Highway auf surreale Meta-Noir-Ebenen, während Michael Mann in Thief (1981) oder Heat (1995) den Noir-Einzelgänger ins Zentrum stellte, der in einer indifferenten Welt um den Preis seines Untergangs an einem sinnlos gewordenen Wertekodex festhält. Zieht im klassischen Film noir der Antiheld sein Restpathos für gewöhnlich daraus, sein Scheitern zynisch zu kommentieren, haben die Brüder Joel und Ethan Coen diesen coolen Loser seit Blood Simple (1984) immer wieder zum Hanswurst gemacht. Mit Reservoir Dogs (1992) und Pulp Fiction (1994) betrat der besessene Videothekar Quentin Tarantino die Neo-NoirBühne. Dabei interessierte ihn weniger das Existenzialphilosophische als vielmehr, wie er, auf den Schultern von unterschätzten Genre-Meistern stehend, mit den noch glimmenden Zeichen, Worten und Sounds das Feuer neu entfachen könnte. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Noir vom Ruch, ein vornehmlich von weissen Männern dominiertes Genre zu sein, gelöst und Filmschaffende aus den unterschiedlichsten Kontexten zu neuen Interpretationen inspiriert. Aus China, Iran, Japan oder Südkorea kommen inzwischen die besten Noirs, und wo Carl Franklin oder Kathryn Bigelow in den 1990ern mit ihren dunklen Meisterwerken allein standen, drehen People of Colour und Frauen heute die Neo-Noirs der Zukunft. Woher diese immerwährende Liebe? Vielleicht kann man sich für den Zerfall, für das Unbehagen in der Kultur am besten im dunklen Kinosaal erwärmen. Fast scheint es, als sei das Kino für den Film noir erfunden worden, diesen – wie es Robert Towne so schön sagte – «Tunnel am Ende des Lichts». Benedikt Eppenberger

Benedikt Eppenberger ist Historiker und SRF-Filmredaktor. Der klassische Film noir wird in der 5. Episode der filmhistorischen Reihe «The Story of Film: An Odyssey» ein Thema sein (siehe Seite 29).


> Body Heat.

> Get Carter.

> Le samouraï.

> Point Blank.


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Film noir international

LE SAMOURAÏ Frankreich/Italien 1967 In seiner ersten Zusammenarbeit mit JeanPierre Melville verkörpert Alain Delon den Berufskiller Costello, der in eine Sackgasse gerät, als er nicht nur von der Polizei, sondern auch von seinen Auftraggebern gejagt wird. «Melvilles Männer reden nicht viel, sie treten nur in die Schatten hinein und aus ihnen hervor, ihre Trenchcoats sind mit Schuld gefüttert, und ihre Hüte verdecken ihre Augen. Dies ist ein grossartiger Film, ein strenges Meisterwerk, mit Delon als kaltem, geheimnisvollem Auftragskiller, der nach einem eigenen Ehrenkodex lebt. Eigentlich handelt der Plot von einem Alibi, aber Melville verwandelt ihn in eine mythische Rachegeschichte. (...) Melvilles Film fand in Hollywood ein grosses Echo: Delon auf dem Sterbebett wird in Taxi Driver gespiegelt, und Paul Schrader könnte American Gigolo womöglich als Remake von Le Samouraï gemacht haben.» (Adrian Turner, Time Out Film Guide) 105 Min / Farbe / Digital HD / F/d // DREHBUCH UND REGIE Jean-Pierre Melville // KAMERA Henri Decaë // MUSIK François de Roubaix // SCHNITT Monique Bonnot, Yolande Maurette // MIT Alain Delon (Joseph «Jef» Costello), Nathalie Delon (Jane Lagrange), François Périer (Kommissar), Cathy Rosier (Valérie), Catherine Jourdan (Garderobiere), Jacques Leroy (Killer), Robert Favart (Barmann).

POINT BLANK USA 1967 «1967 sorgte John Boorman für Aufsehen mit seiner Adaption von Donald Westlakes Krimi ‹The Hunter›, einem Film, der Hollywoods bewährte Marschmusik-Formeln aufgriff und den coolen Euro-Jazz von Godard und Antonioni hinzufügte. (...) Point Blank wirkt kaum veraltet: ein eckiger, stacheliger, verblüffender Film, der sich im Rösselsprung von der Thriller-Form entfernt. Lee Marvin spielt den Räuber Walker, der von seinen Komplizen niedergeschossen und sterbend zurückgelassen wird – in den beklemmend menschenleeren Räumen des Gefängnisses von Alcatraz, wo sie geplant hatten, Mafia-Gelder zu stehlen, die heimlich per Hubschrauber dorthin transportiert wurden. Nach seiner wundersamen und recht eigentlich übermenschlichen Genesung und Flucht will sich Walker an dem Kerl rächen, der mit seiner Beute und seiner Frau abgehauen ist. Dieser Mann ist nun Mitglied der zwielichtigen ‹Organisation› – eines Syndikats, das sehr dem Geist der 60er-Jahre entspricht –, und Walker lässt sich mit Chris, mit der schönen, problembe-

ladenen Schwester seiner Frau, ein. Es ist ein Film über die Erinnerung: Jederzeit kann ein Schuss die Erinnerung an frühere Gewalt auslösen, das Trauma lauert in der Nähe, in ‹Kernschussweite›, als Teil einer Kette von erinnertem Blutvergiessen, die sich rückwärts erstreckt, während der Racheplot vorwärtsdrängt. Ein faszinierendes, desorientierendes Sixties-Artefakt.» (Peter Bradshaw, theguardian.com, 28.3.2013) 92 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE John Boorman // DREHBUCH Alexander Jacobs, David Newhouse, Rafe New­ house, nach dem Roman «The Hunter» von Richard Stark (=Donald E. Westlake) // KAMERA Philip H. Lathrop // MUSIK Johnny Mandel // SCHNITT Henry Berman // MIT Lee Marvin (Walker), Angie Dickinson (Chris), Keenan Wynn (Yost), Carroll O’Connor (Brewster), Lloyd Bochner (Frederick Carter), ­Michael Strong (Stegman), John Vernon (Mal Reese), Sharon Acker (Lynne), James Sikking (Killer).

GET CARTER GB 1970 Jack Carter, Vollstrecker einer Gangsterbande im englischen Süden, kehrt heim nach Newcastle, um den rätselhaften Tod seines Bruders aufzuklären. Seine Nachforschungen stürzen ihn in einen Strudel von Ausbeutung, Betrug und mörderischer Gewalt. «Aus einer Distanz von fast 40 Jahren gesehen, ist Get Carter als sozialhistorisches Dokument ebenso wertvoll wie als Thriller. Das Tyneside, das er porträtiert, ist nicht eines der Frauenpolterabende in Bigg Market, sondern eines der Armut, die Newcastle und seine Bewohner zu unweigerlichem und unerträglichem Grau zerreibt. Manchmal scheint es, als hätte Mike Hodges seine Schauspieler ins wirkliche Leben geworfen – die Gesichter der alten Männer in den Kneipen und Wettbüros und der Nachtschwärmer im Tanzlokal verschieben den Film in so etwas wie Cinéma vérité, selbst wenn im Vordergrund das Chaos ausbricht. Als Thriller ist er jedoch kälter und brutaler als alles, was das britische Kino zuvor oder danach hervorgebracht hat.» (Michael Hann, guardian.com, 17.10.2010) 112 Min / Farbe / Digital HD / E/e // REGIE Mike Hodges // DREHBUCH Mike Hodges, nach dem Roman von Ted Lewis // KAMERA Wolfgang Suschitzky // MUSIK Roy Budd // SCHNITT John Trumper // MIT Michael Caine (Jack Carter), Ian Hendry (Eric Paice), Britt Ekland (Anna Fletcher), John Osborne (Cyril Kinnear), Tony Beckley (Peter), George Sewell (Con), Geraldine Moffat (Glenda), Dorothy White (Margaret).


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Film noir international

CHINATOWN USA 1974 Los Angeles in den dreissiger Jahren: Privat­ detektiv J. J. Gittes erhält den Auftrag, Beweise für den Seitensprung des Chefs der städtischen Wasserwerke zu beschaffen. Der Fall verkompliziert sich, als seine Fotos in der Zeitung veröffentlicht werden und wenig später die Ehefrau des Observierten in seinem Büro auftaucht; kurz darauf wird die Leiche des Mannes gefunden. «Von mondäner Schönheit ist das Los Angeles der dreissiger Jahre in Chinatown, ein Ort der Eleganz und des Stils. Hinter der erlesenen Fassade aber verbergen sich Korruption und Verrat, Missbrauch und Gewalt. Der Privatschnüffler Gittes, von Jack Nicholson mit einer sublimen Mischung aus Machismo und Nachdenklichkeit verkörpert, lebt davon, hinter die Oberflächen zu schauen. Autor Robert Towne verschränkt hier geschickt Elemente der realen Stadthistorie von L. A. mit den Strukturen des Detektivgenres; die Figurenzeichnung und das Raffinement des Plots machen das Drehbuch noch heute zum Lehrstück. Und Roman Polanskis Regie ist von beinahe schmerzhafter Präzision, sie lässt das Geschehen unerbittlich auf die Katastrophe zusteuern.» (Die 100 besten Filme aller Zeiten, Bertz + Fischer Verlag 2014) 130 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Roman Polanski // DREHBUCH Robert Towne // KAMERA John A. Alonzo // ­MUSIK Jerry Goldsmith // SCHNITT Sam O’Steen // MIT Jack Nicholson (J. J. Gittes), Faye Dunaway (Evelyn Cross Mulwray), John Huston (Noah Cross), Darrell Zwerling (Hollis Mulwray), Perry Lopez (Lt. Lou Escobar), John Hillerman (Russ Yelburton), Diane Ladd (Ida Sessions), Roy Jenson (Claude Mulvihill), Roman Polanski (Mann mit Messer).

hatte, konnte der Noir nie wieder naiv sein. (...) Wenn schlechter Neo-Noir wie eine Parodie wirken kann, hat guter Noir noch immer die Kraft zu verführen. Ja, Kasdans Body Heat ist sich der Filme bewusst, die ihn inspiriert haben – vor allem Billy Wilders Double Indemnity (1944). Aber er hat eine Kraft, die über seine Quellen hinausgeht.» (Roger Ebert, rogerebert.com, 20.7.1997) 113 Min / Farbe / Digital HD / E/d // DREHBUCH UND REGIE Lawrence Kasdan // KAMERA Richard H. Kline // MUSIK John Barry // SCHNITT Carol Littleton // MIT William Hurt (Ned ­Racine), Kathleen Turner (Matty Walker), Richard Crenna (Edmund Walker), Ted Danson (Peter Lowenstein), J.A. ­ ­Preston (Oscar Grace), Mickey Rourke (Teddy Lewis), Kim Zimmer (Mary Ann), Jane Hallaren (Stella), Lanna Saunders (Roz Kraft), Michael Ryan (Miles Hardin).

COUP DE TORCHON Frankreich 1981 «Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs fristet der französische Polizist Cordier in einem abgelegenen Nest im französischen Westafrika ein trauriges Dasein. Von seiner Frau wird er betrogen, von einem rassistischen Zuhälter schikaniert. Dann läuft das Fass über: Cordiers Politik der Friedfertigkeit und des Opportunismus endet und er schwingt sich zum skrupellosen Richter über seiner Feinde auf. Diese boshafte Satire von Bertrand Tavernier (1941–2021) ist zwar eine hochmoralische Reflexion über gewichtige Themen wie Schuld und Sühne, bleibt dabei aber ausserordentlich komisch, wenngleich der Humor einen starken Einschlag ins Zynische erhält.» (Filmpodium, April/ Mai 2007)

BODY HEAT

129 Min / Farbe / 35 mm / F/d // REGIE Bertrand Tavernier //

USA 1981

DREHBUCH Jean Aurenche, Bertrand Tavernier, nach dem Roman «Pop. 1280» von Jim Thompson // KAMERA Pierre-

Ned Racine, ein zweitklassiger Anwalt im heissen Süden Floridas, beginnt eine Affäre mit Matty Walker, der verführerischen, unglücklichen Frau eines ebenso reichen wie zwielichtigen Geschäftsmanns. Um sein Glück mit Matty zu sichern, beschliesst Ned, seinen Rivalen zu ermorden. Aber Matty ist ihm um Meilen voraus. «Noir ist das Genre der Nacht, der Schuld, der Gewalt und der unerlaubten Leidenschaft, und kein Genre wirkt so verführerisch. Aber die besten Noirs wurden in den 1940er- und 1950er-Jahren gedreht, bevor den Regisseuren bewusst wurde, was sie da machten. (…) Sobald die Franzosen dem Genre einen Namen gaben, sobald eine Generation von Filmemachern daherkam, die ­ Noirs in Kinematheken statt in Flohkinos gesehen

William Glenn // MUSIK Philippe Sarde // SCHNITT Armand Psenny // MIT Philippe Noiret (Lucien Cordier), Isabelle Huppert (Rose Mercaillou), Stéphane Audran (Huguette ­ Cordier), Jean-Pierre Marielle (Le Péron), Eddy Mitchell ­ (Nono), Guy Marchand (Chavasson), Irène Skobline (Anne), Michel Beaune (Vanderbrouck), Jean Champion (Priester).

THIEF USA 1981 Frank ist ein Safeknacker der Sonderklasse und ein konsequenter Einzelgänger. Er träumt davon, mit der braven Kassiererin Jessie eine bürgerliche Existenz aufzubauen, und will sich dafür mit


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Film noir international letzten Coups die nötigen Mittel verschaffen. Als der väterliche Ganove Leo ihn für einen Bruch anheuert, ahnt Frank nicht, wie dies seinen Lebensplan durchkreuzen wird. «Michael Manns Thief ist ein Film voller Stil, Substanz und heftig empfundener Emotionen, alles verpackt in einem der intelligentesten Thriller, die ich je gesehen habe. Das ist einer jener Filme, deren Autorität man sofort spürt: Dieser Film kennt seine Figuren, kennt seine Geschichte und weiss genau, wie er uns von ihnen erzählen will. In einer Zeit, in welcher Thriller durch das routinemässige Abspulen der immer gleichen dämlichen Verfolgungsjagden, Sexszenen und Schiessereien entwertet werden, fällt Thief völlig aus dem Rahmen.» (Roger Ebert, rogerebert. com, 1.1.1981) 125 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Michael Mann // DREHBUCH Michael Mann, nach dem Roman «The Home ­Invaders» von Frank Hohimer // KAMERA Donald E. Thorin // MUSIK Tangerine Dream, Craig Safan // SCHNITT Dov ­Hoenig // MIT James Caan (Frank), Tuesday Weld (Jessie), James ­Belushi (Barry), Willie Nelson (Okla), Robert Prosky (Leo), Tom Signorelli (Attaglia), Dennis Farina (Carl), Nick Nickeas (Nick), Norm Tobin (Guido).

I HIRED A CONTRACT KILLER Finnland/GB/D/Schweden 1990 Henri Boulanger, ein Franzose in London, hat seinen Job verloren und ist lebensmüde, doch nicht einmal seine Selbstmordversuche wollen gelingen. Also heuert er einen Killer an, der ihn aus der Welt schaffen soll. Bevor der Mordauftrag erfüllt wird, verliebt sich Boulanger unversehens in die Blumenverkäuferin Margaret und findet zu neuer Lebensfreude. Wie kann er nun den Killer stoppen? Der Plot ist bekannt – z. B. aus Robert Siodmaks Der Mann, der seinen Mörder sucht (1931) –, aber Kaurismäki variiert ihn auf eigenwillige Weise, indem er pechschwarzen Pessimismus mit der Unbeschwertheit der Ealing Comedies legiert, seinen Film mit allerlei Anspielungen auf Noir-Klassiker spickt und mit der Besetzung Jean-Pierre-Léauds und Serge Reggianis dem von ihm verehrten (frühen) Jean-Luc Godard sowie Jean-Pierre Melville Tribut zollt. (mb) 79 Min / Farbe / DCP / E/d/f // REGIE UND SCHNITT Aki ­Kaurismäki // DREHBUCH Aki Kaurismäki, Peter von Bagh // KAMERA Timo Salminen // MIT Jean-Pierre Léaud (Henri Boulanger), Margi Clarke (Margaret), Kenneth Colley (Harry, der Killer), T. R. Bowen (Abteilungsleiter), Imogen Claire ­(Sekretärin), Angela Walsh (Vermieterin), Cyril Epstein (Taxifahrer), Nicky Tesco (Pete), Charles Cork (Al).

CHUNGKING EXPRESS (Chongqing senlin) Hongkong 1994 Zwei lose verknüpfte Episoden über gebrochene Herzen und Liebessuchende im Grossstadtdschungel von Hongkong: Polizist Nr. 223 trauert seiner verflossenen Freundin nach. Er kauft jeden Tag eine Ananasdose mit demselben Verfallsdatum und beschliesst, genauso lange auf seine Freundin zu warten, bis die Dosen abgelaufen sind – und sich dann in die Frau zu verlieben, die ihm als Erste über den Weg läuft: eine geheimnisvolle Verbrecherin. Polizist 663 wird ebenfalls von seiner Freundin verlassen. Das Mädchen vom Fast-Food-Imbiss verliebt sich in ihn und beginnt, sich heimlich in seiner Wohnung aufzuhalten. Ursprünglich wollte Wong Kar-wai drei Episoden kombinieren, koppelte dann aber die dritte als eigenen Spielfilm, Fallen Angels (1995), aus. Wie dort erweist er auch hier dem Film noir seine Reverenz, indem etwa Brigitte Lin als kaltblütige Drogendealerin im Trenchcoat zugleich Melvilles Le samouraï und Cassavetes’ Gloria heraufbeschwört, während Christopher Doyles nervöse Bildgestaltung und Faye Wongs Jean-Seberg-Frisur an die Noir-Experimente des frühen Godard erinnern. Die Grundstimmung ist allerdings eher bunt-verspielt als düster-schwarz. (mb) 98 Min / Farbe / 35 mm / Chin/d/f // DREHBUCH UND REGIE Wong Kar-wai // KAMERA Christopher Doyle, Andrew Lau Wai-keung // MUSIK Frankie Chan, Roel A. Garcia // SCHNITT Kwong Chi-leung // MIT Tony Leung Chiu-wai (Polizist 663), Takeshi Kaneshiro (Polizist 223), Faye Wong (Faye), Valerie Chow (Stewardess), Brigitte Lin (Frau mit blonder Perücke).

PULP FICTION USA 1994 Zwei Auftragskiller müssen eine Leiche und eine bluttriefende Limousine beseitigen, ein Borderline-Pärchen versucht ein Restaurant auszurauben, und ein alternder Boxer riskiert sein Leben wegen einer vom Vater geerbten Uhr. «Dieser Film ist immer noch so faszinierend und verrückt wie eh und je: hartherzig, unverschämt und atemberaubend. Der eiskalte Witz, der Kenner-Soundtrack, die Gewalt, die ausgedehnten Dialoge, die Trance-artige Irrealität, die geniale karmische Balance zwischen der Heroinund der Adrenalin-Szene, die erzählerischen Spitzkehren, durch die Travolta am Ende lebend und tot sein kann, seine Tanzszene, in der er schlecht und doch irgendwie brillant tanzt ... und vor allem die schiere unberechenbare Aufregung, wie sie nur Tarantino herbeizaubern kann. 1994


> Coup de torchon.

> Thief.

> I Hired a Contract Killer.

> Devil in a Blue Dress.


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Film noir international brach dieser Film wie ein Donnerschlag über meinen Kopf herein und in den neunziger Jahren wurde er zum Massstab für alles Coole.» (Peter Bradshaw, theguardian.com, 15.4.2014) 142 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Quentin Tarantino // DREHBUCH Quentin Tarantino, Roger Avary // KAMERA ­Andrzej Sekula // MUSIK Kool & The Gang, Al Green, Dusty Springfield, Neil Diamond u. v. a. // SCHNITT Sally Menke // MIT John Travolta (Vincent Vega), Samuel L. Jackson (Jules Winnfield), Uma Thurman (Mia Wallace), Ving Rhames ­(Marsellus Wallace), Bruce Willis (Butch Coolidge), Harvey

Rache, und als Suzie, eine Schülerin aus ärmlichen Verhältnissen, den gleichen Vorwurf gegen Sam erhebt, kommt es zum Prozess. Das ist erst der Anfang des Intrigenknäuels in diesem MetaNoir, dessen Wendungen immer wieder verblüffen. «Wild Things ist reisserischer Schund mit einer Handlung, die so verdreht ist, dass sie noch während der Schlusstitel erklärt wird. Er ist quasi eine Dreifach-Kollision zwischen einem Softporno, einer Seifenoper und einem Noir-B-Movie. Mir hat das gefallen.» (Roger Ebert, rogerebert. com, 20.3.1998)

Keitel (Winston Wolf), Tim Roth (Pumpkin), Amanda Plummer (Honey Bunny), Christopher Walken (Cpt. Koons), Rosanna

108 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE John McNaughton //

Arquette (Jody), Steve Buscemi (Buddy Holly), Quentin Taran-

DREHBUCH Stephen Peters // KAMERA Jeffrey L. Kimball //

tino (Jimmie).

MUSIK George S. Clinton // SCHNITT Elena Maganini // MIT Kevin Bacon (Ray Duquette), Matt Dillon (Sam Lombardo),

DEVIL IN A BLUE DRESS USA 1995

Neve Campbell (Suzie Toller), Theresa Russell (Sandra Van Ryan), Denise Richards (Kelly Van Ryan), Daphne Rubin-Vega (Gloria Perez), Robert Wagner (Tom Baxter), Bill Murray (Ken Bowden), Carrie Snodgress (Ruby).

Der afroamerikanische Kriegsveteran Easy Rawlins hat kein einfaches Auskommen. Der zwielichtige Weisse DeWitt Albright braucht jemanden, der für ihn im Schwarzenviertel nach einer gewissen Daphne Monet sucht. Easy nimmt Albrights Auftrag an, doch als Amateurdetektiv gerät er bald zwischen die Fronten von brutalen Gangstern und korrupten Politikern. «Devil in a Blue Dress ist die blitzgescheite und sexy Verfilmung von Walter Mosleys gefeiertem Romanerstling von 1990. Der Film spielt im Los Angeles von 1948 und verpasst dem Muster von Chinatown einen neuen Dreh, um die Schichten der Korruption, die sich von den Strassen bis zu den Korridoren der Macht erstrecken, aus dem Blickwinkel der Schwarzen zu zeigen. Denzel Washington ist absolut perfekt als Ezekiel ‹Easy› Rawlins, der fast zufällig zum Privatdetektiv wird.» (Peter Travers, rollingstone.com, 29.9.1995) 102 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Carl Franklin // DREHBUCH Carl Franklin, nach dem Roman von Walter ­Mosley // KAMERA Tak Fujimoto // MUSIK Elmer Bernstein // SCHNITT Carole Kravetz Aykanian // MIT Denzel Washington (Easy Rawlins), Tom Sizemore (DeWitt Albright), Jennifer Beals (Daphne Monet), Don Cheadle (Mouse Alexander), Maury Chaykin (Matthew Terell), Terry Kinney (Todd Carter), Mel Winkler (Joppy), Albert Hall (Odell), Lisa Nicole Carson (Coretta James).

WILD THINGS USA 1998

THE LIMEY USA 1999 Der britische Ganove Wilson, angejahrt und immer noch dem Cockney Rhyming Slang verhaftet, kommt aus dem Knast und fliegt nach Kalifornien, um herauszukriegen, wie seine erwachsene Tochter Jennifer dort ums Leben gekommen ist. Die Spur führt zum smarten Musikproduzenten Terry Valentine, dessen Geliebte Jennifer war. Wilson sinnt auf Rache und nichts kann ihn aufhalten. «Der beinharte Modernismus, der in John Boormans Nouveau-Noir-Klassiker Point Blank von 1967 auf der Leinwand so kühn wirkte, ist in Steven Soderberghs Händen unschuldig nostalgisch geworden. (…) Vergessen Sie den Racheplot: Das eigentliche Ziel dieses Films ist die erneute Begegnung mit zwei charismatischen Stars der 60er-Jahre, Terence ‹Billy Budd› Stamp und Peter ‹Easy Rider› Fonda. (…) Der Name des englischen Ex-Sträflings Wilson ist ein Überbleibsel der Figur, die Stamp 1967 in Ken Loachs Poor Cow an der Seite von Julie Christie gespielt hat. Kurze Eindrücke des jungen, träumerisch schönen Stamp und seine nicht minder imposante heutige Präsenz werden von Soderbergh ebenso berührend wie wirkungsvoll eingesetzt.» (Janet Maslin, The New York Times, 8.10.1999) 91 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Steven Soderbergh // DREHBUCH Lem Dobbs // KAMERA Edward Lachman //

Sam Lombardo, Studienberater an einer Highschool in Florida, wird von der Schülerin Kelly des sexuellen Missbrauchs bezichtigt. Kellys reiche Mutter, mit der Sam eine Affäre hatte, schwört

MUSIK Cliff Martinez // SCHNITT Sarah Flack // MIT Terence Stamp (Wilson), Lesley Ann Warren (Elaine), Luis Guzmán (Ed), Barry Newman (Avery), Joe Dallesandro (Onkel John), Nicky Katt (Stacy), Peter Fonda (Valentine).


> The Limey.

> Revanche.

> Sexy Beast.

> Wild Things.


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Film noir international James Gandolfini (Big Dave Brewster), Scarlett Johansson

SEXY BEAST GB 2000 «Diese makabre Komödie, die mit tödlichem Ernst gespielt wird, beweist dramatische Wucht und Spannung. Ben Kingsley als kahlköpfiger und scharfäugiger Don Logan ist so fest in seine Neurosen verstrickt, dass er in jedem sozialen Kontext ein Alien ist, ein Monster in Menschenhaut. Kein Wunder, dass (der nach Spanien abgewanderte Ganove Gal) vor diesem Ungeziefer Todesangst hat. Die ersten zwei Drittel dieses toll gespielten Films sind der Hammer, auch wenn eigentlich nichts passiert. Gal (Winstone) und seine Frau Deedee spielen widerwillig Gastgeber für Don, der Gal für einen grossen Coup nach London zurückbringen will. Gal weigert sich. Don besteht darauf. Die Spannung steigt, bis irgendetwas nachgeben muss, aber Sie werden Mühe haben zu erraten, wie und wo der Knackpunkt kommen wird.» (Tom Charity, Time Out Film Guide) 88 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Jonathan Glazer // DREHBUCH David Scinto, Louis Mellis // KAMERA Ivan Bird // MUSIK Roque Baños // SCHNITT John Scott, Sam Sneade // MIT Ray Winstone (Gary «Gal» Dove), Ben Kingsley (Don ­Logan), Alvaro Monje (Enrique), Ian McShane (Teddy Bass), Amanda Redman (Deedee Dove), James Fox (Harry), Julianne White (Jackie), Robert Atiko (Andy), Cavan Kendall (Aitch).

THE MAN WHO WASN’T THERE USA/GB 2001

(Birdy Abundas), Katherine Borowitz (Ann Nirdlinger ­Brewster), Jon Polito (Creighton Tolliver), Christopher Kriesa (Officer Persky).

MEMORIES OF MURDER (Salinui chueok) Südkorea 2003 «Bongs Film, ein grosser Erfolg bei Kritik und Publikum in Korea, fiktionalisiert die Suche nach dem ersten schriftlich belegten Serienmörder des Landes. (...) Der Film konzentriert sich auf die Bemühungen der Ortspolizei und eines Beamten aus Seoul, Beweise zu sichten, Muster zu erkennen, Hinweisen nachzugehen und Verdächtige zu verhören. (…) Viel von dem reichlich vorhandenen Galgenhumor ergibt sich aus dem Aufeinanderprallen der un- und kaum ausgebildeten Ortspolizei und des kultivierteren Beamten aus der Stadt, aber nichts entwickelt sich vorhersehbar. Alle Figuren, der Hauptverdächtige inklusive, sind Opfer des Koreas der achtziger Jahre: Sie leben unter einem diktatorischen Militärregime, und die Mentalität des Kalten Kriegs macht sie unempfindlich gegenüber Gewalt und Brutalität. Bong verteilt die Mitschuld brillant, indem er für seine Inszenierung mehrere Perspektiven wählt und Haupt- wie Nebendarstellern hervorragende Darbietungen entlockt.» (Tony Rayns, Time Out Film Guide) 130 Min / Farbe / Digital HD / Kor/d // REGIE Bong Joon-ho // DREHBUCH Bong Joon-ho, Kim Kwang-rim, Shim Sung Bo // KAMERA Kim Hyung-ku // MUSIK Taro Iwashiro // SCHNITT Kim Sun-min // MIT Song Kang-ho (Det. Park Doo-man), Kim

«‹Yeah, I worked in a barber shop. But I never considered myself a barber›, lauten die ersten Sätze des von Billy Bob Thornton unvergleichlich trocken rausgeraspelten Off-Kommentars. Sie enthalten schon das typische Dilemma einer heillosen Hauptfigur aus Coen’scher Aufzucht: Ed, ein kleiner Mann, will nicht bei seinem Leisten bleiben und macht einen Plan, doch die Welt gehorcht einer grösseren Unordnung als der in seinem Kopf. (…) Wie ein leicht ausgemergelter Wiedergänger von Humphrey Bogart raucht Ed Kette und redet kaum, noch weniger fühlt er. Wie tot sitzt er neben seiner Frau auf dem Sofa. Seine Frau hat einen Liebhaber, den erpresst er für eine dubiose Investition, dann tötet er ihn. Von da an geht’s bergab.» (Merten Worthmann, Die Zeit, 46/2001) 116 Min / sw / 35 mm / E/d/f // DREHBUCH UND REGIE Joel Coen, Ethan Coen // KAMERA Roger Deakins // MUSIK ­Carter Burwell // SCHNITT Roderick Jaynes [=Joel & Ethan Coen], Tricia Cooke // MIT Billy Bob Thornton (Ed Crane), Frances McDormand (Doris Crane), Michael Badalucco (Frank),

Sang-kyung (Det. Seo Tae-yoon), Kim Roe-ha (Det. Cho Yongkoo), Song Jae-ho (Serg. Shin Dong-chul), Byeon Hie-bong (Serg. Koo Hee-bong), Ko Seo-hie (Off. Kwon Kwi-ok), Park No-shik (Baek Kwang-ho).

REVANCHE Österreich 2008 «Die Wege zweier Paare, eines aus dem Wiener Rotlichtmilieu, das andere aus der österreichischen Provinz, kreuzen sich, als das Wiener Paar in dem Provinzort eine Bank überfällt (…). In klaren Tableaus entwickelt der Film ein moralisch vielschichtiges und tiefenwirksames Bild der inneren und äusseren Wege seiner Figuren. In kleinen szenischen Details und punktgenauen Dialogen scheinen Veränderungen auf, wobei die Rachegeschichte letztlich hoffnungsvoll-humanistische Züge annimmt.» (Julia Teichmann, filmdienst.de) «Spielmann lässt an der gnadenlosen Konsequenz keinen Zweifel: Alles ist unwiederbringlich


> Suburra.

> Destroyer.

> Easy Money.


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Film noir international verloren. Was kann je noch gewonnen werden? Mit dieser Frage wird Revanche zu einem Film, der bewegt und mitreisst – völlig unprätentiös und keinen Moment pathetisch. Es macht ihn zu einem Kinoerlebnis, das im deutschsprachigen Raum seinesgleichen sucht.» (Matthias Merkelbach, der-film-noir.de) 121 Min / Farbe / 35 mm / D // DREHBUCH UND REGIE Götz Spielmann // KAMERA Martin Gschlacht // SCHNITT ­Karina Ressler // MIT Johannes Krisch (Alex), Irina Potapenko (Tamara), Andreas Lust (Robert), Ursula Strauss (Susanne), Johannes Thanheiser (Grossvater Hausner), ­ Hanno Pöschl (Konecny, Tamaras Chef).

EASY MONEY (Snabba cash) Schweden/Deutschland/Dänemark/ Frankreich 2010

ker arbeiten gemeinsam auf dieses Ziel hin, doch der Frieden währt nicht lange. «Stefano Sollimas Thriller über ein paar fiktive Novembertage in Rom erzählt atmosphärisch fesselnd und mit einer Riege herausragender Schauspieler von politischer Korruption und Mafia, von Gewalt und ihren unabsehbaren Folgen und davon, dass man in diesem Spiel niemanden unterschätzen sollte. (…) Ein sehr bemerkenswerter Film, der nicht nur als Genreübung überzeugt, sondern den Zuschauer mit einer atmosphärischen Dichte in den Bann zieht, die heutzutage nur wenige Kinofilme erreichen.» (Barbara Schweizerhof, epd Film, 23.12.2016) 130 Min / Farbe / DCP / I+Romani+E/d // REGIE Stefano ­Sollima // DREHBUCH Sandro Petraglia, Stefano Rulli, ­Giancarlo De Cataldo, Carlo Bonini, nach dem Roman von ­Giancarlo De Cataldo, Carlo Bonini // KAMERA Paolo Carnera // MUSIK Pasquale Catalano // SCHNITT Patrizio Marone //

«In einer Zeit, in der die meisten Actionfilme auf die Gesetze der Schwerkraft und der Konsequenz pfeifen, ist es ein Genuss, einen Film zu finden, der sowohl physisch als auch emotional auf derart festem Boden steht wie Espinosas pessimistischer Pulp-Thriller Easy Money. (...) In diesem Krimi kommt niemand ungeschoren davon und jede Handlung zeitigt eine unwiderrufliche Reaktion. (Er verwebt) geschickt drei Erzählstränge: Der Südamerikaner Jorge bricht aus dem ­Gefängnis aus und macht sich sofort daran, einen grossen Koksdeal durchzuziehen; der serbische Auftragskiller Mrado ist im Auftrag rivalisierender Geschäftsinteressen hinter ihm her; und der gebürtige Schwede J.  W., ein Wirtschafts­ student, der gesellschaftlich aufsteigen will, schleicht sich chamäleonhaft in Mr.-Ripley-Manier in Landhauspartys ein und driftet in die Kriminalität ab, um die Rechnung für seinen ‹Master of the Universe›-Schwindel zu bezahlen. Jeder dieser Männer und ihr krimineller Ehrgeiz werden durch alltägliche Details veranschaulicht» (Nick Pinkerton, The Village Voice, 11.7.2012) 124 Min / Farbe / Digital HD / Schwed+Serb+Sp+E+D/d // REGIE Daniél Espinosa // DREHBUCH Maria Karlsson, Daniél Espinosa, Hassan Loo Sattarvandi, Fredrik Wikström, nach dem Roman von Jens Lapidus // MIT Joel Kinnaman (J. W.), Matias Varela (Jorge), Dragomir Mrsic (Mrado), Lisa Henni

MIT Pierfrancesco Favino (Filippo Malgradi), Elio Germano (Sebastiano), Claudio Amendola (Samurai), Alessandro Borghi (Numero 8), Greta Scarano (Viola), Giulia Gorietti ­ ­(Sabrina), Antonello Fassari (Sebastianos Vater).

DESTROYER USA 2018 Als engagierte junge Polizistin hatte Erin Bell mit einem ebenso unerfahrenen Kollegen eine Undercover-Mission übernommen, bei der alles schieflief. 17 Jahre später, noch immer traumatisiert, erkennt sie an einer Leiche die typischen Merkmale der Opfer des damaligen Hauptschuldigen. Sofort setzt sie alles daran, den Bandenführer dingfest zu machen und die Gespenster der Vergangenheit zu bannen. «Im Neo-Noir-Krimi Destroyer lässt sich jede Nuance des Schmerzes und der Schuld ihrer Figur in Nicole Kidmans (drastisch) von Make-up verändertem Gesicht ablesen. Gleichzeitig demonstriert Kidman, dass sie auch ganz anders kann, als die zarte Dame oder die verletzliche Mutter ihrer verschwundenen Kinder zu spielen. (…) Karyn Kusama gelingt ein dicht inszenierter Thriller, der mit zunehmender Zeit mehr und mehr zupackt – und dann nicht mehr loslässt.» (Tino Wolters, blu-ray-rezensionen.net)

(Sophie), Mahmut Suvakci (Abdulkarim), Jones Danko (Fahdi). 121 Min / Farbe / DCP / E/d/f // REGIE Karyn Kusama //

SUBURRA Italien/Frankreich 2015 Ein unter dem Namen «Samurai» bekannter Gangster will aus Ostia, dem Römer Stadtteil am Meer, ein neues Las Vegas machen. Alle lokalen Gangsterbosse und ein paar einflussreiche Politi-

DREHBUCH Phil Hay, Matt Manfredi // KAMERA Julie Kirkwood // MUSIK Theodore Shapiro // SCHNITT Plummy Tucker // MIT Nicole Kidman (Erin Bell), Toby Kebbell (Silas), Tatiana Maslany (Petra), Sebastian Stan (Chris), Scoot McNairy (Ethan), Bradley Whitford (DiFranco), Toby Huss (Gil Lawson), James Jordan (Toby).



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René Hubert: Kleider machen Stars Was wären Filmstars ohne charakteristische Kostüme und prachtvolle Kleider? Vom schwarzweissen Stummfilm der 1920er-Jahre bis zum farbgesättigten Cinemascope der 1950er-Jahre gehörte der Schweizer René Hubert (1895–1976) zur Crème de la Crème der Filmkostümbildner. Seine Markenzeichen waren Glamour und Opulenz: Mit grossem Flair für Stoffe, Farben und Linien steigerte er den Marktwert der Stars. So prägte er rund zweihundert Filme in Hollywood und Europa. Ausgebildet als Stickereizeichner in St. Gallen, ging der Frauenfelder René Huber nach Paris, um an der École des Beaux-Arts Malerei zu studieren. Schon bald entwarf er als René Hubert – das «t» hatte er zugunsten der französischen Aussprache seinem Namen hinzugefügt –, Kostüme für die MusicHalls. Bei einem New-York-Besuch 1924 entstanden erste Filmkostüme für Nebenrollen in Sidney Olcotts Monsieur Beaucaire mit Rudolph Valentino. Zurück in Paris wurde Hubert im gleichen Jahr als Hauptentwerfer für Léonce Perrets Madame Sans-Gêne engagiert, mit Gloria Swanson in der Titelrolle. Nach dem Ende der Dreharbeiten nahm sie ihn als Gestalter ihrer beruflichen Kostüme und privaten Garderobe mit nach Hollywood – und lancierte damit endgültig seine Karriere im Filmgeschäft. Für The Love of Sunya (Albert Parker, 1927) entwarf er für sie ein Abendkleid mit markanten Schlitzen am Saum, die in Hollywood als «Hubert Splits» zum Begriff wurden. René Hubert war so intensiv auf beiden Seiten des Atlantiks präsent wie kaum jemand sonst in der Filmwelt. In Hollywood arbeitete er von 1925 bis 1935 für Fox, Metro Goldwyn Mayer oder Paramount. Zwischen diesen ­Engagements hielt er sich immer wieder ein bis zwei Jahre in Berlin und Paris auf. So entwarf er zwischen Herbst 1928 und Frühling 1930 für die Ufa ­Kostüme für Asphalt, Die wunderbare Lüge der Nina Petrowna und Die Drei von der Tankstelle und für René Clairs Sous les toits de Paris. Die zweite Hälfte der 1930er-Jahre verbrachte Hubert in London und stattete zahlreiche Musicals auf Bühnen im Westend aus, an seine Anfänge bei den Pariser Music-Halls anknüpfend. Parallel dazu arbeitete er für Alexander Kordas London Films. Die antikisierenden Kostüme für William Cameron Menzies’ Science-Fiction-Epos Things to Come (1936) hatten markante, mit Hartgummi unterlegte Schultern sowie kurze Hosen und Röcke: Im Jahr 2036 würde konstant warmes Wetter herrschen. Dieser fortschrittsgläubige Film wurde stilbildend für das Genre. < >

Von Frauenfeld ins Diven-Mekka: René Hubert Deutscher Star, Schweizer Design: Marlene Dietrich in The Flame of New Orleans


20 Mode macht Kinokasse Die Kleidung der Filmfiguren beeinflusst den Erfolg an der Kinokasse, und so bauten die Studios ihre Kostümateliers aus, organisierten sie arbeitsteilig und liessen Büsten aller Stars anfertigen, die unter Vertrag standen. Für jeden Film entstanden Dutzende Konzeptzeichnungen aller wichtigen Kostüme. Sie dienten für die visuelle und finanzielle Planung und als Grundlage für die Umsetzung im Atelier. René Hubert brachte als ausgebildeter Modezeichner und Maler seine Entwürfe selber zu Papier – Kostümbildnerinnen ohne entsprechendes Zeichentalent waren auf Illustratoren angewiesen. In That Hamilton Woman verkörpern Vivien Leigh und Laurence Olivier die Liebe zwischen Lady Hamilton und Lord Nelson, dem Helden der Schlacht von Trafalgar 1805. In einer 40-sekündigen Sequenz eilt sie durch die schier endlosen Räume ihres neapolitanischen Palazzo, um Nelson um den Hals zu fallen – aber ebenso sehr, um den grandiosen Schauwert des Kostüms aus schimmernden Stoffen und transparentem Tüll vorzuführen. Kriegsbedingt drehte Alexander Korda den Film 1940 in Hollywood. Dort traf René Hubert auf zwei weitere Emigrierte: In René Clairs turbulenter Komödie The Flame of New Orleans spielte Marlene Dietrich eine Hochstaplerin im New Orleans des 19. Jahrhunderts. Ihre Kostüme waren ebenfalls hochgestapelt: stilistisch mehr Gegenwart als Vergangenheit und ebenso überbordend wie die Titelheldin abenteuerlustig. Auch bei anderen historischen Werken aktualisierte René Hubert die Kostüme gerne mit zeitgenössischen Elementen. 1943 wurde er Kostümbildner bei Twentieth Century-Fox und stattete in den folgenden sieben Jahren über vierzig Filme aus. Für Lubitschs Heaven Can Wait, Broken Arrow von Delmer Daves und weitere Filme in Technicolor galt es, andere Textilfarbtöne zu wählen als für Schwarzweissfilme wie My Darling Clementine und Lifeboat. In Alfred Hitchcocks dokumentarfilmartigem Kammerspiel diente der Realismus der Kostüme der sozialen und politischen Einordnung der Filmfiguren. Spätwerk in Cinemascope Als Hollywood 1953 Cinemascope lancierte, um sich vom Fernsehformat abzugrenzen, erforderte das Breitbild oftmals mehr Figuren und somit mehr Kostüme. Etwa zeitgleich trat Eastmancolor an die Stelle von Technicolor und rief nach wiederum anderen Textilfarbtönen: Blau wirkte nun dominanter als zuvor, während Rottöne, die zuvor gedämpft wurden, nun aufgehellt werden mussten. Im grossen Budget für Désirée (Henry Koster, 1954) waren drei Dutzend Kostüme für Jean Simmons enthalten. René Hubert hatte einmal mehr aktuelle Abendkleider vor Augen und zugleich mit dem seit 1934 geltenden Hays Code zu kämpfen: «In Europa sind sie viel freier, wenn es um das De-


21 kolleté geht. (…) Es ist seltsam, aber wahr: Wenn wir die tatsächliche Kleidung aus dem postrevolutionären Frankreich auf der Leinwand präsentierten, würde kein Zensor in Amerika sie genehmigen.» Für Marlon Brandos Selbstkrönung hingegen realisierte er eines seiner historisch korrektesten Kostüme. 1949 wurden Oscars für Kostümdesign eingeführt. Zur gleichen Zeit begannen die Repressionen der McCarthy-Ära, die René Hubert als homosexuellen Mann wohl darin bestärkten, sich nach 25 Jahren von Hollywood zu verabschieden. Désirée, für den er ein letztes Mal zurückgekehrt war, brachte ihm eine Oscarnomination ein. Auch Anatole Litvaks Anastasia (1956), Ingrid Bergmans Hollywood-Comeback, wurde in Europa gedreht, und so konnten die Anproben im Atelier Balenciaga in Paris stattfinden. Yul Brynner als Genius der Erbschleicherei trägt minimalistische, uniformartige Anzüge. Cinemascope in Schwarzweiss prägte René Huberts letzten Film, die Dürrenmatt-Adaption The Visit (eben zu sehen in der Reihe «Dürrenmatt im Kino»), die Bernhard Wicki 1964 in Cinecittà drehte und die dem Kostümbildner ebenfalls eine Oscarnomination einbrachte. Ihren Besuch als zu Reichtum gekommene Rächerin beginnt Ingrid Bergman in Weiss, beim Tribunal am Ende trägt sie Schwarz. Dazwischen beobachtet sie elegant-distanziert die Eskalation im Dorf Güllen in markant gemusterten Kleidern, die die italienische Modemacherin Nina Ricci mitentworfen hatte. Glamour für den Alltag Mit zunehmendem Renommee kam René Hubert zu einem ersten Auftrag in der Heimat für das Modetheater an der Landesausstellung 1939. Die «Schweizer Film-Zeitung» berichtete in ihren ab 1942 erscheinenden Quartals-Sonderheften «Film-Mode» über die aktuelle Damengarderobe in Hollywood und wiederholt auch über René Hubert. Das dürfte weitere Modeaufträge für Bally, Grieder und Jelmoli begünstigt haben. Den Abschied vom Kino erleichterte ihm auch das Engagement als Hausdesigner der aufstrebenden Swissair: Von 1950 bis 1966 entwarf er die Kabinen sämtlicher Propeller- und Düsenflugzeuge und die Uniformen der Stewardessen. So konnte ein Swissair-Slogan René Huberts vielseitige internationale Karriere auf den Schlusspunkt bringen: «The man who dresses film stars and aircraft». Andres Janser

Andres Janser, Film- und Designhistoriker, hat die Ausstellung «René Hubert: Kleider machen Stars» kuratiert, die im Museum für Gestaltung Zürich, Toni-Areal, bis zum 20. Juni 2021 läuft. museum-gestaltung.ch


> Die Drei von der Tankstelle.

> Things to Come.

> Die wunderbare Lüge der Nina Petrowna.

> That Hamilton Woman.


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René Hubert

DIE WUNDERBARE LÜGE DER NINA PETROWNA Deutschland 1929 «Brigitte Helm als Nina und Franz Lederer als Rostoff beäugen einander in einem St. Petersburger Nachtclub; Schnitt auf einen Kellner, der den Brandy um eine phallisch aufragende Eisbombe zündet. Aber Rostoff ist nur Unteroffizier, während Nina bereits die Geliebte seines Obersts ist, und obwohl der Oberst diesen Emporkömmling mit geübter Leichtigkeit in den Senkel stellt, hat er die Rechnung ohne die wahre Liebe gemacht: Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Es gibt kaum Überraschungen in der Handlung dieses späten Stummfilms, der sich durchweg auf bestehende Vorbilder bezieht, vor allem auf ‹Die Kameliendame›. Aber Hanns Schwarz hatte ein Auge für sinnliche Details und er lässt seine Kamera stilvoll durch einige imposante ­Dekors schleichen: den Nachtclub mit Zwischengeschoss, Ninas schickes Appartement, das verrauchte Offizierscasino, wo sich in der Ecke die leeren Champagnerflaschen häufen.» (Bob Baker, Time Out Film Guide) 107 Min / sw / 35 mm / stumm, d Zw’titel // REGIE Hanns Schwarz // DREHBUCH Fritz Rotter, Hans Székely // KAMERA Carl Hoffmann, Hans Schneeberger (ungenannt) // MIT ­Brigitte Helm (Nina Petrowna), Franz Lederer (KürassierKornett Michael Andrejewitsch Rostoff), Warwick Ward (Kosaken-Oberst), Lya Jan (Bauernmädchen). FR, 11. JUNI | 18.00 UHR LIVE-BEGLEITUNG: RICHARD OCTAVIANO KOGIMA, WINTERTHUR (PIANO)

DIE DREI VON DER TANKSTELLE Deutschland 1930 «Der kommerziell erfolgreichste UFA-Film der frühen dreissiger Jahre, entstanden zur Zeit der schlimmsten Arbeitslosigkeit in Deutschland. Drei mittellos gewordene Freunde verkaufen ihr Auto und machen mit dem Erlös eine Tankstelle auf. Da sie sich in dasselbe Mädchen verlieben, ergeben sich muntere Verwirrungen und Verwechslungen bis zum heiteren Ende. Der Film, der durch seinen virtuosen Umgang mit Erzählung, Tanz und integrierter Musik eine neue filmische Form erfand, mit der er das US-Musical vorwegnahm, liess die kleine Handlung mit sehr populären Liedern besingen, die den Erfolg des Films mitbegründeten: ‹Ein Freund, ein guter Freund›, ‹Lieber, guter Herr Gerichtsvollzieher›, ‹Liebling, mein Herz lässt dich grüssen› u. a. m.» (Filmpodium April 1997)

«Der Film hat Charme, Tempo, Eleganz – vor allem wenn Lilian Harvey rhythmisch präzise die Beine schwingt und dazu noch singt – da strahlt sie Herzlichkeit und Natürlichkeit aus. Gleich zu Beginn sind die Jungs zwar pleite, aber statt sich zu grämen, fangen sie unmotiviert zu singen und zu tanzen an. So ist der Film auf seinem Gleis: Musical, Operette, kleine Handlung. Dazu dieses erstaunliche Martinshorn-Motiv, das sich ‹mit der Beharrlichkeit eines echten Leitmotivs› (Kracauer) durch den Film zieht und vom Komponisten Werner Richard Heymann stammt. (...) Die drei Freunde bleiben trotz aller Rempeleien Freunde – wie um sich gegen die ‹frei flottierende weibliche Sexualität› (Anton Kaes) zu schützen.» (Falk Schwarz, filmportal.de, 19.6.2014) 94 Min / sw / DCP / D // REGIE Wilhelm Thiele // DREHBUCH Franz Schulz, Paul Franck // KAMERA Franz Planer // MUSIK Werner R. Heymann // SCHNITT Viktor Gertler // MIT Lilian Harvey (Lilian), Willy Fritsch (Willy), Oskar Karlweis (Kurt), Heinz Rühmann (Hans), Olga Tschechowa (Edith von Turoff).

THINGS TO COME GB 1936 H. G. Wells, sozialistisch und pazifistisch eingestellter Science-Fiction-Autor, hatte in den 1930er-Jahren mehrere Essays über die mutmassliche Zukunft veröffentlicht, als er den ungarisch-stämmigen Filmproduzenten Alexander Korda kennenlernte. Gemeinsam schufen sie 1936 ein fiktionales Gerüst um Wells’ Ideen als Basis für einen spektakulären Film. Things to Come prophezeit für 1940 einen zweiten, jahrzehntelangen Weltkrieg, der Grossbritannien zivilisatorisch und technologisch zurückwirft, gekoppelt mit einer Pandemie. Der «Chief» von Everytown, ein wissenschaftsfeindlicher Lokaldespot (Ralph Richardson imitiert hier Mussolini), bangt um seine Macht, als der ehemalige Einwohner John Cabal (ein gestrenger Raymond Massey) in den sechziger Jahren als Pilot eines futuristischen Flugzeugs wiederkehrt und im Namen eines internationalen Verbands von Fliegern das Ende kriegerischer Handlungen ankündigt. 2036 ist Everytown ein lichtdurchflutetes weisses Utopia; mit Technik hat sich der Mensch die Natur untertan gemacht. Als Spielfilm überzeugt Things to Come nur streckenweise, und aus heutiger Sicht wirkt Wells’ wohlmeinende, naturfeindliche TechnoDiktatur politisch fragwürdig. Trotz dieser Schwächen ist der Film als Zukunftsvision von gestern sehenswert, vor allem auch wegen der Ausstattung. (mb)


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René Hubert 100 Min / sw / DCP / E/e // REGIE William Cameron Menzies // DREHBUCH H. G. Wells, Lajos Biro, nach dem Roman «The Shape of Things to Come» von H. G. Wells // KAMERA Georges

THE FLAME OF NEW ORLEANS USA 1941

Périnal // MUSIK Arthur Bliss // SCHNITT Charles Crichton, Francis D. Lyon // MIT Raymond Massey (John/­Oswald Cabal), Edward Chapman (Pippa/Raymond Passworthy), Ralph Richardson (der «Chief»), Margaretta Scott (Roxana/Rowena), Cedric Hardwicke (Theotocopulos), Maurice Braddell (Dr. Harding), Sophie Stewart (Mrs. Cabal), Ann Todd (Mary Gordon), Pearl Argyle (Catherine Cabal), Kenneth Villiers (Maurice Passworthy), Ivan Brandt (Morden Mitani).

THAT HAMILTON WOMAN USA 1941 Emma Lyon, eine schöne Gesellschaftsdame aus einfachsten Verhältnissen, wird 1786 von ihrem adligen Liebhaber Greville zu seinem Onkel Sir William Hamilton geschickt, der als britischer Botschafter in Neapel lebt. Hamilton verliebt sich seinerseits in Emma und heiratet sie. Als 1793 die britische Flotte in Neapel ankert, lernt Lady Hamilton den jungen Kapitän Horatio Nelson kennen, der von ihr bezaubert ist. Fünf Jahre später begegnen sich die beiden wieder, als Nelsons Flotte Napoleons Armada jagt. Emma verhilft Nelson dank ihrer Freundschaft mit Neapels Königin zu Unterstützung. Obschon beide verheiratet sind, werden sie ein Liebespaar, was in Neapel wie auch in Grossbritannien für Skandale sorgt. Vivien Leigh und Laurence Olivier waren privat ebenfalls ein weltweit skandalumwittertes ehebrecherisches Liebespaar, als Alexander Korda sie 1940 für sein Kostümdrama verpflichtete. That Hamilton Woman, Churchills Lieblingsfilm, ist nur am Rande ein Stück Propaganda. Im Zentrum steht eine der grössten Leinwandromanzen der Filmgeschichte. Obwohl in Rekordeile und mit spärlichen Mitteln gedreht (so schminkte man nur diejenige Seite von Lady Hamiltons Gesicht, die der Kamera zugewandt war), wirkt der Film dank des Geschicks von Ausstatter Vincent Korda und der Kostüme von René Hubert erstaunlich opulent. (mb) 125 Min / sw / Digital HD / E/f // REGIE Alexander Korda // DREHBUCH Walter Reisch, R. C. Sheriff // KAMERA Rudolph Maté // MUSIK Miklós Rózsa // SCHNITT William Hornbeck // MIT Vivien Leigh (Emma Lady Hamilton), Laurence Olivier (Lord Horatio Nelson), Alan Mowbray (Sir William Hamilton), Sara Allgood (Frau Cadogan-Lyon), Gladys Cooper (Lady Frances Nelson), Henry Wilcoxon (Kapitän Hardy), Heather Angel (ein Strassenmädchen).

«Nach dem Ende ihrer Partnerschaft mit Josef von Sternberg kam Marlene Dietrichs Karriere erst 1939 mit ihrer Rolle als rauflustige Bardame in der Westernkomödie Destry Rides Again wieder richtig in Schwung. Hier, zwei Filme später, variiert sie jene Rolle: Als emigrierte Abenteurerin mit zweifelhafter Vergangenheit in St. Petersburg gibt sie sich in New Orleans als Gräfin aus und wird hin- und hergerissen zwischen einer Vernunftheirat und ihrer wilden Leidenschaft für den maskulinen jungen Kapitän eines MississippiDampfers. The Flame of New Orleans war der erste von vier Filmen, die der Franzose René Clair während seines Kriegsexils in Hollywood machte – und in diesem Fall war er offenbar einfach zufrieden, mit dem Strom zu schwimmen: Er verfilmte das formelhafte, aber unterhaltsame Drehbuch mit einem Minimum an persönlichen Regieeinfällen und überliess es Marlene Dietrich, das Ganze zu tragen.» (Tony Rayns, Time Out Film Guide) «Die gute Claire ist mit Rüschen und Federn überladen, die böse Cousine mit schwarzer Spitze und Netzstrümpfen; die echte Claire verbringt die meiste Zeit in Dessous. Man wird ständig von den bekannten Dietrich-Manierismen verlockt, doch die Erwartungen werden stets enttäuscht.» (Celia McGerr: René Clair, Twayne Publishers 1980) 79 Min / sw / Digital HD / E // REGIE René Clair // DREHBUCH Norman Krasna // KAMERA Rudolph Maté // MUSIK Frank Skinner // SCHNITT Frank Gross // MIT Marlene Dietrich (Claire Ledeux), Bruce Cabot (Robert Latour), Roland Young (Charles Giraud), Mischa Auer (Zolotov), Andy Devine (Matrose).

 am Mittwoch, 19. Mai, 18.00 Uhr: Einführung von Andres Janser (ca. 30 Min.)

HEAVEN CAN WAIT USA 1943 «Ernst Lubitschs einziger vollendeter Film in Technicolor, das grösste seiner Spätwerke, bietet einen rosigen, nachdenklichen und oft sehr witzigen Blick auf einen unbezähmbaren Frauenhelden (Don Ameche in voller Blüte), der dem Teufel (Laird Cregar) sein Leben im Rückblick präsentiert. Wie bei vielen Lubitsch-Filmen ab The Merry Widow geht es auch hier um den Tod und den persönlichen Stil, aber selten wurde das Thema mit so viel Zuneigung für die menschliche Natur behandelt. Das Drehbuch von Samson Raphaelson ist nahezu vollkommen, die prächtigen historischen Kulissen sind ein Genuss, und die Neben-


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René Hubert darstellerinnen und Nebendarsteller – Gene Tierney, Charles Coburn, Marjorie Main, Eugene Pallette und Spring Byington – sind wunderbar. In mancher Hinsicht ist dies Lubitschs Testament, voller Anmut, Weisheit und Romantik.» (Jonathan Rosenbaum, chicagoreader.com, 24.6.2004) «Das Leben eines Mannes als Geschichte in elf Episoden, die sich meist um die Geburtstage herum ereignen. Die Stimme des Mannes erzählt die Geschichte aus dem Off. Die Bilder präsentieren sie, en détail und ganz konkret. Die Bilder zeigen das Umfeld: die Architektur und den Dekor; die Körper der Protagonisten, ihre Gestik, ihre Mimik, auch – vor allem – die Kleider.» (Norbert Grob: ­Lubitsch, C. J. Bucher Verlag 1984) 113 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Ernst Lubitsch // DREHBUCH Samson Raphaelson // KAMERA Edward Cronjager // MUSIK Alfred Newman // SCHNITT Dorothy Spencer // MIT Gene Tierney (Martha), Don Ameche (Henry Van Cleve), Charles Coburn (Hugo Van Cleve), Marjorie Main (Mrs. Strabel), Laird Cregar (seine Exzellenz), Signe Hasso (Mademoiselle), Louis Calhern (Randolph Van Cleve).

LIFEBOAT USA 1944 Neun Passagierinnen und Besatzungsmitglieder eines Luxusdampfers, der im Zweiten Weltkrieg von einem deutschen Torpedo versenkt wurde, gelangen in ein Rettungsboot und fischen einen Überlebenden des ebenfalls gesunkenen U-Boots auf. Als die in Bezug auf Geschlecht, Herkunft und Klasse unterschiedlichen neun es nicht schaffen, sich auf ein Vorgehen zu einigen, übernimmt der deutsche Seemann Kommando und Ruder. Allerdings hat er nicht vor, das nahe, sichere Bermuda anzusteuern. «Die Figuren auf dem Boot entdecken sich selbst wieder, und das ist nicht immer angenehm. In dieser Hinsicht ist der Film genauso ein Kriegsfilm wie jedes Front-Drama. (Die neun Überlebenden) sind gezwungen, sich mit dem rauen, oft hässlichen Dasein ihres Alltags auseinanderzusetzen, und Hitchcock antwortet darauf mit Szenen, die sich in ihrer schieren Unbehaglichkeit mit jedem anderen Film seiner Karriere messen können: tote Babys, Amputationen, angespannte Konfrontationen und, am denkwürdigsten, ein gerechtfertigter, aber dennoch brutaler Lynchmord: Das ist Hitchcock ohne jeden Oberflächenglanz.» (Keith Phipps, avclub.com 29.10.2005) 97 Min / sw / Digital HD / E/d // REGIE Alfred Hitchcock // DREHBUCH Jo Swerling, nach einer Erzählung von John Steinbeck // KAMERA Glen MacWilliams // MUSIK Hugo Friedhofer // SCHNITT Dorothy Spencer // MIT Walter Slezak (Willy, der Deutsche), John Hodiak (John Kovak), Mary Ander-

son (Alice MacKenzie), Tallulah Bankhead (Constance «Connie» Porter), William Bendix (Gus Smith), Henry Hull (Charles D. «Ritt» Rittenhouse), Heather Angel (Mrs. Higley), Hume Cronyn (Stanley «Sparks» Garrett), Canada Lee (George «Joe» Spencer), Alfred Hitchcock (Mann in Werbeanzeige).

13 RUE MADELEINE USA 1946 «Ein schneidiger Spionagethriller über den Zweiten Weltkrieg. (…) 13, Rue Madeleine ist die Adresse der Gestapo in Paris. Bob Sharkey, ein OSS-Ausbildner beim militärischen Nachrichtendienst der USA, erfährt, dass einer seiner neuen Schüler ein deutscher Spion ist, der dort platziert wurde, um die Identität der neuen Agenten aufzudecken und um zu erfahren, welche Operationen Amerika in Europa betreibt. Während er die neuen Agenten ausbildet, muss Sharkey den Spion enttarnen und seine Schüler auf die neue Mission vorbereiten. (…) Das gelingt, aber der Maulwurf entkommt. Sharkey muss sein Leben riskieren, um den Agenten zu verfolgen und kurz vor dem D-Day die Mission zu retten. Der Film untermischt gekonnt authentisches Wochenschau-Material der OSS, was den Film nicht nur unterhaltsam, sondern auch historisch bedeutsam macht. Es sorgt für eine angemessen düstere Stimmung, die die grimmige Erzählung noch realistischer wirken lässt.» (Dennis Schwartz, dennisschwartzreviews.com) 91 Min / sw / Digital SD / E/d // REGIE Henry Hathaway // DREHBUCH John Monks Jr., Sy Bartlett // KAMERA Norbert Brodine // MUSIK David Buttolph // SCHNITT Harmon Jones // MIT James Cagney (Robert Emmett Sharkey), Annabella (Suzanne de Beaumont), Richard Conte (Bill O’Connell), Frank Latimore (Jeff Lassiter), Walter Abel (Charles Gibson), Melville Cooper (Pappy Simpson), Sam Jaffe (Major Galimard).

BROKEN ARROW USA 1950 «Der Western, der den ‹Seid nett zu Indianern›Zyklus der 50er-Jahre lancierte, wirkt heute etwas gar bemüht linksliberal und macht ein ziemliches Gedöns um sein Plädoyer für Toleranz zwischen den Rassen und friedliche Koexistenz, indem James Stewart als Armee-Scout Tom Jeffords und Jeff Chandler als Indianer-Anführer Cochise sich bemühen, den Apachen Frieden zu bringen. Ein wenig unbeholfen ist auch, wie sich Broken Arrow den Konventionen beugt, während er versucht, ein authentisches Bild der indianischen Lebensweise zu vermitteln (viele Apachen als Statisten, aber die Hauptrollen werden von weissen Schauspielern gespielt; die Sprache


> Broken Arrow.

> 13 Rue Madeleine.

> Heaven Can Wait.

> Anastasia.

© Stephan Burchardt

> Lifeboat.


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René Hubert der Apachen wird in ‹poetisches› Englisch übertragen). Dennoch ein guter Film, trotz des kompromittierten Endes, sehr schön ins Bild gesetzt von Ernest Palmer.» (Tom Milne, Time Out Film Guide) «Broken Arrow verleiht seinen indianischen Figuren Menschlichkeit. Frank Manchel sagt: ‹Er stellt die Beziehungen zwischen Indianern und Weissen im alten Westen nicht so dar, wie sie waren, sondern wie die Euroamerikaner sie haben wollten.› Stimmt. Und das hat er sehr gut gemacht, so wie es viele Western seither und davor getan haben. Er war weder mehr noch weniger his­torisch genau als Dances with Wolves, Little Big Man oder Geronimo: An American Legend. Aber in vielerlei Hinsicht schimmern seine Werte durch.» (Christopher M. Smallbone, nativeamerican.co.uk, Februar 2009) 93 Min / Farbe / DCP / E/f // REGIE Delmer Daves // DREH-

den königlichen Rang erhebt, indem er ihnen auf den Kopf klopft – und zwar heftig. Er ist auch ziemlich lustig, wenn er die Krone packt und sich selbst krönt.» (Pauline Kael: 5001 Nights at the Movies, Henry Holt 1991) Huberts Kostüme wurden oscarnominiert. 110 Min / Farbe / Digital HD / E+Schwed/d // REGIE Henry ­Koster // DREHBUCH Daniel Taradash, nach dem Roman von Annemarie Selinko // KAMERA Milton R. Krasner // MUSIK Alex North // SCHNITT William Reynolds // MIT Marlon Brando (Napoleon Bonaparte), Jean Simmons (Désirée Clary), Merle Oberon (Kaiserin Joséphine), Michael Rennie (Jean-Baptiste Bernadotte), Cameron Mitchell (Joseph ­Bonaparte), Elizabeth Sellars (Julie Clary), Charlotte Austin (Paulette Bonaparte), Evelyn Varden (Marie).

ANASTASIA USA 1956

BUCH Michael Blankfort, nach dem Roman «Blood Brother» von Elliott Arnold // KAMERA Ernest Palmer // MUSIK Hugo Friedhofer // SCHNITT J. Watson Webb Jr. // MIT James ­Stewart (Tom Jeffords), Jeff Chandler (Cochise), Debra Paget (Sonseeahray), Basil Ruysdael (General Oliver Howard), Will Geer (Ben Slade), Joyce Mackenzie (Terry), Arthur Hunnicutt (Milt Duffield).

DÉSIRÉE USA 1954 Nach der Französischen Revolution lernt der ­aufstrebende General Napoleon Buonaparte die Seidenhändlerstochter Désirée Clary kennen und verliebt sich in sie. Sein Bruder Joseph heiratet ihre Schwester Julie, aber Napoleon bricht sein Versprechen gegenüber Désirée, ehelicht die wohlhabende Joséphine Beauharnais und schwingt sich zum Kaiser auf. Enttäuscht heiratet Désirée Napoleons General Bernadotte, der überraschend zum schwedischen Thronerben erkoren wird. Als Königin des Frankreich nicht gefügigen Schweden sieht Désirée Napoleon wieder. «Ein lächerlich einfältiger Kostümfilm – zehn Tonnen romantische Schmonzette mit ein paar im Camp-Sinne vergnüglichen Szenen. Marlon Brando ist ein belustigter Napoleon, mit aufgesetzter Nase und in Stirnfransen heruntergepappten Haaren; er spricht heiser flüsternd, seine Aussprache ist eine seltsame, schneidige Parodie auf die eines Engländers. (...) Jean Simmons ist die nachdenkliche Désirée, nach der er immer wieder schmachtet. Die beiden Stars spielen zusammen mit verschwörerischem Charme; zweifellos wussten sie, dass sie in einem Witz gefangen waren, und versuchten, dabei möglichst viel Spass zu haben. Brando reizt zu lautem Lachen, wenn er als Napoleon seine Schwestern in

1928 wird eine offenbar obdachlose und verwirrte Frau in Paris von weissrussischen Exilanten aufgegriffen. Der clevere Geschäftsmann und ­ ­Ex-General Bounine hält sie für die Grossfürstin Anastasia, die die Hinrichtung der Zarenfamilie 1918 überlebt hat – oder er will die Frau, die sich Anna nennt und offenbar an Amnesie leidet, zumindest als Anastasia ausgeben, um an das ­Vermögen der Romanows zu gelangen. Als letzte Instanz für ihre Authentifizierung soll die Zarenmutter dienen, die ihre angebliche Enkelin auf eine harte Probe stellen wird. Anatole Litvak inszeniert diese tragikomische Fabel nach einem französischen Theaterstück als opulenten Kostümfilm und zugleich als zeitlos faszinierendes psychologisches Drama um Identität. Der jahrelang von Hollywood als Ehebrecherin geächteten Ingrid Bergman gelang mit ihrer schillernden Verkörperung einer Frau, die oft selbst nicht weiss, wer sie ist und wer sie sein will, ein oscargekröntes Comeback. Yul Brynner gibt gewandt den durchtriebenen Bounine, der Anna zu Anastasia formt und in einen Gewissenskonflikt gerät, und Helen Hayes überzeugt als stahlharte Zarenmutter, die weder an Anastasia noch an ihre eigenen Gefühle glauben will. (mb) 105 Min / Farbe / DCP / E+F/d // REGIE Anatole Litvak // DREHBUCH Arthur Laurents, nach dem Theaterstück von Marcelle Maurette, Guy Bolton // KAMERA Jack Hildyard // MUSIK Alfred Newman // SCHNITT Bert Bates // MIT Ingrid Bergman (Anna Koreff), Yul Brynner (General Sergei Pavlovich Bounine), Helen Hayes (Zarenmutter Maria Fjodorowna), Akim Tamiroff (Chernov), Martita Hunt (Baronin von Livenbaum), Feliy Aylmer (Kammerherr), Sacha Pitoëff (Petrovin), Ivan Desny (Fürst Paul von Haraldberg).



29 The Story of Film: An Odyssey

Episoden 1–3 (1895–1932) Der nordirische Dokumentarfilmer und Autor Mark Cousins beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit den unterschiedlichsten Aspekten des Kinos. In The Story of Film: An Odyssey erzählt er in 17 einstündigen Episoden chronologisch die Filmgeschichte nach, den Kern bilden dabei kommentierte Filmausschnitte und Interviews mit verschiedenen Filmgrössen und Schauspielern. Mit seinen präzisen Beobachtungen und umfangrei­ chen Analysen schafft es Cousins, unseren Blick auf die 125-jährige ­Filmgeschichte zu schärfen. In den kommenden Programmen zeigen wir zu jeder (unabhängig funktionierenden) Episode jeweils eine Auswahl der vorgestellten Filme.

Liebe Filmpodium-Cinephile Dies ist die Geschichte einer grenzenlosen Liebe. Es gibt im Moment so viel, worüber man nachdenken kann, nicht wahr? Die Pandemie hat Aspekte unseres Lebens verändert. Das 21. Jahrhundert ist bislang ein steiniger Weg. Warum also sollten wir – Sie – es für nötig halten, die Geschichte von etwas – dem Kino – anzusehen, das im 19. Jahrhundert geboren wurde? Weil das eine grossartige Geschichte ist. Kinogeschichte ist visuell, unvorhersehbar, handelt von vergangenen Zeiten und ist daher angenehm eskapistisch. Aber sie geht auch weiter, sodass sie für Sie in Zürich und der Schweiz gerade jetzt relevant ist, ebenso wie für mich in Edinburgh, Schottland, wo ich diese Worte tippe. Ich habe mich in den späten 70er-Jahren in Belfast, Nordirland, in Filme verliebt. Das war eine von Konflikten geprägte Gesellschaft, und als nervöser kleiner Junge zitterte ich wie Espenlaub. Aber das Zittern hörte auf, wenn im Kino die Lichter ausgingen und sich die Ausblicke öffneten. Auf der Grossleinwand sah ich Abenteuer, Städte, Moral, Helden, Design, Geschichte und Sexualität. Ich dachte keinen Augenblick daran, selbst einmal Kino zu machen, da meine Familie aus der Arbeiterklasse stammte und keinen Zugang zu Kultur hatte, aber ich kann sagen, dass ich in gewisser Weise den Filmen ähnlich war. Ich war jung, verträumt und konnte mit visuellen Dingen besser

< >

Schräger Blick auf den Kino-Kanon: Mark Cousins In 17 Stunden durch die Filmgeschichte – The Story of Film: An Odyssey


30 umgehen als mit Worten, und so war es auch mit der Kunstform, in die ich mich verliebte. Es war eine komplexe Liebe. Während ich aufwuchs und mir mehr Filme ansah, bemerkte ich allmählich die Plattitüden, Formeln und Ausgrenzungen im Kino. Einige der besten Cineastinnen und Cineasten, etwa der ­Japaner Shohei Imamura und die Russin Kira Muratowa, waren innovativ und kühn, und doch wurden ihre Filme nur selten gezeigt, zumindest in ­Europa oder der englischsprachigen Welt. Sie wurden diskriminiert. Das hat mich erzürnt, aber auch – wie ich zugeben muss – ein bisschen begeistert. Ich war inzwischen in meinen 30ern, aber ich fragte mich, ob ich die Geschichte des Films anders neu erzählen könnte, auf eine Art und Weise, die sich nicht so sehr auf Oscars und Kassenerfolge konzentrierte, sondern vielmehr Imamura und Muratowa ihren rechtmässigen Platz zurückgab? Leicht beklommen entschied ich, dass ich das versuchen könnte. Warum nicht? Was ist das Schlimmste, was passieren könnte? Ich könnte eine lausige Geschichte des Kinos machen, und die Leute würden mich auslachen. Na und? Also fing ich an. Ich schrieb «The Story of Film» zuerst als Buch, dann machte ich daraus einen langen Film. Meine Prinzipien waren, dass mein Werk feministisch und global sein und von Innovation handeln sollte. Vor allem die Innovation sollte das Rückgrat meiner Geschichte sein. Ich würde mich kaum mit der geschäftlichen Seite des Kinos befassen – unsere Zeitungen berichten regelmässig über Einspielergebnisse, über Netflix und Amazon Prime (wobei ich lange vor deren Aufkommen geschrieben habe). Stattdessen würde ich fragen, welche Filmeschaffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt neue Geschichten erzählten, neue Arten von Aufnahmen oder Schnitten machten oder Ton und Musik originell einsetzten. Mit anderen Worten: Ich erzählte eine Geschichte darüber, wie das Kino schöpferisch funktioniert und nicht kommerziell. Das nahm einige Jahre in Anspruch, und dabei lernte ich viele Filmgrössen kennen: Stanley Donen, der bei Singin’ in the Rain Regie führte; Jane Campion; Kyoko Kagawa, die im japanischen Meisterwerk Tokyo Story ­mitspielte; den Zauberer des choreografischen Kinos von Hongkong, Yuen Woo-Ping; den vielleicht berühmtesten Filmstar von allen, den Inder Amitabh Bachchan; Claudia Cardinale usw. Und ich besuchte viele der grossen Filmstudios, Filmschulen und Drehorte der Welt – in China, Mumbai, Senegal, Hollywood, Paris, London, Iran, Moskau, Tokio und anderswo. Unser Budget war klein und der Dreh- und Schnittplan war anstrengend, aber ich hatte einen tollen Produzenten, John Archer, und einen tollen Cutter, Timo Langer. Mit einigem Ringen verliehen wir unserer Geschichte eine Form. Oder, um eine bessere Metapher zu verwenden: Wir legten das Fundament und bauten dann langsam das Haus.


31 Am Ende eines solchen Baus ist man müde und kann nicht einschätzen, was man gemacht hat. Als wir dann aber The Story of Film zur Weltpremiere brachten, bemerkten wir an einigen heftigen Reaktionen, dass der Film eine Art Affinität oder ein Zugehörigkeitsgefühl auslöste. Aus einiger Distanz kann ich nun sehen, dass er zugänglich ist, geradezu einladend. Ich habe in meinem Drehbuch keinen Jargon oder unnötige theoretische Begriffe verwendet. Und ich kann sehen, dass er eine Art Liebesbrief an das Kino ist, diese grenzenlose, androgyne, abweichende Kunstform der Menschen. Liebe den Film, hasse die Diskriminierung. Wie zum Beweis für seine Grenzenlosigkeit ist The Story of Film um die Welt gegangen. Er ist in Filmschulen und Kinematheken auf den meisten Kontinenten begrüsst worden. Die Leute sehen ihn sich in 20-Minuten-Tranchen im Bett an und in Wochenend-Marathons. Ich werde oft gefragt, warum ich in einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird, ein so langes Werk gemacht habe, denn die Leute sehen sich doch am liebsten einen YouTube-Clip von einem Schlitten fahrenden Hund an. Mir gefallen solche Clips (und ich glaube, Gene Kelly hätten sie ebenso gefallen!), aber ich weiss auch, dass der Mensch für längere Geschichten gebaut ist. Wir wollen uns in ihnen verlieren, in ihrer Entwicklung, in ihrer Breite und Tiefe, in ihren Strömungen und Strudeln. Wenn wir das tun, spüren wir das breitere Feld unseres kulturellen Lebens. Wir lassen uns auf ein Roadmovie ein. Und beginnen, uns erneuert zu fühlen. Ich hoffe, The Story of Film gefällt Ihnen, liebe Mit-Filmfreunde. Ich hoffe, Sie geniessen seine Grenzenlosigkeit. Einen Reisepass brauchen Sie nicht. In cinephiler Freundschaft, Mark Cousins

Mark Cousins, nordirischer Autor, Regisseur und Kameramann, lebt und arbeitet in Edinburgh.


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The Story of Film

NANOOK OF THE NORTH USA 1922 Der amerikanische Anthropologe und Forscher Robert J. Flaherty verbrachte mehrere Monate in der nordöstlichen Hudson Bay, um eine Inuit-Familie mit der Kamera zu begleiten. In seinem ­Dokumentarfilm – einem der ersten überhaupt – rekonstruiert er den ursprünglichen Alltag der Inuit, einen Alltag, der von der ebenso grandiosen wie gefährlichen Natur geprägt ist. Ihm gelang zudem ein Film, in dem jedes Bild von der seltsam schönen Freundschaft zwischen ihm und der Inuit-Familie erzählt. «Flaherty forderte das Mainstream-Filmemachen heraus. (...) Sein gefeierter Dokumentarfilm Nanook of the North war der bislang längste seiner Art. (...) Er filmte bereits 1913 in den eisigen Landschaften des arktischen Nordens, erkannte aber, dass es seinem Filmmaterial ohne Handlung oder Themen an Spannung und Dramatik fehlte. Als er 1920 zurückkehrte, wählte er einen klassischeren Ansatz für die Dreharbeiten und konzentrierte sich auf einen Mann, Nanook, und dessen Familie. Flaherty wollte ‹die einstige Würde und den Charakter dieser Menschen zeigen, bevor der weisse Mann nicht nur ihren Charakter, sondern die Menschen selbst zerstört›. Er

inszenierte (teilweise) und filmte die Inuit u. a. bei der Walrossjagd und beim Bauen eines Iglus, ­wobei die gezeigten Methoden teils längst nicht mehr üblich waren. (...) Das Resultat war eine der besten thematischen Stummfilm-Reportagen über den Kampf des Menschen gegen die Elemente. Der Film wurde ein internationaler Erfolg, Eis am Stiel wurde nach Nanook benannt, und sein Hungertod zwei Jahre später sorgte weltweit für Schlagzeilen. Flaherty drehte bis in die späten 40er-Jahre weitere Filme und erlebte die Blütezeit des Dokumentarfilmgenres, das er durch den Erfolg von Nanook mitbegründet hatte.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 86 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE UND KAMERA Robert J. Flaherty // DREHBUCH Robert J. Flaherty, nach der Idee von Frances H. Flaherty // SCHNITT Robert J. Flaherty, Charles Gelb // MIT Allakariallak (Nanook), Nyla, Cunayou (Nanooks Frauen), Allee, Allegoo (Nanooks Söhne).

DO, 3. JUNI | 18.00 UHR LIVE-BEGLEITUNG: WIESLAW PIPCZYNSKI, KAUFDORF (PIANO, THEREMIN, AKKORDEON)


The Story of Film

SAFETY LAST! USA 1923 Um endlich reich zu werden, zieht Harold in die grosse Stadt, findet aber nur eine Anstellung als Verkäufer in einem Kaufhaus. Als sich seine Verlobte ankündigt, um den angeblich erfolgreichen Geschäftsmann zu besuchen, sieht er sich in die Enge getrieben. Rettung versprechen 1000 Dollar, die das Kaufhaus demjenigen verspricht, der neue Kunden anlocken kann. Harold überredet einen Freund, auf einen Wolkenkratzer hinaufzuklettern – doch durch eine Verkettung unglücklicher Umstände ist schliesslich er es, der die zwölf Stockwerke erklimmen muss. In der Slapstickkomödie Safety Last! vollbrachte Harold Lloyd die wohl berühmteste Fassadenkletterei der Filmgeschichte. «Am Anfang seiner Karriere versuchte Lloyd eine so komische Filmfigur wie die von Chaplin aufzubauen – zunächst erfolglos, bis er es mit einer grossen runden Hornbrille probierte, die zu seinem Markenzeichen werden sollte; während der folgenden fünf Jahre konnte er sich als athletischer, mutiger Träumer, der sowohl aggressiv als auch gefühlvoll war, richtig entfalten. (...) Die Kletterpartie am Ende von Safety Last! beruhte auf Lloyds Idee – ein tollkühner Einfall, da er un-

ter Höhenangst litt und bei einem früheren Stunt einen Daumen und einen Zeigefinger verloren hatte. (...) Lloyd vollführte den grössten Teil der Kletterei selbst, ohne Trickfotografie und nur mit einer schmalen Plattform unter sich. (...) Als er endlich das Dach erreicht, wird er von einem Windmesser am Kopf getroffen, taumelt um die Dachkante, stürzt ab, schwingt aber, da sich sein Knöchel im Seil des Fahnenmasts verfangen hat, in einem grossen Bogen über die Fassade des Gebäudes und wieder zurück nach oben und direkt in die Arme seiner Geliebten, Mildred Davis, die Lloyd kurz darauf heiraten und bis zu ihrem Tod 1969 bei ihm bleiben wird. (...) Lloyd betrat mit seinen athletischen, aber raffinierten Stunts ­ Neuland.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 67 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE Fred New­ meyer, Sam Taylor // DREHBUCH Hal Roach, Sam Taylor, Tim Whelan // KAMERA Walter Lundin // SCHNITT Thomas J. ­Crizer // MIT Harold Lloyd (Harold, der junge Mann), Mildred Davis (Mildred, das Mädchen), Bill Strother (Bill, der Freund), Noah Young (der Polizist), Westcott B. Clarke (Chefverkäufer Stubbs). SA, 29. MAI | 18.00 UHR LIVE-BEGLEITUNG: ANDRÉ DESPONDS, ZÜRICH (PIANO), SAMUEL MESSERLI, BIEL (PERKUSSION U. A.)

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The Story of Film

GREED USA 1924 Der grobschlächtige, aber gutmütige John McTeague, der vom Bergarbeiter zum Zahnarzt aufsteigt, verliebt sich in Trina, die Freundin seines Kumpels Marcus, und wundert sich, dass dieser freimütig auf sie verzichtet. Erst in der Hochzeitsnacht gehen ihm die Augen auf: Trina ist frigide. Als sie durch einen Lotteriegewinn reich wird, steigert sie sich in eine obsessive Geldgier hinein; währenddessen verliert McTeague seinen Job und sie geraten in immer grössere Not. Erich von Stroheims Greed war die erste Gross­ produktion, die nur an Originalschauplätzen entstand und ohne Bauten oder Studioaufnahmen auskam. Die minuziöse Adaption eines Romans von Frank Norris gilt als Stroheims ambitioniertestes Werk und zählt heute zu den bedeutendsten Werken der Filmgeschichte. «Stroheim, der preussisch-wienerische Strohhutfabrik-Arbeiter mit aristokratischen Ambitionen, emigrierte 1909 in die USA (...). Seine ersten Regiearbeiten spiegelten seine Faszination für authentische Details und für die Erforschung von Dekadenz und moralischer Verdorbenheit reicher, zivilisierter Menschen wider. (...) Greed handelt

von einer bitteren und lieblosen Ehe, klassisch für Stroheim. (...) ‹$troheim›, wie ihn das Studio wegen seiner Extravaganz nannte, versuchte, das Kino realistischer zu machen, indem er die niederen Instinkte der Menschen erkundete und Situationen mit der gleichen Detailtreue beschrieb wie Zola oder Dostojewski. (...) MGM hasste die ursprüngliche zehnstündige Fassung von Greed und liess den Film auf ein Viertel seiner Länge kürzen. Die erhaltene Version ist ein wenig länger und verblüfft immer noch, aber das Original ist einer der grössten verlorenen Schätze des Kinos.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 130 Min / sw / 35 mm / stumm, e Zw’titel // REGIE Erich von Stroheim // DREHBUCH Erich von Stroheim, June Mathis, nach dem Roman «McTeague» von Frank Norris // KAMERA William H. Daniels, Ben Reynolds // SCHNITT Joseph Farnham, Frank E. Hull // MIT Gibson Gowland (McTeague), Zasu Pitts (Trina), Jean Hersholt (Marcus Schouler), Dale Fuller (Maria Macapa), Tempe Pigott (Mutter McTeague), Chester Conklin (Mr. Sieppe), Sylvia Ashton (Mrs. Sieppe), Joan Standing (Selina), Erich von Stroheim (Ballonverkäufer, ungenannt).

SA, 19. JUNI | 18.00 UHR LIVE-BEGLEITUNG: ANDRÉ DESPONDS, ZÜRICH (PIANO)


The Story of Film

THE CROWD USA 1928 John Sims, der am 4. Juli 1900 zur Welt kommt, hat eine grosse Zukunft vor sich – jedenfalls glaubt das sein Vater bei der Geburt. Doch tatsächlich führt John das ganz gewöhnliche Leben eines Angestellten in einem New Yorker Grossraumbüro: Er lernt Mary kennen, die beiden heiraten und bekommen zwei Kinder. Während andere Karriere machen, geht es für John aber nicht voran. Als das Schicksal zuschlägt und die Tochter tödlich verunglückt, gerät er vollends aus dem Tritt. «King Vidors The Crowd ist der grösste sozialkritische Film vor dem Börsencrash (...). Der tiefgründige Naturalismus des Films wagt es, die Lebensgeschichte eines Mannes zu erzählen, der ohne viel Talent oder Antrieb glaubt, es zu etwas bringen zu können, dies aber nie erreichen wird. Der amerikanische Traum ist eine Illusion (...). ­Vidor war einer der ersten intellektuellen Regisseure des Kinos. (...) Seine Filme sind in vielerlei Hinsicht einzigartig: Sie zeigen nie Bösewichte, und zwei Drittel der Drehbücher, die nicht von ihm selbst geschrieben wurden, stammen aus der Feder von Frauen. Er war einer der Ersten, die New

York ausgiebig als Drehort nutzten; in The Crowd verwendete er versteckte Kameras, um die Rea­ lität des Strassenlebens einzufangen. (...) Und er entwarf eine komplexe Eröffnungseinstellung: Die auf einem Kran montierte Kamera schwenkt von den Menschen, die in einem Bürogebäude ein und aus gehen, nach oben, bevor sie durch das Fenster eines Stockwerks in einen Raum voller Schreibtische fährt und schliesslich auf den von John zusteuert. Diese Sequenz war so erfolgreich darin, das gesichtslose Grossstadtleben eines anonymen Angestellten einzufangen, dass Wilder sie in The Apartment (...) wiederholte und Welles sie in The Trial aufbauschte. (...) The Crowd brachte vieles über das Kino der Zwischenkriegszeit auf den Punkt.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 104 Min / sw / 35 mm / stumm, e Zw’titel // REGIE King ­Vidor // DREHBUCH King Vidor, John V. A. Weaver, Harry Behn // KAMERA Henry Sharp // SCHNITT Hugh Wynn // MIT E ­ leanor Boardman (Mary), James Murray (John Sims), Bert Roach (Bert), Estelle Clark (Jane), Daniel G. Tomlinson (Jim, Marys Bruder), Dell Henderson (Dick, Marys Bruder), Lucy Beaumont (Marys Mutter). DO, 17. JUNI | 18.00 UHR LIVE-BEGLEITUNG: ALEXANDER SCHIWOW, ZÜRICH (PIANO)

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The Story of Film

ICH WURDE GEBOREN, ABER... (Umarete wa mita keredo) Japan 1932 Die beiden Brüder Ryoichi und Keiji sind mit ihren Eltern in einen Vorort von Tokio umgezogen, müssen sich dort aber erst einmal in der Gang der Nachbarsbuben einen Platz erkämpfen. Als sie sich einen gewissen Respekt in der Bande erworben haben, entdecken die beiden während einer Filmvorführung, dass ihr strenger, ehrbarer Vater sich vor dem Direktor seiner Firma devot und duckmäuserisch zum Clown macht: Für die Jungen bricht eine Welt zusammen. Mit feinem Humor und psychologischer Genauigkeit inszenierte Yasujiro Ozu die Situation der japanischen Familie aus der Sicht von Kindern. Ozu wollte angeblich eine Komödie über Kinder machen; daraus wurde ein Drama über Erwachsene und übers Erwachsenwerden. «Ozus Meisterwerk Ich wurde geboren, aber..., sein erster Kassenerfolg, ist ein guter Einstieg in seine faszinierende Welt. Es ist ein lustiger, kluger und frischer Film. (...) Ozus Filme entspringen dem, was die Japaner ‹mono no aware› nennen, diesem Gefühl, dass das Leben im Wesentlichen statisch und traurig ist. (...) Die Aufnahmen in Ich wurde geboren, aber... sind wunderschön; sie sind aus einer anderen Höhe gefilmt als in den meisten westlichen Filmen; die Beine

des Stativs, das der Kameramann und Cutter Hideo Shigehara verwendete, sind absichtlich kürzer eingestellt (...). Ozus abgesenkter Horizont hat eine dreifache räumliche Wirkung: Erstens setzt er den Schwerpunkt der Figuren (den Nabel) in die Mitte des Filmbildes, was zur Folge hat, dass keine anderen Filmbilder so ruhig (...) sind wie diese. Zweitens neigt die Kamera dazu, leicht nach oben zu blicken, folglich ist der Boden weniger zu sehen, (...) was Ozus Figuren eine Schwerelosigkeit verleiht. Drittens wird ein neuer Raum über der Kamera erschlossen, die Zimmerdecken werden gezeigt; Ozu war einer der ersten Regisseure, die darauf bestanden, dass die Innendekors mit Decken gebaut wurden.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 100 Min / sw / 35 mm / stumm, jap. Zw’titel/d/f // REGIE ­Yasujiro Ozu // DREHBUCH Akira Fushimi, Geibei Ibushiya, nach einer Konzeption von James Maki (=Yasujiro Ozu) // KAMERA Hideo Shigehara // SCHNITT Hideo Shigehara // MIT Tatsuo Saito (Kenosuke Yoshii, der Vater), Mitsuko Yoshikawa (Eiko Yoshii, die Mutter), Tokkan Kozo (Keiji, der jüngere Sohn), Hideo Sugawara (Ryoichi, der ältere Sohn), Takeshi Sakamoto (Direktor Iwasaki), Teruyo Hayami (Fujin, seine Frau), Seiji Nishimura (Sensei, der Lehrer).

DI, 22. JUNI | 18.00 UHR LIVE-BEGLEITUNG: SHIRLEY ANNE HOFMANN, SAINTE BLAISE (PIANO)


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The Story of Film

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 1 – BIRTH OF THE CINEMA GB 2011

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 3 – THE GOLDEN AGE OF WORLD CINEMA GB 2011

Diese Episode dreht sich um die ersten Jahrzehnte des Films, 1895 –1918; sie handelt von der Erfindung des Films in New Jersey und in Lyon und davon, wie sich der Film von einer Spielerei zu einer eigenen Kunstform entwickelt.

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 2 – THE HOLLYWOOD DREAM

1918 –1932: Im Zentrum stehen Filmrevolutionäre weltweit, für die der Film ein Laboratorium war. Es geht um neuartige, bemerkenswerte Experimente im Stummfilm, um den französischen Impressionismus und Surrealismus, den deutschen Expressionismus und um sowjetische, japanische und chinesische Film-Innovationen. je 60 Min / Farbe + sw / Digital SD / E/d // DREHBUCH, KAMERA, REGIE Mark Cousins // SCHNITT Timo Langer.

GB 2011 1918 –1928: Cousins thematisiert in dieser Episode die Etablierung Hollywoods als eine Industrie, die Optimismus, Romantik und Happy Ends produzierte; weiter geht es ihm hier aber auch um die ersten revolutionären Filmemacher Amerikas und Europas, die die Realität im Kino einfingen.

> The Crowd.

Die Episoden 1–3 von The Story of Film werden sowohl einzeln als auch im Doppelpack gezeigt (siehe Programmübersicht oder www.filmpodium.ch)


38 LEOPOLD LINDTBERG UND OMANUT

MO, 21. JUNI | 18.00 UHR & 21.00 UHR

MARIE-LOUISE & DIE LETZTE CHANCE Seit 1941 vermittelt und fördert der Verein

am Zürcher Schauspielhaus engagiert war

Omanut in der Schweiz jüdische Kunst und

und zu den Gründervätern des 1941 von

Kultur. Zum 80-jährigen Bestehen zeigt

Emigranten ins Leben gerufenen jüdischen

das Filmpodium zwei Filme des Omanut-

Kulturvereins Omanut (hebr: «Kunst») ge-

Gründungsmitglieds Leopold Lindtberg

hört. Trotz Lindtbergs erfolgreichen Wir-

(1902–1984).

kens in der Schweiz blieb seinem Freund ­Erwin Leiser eine tiefe Empfindlichkeit nicht

Im Juni 1944 kündigt die Praesens-Film A.G.

verborgen: «Ich sah auch Seiten bei ihm, die

in einer Pressemitteilung einen neuen Film

nach aussen kaum sichtbar wurden: die

an, der unter dem Titel Die letzte Chance ein

Verletzbarkeit eines Menschen, der trotz ­

Klassiker der Schweizer Kinematografie

aller Erfolge und Ehrungen die Demüti­

werden sollte: «So wie im Film Marie-Louise

gungen aus seiner Zeit als Emigrant mit

die Geschichte eines französischen kriegs-

‹befristeter Aufenthaltsbewilligung› nicht ­

geschädigten Kindes erzählt wurde, soll

vergessen hatte.» Wahrscheinlich brauchte

im projektierten Stoff das Schicksal einer

es die Sensibilität eines Leopold Lindtberg,

Gruppe von Flüchtlingen behandelt werden.

um in einem Migranten gegenüber nicht ge-

Die Hersteller des Films beabsichtigen, die

rade wohlgesonnenen Klima noch während

Schwierigkeiten und Leiden verfolgter Men-

des Zweiten Weltkrieges Schweizer Filme

schen dem Zuschauer vor Augen zu füh-

wie Marie-Louise (1944) und Die letzte Chance

ren.»

(1945) zu drehen.

Regisseur beider Filme war der in Wien

Karen Roth-Krauthammer

geborene Leopold Lindtberg, der seit 1933

Präsidentin von Omanut

> Leopold Lindtberg.


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MARIE-LOUISE

DIE LETZTE CHANCE

Schweiz 1944

Schweiz 1945

«Im Film kommt eine Gruppe von Kindern, darunter die 13-jährige Marie-Louise, aus Frankreich in die Schweiz, um sich während dreier Monate bei Gastfamilien und in einem Ferienlager vom Schrecken des Kriegs zu erholen. Die Fachkritik lobte das Werk nahezu euphorisch. (...) Regisseur Leopold Lindtberg und Drehbuchautor Richard Schweizer hatten anfänglich eine distanziertere Haltung gegenüber dem Schweizer Hilfsprogramm für die traumatisierten Auslandskinder im Auge (...). Sie wollten aufzeigen, dass man den Kindern einen schlechten Dienst erweist, wenn man sie hätschelt und behandelt, als ob sie in der Schweiz zu Hause wären. Doch die Starbesetzung des Werks machte dem Anliegen einen Strich durch die Rechnung.» (Felix Aeppli, Filmbulletin 6/2015) Richard Schweizer wurde für sein Drehbuch mit dem Oscar ausgezeichnet.

«Die letzte Chance muss als einer der bisher besten Filme über den Zweiten Weltkrieg anerkannt werden. (...) Er handelt von zwei alliierten Gefangenen, einem Briten und einem Amerikaner, die in Norditalien aus einem Zug entkommen, zur Schweizer Grenze aufbrechen und wenige Kilometer vor ihrem Ziel in ein kritisches Unterfangen verstrickt werden. Denn dort, in einem italienischen Dörflein – und dank der Bemühungen eines kühnen Priesters –, stossen sie auf einen weiteren britischen Offizier und eine Gruppe von Flüchtlingen, die in die Schweiz gelangen wollen.» (Bosley Crowther, The New York Times, 28.11.1945) «Die letzte Chance ist ohne Zweifel Lindtbergs Meisterwerk. (...) Man tut dem Film Unrecht an, wenn man heute meinen zu dürfen glaubt, dass er eine Art offizieller Film über die Schweiz gewesen sei. Das Gegenteil trifft zu, die Filmemacher bekamen den Widerstand der Ämter zu spüren, den Unmut der Behörden, die sich durch den Stoff des Films und die Tatsache, dass er überhaupt gedreht wurde, dem Vorwurf des neutralitäts­ ­ widrigen Verhaltens ausgesetzt sehen wollten.» (Martin Schlappner, in: Vergangenheit und Gegenwart des Schweizer Films 1896 –1987, Schweizerisches Filmzentrum 1987)

103 Min / sw / DCP / Dialekt+F/d // REGIE Leopold Lindtberg // DREHBUCH Richard Schweizer // KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hermann Haller // MIT Josiane Hegg (Marie-Louise Fleury), Heinrich Gretler (Direktor Rüegg), Anne-Marie Blanc (Heidi Rüegg), Margrit Winter (Anna Rüegg), Armin Schweizer (Lehrer Bänninger), Mathilde Danegger (Päuli), Fred Tanner (Robert Scheibli), Emil Gerber (Ernst Schwarzenbach), Bernard Ammon (André), Pauline Carton (Frau Gilles), Germaine Tournier (Frau Fleury), Jean

113 Min / sw / DCP / E+I+D+F/d // REGIE Leopold Lindtberg //

Hort (Vater Deschamps).

DREHBUCH Richard Schweizer, Elizabeth Scott-Montagu, ­Alberto Barberis, David Wechsler // KAMERA Emil Berna //

 Anschliessend Referat von Prof. Elisabeth Bronfen

MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hermann Haller // MIT Ewart G. Morrison (Major Telford), John Hoy (Leutnant John Halliday), Ray Reagan (Sgt. James R. Braddock), ­Therese Giehse (Frau Wittels), Eduardo Masini (Wirt), Luisa Rossi (Tonina), Sigfrit Steiner (Schweizer Militärarzt), L ­eopold ­Biberti (Oberleutnant Brunner).

 Einführung von Prof. Elisabeth Bronfen


40 Filmpodium für Kinder

Zambezia Die Kulisse zu diesem Animationsfilm bilden die Wüstenregionen ­Afrikas. Der junge Falke Kai lebt allein mit seinem übervorsichtigen Vater. Doch der Sohn träumt von grossen Abenteuern.

ZAMBEZIA / Südafrika 2012 83 Min / Farbe / DCP / D / ab 6/8 // REGIE Wayne Thornley // DREHBUCH Raffaella Delle Donne, Anthony Silverston, Wayne ­Thornley, Andrew Cook // MUSIK Bruce Retief // SCHNITT Paul Speirs, Michel Smit // MIT DEN DEUTSCHEN STIMMEN VON Y ­ oshij Grimm (Wanderfalke Kai), Dieter Tappert aka Paul Panzer (Grüntaube Mushana), Engelbert von Nordhausen (Wanderfalke ­Tendai, Kais Vater), Marie Christin Morgenstern (Gleitaar Zoe), Kaya Yanar (Nachtschwalbe Ezee), Regina Lemnitz (Sattelstorch Gogo), Michael Pan (Marabu Morton), Lutz Mackensy (Marabu Cecil), Tilo Schmitz (Waran Budzo), Luisa Wietzorek (Webervogel Tini), Thomas Nero Wolff (Bartgeier Ajax), Klaus Sonnenschein (Weisskopfseeadler Sekhuru, Anführer von Zambezia).

«Da erfährt Kai von der sagenumwobenen Stadt Zambezia, einer Welt voller Vögel. Ohne lange zu zögern, macht sich Kai auf den Weg – gegen den Willen seines Vaters. (…) Doch bald muss er feststellen, dass auch im Vogelparadies nicht alles perfekt ist. (...) Es warten jede Menge Abenteuer auf den Jungvogel. Nicht nur, dass er seinen Vater retten muss und einem alten Geheimnis auf die Spur kommt, auch die Zukunft von Zambezia steht auf Messers Schneide.» (kinderfilmwelt.de) Altersfreigabe: Zutritt ab 6 Jahren, empfohlen ab 8. Begleitung durch Erwachsene generell empfohlen. Kinderfilm-Workshop Im Anschluss an die Vorstellungen von Zambezia am 5. und 26. Juni bietet die Filmwissenschaftlerin Julia Breddermann einen Film-Workshop an (ca. 30 Min., gratis, keine Voranmeldung nötig). Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.


41 PREMIERE

FR, 18. JUNI | 18.00 UHR

ESSAIS VON HANNES SCHÜPBACH Parallel zur Ausstellung «Explosion der

Meffre, Flurin Cuonz, Marco Baschera und

Wörter» im Strauhof mit einer dem Dichter

Jiajia Zhang, die alle zu Schüpbachs Freun-

Stephen Watts gewidmeten kinematogra-

den zählen. Alle diese Figuren bestimmen

fischen Fotoinstallation zeigt das Filmpo-

sich über Aktivitäten des Ausprobierens,

dium den neusten Film von Hannes Schüp-

welche in einen gemeinsamen Raum der

bach, Essais.

Möglichkeiten einfliessen. Schüpbachs tonlose Bilder fassen die Bewegung in einem

Wie die Titel seiner früheren Filme Falten

Rhythmus, der abwägt, innehält und dann

(2005), Erzählung (2007) oder Instants (2012)

wieder ausgreift.

steht Essais für eine Form sowie einen Vorgang. Die amerikanische Tänzerin Kira ­Blazek erprobt neue Bewegungen, übt den

Im Anschluss an die Vorstellung spricht der

Übergang von einer zur andern. Ihre Ver-

Gesamtdauer: ca. 65 Min.

suche bilden den Rahmen für Momente mit den Künstlern und Forschenden Stephen Watts, Éléonore Bernard, Heba-Raphaëlle

Philosoph Jürg Berthold mit Hannes Schüpbach.

Ausstellung «Hannes Schüpbach & Stephen Watts: Explosion der Wörter» im Strauhof, 9.–20. Juni; Details unter: strauhof.ch

ESSAIS / Schweiz 2020 43 Min / Farbe / 16mm / ohne Ton // DREHBUCH, REGIE, KAMERA, SCHNITT Hannes Schüpbach // MIT Kira Blazek (Tanz), Stephen Watts, Éléonore Bernard, Heba-Raphaëlle Meffre, Flurin Cuonz, Marco Baschera, Jiajia Zhang.


42 ZUR RIETBERG-AUSSTELLUNG

MO, 7. JUNI | 18.00 UHR

DIE HÖHLE DER VERGESSENEN TRÄUME Aus Anlass der Ausstellung «Kunst der

stellung die verführerischste: dass sie ge-

­Vorzeit – Felsbilder der Frobenius-Expe­

malt haben könnten nicht um irgendeines

ditionen» im Museum Rietberg zeigt das

­rituellen Zweckes willen, sondern – weil sie

Filmpodium Werner Herzogs filmische 3-D-

malen wollten.» (Sabine Horst, epd Film,

Expedition in die Chauvet-Höhle im franzö-

1.11.2011)

sischen Ardèche-Tal.

«Herzog benutzt 3D als eine Möglichkeit für uns, den Raum des Films zu betreten, an-

Eine der vielen niemals zu beantwortenden

statt als eine Möglichkeit für ihn, in unseren

Fragen zur Kunst ist die Frage nach ihren

Raum einzudringen. (…) In dem Masse, in dem

Ursprüngen. Während Musik, Tanz und

es uns möglich ist, hinter Herzog in diese

Theater kaum Spuren hinterlassen haben,

Höhle zu gehen, tun wir das auch.» (Roger

haben Fels- und Höhlenmalereien die Jahr-

Ebert, rogerebert.com, 27.4.2011)

tausende überdauert. Die Entdeckung altsteinzeitlicher

Höhlenbilder

Ende

des

19. Jahrhunderts veränderte die Vorstellungen über die Anfänge der Kunst von

Einführung und Q&A mit Ausstellungskurator Dr. Richard Kuba, Frobenius-Institut, Frankfurt am Main. Die Ausstellung läuft noch bis zum 11. Juli 2021. Details unter rietberg.ch

Grund auf. Werner Herzog, der mit einer nur vierköpfigen Crew und unter strengsten Auflagen im für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Höhlensystem filmen konnte, schien es, als wäre hier «die Seele des modernen Menschen erwacht» – «im Finstern, denn die Künstler des Paläolithikums haben nur dort gemalt, wo kein Tageslicht mehr hinreichte. (…) Was den Film anders macht (als andere 3-D-Kultur- und Geografie-Dokumentationen; Anm. Red.), ist die für Herzog charakteristische ethno-esoterische Hintergrundstrahlung – und dieser zerrende Drang nach Erkenntnis, nach einer Wahrheit, die sich nicht aus der Addition von ‹Dokumenten› ergibt. (…) Das Herzstück des Films ist eine lange Sequenz, die nichts als Tierbilder zeigt, dazu ein hypnotischer Chorgesang: die Sakralisierung des Kulturfilms? Tatsächlich ist, wenn man sich so in die Linienführung unserer Altvorderen versenkt, diese Vor-

DIE HÖHLE DER VERGESSENEN TRÄUME / Frankreich / Deutschland / USA / GB 2010 90 Min / Farbe / Digital HD – 3D / D // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Peter Zeitlinger // MUSIK Ernst Reijseger // SCHNITT Joe Bini, Maja Hawke // MIT Werner Herzog (Sprecher), Jean Clottes, Julien Monney, Jean-Michel Geneste, Michel Philippe, Gilles Tosello, Carole Fritz.


43 ZUR STADTHAUS-AUSSTELLUNG

50 JAHRE FRAUENSTIMMRECHT: WAS WOLLT IHR DENN NOCH? Frauen aus Zürich und der ganzen Schweiz

sche: nach Selbstbestimmung, nach eige-

standen und stehen bis heute mit Mut, Wut

nen Räumen und guter Arbeit, nach Rech-

und Lust für ihre Vorstellungen einer de-

ten und nach anderen Formen der Politik.

mokratischen Gesellschaft ein. Eine Aus-

Es geht um Entscheide und Wagnisse, um

stellung im Stadthaus würdigt dieses Enga-

die Zusammenarbeit unter Frauen, um

gement.

Lohnklagen, um Kinder, um Möglichkeiten, mit und ohne Stimmrecht die Stimme zu er-

Eine Demokratie ist ein Raum, in dem un-

heben, und um Freiheit.

terschiedliche Meinungen gebildet, geprüft und ausgesprochen werden und in dem gemeinsam entschieden wird. So das Ideal. Aus diesem Raum der Stimm- und Wahlberechtigten blieben die Frauen in der Schweiz

SOTTOSOPRA / Schweiz 2002 85 Min / Farbe / 35 mm / D+F+I/d/f // DREHBUCH UND ­REGIE Gabriele Schärer // KAMERA Christine Munz // SCHNITT Maya Schmid.

skandalös lange ausgeschlossen. Mit lan-

Am Ende des letzten Jahrtausends reflektieren die Theolo-

gem Atem haben sie sich ein elementares

gin Marga Bührig, die gynäkologische Krankenschwester

Recht erkämpft.

schafterin Christiane Brunner über das Ende des Patriar-

1971 war es endlich geschafft. Oder fing es da erst an? Was ist seither geschehen?

Heidi Ensner, die Philosophin Luisa Muraro und die Gewerkchats und stellen die Geschichte ihrer persönlichen Befreiung in den Zusammenhang der Frauenbewegung.

Und was wollen Frauen denn noch? Diesen

✶ Mittwoch, 9. Juni, 18.00 Uhr:

Fragen geht die Ausstellung im Stadthaus

Im Anschluss an die Vorstellung folgt ein Gespräch mit

nach. Es geht um Forderungen und Wün-

Zürich, und Lisa Schmuckli, freie Philosophin.

­Dolores Zoé Bertschinger, engagiert im Frauen*Zentrum

KATZENBALL / Schweiz 2005 87 Min / Farbe + sw / 35 mm / D/f // DREHBUCH UND REGIE Veronika Minder // KAMERA Helena Vagnières // MUSIK Tina Kohler // SCHNITT Michael Schaerer. Die Schweiz aus der Perspektive lesbischer Frauen: Ein Film über ihre Geschichte(n), ihre Beziehungen, ihre geheimen Treffpunkte, ihre Suche nach Identität und ihre politischen Kämpfe. Fünf Frauen aus verschiedenen Generationen geben Einblick in ihr Leben. Sie nehmen uns mit auf eine vergnügliche Reise mit Bildern aus Film und Fernsehen durch ein Jahrhundert Schweizer Kulturgeschichte. ✶ Mittwoch, 23. Juni, 18.00 Uhr: Im Anschluss an die Vorstellung folgt ein Gespräch mit ­Corinne Rufli, Historikerin, und Veronika Minder, Regisseurin. Die Ausstellung, die ab Anfang Juni zu sehen ist, wird begleitet von zahlreichen Führungen, Stadtrundgängen, Debatten

> Katzenball.

usw. und von einem kleinen Filmprogramm. Details unter: stadt-zuerich.ch/ausstellung


44 SÉLECTION LUMIÈRE

MI, 2. JUNI | 18.00 UHR DO, 24. JUNI | 15.00 UHR

LACOMBE LUCIEN 13 Jahre bevor er sich im oscarnominierten

je gemacht worden sind. Die Handlungen

Au revoir les enfants der Opferseite der Ju-

werden schnörkellos inszeniert, mit Zu-

denverfolgung im Zweiten Weltkrieg wid-

rückhaltung – ohne den Versuch, jemanden

mete, hatte Louis Malle in Lacombe Lucien

zu schockieren oder zu beeindrucken; die

versucht, die Beweggründe der Mitläufer

Handlungen sind das, was wir bereits

und Mittäter einfühlbar zu machen. Sein

wussten. Die filmische Technik (...) ist ­

­Titelheld – apolitisch, gekränkt und etwas

schlicht, frontal und nicht forciert. Der Film

tumb – steht stellvertretend für all jene,

ist das Gesicht des Jungen. Die Magie liegt

die Faschismus erst möglich machen.

in der intensiven Neugierde und Intelligenz hinter dem Film – in Malles Erkenntnis, dass

Frankreich, 1944. Lucien Lacombe, ein 17-

die Antworten auf unsere Fragen, wie

jähriger Bauernsohn, ist ein schlichtes Ge-

­Menschen ohne Interesse an Politik zu ak-

müt; als er sich der Résistance anschlies­

tiven Mitwirkenden bei brutaler Folter wer-

sen wollte, wurde er von dieser verschmäht.

den, in Luciens pausbäckiger, schmal­

Nun ist von der Gestapo als Scherge ange-

äugiger Miene zu finden sind und dass uns

heuert worden, um Flüchtige einzufangen

zu zeigen, worauf dieser Junge nicht rea-

und zu foltern. Als Lucien sich in die junge

giert, am aufschlussreichsten überhaupt

Jüdin France Horn verliebt, gerät er in ein

sein kann.» (Pauline Kael, The New Yorker,

Dilemma.

1974)

«Malles Film ist ein langer, eingehender Blick auf die Banalität des Bösen; es ist (...) einer der am wenigsten banalen Filme, die

✶ am Mittwoch, 2. Juni, 18.00 Uhr: Einführung von Martin Walder

LACOMBE LUCIEN / Frankreich/BRD/Italien 1974 139 Min / Farbe / DCP / F/d // REGIE Louis Malle // DREHBUCH Louis Malle, Patrick Modiano // KAMERA Tonino Delli Colli // MUSIK Django Reinhardt, Quintett Hot Club de France // SCHNITT Suzanne Baron // MIT Pierre Blaise (Lucien), Aurore Clément (France), Holger Löwenadler (Albert Horn), Therese Giehse (Bella Horn), Stéphane Bouy (Jean-Bernard), Loumi ­Jacobesco (Betty Beaulieu), René Bouloc (Faure).


45 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm), Laura Walde SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 412 31 25 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 415 33 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Ascot Elite Entertainment Group, Zürich; Cineworx, Basel; DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Wiesbaden; Éditions René Chateau, Paris; Filmbank Media, London; Filmcoopi, Zürich; Frenetic Films, Zürich; Gaumont, Neuilly sur Seine; Kinemathek Le Bon Film, Basel; Koch Media, Planegg; Lionsgate, Santa Monica; Lobster Films, Paris; MFA+ Filmdistribution, Regensburg; Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden; Park Circus, Glasgow; Praesens Film, Zürich; Hannes Schüpbach, Winterthur; Studiocanal, Berlin; trigon-film, Ennetbaden; Warner Bros. Entertainment Switzerland GmbH, Zürich. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS, Zürich // KORREKTORAT Nina Haueter, Daliah Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 5000 ABONNEMENTE & VERGÜNSTIGUNGEN Filmpodium-Generalabonnement: CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // alle unter 25 Jahre & Kulturlegi: CHF 9.– // Programm-Pass: CHF 60.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen einer Programmperiode) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU Taiwan Cinema

Highsmith im Film

Anders als das actionlastige Hongkong-Kino

Am 19.1.2021 wäre Patricia Highsmith

und das oft epische und ästhetisch über-

100 Jah­re alt geworden; die letzten Jahre

höhte Kino der VR China ist das Filmschaf-

vor ihrem Tod 1995 hat sie in der Schweiz

fen Taiwans eher realitätsnah, auf gewöhn-

verbracht. In Highsmiths Krimis löst nicht

liche Menschen und ihre sozialen und

ein Detektiv einen Fall und bringt die Welt

psychologischen Probleme konzentriert; es

wieder in Ordnung; vielmehr sind die Prota-

arbeitet dunkle Kapitel der Geschichte auf

gonisten ihrer Psychothriller Aussenseite-

und schildert die Auswirkungen der Urbani-

rinnen und Querschläger, deren Leben

sierung auf zwischenmenschliche Bezie-

wegen Trieben und Obsessionen aus den

hungen. Neben Werken berühmter Regis-

Fugen gerät und sie ins Verbrechen abglei-

seure wie E ­ dward Yang, Ang Lee und Hou

ten lässt, nicht selten ungestraft.

Hsiao-Hsien gibt es auch Filme weniger be-

Seit Hitchcock 1951 ihr Romandebüt

kannter Cineastinnen und Cineasten zu ent-

Strangers on a Train in Szene setzte, haben

decken. Res­ taurierungen durch das Film­

viele andere Highsmiths Werke verfilmt,

institut Taiwan erlauben uns, Filme zu zeigen,

sei es fürs Kino oder fürs Fernsehen. Wir zei-

die hier noch nie zuvor zu sehen waren.

gen eine Auswahl der besten Adaptionen.


FINDE DEIN GLÜCK DORT, WO DU ES NICHT ERWARTEST.

PAWO CHOYNING DORJI, BHUTAN

JETZT IM KINO

Fürs Home Cinema empfehlen wir filmingo.ch oder unseren DVD-Shop auf trigon-film.org.


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