La crisis

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LA CRISIS



Am Anfang stand unsere Projektidee. Eine Suche nach der Krise in Spanien. Ein Land, welches immer wieder Krisen erleiden musste. Bürgerkrieg. Diktatur. Momentane Wirtschaftskrise. Unser Interesse gilt dem Menschen, der eine Krise durchlebte - durchlebt. Mit dieser Idee starteten wir unsere Reise mit dem Pfeifermobil anfangs April 2012. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Wirtschaftskrise in Spanien extrem verschärft. Das erste prägende Erlebnis - das auch zur Entwicklung unseres Projektes einen wesentlichen Beitrag leistete- lieferte das Autoradio. Kaum die Grenze passiert, ertönten keine französischen Chansons mehr. Eine ernste Stimme erzählte von “la Crisis”. Auf der langen Fahrt zu unserem ersten Ziel sprachen wir viel über unser Projekt, und wie wir es nun definitiv anpacken wollten. Die aktuelle Krise liegt wie ein riesiger, schwerer Schatten über der Halbinsel. Dies veranlasste uns, vor allem die aktuelle Situation in den Vordergrund zu rücken. Wie gehen die Spanier mit dieser Krise um?


Die Reiseroute bestimmten wir ungefähr anhand der grossen wirtschaftlichen Bausünden Spaniens - Dörfer, die nicht fertig gebaut sind, leere Flughäfen, unbrauchbare Verkehrsbauten... Unser erstes Ziel war Toledo, wo die Familie und viele Freunde von Carlos wohnen. Auf dem Weg dorthin packten wir erstmals in Zaragoza die Kamera aus. Im Jahr 2008 fand hier eine Weltexpo zum Thema Wasser statt. Eine Seilbahn wurde fast über die ganze Stadt errichtet, eine Flusshalbinsel bildete den Kern dieser Expo. Heute stehen noch ungefähr 10 grosse, leere Bauten, die langsam zerfallen. Die Plätze vor diesen Gebäuden sind ideal zum Skaten, Bladen, Velofahren. Ein Mann auf Rollschuhen erklärte uns, dass die Seilbahn genau solange fuhr, wie die Expo dauerte - vom 14. Juni bis 14. September 2008. Die Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro trugen zu 70 Prozent der spanische Staat, zu 15 Prozent die Regierung von Aragonien und zu 15 Prozent die Stadt Zaragoza. In Toledo gab es ein freudiges Wiedersehen - nicht nur mit Carlos Eltern, sondern auch mit der Mutter und Schwester von Thaïs, die angereist waren, um die “Semana Santa” zu erleben. Eine Woche mit eindrücklichen, nächtlichen Prozessionen, gutem Essen und gemütlichem Beisammensein. Gleichzeitig filmten wir leere Gebäude in Toledo und planten unsere Reiseroute und unser Projekt weiter. Zu Hilfe kamen Freunde aus der Schweiz, die unbedingt Cordoba sehen wollten. So verabschiedeten wir uns von Carlos Eltern und fuhren in diese Stadt, wo uns ein Freund von Carlos die Sehenswürdigkeiten zeigte und uns ein langes Interview über die Krise gewährte. Er ist selber betroffen. Journalist ohne Arbeit. Drei Jahre Praktikum und Erfahrung - nie eine Festanstellung. Er hatte sich ein weiteres Praktikum geschnappt. In Polen während der Fussball-EM. Unser nächstes Ziel war Granada. Dort tauften wir das Pfeifermobil “Jabali Rojo” - “Rotes Wildschwein”und nahmen Abschied von unseren Freunden,die wieder zurück in die Schweiz mussten. Wir fuhren nun Richtung Sevilla. Auf der Strecke dorthin liegt Marinaleda. Spontan entschieden wir uns, diese kleine Ortschaft zu besuchen. Ein Dorf, das sich von den anderen unterscheidet. Die Strassen heissen “Salvador Allende”, “Camillo Cienfuegos” oder “Emiliano Zapata”. Ein riesiger, gemalter Che Guevara ziert die Turnhallenwand. Der kommunistische und spanienweit bekannte Gemeindepräsident Juan Manuel Sanchez Gordillo erklärte uns, wie sein Dorf funktioniert. Die landwirtschaftlichen Subventionen werden gerecht aufgeteilt, es wird geschaut, dass jeder in einer der verschiedenen Kooperativen arbeiten kann, die Häuser werden selber gebaut - die Miete beträgt nur 15 Euro im Monat. Wir treffen in diesem 3000 Seelendorf auf verschiedenste Personen. Sie scheinen zufrieden mit ihrer Situation zu sein. Die Krise betrifft sie noch wenig, da sie sich selber versorgen - aber die Zukunft ist auch für sie ungewiss, da sie vor allem von den Subventionen leben... Beeindruckt von diesem Dorf, reisten wir weiter nach Sevilla. Dort genossen wir das gute Wetter, schauten die Stadt an, filmten ein weiteres Expogelände, welches seit 1992 am Zerfallen ist.




In Cadiz besuchten wir zuerst das Grab von Camaron de la Isla - einer der grössten Flamencomusiker Spaniens. Den Abend verbrachten wir in einem Flamencokeller. Der Barbesitzer begann sofort, mit uns über die Krise zu sprechen. Er sass auf seinem Barhocker und referierte. Das Bild von diesem Mann, der auf dem Barhocker seine persönlichen Gedanken über “la Crisis” preisgab, faszinierte uns. Dank dieser Begegnung fanden wir eine bildliche und inhaltliche Lösung, wie wir fortan die Interviews mit den Menschen über die Krise führen wollten: - Die Person, die interviewt wird, steht im Mittelpunkt des Bildes und ist in einer Totalen zu sehen. Dadurch erkennt man auch, was darum herum passiert. Es besteht die Möglichkeit, mehrere Personen im Bild zu haben, die vor der Kamera – ohne Fragestellungen unsererseits – miteinander diskutieren. - Es werden immer die gleichen vier Fragen gestellt: -· Spüren Sie die Krise? -· Was kann man gegen die Krise tun? -· Wer sind die Schuldigen? -. Wie sehen Sie die Zukunft? Dieser selbst gegebene Raster ermutigte uns, das viel zu grosse und komplexe Thema “la Crisis” in einem für uns machbaren Rahmen weiter zu verfolgen. Eher zufällig - auf der Suche nach einem schönen Platz am Meer - erreichten wir das Dorf Barbate. Thaïs ging im Pinienwald spazieren. Carlos fuhr mit dem Fahrrad ins Dörfchen und anschliessend zum Hafen. Die Fischer flickten ihre Netze und diskutierten. Carlos fand das spannend. Am nächsten Tag gingen wir mit der Kamera zum Hafen und interviewten Fischer. Es war eine gute Erfahrung. Unser “Interviewraster” funktionierte einwandfrei. Wir drehten eindrückliche Szenen. Mit einigen jungen Fischern verstanden wir uns besonders gut. Wir durften mit ihnen aufs Meer fahren. Die Wellen machten unsere Gesichter bleich, und wir erlebten hautnah, wie streng diese Arbeit ist. Wir verbrachten noch einige Tage mit den Fischern und besuchten auch die lokale Polizei von Barbate. Drei Polizisten erklärten uns, warum sie Kreuze und Protestschilder vor dem Polizeiposten aufgestellt hatten. Seit mehr als fünf Monaten haben sie keinen Lohn mehr bekommen. Die momentane Situation eines jungen Polizistenpaares machte uns besonders betroffen. Vor fünf Monaten wurden sie Eltern der kleinen Carmen. Das gesparte Geld ist aufgebraucht. Schlaflose Nächte: Wie zahlen wir die nächsten Rechnungen und Hypotheken? Können wir in den nächsten Monaten Geld auftreiben, um unsere Tochter genügend zu ernähren?


Nach diesen eindrücklichen, aber auch erdrückenden Tagen in Barbate reisten wir weiter. In Villafranca de Cordoba verbrachten wir eine Nacht auf dem Zeltplatz. Es war ein reisetechnischer Zwischenstopp. Die Computer- und Kamerabaterien mussten geladen werden. Ziemlich zufrieden visionierten wir das gefilmte Material. Am nächsten Tag gingen wir in den Dorfladen. Ein Lieferant verkündete lautstark seine Situation in der Krise. Seit Monaten schuldete ihm jemand ziemlich viele Euros. Alle, die sich im Laden befanden, erlebten die heftige Diskussion mit. Auf die Frage, ob er mit uns vor der Kamera darüber sprechen wolle, meinte er, er könne das nicht - er sei viel zu wütend. Er verstehe so vieles nicht. Warum zum Beispiel hat ein Landarbeiter einen BMW und sein Chef fährt einen alten Seat? Die Antwort blieb unausgesprochen. Später erzählte uns ein Freund von Carlos, dass er, als er eine Hypothek für einen Hauskauf aufnahm, von der Bank umgehend eingeladen wurde, noch ein teueres Auto auf Kredit zu erwerben. Er lehnte ab. Mitten im Dorf entdeckten wir Frauen, die an der prallen Sonne Bauarbeiten verrichteten. Carlos sprang spontan aus dem “Javali Rojo”, um sie um ein Interview zu bitten. Thaïs fuhr weiter auf der Suche nach einem Parkierungsmöglichkeit. Sie ergatterte sich erst ausserhalb des Dorfes einen Parkplatz, fand dann aber die Frauen und Carlos nicht mehr. Da alles so schnell gegangen war, hatte Carlos das Natel nicht dabei. Thaïs Plan, mit dem roten Wohnmobil durchs Dorf zu fahren, damit Carlos sie sehe, scheiterte kläglich. Die Strassen wurden immer enger, und “Javali Rojo” blieb an einem Brunnenrand hängen. Ein Spanier befreite dann das Gefährt aus der mieslichen Lage. Thaïs nervlich am Boden - Carlos und die Frauen unauffindbar. Schlussendlich machte sich Thaïs zu Fuss auf und entdeckte nach einer Stunde Carlos. Das Interview mit den Frauen konnte beginnen! Sie erzählten, dass sie in einem Arbeitslosenprogramm seien und darum diese schwere Arbeit für einen finanziellen Zustupf machten. Eine Frau fand, dass man halt mehr bauen müsste, um die Krise zu überwinden. Für uns war das überraschend zu hören - nachdem wir schon so viele halbfertige oder leere Gebäude gefilmt hatten. Nach diesem etwas turbulenten Nachmittag fuhren wir nach Ciudad Real. Unser erstes Ziel war der Flughafen. Dieser gilt als eine der größten Investitionsruinen Spaniens. Bei seiner Eröffnung im November 2008 war er der erste privat betriebene internationale Flughafen des Landes. Bereits im November 2011 wurde er mangels Flugverkehr wieder geschlossen. Dieser Ort war für uns sehr unwirklich. Einen Geisterflughafen aus jüngster Zeit. Millionen von Euros verlocht. Nun erobert die Natur das Gebiet zurück. Wilde Hasen hoppeln über den Parkplatz, der bis auf drei Limousinen, die wohl einmal für die prominenten Gästen gedacht waren, leer steht. Pflanzen wachsen eifrig über die Flugbahnen. Wir filmten bis die Sonne unterging. Freunde von Carlos empfingen uns in der Stadt. Wir durften bei der jungen Familie übernachten. Der Säugling Samuel war schon im Bett, seine Schwester Luna musste schlafen gehen, nachdem sie uns gesehen hatte. Wir sprachen noch lange mit den Eltern Jota und Ana. Jota ist Kunstlehrer und arbeitslos. Anna ist Hochbauzeichnerin und arbeitslos. Ihr Büro hatte damals das Besucherzentrum des Flughafens gezeichnet. Am nächsten Tag erzählte uns Jota seine Situation vor der Kamera. Anna wollte ausdrücklich nicht gefilmt werden, da sie jegliche Art “von auf dem Bild sein” nicht mag. Als wir schon fast fertig waren mit dem Interview, meinte sie plötzlich, eigentlich habe sie schon was zu sagen. Und das hatte sie. Sie erzählte uns von den Sorgen um ihre Kinder. Das Schulsystem, das nicht mehr funktioniert. Die Tatsache, dass sich der Staat durch die vielen Privatisierungen in eine Zweiklassengesellschaft verwandle.




Mit einem Gefühl von Hilflosigkeit verliessen wir die junge Familie und fuhren weiter nach Toledo, um den Geburtstag von Carlos Vater zu feiern. Wir verbrachten eine intensive Woche in Toledo, wo wir Freunde und Bekannte von Carlos interviewten. Felipe. Heilpädagoge. Fünf Monate keinen Lohn bekommen. Isra. Förster. Da die Forstanlage privatisiert wurde und die Arbeitsbedingungen sich extrem verschlechterten, kündigte er seine Arbeit. Seither arbeitslos. In einer öffentlichen Schule konnten wir mit zwei Lehrerinnen sprechen. Die Sparwut bekommen vor allem die Kinder zu spüren. Drei- und Vierjährigefrieren, da die Heizung nur noch bis um 11:00 Uhr läuft, manchmal fehlt es an den einfachsten Dingen wie zum Beispiel Papier. In solchen Fällen bitten die Lehrerinnen bei anderen Schulen um Hilfe. Man unterstützt sich gegenseitig. Diese gegenseitige Unterstützung spürt man oft, wenn man mit den Betroffenen spricht. Eltern, Verwandte und Bekannte helfen, so gut es geht. Der arbeitslose Journalist wohnt bei seinen Eltern und erhält ab und zu 50 Euros von ihnen. Felipe kann mit seiner Freundin im Haus der Tante wohnen, weil er selber keine Miete mehr bezahlen kann. Die Eltern der Polizisten kaufen Medikamente und Esswaren für ihr Grosskind. Isra kann bei Freunden in einem Bergrestaurant arbeiten. In Toledo filmten wir einen riesigen Spitalneubau, der vor Monaten gestoppt wurde, da kein Geld mehr vorhanden ist. Aus dem Internet entnehmen wir Angaben, die aus der Zeit vor dem Baustopp stammen: PRESSEMITTEILUNG Luxemburg, 30. März 2007 Spanien: EIB-Darlehen für Krankenhaus in Toledo Die Europäische Investitionsbank (EIB) stellt für den Bau und die Ausstattung eines neuen allgemeinen Krankenhauses in Toledo, der Hauptstadt der Region Kastilien-La Mancha in Spanien, ein Darlehen von 205 Mio EUR bereit. Es handelt sich um das bisher größte für ein Krankenhausprojekt in Spanien vergebene Darlehen der EIB. (...) Das neue Krankenhaus gehört zum regionalen Gesundheitsplan 2001-2010 und wird die Versorgung mit qualitativ hochwertigen Gesundheits- und medizinischen Ausbildungsdiensten in der Provinz Toledo ermöglichen, einem der acht Gebiete der Gesundheitsversorgung in Kastilien-La Mancha. Mit einer Kapazität von über 1000 Betten und 36 Operationssälen wird das neue Krankenhaus elf Gebäude umfassen und die drei bereits veralteten medizinischen Zentren, die derzeit das Klinikum Toledo bilden, ersetzen. (...) Das EIB-Darlehen hat eine Laufzeit von 30 Jahren und deckt etwa 40% der gesamten Investitionskosten ab. Die Einschaltung der EIB in dieses Projekt trägt dem Ziel der EU Rechnung, das Humankapital durch die Modernisierung medizinischer Einrichtungen und den Ausbau der klinischen Ausbildung und Forschung in Zusammenarbeit mit der Universität im Rahmen eines FuE-Programms und anderen Institutionen zu verbessern. Die Bank ist bereits seit der Planungsphase an dem Projekt beteiligt. Sie bringt ihre Erfahrung mit ähnlichen PPP-Projekten in anderen europäischen Ländern ein und trägt so zur Minimierung der Kosten und zur Maximierung des Zusatznutzens bei.

Wir hatten intensive Tage in Toledo. Weitere Interviews - Coiffeuse, Besitzer einer Backsteinfabrik, Arbeitslose, die sich jeden Montag treffen, usw. Leicht erschöpft reisten wir weiter Richtung Norden.




Vororte von Madrid. In Illescas filmten wir wiederum Gebäude. Eine komische Szenerie: ganze Strassensysteme mit Kreiseln, Fussgängerstreifen Strassennamen (absurd: Calle Historia) und Strassenlampen sind vorhanden, aber keine Häuser. Ein Quartier weiter stehen zwar die Häuser, aber es wurden noch keine Bewohner gefunden. In Madrid besuchten wir die Kunstakademie, in der Carlos studiert hatte. Ein Professor und Studenten sprachen mit uns. Die Stimmung war nicht optimistisch, da vor allem zuerst bei der Kultur und Erziehung gespart wird. Unser nächstes Ziel war Becilla de Valderaduey, ein Dorf in der Provinz Valladolid mit 314 Einwohnern. Im Winter eher weniger, erzählte uns ein Freund von Carlos, den wir dort besuchten. Er ist Fischverkäufer. Sein Geschäft läuft nicht gut. Zusätzlich ist er wegen einem Knieproblem arbeitsunfähig. Er schläft nicht gut. Rechnet am Lohn seiner Stellvertretung herum und fragt sich, wie es weiter gehen wird. Die Leute kaufen weniger Fisch als sonst. Er half uns bei unserem Projekt. Wir führten Gespräche mit einem Getreidebauern und seinem Sohn, der arbeitslos ist und seinem Vater hilft. Ein Schafbauer klagte über das stetig unrentablere Geschäft mit Schafen. Seine Kinder wollen den Betrieb nicht übernehmen. Er will ihn eigentlich schon lange verkaufen - aber niemand will das machen, was er macht. Ein Hobbyeselbauer scheint mit seiner Situation zu frieden zu sein. Er arbeitet auf dem Hof seiner Eltern. Die Esel werden die Krise wohl mehr merken als er, da er nicht sicher ist, ob ihm das Geld reicht, um die Tiere zu behalten. Wir verliessen das kleine Dorf, das irgendwie sehr trostlos auf uns wirkte - immer mehr Leute wandern ab, und es gibt fast keine Jungen mehr. In León stiessen wir wieder auf leere Gebäude. Es war eine fast lustige Szenerie: motivierte Santiago Pilger auf ihrem Weg und im Hintergrund wüste Bauruinen. Nachdem wir die Stadt besichtigt hatten, entschieden wir uns, weiterzureisen und fuhren über einen Pass nach Austurien. Heute, etwa einen Monat später - so haben wir erfahren - ist diese Autobahn verbarrikadiert. Die Minenarbeiter, die nicht mehr subventioniert werden, führen Strassenschlachten gegen die Polizei. Weiter ans Meer. Colunga. Ein schönes Dorf, ein schöner Campingplatz am Strand, aber das Wetter war kalt und regnerisch. Deshalb fuhren wir der Küste entlang weiter bis in die Provinz Kantabrien. Dort endlich Sonne und ein schöner Strand mit einem perfekten Sonnenuntergang. Wir erholten und einige Tage und filmten einige Bauruinen am Meer. Das nächste Ziel war Somo - von dort aus besichtigten wir auch Santander. In den vielen Interviews, die wir führten, sagten die meisten, dass die Immobilienbranche die Hauptschuld an der Krise trage. Wir nahmen deshalb unseren Mut zusammen und betraten ein Immobiliengeschäft, um nachzufragen. Eine Immobiliengeschäftsfrau gab uns grosszügig Auskunft. Sie fühlt sich persönlich gar nicht schuldig - klar war es sehr schön gewesen, während der Boomjahre - die wahren Schuldigen seien die Politiker. Aber sie habe jetzt grosses Vertrauen in die neue Regierung, die nun an der Macht ist und die sie auch gewählt hat. Am Schluss schenkte sie uns sogar ein Blatt eines alten Immobilienkalenders mit schönen Fotos von Somo. Unten steht: Feliz Navidad 2010. Da Somo ein Surfparadies ist, befragten wir die Inhaber einer Surfschule. Sie waren sehr positiv eingestellt. Wellen gibt es trotz Krise. Die Leute kommen zum Surfen - vielleicht kaufen sie einfach keine Marken T- Shirts mehr. Aber das falle nicht ins Gewicht.




Beruhigt verliessen wir die Surfer und fuhren nach Laredo, um eine weitere Bausünde zu filmen. Es wurde für über 90 Millionen Euros einen Schiffshafen gebaut. Dieser hat 1200 Anlegeplätze. Wir entdeckten ein einziges, einsames Boot im ganzen Hafen. Da das Wetter uns wieder in Stich liess, fuhren wir nach Bilbao und schauten uns das Guggenheim-Museum an. Am Abend vergnügten wir uns an einem baskischen Dorffest in Ortuella. Eine Band aus Valenzia spielte. Trotz Dauerregen spürten wir eine positive Stimmung. Die jungen Basken schrien um ihre Gefangenen. Der Sänger sagte einen Satz, der unter die Haut ging und haften blieb: “Tomamos el Corzon en la Mano”- “Nehmen wir das Herz in die Hand”. Irgendwie tönte das hoffnungsvoll. Um dem kalten Dauerregen zu entkommen, fuhren wir am nächsten Tag nach Pamplona. Dort regnete es aber weiter. Wir begannen, unser Material zu visionieren und wählten einige Szenen für die Ausstellung im o.T Raum, die gerade nach unserer Rückreise stattfand, aus. Stundenlang bastelten wir an der Deutschuntertitelung. In San Sebastian schien die Sonne. Es war unser letzter Tag in Spanien. Nochmals stürzten wir uns in die Arbeit und führten drei Interviews. Wir wollten unbedingt mit jemandem von einer Bank sprechen. Das war gar nicht so einfach. Wir mussten etwa fünf Banken abklappern, bis sich zwei Angestellten überreden liessen, nach der Arbeit auf einer Bank vis- à- vis von der Bank ein Interview zu geben. Es war interessant, ihre Meinung zu hören. Sie sehen sich nicht als Schuldige, sondern als Arbeiter in einem System. Sie machen nur ihre Arbeit. Schuldig seien die Politiker und die Form des Bankwesens. Ein Barmann erklärte uns, dass es im Norden noch etwas besser gehe - aber die Leute kämen schon seltener in die Bar, um Pintxos (baskische Tapas) zu essen. Schlussendlich sprachen wir noch mit einem Arzt. Er war nicht ganz pessimistisch. Das Gesundheitssystem Spaniens kann nach seiner Ansicht nicht zusammenfallen, es wird sich nur verändern. Irgendwie konnte er uns nicht beruhigen. Wir verliessen Spanien, mit vielen gesammelten Eindrücken und keiner Klarheit.

Heimreise. Eine Nacht nochmals am Meer. Dann der Besuch bei einem Freund in

einem kleinen Dorf mitten in Frankreich.

Zu Hause begann die Auswertung des Materials - wir sind mitten drin. Wir wissen

noch nicht, wie es weiter geht. Vielleicht reisen wir nochmals nach Spanien. Seit wir zu Hause sind, lesen und hören wir täglich von “la Crisis” in Spanien. Wie durch eine maginäre Sanduhr rieselt alle Zuversicht auf eine positive Wende hinunter. Wir hoffen jeden Tag, dass jemand sie dreht, oder zumindest flach legt, damit es nicht noch schlimmer wird.

Dank der Stiftung Otto Pfeife wurde uns diese eindrückliche Reise und das Projekt

ermöglicht. Durch die Beweglichkeit des Pfeifermobils, unseres “Javali Rojo”, durften wir so vieles erleben und kennenlernen. Wir danken con todo el Corazon! Juli 2012 Thaïs Odermatt & Carlos Isabel



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