Filmpodium Programmheft Mai/Juni 2019 // Programme issue May/June 2019

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16. Mai – 30. Juni 2019

François Truffaut Youssef Chahine


STUMMFILMORCHESTER MUSIKAMO

Mit Schülerinnen und Schülern aus dem Förderprogramm MKZ Sonntag, 30. Juni, 14 Uhr

MAI

Filmstill: Teret (The Load), 2018

LEON LUCEV


01 Editorial

Beiboot ahoi! Ein Kino kann man unterschiedlich programmieren. Kommerzielle Premierenkinos sind stark von den Verleihern abhängig, die die Kinostarts immer häufiger weltweit koordinieren, um der Piraterie vorzubeugen und das Medienecho besser zu steuern. Allzu viele Filme werden breit lanciert und verdrängen allzu schnell andere aus den Sälen. «Sleepers», wie man einst jene Filme nannte, die ihr Publikum nur langsam fanden, dann aber endlos im Kino liefen, sind heute undenkbar. Bei solchen Spätzündern kann man nur hoffen, dass sie online Erfolg haben, ehe sie ganz von der Bildfläche verschwinden. Multiplexe können immerhin Filme umherschieben und den einen oder anderen in kleineren Sälen eine Zeit lang nachspielen, allerdings oft nur einmal täglich. Sie sind auch recht flexibel, wenn es darum geht, auf die Aktualität zu reagieren, etwa wenn ein Film preisgekrönt wird und man diese Publizität nutzen will, um ihm eine zweite Chance auf der Leinwand zu geben. Programmkinos hingegen planen viele Monate voraus. Die Abklärung der Rechte und die Beschaffung von Kopien sind viel komplexer und zeitraubender als bei Premieren, die vom Vertrieb als digitale Datei samt allen Sprachfassungen pfannenfertig ins Kino geliefert werden, inzwischen meist über Internet. Demgegenüber muss ein Kino wie das Filmpodium oft 35-mm-Kopien aus fernen Archiven kommen lassen und fremdsprachige DCPs mit Untertiteln ausstatten. Im vorliegenden Programm etwa sorgen wir selbst dafür, dass einige Filme von Youssef Chahine deutsch untertitelt zu sehen sind. Will sagen: Ein Programm wie dasjenige des Filmpodiums ist ein Tanker, berechenbar und zuverlässig, aber leider auch enorm schwerfällig. Auf aktuelle, unerwartete Ereignisse zu reagieren, war uns bisher unmöglich. Um dies wenigstens teilweise zu ändern und beispielsweise kurzfristig angekündigte Besuche von Filmschaffenden oder jüngst verstorbene Persönlichkeiten des Kinos würdigen zu können, lassen wir ab sofort in jeder Programmperiode zwei Termine offen, die spontaner bestückt werden: Erst zehn Tage im Voraus wird jeweils angekündigt, was das Filmpodium dann zeigt. Falls es keinen ­aktuellen Grund für eine Sonderprogrammierung gibt, wiederholen wir besonders gefragte Titel aus dem regulären Angebot. Informiert werden Sie auf unserer Website und an der Kinokasse. Wir hoffen, dass dieses wendige Beiboot zu unserem Tanker auch Sie an Bord holen kann. Michel Bodmer Titelbild: François Truffaut und Jacqueline Bisset drehen La nuit américaine (© Eva Sereny / Iconic Images)


02 INHALT

François Truffaut

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Youssef Chahine

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Der amerikanische Kritiker Stanley Kauffman hat einmal gespottet, dass François Truffaut (1932–1984) nur drei Themen kenne: 1. Männer, die in die Liebe verliebt sind, 2. Frauen, die Männer umbringen, 3. Kinder. Dass das nicht ganz falsch ist und doch nicht die ganze Wahrheit, zeigt diese Retrospektive. Neben seiner quasi­autobiografischen Antoine-­ Doinel-Saga mit Jean-Pierre Léaud drehte Truffaut Krimis (Tirez sur le pianiste, 1960; La mariée était en noir, 1969), Romanzen (Jules et Jim, 1962; Les deux Anglaises et le continent, 1971), einen ScienceFiction-Film (Fahrenheit 451, 1966) sowie Studien über Erziehung und das Heranwachsen (L’enfant sauvage, 1970; L’argent de poche, 1975). Wiederkehrende Themen führen als roter Faden durch die stilistische Vielfalt.

Während Jahrzehnten war Youssef Chahine (1926–2008) die zentrale Figur im Kino Ägyptens. In seinen sozial­ kritischen Filmen, die sich bald am Neorealismus, bald an populären Formen wie dem Melodram und dem ­Musical orientierten, hielt er der ägyptischen Gesellschaft den Spiegel vor. Mit Filmen wie Dunkle Wasser (Siraa fil Mina, 1956) machte er Omar Sharif bekannt, 1958 lief sein Meisterwerk Hauptbahnhof (Bab el hadid) an der Berlinale. Systemkritik wie in Der Spatz (Al-asfour) (1974) bescherte Chahine Ärger mit dem Regime. Als Höhepunkt seines Schaffens gilt vielen die autobiografische, formal experimentierfreudige Alexandria-Tetralogie. Ein grosses Restaurierungsprojekt in Kairo macht jetzt Chahines vielfältiges Schaffen wieder zugänglich.

Bild: Domicile conjugal

Bild: Dunkle Wasser


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Bauhaus und Max Bill

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100 Jahre alt wird diesen Sommer das Bauhaus. Vier Programme illustrieren, wie diese wegweisende Kunsthochschule mit der neuen Kunst Film umgegangen ist. Zusätzlich ist ein ­Dokumentarfilm über den Schweizer Bau­haus-Schüler Max Bill zu sehen.

Das erste Jahrhundert des Films: 1959

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Neben Les quatre cents coups (in der François-Truffaut-Reihe) entstand mit Robert Bressons Pickpocket ein weiterer Meilenstein des französischen Kinos. Hollywood liess mit William Wylers Ben-Hur die Muskeln spielen, Douglas Sirk jedoch hinterfragte in ­Imitation of Life das Selbstbild der USA. Hinter den sieben Gleisen fabulierte Kurt Früh, und in Indien gipfelte Satyajit Rays Apu-Trilogie in Apur ­ Sansar. Bild: Hinter den sieben Gleisen

Premiere: Hitlers Hollywood

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Rüdiger Suchslands Dokumentarfilm­ Essay über den ­NS-Unterhaltungsfilm.

Filmpodium für Kinder: Emil und die Detektive

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Auch im quirligen Berlin der Jahrtausendwende wird Kästners Emil um seine Ersparnisse erleichtert und macht sich zusammen mit Pony Hütchens Kinderbande auf die Jagd nach dem Dieb. Bild: Emil und die Detektive

Einzelvorstellung Sélection Lumière: Dans la ville blanche

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Ab sofort lassen wir zwei Termine pro Programm­ periode frei, um flexibel auf aktuelle Ereignisse ­reagieren zu können. Festgelegt werden diese Vor­ stellungen jeweils 10 Tage vorher; bitte beachten Sie unseren Newsletter, die Anzeigen im Kino und unsere Website.



05

François Truffaut Man darf von François Truffaut sagen, was er als junger Filmkritiker über George Cukor, einen Bruder im Geiste, schrieb: Von fünf seiner ­Filme ist einer ein Meisterwerk, drei sind sehr gut und der fünfte ist bestimmt interessant. Ebenso Mitbegründer der Nouvelle Vague wie Erbe von Jean Renoir und Jünger von Alfred Hitchcock, hat Truffaut ein Werk geschaffen, das vital und vielfältig ist und das oft von starken Frauen­figuren dominiert wird, denen die Männer zu Füssen liegen oder zum Opfer fallen. War es vor ungefähr zwanzig Jahren? Jener aussergewöhnliche Festivaltag in Cannes, als der Jahrmarkt der Eitelkeiten, das Hamsterrad der Glamourbeschwörer für einen magischen Moment innehielt. Um jenes Mannes zu gedenken, der den Unterschied zwischen Magie und Glamour, zwischen echtem und falschem Glanz des Kinos wie kaum ein anderer reflektiert und uns die Sinne dafür geschärft hatte. Aber nein, vor über dreissig Jahren war es, im Mai 1985, und es kommt wohl nicht von ungefähr, dass die Erinnerung ­François Truffaut älter machen will. Nur gerade 52 ist er geworden. Im Rückblick erscheint sein Lebenswerk so reich wie das eines Menschen, dem ein ­voller Lebenszyklus gegönnt war. Doch Fülle und Vollendung sind nicht das Gleiche. Truffauts Streben galt stets den erfüllten Lebensmomenten, nicht dem vollendeten Kunstwerk. Jedenfalls war an diesem Trauertag die Crème de la Crème des französischen Kinos anwesend, seine Starproduzenten, seine Starautoren, natürlich die Stars der Leinwand selbst: Jeanne Moreau, Catherine Deneuve, Fanny Ardant, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Léaud, Gérard Depardieu, Charles ­Aznavour und zahlreiche andere oben auf der Bühne (schmerzlich abwesend Oskar Werner, der seinen Durchbruch Jules et Jim, 1962, und Fahrenheit 451, 1966, verdankte; er war zwei Tage nach seinem Freund Truffaut gestorben). Unten im Saal das Fussvolk, französisch und international, dem Truffaut, Autodidakt in all seinen Metiers, ohnehin stets besonders zugetan war. «La famille Truffaut», wie seine jüngste Muse, Claude Jade, es nannte, die ganze Branche, der der Verstorbene eine Dekade zuvor seinen vielleicht schönsten Film gewidmet hatte: La nuit américaine (1973), eine poetische Metapher für die Illusionen der Leinwand, ein filmisches Gedicht über die technischen Möglichkeiten des Kinos, den Tag in die Nacht zu verwandeln.

< >

Kindliche Rebellion: Les quatre cents coups Heimliche Leidenschaft: La femme d'à côté


06 Vom Kritiker zum Hoffnungsträger Alles kam zusammen an diesem Festival, das dem scharfzüngigen Filmkritiker einst die Akkreditierung verweigert hatte, ihn im Jahr darauf aber als neues Wunderkind der Nouvelle Vague – Grosser Regiepreis 1959 für Les quatre cents coups − empfangen musste, und das er zehn Jahre später im Zuge der Mai-Unruhen 1968 zusammen mit Godard und andern Rebellen gegen das «bourgeoise Kino» lahmlegen sollte. Kurz: Hier wurde nicht nur eines Toten gedacht, hier atmete Festival- und Filmgeschichte. Denn die «famille Truffaut», das war auch die fruchtbare, weitverzweigte Familie des französischen Kinos seit Mitte des Jahrhunderts, deren ästhetische Verästelungen bis ins New Hollywood und zu Steven Spielberg reichten. Truffaut, Schüler Rossellinis und Bewunderer des italienischen Neorealismo, war Mitbegründer der «politique des auteurs» und prägende Stimme in André Bazins Cahiers du cinéma, der geistigen Quelle des Autorenfilms und Bibel aller Cineasten und Cinephilen; er war Neu-Entdecker von Hollywoods verkannten «Autoren» und in dieser Funktion vor allem Exeget von Hitchcock, mit dem vielleicht populärsten theoretischen Text der Filmgeschichte überhaupt: «Le cinéma selon Hitchcock» (1966, dt. «Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?»). Dafür befragte er den Meister des Suspense fünfzig Stunden lang und schrieb ihn dann in den Olymp der Filmgötter. Das schlug sich auch in seinen eigenen Filmen nieder, etwa in La mariée était en noir (1968) und La sirène du Mississippi (1969), aber auch noch in seinem letzten Film, Vivement dimanche! (1983): allesamt Hommagen nicht nur an Hitchcock, sondern verspielte, paradoxerweise geradezu heitere Variationen der literarischen und filmischen «Série noire», der er bereits mit seinem Frühwerk Tirez sur le pianiste (1960) gehuldigt hatte. Doch obschon Truffaut, ein «cinéaste» nach der notorisch geschwätzigen französischen Lehre, als fleissiger Schulschwänzer seine Kindheit und Jugend im Kino verbracht hatte, war er kein Nerd, wie die Millennials solch obsessive Eskapisten heute nennen. Weder lebte er in einer realitätsblinden Parallelwelt, noch stagnierte er in der pubertären 68er-Pose des Revoluzzers, wie etwa Godard sie nie wirklich aufgeben konnte (Truffaut schimpfte ihn einen Schickimicki-Radikalen). Schüchtern und melancholisch, war er zum Autorengott in diesem theorielastigen – und bei allem intellektuellen Getue nicht wenig machistischen – Männeruniversum nicht gemacht. Der Mann, der Kinder und Frauen liebte Nein, aufrichtig und ohne Anstrengung schien Truffaut das Leben zu lieben, die menschliche Gesellschaft in all ihren Defiziten, ihre Literatur, die neben dem Kino schon früh seinen Geist und später viele seiner Filme beflügelte. Die Kinder liebte er sowieso, deren ungezähmten Blick auf die Welt er nie ganz verlor. Zu Les quatre cents coups oder L’argent de poche (1976) inspirierte ihn seine eigene verwahrloste Kindheit, im weiteren Sinn wohl ebenfalls zu


07 L’enfant sauvage (1970): Für die gesellschaftspolitischen Fragen von Kindererziehung und Bildung, die er mit der historischen Geschichte eines Wolfsjungen stellte, engagierte er sich auch jenseits des Kinos. Ein gewisse Kindlichkeit, im träumerisch-kreativen Sinn wie in einer gelegentlich kindischen Verweigerung zu Entwicklung und Reife, war seit Jules et Jim eine Grundschwingung in Truffauts Werk und zeichnet auch die autobiografisch gefärbten Antoine-Doinel-Filme aus. Jean-Pierre Léaud verkörperte diesen Puer aeternus über fünf Filme und zwei Jahrzehnte hinweg mit einem zunehmend beängstigenden persönlichen Stillstand, in welchem sich die Grenzen zwischen Figur und Darsteller völlig aufzulösen schienen. Für die Welt der Erwachsenen waren Léaud/Doinel nicht geschaffen, für das Domicile conjugal (1970) erst recht nicht. Obschon: Am meisten liebte Truffaut, wie jede seiner Alter-Ego-Figuren, die Frauen. Die Küchenpsychologie würde darin wohl die Suche eines ungeliebten Kindes nach einer zärtlichen Mutter verorten. Im symbolisch betitelten L’homme qui aimait les femmes (1977) spiegelt Truffaut sich in der Figur eines Mannes, dessen einziger Lebenszweck aus einer Art Minnesang auf die Frauen besteht, fetischisiert in ihren Beinen. Gemäss simpleren #MeToo-Kriterien wäre diese erotische Passionsgeschichte bereits anrüchig, doch Truffauts Gesamtwerk ist eine mächtige Demonstration des programmatischen Zitates daraus: «Die Beine der Frauen sind die Zirkel, die den Erdball in allen Himmelsrichtungen vermessen und ihm sein Gleichgewicht und seine Harmonie verleihen.» Auch quotenmässig gibt es nichts zu rüffeln. Truffauts Hauptfiguren waren mehrheitlich Frauen, seine Protagonistinnen nicht nur dekoratives Beigemüse, und das in einer Zeit, in der der Sexismus nahtlos von Papas totgeschrie(b)enem Kino in jenes der patriarchalen Söhne überging: eine Vielfalt von weiblichen Charakteren, historischen, literarischen, zeitgenössischen, exzentrischen und realistischen, wie kaum ein anderer Regisseur seiner Epoche sie hervorgebracht hatte. Kein Wunder, beherrschten an jenem Tag in Cannes die Frauen die Bühne, hielten inne auf ihren schönen, starken Beinen und weinten in aufrichtigem Schmerz um den Mann, der sie die Welt hatte vermessen lassen. Und für einen Moment wurde der Festivalpalast zu jener intimen «chambre verte» aus Truffauts Spätwerk, wo seine Liebe zum Leben nur noch vom Gedenken an die Toten getragen wird. Pia Horlacher


> L’enfant sauvage.

> La sirène du Mississippi.

> Tirez sur le pianiste.

> Fahrenheit 451.

> La mariée était en noir.

> Baisers volés.


09

François Truffaut 82 Min / sw / 35mm / F/d // REGIE François Truffaut // DREH-

LES MISTONS

BUCH François Truffaut, Marcel Moussy, nach einem Roman

Frankreich 1957

von David Goodis // KAMERA Raoul Coutard // MUSIK Georges

Fünf Jungen beobachten ein Liebespaar und stel­ len diesem nach. «Eine poetischer Tagtraum: Der Blick der Kin­ der auf die Erwachsenenwelt ist gierig, aber ver­ ächtlich.» (Pauline Kael: 5001 Nights at the Mo­ vies, Marion Boyars 1993)

Charles Aznavour (Charlie Kohler/Edouard Saroyan), Marie

LES QUATRE CENTS COUPS Frankreich 1959 «Dieser Film, dessen historischer Stellenwert kaum überschätzt werden kann, hat die Nouvelle Vague ausgelöst (...). Fast durchwegs aus der Per­ spektive von Jean-Pierre Léauds Figur Antoine Doinel erzählt und stark an Truffauts eigene ­Jugend angelehnt, bietet Les quatre cents coups ein Porträt des Künstlers als jugendlicher Delin­ quent (...). Im Laufe des Films treiben ihn die ­Vernachlässigung durch seine Eltern und seine keimende intellektuelle Neugier immer tiefer in eine randständige Existenz.» (Keith Phipps, film. avclub.com, 13.5.2003)

Delerue // SCHNITT Cécile Decugis, Claudine Bouché // MIT Dubois (Léna), Nicole Berger (Thérésa), Michèle Mercier ­(Clarisse), Albert Rémy (Chico Saroyan).

JULES ET JIM Frankreich 1962 «Truffauts Ode an das Leben der Boheme in Frankreich und Deutschland in den Jahren künst­ lerischer Gärungsprozesse zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Der Österreicher Jules­und der Franzose Jim – die Sorte Künstler, die als Erwachsene etwas anderes werden – sind in friedlicher Freundschaft verbunden. Wenn sie aber mit Catherine zusammen sind, fühlen sie sich lebendig; da kann alles passieren. Sie ist der Katalysator, der Störenfried, eine Quelle von Freude wie Verzweiflung; eine Zauberin, aber auch eine Fanatikerin. (...) Elliptisch, voller Witz und Glanz.» (Pauline Kael) 106 Min / sw / DCP / F/d / // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Jean Gruault, nach dem Roman von

LES MISTONS 18 Min / sw / DCP / F/e // REGIE François Truffaut // DREH-

Henri-Pierre Roché // KAMERA Raoul Coutard // MUSIK

BUCH François Truffaut, nach der Novelle von Maurice Pons //

Georges Delerue // SCHNITT Claudine Bouché // MIT Jeanne

KAMERA Jean Malige // MUSIK Maurice Le Roux // SCHNITT

Moreau (Catherine), Oskar Werner (Jules), Henri Serre (Jim),

Cécile Decugis // MIT Bernadette Lafont (Bernadette), Gérard

Marie Dubois (Thérèse), Boris Bassiak (Albert), Vanna Urbino

Blain (Gérard).

(Gilberte), Sabine Haudepin (Sabine), Anny Nelsen (Lucie).

LES QUATRE CENTS COUPS 101 Min / sw / 35 mm / F/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Marcel Moussy // KAMERA Henri ­Decaë // MUSIK Jean Constantin // SCHNITT Marie-Josèphe Yoyotte // MIT Jean-Pierre Léaud (Antoine Doinel), Albert Rémy (Julien Doinel, Antoines Stiefvater), Claire Maurier ­(Gilberte Doinel, Antoines Mutter).

TIREZ SUR LE PIANISTE Frankreich 1960 Der schüchterne Barpianist Charlie wird von sei­ nem Bruder in kriminelle Händel verwickelt. «Dieser Film beruht auf David Goodis’ ‹Down There›, einem schlanken, gut geschriebenen amerikanischen Krimi. Der Film explodiert in alle Richtungen – und das ist das Wunderbare daran. Komik, Pathos und Tragödie werden wild durchei­ nandergerüttelt. Charlie, der kleine Pianist mit der traurigen Miene, ist der dünnhäutigste Held von heute: Immer wenn ihm an jemandem lag, musste er leiden, und nun will er sich einfach ‹raushalten›. Dies ist (...) vielleicht die einzige Ko­ mödie über Melancholie.» (Pauline Kael)

FAHRENHEIT 451 GB 1966 «Ein jeder, der Bücher liebt und leidenschaftlich liest, muss von Ray Bradburys Roman ohnehin gefangen genommen sein. Aber wie Truffaut sich dieser Science-Fiction-Geschichte angenommen hat, und wie er von diesem Feuerwehrmann na­ mens Guy Montag erzählt, der kein Feuer mehr löschen, sondern stattdessen Brände stiften und Bücher verbrennen soll, das hat mich beim ersten Sehen mit offenem Mund dasitzen lassen, und seitdem habe ich mir keine Gelegenheit entgehen lassen, den Film wieder und wieder zu sehen.» (Wim Wenders, Süddeutsche Zeitung – Cinema­ thek, 2005) 113 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Jean-Louis Richard, nach dem Roman von Ray Bradbury // KAMERA Nicolas Roeg // MUSIK Bernard Herrmann // SCHNITT Thom Noble // MIT Oskar Wer­ ner (Guy Montag), Julie Christie (Linda Montag/Clarisse), Cy­ ril Cusack (Feuerwehrhauptmann), Anton Diffring (Fabian), Jeremy Spenser (Mann mit Apfel).


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François Truffaut 107 Min / Farbe / DCP / F/d // REGIE François Truffaut //

ANTOINE ET COLETTE

DREHBUCH François Truffaut, Jean-Louis Richard, nach dem

Frankreich 1962

Roman von William Irish // KAMERA Raoul Coutard // MUSIK

«Antoine et Colette, ein Kurzfilm, der für den Epi­ sodenfilm L’amour à vingt ans (1962) geschaffen wurde, nimmt die Geschichte von Antoine Doinel wieder auf. Nun ist er selbstständig, verliebt sich bei einem Gratiskonzert in Berlioz und muss fest­ stellen, dass das Erwachsenwerden seinerseits Enttäuschungen bereithält.» (Keith Phipps)

Jeanne Moreau (Julie Kohler), Jean-Claude Brialy (Corey),

BAISERS VOLÉS Frankreich 1968 «Wie Truffaut selbst einräumte, gehörte Antoine Doinel mit jedem Film ein wenig mehr JeanPierre Léaud, und hier findet der Schauspieler seine Berufung als todernster Slapstick-Komiker und tauscht eine verpfuschte Jugend gegen über­ triebene romantische Regungen ein. Nach seiner unehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst treibt sich Antoine in Paris herum und von einem Job zum andern.» (Keith Phipps) ANTOINE ET COLETTE 21 Min / sw / 35 mm / F/d // DREHBUCH UND REGIE François Truffaut // KAMERA Raoul Coutard // MUSIK Georges Delerue

Bernard Herrmann // SCHNITT Claudine Bouché // MIT Michel Bouquet (Coral), Charles Denner (Fergus), Claude Rich (Bliss), Daniel Boulanger (Holmes), Michel Lonsdale (Morane), Serge Rousseau (David).

LA SIRÈNE DU MISSISSIPPI Frankreich/Italien 1969 Der attraktive Plantagenbesitzer Louis sucht per Kontaktanzeige eine Ehefrau. Als die schöne Julie Roussel wenig später mit dem Schiff auf La Réu­ nion ankommt, sieht sie dem Foto der Braut aber kaum ähnlich. Nach der Heirat verschwindet sie – samt dem Vermögen von Louis. Zufällig findet er sie in Frankreich wieder und verfällt ihr erneut. «Deneuve als attraktive Heiratsschwindlerin und Belmondo als einsamer Grossgrundbesitzer dienen Truffaut als Figuren in diesem psychologi­ schen Verwirrspiel um Misstrauen und Leiden­ schaft, das er als eine Art Krimi anlegte, der stets mehr als nur spannend sein will. Die Amour fou zweier einsamer Seelen, die nicht voneinander lassen können.» (filmreporter.de)

// SCHNITT Claudine Bouché // MIT Jean-Pierre Léaud (Antoine Doinel), Marie-France Pisier (Colette), Patrick ­

129 Min / Farbe / DCP / F/d // REGIE François Truffaut //

­Auffay (René), Rosy Varte (Colettes Mutter), François Darbon

DREHBUCH François Truffaut, nach dem Roman «Waltz into

(Colettes Stiefvater), Henri Serre (Sprecher).

Darkness» von William Irish // KAMERA Denys Clerval // ­MUSIK Antoine Duhamel // SCHNITT Agnès Guillemot // MIT

BAISERS VOLÉS

­Catherine Deneuve (Julie Roussel/Marion), Jean-Paul

91 Min / sw / DCP / F/d // REGIE François Truffaut // DREH-

Belmondo (Louis Mahé), Michel Bouquet (Comolli), Nelly ­

BUCH François Truffaut, Claude de Givray, Bernard Revon //

Borgeaud (Berthe Roussel), Marcel Berbert (Jardine).

KAMERA Denys Clerval // MUSIK Antoine Duhamel; Chanson: Charles Trenet // SCHNITT Agnès Guillemot // MIT Jean-Pierre Léaud (Antoine Doinel), Claude Jade (Christine Darbon),

DOMICILE CONJUGAL

­Delphine Seyrig (Fabienne Tabard), Michael Lonsdale (Georges

Frankreich/Italien 1970

Tabard), Harry Max (M. Henri).

LA MARIÉE ÉTAIT EN NOIR Frankreich/Italien/GB 1968 «Truffaut hat gesagt, dass dieser elegante Thril­ ler (...) ein Versuch war, seine zwei cineastischen Idole zu versöhnen, Alfred Hitchcock und Jean Renoir. Er handelt von Julie Kohler, deren Mann unerklärlicherweise nach ihrer Hochzeit auf den Kirchenstufen erschossen wird. Truffaut folgt Ju­ lies systematischem und tödlichem Rachefeldzug mit einem leichten, idyllischen Stil. (...). Die Mi­ schung von Krimi und Renoir mag nie völlig auf­ gehen, aber das ist alles sehr unterhaltsam, und Hitchcock-Buffs werden ihren Spass daran ha­ ben, die vielen Anspielungen (...) herauszupi­ cken.» (David Pirie, Time Out Film Guide)

Antoine Doinel hat Christine geheiratet, mit ihr eine behagliche Wohnung bezogen und verkauft selbst gefärbte Blumen, während sie Violinstun­ den erteilt. Als Christine schwanger wird, zer­ streiten sich die beiden bei Diskussionen über Namen und Zukunft ihres Kindes, und Antoine bandelt mit einer Japanerin an. «Am Ende von Les quatre cents coups erwarte­ ten wir wohl, dass Antoine zu einem ausserge­ wöhnlichen Menschen heranwachsen würde, aber wir haben uns geirrt. Truffaut hat ihn zu ei­ nem freundlichen, recht gewöhnlichen jungen Mann von Anfang zwanzig altern lassen, und in Domicile conjugal ist Antoine gar verbürgerlicht.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 4.5.1971) 101 Min / Farbe / DCP / F/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Claude de Givray, Bernard


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François Truffaut ­Revon // KAMERA Néstor Almendros // MUSIK Antoine ­Du­hamel // SCHNITT Agnès Guillemot // MIT Jean-Pierre Léaud (Antoine Doinel), Claude Jade (Christine Doinel), ­Barbara Laage (Monique), Hiroko Berghauer (Kyoko), Daniel Boulanger (Opernsänger), Daniel Ceccaldi (Lucien Darbon).

L’ENFANT SAUVAGE Frankreich 1970 Drama nach Tatsachen. 1798 wird ein verwilder­ tes Kind gefunden, das nicht sprechen kann. Dr. Jean Itard vom Taubstummeninstitut in Paris nimmt den Wolfsjungen unter seine Fittiche und versucht ihn in die Zivilisation zu integrieren. «Truffaut verleiht jedem Bild des Films seine persönliche Note. Er hat ihn geschrieben, insze­ niert und spielt selbst den Doktor. Es ist eine de­ zente, einfühlsame Darbietung, ein perfekter Kontrapunkt zu Jean-Pierre Cargols Wildheit und Angst.» (Roger Ebert, rogerebert.com, 16.10.1970)

LA NUIT AMÉRICAINE Frankreich/Italien 1973 «Die rudimentäre Handlung betrifft die diversen emotionalen Krisen, logistischen Schwierigkei­ ten und Augenblicke schierer Euphorie bei den Dreharbeiten zu einem ziemlich albern anmuten­ den Film (...). Im Grunde ist das Ganze bloss ein Vorwand für eine wunderbare Folge von feinfühlig beobachteten Gags darüber, wie es wirklich hin­ ter den Kulissen eines Filmsets zugeht.» (Geoff Andrew, Time Out Film Guide) 116 Min / Farbe / 35 mm / F+E/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH Jean-Louis Richard, Suzanne Schiffman, François Truffaut // KAMERA Pierre-William Glenn // MUSIK Georges Delerue // SCHNITT Martine Barraqué, Yann Dedet // MIT François Truffaut (Ferrand, der Regisseur), Jean-Pierre Léaud (Alphonse), Jacqueline Bisset (Julie Baker), Valentina Cortese (Séverine), Jean-Pierre Aumont (Alexandre).

L’ENFANT SAUVAGE 83 Min / sw / 35 mm / F/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Jean Gruault, nach «Mémoire et Rap­ port sur Victor de l’Aveyron» von Dr. Jean Itard // KAMERA ­Néstor Almendros // MUSIK Antonio Vivaldi // SCHNITT Agnès Guillemot // MIT Jean-Pierre Cargol (Victor de l’Aveyron), François Truffaut (Dr. Jean Itard), Françoise Seigner (Madame Guérin), Jean Dasté (Prof. Philippe Pinel).

LES DEUX ANGLAISES ET LE CONTINENT Frankreich 1971 Der junge französische Schriftsteller Claude be­ sucht in Wales zwei puritanisch erzogene Schwes­ tern, die sich beide in ihn verlieben. Er selbst kann sich zwischen den beiden nicht entscheiden und geht nacheinander Beziehungen mit ihnen ein. Henri-Pierre Roché, dessen autobiografisch gefärbter Erstling als Vorlage zu Jules et Jim ge­ dient hatte, kehrte in seinem zweiten Roman «Les deux Anglaises et le continent» das intime Ver­ hältnis um: Hier schwankt ein Mann zwischen zwei Frauen. (mb)

L’HISTOIRE D’ADÈLE H. Frankreich 1975 Eine junge Französin kommt 1863 nach Halifax. Sie ist einem britischen Offizier gefolgt, den sie abgöttisch liebt, der ihre Gefühle aber nicht erwi­ dern will. «Diese Geschichte über eine romantische Liebe, die sich in Selbstzerstörung erfüllt, beruht auf den Tagebüchern von Adèle, der Tochter von Victor Hugo; diese wird verkörpert von der er­ staunlichen jungen Schauspielerin Isabelle Adjani. Die visuelle Stimmigkeit, die der Kameramann Néstor Almendros erzeugt, erlaubt Truffaut ein neues Mass an Konzentration auf die Charakter­ zeichnung.» (Pauline Kael) 96 Min / Farbe / 35 mm / F+E/d/f // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Jean Gruault, Suzanne Schiffman, Frances Vernor Guille, nach dem Tagebuch von Adèle Hugo // KAMERA Néstor Almendros // SCHNITT ­Martine Barraqué, Yann Dedet // MIT Isabelle Adjani (Adèle Hugo/Adèle Lewly), Bruce Robinson (Lt. Albert Pinson), S ­ ylvia Marriott (Mrs. Saunders).

130 Min / Farbe / DCP / F+E/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Jean Gruault, nach dem Ro­ man von Henri-Pierre Roché // KAMERA Néstor Almendros // MUSIK Georges Delerue // SCHNITT Martine Barraqué, Yann Dedet // MIT Jean-Pierre Léaud (Claude Roc), Kika Markham (Ann Brown), Stacey Tendeter (Muriel Brown), ­Sylvia Marriott (Mrs. Brown).

L’ARGENT DE POCHE Frankreich 1976 Die gut 12-jährigen Kinder, die in Thiers bei Ma­ demoiselle Petit und Monsieur Richet zur Schule gehen, haben sowohl im Klassenzimmer wie auch im Privatleben mit allerhand Herausforderungen zu kämpfen.


> L’argent de poche.

> L’homme qui aimait les femmes.

> L’histoire d’Adèle H..

> Les deux Anglaises et le continent.

> L’amour en fuite.

> Vivement dimanche!.


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François Truffaut «Truffauts Folge von Skizzen zum allgemeinen Thema der Resilienz von Kindern erweist sich als wahre Rarität – eine poetische Komödie, die wirk­ lich lustig ist. Truffauts trockener, sprunghafter Stil ist flinker und sicherer denn je; es wirkt so, als würden die Kinder dabei gefilmt, wie sie den Slap­ stick erfinden.» (Pauline Kael) 104 Min / Farbe / DCP / F/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Suzanne Schiffman // KAMERA Pierre-William Glenn // MUSIK Maurice Jaubert; Chanson: Charles Trenet // SCHNITT Yann Dedet // MIT Geory Desmou­ ceaux (Patrick), Philippe Goldman (Julien), Jean-François Stévenin (Jean-François Richet), Chantal Mercier (Chantal Petit, Lehrerin), Tania Torrens (Nadine Riffle).

L’HOMME QUI AIMAIT LES FEMMES Frankreich 1977 Bei Bertrand Moranes Begräbnis ist die Trauer­ gemeinde rein weiblich. Er war «Der Mann, der die Frauen liebte» – so der Titel seiner Memoiren, die am Tage seines jähen Todes erschienen sind. «Nach dem Trauerspiel der Adèle H. die Tragi­ komödie des Bertrand Morane. (...) Adèle und Bertrand sind von der gleichen Obsession beses­ sen; ihr pathogenes Syndrom heisst Amour fou. Während Adèles Besessenheit auf eine nichtaustauschbare Person zentriert ist, richtet sich die Libido Bertrands auf wechselnde Objekte.» (Peter W. Jansen, in: François Truffaut, Hanser Verlag 1984)

France Pisier, Jean Aurel // KAMERA Néstor Almendros // MUSIK Georges Delerue // SCHNITT Martine Barraqué // MIT Jean-Pierre Léaud (Antoine Doinel), Marie-France Pisier ­(Colette), Claude Jade (Christine), Rosy Varte (Colettes Mutter).

LA FEMME D’À CÔTÉ Frankreich 1981 Bernard ist glücklich mit seiner Frau Arlette und ihrem gemeinsamen kleinen Sohn. Da zieht im Nachbarhaus der biedere Philippe ein mit seiner Frau Mathilde. Vor Jahren hatten Bernard und Mathilde eine stürmische Beziehung; sie ver­ heimlichen ihren Partnern, dass sie sich kennen. «Truffaut ist erklärtermassen einer der gröss­ ten Bewunderer von Alfred Hitchcock und dies ist ein zutiefst hitchcockmässiger Film, denn seine Themen sind Schuld, Leidenschaft und die schrecklichen Folgen einer Sünde, die ganz klein anfängt.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 1.1.1981) 106 Min / Farbe / 35 mm / F/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Suzanne Schiffman, Jean Aurel // KAMERA William Lubtchansky // MUSIK Georges Delerue // SCHNITT Martine Barraqué // MIT Gérard Depardieu ­(Bernard Coudray), Fanny Ardant (Mathilde Bauchard), Henri Garcin (Philippe Bauchard), Michèle Baumgartner (Arlette Coudray), Véronique Silver (Odile Jouve).

VIVEMENT DIMANCHE! Frankreich 1983

120 Min / Farbe / DCP / F/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH Michel Fermaud, Suzanne Schiffman, François Truffaut // KAMERA Néstor Almendros // SCHNITT Martine Barraqué // MIT Charles Denner (Bertrand Morane), Brigitte Fossey (Geneviève Bigey), Nelly Borgeaud (Delphine Grezel), Geneviève Fontanel (Hélène), Leslie Caron (Véra), Nathalie Baye (Martine Desdoits), Valérie Bonnier (Fabienne).

L’AMOUR EN FUITE Frankreich 1979 «L’amour en fuite ist eindeutig als Schlusskapitel gestaltet und bringt eine Wiederkehr der meisten Frauen, die in Antoine Doinels Leben eine Rolle gespielt haben. Neben Christine treffen wir auch auf Antoines frühe Freundin Colette (...), und es gibt sogar einen Besuch auf dem Friedhof, wo zu­ mindest angedeutet wird, dass Antoine sich mit seiner Mutter versöhnt hat, deren Verhalten in Les quatre cents coups in den Folgefilmen nach­ hallte.» (Victoria Large, notcoming.com, 2010)

«Julien verstrickt sich in einen Mordfall. Dann wird seine Frau umgebracht. Während er die Flucht ergreift, fällt es seiner Sekretärin Barbara zu, die Verbrechen aufzuklären. (...) Mit seinen durchdachten Kompositionen, eleganten schau­ spielerischen Darbietungen und atmosphäri­ schen Schwarzweissbildern hätte der Film leicht eine spröde Stilübung werden können. Die Senti­ mentalität wird aber ständig unterschnitten, und fast jede Szene ist durchdrungen von schlauem, manchmal schwarzem Humor, auch wenn sich die Leichen allmählich türmen in diesen nicht beson­ ders schäbigen Strassen Frankreichs.» (Richard Rayner, Time Out Film Guide) 111 Min / sw / 35 mm / F/d // REGIE François Truffaut // DREHBUCH François Truffaut, Suzanne Schiffman, Jean Aurel, nach dem Roman «The Long Saturday Night» von Charles Williams // KAMERA Néstor Almendros // MUSIK Georges Delerue // SCHNITT Martine Barraqué // MIT Fanny Ardant (Barbara ­Becker), Jean-Louis Trintignant (Julien Vercel), Philippe Lau­ denbach (Maitre Clément), Caroline Sihol (Marie-Christine

97 Min / Farbe + sw / DCP / F/d // REGIE François Truffaut //

Vercel), Philippe Morier-Genoud (Kommissar Santelli),

DREHBUCH François Truffaut, Suzanne Schiffman, Marie-

­Xavier Saint Macary (Bertrand Fabre).



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Youssef Chahine Nicht nur als Filmemacher, auch wegen seiner politischen und mensch­ lichen Einstellung gilt Youssef Chahine (1926–2008) als einer der gros­ sen Namen des ägyptischen Kinos. Sein Werk umfasst 37 Spiel- und fünf Kurzfilme; er erhielt dafür zahlreiche internationale Preise und mehrere Auszeichnungen für sein Lebenswerk, darunter in Venedig und Cannes. Als anlässlich der Feierlichkeiten zum hundertjährigen Bestehen des ägyptischen Kinos eine Liste der 100 einflussreichsten Werke erstellt wurde, standen darauf sieben Filme von Youssef Chahine. Youssef Chahine wurde am 25. Januar 1926 in Alexandria als Sohn eines ­katholischen Vaters aus dem Ostlibanon und einer Mutter griechischer Abstammung geboren. Das Abitur erwarb er am britischen Victoria College in Ale­xandria und zog dann in die USA, wo er am Pasadena Playhouse Schauspiel und Regie studierte, bis er 1948 nach Ägypten zurückkehrte und vorerst als Schauspieler in Erscheinung trat, ab 1950 auch als Regisseur. Politisch und sozial engagiert Über Youssef Chahine kann man nicht sprechen, ohne sich mit der politischen und sozialen Dimension seiner Filme und seiner Vision des Kinos auseinanderzusetzen. Von 1964 bis 1986 war er wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem politischen System gezwungen, ausserhalb Ägyptens zu arbeiten. Chahines Rückkehr in seine Heimat vermittelte schliesslich der Schriftsteller Abdul Rahman Al-Sharqawi, der Autor des Romans «Die Erde», den ­Chahine Ende der 60er-Jahre verfilmt hatte; der Film wurde damals verboten. In seinem Drama Der Spatz (1972) führte Chahine den Grund für die Niederlage im Sechstagekrieg von 1967 auf die in den staatlichen Institutionen verbreitete Korruption zurück, was ebenfalls zu einem Verbot des Films führte. ­Chahine nahm dieses Schicksal in Kauf, indem er sich mit den Mächtigen anlegte, vor allem im Namen der Freiheit und der Glaubwürdigkeit der Kunst. In Konflikt geriet Chahine auch mit dem Regime Hosni Mubaraks (1981–2011), als er sich dem politischen System ebenso wie den islamistischen Gruppen entgegenstellte, etwa mit seinem Film Der Auswanderer (1994), der sich mit der Geschichte des Propheten Jakob und seines Sohnes

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Youssef Chahine (hier mit Hind Rostom) als verliebter Zeitungsverkäufer in Hauptbahnhof (1958) > Ein einzigartiger Kosmos: Alexandria … warum? (1979), der erste Film der autobiografischen Alexandria-Tetralogie Im Konflikt zwischen Tradition und Modernisierung: Napoleons General Caffarelli (Michel Piccoli) in Adieu Bonaparte (1985)


16 Josef auseinandersetzt. Chahines Engagement für bürgerliche Rechte, für Meinungsfreiheit, für Gerechtigkeit und Würde machte ihn besonders sensibel für das menschliche Leiden, für Klassenkonflikte und soziale Ungerechtigkeit: «Mir liegt an den Menschen, egal woher sie kommen» – so die berühmte Liedzeile am Anfang von Eine ägyptische Erzählung (1982). Soziale Ungerechtigkeit und Klassenkampf stehen auch im Mittelpunkt von Dunkle Wasser (1956), einem Drama um zwei Brüder: Der eine geniesst als legitimer Sohn alle Privilegien der Oberschicht, während dem illegitimen alle Privilegien versagt bleiben und er im Ausland schuften muss. Als die beiden Brüder um die Liebe desselben Mädchens buhlen, spitzt sich der Konflikt zu – wie zwischen Ober- und Unterschicht, so scheint Chahine anzudeuten, die sich Ägypten streitig machen. Auch in Die Erde (1970) wird ein Klassenkonflikt dargestellt: Der Pascha und die Profiteure stehen den Bauern und deren Land gegenüber, durch das eine Strasse zum Palast gebaut werden soll. Für private Interessen werden geheime Allianzen auf Kosten des Gemeinwohls geschmiedet. Abu Swelam, der Protagonist, bleibt unbeugsam und stirbt; in der letzten Einstellung krallt er sich im Boden fest. Die Rückkehr des verlorenen Sohnes (1976) scheint den libanesischen Bürgerkrieg vorauszuahnen, wenn sich in der letzten Szene die Familie gegenseitig umbringt. Derselbe prophetische Geist prägt auch den Film Chaos (2008), der die Januar-Revolution vorausgesagt hat. Hier erweist sich Chahine als Künstler, der imstande ist, in die Zukunft zu sehen, wenn er seiner Kunst treu bleibt. Unverwechselbarer Stil Nicht nur Engagement prägt Chahines Werk, sondern auch seine sehr persönliche filmische Handschrift. Die Gestaltung ist eines der wichtigsten Merkmale von Chahines Kino, das sich durch Dichte, Reife und Reichtum auszeichnet. Mit jeder Einstellung, jedem Kamerawinkel formuliert er einen politischen und sozialen Kommentar zum Thema des Films und passt sich diesem an: Während die Kamera in Die Erde als Beobachterin agiert, ist sie in seinen autobiografischen Filmen so flink und atemlos wie er selbst. Chahine eröffnete seine autobiografische Alexandria-Tetralogie 1979 mit Alexan­ dria  ... warum? und markierte damit einen weiteren grossen Sprung in seiner Karriere, der ihm international Erfolg bescherte. Voller Mystik und intellektueller und emotionaler Freiheit vermittelte er seine Vision vom Kino – vor ihm hatte kein ägyptischer oder arabischer Filmemacher in diesem Stil gearbeitet. In seinen Filmen experimentierte Chahine gern und schaffte damit oft eine Distanz zum Publikum. Das zeigte sich etwa bei Eine ägyptische Erzählung, dessen Erzählstil nicht nur von der Kritik angegriffen wurde, sondern auch das Publikum vor etliche Herausforderungen stellte – ein Vorwurf, der Chahine fast während seiner ganzen künstlerischen Laufbahn begleitete, mit


17 Ausnahme einzelner Werke wie Die Erde, doch er liess sich nicht beirren und blieb seinem Stil treu. Chahine und die Frauen Immer wieder kommen Frauen bei Youssef Chahine Schlüsselrollen zu. In Der Spatz steht die junge Bahiya für Ägypten. Sie beobachtet die Ereignisse aus der Ferne und scheint auf den ersten Blick nicht zu verstehen, was um sie herum vorgeht. Doch als sie gegen die Hinnahme der Niederlage appelliert und mit der berühmten Parole «Wir werden kämpfen!» zur Standhaftigkeit aufruft, überragt sie die Szene. In Die Rückkehr des verlorenen Sohnes (1976) wartet Fatma, die unterdrückte Frau, auf die Rückkehr ihres Verlobten aus dem Gefängnis, auf Ali, einen revolutionären jungen Träumer. Sehr geschickt hat Chahine hier auch die aufstrebende junge libanesische Sängerin Majida El Roumi für die Rolle von Tafida gewählt, der jungen Frau aus der Arbeiter­ familie: Sie liebt den jungen Ibrahim, der für den Westen schwärmt, versucht aber immer auch, ihm zu helfen, seine Zukunft selbst zu gestalten. Mit seiner Kunst, seiner Vision und seinen Ideen ist Youssef Chahine gegen den Strom geschwommen. Er hat sich allen Hürden zum Trotz in der Filmindustrie Ägyptens und in der arabischen Welt durchgesetzt. Er ist ein «Meister» im noblen Sinne des Wortes, ein wahrer Pionier: Er hat auch als Lehrer Talente gefördert und einer ganzen Generation von Filmschaffenden die Chance gegeben, sich selbst zu entdecken und innovativ zu sein. Eine der wichtigsten Lektionen, die wir von Youssef Chahine lernen können, ist das Festhalten am künstlerischen Schaffen, allen Schwierigkeiten zum Trotz und bis zur Selbstausbeutung. Er war dafür bekannt, sich um alle Einzelheiten seiner Arbeit sehr sorgfältig zu kümmern und alle Arbeitsphasen zu betreuen. Vor dem eigentlichen Drehtag ging er immer zu den Schauplätzen, um den ganzen Tag über die Sonne zu beobachten – getreu der chinesischen Weisheit: «Bleib an deinem Platz, und plötzlich wird die Sonne dich überfluten.» Der Meister Youssef Chahine hat uns am 27. Juli 2008 verlassen. Sein Leben lang hat er in unseren Herzen die Leidenschaft für das Kino entfacht, und so bleibt er mit seinen Geschichten und seinen Lehren im Gedächtnis von Generationen lebendig. Aida Schläpfer Al Hassani Aida Schläpfer Al Hassani ist Gründerin und Präsidentin des Vereins International Arab Film Festival Zurich (IAFFZ) und hat zusammen mit dem Filmpodium im letzten November die 4. Ausgabe des Arab Film Festival Zurich verantwortet. Während ihres Studiums am High Cinema­Institute der Akademie der Künste in Kairo hat sich die in Bagdad geborene Regisseurin intensiv mit Youssef Chahine und seinem Werk auseinandergesetzt. Aus dem Arabischen von Ola Adel. Wir danken IAFFZ für die freundliche Unterstützung bei der Organisation dieser Retrospektive.


> Die Rückkehr des verlorenen Sohnes.

> Der sechste Tag.

> Eine ägyptische Erzählung.

> Der Auswanderer.

> Alexandria, nochmals und immer wieder.

> Das Schicksal.


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Youssef Chahine

DUNKLE WASSER (Siraa fil Mina)

DIE ERDE (Al Ard)

Ägypten 1956

Ägypten 1970

Der Matrose Ragab kehrt nach drei Jahren auf See in seine Heimatstadt Alexandria zurück, um als Hafenarbeiter zu arbeiten und um seine Cou­ sine Hamedah zu heiraten. Doch sein Jugend­ freund hat auch ein Auge auf sie geworfen. «Ein weiterer Film mit dem Traumduo des ägyptischen Kinos der 50er-Jahre, Omar Sharif und Faten Hamamah: Chahine hielt den Film für einen seiner wichtigsten aus jener Zeit, weil er sich darin erstmals für das Arbeitermilieu inter­ essierte.» (arsenal-berlin.de, März 2019)

«Die Verfilmung des 1954 erschienenen berühm­ ten epischen Romans von Abdul Rahman Al-­ Sharqawi spielt in den frühen 30er-Jahren, als das ägyptische Land noch fest in feudale Struktu­ ren eingebunden war. Es ist ein leidenschaftliches Porträt der Bauern eines Dorfes, deren Existenz durch einen Erlass, der eine zusätzliche Ein­ schränkung der Bewässerungszeit ihrer Erde vorschreibt, bedroht wird. Einzig der Bauer Moha­ med Abu Swelam bleibt unbeugsam. Eine Szene, in der er, von Schweiss und Blut tropfend, das Land mit seinen nackten Händen bearbeitet, zählt zu den bemerkenswertesten Szenen der ägypti­ schen Filmgeschichte. Ein Zentralwerk auch in Chahines Œuvre, befestigte dieser Film Chahines Ruf als einer der wichtigsten Vertreter des realis­ tischen Kinos, das Ende der 60er-Jahre eine kurze Zeit lang von der Nationalen Filmorganisa­ tion ausdrücklich gefördert wurde.» (arsenalberlin.de, März 2019) «Mit Die Erde entdeckte Europa das ägyptische Kino bei dessen Präsentation am Festival von Cannes 1969. Youssef Chahine erschafft ein mächtiges Bauernepos, das uns in das Herz eines kleinen, armen, landwirtschaftlichen Dorfes stürzt. (...) Die Erde ist ein authentischer Film, durchdrungen von einer Kraft und einem Huma­ nismus, der weiss, wie man Emotionen schafft.» (L’œil sur l’écran, Le Monde, 23.10.2012)

120 Min / sw / DCP / Arab/d // DREHBUCH UND REGIE Youssef Chahine // KAMERA Ahmed Khorshed // MUSIK Fouad El-­ Zahiri // MIT Omar Sharif (Ragab), Faten Hamamah (Hame­ dah), Ahmed Ramzi (Mamdouh), Ferdoos Mohammed (Ragabs Mutter), Hussein Riad (Mamdouhs Vater), Tewfik El Dekn.

HAUPTBAHNHOF (Bab el hadid) Ägypten 1958 Kenawi, ein hinkender Zeitungsverkäufer, lebt am Hauptbahnhof von Kairo. Er verliebt sich un­ sterblich in die schöne Limonadenverkäuferin Hanuma, die aber mit einem starken Kofferträger verlobt ist und sich über die Gefühle des «armen Krüppels» lustig macht – damit entfacht sie in Kenawi eine mörderische Wut. Melodram und Krimi, Sozialdrama und Lie­ besgeschichte in einem: Hauptbahnhof bedeutete für Youssef Chahine den Durchbruch und gehört heute zu den Klassikern des Weltkinos. «Der Kairoer Hauptbahnhof wird darin zum Mikrokosmos zwischenmenschlicher Geschich­ ten und zum realistischen Abbild sozialer Verhält­ nisse in Ägypten. (…) Als der Film 1958 erscheint, löst er durch seinen ästhetischen Nonkonformis­ mus in Ägypten einen Skandal aus – und eine Welle der Bewunderung durch die internationale Filmkritik.» (arte.tv, 28.10.2011) «Hauptbahnhof ist mit seinen schnellen Monta­ gen, intensiver Lichtführung und der schauspiele­ rischen Leistung der Protagonistin Hanuma (Hind Rostom) einer der eindrücklichsten Bahnhofs­ filme.» (Catherine Silberschmidt, WOZ, 14/2012) 90 Min / sw / DCP / Arab/d/f // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Abdel Hay Adib // KAMERA Alevise Orfanelli // MUSIK Fouad El-Zahiri // SCHNITT Kamal Abul Ela // MIT Youssef Chahine (Kenawi), Hind Rostom (Hanuma), Hassan el Baroudi (Madbuli), Farid Shawqi (Abu Seri, Hanumas Verlob­ ter), Abdel Aziz Khalil (Abu Gaber).

✶ Donnerstag, 6. Juni, 18.15 Uhr: Einführung von Martin Girod

134 Min / Farbe / DCP / Arab/d/f // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Hassan Fuad, nach dem Roman von Abdul Rahman Al-Sharqawi // KAMERA Abdelhalim Nasr // MUSIK Ali Ismail // SCHNITT Rashida Abdel Salam // MIT Mahmoud El-Meliguy (Mohamed Abu Swelam), Nagwa Ibrahim (Wassifa), Ezzat El Alayli (Abdallah), Hamdy Ahmed (Mohammad Effendi), Yehia Chahine (Scheich Hassuna), Ali El Scherif (Diab).

DER SPATZ (Al-asfour) Ägypten/Algerien 1972 «In seinem ersten politischen Film deckte Chahine die Hintergründe der Niederlage im ­ ­arabisch-israelischen Krieg von 1967 auf. Aus­ gangspunkt ist die Suche in Oberägypten nach Abu Khedr, dem Chef einer Verbrecherbande. Der junge Polizeioffizier Raouf ist von Kairo abkom­ mandiert worden, um Abu Khedr zu fassen. Hier befreundet er sich mit Youssef, einem engagier­ ten Journalisten aus Kairo, der spürt, dass der ge­ suchte Verbrecher nur die Spitze eines Eisbergs ist.» (Stadtkino Basel, Sept. 1996) «Wie um die Undurchsichtigkeit der Ausbeu­ tungsstrukturen zu verdeutlichen, überwindet


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Youssef Chahine Chahine traditionelle Erzählweisen, schafft mit Rückblenden und Assoziationen einen brillanten Spagat zwischen Film noir und dem engagierten Autorenkino der 60er- und 70er-Jahre. ‹Nach dem 5. Juni (der Beginn des Sechstagekriegs, Anm. d. Red.) setzte eine Veränderung ein: Vom bürgerlichen Unterhaltungskino bin ich zunächst dazu übergegangen, im Rahmen dieses Kinos be­ stimmte Themen anzusprechen, und schliesslich dazu, Filme zu machen, die den wirklichen Be­ dürfnissen der Gesellschaft entsprechen.› (Yous­ sef Chahine).» (arsenal-berlin.de, März 2019) 105 Min / Farbe / 35 mm / Arab/e/d // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Youssef Chahine, Lofti al-Kholi // KAMERA Mustafa Imam // MUSIK Ali Ismail // SCHNITT Rashida Abdel Salam // MIT Mohsena Tewfik (Bahiya) Salah Mansour (Yussef), Habiba (Fatma), Seif El Dine (Leutnant Raouf), ­ Mahmoud El-Meliguy (Johnny).

DIE RÜCKKEHR DES VERLORENEN SOHNES (Awdat al ibn al dal) Ägypten 1976 «Das Begräbnis Nassers wird zum Ausgangs­ punkt von Die Rückkehr des verlorenen Sohnes, mit dem Chahine auf die tiefgreifende Veränderung der ägyptischen Gesellschaft in der nachnasse­ ristischen Aera unter Anwar Al-Sadat reagiert. Eine Amnestie aus diesem Anlass erlaubt der Ti­ telfigur die Heimkehr in den Schoss einer wohl­ habenden Unternehmerfamilie. Sein Vater hatte einst die Wüste fruchtbar machen wollen (eine wiederkehrende Metapher Chahines), der nun zu­ rückkehrende Sohn hatte beim Staudammbau am Weg in eine bessere Zukunft mitgewirkt, doch der von ihm mitzuverantwortende Einsturz eines Hochhauses hat ihn ins Gefängnis geführt, und jetzt tyrannisiert sein rücksichtsloser Bruder die Arbeiter in der Fabrik. Alle Hoffnungen richten sich auf den ‹verlorenen Sohn›, doch dieser kehrt gebrochen zurück. Die Konflikte eskalieren zu ei­ nem Gewaltausbruch.» (Martin Girod, Stadtkino Basel, Mai 2019) «Ein kleines Erdbeben habe Chahine mit die­ sem Film im arabischen Kino ausgelöst, sagte der bedeutende ägyptische Dichter Ahmed Fouad Negm einst. Erstmals habe er es gewagt, eine Ge­ schichte aus einer persönlichen Perspektive her­ aus zu erzählen. » (arsenal-berlin.de, März 2019) 130 Min / Farbe / DCP / Arab/d/f // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Youssef Chahine, Salah Jahine // KAMERA Abdel Aziz Fahmy // MUSIK Hassan Abouzeid // SCHNITT Rashida Abdel Salam // MIT Mahmoud El-Meliguy (Vater Madbuli), Majida El Roumi (Tafida), Schukri Serhan (Tolba), Ahmed Me­ rez (Ali), Soheir El-Morshidy (Fatma), Hoda Sultan (Mutter).

ALEXANDRIA ... WARUM? (Iskandariya... lih?) Ägypten/Algerien 1979

«In der unübersichtlichen und unsicheren Zeit des Jahres 1942 – britische Truppen stehen im Land, deutsche Armeen unter Rommel rücken an – träumt der junge Yehia in Alexandria von einer Schauspieler-Karriere, um seinem tristen Alltag zu entkommen. Tatsächlich aber eröffnet sich ihm allenfalls eine ‹Karriere› als Bankkaufmann. Nach mehreren Versuchen, mit Schulaufführun­ gen Fuss zu fassen, kommt eines Tages tatsäch­ lich eine Nachricht aus den USA: ein Schauspiel­ stipendium erwartet ihn.» (Lexikon des int. Films) «Mit diesem Film begann Chahines vierteilige autobiografische Serie an Filmen, die einen ein­ zigartigen Kosmos aus Erinnerungen, Traumzu­ ständen, Sinnlichkeiten und kulturellen Referen­ zen weben. (...) ‹Ich habe meine Sicht als ägyptischer Künstler wiedergegeben, meinen Standpunkt gegenüber allen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Erscheinungen der Zeit, in der die erste entscheidende Verände­ rung in meinem Leben stattfand ...› (Youssef Cha­ hine, 1981).» (arsenal-berlin.de, März 2019) Für diesen Film erhielt Chahine 1979 in Berlin den Silbernen Bären – den ersten grossen Festi­ valpreis nach 29 Jahren Regiekarriere. 136 Min / Farbe / DCP / Arab/d // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Youssef Chahine, Mohsen Zayed // KAMERA Mohsen Nasr // MUSIK Fouad El-Zahiri // SCHNITT Rashida Abdel Salam // MIT Mohsen Mohiedine (Yehia), Naglaa Fathy (Sarah), Farid Shawqi (der Pascha), Ezzat El Alayli (Morsi), Gerry Sundquist (Tommy).

EINE ÄGYPTISCHE ERZÄHLUNG (Hadduta misriya) Ägypten 1982 Ein ägyptischer Regisseur hat auf einem Filmset in London plötzlich einen Herzinfarkt und muss sich einer Notoperation unterziehen. In einem Dämmerzustand zwischen Leben und Tod sieht er während der Operation sein bisheriges Leben an sich vorüberziehen – sein Brustkorb verwandelt sich dabei in einen Gerichtssaal, in dem ihm der Prozess wegen seiner Verfehlungen gemacht wird. Der zweite Teil von Youssef Chahines autobio­ grafischer Alexandria-Tetralogie. «Die Geschichte entspricht der von Bob Fosse in All That Jazz (1979) und enthält dieselbe Fragestellung, die der am Herzen operierte Künstler an sein eigenes ­Leben richtet. Aber dieses Mal mischt der Filme­


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Youssef Chahine macher in einer sehr unpuristischen Weise Aktua­lität mit Fiktion, Politik mit Traumfabrik.» (Louis Marcorelles, arsenal-berlin.de, März 2019) 130 Min / Farbe / DCP / Arab/e // DREHBUCH UND REGIE ­Youssef Chahine // KAMERA Mohsen Nasr // MUSIK Gamal Salam // SCHNITT Rashida Abdel Salam // MIT Nour El Sherif (Yehia), Mohsen Mohiedine (Yehia als junger Mann), Oussama Nadir (Yehia als Kind), Yousra (Amal), Mahmoud El-Meliguy (Yehias Vater).

ADIEU BONAPARTE (Wedaan Bonaparte) Ägypten/Frankreich 1985 «Youssef Chahine, Ägyptens grösster Regisseur, löste einen politischen Feuersturm aus, als diese erste europäische Koproduktion 1985 am Festival von Cannes gezeigt wurde. Der Film ist ein Por­trät des napoleonischen Generals Caffarelli, der da­ rum kämpfte, seine Ideale der Aufklärung in die französische Intervention im Nahen Osten einzu­ bringen, und wurde teilweise von Kulturminister Jack Lang finanziert, dem vorgeworfen wurde, staatliche Mittel zur Finanzierung antifranzösi­ scher Propaganda eingesetzt zu haben. Heute ist der Film eine ambivalente, nuancierte Studie über Zivilisationen im Konflikt, die eine von alter Tradition geprägt und noch nicht bereit für Verän­ derungen, die andere eine neu geprägte Republik, die von radikalem Humanismus erfüllt ist.» (moma.org, 12.11.2016) «Chahine variiert bildgewaltig eines seiner Lieblingsthemen, den Konflikt zwischen Tradition und Modernisierung, in einem Ausstattungsfilm über ein selten gezeigtes Kapitel der ägyptischen Geschichte: 1798 landet Napoleon mit seiner Ar­ mee in Ägypten, besiegt die Mameluken und mar­ schiert auf Kairo zu. Drei patriotische Brüder sind einerseits froh, die Mameluken los zu sein, wollen aber auch nicht unter die Fittiche der Franzosen geraten.» (Elisabeth Huber/Günter Pscheider, film.at) 115 Min / Farbe / 35 mm / Arab/F/d/f // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Youssef Chahine, Yousry Nasrallah // KAMERA Mohsen Nasr // MUSIK Gabriel Yared // SCHNITT Luc Barnier // MIT Michel Piccoli (Caffarelli), Patrice Chéreau (Napoléon Bonaparte), Mohsen Mohiedine (Aly), Ahmed Abdelaziz (Bakr), Mohamad Atef (Yehia), Mohsena Tewfik (die Mutter), Christian Patey (Horace), Gamil Ratib (Barthelemy).

DER SECHSTE TAG (Al-yawm al-Sadis) Frankreich/Ägypten 1986 «Eine berauschende, kunstvolle Verfilmung des 1960 erschienenen Romans von Andrée Chedid, einer französischen Autorin libanesischer Her­

kunft. Sie spielt im Kairo des Jahres 1947, wäh­ rend des Ausbruchs der Cholera – am sechsten Tag der Erkrankung fällt die Entscheidung, ob ein Betroffener überlebt oder sterben muss. Eine Wäscherin (gespielt von der französisch-ägypti­ schen Sängerin Dalida) kümmert sich aufopfe­ rungsvoll um ihren gelähmten Mann und ihren Enkel. Eines Tages begegnet sie einem jungen Gaukler, der Cholerakranke an die Obrigkeit ver­ rät, aber bei allem Übel, das er tut, eine grosse Sensibilität für Kino und Träumereien hat.» (arse­ nal-berlin.de, März 2019) «Ein eindrucksvolles Filmgedicht des ägypti­ schen Altmeisters Chahine, das die Träume sei­ ner Protagonisten ebenso thematisiert wie Fra­ gen zu einer Welt nach der Sintflut und dies zu einer ebenso didaktisch-aufklärerischen wie sinnlich einprägsamen Erzählung verdichtet.» (Lexikon des int. Films) 105 Min / Farbe / DCP / Arab/d // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Youssef Chahine, nach dem Roman von Andrée Chedid // KAMERA Mohsen Nasr // MUSIK Omar Khairat // SCHNITT Luc Barnier // MIT Dalida (Saddika), Mohsen Mohie­ dine (Okka), Hamdy Ahmed (Said), Maher Ibrahim (Hassan).

ALEXANDRIA, NOCHMALS UND IMMER WIEDER (Iskindariya, kaman wa kaman) Ägypten/Frankreich 1990 «Der dritte Teil von Chahines Tetralogie setzt abermals Teile seiner eigenen Biografie filmisch neu zusammen. Chahine selbst spielt dieses Mal sein Alter Ego Yehia. Dieser befindet sich nach dem Gewinn eines Hauptpreises bei der Berlinale (gemeint ist der Preis für Alexandria ... warum?, 1979) auf dem Höhepunkt seiner Karri­ ere. Die Trennung von einem jungen Schauspieler stürzt ihn jedoch in eine persönliche wie künst­ lerische Krise. Während eines Hungerstreiks ge­ gen die schlechten Arbeitsbedingungen in der ägyptischen Filmproduktion begegnet er einer aufstrebenden Schauspielerin.» (arsenal-berlin. de, März 2019) «Aus vielen unterschiedlichen Facetten und Filmstilen zusammengesetzter, mit autobiografi­ schen Elementen angereicherter Film, der von der Liebe zum Kino, zum Leben und zu Alexan­ dria, der Heimatstadt des Regisseurs, erzählt. Chahine beleuchtet die kommerzielle Seite des ägyptischen Filmschaffens, das für die Saudis Musikfilme produziert, beschreibt die katastro­ phalen Arbeitsbedingungen in seinem Metier und erinnert sich an die Freude, die er empfand, als er 1979 mit dem Silbernen Bären in Berlin ausge­ zeichnet wurde. Stilistisch ist der Film voller Brü­ che und ‹Regelverstösse›, nur der Freiheit des


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Youssef Chahine Filmemachens verpflichtet. Die Ideenvielfalt und der scheinbar unbekümmerte Umgang mit den Gesetzen des Kinos machen seinen besonderen Reiz aus.» (Lexikon des int. Films)

129 Min / Farbe / DCP / Arab/e // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Youssef Chahine, Rafik El-Sabban, Khaled Youssef // KAMERA Ramses Marzouk // MUSIK Mohamed Nouh // SCHNITT Rashida Abdel Salam // MIT Khaled Nabawy (Ram), Michel Piccoli (Adam), Mahmoud Hemida (Amihar), Yousra

105 Min / Farbe / DCP / Arab/d // DREHBUCH UND REGIE

­(Simihit), Hanan Turk (Hati), Safia El Emari (Basma).

­Youssef Chahine // KAMERA Ramses Marzouk // MUSIK ­Mohamed Nouh // SCHNITT Rashida Abdel Salam // MIT Y­ oussef Chahine (Yehia), Yousra (Nadia), Hussein Fahmy ­(Stelio), Tahia Carioca (Tahia), Amr Abdel Guelil (Amr).

DER AUSWANDERER (Al-mohager) Ägypten/Frankreich 1994 Ägypten vor 3000 Jahren: Ram, der Lieblingssohn eines Hirtenkönigs, lebt mit seiner Sippe in einem Dürregebiet. Er träumt davon, ins Ägypten der Pharaonen auszuwandern, um die Grundregeln der Landwirtschaft zu erlernen. Seine Brüder wollen ihn aus Hass und Neid umbringen: Sie schlagen ihn zusammen und werfen ihn in ein Boot, das nach Ägypten fährt. Dort wird er als Sklave verkauft. «Unschwer ist die Parallele zur Josefslegende erkennbar. Sie sorgte einerseits für riesige Be­ geisterung (Josef gehört bei den Muslimen zu den ganz besonders beliebten Propheten) und ande­ rerseits für Ablehnung. Fundamentalisten und die Linke warfen Chahine vor, mit seinem Film die ‹Normalisierung› mit Israel zu propagieren: Ram ist für sie nämlich ein besserwisserischer Aus­ länder, und zwar ein Jude. Mit der Begründung, dass nach dem ägyptischen Gesetz Propheten nicht auf der Leinwand gezeigt werden dürfen, zo­ gen die Fundamentalisten vor Gericht und er­ reichten im Juni 1996 ein definitives Aufführver­ bot.» (Kristina Bergmann, Filmpodium, Aug. 1996)

> Youssef Chahine.

DAS SCHICKSAL (Al-massir) Frankreich/Ägypten 1997 «Szenen aus dem Leben des grossen maurischen Übersetzers, Rechtsgelehrten und Philosophen Ibn Rushd bzw. Averroes (in latinisierter Form), der im ausgehenden 12. Jahrhundert die Blüte­ zeit einer kurzen islamischen Aufklärung verkör­ perte. Nachdem der Kalif von Córdoba den Ge­ lehrten zunächst förderte und achtete, geriet er mehr und mehr unter den Einfluss von Funda­ mentalisten, liess schliesslich dessen Bücher verbrennen und ihn selbst nach Marrakesch ver­ bannen. Da Kopien der Werke nach Kairo in Si­ cherheit gebracht worden waren, konnten diese die Jahrhunderte überleben. Eine mutige Parabel auf die Erosion von Tole­ ranz und Aufklärung durch den Vormarsch funda­ mentalistischer Ideen, die deutliche Analogien zu aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten auf­ weist.» (filmdienst.de) 135 Min / Farbe / DCP / Arab/e // REGIE Youssef Chahine // DREHBUCH Youssef Chahine, Khaled Youssef // KAMERA Mohsen Nasr // MUSIK Kamal el-Tawil, Yehia El Mougy // SCHNITT Rashida Abdel Salam // MIT Nour El Sherif (Ibn Rushd), Safia El Emari (Zainab), Mahmoud Hemida (Kalif ­el-Mansur), Mohamed Mounir (Marwan), Khaled El Nabawy (Prinz Nasir), Laila Eloui (Manuela).


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Bauhaus und Film Vor 100 Jahren, im Sommer 1919, begann mit der Gründung des ­Bauhauses in Weimar die Geschichte der wohl berühmtesten Kunst­ hochschule überhaupt. Neben traditionelle Kunstdisziplinen traten auch neuere wie Fotografie und Film. Vier Programme zeigen, wie der Film am Bauhaus verstanden wurde; sie werden ergänzt durch Max Bill – das absolute Augenmass, Erich Schmids Filmporträt des ­Zürcher Bauhaus-Schülers. Das Bauhaus verband die traditionell getrennten Bereiche bildende Künste (Malerei, Skulptur), angewandte Künste (Kunsthandwerk) und darstellende Künste (Theater, Bühne) und unterrichtete diese in handwerklich orientierten «Werkstätten». Dazu kamen neuere Disziplinen wie Fotografie und Film. Die Schule hatte sich die Aufhebung der künstlerischen Spezialisierung auf die Fahnen geschrieben. Der Blick über die Grenzen von Fächern und Einzelmedien hinaus sollte inspirierte, neuartige Werke ermöglichen und durch die Überlagerung unterschiedlicher Künste zu Innovation führen. Diese Erweiterung des Filmbegriffs ist noch heute ein wichtiges Erbe des Bauhauses. Das im Bauhaus entwickelte Konzept suchte den damals noch recht jungen Film im Rahmen der visuellen Künste zu vermitteln. Die Grenzen der Einzeldisziplinen (z. B. Typografie, Grafik, Werbung, Foto, Film) sollten überwunden und das Bewegtbild in die bildenden Künste integriert werden. Wir verdanken es diesen am Bauhaus entwickelten Ideen, dass Film heute regelmässig Einsatz findet in Theater, Ausstellung, Performance oder Installation. Mittlerweile hat sich eine sämtliche Bildformen integrierende Kunst entwickelt, wie sie der Bauhausprofessor László Moholy-Nagy schon vor Jahrzehnten konstatierte: «Man kann nicht mehr die Malerei, die Fotografie, den Film und das Lichtspiel eifersüchtig voneinander trennen.» Das Bauhaus hatte bereits in den 1920er-Jahren diese vielfältigen Zugänge zum bewegten Bild angedacht und weiter vermehrt. Durch so eine systematische Ausweitung des Filmverständnisses wurde nicht nur die Praxis bereichert, sondern auch die Diskussion über die Potenziale und Eigengesetzlichkeit des Filmmediums befruchtet. Das Bauhaus wollte aber keinesfalls l’art pour l’art produzieren, sondern – als Teil einer breiteren Reformbewegung der Weimarer Republik– in eine Massengesellschaft eingreifen. Dies zeigen insbesondere die Filme mit sozialen Beobachtungen und zur Reformarchitektur. An die politische Haltung des historischen Bauhauses, seine strikte Ablehnung nationalistischer, militaristischer und autoritärer Vergangenheit sollte immer wieder erinnert werden. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der kürzlich erfolgten Absage des


> Mensch und Kunstfigur.

> Lichtspiel Schwarz-Weiss-Grau.

> Marseille Vieux Port.

> Reflektorische Farblichtspiele.


25 Konzerts einer mutmasslich linksradikalen Musikband in der Bauhaus-Aula in Dessau durch die Leitung des Bauhauses; sie wurde u. a. damit begründet, dass sich die heutige Institution als «unpolitisch» verstehe. Unsere Filmauswahl berücksichtigt daher insbesondere Filme mit politischen Dimensionen, Filme, anhand derer wichtige Fragen gestellt werden können. Dazu gehört auch die Problematisierung der symbiotischen Arbeitsgemeinschaften, in denen Bauhäuslerinnen als Lebensgefährtinnen ihrer Männer an zentralen Werken der deutschen Filmavantgarde mitwirkten, so an den abstrakten Filmen Symphonie Diagonale, Opus 3, Opus 4 und Filmstudie. In den Vor- und Abspännen und auch in der Filmgeschichte hat man ihnen die Anerkennung ihrer gestalterischen Mitwirkung bisher grösstenteils verwehrt, doch wird dies immer weniger akzeptiert. Frauen wurden also auch im Bauhaus diskriminiert und – trotz einer offiziellen Politik der «absoluten Gleichberechtigung» (Walter Gropius) – meist in «weibliche Fächer» wie die Weberei abgedrängt. Dennoch finden sich erstaunlich viele Filme dieser Generation selbstständiger Frauen. Wozu beschäftigen wir uns mit der Geschichte des Bauhaus-Films? Um Alternativen zu uns zu erfahren. Um Kenntnisse zu erlangen, wie sich eine Film- und Mediengeschichte ohne die Unterbrechung durch Nazi-Diktatur und Krieg hätte weiterentwickeln können. Aber auch um unsere Gegenwart zu hinterfragen, den Mythos vom Koloss Bauhaus und seiner PR-Industrie, indem wir die Bauhaus-Filme nicht allein als Äusserungen von Autorenfilmschaffenden untersuchen, sondern unser Augenmerk auf die strukturellen Veränderungen legen, die sich in den Filmen aus dem Umfeld des Bauhauses ankündigen, die neue Bilder und neue Sehweisen erst möglich gemacht haben. In vier exemplarischen Zuspitzungen wollen wir zeigen, wie der Film am Bauhaus verstanden wurde: von den abstrakten Film-Experimenten über reformerische Architekturfilme bis hin zu beobachtenden, sozialen Dokumentarfilmen. Und schliesslich stellen wir uns die Frage, welche Filme das Bauhaus schaute und bewunderte. Thomas Tode

Thomas Tode lebt in Hamburg als freier Filmemacher, Kurator und Publizist und hat sich in Publikationen und an Symposien immer wieder mit dem Bauhaus auseinandergesetzt, etwa ­diesen April an der Tagung «Bauhaus + Film. Neue Perspektiven» an der BauhausUniversität Weimar. Programm: Thomas Tode und Steffi Giaracuni. Mit freundlicher Unterstützung von


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Bauhaus und Film

BAUHAUS-BLICKE: STÄDTISCHES LEBEN, SOZIALE BEOBACHTUNG UND EXIL Das Bauhaus wollte nicht l’art pour l’art produzie­ ren, sondern etwas für die Gesellschaft Nütz­ liches, das in eine Massengesellschaft eingreift. Auch soziale Utopien verkörpern etwas Ge­ brauchsfähiges, wie insbesondere die sozialen Filmreportagen von Bauhäuslern zeigen. Sie ge­ hören zum Besten, was die Weimarer Republik im Dokumentarbereich hervorgebracht hat. Mo­ holy-Nagy zeigt in zwei Stadtporträts, wie in der Grossstadt alle Lebensbereiche ineinanderglei­ ten. Er registriert aber auch das Elend der Arbei­ termilieus mit lichtlosen Hinterhöfen und mono­ tonen Mietskasernen – und doch spielen hier neugierige, aufgeweckte Kinder, singt eine alte Frau, schlagen sich ambulante Händler vital durchs Leben. Ella Bergmann-Michel begleitet solidarisch eine illegale Arbeitslosenselbsthilfe, bei der fliegende Händler auf der Strasse Obst ver­ kaufen. Wahlkampf 1932 (Letzte Wahl) protokolliert die zunehmende Aggressivität, Lähmung und Po­ larisierung des öffentlichen Lebens bei den letz­ ten freien Wahlen vor dem NS-Machtantritt. Ellen Auerbach filmt in Tel Aviv ihre Emigration auf ei­ nem Auswandererschiff und wirbt im Auftrag des jüdischen Nationalfonds mit moderner, kubus-ar­ tiger Bauhausarchitektur und Zitronenplantagen für die Einwanderung nach Palästina. Detaillierte Filmliste siehe filmpodium.ch und Flyer im Kino. Gesamtdauer: 64 Min.

✶ Dienstag, 21. Mai, 18.15 Uhr: Einführung von Thomas Tode, Hamburg

BAUHAUS-TANZKÖRPER: NACHPRÜFBARE GEOMETRISCHE FORMEN Das Programm versucht die Rekonstruktion eines Filmabends in Dessau: Am 17.3.1927 zeigten die Professoren Walter Gropius und Oskar Schlem­ mer den Kulturfilm Das Blumenwunder. In einer Art Tanzchoreografie spriessen­und keimen Blu­ men und Pflanzen im Zeitraffer: Kletterpflanzen erklimmen Gitter, Schlingpflanzen ringeln sich um Stäbe, andere strecken ihre Stängel wie Füh­ ler aus. Die farbig viragierten «Pflanzen im Schau­ geschäft» wechseln sich ab mit Tanzdarbietungen zeitgenössischer Ausdruckstänzerinnen. Wäh­ rend das Bauhaus die Pflanzenaufnahmen als me­ dial sichtbar gemachte Lebensprozesse bewun­ derte, missfielen die Ausdruckstänze, sodass Schlemmer als Gegenentwurf streng geometri­

sche Bauhaustänze live vortanzen liess. Einige dieser Tänze lassen den Menschen völlig ver­ schwinden und nähern sich den optischen Licht­ spielen des abstrakten Films. Die stets live aufge­ führten Tänze wurden 1969 von Margarete Hasting rekonstruiert. Detaillierte Filmliste siehe filmpodium.ch und Flyer im Kino. Gesamtdauer: 91 Min.

✶ Dienstag, 21. Mai, 20.45 Uhr: Einführung von Thomas Tode, Hamburg

DER ABSTRAKTE FILM UND DIE ABSOLUTE FILMARBEIT DER FRAUEN VOM BAUHAUS Das Bauhaus ist fasziniert vom universalistischen Prinzip, das die Vielfalt der Welt auf wenige Grundelemente, auf ein einzelnes Prinzip oder Ord­ nungsgesetz zurückführt. Eine Beschäftigung mit dem abstrakten Film lässt sich daher bereits am frühen Bauhaus finden. Es sind oft Experimente, mit denen die Künstler der Organisation von Zeit im Medium Film nachspüren. Formen und Far­ benspiele als filmische Partituren – radikal for­ mal, radikal poetisch und freudig spielerisch. Zu ihnen gehören die zwei Filmkompositionen, die Werner Graeff 1922 entwirft, aber auch die be­ rühmten abstrakten Filme von Eggeling und Rutt­ mann – deren eigentliche Tricktischarbeit jedoch von ihren Lebensgefährtinnen, den Bauhaus-Stu­ dentinnen Erna Niemeyer und Lore Leudesdorff, geleistet wurde. Für Bauhausfeste erarbeiten Kurt Schwerdtfeger und Ludwig Hirschfeld-Mack Lichtprojektionen mit intensivem farbigem Licht, stets live vorgeführt, da der Farbfilm noch nicht erfunden ist. Nach dem Krieg rekonstruieren sie ihre Partituren und reduktionistischen Musi­ ken. Mit solchen Vereinfachungen werden auch die ersten farbigen Werbefilme für Jenaer Glas gear­ beitet, die Moholy-Nagy als Trickfilme zeichnen lässt. Detaillierte Filmliste siehe filmpodium.ch und Flyer im Kino. Gesamtdauer: 77 Min.

✶ Freitag, 24. Mai, 18.15 Uhr: Einführung von Thomas Tode, Hamburg Am Flügel: Günter A. Buchwald

DAS NEUE BAUEN: LIVING IN A MATERIAL WORLD Insbesondere die medial versierten Direktoren Walter Gropius und Mies van der Rohe machten aus dem Bauhaus einen Markennamen, dank


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Bauhaus und Film markanter Eigenschaften der Bauhaus-Produkte, aber auch dank geschicktem PR-Management. Die Filme zur Reformarchitektur belegen, dass der Mythos Bauhaus keineswegs erst in der Nach­ kriegszeit entsteht, sondern bereits in den 1920erJahren gezielt aufgebaut wurde. In dem von Gro­ pius initiierten PR-Film Wie wohnen wir gesund und wirtschaftlich? demonstriert seine Frau Ise die Vorteile der schrittsparenden Küche, leichter Frei­ schwinger und frei drehbarer Beleuchtung. Wo wohnen alte Leute? zeigt ein sozial engagiertes ­Seniorenwohnheim in lichtdurchfluteter, funktio­ naler Architektur. Im Sinne des Neuen Bauens dreht Hans Richter für die Wohnungsbau-Ausstel­ lung in Basel den PR-Film Die Neue Wohnung. Mit Witz und Ironie zerlegt er die «gute Stube» des Bürgertums in ihre Bestandteile und ersetzt Ju­ gendstil-Zierrat durch nüchterne, zweckmässige Inneneinrichtung. Dass die PR-Filme vor allem Modernität ausstrahlen sollen, wird erst richtig deutlich, wenn man sie mit Amateurfilmen zur Ar­ chitektur konfrontiert. Home Movies engagierter Beteiligter (Elektroingenieur, Sekretärin) vermit­ teln den Stolz auf Architektur und kollektive Akti­ vitäten in der Genossenschaftssiedlung Freidorf (Kanton Basel-Land), errichtet 1919–21 vom spä­ teren Bauhausdirektor Hannes Meyer. Sie gilt als der bedeutendste Siedlungsbau der Schweiz der Zwischenkriegszeit.

MAX BILL – DAS ABSOLUTE AUGENMASS Schweiz 2008 Der Maler, Bildhauer, Architekt, Designer und Grafiker Max Bill (1908–1994) studierte von 1927 bis 1928 am Bauhaus in Dessau, wo damals Oskar Schlemmer, Paul Klee und László Moholy-Nagy lehrten. Er gilt als einer der bedeutendsten und produktivsten eidgenössischen Künstler des 20. Jahrhunderts. «In seiner Dokumentation folgt Erich Schmid chronologisch dem Lebenslauf Max Bills. Er widmet sich allerdings nicht nur ausgie­ big dessen künstlerischem Schaffen, sondern be­ leuchtet auch sein soziales und politisches Enga­ gement. Zwischen diesen beiden Aspekten von Bills Wirken stellt er immer wieder interessante Zusammenhänge her.» (Jörg Brandes, Hambur­ ger Morgenpost) «Der Künstler, der Mathematik zur Grundlage seines Schaffens machte, erhält eine unerwartet emotionale Dimension. Schmid kann als Mann von Bills Witwe Angela Thomas auf persönliches Ma­ terial zurückgreifen, wenn er die Jugend in Win­ terthur, die Zeit beim Bauhaus und den privaten Alltag im Alter schildert. Von Bills Sohn Jakob über Karl Gerstner bis zu Gottfried Honegger und Ernst Scheidegger kommen Zeitzeugen zu Wort.» (Gerhard Mack, NZZ, 7.9.2008)

Detaillierte Filmliste siehe filmpodium.ch und Flyer im Kino. Gesamtdauer: 88 Min.

✶ Freitag, 24. Mai, 20.45 Uhr: Einführung von Thomas Tode, Hamburg Am Flügel: Günter A. Buchwald

✶ am Mittwoch, 29. Mai, 18.15 Uhr in Anwesen­ heit von Erich Schmid und Angela Thomas. Weitere Vorstellungen siehe Programmübersicht. 85 Min / Farbe + sw / 35 mm // D/Dial/F/d // DREHBUCH UND REGIE Erich Schmid // KAMERA Ueli Nüesch // MUSIK André Bellmont // SCHNITT Antoine Boissonnas.

> Max Bill – das absolute Augenmass.


28 Das erste Jahrhundert des Films

1959 Während das Jahr 1959 weltpolitisch geprägt war vom Sieg der kubanischen Revolutionäre und der Machtübernahme Fidel Castros, bedeutete dieses Jahr für das Kino ebenfalls eine Revolution: François Truffaut reflektierte mit seinem Debütfilm Les quatre cents coups (den wir als Teil der Truffaut-Reihe zeigen, siehe S. 9) seine Jugend und feierte in Cannes einen bahnbrechenden Erfolg. Der Film läutete die Nouvelle Vague ein, die weitreichende Auswirkungen auch ausserhalb von Frankreich hatte. Immens einflussreich war ebenfalls Robert Bressons Pickpocket – das Werk gilt als Schlüsselfilm des modernen Kinos und als einer der besten Nachkriegsfilme Frankreichs. Im gleichen Jahr eroberte William Wylers megalomaner Ben-Hur die Leinwand, der hinsichtlich Aufwand und Kosten sämtliche Rekorde brach, Charlton Heston zum Idol für Jung und Alt machte, mit elf Oscars überhäuft wurde und damit das marode Filmstudio MGM sanierte. Zu einem der erfolgreichsten Universal-Filme dieser Jahre wurde hingegen Douglas Sirks letztes Werk Imitation of Life, das nicht nur durch seine artifizielle Gestaltung, sondern auch durch seine offene Thematisierung von Rassenfragen beeindruckte; das Melodrama behandelte zudem die Vereinbarkeit von Mutterpflichten und Karriere und war damit seiner Zeit weit voraus. Satyajit Ray wiederum beendete mit Apur Sansar seine poetische ApuTrilogie: ein Meilenstein, der das indische Filmschaffen in der Welt bekannt machte und Rays überragender Beitrag zur Kinematografie war. Zu guter Letzt setzte Kurt Früh die Gegend rund um die Langstrasse mit ihren Dampflokomotiven, Lagerhallen und verfallenen Baracken charmant in Szene: Hinter den sieben Gleisen ist ein zeitloser Klassiker voller Humor, Zärtlichkeit und Ironie und einer der erfolgreichsten Schweizer Filme überhaupt. Tanja Hanhart Das erste Jahrhundert des Films In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 ­wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahr­ gängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. ­Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, im Jahr 2019 sind Filme von 1919, 1929 usw. zu sehen. Weitere wichtige Filme von 1959 Anatomy of a Murder Otto Preminger, USA Die Brücke Bernhard Wicki, BRD Eine Stadt voller Liebe und Hoffnung (Ai to kibo no machi) Nagisa Oshima, Japan Fires on the Plain (Nobi) Kon Ichikawa, Japan Floating Weeds (Okikusa) Yasujiro Ozu, Japan HD Läppli Alfred Rasser, CH Hiroshima mon amour Alain Resnais, F I’m All Right Jack John Boulting, GB

Nazarin Luis Buñuel, Mexiko North by Northwest Alfred Hitchcock, USA Orfeu Negro Marcel Camus, Brasilien Plan 9 from Outer Space Edward Wood, USA Rio Bravo Howard Hawks, USA Serengeti darf nicht sterben Bernhard Grzimek, BRD Some Like It Hot Billy Wilder, USA Suddenly, Last Summer Joseph L. Mankiewicz, USA


Das erste Jahrhundert des Films: 1959

PICKPOCKET Frankreich 1959 Michel glaubt, er könne sich über Gesetze hin­ wegsetzen, und betätigt sich wie im Rausch als Taschendieb. Er lässt sich weder von seiner Freundin noch von einem Kommissar davon ab­ bringen. Nach und nach verfeinert er seine Me­ thoden und wird vom Amateurdieb zum Profi. Robert Bressons Pickpocket wurde von den Cahiers du cinéma zum besten aller französi­ schen Nachkriegsfilme gewählt und gilt als einer der Schlüsselfilme des modernen Kinos. Die sti­ listische Klarheit und die durch Reduktion und Konzentration erreichte strenge Inszenierung dieses Klassikers übten einen prägenden Ein­ fluss auf die verschiedensten Regisseure aus, von Martin Scorsese, Paul Schrader, Chantal Aker­ man, Aki Kaurismäki und Michael Haneke bis zu Olivier Assayas. «Wie ein Poet mit seiner Feder, so drückt sich Bresson kinematografisch aus. Tief ist der Abgrund zwischen seiner Noblesse, seinem Schweigen, seinem Ernst, seinen Träumen und dem Rest der Welt, der diese für Unsicherheit und Obsession hält. Bresson zeigt uns in Pickpocket ohne jeglichen erzählerischen Kunstgriff den in­ neren Zwang, der den Dieb in das Maul des Löwen treibt, und die Macht der Liebe, die ihn befreit, trotz der Gitterstäbe seiner Zelle.» (Jean Cocteau, zit. viennale.at)

«Das ‹Ballett des Taschendiebs›, wie Cocteau es nannte, ist atemberaubend choreografiert. ‹Ein Film von umwerfender Originalität. Wenn man diesen Film zum ersten Mal sieht, könnte man sich die Augen verbrennen. Also machen Sie es wie ich: Kehren Sie jeden Tag zurück, um ihn sich nochmals anzusehen.› (Louis Malle)» (Toronto In­ ternational Film Festival, 2012) 76 Min / sw / DCP / F/e // DREHBUCH UND REGIE Robert Bresson // KAMERA Léonce-Henri Burel // MUSIK Jean-­ Baptiste Lully // SCHNITT Raymond Lamy // MIT Martin LaSalle (Michel), Pierre Leymarie (Jacques), Marika Green (Jeanne, Michels Freundin), Jean Pélégri (Polizeiinspektor), Dolly Scal (Michels Mutter), Kassagi (1. Komplize), Pierre Étaix (2. Komplize), César Gattegno (Inspektor).

Mitarbeitende, Studierende und Gäste des Seminars für Filmwissenschaft der Universität ­Zürich führen einzelne Filme der Reihe «Das erste Jahrhundert des Films» ein. Neben dem filmhistorischen Kontext wer­ den f­ ormale und thematische Aspekte betrachtet.

✶ am Montag, 24. Juni, 18.15 Uhr: Einführung von Nico Uebersax (Studierender am Seminar für Filmwissenschaft, Universität Zürich)

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Das erste Jahrhundert des Films: 1959

BEN-HUR USA 1959 Im Jahr 26 n. Chr. trifft der jüdische Fürst Ben-Hur seinen römischen Jugendfreund Messala wieder, der als machtbesessener Zenturio nach Jerusa­ lem zurückgekehrt ist. Weil Ben-Hur sich weigert, Aufständische zu übergeben, verurteilt Messala ihn zu einer lebenslangen Galeerenstrafe; seine Mutter und Schwester werden gefangen genom­ men. Doch der rachedurstige Ben-Hur kehrt zu­ rück und tritt bei einem Wagenrennen gegen Mes­ sala an. «Ben-Hur führt vor Augen, zu welcher Monu­ mentalität sich der Monumentalfilm aufschwin­ gen konnte. (...) Der Subtext ist die Geschichte ei­ ner enttäuschten Liebe, die den Film zu einem Meilenstein der versteckten Schwulengeschichte Hollywoods machte. Befeuert wurde diese Lesart von Gore Vidal, einem der Koautoren von Ben-Hur, der behauptete, er und William Wyler hätten den Messala-Darsteller Stephen Boyd in ihre ho­ mosexuelle Version eingeweiht, während man den ultrakonservativen Charlton Heston aussen vor gelassen habe.» (Katja Nicodemus, zeit.de, 25.8.2016) «Dass Ben-Hur bis heute als Klassiker des Genres überdauert hat und noch jüngere Revivals des Sandalenfilms wie Ridley Scotts Gladiator ins­ pirierte, liegt an den gewaltigen Dimensionen von

Wylers Werk. Allein das legendäre und mehrfach kopierte Wagenrennen in der römischen Arena zu Jerusalem verschlang ein Achtel des Budgets und fünf Wochen Drehzeit, ausserdem schöpfte Wyler hier erstmals in der Filmgeschichte die fortan ­beliebten Möglichkeiten der BluescreenTechnik aus. Dazu kamen über eine Million Requi­ siten, 50 nachgebaute Galeeren, 40 000 Tonnen Mittelmeersand und 50 000 Statisten. Die Kosten waren schwindelerregend, der Lohn jedoch gross: Elf Oscars erhielt dieser fast vierstündige Koloss, eine Zahl, die erst Jahrzehnte später von Titanic und dem dritten Teil der Lord of the Rings-Reihe wieder erreicht wurde.» (Andreas Schneitter, Ta­ geswoche, 20.8.2014) 222 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE William Wyler // DREHBUCH Karl Tunberg, Gore Vidal (ungenannt), nach dem Roman von Lew Wallace // KAMERA Robert Surtees // MUSIK Miklós Rózsa // SCHNITT John Dunning, Ralph E. Winters, Margaret Booth (ungenannt) // MIT Charlton Heston (Judah Ben-Hur), Stephen Boyd (Messala), Martha Scott (Miriam), Haya Harareet (Esther), Jack Hawkins (Quintus Arrius), Hugh Griffith (Scheich Ilderim), Cathy O’Donnell (Tirzah), Frank Thring (Pontius ­Pilatus), Sam Jaffe (Simonides), Terence Longdon (Drusus), André Morell (Sextus).

✶ am Montag, 3. Juni, 18.30 Uhr: Einführung von Prof. Dr. Fabienne Liptay (Seminar für Filmwissenschaft, Universität Zürich)


Das erste Jahrhundert des Films: 1959

IMITATION OF LIFE USA 1959 Die verwitwete weisse Schauspielerin Lora stellt die Afroamerikanerin Annie als Haushälterin ein, weil sie an ihrer Broadway-Karriere arbeiten will, und feiert bald ihren Durchbruch. Beide Frauen haben allerdings Probleme mit ihren Töchtern: Loras Tochter fühlt sich von ihrer WorkaholicMutter vernachlässigt, und Annies Tochter ver­ leugnet ihre Mutter, um sich aufgrund ihrer hel­ leren Hautfarbe als Weisse auszugeben. Douglas Sirks Imitation of Life wurde 2015 in das National Film Registry der US-amerikani­ schen Library of Congress aufgenommen und zählt zu den besten Melodramen überhaupt. «Ein grosser, wahnsinniger Film vom Leben und vom Tod.» (Rainer Werner Fassbinder, in: Fernsehen und Film, 2/1971) «Es ist ein geistreich-kühles ‹Weepie›, eine Aufsteiger-Geschichte zweier ineinander ver­ schlungener Mutter-Kind-Dramen, in welcher der materialistische Optimismus systematisch mit Rassenproblemen und dem Zerfall familiärer Bindungen kontrapunktiert wird. (...) Vergessen Sie all die Stimmen, die das Hollywood-Melo­ drama der 50er-Jahre verunglimpfen; gerade

dank den Konventionen dieses hyperemotional gefärbten Genres gelingt Sirk ein so unschlagbar bitterer und pessimistischer Film.» (Geoff Andrew, Time Out Film Guide) «Douglas Sirks titanischer Abschlussfilm und grösster Erfolg. Schon der Titel eine Zusammen­ fassung der zweischneidigen Inszenierungs­ strategie: ein Familienmelodram, überzeugend durchgespielt, aber von der Mise en Scène stän­ dig kritisch gebrochen, ironisch und analytisch vertieft. (...) Für den Höhepunkt sorgt indes der Tod: eine unvergessliche Begräbnisprozession zu Mahalia Jacksons Gospel.» (Christoph Huber, Ös­ terreichisches Filmmuseum, 4/2016) 125 Min / Farbe / DCP / E // REGIE Douglas Sirk // DREHBUCH Eleanore Griffin, Allan Scott, nach dem Roman von Fanny Hurst // KAMERA Russell Metty // MUSIK Frank Skinner // SCHNITT Milton Carruth // MIT Lana Turner (Lora Meredith), Juanita Moore (Annie Johnson), John Gavin (Steve Archer), Susan Kohner (Sarah Jane Johnson), Sandra Dee (Susie Meredith mit 16), Dan O’Herlihy (David Edwards), Terry ­ ­Burnham (Susie als Sechsjährige), Karen Dicker (Sarah Jane als Achtjährige), Mahalia Jackson (sie selbst als Sängerin).

✶ am Montag, 20. Mai, 18.15 Uhr: Einführung von Prof. Dr. Barbara Flückiger (Seminar für Filmwissenschaft, Universität Zürich)

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Das erste Jahrhundert des Films: 1959

APUR SANSAR Indien 1959 Apu lebt in einer ärmlichen Wohnung in Kalkutta und versucht, sich als Schriftsteller einen Namen zu machen. Einem Freund zuliebe heiratet er des­ sen junge Cousine Aparna, nachdem deren Hoch­ zeit geplatzt ist. Trotz der widrigen Umstände wird die Ehe sehr glücklich, doch Aparna stirbt bei der Niederkunft ihres Sohnes. Unfähig, sein Le­ ben weiterzuleben, zieht sich Apu zurück, ohne die Verantwortung für seinen Sohn zu überneh­ men; erst einige Jahre später versucht er, sich dem Jungen anzunähern. Apur Sansar, mit geringen Mitteln in Schwarz­ weiss gedreht, ist der letzte Teil von Satyajit Rays poetischer Apu-Trilogie, der aber auch ganz für sich selbst zu stehen vermag. «Eine der grössten Filmreihen aller Zeiten, die das Leben eines bengalischen Jungen auf dem Weg von der Kindheit über die Jugend bis zur Reife dokumentiert. Ray (...) steht mit Apur Sansar, einem der aufwühlendsten, erbaulichsten und kathartischsten Spielfilme, die ich je gesehen habe, auf dem Höhepunkt seiner Kräfte. Nach Pa-

ther Panchali und Aparajito bildet Apur Sansar den perfekten Höhepunkt dieser unvergesslichen Saga. (...) Die Apu-Trilogie ist ein wahres Meister­ werk – und Apur Sansar ist ihre Krönung.» (James Berardinelli, reelviews.net) «Die Apu-Trilogie bleibt dem Kinogänger als Versprechen, was Film sein kann, in Erinnerung. Sie (...) schafft eine Welt, die so überzeugend ist, dass sie für eine Weile zu einem Leben wird, das wir selbst hätten leben können. Diese drei Filme heimsten die Hauptpreise in Cannes, Venedig und London ein (...). Nie zuvor hatte ein Mann einen so entscheidenden Einfluss auf die Filme seiner Kul­ tur.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 4.3.2001) 105 Min / sw / DCP / OV/e // REGIE Satyajit Ray // DREHBUCH Satyajit Ray, nach dem Roman von Bibhutibhushan Bandyo­ padhyay // KAMERA Subrata Mitra // MUSIK Ravi Shankar // SCHNITT Dulal Dutta // MIT Soumitra Chatterjee (Apurba «Apu» Roy), Sharmila Tagore (Aparna), Alok Chakravarty (Kajal), Swapan Mukherjee (Pulu), Dhiresh Majumdar (Shas­ hinarayan), Sefalika Devi (Shashinarayans Frau), Dhiren Ghosh (Vermieter).


Das erste Jahrhundert des Films: 1959

HINTER DEN SIEBEN GLEISEN Schweiz 1959 Inge, ein hochschwangeres deutsches Dienst­ mädchen, wirft sich auf dem Rangierbahnhof vor eine Lokomotive; gerade noch rechtzeitig kann der Lokführer bremsen. Die junge Frau rennt ­davon, findet in einem nahen Schuppen bei drei Clochards Unterschlupf und bringt dort kurz darauf ihr Kind zur Welt. Zuerst widerwillig, ­ ­kümmert sich das Trio bald liebevoll um die Mut­ ter und ihr Kind. Kurt Frühs Hinter den sieben Gleisen, dieses romantische Melodrama voller Humor und leiser Ironie, ist ein atmosphärisches Zeitdokument über die Gegend rund um die Langstrasse Ende der 1950er-Jahre und zählt zu den erfolgreichs­ ten Schweizer Filmen. Früh schnitt seinen Lieb­ lingsfilm ganz auf die drei Penner, Nebenfiguren aus Bäckerei Zürrer, zu: «Die Clochards in seinen Filmen, die waren sein Alter Ego, er sagte immer: Das hätte um ein Haar ich sein können.» (Katja Früh, zit. watson.ch) «Ich kann mir diesen stimmungsvollen Schwarz­ weissfilm immer wieder anschauen. Meine Lieblingsszenen sind die beim Bananen­

händler Colonna (Ettore Cella), wo die drei Komi­ ker-Kaliber Ruedi Walter, Zarli Carigiet und Max Haufler ihre Ganoventricks zum Besten geben. In einer dieser Szenen zitiert Kurt Früh augenzwin­ kernd gleich zwei Filmklassiker: The Kid von Chaplin und Eisensteins Kinderwagen-Szene auf der Potemkinschen Treppe in Odessa.» (Fredi M. Murer, zit. srf.ch) «Gründe, warum der Film für alle funktioniert: 1. Die Geschichte ist zeitlos und herzerwärmend. Arm gegen Reich. Aussenseiter gegen Bourgeoi­ sie. Gut gegen Böse. 2. Der Film spielt im Kreis 4, anno 1959. Man erkennt die Ecken wieder und vor allem: Der Dialekt ist zum Schreien! 3. Ältere Se­ mester (...) sehen im Film die Stadt ihrer Kindheit. 4. Kinder mögen Ruedi Walters einzigartige Slap­ stick-Einlagen. Ansehen!» (David Sarasin, tages­ anzeiger.ch, 18.12.2012) 106 Min / sw / DCP / Dialekt // REGIE Kurt Früh // DREHBUCH Kurt Früh, Hans Hausmann // KAMERA Emil Berna // MUSIK Walter Baumgartner // SCHNITT Hans Heinrich Egger // MIT Max Haufler (Barbarossa/Karl Kessler), Ruedi Walter (Clown), Zarli Carigiet (Dürst), Ursula Heyer (Inge), Hannes Schmid­ hauser (Hartmann), Margrit Rainer (Frau Herzog), Helmut Förnbacher (Paul Eberhard), Ettore Cella (Colonna), Fred ­Tanner (Polizist Meier 12), Albert Pulmann (Caraco).

ZÜRICH IN DER FILMWOCHENSCHAU

VORTRAG MIT FILMBEISPIELEN DO, 16. MAI | 18.30 UHR

Zürich ist dem Kino und dem Film eng verbunden, hier gibt es die grösste Kinodichte der Schweiz, und fast ein Fünftel der Kinoeintritte in diesem Land werden in dieser Stadt ge­ zählt. Doch Filme werden hier nicht nur gesehen, sondern auch gemacht. Rund zwei Drittel der Filme aus der Schweiz werden in Zürich und Umgebung produziert. Aber wie sieht die Stadt auf der Leinwand aus? Einen guten Einblick gibt die Schweizer Filmwochenschau. Auch wenn sie an der Rue Hesse in Genf ihre Redaktion hat, handeln über 500 Beiträge von Ereignissen in Zürich in den Jahren 1940–1975. Worüber wird berichtet, für welche Themen wird Zürich als Beispiel herbeigezogen? Anhand einer Auswahl an Beiträgen wird Severin Rüegg auf die Stadt- und Mediengeschichte am Beispiel der Filmwochenschau eingehen. Severin Rüegg ist Historiker und Filmwissenschaftler. Er betreut Ausstellungs- und Vermittlungs­ projekte und hat auch die Wochenschaubeiträge ausgewählt, die vor einzelnen Filmen der Jahre 1949, 1959 und 1969 gezeigt werden (Daten siehe Programmübersicht). Dauer ca. 80 Min. Für die freundliche Unterstützung dieser Programmierung danken wir

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34 Premiere

Hitlers Hollywood In Von Caligari bis Hitler (2014) hat sich der Filmpublizist Rüdiger ­Suchsland mit dem deutschen Kino der Weimarer Zeit auseinander­ gesetzt. Mit Hitlers Hollywood knüpft er daran an. Von 1933–1945 wurden in Deutschland über 1000 Spielfilme hergestellt. Das nationalsozialistische Filmschaffen war staatlich gelenkt, sollte aber zugleich «grosses Kino» sein. Die NS-Filme waren nicht nur technisch perfekt gemacht, mit ihren Stars weckten sie auch Sehnsüchte, liessen träumen, boten Zuflucht – und entwickelten so ihre grosse Wirkungskraft. Viele von ihnen sind bis heute nicht für den allgemeinen Vertrieb freigegeben. «Sein Erkenntnisinteresse formuliert Suchsland als Frage (...): ‹Welche Träume träumten die Deutschen in ihrer ureigenen germanischen Traumfabrik? Wovon sollten sie träumen, wenn es nach den Machthabern ging?› Am Ende – aber erschreckenderweise auch schon am Anfang dieses Regimes – war dies vor allem eins: der Tod. Suchsland weist das anhand von vielen idealtypisch ausgewählten Sequenzen nach. (...) Und Hannah Arendt (liefert) indirekt die Begründung dafür, warum man sich mit diesen alten NS-Filmen heute auseinandersetzen sollte. Denn ‹was die Massen überzeugt, sind keine Fakten, noch nicht einmal erfundene Fakten, sondern die Konsistenz der Illusion.›» (Susanne Hermanski, Süddeutsche Zeitung, 27.2.2017

HITLERS HOLLYWOOD / Deutschland 2017 106 Min / Farbe + sw / DCP / D/f // DREHBUCH UND REGIE Rüdiger Suchsland // KAMERA Anne Bürger // MUSIK Lorenz ­Dangel, Michael Hartmann // SCHNITT Ursula Pürrer // MIT Rüdiger Suchsland (Erzähler); Filmausschnitte mit Hans Albers, Ilse Werner, Zarah Leander, Heinz Rühmann, Marika Rökk, Marianne Hoppe, Gustaf Gründgens u. a. Am Dienstag, 25. Juni, 18.15 Uhr Gespräch mit Rüdiger Suchsland Mit freundlicher Unterstützung von


35 Filmpodium für Kinder

emil und die detektive

Die modernisierte Version des Kinderbuch-Klassikers ist voller Action und Spannung und bleibt doch ganz Erich Kästners Vorlage treu.

EMIL UND DIE DETEKTIVE / Deutschland 2001 112 Min / Farbe / 35 mm / D / ab 6 // REGIE Franziska Buch // DREHBUCH Franziska Buch, nach dem Roman von Erich Kästner // KAMERA Hannes Hubach // MUSIK Biber Gullatz, Eckes Malz // SCHNITT Patricia Rommel // MIT Tobias Retzlaff (Emil ­Tischbein), Anja Sommavilla (Pony Hütchen), Jürgen Vogel (Max Grundeis), Maria Schrader (Pastorin), Kai Wiesinger (Knut Tischbein), Rudolf Kowalski (Lehrer Hummel), Martin Feifel (Paschke).

Der 12-jährige Emil Tischbein reist mit seinem Ersparten nach Berlin, um dem Vater den für den neuen Job benötigten Fahrausweis zu besorgen. Doch unterwegs klaut der zwielichtige Max Grundeis das Geld. In der grossen Stadt angekommen, trifft Emil auf Pony Hütchen und ihre Kinderbande, und zusammen heften sie sich an die Fersen des Diebs. KINDERFILM-WORKSHOP Im Anschluss an die Vorstellungen vom 25.5. und 15.6. bietet die Filmwissenschaftlerin Julia Breddermann einen FilmWorkshop an (ca. 45 Min., gratis, keine Voranmeldung nötig). Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.


36 SÉLECTION LUMIÈRE

DANS LA VILLE BLANCHE Der Schweizer Bordmechaniker Paul, in

diesmal – durch den Beizug von Pauls

Lissabon auf Landurlaub, nimmt unvermit-

Super-8-Kamera – auch aufgebrochen. Sie

telt eine Auszeit. Er mietet sich in einer Pen-

lösen Empfindungen aus, zustimmende

sion ein und lässt sich treiben: Er zeichnet

und widersprüchliche zugleich. Alain Tan­

seine Umwelt mit der Super-8-Kamera auf;

ners Filme sind wie das Leben, voller Ge­

die Filme schickt er seiner Frau Elisa in Ba-

heimnisse, Überraschungen, Kehrtwen­

sel. In der Bar unterhalb der Pension arbei-

dungen, aber auch alltäglicher Banalitäten.

tet die schöne Rosa, in die sich Paul verliebt.

Das macht sie reich und wahr und immer wieder neu und anders. (...)

«In Dans la ville blanche erzählt Alain Tanner

Bruno Ganz interpretiert die Rolle des

nicht eigentlich eine Geschichte. Vielmehr

Paul mitunter derart stark mit seinen eige­

visualisiert er Impressionen, Gemütsstim­

nen Gesten und – man darf schon sagen –

mungen, Visionen, die durch Aufenthalte in

persönlichen Marotten, dass sich beim

der lichtdurchfluteten Hauptstadt Portu­

Zuschauen gelegentlich eine Identifika­

gals angeregt und ausgelöst wurden. (...)

tionskrise einstellt. Da leiht plötzlich nicht

Weil er seine Filme nicht auf eine verbale

mehr der Schauspieler einer Figur Gestalt,

Grundlage stellt, sondern vom Bild her

damit sie zum Leben erwacht, sondern wird

­aufbaut – seine Filme sind in erster Linie

die Figur Ausgangspunkt zur Selbstdar­

Bildsprache –, muss Tanner als einer der

stellung des Schauspielers.» (Urs Jaeggi,

kongenialsten Regisseure der Gegenwart

Zoom, 5/1983)

gelten. Tanner erklärt nicht; er visualisiert. Die Stimmungen und Gemütslagen werden

✶ am Dienstag, 11. Juni, 18.15 Uhr:

ganz aus den Bildern herausgearbeitet und

Einführung von Martin Walder

DANS LA VILLE BLANCHE / Schweiz / Portugal 1983 108 Min / Farbe / 35 mm / F/d // DREHBUCH UND REGIE Alain Tanner // KAMERA Acácio de Almeida // MUSIK Jean-Luc Barbier // SCHNITT Laurent Uhler // MIT Bruno Ganz (Paul), Teresa Madruga (Rosa), Julia Vonderlinn (Elisa, Pauls Frau), José Carvalho (Chef), Francisco Baiao (Dieb mit dem Messer), Victor Costa (Wirt).


37 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm), Laura Walde SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 412 31 25 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 211 66 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Absolut Medien, Fridolfing; Ariadnefilm, Zumikon; Arsenal Distribution, Berlin; Atelier 21, Wien; Bavaria Media, Geiselgasteig; Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin; CAB Productions, Lausanne; Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin; Filmgalerie 451, Berlin; Films sans frontières, Paris; Archiv der Siedlung Freidorf, Muttenz; Goethe-Institut, München; Kinemathek Le Bon Film, Basel; Light Cone, Paris; Sünke Michel, Hamburg; Misr International Films, Kairo; MK2, Paris; Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden; Park Circus, Glasgow; Praesens Film, Zürich; Unternehmensarchiv Schott AG, Jena; Paula Schwerdtfeger, Hannover; trigon-film, Ennetbaden; Marion von Hofacker, Icking; Warner Bros. Entertainment Switzerland GmbH, Zürich. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS, Zürich // KORREKTORAT Nina Haueter, Daniel Däuber // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 6000 ABONNEMENTE Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programm­ heft) // Jahrhundert-Abo: CHF 50.– (für alle in Ausbildung; freier Eintritt zu den Filmen der Reihe «Das erste Jahrhundert des Films» // Programm-Pass: CHF 60.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen einer Programmperiode) // Abonnement Programm­ heft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU Billy Wilder

Toshiro Mifune

Menschen am Sonntag (1930), Double Indem-

Legendär wurde er durch seine Verkörpe­

nity (1944), Sunset Boulevard (1950), Ace in the

rung kampflustiger, aber auch lebensmü­

Hole (1951), The Seven Year Itch (1955), Wit-

der und zynischer Samurai, doch Toshiro

ness for the Prosecution (1958), Some Like It

Mifune (1920–1997) war viel mehr. Er war

Hot (1959), The Apartment (1960), One, Two,

der «Motor» von insgesamt sechzehn Wer­

Three (1961), Irma La Douce (1963), The Front

ken Akira Kurosawas, darunter Drunken An-

Page (1974) – brauchen Sie wirklich noch

gel (1948), Rashomon (1950) und Akahige

mehr Gründe, um anzubeissen? Billy ­Wilders

(1965), drehte aber noch über 100 andere

stilistisches Repertoire reicht von Siodmak

Filme mit anderen Cineasten, war selber

über Lubitsch und Hawks bis zu Hitchcock.

Filmproduzent und schaffte den Sprung

Eine umfassende Retrospektive, samt ­Volker

nach Hollywood, mit Kinohits wie Grand Prix

Schlöndorffs mehrteiligem Porträt des Fil­

(1966), Hell in the Pacific (1968) und Red Sun

memachers.

(1971).


Filmgenuss pur, rund um die Uhr

CARLOS SORÍN ● PABLO L ARR AÍN ● PAUL A HERNÁNDEZ ● K AREN SCHACH NASAROW ● THEO ANGELOP OULOS ● AKI K AURISMÄKI ● SALLY P OT TER ● KEN LOACH ● ASGHAR FARHADI ● NAOMI K AWASE ● YASUJIRO OZU ● WIM WENDERS ● HIROK AZU KORE-EDA ● JASMIL A ŽBANIĆ ● SOULEYMANE CIS SÉ ● ANNA MELIKIAN ● PAWEŁ PAWLIKOWSKI ● GL AUBER ROCHA ● TANIA HERMIDA ● PATRICIO GUZMÁN ● ANDREI TARKOWSKI ● ELISEO SUBIEL A ● ALICE ROHRWACHER ● CHRIS TIAN PETZOLD ● RUBEN ÖS TLUND ● CAROLINA JABOR ● SAT YA JIT RAY ● ET TORE SCOL A ● FERNANDO PÉREZ ● ANNEMARIE JACIR ● JIŘÍ MENZEL ● OUSMANE SEMBÈNE ● CL ARA L AW ● MILOŠ FORMAN ● NAGISA OSHIMA ● PAOLO & VIT TORIO TAVIANI ● BERNARDO BERTOLUCCI ● CL AUDIA LLOSA ● ATHINA R ACHEL TSANGARI ● FERNANDO SOL ANAS ● NURI BILGE C E Y L AN ● LU C REC IA MAR TEL ● AKIR A KU RO SAWA ● RIT WIK G HATAK ● YORGOS L ANTHIMOS ● HSIAO -HSIEN HOU ● CIRO GUERRA ● APICHATPONG WE E R A S E THAKU L ● B L AND INE LEN O IR ● WO LFG AN G FI S C HE R ● S ERG E I PARADSCHANOW ● JIM JARMUSCH ● AL AIN GOMIS ● K AOUTHER BEN HANIA ● SHAHRBANOO SADAT ● SHOHEI IMAMUR A ● MICHAIL K AL ATOSOW ● ABDERR AHMANE SIS SAKO ● LUIS PUENZO ● KING HU ● BORIS BARNET ● LEW

Die Streaming-Plattform für FilmliebhaberInnen

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