Ernst & Sohn Sonderheft Regenwassermanagement 2019

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2019 Ernst & Sohn Special April 2019 A 61029

RegenwasserManagement Dezentrale Regenwassermaßnahmen für Gebäude, ­Grundstücke und Verkehrsflächen

–  Die Evolution ist ziellos, Fortschritt ist nicht immer „sinnvoll“ – Kulturtechnik – Alte und neue Aufgaben und Ziele –  Neue Regelungen für Siedlungsabflüsse bei Regenwetter –  Technische Normen oder „sachverständiges Bauen“? –  Vom 3. Mann ins 3. Jahrtausend – Innovatives Regenwasser­ management in Wien –  Intelligente Steuerung von Retentionsspeichern in Gründächern

zur Maximierung der Verdunstung und des Überflutungsschutzes im hochverdichteten urbanen Raum   Neuer Starkregen-Check für den Kanalbetrieb – Forschungsprojekt zur kommunalen Starkregenvorsorge

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Editorial

Die Stadt, das Wasser – ja wir müssen uns ernsthaft Sorgen machen Starkregenereignisse, Murenabgänge, geflutete UBahnschächte, Missernten in 2017 sind noch in Er­ innerung. Im Jahr 2018 folgte dann ein herrlicher Sommer – der Klimawandel hatte, zumindest jetzt, auch eine gute Seite, mag mancher gedacht haben. Aber der verharmlosende Begriff „Klimawandel“ ist eigentlich nichts anderes als „Erdfieber“, denn eine um nur 2 °C höhere und zugleich länger anhaltende Körpertemperatur bedeutet hohes Fieber, welches ärztlich zu behandeln ist. Viele, insbesondere ältere Menschen, haben in Deutschland unter den erhöhten Temperaturen gesundheitlich gelitten. Für die Landund Forstwirtschaft, die Schifffahrt und für die Natur und sogar für Teile der Industrie war der letzte Sommer existenzbedrohend. Dass diese außergewöhnliche Trockenheit wohl kein Einzelereignis bleiben wird und dass wir künftig häufiger, wenn nicht gar in regelmäßigen Abständen, mit Dürre in Deutschland rechnen müssen, prophezeite kürzlich der Deutschen Wetterdienstes (DWD). Dem städtischen Raum fehlt die kühlende Funktion der Wasserverdunstung – aber schon jetzt benötigt jede Stadt deutlich mehr Trinkwasser als sich auf natürlichem Wege im Stadtgebiet neu bilden kann. Man bedient sich deshalb mehr oder weniger ungeniert aus dem Umland. Dieses Wasser fehlt der dortigen Landwirtschaft, die wiederum für die Lebensmittelversorgung der Stadt unentbehrlich ist. Der vermehrte Bau von Regenwasserzisternen beispielsweise hilft sowohl bei Stark­ regenereignissen als auch bei Trockenheit – bei normgerechten Bau – über eine regenfreie Zeit von ca. 3–5 Wochen hinweg. Wasser wird nicht verbraucht, es wird lediglich gebraucht. Wasser- Nährstoff- und Energierecycling auf hohem Niveau, verbunden mit einer kaskadenhaften Mehrfachnutzung, löst diverse Versorgungs- und Umweltprobleme. Es gibt zum Glück keinen Mangel an guten Forschungsergebnissen – es besteht aber ein riesiges Defizit an deren Umsetzung. Beispielsweise wurde schon vor 20 Jahren in einem konkreten Bauvorhaben ein innovativer Umgang mit Niederschlagswasser aus dem Siedlungs- und Straßenbereich erfolgreich erprobt. Der belastete Anteil des Straßenablaufs gelangt zusammen mit dem Dachablaufwasser in eine Zisterne und nur das weitgehend unbelastete Niederschlagswasser in das Oberflächengewässer, wodurch die Gewässerqualität verbessert wird. Der belastete erste Spülstoß aus der Straßenentwässerung wird mit einfachen Mitteln zu einem hochwertigen Betriebswasser aufbereitet. Es ist hygienisch einwandfrei und darüber hinaus sogar für diverse Anwendungen gegenüber dem örtlichen Trinkwasser zu bevorzugen. Obwohl sich dieses Pilotprojekt seit 20 Jahren in der Praxis bewährt hat, ist es in Berlin bisher nicht weiter zur Anwendung gekommen. Stattdessen werden teure Stauraumkanäle etc. gebaut.

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In einem mehrgeschossigen Wohnhaus in der Innenstadt wird das Grauwasser aus Badewannen, Duschen und Waschmaschinen zusammen mit dem Küchenabwasser zu einem Betriebswasser aufbereitet, das in fast allen Parametern die Anforderungen der Trinkwasserverordnung erfüllt. Seit 2006 wird es von 250 Personen problemlos zur Toilettenspülung verwendet. Ab 2014 wurde selbst aus dem Toilettenabwasser über 2 Jahre hinweg ein hochwertiger, hygienisch einwandfreier Flüssigdünger – sogenanntes „Goldwasser“ erzeugt. Betriebs- und Goldwasser wurden für die Lebensmittelproduktion in Hydroponik und Aquaponik verwendet. Die damit erzeugten Lebensmittel waren höchst wohlschmeckend und erfüllten alle gesetz­ lichen Qualitätsanforderungen. Die ortsnahe Schließung des Wasserkreislaufs mit integrierter Farmwirtschaft produziert ohne zusätzlichen Wasserbedarf und ohne Einsatz von Chemikalien mit niedrigem Energieaufwand durch kurze Transportwege frische und gesunde Lebensmittel für die städtischen Verbraucher. Das recycelte Wasser, welches bei der Lebensmittelproduktion verdunstet, kühlt zugleich die nachbarschaftliche Umgebung und es wäre sogar noch Betriebswasser übrig, um Gründächer und Bäume vor dem Vertrocknen zu schützen. Die Besuchergruppen, Schüler und Studenten, die sich bei der Roof-Water-Farm die Türklinke in die Hand geben, sind begeistert. Politik, Verwaltung und Baukonzerne, die geeignete Dachflächen für Dachgewächshäuser zur Verfügung stellen könnten, kommen selten. Forschungsergebnisse – selbst die Praxisergebnisse aus dem Reallaboren scheinen sie wenig zu interessieren. „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit setzt sich nie in der Weise durch, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären. Vielmehr wird die heranwachsende Generation von vornherein mit den neuen Einsichten vertraut gemacht und die Gegner sterben allmählich aus“, erklärte einst Max Planck (1948). Die heranwachsende Generation kann und will nicht so lange warten, bis die alte von selbst Platz macht. Greta Thunberg wirft älteren Generationen Versagen vor: „Wenn wir sagen, dass wir Angst vor der Zukunft unserer Zivilisation haben, dann tätscheln sie uns den Kopf und sagen: Alles wird gut, macht euch keine Sorgen‘. Aber wir müssen uns sorgen, wir müssen in Panik verfallen“. (Thunberg am 29.03.2019 in Berlin). Wem also nützt Umweltforschung – außer der Forschung selbst, wenn positive Ergebnisse nicht umgesetzt werden? Sind nicht die Hauptprofiteure Politik, Verwaltung, sowie Bau- und Wasserkonzerne, wenn sie den Bürgern allein durch Forschungsaufträge und nicht durch Handeln legitimiert glaubend machen wollen, dass sie sich um die Probleme kümmern, dass alles gut wird und wir uns keine Sorgen machen sollen?

Erwin Nolde

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Inhalt

Einbau der Betonrinne Bircomax-i. Besonderheit dieser großformatigen Bauteile ist die einfache Verlegung von oben. Die Kopfteile des Rinnensystems wurden speziell für die senkrechte Platzierung entwickelt. Dies vermeidet ein seitliches Heranführen – dadurch wird kein Fundamentbeton verschoben. Zur besseren Handling wurde die Rinne für praktischen Verlege-Anker konstruiert. So wird eine sichere Lastverteilung erreicht. Zudem sind Baugruben durch den Typ-I Einbau sehr schmal, denn bis zur Belastungsklasse F 900 kann auf eine breite seitliche Betonummantelungen verzichtet werden. Daher kombiniert dieses System gleich mehrere Ansprüche. Einfache Integration bei Sanierungsflächen, praktisches Konzept für Bauunternehmer und viel Retentionsraum bei Starkregen für Flächenbetreiber und Kommunen. (Foto: Birco, siehe Bericht S. 29 ff.)

Special 2019 RegenwasserManagement

EDITORIAL   3

Erwin Nolde Die Stadt, das Wasser – ja wir müssen uns ernsthaft Sorgen machen

REGENWASSERMANAGEMENT IM DISKURS   6

Heiko Diestel Die Evolution ist ziellos, Fortschritt ist nicht immer „sinnvoll“

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Mathias Uhl, Theo G. Schmitt Neue Regelungen für Siedlungsabflüsse bei Regenwetter

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Christopher Nierhaus, Klaus W. König Technische Normen oder „sachverständiges Bauen“?

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Anja Schumann Regenwasserbewirtschaftung in Langenau – Interview mit Gerd Bühler

23 Weil Erfahrung zählt: Drei Jahrzehnte Regenwasserbewirtschaftung in Berlin – Interview mit Brigitte Reichmann 25

Aktuelle Entwicklungen in der Regenwasserbehandlung

RETENTION UND ALTERNATIVE SYSTEME – UNTER DER ERDE UND AUF DEM DACH 29

Retentionsrinne mit spezieller Bauform und DIBt-Zulassung

32 Zwickau setzt auf Regenwasser-Management mit integriertem Schmutzstoff­ rückhaltesystem 34

Kay Rosansky Neue Herausforderungen im Regenwassermanagement

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Regenwassermanagement auf dem Dach

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Neue Drossel-Sets für Retentionsdächer

Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG

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Regenwassermanagement und Gewässerschutz mit Systemlösungen

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BLICK ZU DEN NACHBARN

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Andreas Kimmersdorfer Vom 3. Mann ins 3. Jahrtausend

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Inhalt

(Foto: Roof Water Farm) VERSICKERUNGSSYSTEME 47

Der Starkregen kann kommen

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Gewerbebau in Heilbronn: Rinnenfilter sammelt und reinigt Wasser

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Versickerungsanlage für Eventausstatter

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Mike Böge Regenwasserversickerungssystem durch iro Institut auf Hochdruckspülbarkeit nach DIN 19523 getestet

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Moderner Raum für Zeitgeschichte

Starkes Leichtgewicht

Design-Rost Hydra Linearis + Polymerbetonrinne Poly-Fortis = Schwerlast-Entwässerung

AUS DER FORSCHUNG

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Harald Sommer, Dominik Gößner Intelligente Steuerung von Retentionsspeichern in Gründächern zur Maximierung der Verdunstung und des Überflutungsschutzes im hochverdichteten urbanen Raum

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Birgitta Hörnschemeyer, Malte Henrichs, Mathias Uhl Quantifizierung des Wasserhaushalts von Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahmen

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Diana Nenz, Andreas Matzinger, Jan Hendrik Trapp, Brigitte Reichmann, Fabian Funke, Pascale Rouault, Michel Gunkel Wasser in der Stadt gemeinsam anders denken und planen

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Mirko Salomon, Marco Schlüter Neuer Starkregen-Check für den Kanalbetrieb

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Claus Schuster Hochbelastetes Mikroplastik und Gummiabrieb in Straßenabläufen

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Regenwassermanagement im Diskus

Die Evolution ist ziellos, Fortschritt ist nicht immer „sinnvoll“ Kulturtechnik – Alte und neue Aufgaben und Ziele Mit den Mitteln der Kulturtechnik hat der Mensch viele Landschaften mitgeprägt. Dabei verfolgte er Ziele, die sich aus den jeweiligen Bedürfnissen des Gemeinwesens ergaben, dem Stand des Wissens der Zeit entsprachen und diesen auch mitentwickelten. Die Kulturtechnik durchläuft einen ständigen, auch heute anhaltenden Wandel. Dieser Aufsatz skizziert Aufgaben, die sich für die Kulturtechnik in den kommenden Jahren stellen, um ihren Beitrag zur langfristigen Nutzung und Erhaltung ländlicher und urbaner Lebensräume zu leisten. Die Entwicklung der Kulturtechnik spiegelt die Geschichte der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Landschaft wider. Die sozialen Umwälzungen, das Bevölkerungswachstum, die Entwicklung der Technik und der Chemie, die Urbanisierung sowie die zunehmende Einsicht in die ökologischen Konsequenzen unseres Handelns prägen diese Fachdisziplin, die naturgemäß immer im Wandel bleiben wird. Die Kulturtechnik hat unsere Landschaften mitgeformt. Der Fokus der landschaftsbaulichen Tätigkeiten lag vorwiegend auf der Verbesserung der landwirtschaftlichen Erträge. Über viele Jahrzehnte lag ein Schwerpunkt der Kulturtechnik in der Entwässerung von Flächen und der Melioration von Mooren. Die Niederlande gehören wohl zu den am stärksten hierdurch geprägten Regionen Europas. Die Einflüsse der großflächigen Entwässerungen und Grünlandumbrüchen in Europa oder der Erschließung neuer Bewässerungsflächen in ariden und semiariden Gebieten auf Klima und Biodiversität standen nicht im Vordergrund der fachlichen Erwägungen. Landwirtschaft und „Kultur-Technik“ waren schon immer in weit höherem Maße politisch und ideologisch geprägt als die Gewerbe des Handwerks oder des Handels. Bedeutende Kulturen wie jene im Zweistromland oder im prähispanischen Peru [4] waren „Kulturtechnik-Staaten“. Große soziale und politische Umwälzungen betrafen auch immer die Frage des Landbesitzes. Die „Innere Kolonisation“ veränderte in Deutschland die Landschaften, Ideologien wurden auf der Ressource Boden aufgebaut. Da man auf viele nicht-landwirtschaftliche Produkte, aber nicht auf Nahrungsmittel und Wasser verzichten kann, wird es immer bei dieser Sonderstellung der Landwirtschaft und der mit ihr verzahnten Tätigkeiten bleiben. Landwirtschaft ist in marktwirtschaftlichem Sinne kein normaler „Wirtschaftszweig“. Carl Husemann (Professor für Kulturtechnik und Grünlandwirtschaft in Berlin von 1953 bis 1969) schrieb im Jahr 1964 einen ausführlichen Aufsatz [11] mit einer Positionsbestimmung der Kulturtechnik. Mit der vorliegenden Skizze wird beabsichtigt, die Leser dieses Heftes, Praktiker der Regenwasserbewirtschaftung, ein gutes halbes Jahrhundert später zu einem Diskurs über umsetzbare Ziele der Kulturtechnik anzuregen. Im gegebenen, sehr begrenzten Rahmen ist allerdings eine umfassende Literaturübersicht nicht möglich.

Kulturtechnik in der offenen Landschaft Husemann [11] schreibt: „Der Begriff Kulturtechnik im engeren Sinne umfasst alle nachhaltig wirkenden wasserwirt-

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schaftlichen und landbautechnischen Maßnahmen. Sie werden durchgeführt zur vollen Erschließung und zur Produktionssteigerung von meliorationsbedürftigen Flächen, auf denen evtl. notwendige grundlegende wasserwirtschaftliche Voraussetzungen (…) vorhanden sind oder vorausgehend geschaffen werden. Über die vorgenannte kulturtechnische Aufgabe hinaus ergeben sich jedoch entscheidende betriebswirtschaftliche und agrarstrukturelle Aufgaben, die eng mit den kulturtechnischen Zielen verknüpft sind.“ Er nennt weitere Aufgaben wie den Erosionsschutz und verdeutlicht die vielen Verknüpfungen mit der Landeskultur sowie der Verbesserung der Agrarstruktur und weist darauf hin „... dass alle Dinge im Fluss sind und bleiben ...“. An anderer Stelle: „Die Analysierung des auf den Standort einwirkenden Faktorenkomplexes bzw. ihrer unterschiedlichen wechselseitigen Beeinflussung ist Aufgabe der Standortuntersuchung und einer der Schwerpunkte der kulturtechnischen Planung“. Eine bereits sehr weitreichende Erfüllung dieses letztgenannten Auftrages in Bezug auf den Wasserhaushalt stellt die wichtige Monographie „Landschaftswasserhaushalt“ dar [18]. Breite, in viele benachbarte Fachdisziplinen übergreifende Urteilsfähigkeit war immer eine Anforderung an Kulturtechniker. Das Wirkungsgefüge von Prozessen in der Landschaft, mit dem die Kulturtechnik sich befasst, ist sehr komplex. Beeinflussungen eines Faktors, wie beispielsweise der Bodenfeuchte, haben vielfältige Auswirkungen. Einige „klassische“ Fertigkeiten der Kulturtechnik werden immer noch gebraucht. Geographische Informationssysteme, verbesserte Mess- und Datenverwaltungsmethoden, mathematische Modelle und ökologisch ausgerichtete Bewertungsansätze bieten inzwischen wirksame Erfassungs- und Planungsinstrumente [7]. Das Bewusstsein für die Belastungen der Ökosysteme und die Auflagen des Naturschutzes wachsen. Die Gewässerrenaturierung hat die Beschaffung von Vorflut verdrängt. Kulturtechniker befassen sich mit der Abschätzung der Wirkungen von ackerbaulichen Maßnahmen auf den Wasserhaushalt, der Wiedervernässung von Mooren, der Nutzung von Niedermoorstandorten oder der mechanischen Bodenverdichtungen. Maßnahmen zur Minderung der chemischen Belastungen von Böden, Fließgewässern und Grundwasser werden geplant und umgesetzt. Der Beitrag der Landwirtschaft zum atmosphärischen Gashaushalt findet zunehmend Beachtung. Die Rekultivierung von Tagebaugruben wird weiterhin Kulturtechniker beschäftigen, ebenso die Ausgestaltung von Landschaften aus der Sicht der Erholung für die Bevölkerung und der Ästhetik. In tropischen und subtropischen Zonen ergeben sich durch Erosion, Rodungen, Bergbau, unkontrollierten Siedlungswachstum oder Monokulturen Tätigkeitsbereiche für die Kulturtechnik in Form der Einrichtung der Agroforstwirtschaft, des dezentralen Wasserrückhaltes oder der Bewässerung mit Oberflächenabflüssen in vielerlei Ausgestaltung. Effektiver landwirtschaftlicher Wasserbau muss immer die Komponente der Entwässerung mit einbeziehen. In ariden Gebieten muss durch sachgemäße Be- und Entwässerung der permanenten Versalzung riesiger Flächen entge-

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Regenwassermanagement im Diskus

gengesteuert werden. Versalzungsprozessen beim nicht fachgerechten Einsatz der Tropfbewässerung muss Einhalt geboten werden. Die Nutzflächen auf durch Nichtbewirtschaftung oder Erosion verfallenen Terrassen sind in der Regel kaum zu rehabilitieren. Hier muss weltweit schnell gehandelt werden.

Kulturtechnik in Siedlungen Das Leben in den wachsenden Ballungsräumen, in denen eine Hälfte der Menschheit lebt, wird ermöglicht durch die Nahrungsmittelversorgung und den ökologischen Beitrag der anderen Hälfte der Weltbevölkerung, die in den schrumpfenden ländlichen Räumen lebt. Stadtplaner und -verwalter werden mit einer Fülle von Anforderungen konfrontiert: Beschaffung von Wohnraum, Eingliederung von Gewerbe, Energie- und Wasserversorgung, Verkehrsplanung und Bereitstellung öffentlichen Nahverkehrs, Abfallbewirtschaftung, Bereitstellung von Schulen und Krankenversorgung, soziale Fürsorge u. a. Die großflächigen Ver­ siegelungen in städtischen Räumen ändern den lokalen Wärme- und Wasserhaushalt radikal (Bild 1). In den vergangenen Jahrzehnten sind der Kulturtechnik, in Überlappungen mit der Siedlungswasserwirtschaft und der Architektur, neue Aufgaben in urbanen Zonen zur Verbesserung des Stadtklimas und zur Verringerung der Abflüsse zugewachsen [15]. Hierzu gehören die flächenhafte Versickerung, Dach- und Fassadenbegrünungen oder Regenwassernutzungsmaßnahmen. Die Gestaltung des Wasserhaushaltes von Deponien kann eine Aufgabe für die Städte oder für die umliegenden Regionalbehörden sein.

Bild 1.  Auf Niederschläge und Strahlung muss in versiegelten Ballungsräumen zweckdienlich reagiert werden. (Foto: Diestel)

Kulturtechnik, Politik und Wirtschaft Die enge Verzahnung von Kulturtechnik und Politik zeigte sich auf besondere Weise in Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus. Wie in wohl allen Fachdisziplinen und Diktaturen stellten sich auch kulturtechnische Fachleute in den Dienst der Ideologie des Machtapparates. „Infolge der Machtergreifung am 30. Januar durch unseren Kanzler und Führer ist, wie in allen Zweigen der Staatsverwaltung auch auf dem Gebiete der Landeskultur neue Hoffnung aufgelebt. Sagt doch Adolf Hitler in seinem Programm, dass er den Staat auf dem Fundament eines gesunden Bauerntums neu aufbauen will. Dazu gehört in erster

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Linie die Landeskultur und als Hilfstruppe, als Mittel zum Zweck, der Arbeitsdienst“ [1]. Die Blut- und Bodenpolitik des „Dritten Reiches“ [17] ist das wohl erschreckendste Beispiel für die fatalen Folgen einer Ideologisierung der elementaren Beziehung zwischen Mensch und Boden. Andererseits wurde 1935 ein beachtenswertes Naturschutzgesetz erlassen. Wilhelm Freckmann, Professor am Lehrstuhl für Kulturtechnik in Berlin in den Jahren 1927–1945, stand dem Nationalsozialismus reserviert gegenüber [12]. Die Entwicklung der Kulturlandschaft seit dem 2. Weltkrieg ist eng verknüpft mit der Entstehung der Europäischen Union [13]. Bereichsweise ergeben sich Widersprüche zwischen der Förderung von intensiver Landwirtschaft und Naturschutz. Die Wasserrahmenrichtlinie der EU hat viele positive Einflüsse auf die Wasserwirtschaft. Der finanzielle Ertrag landwirtschaftlicher Betriebe ist abhängig vom Handel in den miteinander verzahnten re­ gionalen und internationalen Agrarmärkten, dessen prioritäres Ziel nicht die unbedingte Sicherstellung der Ernährung für alle ist. Subventionen können – richtig bemessen und angewandt – Fehlentwicklungen korrigieren.

Vegetation, Wasser und Wärme Die Vegetationsdecke ist ein Bestandteil und nicht nur das Produkt des Klimasystems. Vegetation, Bodenfeuchte sowie Wasser- und Energiehaushalt sind an der Bezugsebene der Erdoberfläche kausal miteinander verknüpft. Die Ströme von verdunstendem Wasser und latenter Wärme sind proportional (Bild 2) [12]. Pflanzungen, Rodungen, Versiegelungen oder andere Beeinflussungen der Wasserhaushaltskomponenten ändern die Verdunstung und mit ihr die Lufttemperatur. Das Wissen um diesen Tatbestand ist wichtig, um in den kommenden Jahren Fortschritte bei der Konvergenz der Ergebnisse von hydrologischen Modellen, die auf Einzugsgebiete ausgelegt sind mit den Ergebnissen von szenarien­ basierten, projizierten Klimaänderungen, die mit globalen Zirkulationsmodellen gewonnen werden, zu erreichen. Die gefallenen Niederschläge, deren Weiterbewegung oder Rückhalt in der Landschaft die Kulturtechnik beeinflussen möchte, stammen aus der Verdunstung von Ozeanen und Kontinenten, die auf den Landmassen von der Landund Forstwirtschaft sowie den Versiegelungen beeinflusst wird. Dieses „unsichtbare“ Wasser wird bisher bereits punktuell in Siedlungen, aber in offenen Landschaften kaum bewirtschaftet, was auch mit der Grundgleichung des Wasserhaushaltes (Niederschlag = Verdunstung) nicht konform geht. In vielen Bereichen hat sich eine Betrachtung der Verdunstung als „Verlust“ durchgesetzt. Wasser geht jedoch nicht verloren. Die Evapotranspiration, die Interzeption von Pflanzen oder die Verdunstung von versiegelten Flächen und unbewachsenem Boden führen zu entsprechenden Verringerungen in der Grundwasserneubildung oder in den Oberflächenabflüssen, leisten aber auch den bereits erwähnten Beitrag zum Wärmehaushalt. Bewirtschaftungsbedingte Modifizierungen des Wasserhaushaltes haben Wirkungen auf das Verhältnis der latenten zu den fühlbaren Wärmeströmen in der Landschaft. Das Aufbrechen vieler kleiner Wasserkreisläufe in den Landschaften während der vergangenen Jahrzehnte hat vielfältige negative Konsequenzen. Das Wasser in den Landschaften muss dezentral zurückgehalten, die Teilströme des Wasserhaushaltes einschließlich der Ver-

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Bild 2.  Schematische Darstellung des Energie- und Wasserhaushaltes eines Ausschnittes der Erdoberfläche und ihres Überschneidungspunktes. Aus Lofgren et al. 2013 [12]. Nettostrahlung: Rn Bodenwärmestrom: G Sensibler Wärmestrom: H Latenter Wärmestrom: LE Evapotranspiration: E Niederschlag: P Oberflächenabfluss: Rus Unterirdischer Abfluss: Russ

dunstung verändert und eine größere hydrologische und biologische Vielfalt wiederhergestellt werden. Die Grundwasserneubildung in Winterhalbjahren muss deutlich erhöht werden. In der ermutigenden Arbeit von Gerber [6] werden viele wichtige Zusammenhänge deutlich.

Einige aktuelle Aufgaben der Kulturtechnik Da der Verfasser sich bereits etwas ausführlicher zur ­Wiederherstellung einer hydrologischen und biologischen Vielfalt in der Landschaft geäußert hat [5] werden einige Maßnahmen hier nur kurz angeschnitten: Einführung von Agroforstwirtschaft, Verkürzung von Brachen, gute Mengenbewirtschaftung bei Bewässerungen, Anpflanzung von Gehölzen (Bild 3) bzw. Erhaltung von Bahndämmen und Änderung der Holzernteverfahren in Wäldern. Diskussionen innerhalb der Landwirtschaft über Bodenbearbeitung, Pestizideinsatz oder Diversifizierung der Fruchtfolgen stehen in direktem Bezug zu den hier angeschnittenen Fragen. Zunehmend (besonders im Mittelmeerraum) findet der Anbau von Agrarprodukten unter Kunststofffolien statt. Parallel dazu verfallen große Flächen des Terrassen­ anbaus. Die Konsequenzen daraus erfordern kulturtechnische Arbeit. Die Strömungsabläufe in größeren Bodenhohlräumen müssen quantitativ besser erfasst werden. Die Wechselwirkungen zwischen den Wasser- und Wärmehaushalten der Wälder und der Ackerflur müssen immer berücksichtigt werden. Die Ansprüche der Wasserwirt-

schaft, der Landwirtschaft und der Forstwirtschaft müssen abgestimmt werden [16]. Zwar schrieb schon Bothe [2] „Das Orts- und Bodenklima wird durch Hecken, Gehölze und den Wald beeinflusst“, aber man wird Effekte wie diese quantifizieren wollen. Es liegen bereits einige Er­ gebnisse über Verdunstung aus und Interzeption durch Hecken vor [8, 9], aber um diese Beiträge zum lokalen Wasser- und Energiehaushalt zu quantifizieren, wird man die geometrischen Parameter solcher Gehölze sowie ihre Anordnung in der Landschaft einbeziehen müssen. Die Kulturtechnik bietet auch Möglichkeiten, durch eine bessere Wasserversorgung der Pflanzen zu einer Verbesserung der Treibhausgas-Bilanz der Landwirtschaft beizutragen. Konzepte für den Umgang mit Extremereignissen werden von der Kulturtechnik bereitgestellt werden müssen. Klimaänderungen führen zu Anpassungen in der Landnutzung. Umgekehrt haben großflächige Veränderungen wie Zuwächse in den bewässerten Flächen oder Rodungen von Urwäldern Auswirkungen zumindest auf das Regionalklima, wenn nicht auch auf das globale Klima. Auch diese Zusammenhänge möchte man zuverlässig quantifizieren. Bisher führt der Vergleich von Ergebnissen, die mit verschiedenen Klimamodellen erzielt wurden, nach einem Herabbrechen auf kleinere Raum- und Zeiteinheiten, mit Mess­ reihen aus Einzugsgebieten oder Wetterstationen zu unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf die Niederschläge. Im Verständnis der komplexen Antriebssysteme gibt es Wissenslücken. Insbesondere sind Prozesse in Gebirgslandschaften schwierig zu modellieren. Eine wichtige Mess­ datenbasis für Abschätzungen der Verdunstung, die Verdunstung von freien Wasseroberflächen, unterliegt einem zeitabhängigen Wandel [10]. Die Kulturtechnik kann in intensiver Kooperation mit der Agrarmeteorologie re­gionale klimatologische Daten bereitstellen, die u. a. auch in globalen Zirkulationsmodellen Verwendung finden können. Unverzichtbar wird eine Erhöhung der zeitlichen und räumlichen Dichte von agrarmeteorologischen und klimatologischen Messungen in Vegetationsbeständen in der Ackerflur sein. Auch wäre es wichtig, bodenphysikalische Daten, die zur Berechnung der Passage des Wassers durch den Boden erforderlich sind, wie Textur und Infiltrations­ raten, auf internationaler Ebene in einer verwertbaren Form zugänglich zu machen. Eine gute Basis hierfür könnte die „Harmonized World Soil Database“ der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sein. Die Einbeziehung von Landwirten und freiwilligen Helfern im Rahmen von Vorhaben der „Bürger­forschung“ wäre sehr hilfreich. In allen Klimazonen werden deutlich mehr wägbare Lysimeteranlagen mit großen Bodenmonolithen erforderlich sein, an denen kontinuierliche Messungen stattfinden. Vorhandene Daten müssen gut dokumentiert und für wiederholte neue Auswertungen zugänglich bleiben oder durch ihre Digitalisierung zugänglich werden.

Gemeinwesen und Kulturtechnik

Bild 3.  Die Wiedereinräumung der Landschaft muss vorangetrieben werden. (Hecke bei Königslutter. Foto: Diestel).

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Erwartungen an die Landwirtschaft wie die Vermeidung von Kontaminationen der Umwelt, verbesserte Tierhaltung, Wiederherstellung von Biodiversität und Klimaschutz sind bereits hoch. Lobbyismus, ein Bestandteil der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Realität, muss in Zukunft in höherem Maße als bisher auch übergeordnete Ziele transpa-

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Regenwassermanagement im Diskus

rent verfolgen. Die Landwirte haben bisher zu wenig auf die positiven Wirkungen einer zukunftsfähigen Landwirtschaft – wenn sie politisch und wirtschaftlich realisierbar ist – hingewiesen. Nur sie und die Förster sind dauerhaft in der Fläche präsent und aktiv. Ihre Körperschaften müssen in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und Berufsverbänden diesbezüglich mehr Aufklärungsarbeit leisten. Denkmuster müssen fortwährend auf den Prüfstand gestellt werden. Da die Prozesse in jeder Landschaft sowohl mit der Landnutzung als auch mit den globalen Strömungssystemen verknüpft sind, muss mittelfristig eine international abgestimmte, neu definierte Wasser- und Landbewirtschaftung angestrebt werden. Der Politik ist dieses durchaus bewusst [3]. Hierzu gehören, u. a., Änderungen in der Landwirtschaft und im Handel mit landwirtschaftlichen Produkten, im Naturschutz, in den Ernährungsgewohnheiten und eine Stabilisierung der Einbettung der Landwirtschaft in die Gemeinwesen. Wie wird eine neue wasserwirtschaftliche und ökologische Ordnungspolitik in den Staaten dieser Welt aussehen? Die Wiedereinbringung von Gehölzen in die Ackerfluren ist – insbesondere im internationalen Maßstab – ein langfristiges Großprojekt. Man wird Antworten auf verfassungs- und eigentumsrechtliche Fragen, auch in Bezug auf den Besitz von Boden und Wasser, finden müssen. Sektorales Denken muss aufgegeben werden. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft muss die Landschaftspflege durch die Landwirte einbeziehen. Diese Leistung muss quantifiziert und honoriert werden. In den kommenden Jahrzehnten könnte ein dualer Weg beschritten werden: Subventionen durch den Staat und gezielteres Konsumverhalten der Bürger. In der freien und sozialen Marktwirtschaft werden in die Landwirtschaft auf Grund ihrer Unverzichtbarkeit – ähnlich wie jene der Bildung – große Geldsummen gehen. Die Subventionsstrategie wird ständig angepasst werden müssen, wobei ein sozialer Konsens unverzichtbar ist. Auf die Kulturtechnik kommt die Aufgabe zu, auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebes die ökologischen und ökonomischen Effekte der hydrologischen und biologischen Vielfalt in der Landschaft zu verdeutlichen. Ähnliches gilt in Bezug auf eine fachliche Begleitung der vielfältigen Initiativen von Landwirten und anderen Mitgliedern unserer Gesellschaft, die neue Wege für die Landwirtschaft suchen und umsetzen möchten.

Handeln im Blick auf die Zukunft Prognosen im sozioökonomischen und politischen Bereich sind gewagt. Für viele große Millionenstädte ist es kaum vorhersehbar, wie sich ihre Wasser- und Wärmehaushalte in den kommenden Jahrzehnten entwickeln werden. In vielen Sprachen und in vielerlei unterschiedlichen Medien ist ein großer Strom von Gedanken zur Gestaltung unserer Landschaften entstanden. Gesamtkonzepte für eine umfassende Vorgehensweise würden, sollten sie entworfen werden, durch die fortschreitende Evolution laufend korrigiert werden müssen. Bild 4 soll die Komplexität der Aufgaben verdeutlichen, die vor uns stehen. Die als Kreise dargestellten Segmente unserer Realität stehen in Wechselwirkung miteinander und können über verschiedene räumliche und zeitliche Skalen wirken. Sie gelten für Landwirtschaft und Kulturtechnik, Agrar- und Finanzmärkte, Ökosysteme, die jeweilige National- und Klima­politik und für die Land-

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Planet Nation Region Landw. Betrieb, Stadt

Bild 4.  Vereinfachendes Schema der Einfluss-Sphären innerhalb derer die Bewirtschaftung ländlicher und urbaner Räume stattfindet. (Grafik: Diestel)

schaftsentwicklung, Faktoren, die ihrerseits aufeinander wirken. Ein Diskurs über eine Posi­tionierung der Kulturtechnik für die kommenden Jahre muss mitten in der Gesellschaft und interdisziplinär in den Fachkreisen statt­ finden. Passive Hinweise auf „unfähige Politiker“ sind ­bequem, aber nicht wirksam. Die Körperschaften einer modernen Demokratie sind von einem hohen Maß an bürgerlichem und ehrenamtlichen Engagement abhängig. Die Evolution ist ziellos, Fortschritt ist nicht immer „sinnvoll“. Demokratie und Freiheit sind enorme, aber immer gefährdete Errungenschaften der Menschheit. Eine robuste Natur mit hoher Selbstheilungskraft, eine leistungs­ fähige und ressourcenschonende Landwirtschaft, lebensfreundliche Städte und ein erfolgreicher demokratischer Staat bedingen sich gegenseitig und sind ein Anliegen der gesamten Gesellschaft. Die Kulturtechnik sollte nicht unreflektiert Spezialwissen und technische Fertigkeiten zur Verfügung stellen und umsetzen. Landwirte, Förster, Wasserwirte und die ihnen dienenden Kulturtechniker möchten Dinge tun, hinter denen sie stehen können. Insofern ist es auch eine kulturtechnische Aufgabe, sich als Staatsbürger zu engagieren und die Mitbürger mit relevanten Informa­tionen zu versorgen. Dauerhaft kann der Mensch nur in den Ökosystemen existieren, wenn sich Freiheit und Demokratie sowie eine im eigentlichen Sinne soziale Marktwirtschaft in den Ländern dieser Welt durchsetzen und Bestand haben.

Danksagung Der Verfasser dankt Katharina Helming, Mathias Herbst, Torben Meinert, Marco Otto und Karl-Friedrich Weber für hilfreiche Anmerkungen zum Entwurf dieses Aufsatzes. Literatur [1] Baumgärtel. 1934. Erfahrungen mit dem Arbeitsdienst und Wünsche der Landeskulturgenossenschaften an den Arbeitsdienst. Der Kulturtechniker: 119–125. [2] Bohte, H.- G. 1957. Strukturverbesserung im Bauernbetrieb. Ein Wegweiser für den Bauern. Sonderheft 04, Schriftenreihe für Flurbereinigung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bonn. [3] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. 2015. BMEL-Concept for Global Food Security and Nutrition. www.bmel.de

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Regenwassermanagement im Diskus   [4] Diestel., H. 2016. Dezentraler Wasserrückhalt als Staatsziel. fbr-wasserspiegel 3/16: 21–23. https://www.fbr.de/ publikationen/archiv-fbr-wasserspiegel   [5] Diestel, H. 2018. Hydrologische und biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft – vernachlässigte Aspekte und Lösungsansätze. In: Thünen Working Paper 85. Bewässerung in der Landwirtschaft: Tagungsband zur Fachtagung am 11./12.09.2017 in Suderburg. Sonja Schimmelpfennig, Jano Anter, Claudia Heidecke, Stefan Lange, Klaus Röttcher, Florian Bittner (Hrsg.) https://www.thuenen.de/en/infodesk/publications/thuenen-working-paper/ Nr. 85, Kap. 3.   [6] Gerber, S. 2008. Anwendung von multifunktionaler Landschaftsbewertung und hydrologischer Modellierung zur Bewertung der Einflüsse einer geänderten Landnutzung auf den Wasserhaushalt im Mittelgebirge. Diss., Techn. Univ. Dresden.   [7] Helming, K. und H. Wiggering (Eds.). 2003. Sustainable Development of Multifunctional Landscapes. Springer Verlag.   [8] Herbst, M., J.M. Roberts, P. Rosier and D. Gowing. 2006. Measuring and modelling the rainfall interception loss by hedgerows in southern England. Agricultural and Forest Meteorology 141: 244–256.   [9] Herbst M., Roberts J. M., Rosier P. and D. Gowing. 2007. Seasonal and interannual variability of canopy transpiration of a hedgerow in southern England. Tree Physiology 27:321-333. [10] Hobbins, M., J. A. Ramírez and T.C. Brown. 2004. Trends in pan evaporation and actual evapotranspiration across the conterminous U.S.: Paradoxical or complementary? Geophysical Research Letters 31, L13503. DOI:10.1029/ 2004GL019846.

[11] Husemann, C. 1964. Die landwirtschaftliche Aufgabe in der kulturtechnischen Lehre, Forschung und Praxis. Z. f. Kulturtechnik u. Flurbereinigung: 258–297. [12] Lofgren, B., A. Gronewold, A. Acciaioli, J. Cherry, A. Steiner und D. Watkins. 2013. Methodological Approaches to Projecting the Hydrologic Impacts of Climate Change. Earth Interactions 17, Paper No. 22. DOI: 10.1175/ 2013EI000532.1 [13] Poschlod, P. 2017. Geschichte der Kulturlandschaft. 2. Aufl. Eugen Ulmer. [14] Rückl, S. u. K.-H. Noack. 2005. Studentischer Alltag an der Berliner Universität 1933–1945. S. 124 in Vom Bruch, R., C. Jahr, u. R. Schaarschmidt. Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Band 1. [15] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin in Kooperation mit Technische Universität Berlin (Hrsg.). 2010. Konzepte der Regenwasserbewirtschaftung, Gebäudebegrünung, Gebäudekühlung – Leitfaden für Planung, Bau, Betrieb und Wartung. ISBN 978-3-88961-140-6 [16] Serajzadeh, H. 2008. Assessment of the impact of different forest managment measures on the water yield in the Kassilian catchment, Iran. J.D. Sauerländers Verlag. [17] Skowronek, A. 2015. Zur Blut- und Bodenpolitik des „Dritten Reiches“. In Von ganz unten. Warum wir unsere Böden besser schützen müssen. G. Wessolek (Hrsgb.) oekom verlag. [16] Wohlrab, B., Ernstberger, H., Meuser, A., Sokollek, V. 1992. Landschaftswasserhaushalt. Paul Parey.

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Regenwassermanagement im Diskus

Neue Regelungen für Siedlungsabflüsse bei Regenwetter DWA und BWK im Überblick

Der Beitrag vermittelt einen Überblick über den Stand der Neuregelungen zu niederschlagsbedingten Siedlungsabflüssen im Regelwerk der DWA und des BWK. Der Schwerpunkt liegt hier auf den Emissionsregelungen. Der wasserrechtliche Rahmen wird dargelegt. Als Beitrag zum Gewässer- und Klimaschutz soll der Wasserhaushalt in Neubau- und Sanierungsgebieten dem des zugehörigen Kulturlandes nahekommen. Die stofflichen Emissionen aus Trenn- und Mischsystemen und die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen werden anhand von Frachtbilanzen der feinpartikulären Stoffe ermittelt. Die Ausführungen zur Art und Wirksamkeit möglicher dezentraler und zentraler Behandlungsanlagen werden aktualisiert. Mit abgestuften Immissionsbetrachtungen wird die Gewässerbelastung hinsichtlich Abfluss und ausgewählter Güteparameter beurteilt und bedarfsgerechte Maßnahmen abgeleitet.

Wasserrechtlicher Rahmen Mit der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft (EG-WRRL) wurde der kombinierte Ansatz aus Emissions- und Immissionsprinzip auch für die Bewirtschaftung niederschlagsbedingter Siedlungsabflüsse eingeführt. Er gilt für alle Einleitungen aus diffusen Quellen und aus Punktquellen, somit auch für die Einleitung niederschlagsbedingter Siedlungsabflüsse, im Folgenden als Regenwetterabflüsse bezeichnet. Als Grundsätze der Wasserwirtschaft gelten das Verschlechterungsverbot in WHG § 5 (1) (nachteilige Veränderungen der Gewässereigenschaften sowie eine Vergrößerung und Beschleunigung des Wasserabflusses vermeiden) sowie das Bewirtschaftungsgebot in WHG 27 (1) (Verschlechterung des ökologischen und chemischen Zustandes der Gewässer vermeiden und guten ökologischen und chemischen Zustand erhalten oder erreichen). In WHG § 54 (1) wird „das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen gesammelt abfließende Wasser (Niederschlagswas-

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ser)“ als Abwasser eingeordnet. Für die Siedlungsentwäs­ serung besagt WHG § 55 (2) „Niederschlagswasser soll ortsnah versickert, verrieselt oder direkt oder über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden, soweit dem weder wasserrechtliche noch sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften noch wasserwirtschaftliche Belange entgegenstehen.“ Dieser als Soll-Vorschrift formulierte Grundsatz einer nach­ haltigen Niederschlagswasserbeseitigung ist auch in der Mehrzahl der Landeswassergesetze enthalten. Allerdings können wasserwirtschaftliche Belange oder entgegenstehende Vorschriften ihn einschränken, um den unterschiedlichen örtlichen Verhältnissen durch fachliche Bewertung und Abwägung zu entsprechen. Der Begründung nach hat WHG § 55 (2) für neue Anlagen Bedeutung. Bereits bestehende Mischwasserkanalisationen können im bisherigen Umfang weiter betrieben werden. Bei der Sanierung vorhandener Systeme besteht die Gelegenheit, den Vorgaben von WHG § 55 (2) zu entsprechen. Gemäß WHG § 57 (1) darf eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser in Gewässer nur erteilt werden, „wenn 1. die Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist, 2. die Einleitung mit den Anforderungen an die Gewässereigenschaften und sonstigen rechtlichen Anforderungen vereinbar ist und 3. Abwasseranlagen oder sonstige Einrichtungen errichtet und betrieben werden, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Anforderungen nach den Nummern 1 und 2 sicherzustellen.“ Stoffe wie z. B. verschiedene Schwermetalle, die Gruppe der Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) sowie weitere organische Spurenstoffe (z. B. Bio-

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Regenwassermanagement im Diskus

zide) treten verstärkt in den Blickpunkt. Aktuell ist davon auszugehen, dass in allen Abwässern solche Belastungen vor­liegen und zum Teil die Umweltqualitätsnormen überschritten sind (2013/39/EU). Bei einer Überschreitung werden der gute chemische Zustand und die Zielerreichung nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL 2000) verfehlt. Der Eintrag dieser Stoffe in die Gewässer erfolgt in erheblichem Maße auch durch Regenwetterabflüsse aus Siedlungsflächen. Für diese Stoffe existieren bislang keine emissionsbezogenen Anforderungen an den Bau und Betrieb von Abwasseranlagen. Um Gewässerbelastungen durch niederschlagsbedingten Abflüssen beurteilen zu können, führt die DIN EN 752 die Menge, Dauer und Häufigkeit der Einleitungen, die Stoffkonzen­ trationen und -frachten, der hydrobiologischer Stress sowie ästhetische Einflüsse auf. Die EG-Richtlinie „Kommunalabwasser“ (Richtlinie 91/271/EWG des Rates vom 21. Mai 1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser) enthält Emissionsanforderungen für Punktquellen der Siedlungsentwässerung, Kläranlagen sowie Mischwassereinleitungen. Dabei beschränken sich die Vorgaben für Regenwasserabflüsse auf „[…] Begrenzung einer Verschmutzung der aufnehmenden Gewässer durch Regenüberläufe“ in Anhang I (A. Kanalisation). Wenn die Qualitätsziele der EG-WRRL („guter chemische Zustand“ und „guter ökologische Zustand“ von Oberflächengewässern) oder andere geltende europäische Rechtsvorschriften durch Emissionsbegrenzungen nicht erreicht werden und

die Einleitungen der Siedlungsentwässerung die Ursache dafür ist, müssen strengere Emissionsbegrenzungen festgelegt werden. Sie haben den ortsspezifischen, immissionsorientierten Anforderungen zu entsprechen. Und auch wenn der „gute ökologische Zustand“ vorliegt, sind die Emissionsanforderungen beim Einleiten von Regenwetterabflüssen zu beachten. Weichen die biologischen Qualitätskomponenten stark von den Referenz­bedingungen des guten ökologischen Zustandes ab oder ist eine Steigerung der Gewässerbelastung unvermeidlich, können sowohl immissionsbegründete Anforderungen im kanalisierten Einzugsgebiet oder an die Einleitung erforderlich werden. Zudem können Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässermorphologie einzeln oder in Kombination notwendig sein. Es ist denkbar, die erforderlichen Maßnahmen sowohl im Einzugsgebiet, im Kanalisationsnetz, an der Einleitungsstelle als auch im Gewässer selbst, der Aue oder dem direkten Gewässerumfeld umzusetzen.

Regelwerk für niederschlagsbedingte Siedlungsabflüsse Struktur Das über Jahre gewachsene Regelwerk der DWA und des BWK zu Regenwetterabflüssen niederschlagsbedingten Siedlungsabflüssen wird derzeit fachlich und strukturell überarbeitet und aktualisiert. Das Arbeitsblatt DWA-A 100 stellt Leitlinien zur integralen Siedlungsentwässerung vor, die diesem volkswirtschaftlich und gewässerökologisch sehr bedeutsamen Infrastrukturbereich eine mittel- bis langfristig nachhaltige Entwicklung erlaubt. Das von der DWA und dem BWK gemeinsam herausgegebene Arbeitsblatt DWA-A 102 bzw. BWK-A 3 wird für Niederschlags­ abflüsse im Trennverfahren und für Mischwasserabflüsse im Mischverfahren einschließlich modifizierter Entwässerungssysteme gelten. Niederschlagsbedingte Emissionen, deren Immissionswirkung in Oberflächengewässern, der Wasserhaushalt sowie zentrale und dezentrale Behandlungsanlagen werden stimmig geregelt. Mehrere aufeinander abgestimmte Arbeits- und Merkblätter widmen sich einzelnen Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung (vgl. Tabelle 1). Ihre jeweils spezifischen Ausführungen zur Dimensionierung, Konstruktion und Betrieb dienen der Objektplanung, der Qualitätssicherung und dem Anlagenbetrieb. Das Arbeitsblatt DWA-A 102 wird mehrere ältere Regelwerke ersetzen (Arbeitsblatt ATV-A128, Merkblatt DWA-M153, Merkblatt BWK-M3, Merkblatt BWK-M7). Für Regenwasserabflüsse außerörtlicher Straßen gelten die einschlägigen Regelwerke (RAS-Ew, RiStWag). Tabelle 1.  Überblick über Regelwerke zu Maßnahmen für niederschlagsbedingte Siedlungsabflüsse

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Regelwerk

Maßnahme

Stand

DWA-A 117

Regenrückhalteräume

Februar 2014

DWA-A 138

Versickerungsanlagen

April 2005, Überarbeitung

DWA-A 166

Regenbecken

November 2013

DWA-A 178

Retentionsbodenfilter­ anlagen

Entwurf Juni 2017

DWA-M 179

Dezentrale Behandlungs­ anlagen

Neufassung

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Regenwassermanagement im Diskus

Kenngrößen und Umfang der Regelungen Das Arbeitsblatt DWA-A 102 enthält Regelungen zu Emissionen und Immissionen Regenwetterabflüsse. Sie bauen auf den Maßgaben des WHG sowie de Arbeitsblatt DWAA 100 auf, das sich zum Ziel setzt, „die Veränderungen des natürlichen Wasserhaushaltes durch Siedlungsaktivitäten in mengenmäßiger und stofflicher Hinsicht so gering zu halten, wie es technisch, ökologisch und wirtschaftlich vertretbar ist“. Mit Hilfe der in Tabelle 2 aufgeführten Kenngrößen werden die Emissionen und Immissionen Regenwetterabflüsse charakterisiert. Die Regelungen zu Immissionen beinhalten –– eine Liste einleitungsfrei zu haltender Gewässer und -abschnitte –– eine Relevanzprüfung zur Identifikation unkritischer Einleitungen –– einen vereinfachten und einen detaillierten rechnerischen Nachweis für den Abfluss und Güteparameter –– einen hydromorphologischen Nachweis im Gewässer –– einen biologischen Nachweis für Kenngrößen der Wirbellosenfauna im Gewässer

insbesondere eine höhere städtebauliche Dichte, flächensparende Erschließungsformen, wasserdurchlässige Flächenbefestigungen, Dachbegrünung, Ver­sickerungsanlagen, Regenwassernutzung, verzögerte Ab­leitung sowie intensive Freiraumbegrünung und auch Bauwerksbegrünung. Mit dieser Regelung wird den Maßgaben des WHG und des BauGB entsprochen, den Eingriff der Bebauung in den Wasser- und Landschaftshaushalt wirksam zu mindern.

Stoffliche Belastung Ein Großteil der relevanten Stoffe ist feinpartikulär gebunden. Daher wurde der feinpartikuläre Anteil der abfiltrierbaren Stoffe (AFS63) als kennzeichnender Parameter ­gewählt. Aus Untersuchungsergebnissen wurden für drei Flächenkategorien flächenspezifische Stoffabträge als ­Rechenwerte abgeleitet (Tabelle 3). Die Teilflächen eines Gebietes werden abhängig von Flächentypen und -nutzungen einer Flächenkategorie zugeordnet. Bezugsgröße für Frachtbilanzen ist die angeschlossene befestigte Fläche AE,b,a. Es gilt: Fracht einer Teilfläche BR,a,i = AE,b,a,i · bR,a,i (kg/a)

Die Immissionsnachweise werden gestaffelt nur für die kritischen Belastungsfälle durchgeführt. Die rechnerischen Nachweise erfolgen am Ende eines von niederschlagsbedingten Siedlungsabflüssen betroffenen Nachweisraumes. Die Gewässermorphologie und die Gewässerfauna werden in den von Einleitungen betroffenen Gewässerabschnitten betrachtet.

flächenspezifische Gesamtfracht bR,a,ges = BR,a,ges / ΣAE,b,a,i = BR,a,ges / AE,b,a (kg/(ha·a))

Regelungen zur Begrenzung von Emissionen Wasserhaushalt

Tabelle 3.  Flächenspezifische Stoffabträge bR,a für AFS63 (Rechenwerte)

Gesamtfracht des Gebietes BR,a,ges = ΣBR,a,i (kg/a)

Flächenkategorie

Der Wasserhaushalt entwässerungstechnisch neu erschlossener Siedlungs- und Verkehrsflächen (Neubaugebiete, Konversionsflächen, Sanierungsgebiete) soll dem Wasserhaushalt der zugehörigen Landschaft ohne Siedlungs­ anteile im langjährigen Mittel möglichst nahekommen. Betrachtet werden folgende Kenngrößen: Direkt­abfluss, Grundwasserneubildung und Verdunstung. Als Referenz für den unbebauten Zustand dienen örtliche Wasserhaushaltsdaten, Wasserhaushaltsmodelle oder der Hydrologischen Atlas von Deutschland (HAD). Auf Grundlage eines einfachen Wasserbilanzverfahrens können sich die Verantwortlichen bereits in frühen Planungsphasen für die fachlich fundierten Maßnahmen entscheiden, mit denen sie das angestrebte Ziel erreichen wollen. Als geeignet gelten

bR,a

kg/(ha∙a)

I

II

III

280

530

760

Für Mischsysteme wird auch der Stoffparameter CSB betrachtet. Je nach Situation sind weitere Parameter einzubeziehen. Dies gilt auch für Regenabflüsse, bei denen mit einer besonderen Stoffbelastung aus Baumaterialien oder speziellen Flächennutzungen zu rechnen ist.

Behandlungserfordernis Es ist grundsätzlich zulässig, gering belastete Abflüsse der Flächenkategorie I in Oberflächengewässer einzuleiten (Rechenwert bR,e,zul = 280 kg/(ha∙a)). Einzugsgebiete mit

Immission

Emission

Tabelle 2.  Kenngrößen für Emissionen und Immissionen in der Arbeitsblatt- und Merkblattreihe 102

Wassermenge

Wassergüte

langjährige Jahressummen der Wasserbilanzgrößen Direktabfluss, Grundwasserneubildung und Verdunstung im Einzugsgebiet

Jahresfrachten der Feinfraktion abfiltrierbarer Stoffe (AFS63)1 an der Einleitungsstelle

Gewässerabfluss bei niederschlags-bedingten Siedlungsabflüssen

Konzentration von Sauerstoff und AmmoniakStickstoff bei nieder-schlagsbedingten Siedlungsabflüssen Jahresfracht der Feinfraktion abfiltrierbarer Stoffe (AFS63)

1  AFS63

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Gewässerökologie

Gewässermorphologie Wirbellosenfauna

bezeichnet den Feinanteil der als Abfiltrierbare Stoffe (AFS) gemessenen Feststoffe mit Partikelgröße < 63 µm

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Anteilen der Flächenkategorien II und III erfordern prinzipiell eine geeignete Behandlung. Die erforderliche Wirkung der Behandlungsmaßnahme ergibt sich zu ηerf = 1 – bR,e,zul / bR,a,ges (–). Die Art und Anordnung der Behandlungsanlagen kann im Rahmen des Regelwerkes frei gewählt werden. In einer abschließenden Bilanzrechnung wird für die jeweilige Einleitungsstelle nachgewiesen, dass die Emissionsfracht maximal 280 kg/(ha·a) beträgt.

Behandlung von Regenwasserabflüssen im Trennsystem Die Behandlung von Regenwasserabflüssen kann dezentral für Teilflächen der Kategorie II und III oder zentral vor der Einleitung in das Gewässer erfolgen. Dezentrale Anlagen mit Bodenpassage haben einen hohen Wirkungsgrad, wenn die Bodenpassage einer Muldenversickerung (nach DWA-A 138) oder einem Retentionsbodenfilter (nach DWA-A 178) entspricht. Wenn gewerblich oder industriell gefertigte Anlagen eine bauaufsichtliche Zulassung des DIBt haben, kann für sie AFS63 ein Wirkungsgrad von 80 % angesetzt werden. Zentrale Anlagen sind Regenklärbecken (DWA-A166), Retentionsbodenfilter (DWA-A 178) oder im Einzelfall auch technische Filteranlagen, die derzeit in Entwicklung sind. Regenklärbecken sollen künftig als Durchlaufbecken ohne Dauerstau mit vorgeschaltetem Trennbauwerk für rkrit = 15 l/(s·ha) ausgeführt werden. Der Sedimentationswirkungsgrad hängt von den Partikelformen und -dichten sowie der Oberflächenbeschickung ab. Nach jeder Beschickung wird der Beckeninhalt im Regelfall zur Kläranlage geleitet und dort behandelt. Dies wird mit dem Speicherwirkungsgrad beschrieben. Der Gesamtwirkungsgrad resultiert aus dem Speicherund dem Sedimentationswirkungsgrad. Gesamtwirkungsgrade von 40 % bis 50 % lassen sich für Oberflächenbeschickungen im Bereich von 6 m/h bis 4 m/h nachweisen. Dies erfordert künftig größere Becken. Mit Lamellenklärern kann die Oberflächenbeschickung verringert und damit die Sedimentationswirkung erhöht werden. Lamellenklärer eignen sich auch zur Ertüchtigung bestehender Anlagen. Retentionsbodenfilter im Trennsystem werden ohne vorgeschaltete Sedimentationsanlage, jedoch mit Geröllfang errichtet. Der Filterwirkungsgrad kann mit 95 % und der Sedimentationswirkungsgrad mit 50 % in Bezug auf AFS63 angesetzt werden. Die Anlagen haben einen hohen Flächenbedarf von ca. 70 bis 120 m2/ha AE,b,a.

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Behandlung von Mischwasserabflüssen Die Aufgaben der Mischwasserbehandlung können für den genehmigten Bestand aus Emissionssicht als weitestgehend umgesetzt gelten. Neue Mischsysteme sind aufgrund WHG § 55(2) nicht zu erwarten. Künftig werden Maßnahmen zur Ertüchtigung bei Funktionsmängeln, bei geänderten Belastungen und zur Systemoptimierung im Vordergrund stehen. Diese Aufgaben sollten vornehmlich im Nachweisverfahren mit Schmutzfrachtmodellen gelöst werden, zu denen Hinweise gegeben werden. Die Realitätsnähe von Schmutzfrachtmodellen erhöht sich beträchtlich, wenn sie zumindest für die Wassermenge anhand von Messdaten kalibriert werden. Es ist sehr wichtig, die abflusswirksamen Flächen und die Bauwerksdaten genau zu erfassen. Um Anlagen zur Mischwasserbehandlung zu bemessen, soll das Verfahren nach ATVA 128 weitgehend beibehalten werden, ergänzt um eine AFS63-bezogene Bewertung der Verschmutzung der Regenwasserzuflüsse zur Mischkanalisation. Es ist nicht sinnvoll, einen korrekt bemessenen Anlagenbestand auf Grundlage eines gänzlich neuen Bemessungsverfahrens zu ändern. Weitergehende Anforderungen für die Mischwasserbehandlung können aus Immissionsbetrachtungen abgeleitet werden. Die Behandlungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen wurden entsprechend dem aktuellen Kenntnisstand erweitert. Im Nachweisverfahren kann folgendes explizit berücksichtigt werden: – Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung und der dezentralen Behandlung können abfluss- und frachtmindernd angerechnet werden. – Regenbecken nach DWA-A166 wird eine Klärwirkung zugebilligt, wenn sie baukonstruktiv und betrieblich zur Sedimentation von AFS63 geeignet sind. – Retentionsbodenfilter können als Maßnahme der Mischwasserbehandlung voll angerechnet werden. – Die Speicherauslastung in Regenbecken und im Kanalnetz kann durch eine Anpassung der Drosselabflüsse oder eine Kanalnetzsteuerung optimiert werden. – Die Aktivierung freier Kapazitäten auf Kläranlagen zur Mischwasserbehandlung können über erhöhte Mischwasserzuflüsse berücksichtigt werden.

Zusammenfassung Mit der Arbeits- und Merkblattreihe 102 wird ein konsistentes Regelwerk für niederschlagsbedingte Siedlungsabflüsse zur

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Regenwassermanagement im Diskus

(Fotos: pixabay)

Umsetzung von Emissions- und Immissionszielen im Gewässerschutz vorliegen. Es wird von den Fachverbänden DWA und BWK gemeinsam herausgegeben und fachlich verantwortet. Die Regelungen zur Emissionsminderung umfassen den Wasser- und Stoffhaushalt. Der Wasserhaushalt entwässerungstechnisch neu zu erschließender Gebiete soll dem der zugehörigen Landschaft ohne Siedlungsanteile möglichst nahekommen. Die sachgerechte Auswahl von Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung wird durch ein einfaches Wasserbilanzmodell unterstützt. Der Stoffhaushalt wird anhand der Feinfraktion der Abfiltrierbaren Stoffe (AFS63) betrachtet, die auch einen erheblichen Teil gewässerrelevanter Stoffe partikulär gebunden hält. Die von der Art und der Nutzung abhängige stoffliche Belastung von Flächen wird in drei Kategorien eingeord-

net. Für Trennsysteme wird ein einfaches Bilanzverfahren eingeführt, mit dessen Hilfe die passenden Behandlungsmaßnahmen ausgewählt werden können. In Mischsystemen werden künftig die Ertüchtigung und Optimierung bestehender Systeme im Vordergrund stehen. Dazu eignet sich das Nachweisverfahren mit Schmutzfrachtmodellen besonders. Als Behandlungsmaßnahmen sind künftig Regenbecken ohne Dauerstau, Retentionsbodenfilter und dezentrale Behandlungsanlagen möglich. Die Immissionsbetrachtung wird in ihren Grundzügen dargestellt. Prof. Dr.-Ing. Mathias Uhl Prof. Dr.-Ing. Theo G. Schmitt www.fh-muenster.de www.uni-kl.de

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Regenwassermanagement im Diskus

Technische Normen oder „sachverständiges Bauen“? Planungssicheres Bauen – Ja, aber wie?

Vielfalt technischer Regelwerke unterschiedlicher Herausgeber am Beispiel des Themas Regenwasserbewirtschaftung, Stand Juli 2018

Bild 1.  Das bloße Einhalten einer technischen Norm liefert dem Planer daher nicht die Gewissheit, dass seine Planung hinsichtlich der technischen Standards unangreifbar ist. (Foto: Mall)

Viele Fachplaner stellen sich die Frage, ob sie bei Berücksichtigung der ihnen bekannten technischen Normen (z. B. DIN-Normen des Deutschen Instituts für Normung e. V., die VDI-Richtlinien vom Verein Deutscher Ingenieure oder die Flachdachrichtlinien) alles richtig machen oder ob sie befürchten müssen, dass ihnen aus Sicht eines Sachverständigen ein Planungsfehler vorgeworfen werden könnte. Mit anderen Worten: Ist eine „normative“ Planung gefordert oder wird ein Planer zu „sachverständigem Bauen“ gezwungen? Ein praktisches Beispiel dafür, wie eine bewährte und vielleicht auf den ersten Blick unkonventionelle Planung von den technischen Regelwerken abweichen kann, wird in dem Beispielsfall erläutert (siehe Kasten „Beispielsfall“). Tritt allerdings ein Fehler beim Betrieb der Anlage auf, ruft der Bauherr fast zwangsläufig nach einer Haftung des planenden Architekten oder Ingenieurs. Deshalb ist es für den Planer wichtig, wie die Qualität seiner Planung juristisch bewertet wird. Ein Jurist stell dann die Frage, ob die Planung des Architekten oder Ingenieurs mangelhaft ist. Dies richtet sich zunächst nach den gesetzlichen Vorgaben in § 633 Abs. 2 BGB. Danach liegt ein Mangel der Planung vor, wenn diese bzw. die daraus umgesetzte Werkleistung eine vertraglich vereinbarte Beschaffenheit nicht aufweist. Haben die Parteien zu dem aufgetretenen Fehler oder seiner Ursache keine konkreten Vereinbarungen getroffen, ist das Werk und damit die diesem zugrundeliegende Planung mangelhaft, wenn sie nicht für die vertraglich vorgesehene Verwendung oder für die gewöhnliche Verwendung, die bei gleichartigen Werken üblich ist und vom Auftraggeber erwartet werden kann (§ 633 Abs. 2 Satz 2 BGB). Der Architekt bzw. Planer muss deshalb ein funktionsfähiges Objekt im Rahmen der vorausgesetzten oder vereinbarten Funktion und der Zweckbestimmung planen (BGH VII

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• Für die Grundstückentwässerung ist DIN 1986-100 die Aus­ gangsnorm. Die aktuelle Ausgabe ist von Dezember 2016. • Für das Ableiten in Oberflächengewässer liegt der Gelb­ druck des Arbeitsblattes DWA-A 102 vor (inhaltsgleich mit BWK-A 3). Bis zum Ende der Entwurfsphase gelten noch DWA-M 153 und BWK-M 3. • Für Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser ist DWA-A 138, Stand April 2005, die zentrale technische Regel. • Für die versickerungsfähigen Verkehrsflächen ist FGSV M VV R2, Ausgabe 2013, maßgeblich. • Für Regenwassernutzungsanlagen gilt DIN EN 16941 -1 von Juni 2018. • Für die Kennzeichnung nichterdverlegter Rohrleitungen nach dem Durchflussstoff gibt DIN 2403 Hinweise. Aktueller Stand ist Juni 2014. DIN-Normen werden auf Antrag einzelner Personen erstellt, wenn der Nachweis erbracht wird, dass ein Bedarf besteht und interessierte Kreise Vertreter in einen Ausschuss entsen­ den, der nach den Regularien des DIN geführt wird. Ist eine Technik bereits durch einen anderen Herausgeber/Verband mit hinreichender Sachkunde geregelt, wird kein Ausschuss zu diesem Thema gegründet. In der Regel informieren und respek­ tieren sich regelgebende Institutionen gegenseitig. Artver­ wandte Regeln dürfen sich nicht widersprechen – dies ist ein Grundsatz in der Normungsarbeit. Wichtig für Planer ist die Kenntnis der jeweils aktuellen Norm. Die Arbeitsausschüsse bei DIN prüfen Normen turnusmäßig alle fünf Jahre auf Aktualität. Andere Regelgeber tun dies über­ wiegend nach Bedarf und Anlass.

ZR 87/11). Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik dabei als Mindeststandard vereinbart (BGH VII ZR 134/12; BGH VII ZR 55/13).

Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind zu beachten Hat der Planer mit seinem Bauherrn keine konkreten Vereinbarungen zu den einzuhaltenden Regelwerken vereinbart, muss er sich also an den so genannten allgemein anerkannten Regeln der Technik orientieren. Dabei handelt es sich um diejenigen technischen Regeln, die sich in der Wissenschaft als (theoretisch) richtig durchgesetzt ­haben und darüber hinaus in der Baupraxis erprobt sind und sich dort überwiegend bewährt haben (Seibel, Baumängel und anerkannte Regeln der Technik, Rn. 24 m. w. Nachw.). Nach dieser Definition könnte die Vermutung nahe liegen, der planende Architekt oder Ingenieur könne sich damit begnügen, die DIN-Vorschriften oder vergleichbare

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Regenwassermanagement im Diskus

WHG § 57 Das Wasserhaushaltsgesetz fordert den Stand der Technik. Machen Planer sich strafbar, wenn sie die Regel der Technik befolgen, diese aber hinter dem Stand der Technik zurück ge­ blieben ist? WHG (2009), gültig seit 10. 3. 2010: § 57 Einleiten von Abwasser in Gewässer (1) Eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Direkteinleitung) darf nur erteilt werden, wenn 1. die Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering ge­ halten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist. § 3 Begriffsbestimmungen Für dieses Gesetz gelten folgende Begriffsbestimmungen: 11. Stand der Technik der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtun­ gen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur ­Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswir­ kungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt; bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbe­ sondere die in der Anlage 1 aufgeführten Kriterien zu berück­ sichtigen; Anlage 1 (zu § 3 Nummer 11) Kriterien zur Bestimmung des Standes der Technik (Fundstelle: BGBl. I 2009, 2614; bzgl. der einzelnen Änderun­ gen vgl. Fußnote). Bei der Bestimmung des Standes der Tech­ nik sind unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit zwi­ schen Aufwand und Nutzen möglicher Maßnahmen sowie des Grundsatzes der Vorsorge und der Vorbeugung, jeweils bezo­ gen auf Anlagen einer bestimmten Art, insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen:    1.  Einsatz abfallarmer Technologie    2.  Einsatz weniger gefährlicher Stoffe    3.  Förderung der Rückgewinnung und Wiederverwertung der bei den einzelnen Verfahren erzeugten und verwendeten Stoffe und gegebenenfalls der Abfälle    4.  vergleichbare Verfahren, Vorrichtungen und Betriebsme­ thoden, die mit Erfolg im Betrieb erprobt wurden    5.  Fortschritte in der Technologie und in den wissenschaftli­ chen Erkenntnissen    6.  Art, Auswirkungen und Menge der jeweiligen Emissionen    7.  Zeitpunkte der Inbetriebnahme der neuen oder der beste­ henden Anlagen    8.  die für die Einführung einer besseren verfügbaren Technik erforderliche Zeit    9.  Verbrauch an Rohstoffen und Art der bei den einzelnen Verfahren verwendeten Rohstoffe (einschließlich Wasser) sowie Energieeffizienz 10.  Notwendigkeit, die Gesamtwirkung der Emissionen und die Gefahren für den Menschen und die Umwelt so weit wie möglich zu vermeiden oder zu verringern 11.  Notwendigkeit, Unfällen vorzubeugen und deren Folgen für den Menschen und die Umwelt zu verringern 12.  Informationen, die von internationalen Organisationen ver­ öffentlicht werden 13. Informationen, die in BVT-Merkblättern enthalten sind.

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Bild 2.  Der Architekt oder Ingenieur sollte mit dem Bauherrn vereinbaren, nach welchen Regelwerken geplant werden soll oder welche gegebenenfalls davon abweichende Ausführungsweise beabsichtigt ist. (Foto: König)

Regelwerke anzuwenden. Allerdings hat der BGH mehrfach entschieden, dass die DIN-Vorschriften nur privatrechtliche Regelwerke mit Empfehlungscharakter sind. Es spricht zwar eine widerlegliche Vermutung dafür, dass die DIN-Vorschriften den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen, allerdings können die Vorschriften über die anerkannten Regeln der Technik hinausgehen. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Vorschriften Verfahrensweisen vorgeben, die sich noch nicht in der Praxis als tauglich und bewährt durchgesetzt haben. Andererseits können die Vorschriften auch hinter den allgemein anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben, wenn sie veraltet und von der Baupraxis überholt sind (BGH VII ZR 257/03; BGH VII ZR 184/97; BGH VII ZR 45/06). Das bloße Einhalten einer technischen Norm liefert dem Planer daher nicht die Gewissheit, dass seine Planung hinsichtlich der technischen Standards unangreifbar wäre. Ob eine bestimmte technische Norm den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht, ist sowohl von Juristen als auch vom Planer nur schwer zu beurteilen. Im Streitfall stellt ein Gericht die Frage, ob und inwieweit die technische Norm in der Wissenschaft noch als richtig angesehen wird und sich in der Praxis bewährt hat. Letztlich können Zweifelsfälle also nur durch einen Sachverständigen entschieden werden. Insoweit bestimmt – zumindest wenn die Planungsleistung juristisch bewertet werden muss – das sachverständige Bauen den Maßstab, an dem sich eine Planungsleistung zu orientieren hat.

Klare Absprachen sind zu empfehlen Wonach sollte sich ein Planer also orientieren, wenn er nicht mit Sicherheit sagen kann, ob die von ihm beabsichtigte Verfahrensweise vielleicht zu modern ist, um schon als anerkannte Regel der Technik angesehen zu werden? Oder weil sie sich ihm vielleicht als alt bewährt darstellt, möglicherweise aber in vergleichbaren Fällen die Baupraxis bereits neue Wege eingeschlagen hat? In erster Linie muss der Planer die mit seinem Bauherrn getroffenen Vereinbarungen einhalten. Denn diese sind stets zu beachten. Sinnvollerweise sollte der Architekt oder Ingenieur daher darauf hinwirken, dass explizit mit dem Bauherrn vereinbart wird, nach welchen Regelwerken geplant werden soll oder welche gegebenenfalls davon ab-

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Regenwassermanagement im Diskus

Beispielsfall Die vertragliche Vereinbarung zur kostengünstigen Ausführung einer Zisterne zwischen Planer und Auftraggeber – entgegen eines technischen Regelwerks – könnte z. B. das folgende Zitat von Dr.-Ing. Michael Scheffler beinhalten: „Die DIN 1989 ‚Regenwassernutzungsanlagen, Teil 1: Planung, Ausführung, Betrieb und Wartung‘ fordert eine frostfreie Ver­ legung von Leitungen (und Geruchsverschlüssen) außerhalb von Gebäudegrundflächen. Dadurch sollen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeiten von Zisternen durch Frosteinwirkun­ gen vermieden werden. Aus der baulichen Praxis ist bekannt, dass der (nicht immer notwendige) frostfreie Einbau von Zulauf­ leitungen maßgeblich die Tiefenlage aller weiteren Anlagen­ bestandteile bestimmt. Dies führt mitunter zu spürbaren Mehr­ kosten (Erdarbeiten), wodurch sich geplante Amortisierungen von Regenwassernutzungsanlagen durch Wassereinsparungen erheblich verzögern können. Aus der Sachverständigensicht ist die Berücksichtigung pauschaler Verlegetiefen zur Vermeidung von Frosteinwirkungen auf Abwasserleitungen im Zulauf und im Überlauf von Zisternen jedoch nicht vertretbar. Dafür sprechen drei Hauptgründe: • Im Zulaufbereich von Zisternen kommt es im Regelfall nicht zu Frostgefährdungen, weil die Leitungen betriebsmäßig weder vollgefüllt sind, noch ständig durchströmt werden. Ihre Beaufschlagung erfolgt niederschlagsabhängig. Glei­ ches gilt für Überlaufleitungen von Zisternen. Auch diese werden nicht dauerhaft, sondern nur bei Kapazitätsüber­ schreitungen von Zisternen durchströmt. • Die Frostempfindlichkeiten von Böden sind ganz wesentlich von örtlichen bodenmechanischen Verhältnissen abhängig. • Die Diversität verwendbarer Rohrmaterialien wird bei den ­gegenwärtigen normativen Betrachtungen zur Abwehr von Frostgefährdungen nicht angemessen berücksichtigt, obwohl sie unterschiedliche Frostempfindlichkeiten aufweisen“. Auszug aus: Scheffler, M.: Ist die frostfreie Verlegung von Lei­ tungen für Zu- und Überlauf von Zisternen noch zeitgemäß? In: Klaus W. König, Ratgeber Regenwasser. 7. Auflage. Hrsg.: Mall, Donaueschingen 2018

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weichende Ausführungsweise beabsichtigt ist. Sogar die Planung auf Grundlage eines niedrigeren Niveaus als den anerkannten Regeln der Technik kann als Beschaffenheit vereinbart werden (BGH VII ZR 54/07). Allerdings kann sich ein Architekt auf eine solche Vereinbarung nur dann haftungsbefreiend berufen, wenn er seinen Bauherrn über die Abweichung und die damit verbundenen Risiken aufgeklärt hat (BGH VII ZR 54/07; OLG Düsseldorf, 22 U 14/17). Dasselbe gilt, wenn der Planer eine sehr fortschrittliche Technik umsetzen will, für die es noch keine ausreichende praktische Erfahrung gibt. Solche Verfahrensweisen, die über die anerkannten Regeln der Technik hinausgehen, werden als „Stand der Technik“ bezeichnet. Hier trägt der Planer ohne klare vertragliche Vereinbarung das Risiko, wenn sich die Maßnahme in der baulichen Umsetzung später als nicht ausreichend funktionstauglich und sicher erweist. Zur ausreichenden Dokumentation sollten daher im Planervertrag nicht nur die konkret anzuwendenden technischen Regelwerke und Verfahrensweisen nie­ dergelegt werden, sondern selbstverständlich auch der Hinweis darauf, dass und inwieweit hierbei von wissenschaftlich und praktisch bewährten und angewandten Verfahrensweisen abgewichen wird und worin eventuell jetzt schon absehbare Risiken liegen könnten. Das ist auch dann anzuraten, wenn z. B. vom Gesetzgeber die Einhaltung des Stands der Technik gefordert wird (siehe Beispiel zu § 57 WHG – Kasten „WHG § 57“). Selbstverständlich müssen diese Punkte zuvor mit dem Auftraggeber besprochen und verhandelt werden. Aber gerade dies wird dem Planer später bei auftretenden Problemen eher helfen, zu einer sachgerechten Lösung mit seinem Auftraggeber zu kommen, als eine juristische Diskussion über die Vertragsgrundlagen. Erstveröffentlichung in der Zeitschrift „Moderne Gebäudetechnik“, Ausgabe 11/2018

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Regenwassermanagement im Diskus

Regenwasserbewirtschaftung in Langenau Anja Schumann (fbr) im Gespräch mit Gerd Bühler, Leiter des städtischen Bauamtes Langenau war eine der ersten Gemeinden in Baden-Württemberg, die die gesplittete Abwassergebühr eingeführt hat. Der Leiter des Tiefbauamtes Gerd Bühler nahm sich die Zeit mit Frau Anja Schumann, Vorstandsmitglied der Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. ein paar Fragen zur Regenwasserbewirtschaftung der Stadt Langenau zu beantworten. Langenau begrüßt es, wenn die Einwohner Regenwasser nutzen und zwar für Waschmaschine, WC und Garten. Herr Bühler selber ist ein begeisterter Anwender, seine Wäsche wird nur mit Regenwasser gewaschen! Schumann: Wann und was hat die Stadt Langenau dazu veranlasst, ihr Entwässerungskonzept zu ändern? Bühler: (schmunzelnd) Der damalige Bürgermeister Wolfgang Mangold hatte sich schon vor der Einführung der gesplitteten Abwassergebühr eine Abgabe für den Regen einfallen lassen, die die Bildzeitung dann mit der Schlag­ zeile:„Wahnsinn, schwäbischer Bürgermeister will eine Regensteuer einführen“ kommentiert hat. Ende der 80-er/Anfang 90-er Jahre bei der Ausweisung neuer Baugebiete musste eine andere Lösung her. Topographisch bedingt, wäre das vorhandene Mischsystem überlastet gewesen. Nach den Planungen des Ingenieurbüros ISW wurde für alle Neu- und Umbauten im Siedlungsbereich die Trennkanalisation eingeführt. Tragender Gedanke und Ziel war und ist, soviel wie möglich von dem anfallenden Regenwasser vor Ort zu belassen, denn warum soll etwas zusammengeführt werden, um es dann mühsam wieder zu trennen. Wo, aufgrund der vorherrschenden Bodenverhältnisse, eine vollständige Versickerung nicht möglich ist, ist eine begrenzte Abfuhr des Wassers möglich. Die Stadt Langenau griff zu einem probaten Mittel: jeder Bauplatz erhält eine Retentionszisterne mit einem Gesamtvolumen von 11 m3. Davon dienen 7 m3 dabei als Rückhaltevolumen, 4 m3 zur Regenwassernutzung. Gibt der Hauseigentümer an, dass seine Waschmaschine an die Betriebswasserleitung angeschlossen ist, kann das Retentionsvolumen um einen Kubikmeter gesenkt, bzw. das Nutzvolumen um eine Kubikmeter erhöht werden.

Schumann: Wie ist die Stadt Langenau bei der Einführung der neuen Gebühr vorgegangen? Gab es Etappenziele? Wie war die Ausgangssituation und wie ist die Situation heute? Bühler: Im Jahr 2000 hatte die Stadt Langenau die Möglichkeit, sich als Kommune mittlerer Größe an einer Studie des Landes Baden-Württemberg zu beteiligen. Die Studie sollte für Gemeinden dieser Größenordnung eine praxisnahe Handlungsgrundlage zur Erhebung der Entsiegelungs­ potenziale in Kommunen darstellen. Sie wurde finanziell vom Land gefördert und für Langenau bot sich die Chance, mit Hilfe dieser Mittel die Versiegelungsgebühr in der Gemeinde zu etablieren. Dies bedeutete, nicht nur wie schon früh begonnen in Neubaugebieten ein alternatives Konzept zu nutzen, sondern jetzt in den Bestand zu gehen. Ganz wichtig war die Öffentlichkeitsarbeit. Im Gemeindeblatt wurde regelmäßig berichtet, öffentliche Veranstaltungen in der Stadthalle abgehalten und interessierte Bürger wurden persönlich beraten. Die Stadtväter (Bürgermeister, Beigeordneter und Stadtrat standen geschlossen hinter dieser Idee) bemühten sich, das gerechtere System der gesplitteten Abwassergebühr mit der Versiegelungsgebühr im Vergleich zur Abrechnung des Abwassers über das verbrauchte Trinkwasser, der Bevölkerung nahe zu bringen und zwar mit Erfolg. Aber der Weg war lang. Im ersten Schritt mussten alle Daten neu ermittelt werden. Fragebögen wurden an jeden Gebäudebesitzer ausgegeben und ausgewertet. Das ganze Gemeindegebiet wurde überflogen und neu fotografiert. Die Fotos dienten dann zum Vergleich mit den Angaben der Eigentümer. Über eine Informationsbroschüre erfuhren die Gebäudeeigentümer, welche Maßnahmen sie zur Entsiegelung ergreifen konnten, aber auch das Bauamt stand und steht ihnen mit Rat zur Seite. Schumann: Können Sie uns dazu ein Beispiel nennen? Bühler: Ein Fall bleibt mir noch sehr im Gedächtnis. Wir hatten mitten im Gemeindegebiet, angrenzend an unserem Bahnhof, eine riesige asphaltierte Fläche, die von einem

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Sicherheitsfahrtrainingscenter für Übungszwecke regelmäßig genutzt worden ist. Dazu gehörte natürlich auch das Aquaplaningtraining, wobei enorme Mengen an Trinkwasser verbraucht worden sind, andererseits geriet die Kanalisation bei Starkregenereignissen schnell an ihre Grenzen. Im ersten Schritt haben wir die Fläche vom Kanal getrennt. Den sogenannten Erstverwurf leiteten wir in ein Absetz­ becken oder über einen bewachsenen Bodenfilter, den Rest des Wassers haben wir in zwei riesigen Zisternen aufgefangen. Mit dem Wasser wurde dann die Fahrfläche für das Sicherheitstraining bewässert. Jetzt ist das Gebiet in ein Gewerbegebiet umgewandelt. Das Dachflächenwasser wird, wenn nicht von den Unternehmen selber genutzt, in diesen Zisternen gesammelt, das Straßenwasser nach dem Erstverwurf auch. Die Stadt nutzt nun die Zisternen selber und das gesammelte Regenwasser wird regelmäßig für die Spülung der Kanalisation eingesetzt. Aus diesem Beispiel haben wir gelernt. Das Regenwasser von öffentlichen Gebäuden, wie z. B. dem Krankenhaus, wird auch auf die Art gespeichert und das Wasser ebenfalls für die Spülung der Kanalisation eingesetzt. Schumann: Wie haben damals die Hauseigentümer reagiert? Bühler: Am Anfang waren die Eigentümer sehr kritisch, aber durch die gute Aufklärung und vor allem dem Förderprogramm wurde die Änderung doch sehr gut angenommen. Die Chance Gebühren einzusparen und die gerechtere Gebührenverteilung halfen sehr. Schumann: Gab es unterschiedliche Bewertungskriterien zwischen privaten Haushalten und Gewerbebetrieben? Bühler: Nein, früher hatte ein Betrieb mit einer großen Lagerhalle kaum Abwassergebühr, der geringe Trinkwasserverbrauch bedingte ja auch eine niedrige Abwassergebühr, obwohl eine riesige Menge an Regenwasser in den Kanal ging. Das erkannte gleich jeder und fühlte sich gerechter behandelt. Die Betriebe müssen das Wasser ihrer Hofflächen erst reinigen, in Baden-Württemberg üblich mit einem bewachsenen Bodenfilter, erst dann darf es abgeleitet werden (Anmerkung: in einen Vorfluter oder Versickerungssystem oder Retentionszisterne). Das Dachflächenwasser kann ohne Filterung direkt in die Nutzung, was wir immer empfehlen.

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Schumann: Wie sah denn das Ganze in der Praxis aus? Bühler: Die Befliegung und Beratung für jedes Haus war sehr aufwendig, jede Maßnahme ist nach der Umsetzung kontrolliert worden, bevor die Fördergelder ausgezahlt worden sind. Bei den Neubaugebieten wurde nach der Planfeststellung eine öffentliche Ausschreibung vorgenommen, pro Grundstück eine Zisterne, im Bebauungsplan ist festgelegt, nur noch wasserdurchlässige Beläge einzubauen. Für die Stadt gilt dies natürlich auch und wir versuchen mit gutem Beispiel voranzugehen. Wobei wir bei dem Umbau von der Mischkanalisation zur Trennkanalisation auch unsere Grenzen im innerstädtischen Bereich aufgezeigt bekommen haben, aber bei größeren Straßenumbauten realisieren wir dies auch, ansonsten entsiegeln wir, wo wir können. Schumann: Jetzt liegt der Beginn der Umstellung fast 20 Jahre zurück, wie sehen Sie das Entwässerungskonzept aktuell? Bühler: Für mich ist es sehr schlüssig. Ohne das Entsiegelungsprogramm hätte unsere Stadt sich nicht mehr ausbreiten können und wir expandieren. Viele junge Familien wollen zu uns kommen, wir haben eine gute Versorgung mit Schulen und Kindergärten, wobei meine Kollegen, die dafür zuständig sind, bremsen. Sie kommen nicht mehr hinterher. Das nahe Ulm, wohin wir eine gute Anbindung haben, bedingt den starken Zuwachs, viele ziehen die kleinstädtische Struktur vor. Schumann: Wurde die Gemeinde finanziell entlastet? Bühler: Die Kosten sind günstig und was für uns viel wichtiger ist, dass es aus ökologischer Sicht optimal ist. Der Aufwand mit den Pumpen fällt weg, dadurch haben wir auch weniger Kosten, wir benötigen keine große Regenrückhaltebecken, die kleineren richten wir sehr naturnah aus und schaffen damit kleine Biotope, auch die belebten Bodenfilter haben sich zu Biotopen entwickelt, die in unseren Wohnvierteln kleine Naturhighlights sind. Schumann: Was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen? Bühler: Ehrlich? Eigentlich gar nichts, vielleicht noch früher anfangen. Mit Herrn Eisele vom Büro ISW hatten wir einen erfahrenen Partner an unserer Seite, der uns ein gu-

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Regenwassermanagement im Diskus

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DN 1000 KS 478,70

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D 483.85 S 480.26

PE-x 40x3,

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DN 1000 KS 480,01

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S 479.48

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PE-x 40x3,

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1167/10

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S 480.26 S 482.19

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DN 300

S 482.70

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DN 25 PP 0 19.7

DN 40

DN 250

K1502080

D 483.85 S 478.98 S 483.00 S 479.20

D 484.01 S 479.22 S 479.52

1167/2

PP - 34,0

D 484.11 S 479.18

K1500176

S 482.50 S 480.26

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D 484.11 S 480.36

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DN 1000 KS 480,91

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D 484.30 S 480.06

PE-x 40x3,7

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S 484.26

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S 481.52

D 484.48 S 482.88

1167/6

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K1502070 K1501680

DN 1000 KS 481,81

S 481.94

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DN 300

S 484.02

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1167/3

DN 250

S 484.41 S 480.66

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PE-x 40x3,7

S 482.04

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PE-x 40x3,7

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Wavin TS XSC 160x14,6mm

D 485.77 S 482.35

DN 1000 KS 483,45 Endkappe

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K1500169 D 481.07 S 479.75

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Kuftenstraße 19 89129 Langenau Tel. 07345 / 9640 - 0 Fax. 07345 / 9640 - 77 www.Vv-langenau.de info@Vv-langenau.de

Marktplatz 1 und 5 - 89129 Langanu Tel. 07345 - 9622-31 - Fax. 07345 - 9622-35 www.langenau.de - info@langenau.de

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(Fotos: Gerd Bühler/Abb.: Stadt Langenau)

tes Konzept geliefert hat. Die gesplittete Abwassergebühr hat sich sehr gut eingespielt. Die Fixkosten blieben gleich und verteilen sich nun auf die Quadratmeter. Die Gebühr muss derart gestaltet sein, dass sie kostendeckend ist. Schumann: Welche Tipps würden Sie ihren Kollegen geben, die ihr Entwässerungskonzept dezentral ausrichten möchten? Bühler: Gemeinden wie wir, sollten die Bauplätze günstig halten, vor allem für junge Familien! Die Bewohner eher von neuen Konzepten überzeugen – ohne Zwang, ein „Muss“ ist immer schlecht. Dadurch, dass wir bereits die Zisternen mit dem Bauplatz stellen, versuchen wir die Leute von der Regenwassernutzung zu überzeugen. Die meisten machen auch bei der Nutzung für WC und Garten mit, bei der Waschmaschine sind viele noch kritisch. Schwierig ist immer die Planung auf dem Grundstück, hier

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sollte man sich die Zeit nehmen und jedes Grundstück individuell betrachten wo, die Zisterne platziert werden soll. Jedem kann man es nicht recht machen, den Anspruch sollte man auch nicht haben, aber der gute Wille sollte da sein! Bei der Ausschreibung ist es ganz wichtig produktneutral auszuschreiben, der Drosselabfluss muss eingehalten werden. Aber das Wichtigste ist, dass die Menschen mitgenommen werden, vor allem im Bestand bei der Entsiegelung und ein Ansprechpartner für die Hausbesitzer muss da sein. Schumann: Vielen Dank Herr Bühler für das Interview Erstveröffentlichung in fbr-wasserspiegel 2/18 www.langenau.de www.isw-eisele.de

Ernst & Sohn Special 2019 · Regenwasser-Management

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Regenwassermanagement im Diskus

Weil Erfahrung zählt: Drei Jahrzehnte Regenwasserbewirtschaftung in Berlin Interview mit Frau Dipl.-Ing. Brigitte Reichmann, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Land Berlin

Bild 1.  Block 6 in Berlin-Kreuzberg (Foto: Andreas-(FranzXaver)-Süß)

Auf welche Erfahrungen Berlin zurückgreifen kann, welche Rolle Regenwasserbewirtschaftung im Rahmen ökologischer Gesamtkonzepte spielt und warum die Kommunikation von Praxisbeispielen wichtig ist. Ein Gespräch mit Dipl.-Ing Brigitte Reichmann, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Land Berlin Frau Reichmann, in Berlin ist dezentrale Regenwasserbewirtschaftung gerade ein großes Thema. Dabei hat das Land schon länger Erfahrungen damit gesammelt. Was waren für Sie wichtige Meilensteine der Berliner Regenwasserbewirtschaftung? Erste Projekte beschäftigten sich schon in den Achtzigerjahren mit dem Thema Regenwasser. Sie wurden im Rahmen des Forschungsprogramms Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) im Forschungsfeld „Stadtökologie und umweltgerechtes Bauen entwickelt, durch Bundes- und Landesmittel gefördert und wissenschaftlich

Bild 2.  Gewerbehof der WeiberWirtschaft eG-in Berlin-Mitte (Foto: Andreas-(FranzXaver)-Süß)

Ernst & Sohn Special 2019 · Regenwasser-Management

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begleitet. Zu einem ersten Modellbeispiel für ökologische Gesamtkonzepte wurde damals der sogenannte Block 103 in Kreuzberg. Sanierung mit Weitblick, behutsame Stadt­ erneuerung, Bürgerbeteiligung und umfassende Begleitforschung, nicht nur zu Wasserthemen sind hier wichtige Stichworte. Auch die Ökohäuser von Frei Otto im Tiergarten und der Block 6 in Kreuzberg, mit seinem integrierten Wasserkonzept, waren wegweisende Projekte. Schon damals ging es auch um die Nutzung von Regenwasser als Betriebswasser, etwa für die Toilettenspülung oder zur Bewässerung, wo keine Trinkwasserqualität benötigt wird. Erstmals wurden 1995 hygienische Parameter für die Betriebswassernutzung im Haushalt und in öffentlichen Gebäuden abgestimmt– ein echter Meilenstein und meines Wissens damals einzigartig. Das klingt nach wichtigen Pilotprojekten. Welche nächsten Schritte wurden in Berlin unternommen, um die ­dezentrale Bewirtschaftung von Regenwasser weiter zu befördern? Auf Landesebene haben wir 1988 bis 2001 ein Programm für stadtökologische Modellvorhaben aufgelegt. Hier standen unter anderem der Einsatz/die Erprobung neuer Technologien und das Projektmonitoring im Vordergrund, etwa wie Regenwasser zur Gebäudekühlung beitragen kann. Ein Beispiel ist das Monitoring des Instituts für Physik in Adlershof, wo das Thema der Regenwasserbewirtschaftung u. a. in Vernetzung mit den Themen Gebäudebegrünung und Energieeffizienz betrachtet wurde. Auch die Weiter- und Umnutzung von Gebäuden unter ökologischen Aspekten war ein Schwerpunkt. So entstand beispielsweise der Gewerbehof der WeiberWirtschaft eG, der auch in unserem Ökologischen Stadtplan aufge­ listet ist. Bei allen Projekten war und ist uns bis heute der Praxisbezug wichtig, sozusagen Forschung am lebenden Objekt unter realen Bedingungen zu betreiben. Wir setzen

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Regenwassermanagement im Diskus

Zur Person: Brigitte Reichmann

Bild 3.  Institut für Physik in Berlin Adlershof (Foto: Andreas-(FranzXaver)-Süß)

überdies auf gezieltes Monitoring, für eine fortlaufende Optimierung der Projekte und Anlagen. Wichtig war in Berlin auch die Einführung des Niederschlagswasserentgelts im Jahr 2000, was ein Umdenken nach sich zog. Ökologische Gesamtkonzepte als Grundlage für nachhaltiges Bauen stehen in einer wachsenden Stadt wie Berlin zunehmend im Fokus. Welche Rolle spielt dabei die Regenwasserbewirtschaftung? In den letzten Jahren ist dezentrale Regenwasserbewirtschaftung immer mehr zu einem Themenschwerpunkt geworden. Denn Regenwasser beeinflusst insbesondere in Berlin z. B. nicht nur die Gewässerqualität und die Betriebskosten sondern u. a. auch die anderen vier Bausteine des ökologischen Gesamtkonzepts – Energie, Grün, Baustoffe und Abfall. Alle fünf sind vernetzt zu betrachten, stehen zueinander in Wechselwirkung, mitunter auch in Konkurrenz. Regenwasser hat ebenso mit Gebäudebegrünung zu

Die diplomierte Bauingenieurin (TU Dres­ den) verfügt über vier Jahrzehnte „Bauund Wasserwissen“. Sie war zunächst in den Bereichen stadttechnische Versor­ gungssysteme und Stadterneuerung tä­ tig, bevor sie sich verstärkt dem ökologi­ schen Bauen widmete. Seit 1991 ist sie als Technische Referentin in der Senats­ verwaltung für Bau- und Wohnungswe­ sen heute Senatsverwaltung für Stadtent­ wicklung und Wohnen beim Land Berlin beschäftigt. Sie vermittelt ihr Wissen u. a. in Vorträgen und widmet sich dabei gern der Arbeit an Schulen und Hochschulen. Ihr Credo: Regen als Ressource be­ greifen und nicht als etwas, das entsorgt werden muss.

tun wie u. a. als Ressource bei der Betriebswassernutzung. Zugleich muss ich Regenwasser mit Altlasten und Baustoffen zusammendenken, denn beide wirken sich unmittelbar auf die möglichen Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung aus. Es ergeben sich z. B. spezielle Anforderungen an die Wartung und Pflege von Anlagen, etwa bei der Nutzung von Düngern oder Pestiziden. Umso entscheidender ist es, immer wieder auf mögliche Wechselwirkungen hinzuweisen. Nicht zuletzt sollte oberstes Gebot sein, dass Eigentümer oder Nutzer bei Bauprojekten schon in der Planungsphase 0 ihre nichtmonetären Projektziele wie z. B. Umweltbildung, Grundwasserschutz oder Erlebbarkeit und Identifikation definieren. Anschließend sollten sie die passenden Maßnahmen aussuchen, die diese Ziele wirklich bedienen. Erst dann entsteht ein sinnvolles Konzept zur Regenwasserbewirtschaftung.

Vom Olympiastadion über den Potsdamer Platz bis hin zu gan­ zen Wohnquartieren: Erste ausgewählte stadtökologische Pro­ jekte präsentiert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen online und als informativen Reader. Jedes Projekt wird durch einen eigenen Steckbrief anschaulich dargestellt. Weitere Projekte sollen folgen. Ausgewählte Projekte und Forschungsvorhaben werden auch bei der Wanderausstellung „Berlin baut Zukunft – Ökologische Gebäudekonzepte“ präsentiert. Die aktuell 18 Tafeln lassen sich auch hochaufgelöst herunterladen. Das Themenspektrum reicht von der Dach- und Fassadenbegrünung über gebäude­ gebundene Landwirtschaft bis hin zu Ergebnissen aus aktuel­ len Vorhaben im Rahmen der Forschung.

Wie lässt sich dieser Ansatz in Berlin und über die Stadtgrenzen hinaus erfolgreich in die Praxis überführen? Unsere Wanderausstellung zu ökologischen Gebäudekonzepten und der ökologische Stadtplan haben sich als gute Instrumente zum Wissenstransfer erwiesen. Das Wichtigste ist Kommunikation und Wissenstransfer. Anhand bereits realisierter Beispiele können wir Vorgänge besser erklären – und auch gezielter auf Fehlerquellen hinweisen. So lassen sich auch Probleme frühzeitig vermeiden: von der zu kleinen Pumpe oder dem falschen Messsensor bis zur Schädlingsbekämpfung. Umso wichtiger ist neben einer transparenten Kommunikation, dass alle Beteiligten noch stärker Hand in Hand arbeiten. Der zunehmende Fachtourismus zeigt uns, dass Berlin durchaus Vorbildfunktion hat. Ökologisches Bauen und vor allem das Thema Regenwasser sind nicht nur in China und Japan von großem Interesse.

www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/oekologisches_ bauen/index.shtml

Vielen Dank für das Gespräch!

www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/oekologisches_ bauen/de/modellvorhaben/kuras/oekologischer_stadtplan. shtml

Das Interview ist erstmalig auf der Website der Berliner Regenwasseragentur unter www.regenwasseragentur.berlin erschienen.

Gut kommuniziert: Ökologischer Stadtplan und Wanderausstellung

www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/oekologisches_ bauen/de/ausstellung/index.shtml

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www.bwb.de/de/index.php

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Regenwassermanagement im Diskus

Aktuelle Entwicklungen in der Regenwasserbehandlung Neue Herausforderungen für die Planer und Betreiber Verkehrsflächenabflüsse tragen wesentlich zum Stoffeintrag in Gewässer bei. Eine entsprechende Behandlung ist daher für den Gewässerschutz enorm wichtig. Der Beitrag geht auf die Chancen und Herausforderungen ein und erläutert, was bei der Planung berücksichtigt werden muss, z. B. rechtliche Rahmenbedingungen.

teme einer semizen­tralen Niederschlagswasserbehandlung und ebenso semizentrale Lösungen einer dezentralen Behandlung vorzuziehen sind.

Von den 5.281 Mio. m3 Abwasser, die jährlich in NordrheinWestfalen anfallen und in Gewässer eingeleitet werden, stammen 777 Mio. m3/a aus Trennsystemen, 262 Mio. m3/a aus der Regenwasserentlastung der Trennsysteme mit Vorbehandlung und 731 Mio. m2/a von überwiegend außerörtlichen Straßenabflüssen [Quelle Nr. 1]. Bezogen auf die Gewässerbelastung aus kommunalen und industriellen Einleitungen sind in Nordrhein-Westfalen die Frachten aus der Regenwasserentlastung aus Trennsystemen für 27 % der Gesamtphosphorfracht, für 43 % der Gesamtkupferfracht und für 50 % der Gesamtzinkfracht verantwortlich [Quelle Nr. 2]. Für Regenwasserabflüsse von überwiegend außer­ örtlichen Straßen liegen die Anteile an der gesamten Fracht in Nordrhein-Westfalen bei 19 % für Gesamtphosphor, bei 31 % für Gesamtkupfer und 36 % für Gesamtzink. Somit sind diese Quellen in Bezug auf die Gewässereinleitungen in Nordrhein-Westfalen für ca. 46 % der Gesamtphosphorfracht, 74 % der Gesamtkupferfracht und 86 % der Gesamtzinkfracht ursächlich. Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes [Quelle Nr. 3] liefert vergleichbare Aussagen zur Bedeutung der Verkehrsflächenabflüsse an den Gesamtfrachten für Kupfer, Zink und Blei in Deutschland.

Die verschiedenen Niederschlagswasserbehandlungssysteme unterscheiden sich u. a. hinsichtlich des Behandlungsortes. Die klassische Form ist die zentrale Niederschlagswasserbehandlung vor Einleitung in den Vorfluter. Hier werden ganze Entwässerungsgebiete behandelt. Unabhängig vom Verschmutzungsgrad leitet man behandlungsbedürftige und nicht behandlungsbedürftige Niederschlagswasserabflüsse gemeinsam ab und führt sie über das Kanalnetz zu einer zentralen Niederschlagswasserbehandlungsanlage. Dort werden Regenklärbecken mit Dauerstau (RKBmD), Regenklärbecken ohne Dauerstau (RKBoD), Regenfilterbecken oder (Retentions-) Bodenfilter (RBF) für die Abwasserbehandlung eingesetzt. Semi- und dezentrale Niederschlagswasserbehandlung wird immer öfter bei heterogener Belastung der Niederschlagswasserabflüsse angewendet (Bild 1). Behandlungsbedürftige und nicht behandlungsbedürftige Niederschlagswasser vermischen sich bei dezentraler Behandlung nicht. Sie werden direkt, wo sie anfallen, d. h. vor einer Vermischung behandelt (Bild 2). Unter dezentraler Behandlung wird meist die Niederschlagswasserbehandlung eines kleineren Bereichs mit einer befestigten Anschlussfläche von bis ca. 1.000 m2, in Einzelfällen bis 3.000 m2, verstanden. Meist bezieht sich dies auf einen Straßenablauf, der nach heute gültigen Planungsmaßstäben eine angeschlossene Fläche von ca. 400 m2 umfasst. Die planerische Realität sieht aber oft anders aus: Erfahrungen zeigen, dass die Größe dieser Fläche stark variiert und in der Praxis zwischen 50 m2 und 3.000 m2 liegen kann. Trotzdem sollte der Begriff „dezentrale Behandlung“ für einen einzelnen Straßenverlauf gelten. Aus planerischer Sicht ist die Größe der angeschlossenen Fläche und der damit verbundenen Reini-

Rechtliche Rahmenbedingungen Die Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) [Quelle Nr. 4] und das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) [Quelle Nr. 5] regeln grundlegende Rahmenbedingungen der Niederschlagswasserbehandlung. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 01.07.2015 (Az. C-461/13) entschieden, dass die wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele des Art. 4 Abs. 1 EGWRRL (sogenanntes Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot), umgesetzt für oberirdische Gewässer durch § 27 WHG, striktes Recht sind und nicht nur Vorgaben für die Abwägung im Rahmen von Maßnahmen- und Bewirtschaftungsplänen enthalten. Gleiches gilt aufgrund des Beschlusses des BVerwG vom 25.04.2018 (Az. 9 A 16.16) für das Grundwasser. In den jeweiligen Landeswassergesetzen finden sich weitere Grundlagen für die Planung und den Betrieb von Niederschlagswasserbehandlungsanlagen. Darüber hinaus können spezielle Anforderungen in Erlassen festgelegt werden. Außerdem müssen die Anforderungen an die Überflutungssicherheit berücksichtigt werden, die oftmals abhängig von der Kommune sind. Einen Leitfaden hierzu bietet u. a. das DWA-M 119 [Quelle Nr. 6]. In Nordrhein-Westfalen sind weitergehende Anforderungen z. B. im Runderlass des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 26.05.2004, dem sogenannten „Trennerlass“, geregelt. Dieser definiert eine zentrale, semizentrale und dezentrale Behandlung und betont, dass möglichst dezentrale Sys-

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Möglichkeiten der Niederschlagswasserbehandlung

Bild 1.  Dezentrale und semizentrale Niederschlagswasserbehandlung im Trenn­ system.

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Regenwassermanagement im Diskus Tabelle 1.  Übersicht zu verschiedenen Einflussfaktoren auf die stoffliche Belastung von Verkehrsflächenabflüssen.

Erhöhter Feststoff­ eintrag

• Baustellenbereiche • Bodenerosion •  Feinpartikeleintrag nach Auftausalzanwendung •  Hintergrundbelastung (Gewerbe und Industrie mit Staubemissionen) •  Vegetation (Blüten, Laub, Pollen)

Erhöhter Schwermetalleintrag

• Auftausalze • Bremsabrieb • Korrosionsprodukte • Leitplanken •  Reifenabrieb (erhöht bei Bremsen, B ­ eschleunigen, Lenken) • Straßenbeleuchtungen • Verkehrsschilder •  Verkehrsstärke (stark befahrene Straßen/Parkplätze)

„Hot Spots“

• Brücken •  Fehlende Straßenreinigung • Kreisverkehre • Kreuzungen • Parkplatzeinfahrten/-ausfahrten •  Stellen mit besonderer Einfassung des Straßenkörpers (z. B. Lärmschutzwände) • Stop-and-go-Bereiche • Wertstoffhöfe

Bild 2.  Übersicht der verschiedenen Behandlungsmethoden.

gungsleistung eines entsprechenden Systems für die Definition einer ­dezentralen Anlage entscheidend. Semizentrale Niederschlagswasserbehandlung wird dort angewendet, wo mehrere Straßenabläufe leitungsgebunden an ein System an­geschlossen werden können. Die Behandlung findet innerhalb des Kanalnetzes statt, vor Vermischung mit wenig belastetem Niederschlagswasser. Diese Form zeichnet sich durch ein größeres Behandlungsvolumen der Anlagen und dadurch eine potenziell größere anschließbare Fläche (bis über 10.000 m2) aus. Mittlerweile sind zahlreiche semi- und dezentrale Lösungen zur Niederschlagswasserbehandlung von Verkehrsflächenabflüssen verfügbar. Dazu gehören Flächenbeläge, Rinnensysteme, Schachtsysteme sowie Straßenablaufsysteme, die je nach Funktionsweise für die Einleitung des behandelten Verkehrsflächenabflusses in ein Oberflächengewässer bzw. in das Boden-/Grundwassersystem geeignet sind. Zuletzt werden außerdem zusätzliche Anforderungen an die Retention gestellt, wodurch sich langfristig auch das Stadtklima verbessern lässt.

Besondere Anforderungen für Verkehrsflächenabflüsse Unter dem Begriff Verkehrsflächenabflüsse werden niederschlagsbedingte Abflüsse von befestigten Flächen zusammengefasst, die diverse Nutzungen aufweisen (z. B. Gehund Radwege, Brücken, Parkplätze, Anliegerstraßen und Autobahnen). Die stoffliche Belastung ist hier, sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Art der auftretenden Stoffe, sehr unterschiedlich. Eine Auswertung der Zinkkonzen­ trationen in Abflüssen verschiedener Verkehrsflächen an über 100 Stellen ergab, dass sich die Abflusskonzentrationen nicht nur zwischen sondern auch innerhalb der ein­ zelnen Kategorien (Brücken, Autobahnen, Parkplätze und Innerortsstraßen) unterscheiden. Eine pauschale Einteilung nach Kategorien ist daher nicht immer sinnvoll. Vielmehr müssen die Standorte einzeln betrachtet werden. Faktoren, die zu erhöhten Einträgen von Schwermetallen führen können, sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Dabei ist zu beachten, dass an Stellen mit erhöhten Schwermetalleinträgen aus Sicht des Gewässerschutzes meist dezentrale Systeme mit Filtern verwendet werden müssen. Dies liegt daran, dass diese Schwermetalle zu einem Teil als gelöste Verbindungen vorliegen und somit nur über weitergehende Behandlungsmechanismen, die in einen Filter integriert werden, zurückgehalten werden können. Folglich sollten für Einzugsgebiete mit erhöhten Schwermetalleinträgen vornehmlich Systeme mit weitergehenden Behand-

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lungsmechanismen verwendet werden. Bei Flächen, auf denen regelmäßig mit wassergefährdenden Stoffen umgegangen wird, ist eine dezentrale Behandlung im Regelfall nicht ausreichend. Zusätzlich sollte an Stellen mit erhöhtem Feststoffeintrag auf eine geeignete Vorbehandlung, z. B. durch Sedimentation, und ein entsprechend großes Schlammrückhaltevolumen geachtet werden. Die Berücksichtigung dieser Anforderungen ist besonders bei Anlagen mit Filtern wichtig. Die Standzeit der Anlagen und somit der Betriebs- und Wartungsaufwand wird maßgeblich von folgenden Faktoren bestimmt: Die Standzeit kann zum einen durch ein hydraulisches Betriebsversagen, d. h. einer Kolmation des Filters, limitiert sein. Zum anderen kann der stoffliche Rückhalt reduziert werden, wobei der Rückhalt der Schadstoffe aufgrund erhöhter Ablaufkonzentrationen nicht mehr den Anforderungen des Gewässerschutzes entspricht und der Filter rechtzeitig ausgetauscht werden muss. Dabei wird die tatsächliche Standzeit der Anlagen mit Filtern besonders durch ortsspezifische Bedingungen, z. B. erhöhter Eintrag von Feststoffen (Tabelle 1), beeinflusst. Beispiele für Einzugsgebiete mit erhöhten Anforderungen an dezentrale Anlagen sind in Bild 3 für einen Standort mit erhöhter Kolmationsgefahr und in Bild 4 für ein Einzugsgebiet mit erhöhten Schwermetallfrachten und kurzzeitig erhöhten Feststoffeinträgen dargestellt. Dennoch können an solchen Stellen semi- oder dezentrale Systeme zur Niederschlagswasserbehandlung von Verkehrsflächenabflüssen Vorteile in der Stadtentwässerung bieten. Die Vermischung von Abflüssen wird vermieden und die Behandlung erfolgt nur in den notwendigen Bereichen. So kann z. B. durch die gezielte Behandlung des Niederschlagsabflusses einer verschmutzten Teilfläche mit einer dezentralen Anlage das Niederschlagswasser eines gesam-

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Bild 3. Erhöhte Anforderungen an die dezentrale und semizentrale Regenwasserbehandlung durch verzinkte Schutzplanken, sowie Laub- und Polleneintrag.

ten Gebietes im Trennsystem für eine schadlose Einleitung in das Oberflächengewässer vorbereitet werden. Dadurch können sogenannte „Hot Spots“ (Tabelle 1) entsprechend behandelt und Kosten reduziert werden.

Was muss bei der Planung dezentraler Anlagen beachtet werden? Allgemeine Empfehlungen sind schwierig, da dezentrale Systeme nur vor dem Hintergrund ihrer konkreten Einzugsgebiete bewertet werden können. Lage und Größe der

behandlungsbedürftigen Flächen müssen detailliert bestimmt werden. Außerdem sind die technischen Voraussetzungen in der Kommune zu berücksichtigen, denn Reinigung und Wartung der Anlagen sind unterschiedlich durchzuführen. Daher müssen die Folgekosten je nach Anlagentyp berücksichtigt werden. Entscheidend ist oft, ob die Durchführung durch den kommunalen Betrieb möglich ist oder ein externer Dienstleister benötigt wird. Auf Grundlage dieser ortsspezifischen Faktoren kann eine engere Auswahl der Systeme erfolgen. Wichtig ist auch die Höhe der zu behandelnden Regenspende. Bei der Einleitung in Oberflächengewässer beträgt die zu behandelnde Regenspende im Regelfall 15 l/(s*ha), sodass bei stärkeren Regenereignissen ein Abschlag des Abflusses erfolgt. Dieser Bypass kann durch ein vorgeschaltetes Trennbauwerk oder innerhalb des Baukörpers der Anlage erfolgen, wobei die Funktionsweise der Anlage nicht beeinträchtigt werden darf. Dahingegen ist bei Einleitung in das Boden-/Grundwassersystem im Regelfall eine Vollstrombehandlung zu planen. Um auch bei starken Niederschlägen (Bemessungsregen > 200 l/(s*ha)) eine ausreichende Ableitung des Niederschlags von der Verkehrsfläche sicherzustellen, ist im Einzelfall die Anordnung eines Bypasses einer Vollstrombehandlung aus wirtschaftlichen Gründen bei Anlagen mit hohen stofflichen Wirkungsgraden vorzuziehen. Diese Herangehensweise kann durch eine Betrachtung des Gesamtwirkungsgrades begründet werden, der sich aus dem hydraulischen Wirkungsgrad und dem stofflichen Rückhalt des zu behandelnden Niederschlagswassers ergibt. Dabei

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Bild 4.  Erhöhte Anforderungen an die dezentrale und semizentrale Regenwasserbehand­ lung durch Baustellenbereich und hohe Verkehrsstärke mit häufigem Stop-and-go. (Fotos: Sweco GmbH)

ist der hydraulische Wirkungsgrad bei Anlagen mit Bypass/ Notüberlauf entsprechend ihrer Auslegung < 1. Bereits im Vorfeld sollte geklärt werden, welche Einbauteile (z. B. Tauchwand, Prallplatten) werksseitig montiert werden und welche Teile vor Ort eingebaut werden müssen (z. B. Ausgleichsringe, Schachtdeckel). Bei Anlagen mit Filtern muss berücksichtigt werden, dass diese entweder als lose Schüttung eingebracht werden oder sich vorgefertigt in einem Behälter befinden. Um der Kolmation während des Baubetriebs vorzubeugen, sollte der Filter erst nach Ende der Bauarbeiten in die Behandlungsanlage eingesetzt werden (Ausnahme: Es werden Anforderungen an die Behandlung des Abflusses während der Bauphase gestellt.). Somit unterscheidet sich der Einbauzeitpunkt der Anlage (z. B. Schacht- oder Rinnenkörper) von dem des Filtermaterials. Bei einer losen Schüttung kann das Material meist mittels Säcken oder Big Bags separat angeliefert werden. Für die Filtermaterial-Behälter sollte auf der Baustelle genügend Platz zur Verfügung stehen, da diese dort bis zum Einbau zwischengelagert werden müssen. Je nach Gewicht kann für den nachträglichen Einbau der Filter­ material-Behälter ein Kranfahrzeug benötigt werden. Kosten für Betrieb und Wartung der Anlagen spielen ebenfalls eine Rolle. Werden mehrere baugleiche Anlagen betrieben, kann z. B. mittels kostengünstiger Drucksonde mit Datenlogger eine Betriebsüberwachung der Hydraulik an einem repräsentativen Standort durchgeführt werden. So können die Intervalle zur Wartung und Reinigung der Anlage, ggf. auch für den Filteraustausch, ortsspezifisch ermittelt und angepasst werden. Allgemeine Empfehlungen und Wartungshinweise zu einzelnen Anlagen können den Anleitungen der Hersteller entnommen werden.

Was bringt die Zukunft? In Nordrhein-Westfalen hat sich in den über zehn Jahren Genehmigungspraxis des Trennerlasses bereits ein Paradigmenwechsel vollzogen. RKBmD haben an Bedeutung verloren, da Regenklärbecken ohne Dauerstau RKBoD die gestiegenen Anforderungen besser erfüllen. Dezentrale und semizentrale Behandlungsanlagen übertreffen die Wirkungsgrade der zentralen Systeme meist und sind daher

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besonders für die Behandlung von „Hot Spots“ geeignet. Dabei werden die dezentralen Behandlungsanlagen für Verkehrsflächenabflüsse nicht nur zum Rückhalt von Feststoffen verwendet, sondern auch, um gezielt organische Stoffe und Schwermetalle zurückzuhalten. Daneben wird in einigen Einzugsgebieten aus Gründen des Gewässerschutzes auch ein Rückhalt von Nährstoffen wie Phosphor gefordert. Der Rückhalt von Nährstoffen sowie zusätzlich von Spurenstoffen wird zukünftig in einzelnen Fällen zu erhöhten Anforderungen führen, sowohl an die Anlagen als auch an Planer und Betreiber. Neue Anforderungen an die Einleitung von verschmutzten Niederschlagsabflüssen in Oberflächengewässer stellt auch das im Gelbdruck befindliche Arbeitsblatt DWA-A 102. Derzeit wird außerdem das neue Merkblatt DWA-M 179 erarbeitet, das die Regeln der Technik definieren sowie Empfehlungen für Planung und Betrieb von dezentralen Anlagen zur Niederschlagswasserbehandlung beinhalten wird. Weiterhin wird momentan von der BundLänder-Arbeitsgruppe „Anforderungen an Niederschlagswasser“ der Anhang „Niederschlagswasser“ zur Abwasserverordnung ausgearbeitet. Dadurch soll der aktuelle Stand bei der dezentralen Regenwasserbehandlung zusammen­ gefasst sowie in den einzelnen Bundesländern einheitliche Mindeststandards festgelegt werden. Zukünftig werden häufiger verschiedene Behandlungs­ verfahren nebeneinander eingesetzt. In stärker belasteten Bereichen und sogenannten „Hot Spots“ ist vermehrt von einer semizentralen und dezentralen Behandlung auszu­ gehen. Gebiete mit homogener Belastung sind weiterhin klassische Anwendungsgebiete für eine zentrale Niederschlagswasserbehandlung. Wichtig ist, dass die Planungen an den jeweiligen Standort angepasst werden, um einen möglichst effizienten Gewässerschutz zu gewährleisten. Literatur [1] Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-West­ falen: Entwicklung und Stand der Abwasserbeseitigung in Nordrhein-Westfalen. 17. Aufl. 2014. [2] Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-West­ falen: Entwicklung und Stand der Abwasserbeseitigung in Nordrhein-Westfalen. 17. Aufl. 2014. [3] Hillenbrand, T., Toussaint, D., Böhm, E., Fuchs, S., Scherer, U., Rudolphi, A., Hoffmann, M., Kereißig, J., Kotz, C.: Einträge von Kupfer, Zink und Blei in Gewässer und Böden – Analyse der Emissionspfade und möglicher Emissionsminderungsmaßnahmen. Forschungsbericht 202 242 20/02, UBATexte 19/05, Umweltbundesamt, Dessau, S. 1–329. [4] Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. [5] Wasserhaushaltsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585), zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2254) geändert. [6] DWA-M 119: Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starkregen. DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hennef, 2016, ISBN 978-3-88721-392-3.

www.sweco-gmbh.de

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Retention und alternative Systeme – unter der Erde und auf dem Dach

Retentionsrinne mit spezieller Bauform und DIBt-Zulassung Einsatz im größten Binnenhafen Europas

Bild 1.  Viele verschiedene Baugrößen eröffnen Planern große Freiheiten.

Mit der Retentionsrinne Bircomax-i beantwortet die Birco GmbH nach eigenen Angaben drängende Fragen im Tiefbau. Die Betonrinne soll die Größte ihrer Art sein und Großflächen auch bei Starkregenereignissen schnell und effektiv entlasten. Damit reagiert der Hersteller auf die durch den Klimawandel gestiegenen Anforderungen an Bauprojekte. Dank ihrer speziellen Bauform nimmt die Rinne, Kräfte die an den Flanken vertikal einwirken, auf und leitet diese in das Bauteil ab. Mit dieser Technologie hat das Unternehmen eine Rinne entwickelt, die auch im Einsatz bei komplexen Infrastrukturprojekten überzeugen soll.

ckelt, die nach eigenen Angaben, eine Lösung für die Herausforderungen an die Infrastruktur der Stadt von morgen darstellt. Ohne Computermodelle und ausgefeilten statischen Vorhersagen war diese Größe früher undenkbar. Der Detailgrad in Form und Funktion sei neu für ein Pro-

Moderne Lösung in vielen Größen Der Entwässerungsspezialist möchte mit den Retentionsrinnen ein neues Zeitalter einläuten. Die Hyperbelbauform und spezielle Betonmischungen lassen große Flankenhöhen und Nennweiten zu. Die Rinne ist eigens für den TypI-Einbau konstruiert, das heißt, sie benötigt je nach Einsatzfall keine zusätzliche Ummantelung bis zur Belastungsklasse F 900. Ein Einbau mit Ummantelung ist ebenso möglich. Sie ist in den Nennweiten 220, 320, 420 und 520 sowie diversen Bauhöhen erhältlich. Mit Baulängen von 1,5 und 3 m wird der Baufortschritt beschleunigt und die Anzahl der Fugen reduziert. Zudem hält das neue System dank des maximalen Rückhalteraums nahe der Oberfläche und der enormen Stabilität jeglichen Anforderungen stand, egal ob im Städtebau oder im Logistikumfeld. Besonderes Highlight der Rinne ist nach Ansicht des EntwässerungsSpezialisten die außergewöhnliche Maximalgröße. In der Nennweite 520 verfügt sie über eine Bauhöhe von 1,20 m und hat ein Fassungsvermögen von ca. 512 l pro Laufmeter. Die Gusszarge der Retentionsrinne mit 5 mm Materialstärke und KTL-Beschichtung ist tief im Beton der Flanken verankert. Die Form der Zarge schützt den Rinnenkörper aus stahlbewehrtem Beton der hohen Güte C 60/75 optimal. Ein weiteres interessantes Detail ist die Dichtfuge, welche eine fachmännische WHG-Abdichtung an Nut und Feder ermöglicht.

Bild 2.  Die neue Hyperbel-Form der Rinne leitet die auftretenden Kräfte ab und bietet dabei hohe Stabilität.

Hoher Detailgrad Das Unternehmen hat nach eigener Aussage mit modernster Produktionstechnologie eine Retentionsrinne entwi-

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Bild 3.  Da der Hersteller die Bauteile nicht im aufwendigen Gießverfahren herstellt, liefert der Rinnenspezialist große Mengen in kurzer Zeit.

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Retention und alternative Systeme – unter der Erde und auf dem Dach

Bild 4.  Vorzeigeprojekt: Der Hafenbetreiber Port Autonome de Strasbourg setzt Bircomax-i auf Erweiterungsflächen ein.

dukt aus vibrationsverdichtetem Beton. Nicht nur die Baugröße habe den gewohnten Rahmen gesprengt, auch die Maschinenkonstruktion sei ein Beispiel dafür, dass es ein großes Know-how gibt, das sich das Unternehmen mit entsprechenden Mitarbeitern ins Haus geholt hat. Die Geschwindigkeit, mit welcher der Hersteller diese Rinnen inzwischen produzieren kann resultiert aus Erfahrung, Engagement und umfangreichen Datenanalysen. Kunden sollen aufgrund dieser Entwicklungen ein oberflächennahes Produkt mit riesigem Retentionsraum zu einem attraktiven Preis-Leistungsverhältnis erhalten und zwar kurzfristig und in großen Mengen.

sichtliche Zulassung Z-74.4-160 erteilt. Die Behörde prüfte, ob die Rinnen entsprechend der angegebenen Leistungswerte die Anforderungen in den Bereichen Belastung, Dichtigkeit und Funktionsumfang erfüllen. Die Zulassung bestätigt, dass sich das Kastenrinnensystem für die Verwendung in Anlagen zum Lagern, Abfüllen und Umschlagen (LAU) in den Bereichen Logistik und Industrie eignet. Die bauaufsichtliche Zulassung ermöglicht einen Einbau ohne gesonderte Prüfungen. Dies beschleunigt das Prozedere bei Behörden und Auftraggebern.

Retentionsrinnen mit bauaufsichtlicher Zulassung (DIBt)

Das Unternehmen Port Strasbourg ist einer der größten Binnenhäfen Europas und vergrößert seine Logistikflächen strategisch mit der Hafenanlage in Lauterburg. Die Verantwortlichen des Projekts haben sich bei der Entwäs-

Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat für Retentionsrinnen mit Hyperbel-Bauform die allgemeine bauauf-

Vorzeigeprojekt Hafen Lauterburg

Bild 5.  Das Rinnensystem ist dank des maximalen Rückhalteraums nahe der Oberfläche sowie der großen Stabilität sowohl für den Städtebau als auch für den Logistikbereich geeignet.

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Retention und alternative Systeme – unter der Erde und auf dem Dach

Bild 6.  Für Planer hat die DIBt-Zulassung den Vorteil, dass nach dem Einbau in LAU-Anlagen keine gesonderten Prüfungen mehr notwendig sind. Dies vereinfacht die Nachweisführung.

duziert und in den folgenden neun Tagen geliefert und eingebaut. Eine intelligente Just-in-Time-Lieferkette und die spezielle Produktionstechnologie macht es uns möglich, diese großen Bauteile innerhalb kurzer Zeit bereit­ zustellen.“ Das Rinnenkonzept war für dieses Projekt prädestiniert, da beim Hafen Lauterburg große versiegelte Flächen auf hohe Beanspruchung durch den LKW-Verkehr treffen.

Preisgekrönte Innovation

Bild 7.  Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat für die Retentions­rinnen mit Hyperbel-Bauform die all­gemeine bauaufsichtliche Zulassung Z-74.4-160 erteilt. (Quelle: BIRCO)

serung des Areals für die Bircomax-i entschieden. Christian Merkel, Geschäftsführer und Mitgesellschafter des Herstellers, betont: „Wir haben an einem Arbeitstag die ersten 200 m der Rinnen für den Binnenhafen eigens pro-

Die neue Rinne für den Schwerlastbereich hat auch die Experten aus der Tiefbaubranche überzeugt. Für die Retentionsrinnen erhielt der Entwässerungsspezialist im Jahr 2018 den Tiefbaupreis in der Kategorie „Produktinnovation“ eines bekannten Magazins der Baubranche. Basis für die Bewertung war eine Umfrage bei den Kunden und Kontakten. Besonderes Lob gab es, nach Angaben des Unternehmens, für den Einsatz des innovativen Produktionsverfahrens zur Herstellung der Rinne, mit dem große Mengen in kurzer Zeit produziert werden können.

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Retention und alternative Systeme – unter der Erde und auf dem Dach

Zwickau setzt auf Regenwasser-Management mit integriertem Schmutzstoff­ rückhaltesystem Grobstoffrückhalt in neuer Dimension Im Zwickauer Stadtteil Oberhohndorf wird das Kanalnetz erweitert, sodass der Stadtteil zukünftig direkt an eine zentrale Kläranlage angeschlossen ist. Im Rahmen dieser Erweiterung wird neben einem Abwasserkanal auch ein Stauraumkanal DN 3000 mit je einem Entlastungs- und Drosselschacht errichtet, der dem Rückhalt und der Vorbehandlung der anfallenden Mischwassermengen bei Starkregenereignissen dient. Im Auftrag der Wasserwerke Zwickau GmbH baut die Bauunternehmung VSTR AG Rodewisch unter anderem Flowtite GFK-Rohre von Amiblu mit integriertem Schmutzstoffrückhaltesystem Amiscreen, einen GFK-Drosselschacht DN 2500 und einen GFK-Entlastungsschacht DN 3200 ein. Dem Stauraumkanal nachgeschaltet ist der Drosselschacht, der das Abwasser dosiert an ein ebenfalls zu errichtendes Abwasserpumpwerk abgibt. Von dort aus wird das Abwasser im weiteren Verlauf an eine bereits bestehende Abwasserdruckleitung zur Ableitung an die zentrale Kläranlage übergeben.

Örtliche Randbedingungen mit hohen Anforderungen Bisher entwässerten die Bewohner des Stadtteils Oberhohndorf über Kleinkläranlagen. Das vorgeklärte Abwasser wurde dann der Zwickauer Mulde als Vorfluter direkt zugeführt. Dies ist zukünftig nur noch bei der Verwendung von vollbiologischen Kleinkläranlagen gestattet, sodass die Wasserwerke Zwickau sich für die Erweiterung ihres Kanalnetzes in diesem Stadtteil entschieden haben. Dabei gilt es, ein relativ großes Gebiet teils in Hanglage zu entwässern. Zu den anfallenden Schmutzwassermengen kommt gerade bei Starkregenereignissen auch noch zusätzliches Oberflächenwasser hinzu. Daher entschied man sich für den Bau eines 30 m langen Stauraumkanals mit einem Rückhaltevermögen von rund 210 m3 (210.000 Litern) in Kombination mit einem Drossel- und Entlastungsschacht für die zukünftige Entwässerung. Aufgrund der örtlichen Randbedingungen, wie einer geringen Überdeckung von nur knapp einem halben Meter, und den Anforderungen an das Fassungsvermögen des Stauraumkanals war schnell klar, dass Betonrohre aufgrund ihrer relativ dicken Wandstärke für diesen Anwendungsfall nicht in Frage kamen. Zusätzlich sollte der Stauraumkanal wartungsarm sein und über eine glatte Innenfläche verfügen. Alles Eigenschaften, die nach Aussagen des Herstellers auf GFKRohre von Amiblu zutreffen.

Bild 1.  Einbau des GFK-Entlastungsschachtes DN 3200.

genfurt, der bei uns auf offene Ohren gestoßen ist.“ Uwe Napierski, Vertriebsleiter Sonderanwendungen des Klagenfurter Herstellers, erläutert die Funktionsweise des Systems: „Beim unserem Stauraumkanal mit integrierter Grobstoffrückhaltung bestehen die Rechenelemente aus perforierten Rohren, die in dem Stauraumkanal fest montiert sind. So werden die im Mischwasser enthaltenen Schmutzstoffe zuverlässig im Stauraum zurückgehalten, Grobstoffe größer als 8 mm zu 100 %. Klassische Rechen haben dagegen nur eine Rückhaltequote von knapp 70 %.“

Pilotprojekt für Zwickau

In punkto Wirtschaftlichkeit top

„Bei der Baumaßnahme handelt es sich um ein Pilotprojekt. Bislang haben wir so etwas in der Form hier in Zwickau noch nicht umgesetzt“, so Projektleiterin Margit Reiche von der Wasserwerke Zwickau GmbH. Weiter führt sie aus: „Die Idee mit dem Grobstoffrückhaltungssystem war ein Vorschlag des Spezialisten für GFK-Lösungen aus Kla-

„Bei anderen Systemen werden die Grobstoffe beispielsweise mit Lochsieben an der Entlastungsschwelle zurückgehalten. Diese können durch die hohe Schmutzfrachtkonzentration schnell verstopfen, sich dann durchaus auch mal verbiegen, in ihrer Lage verrutschen oder sich einfach öffnen“, führt Thomas Schulz, Vertriebsmitarbeiter von

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Bild 2. Beim AMISCREEN Stauraumkanal mit integrierter Grobstoffrückhaltung bestehen die Rechenelemente aus perforierten Rohren, die in dem Stauraumkanal fest montiert sind. (Fotos: Amiblu GmbH)

des Unternehmens weiter aus. „Das kann bei unserem System nicht passieren.“ Der Hersteller behauptet, dass sein Stauraumkanal der Gewinner in punkto Wirtschaftlichkeit der Gewinner sei. Über den angeschlossenen GFK-Drosselschacht wird über eine mechanische Drosselung mit einer sogenannten Strahl-Drossel der Abfluss aus dem Stauraumkanal in den Abwasserpumpschacht geregelt, sodass der maximale Abfluss nicht überschritten wird.

Berechnungen vom Hersteller Da der Stauraumkanal in der Nähe der Zwickauer Mulde verlegt wird und die GFK-Rohre verhältnismäßig leicht sind, gab es anfangs Bedenken wegen eines möglichen Auftriebes der Rohre, wenn die Mulde Hochwasser führt. „Aber durch die Verlegung eines mehrlagigen Vlieses zur Auftriebssicherung konnten wir diese Gefahr minimieren“, erklärt Robin Borchardt vom bks Ingenieurbüro GmbH aus WilkauHaßlau, der mit der Planung der Maßnahme beauftragt war. „Wir haben das Vlies quasi hufeisenförmig um die

Rohre herumgelegt und seitlich noch in das Erdreich verlegt. So sind die Rohre mit dem Vlies im Boden verspannt“, so Borchardt weiter. Die notwendigen Berechnungen hierzu wurden von dem Klagenfurter Unternehmen durchgeführt. Der Bau des Stauraumkanals, des Entlastungs- und des Drosselschachtes sind bereits abgeschlossen. Auch der Pumpschacht mit dem Anschluss an die vorhandene Abwasserdruckleitung ist errichtet. „Seit Juli läuft der Probebetrieb des Stauraumkanals und des Pumpwerkes. Dafür wird ein Teil des Abwassers aus der Straße Am Hang eingeleitet“, gibt Reiche den aktuellen Stand der Bauarbeiten wieder. Trotz der großen Dimensionen des Stauraumkanals mit einem Durchmesser von 3 m und einer Länge von 30 m sowie der besonderen Rahmenbedingungen im Baufeld, verliefen die Arbeiten aufgrund der guten Zusammenarbeit der Baupartner zur Zufriedenheit aller Beteiligten weitestgehend reibungslos.

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Neue Herausforderungen im Regenwassermanagement Der Klimawandel und seine Folgen Das Thema Regenwassermanagement muss bei Architekten, Planern und allen am Bau Verantwortlichen aus verschiedenen Gründen wieder stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Zum Einen hat sich die Qualität der Starkregen­ ereignisse im Zuge des Klimawandels verändert, und zum Anderen wächst die Macht des Wassers, dort, wo man die Kontrolle über sie verloren hat, schnell so stark an, dass sie eine enorme Gefahr für Menschen, Gebäude und Sachwerte darstellt. Während wir zunehmend auffallende Wetterphänomene beobachten, und gerade erst beginnen, diese zu erforschen und zu verstehen, müssen wir uns bewusst machen, dass heute gebaute Häuser nicht nur den (neuen) aktuellen Anforderungen zu genügen haben, sondern auch in 100 Jahren noch Funktion und Standfestigkeit garantieren müssen. Das heißt aber auch, dass wir ab sofort zusätzliche Sicherheiten einplanen sollten. Normen und Regeln, die früher ihre Berechtigung hatten, gewährleisten z. T. heute schon nicht mehr ausreichenden Schutz. Sie sind zu überdenken und zu überarbeiten. An dieser Stelle ist naturgemäß nicht zuletzt die Politik gefragt, für die Problematik ein Verständnis zu entwickeln und weitreichende Maß­ nahmen zu entwickeln und zu ergreifen. Dabei sollte der Nachhaltigkeit die Vorfahrt gegenüber der Ökonomie eingeräumt werden, anderenfalls stellen wir (weitere) große Wechsel auf die Zukunft aus.

Bild 2.  Anlage mit Vlies umhüllt (Versickerung) oder mit Kunststoff-Dichtungsbahn (Regenwasserspeicherung) sowie mit Kontrollschächten

Ähnliche Niederschlagsmenge, aber … Es ist richtig, dass die Wissenschaft die Folgen des Klimawandels intensiv und zum Teil kontrovers diskutiert. Und es ist richtig, dass einzelne Aussagen, die für sich gesehen korrekt sind, Verwirrung stiften können, doch aus der Gesamtschau der zu beobachtenden Ereignisse ergeben sich eine große Verantwortung und eine klare Aufgabe. So stimmt es zum Beispiel, dass die Statistiken der letzten dreißig Jahre keinen signifikanten Anstieg der jährlichen Zahl von Starkregenereignissen ausweisen. Und auch die durchschnittliche Niederschlagsmenge hat sich in diesem Zeitraum lediglich sehr leicht erhöht. Hierzu muss man allerdings wissen, dass die Niederschlagsmengen bis vor wenigen Jahren in der Regel mit recht einfachen Mitteln und einmal am Tag gemessen wurden. Der heute verwendete, hoch auflösende und kontinuierlich arbeitende Wetterradar steht dem Deutschen Wetterdienst (DWD) erst seit ca. 17 Jahren zur Verfügung. In der Meteorologie gilt ein Trend jedoch erst als bestätigt, nachdem er sich dreißig Jahre gehalten hat. Außerdem ist zu beobachten, dass ex­ treme Wetterereignisse ihre verheerende Wirkung zunehmend lokal begrenzt entfalten. Gleichzeitig ist die Häufung meteorologischer ‚Rekorde‘ unter Fachleuten unbestritten, ebenso wie die Erwärmung des Klimas. Da wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann als kalte, stehen Niederschlägen größere Mengen an Wasser zur Verfügung, welche insbesondere über aufgeheizten Städten schnell aufsteigen, und dann heftig abregnen.

Kontroverse Ansichten als Ausrede

Bild 1.  Wo der Platz ausreicht und die Bodenbeschaffenheit stimmt, ist auch die traditionelle Versickerung über eine Mulde möglich.

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Um die Diskussion der Fachleute nicht als Ausrede für die eigene Untätigkeit anführen zu können, hat der amerikanische Astronom, Carl Sagan, den schönen Satz eingeführt, „absence of evidence is not the evidence of absence“, also übersetzt etwa, „Die Tatsache, dass ein Beweis fehlt, heißt nicht, dass die Annahme falsch ist“. Deshalb sollten auch die Mahnungen Dr. Paul Beckers, Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes, Gehör finden: „Wir erleben in den letzten Jahren eine Häufung klimatologischer Rekorde, die sich in der Summe nur mit dem Klimawandel

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–– über 5 l/m2 Niederschlag pro 5 Min. –– über 7,1 l/m2 Niederschlag pro 10 Min. –– über 10 l/m2 Niederschlag pro 20 Min. und –– über 17,1 l/m2 Niederschlag pro 60 Min. und in zwei Kategorien eingeteilt: –– erwartete Regenmengen von 15 bis 25 l/m2 in 1 Stunde oder von 20 bis 35 l/m2 in 6 Stunden lösen eine „Markante Wetterwarnung“ aus und –– prognostizierte Regenmengen > 25 l/m2 in 1 Stunde oder > 35 l/m2 in 6 Stunden eine „Unwetterwarnung“.

Bild 3.  Rigolenfüllkörper nehmen ca. 95 % ihres Volumens an Wasser auf und lassen sich zu unterschiedlichsten Geometrien zusammenfügen.

erklären lassen. Mit diesen Rekorden nehmen aber auch Extremereignisse zu, welche direkt oder indirekt uns alle betreffen. Für die Zukunft erwarten wir eine weitere Zunahme solcher Extremereignisse. Dies erfordert von uns allen intensivere Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen.“ Und schließlich sollten es auch jene ganz gut wissen, die Schadensfälle und deren Kosten im eigenen Interesse genauestens analysieren und beziffern: Die Versicherer stellen einen deutlichen Anstieg klimatisch begründeter Schadensfälle fest und sprechen bereits seit langem deutliche Warnungen in Richtung Entwässerungs-Infrastruktur aus.

Unterschied zwischen Stadt und Land Es ist unerlässlich, in größeren Zusammenhängen zu denken und zu handeln. Das Prinzip, „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist ja an alle gedacht“, mag im dünn besiedelten ländlichen Raum noch funktionieren, in verdichteten oder gar urbanen Strukturen ist es zum Scheitern verurteilt. Was nützt es beispielsweise, eine Reihe von Gebäuden technisch perfekt zu entwässern, wenn bei hoher und höchster Beanspruchung das nachgelagerte Kanalnetz zusammenbricht und der so entstehende Rückstau Gebäude und Infrastruktur zerstört? Regenwassermanagement beginnt bei der Auseinandersetzung mit den geografischen, insbesondere den topografischen und geologischen Gegebenheiten, erstreckt sich über die Stadtplanung, mit ihrer Ausweisung von Grünanlagen und anderen Versickerungsflächen, findet im Tiefbau statt und schafft schließlich mit der Haustechnik die Schnittstelle zum einzelnen Gebäude.

Stadt, Land, Fluss „Starkregenereignisse“ werden vom bereits erwähnten Deutschen Wetterdienst wie folgt definiert:

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Die Einheiten zeigen, dass drei wesentliche Faktoren eine Rolle spielen, nämlich die niedergehende Wassermenge, die beregnete Fläche und die Dauer des Niederschlages. Gleiches gilt analog für die Entwässerung und stellt damit eine wesentliche Grundlage für die Berechnungen im Rahmen des Regenwassermanagements dar. Hier könnte man von anfallender Wassermenge, Versickerungsfläche, bzw. Kapazität der Entwässerungsanlage, sowie der zur Verfügung stehenden Zeit für die Entwässerung sprechen. Auf den ersten Faktor können wir naturgemäß keinen Einfluss nehmen, auf die anderen beiden ist das innerhalb gewisser Grenzen möglich. Der zweite Faktor zeigt außerdem sehr deutlich den Unterschied zwischen ländlichen Gebieten und urbanen Strukturen auf. Während große freie Flächen nicht nur die natürliche Versickerung zulassen, sondern in der Regel für eine kurze Dauer sogar eine Überflutung schadlos überstehen, wird es in der Stadt schnell eng: Großflächig versiegelte Flächen überlassen die Wassermassen der Schwerkraft und geben so lediglich die Fließrichtung vor. Die Kapazitätsgrenze der Kanalisation wurde nach früher gültigen Annahmen (s. o.) dimensioniert, was dazu führt, dass die Systeme immer öfter kollabieren. Was bleibt, um Einfluss auf dieses schadens­ trächtige Szenario zu nehmen, ist der dritte Faktor, die Zeit.

Wasser Speichern Unter dem Stichwort Regenwasserretention, also „Zurückhaltung“ lassen sich all jene Maßnahmen zusammenfassen, welche dazu beitragen, den Zeitrahmen der Entwässerung zu erweitern, Stress für die Systeme abzubauen und Schäden zu verhindern.Wo möglich bietet sich die Versickerung des Regenwassers über die große Fläche an. Sie stellt die einfachste, naheliegendste und ‚natürlichste‘ Form der Versickerung dar. Im städtischen Bereich kann sie in Parks, auf versickerungsfähigen Böden, auf Sportwie auf Grünanlagen erfolgen, allerdings sind dabei die DWA-Richtlinien (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.) zu beachten. Da diese Möglichkeiten im Stadtraum lediglich punktuell gegeben sind, bietet sich die Verwendung von Rigolen an, also unterirdisch angelegten Reservoirs, die als (vorübergehende) Speicher fungieren und Niederschlagsspitzen zwischenlagern, um den erwähnten Faktor Zeit zu entschärfen. Moderne Rigolensysteme benötigen für den eigenen statischen Erhalt lediglich ca. 4 % ihres Volumens, können also bis zu 96 % als Speicherraum zur Verfügung stellen. Damit lassen sich Anlagen bauen, deren Retentionsfähigkeit auch in der Lage ist, extreme Niederschlagsereignisse so abzupuffern, dass die ansonsten zu befürchtenden

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nun die Wasserqualität hinzu. Regenwasser, welches auf einer ländlichen Freifläche niedergeht und dort allmählich versickert, bedarf kaum der technischen Behandlung durch den Menschen. Das sieht im städtischen Bereich gegebenenfalls ganz anders aus. Hier transportiert insbesondere schnell fließendes Wasser Abriebe aus dem Straßenverkehr, Öle, Fette, Stäube, Schmier- wie Treibstoffe usw. Das zum Teil schwermetallbelastete Wasser muss natürlich gereinigt werden, bevor es versickern kann. Es drängt sich vielleicht der Gedanke an große, zentrale Kläranlagen auf. Doch dem widerspricht vernünftigerweise die Europäische Wasserrahmenrichtlinie der EU, die ihre Umsetzung im Wasserhaushaltsgesetz des Bundes erfährt. Sie fordert, belastetes Regenwasser möglichst dezentral zu reinigen und versickern zu lassen, nicht zuletzt mit Blick auf den ansonsten lokal abfallenden Grundwasserspiegel.

Sedimentationsanlagen

Bild 4.  Belastetes Niederschlagswasser wird hier durch S­ edimentation (unterer) und Ölabscheidung (oberer Strömungstrenner) gereinigt. (Foto/Abb.: Fränkische)

Schäden ausbleiben. Diese Rückhaltevolumen können das Wasser anschließend langsam versickern lassen, oder es – als geschlossene Systeme – zum Beispiel als Löschwasservorrat einlagern.

Belastetes Wasser Standen bei den bisherigen Überlegungen hauptsächlich die Wassermenge sowie die Zeit im Vordergrund, kommt

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Ein Mittel der Wahl zur Reinigung des Regenwassers stellen rohrförmige Sedimentationsanlagen dar. Diesen wird das anfallende Wasser über einen Startschacht zugeführt, welcher grobe Schmutzpartikel zurückhält und als Schlammfang dient. Das Wasser fließt durch die Rohre, die mit einem leichten Anstiegsgefälle verlegt wurden. Hierbei setzen sich weitere Verunreinigungen ab. Dafür, dass diese durch die Strömungsgeschwindigkeit nicht wieder aufgewirbelt werden, sorgt der sich im unteren Teil befindliche Strömungstrenner, der das Wasser in diesem Bereich der Rohre nachweislich nahezu vollständig beruhigt. Sofern auch leichte Stoffe und Flüssigkeiten abgeschieden werden müssen, kann optional auch ein oberer Strömungstrenner verbaut werden, der in gleicher Weise funktioniert. Die abgeschiedenen Stoffe werden in einem Zielschacht aufgefangen, in welchem eine Tauchwand für zusätzliche Sicherheit sorgt, indem sie lediglich das gereinigte Wasser passieren lässt. Reinigungs- und Retentionsanlagen tragen auf dreierlei Weise und in hohem Maße zum Umweltschutz bei: Sie schützen die Entwässerungs-Infrastruktur bei extremen Belastungen vor Zusammenbrüchen, halten Schmutz- und Schadstoffe zurück und sorgen für die vorgeschriebene und sinnvolle Versickerung vor Ort. Kay Rosansky www.fraenkische.com

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Regenwassermanagement auf dem Dach Nutzung von Dächern als Regenauffangflächen Der Klimawandel ist ein globales Problem und bringt vor allem für unsere Städte zwei wesentliche Effekte mit sich: Die Durchschnittstemperatur steigt und die Intensität der fallenden Niederschläge nimmt deutlich zu. Mit zunehmenden Niederschlagsstärken steigt auch die ­Belastung der Entwässerungssysteme und somit deren Überlaufhäufigkeit. Denn die bestehenden Systeme sind für geringere Regenwasserintensitäten dimensioniert. Um anfallendes Regenwasser ohne Rückstau ableiten und so Schäden vermeiden zu können, müssten sie deutlich größere Kapazitäten aufweisen. Doch das können sie nicht und der Ausbau der Infrastruktur für ein rückstaufreies ­Ableiten dieser Wassermengen ist oft aus Kostengründen und mangels Platzbedarfes nicht umsetzbar. Um Regen­ wassers sicher abzuleiten und zu speichern, müssen Regenwasserrückhalteräume geschaffen werden. Betrachtet man die baulichen Ebenen in urbanen Räumen, stellt man jedoch schnell fest, dass kaum Fläche für die Errichtung solcher Regenwasserrückhalteanlagen vorhanden ist. Besonders im Tiefbau wären entsprechende Maßnahmen nur mit erheblichem Aufwand möglich, denn die unterirdischen Räume in Stadtgebieten sind belegt mit Leitungen und Kanälen oder durch Tiefgaragen unter den Gebäuden. Ober­ irdisch befinden sich in städtischen Arealen fast ausschließlich Gebäude und öffentliche Flächen, wie zum Beispiel Straßen. Da besonders Letztere nur bedingt als Regen­ wasserrückhalteraum dienen können, bleiben schließlich nur die Gebäudeflächen als möglicher Nutzungsraum.

Gründächer als Wasserspeicher Einfach verfügbar sind hierbei vor allem die Dachflächen: Sie stellen einen nennenswerten Flächenanteil im Stadt­ bereich dar und sind zudem oft durch ihre bauliche Beschaffenheit zur Nutzung als Retentionsfläche prädestiniert. Durch den dezentralen Rückhalt von Regenwasser auf dem Gründach mit einem speziellen aktiven Retentions­ speicher, wird die Belastung der städtischen Infrastruktur

Bild 1.  Dachflächen sind einfach verfügbar und stellen einen nennenswerten Flächenanteil im Stadtbereich dar. Durch ihre bauliche Beschaffenheit sind sie zur Nutzung als Wasserspeicher prädestiniert.

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Bild 2.  Bei Retentionsdach-Systemen wird auf dem Dach ein Wasserspeicher (Stauraum) geschaffen, über dem zusätzlich entweder eine Dachbegrünung oder eine Verkehrsfläche eingebaut wird.

Bild 3.  Die Wasserretentionsbox WRB, der aktive Retentionsspeicher von Optigrün, ist stapelbar und kann über 160 l/m2 Niederschlagswasser aufnehmen. Die WRB enthält ein integriertes Kapillarsystem, welches das gespeicherte Wasser in den Begrünungsaufbau zieht und für eine permanente, erhöhte Bodenfeuchte sorgt. Je höher die Bodenfeuchte, umso höher ist auch die Verdunstungsleistung der Pflanzen. (Bildquelle: Optigrün international AG)

und damit die Häufigkeit von Überflutungsereignissen deutlich reduziert. So kann beispielsweise auf 0°-Dächern im Tiefgaragen­bereich ohne größere Aufwendungen ein 100-jähriges Regenereignis (d. h. eine Niederschlagsmenge, die statistisch gesehen nur alle 100 Jahre anfällt) inklusive möglicher umliegender Dachflächen zurückgehalten werden. In die Praxis übertragen bedeutet das, Wasser-Reten­ tionsboxen z. B. die WRB von Optigrün auf den Dachflächen einzusetzen. Die Retentionsboxen speichern das Regenwasser und befördern es über Kapillarsäulen nach oben. Ein kapillarwirksames Vlies, das darüber liegt, verteilt das Wasser auf der gesamten WRB-Oberfläche. So hält es auch die darauf ausgebrachte Substratschicht feucht, die den Pflanzen als Wurzelbereich dient. Auf diesem Weg steht den Pflanzen das ursprünglich in den Wasser-Retentions­ boxen gesammelte Regenwasser wieder zur Verfügung. Bemerkenswert ist, je mehr Regenwasser den Pflanzen zur Verfügung steht, desto aktiver ist ihr Stoffwechsel, was wiederum mehr CO2 bindet und das Pflanzenwachstum üppiger ausfallen lässt.

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Positiver Nebeneffekt Die Art und Weise, wie die Transpiration von Pflanzen mit deren Stoffwechsel verknüpft ist, bringt einen weiteren ­positiven Effekt mit sich: die Kühlung der Städte durch die Verdunstung des gespeicherten Regenwassers. Für den Verdunstungsvorgang wird eine hohe Energiemenge benötigt: circa 2.650 Joule pro Gramm Wasser bei 20 °C. (Das entspricht in etwa der Bewegungsenergie einer Gewehrkugel). Diese Energie wird der Umgebung während des Verduns-

tungsprozesses entzogen, wodurch sie sich abkühlt. Dieser Vorgang ist einzigartig, denn es gibt nach aktuellem Forschungsstand tatsächlich keine andere Möglichkeit der aktiven Energieabfuhr und damit der Temperaturverminderung in unserem Lebensraum. Maßnahmen dieser Art, angewendet auf ganze Baugebiete, würden die Resilienz des gesamten urbanen Bereiches gegenüber Starkregenereignissen deutlich erhöhen. www.optigruen.de

Neue Drossel-Sets für Retentionsdächer Präzise Drosselung, einfaches Handling und passend für alle Gullys Angesichts von Klimaveränderung, Starkregenereignissen und Hochwasser suchen die Verantwortlichen nach Lösungen, die Wassermassen in geeignete Bahnen zu leiten. Hierbei kommt immer wieder die Forderung auf, das Wasser erst einmal dort zu speichern, wo es auftrifft. Später, wenn die Kanalisation nicht mehr so stark belastet ist, kann es in die Kanalisation abfließen ohne diese über die Maße zu belasten. Eine mögliche Speicherfläche ist das Dach. Retentionsdächer sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern Notwendigkeit für die Stadtplanung der Zukunft. Ein Retentionsdach speichert gezielt große Mengen an Regenwasser und lässt dieses zeitverzögert in die Kanalisation abfließen. Das ist in Zeiten zunehmender Starkregenereignisse heute ein probates Mittel, um Hochwassergefahr zu reduzieren. Der ZinCo-Systemaufbau „Retentions-Gründach“ mit den Retentions-Spacern RS 60 und RSX 65 bietet dafür, nach Angaben des Herstellers, die perfekte Technik. Oberhalb des Retentionsvolumens sind alle Gestaltungsvarianten denkbar – von Extensiv- bis Intensivbegrünungen genauso wie Geh- und Fahrbeläge, letzteres insbesondere auf Tiefgaragendecken. Je nach Begrünungsvariante liegt die Wasserspeichermenge bei 80 bis 160 l/m2. Selbst weit größere Mengen sind mit den Spacern anstaubar, sofern dies die Statik des Daches erlaubt. Neben den Retentions-Spacern entscheidet ein weiteres Bauteil im System für die ­perfekte Funktionsweise des „Retentions-Gründachs“: das Drossel-Set. Der Hersteller gibt an, dass sich die Sets durch präzise Drosselung, einfaches Handling und universelle Einsetzbarkeit unabhängig von der verwendeten Gullyvariante auszeichnen. Abhängig vom vorhandenen Ablauf –

Bild 1.  Die präzise einstellbare Retentionsdrossel reguliert zuverlässig Wasseranstau und -abfluss innerhalb des Systemaufbaus.

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Bild 2.  Die Retentionsdrosseln weisen gegeneinander verschiebbare Ringe auf, die sich dank Skala genau auf den vorausberechneten Volumenstrom einstellen lassen.

Anschlusskragen oder Schraubflansch – bietet er jetzt das genau passende Drossel-Set. Hat der Flachdachablauf einen Anschlusskragen, der mit der Abdichtungsebene fachgerecht verschweißt wird, dann eignet sich für diese flache Einbausituation die Retentionsdrossel RD 28 mit einem Durchmesser von 28 cm. Handelt es sich um einen Flachdachablauf mit Schraubflansch, hat dieser Flansch ein gewisse Eigenhöhe. Genau darauf passt die größere Reten­ tionsdrossel RD 48 mit ihren 48 cm Durchmesser.

Drosseln haben den Dreh raus Beide Drosselvarianten arbeiten nach dem gleichen Prinzip, um den vorausberechneten Volumenstrom an angestautem Regenwasser, der durch die Dachgullys in die Fallleitungen gelangen soll, zu drosseln. Dafür sorgen zwei

Bild 3.  Die Retentionsdrosseln von oben betrachtet: Der rote Pfeil weist auf die Arretierungsmöglichkeit hin.

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Bild 4.  Das kleinere Retentionsdrossel-Set des Herstellers eignet sich für alle Flachdachabläufe mit Anschlusskragen.

Bild 5.  Auf den hier vorliegenden Flachdachablauf mit Schraubflansch passt das größer dimensionierte Retentionsdrossel des Herstellers. (Abb./Fotos: ZinCo)

gegeneinander verschiebbare Ringe an der Unterseite der Drossel, die sich mittels Skala genau auf den gewünschten Volumenstrom einstellen und arretieren lassen. Üblicherweise wird hier eine Einstellung vorgenommen, die gewährleistet, dass das Dach nach ca. 24 Stunden wieder leer ist, aber auch davon abweichende Einstellungen sind möglich und sogar spätere Änderungen, da sich die arretierten Ringe wieder lösen und neu einstellen lassen. Zudem fungiert die Retentionsdrossel per se auch als Überlauf. Dieser wird dank Gewinde gezielt auf eine bestimmte Überlaufhöhe eingestellt und gewährleistet, dass Überschusswasser in die Fallleitungen abfließt, sofern es mehr regnet, als auf dem Dach angestaut werden kann. Damit all dies auch dauerhaft einwandfrei funktioniert, liegen Gully und Re-

tentionsdrossel geschützt unterhalb eines Kontrollschachts, dessen Feinschlitzung das Einschwemmen von Fremdstoffen verhindert. Passgenaue Kontrollschächte komplettieren also das Ganze zum Retentionsdrossel-Set RDS 28 und RDS 48. In dessen Lieferumfang ist für die kleinere Baugröße der Kontrollschacht KS 10/40 (SchachtAußenmaße 40 × 40 cm) enthalten und für die größere Retentionsdrossel der Kontrollschacht KS 10/57 (SchachtAußenmaße 57 × 57 cm). Für beide Schachtvarianten sind Aufstockelemente erhältlich.

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Regenwassermanagement und Gewässerschutz mit Systemlösungen Angepasstes Regenwassermanagement vor dem Hintergrund von Starkregenereignissen Während im Norden Europas im vergangenen Jahr eine der größten Sommer-Trockenperioden die Ernten in der Landwirtschaft bedrohten, waren im Süden Menschenleben und Schäden an In­ frastruktur und Gebäuden in Millionenhöhe zu beklagen. Zunehmende Starkregenereignisse, die fortschreitende Urbanisierung und gestiegene Anforderungen an Wasser-Ver- und Entsorgungsleitungen stellen uns vor neue Herausforderungen. So sind beim Wohnungs- und Industriebau, Garten- und Landschaftsbau sowie Straßen- und Wegebau innovative Lösungen gefragt, die ein gesamtheitliches Regenwassermanagement bieten und den schonenden Umgang mit der Ressource Wasser favorisieren. Sowohl bei Hochbauprojekten als auch bei infrastrukturellen Maßnahmen im urbanen Bereich, d. h. Verkehrswege und Verkehrsflächen, muss die Oberflächenentwässerung einen höheren Stellenwert als bisher einnehmen. Bei der Planung eines effektiven Regenwassermanagements ergeben sich zwei zentrale Herausforderungen. Zum einen die zunehmende Urbanisierung: Seit 2008 leben auf der Welt mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Dies hat hauptsächlich wirtschaftliche Gründe, doch auch das veränderte Klima verstärkt diesen Effekt. Zum anderen der Klimawandel: Extreme Wetterverhältnisse, wie Trocken­ perioden und Starkregenereignisse häufen sich. Durch diese ist die Kanalisation oft überlastet und es kommt zu Überflutungen. Die Produktanforderungen an ein effektives Regenwassermanagement sind komplex: Regelwerke, Bauvorschriften und DIN-Normen müssen berücksichtigt werden. Es ist daher besonders wichtig, ganzheitliche Konzepte zu schaffen, in denen alle Interessen und Vorschriften einbezogen werden.

Ansätze für angepasstes Regenwassermanagement urbaner Bereiche In Deutschland ist mehr als die Hälfte der bebauten Flächen versiegelt. So wird verhindert, dass Regenwasser direkt dem natürlichen Wasserkreislauf wieder zugeführt

Bild 1.  Bordstein und Entwässerung in einem System, aus dauerhaft frost- und tausalzbeständigem Polymerbeton in monolithischer Bauweise. Das geringe Gewicht der aus einem Stück gefertigten Elemente, die Integration der Entwässerungsrinne in den Randstein und die einfache Reinigung machen das System kostengünstig von der In­ stallation bis hin zur Nutzung.

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Bild 2.  Kombination aus Entwässerung und Retention – Über die schmalen und robusten Gussaufsätze wird das Oberflächenwasser in die Rinnenkörper geleitet, wo es zwischengespeichert und kontinuierlich abfließen kann.

werden kann. Deshalb müssen versiegelte Flächen reduziert und bei der Schaffung neuer Wohnräume auf eine Entsieglung geachtet werden. Dies kann beispielsweise bei Parkflächen durch den Einsatz einer Kiesstabilisierung oder durch Rasenwaben geschehen. Besonders in innerstädtischen Bereichen eignen sich zur Entsiegelung auch Gründächer. Denn auf Flachdachflächen fallen zwar große Mengen Regenwasser an, gleichzeitig bieten diese aber auch eine große Chance, Wasser zwischenzuspeichern und durch Verdunstung abzugeben. Ein weiterer Ansatz liegt im technischen und konstruktiven Schutz gegen Überflutung in Gebäuden und in der Infrastruktur. Für private Haus­besitzer reichen oft schon kleine bauliche Veränderungen an Kellerabgängen, Kellerlichtschächten, Tiefgaragenzufahrten etc. aus, um den Keller vor Überschwemmung zu schützen. Von innen kann der Keller durch – möglichst automatische – Rückstauklappen und Hebeanlagen geschützt werden. Diese verhindern, dass bei Überlastung des Kanalsystems (Rückstau) das Wasser durch die Leitungen zurück ins Gebäude gedrückt wird. Wichtig hierbei ist, dass die Produkte regelmäßig gewartet werden. Das größte ­Potenzial für ein angepasstes Regenwassermanagement in urbanen Bereichen liegt in der wassersensi­ blen Stadt- und Freiraumgestaltung. Bei Starkregen ist die Kanalisation oft überlastet, herkömmliche Entwässerungssysteme können die Wassermassen nicht mehr bewältigen. Die Alternative: Anfallendes Niederschlagswasser wird oberflächennah z. B. über Aco Drain Entwässerungsrinnen gesammelt und auf abgesenkte Freiflächen geleitet, die geflutet werden können und so Rückhalte- und Retentionsräume („Zwischenpuffer“) schaffen. Derartige Freiflächen können gleichzeitig auch als architektonisches Gestaltungselement in einer Stadt dienen. Auf diese Weise muss das Wasser idealerweise gar nicht erst in die überlastete Kanalisation eingeleitet werden, weil es vollständig auf diesen Flächen versickern kann. Bei frühzeitiger Planung mit

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Retention und alternative Systeme – unter der Erde und auf dem Dach

dem Ansatz der oberflächennahen Entwässerung kann komplett auf eine Verrohrung zur Ableitung des Oberflächenwassers verzichtet werden.

Flächen fürs Regenwassermanagement umnutzen Ein Beispiel hierfür ist das Konzept der dänischen Architekten von Tredje Natur, das vorsieht, Spielplätze in Senken zu bauen und als Überflutungsflächen zu nutzen. Das Argument, dass dadurch eine Gefahr für Kinder bestünde, lässt sich relativ leicht entkräften – bei Starkregen sind diese Flächen nahezu menschenleer. Zusätzlich kann in solchen Fällen eine Einfriedung zum Schutz vorgesehen werden. Doch nicht nur die wassersensible Stadt- und Freiraumgestaltung bietet Möglichkeiten eines angepassten Regenwassermanagements im innerstädtischen Bereich. Auch eine wassersensible Straßengestaltung gilt als hinreichende Option. Eine klassische Straße im urbanen Bereich hat ein Dachprofil mit je einem Bord links und rechts, an dem die Straßenabläufe liegen. Kehrt man diese Konstruktion um, sodass eine Neigung zur Straßenmitte und die Entwässerung in diesem Bereich besteht, kann Wasser in der Straße zwischengespeichert werden. Pro Meter Straße können dadurch 0,6 bis 1,0 m3 Rückstauvolumen für die Rückhaltung von Regenwasser gewonnen werden. Der Straßenraum bietet somit ein großes Potenziale für die Zwischenspeicherung von Wasser.

Hohlbordrinnen zur Wasseraufnahme Eine weitere Möglichkeit für eine schnelle Aufnahme von Niederschlagswasser auf ganzer Länge einer Straße sind sogenannte Hohlbordrinnen wie z. B. die Aco KerbDrain. Sie kombiniert als 2in1-System Bordstein und Entwässerungsrinne und entwässert linear nicht nur die Straße, sondern sorgt z. B. an Bushaltestellen für den Schutz der einund aussteigenden Fahrgäste vor Spritzwasser. Letztlich ist eine regelmäßige Analyse, welche Produkte an kritischen Stellen benötigt werden oder verbessert werden können, zwingend notwendig. Das heißt, die Optimierung von Entwässerungssystemen für Starkregenereignisse. Die Firma Aco unterstützt hier nicht nur bei bestehenden Entwässerungssystemen, sondern auch bei der Planung von neuen Erschließungsgebieten, zum Beispiel in Form von hydrau­ lischen Berechnungen. Allgemein lässt sich hierbei sagen, dass sich eine oberflächennahe Entwässerung optimal kontrollieren lässt und deshalb oftmals besser geeignet ist, als das Niederschlagswasser durch Straßenabläufe direkt in den Kanal zu leiten.

Alternative Systeme zur Rückhaltung und Schaffung von Retentionsräumen Ein kleiner Ausblick auf neue Produkte und Ideen aus der Industrie, mit denen sich die vorgestellten Ansätze umsetzen lassen, macht auch die Betrachtung möglicher Bodenverhältnisse notwendig. Grundsätzlich lässt sich zwischen versickerungsfähigem und nicht versickerungsfähigem Boden unterscheiden. Bei versickerungsfähigem Boden kann das Regenwasser durch Versickerung wieder dem natür­ lichen Wasserkreislauf zugeführt werden. Bei nicht versickerungsfähigem Boden muss das Wasser bei Starkregen

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Bild 3  Modulares Rigolensystem aus Kunststoff, das zum einen als Blockspeicher für Niederschlagswasser und zum anderen als Blockversickerung von Niederschlagswasser eingesetzt wird. (Fotos: Aco by Olaf Wiechers)

zwischengespeichert werden. Hierfür bieten sich mehrere Produktlösungen an. Die Retentionsrinne Aco Qmax beispielsweise ist gleichzeitig Oberflächenentwässerung und Rückhaltung in prinzipieller Form eines Stauraumkanals. Durch die Einlauföffnungen an der Oberfläche wird das Regenwasser gesammelt und bei normaler Niederschlagsmenge in die Kanalisation abgeleitet. Bei Starkregen kommt es durch einen gedrosselten Abgang zum Einstau des Niederschlagswasser zunächst im Hohlraum der Rinne, in dem bis zu 400 Liter pro Meter zurückgehalten werden können. Dieses wird erst nach einigen Stunden gedrosselt an die Kanalisation abgegeben, ohne sie zu überlasten. Die Rinne ist somit Entwässerung und Rückhaltung in einem und kann durch ihre Leistungsfähigkeit ohne Anschlusskanal auskommen.

Hohlräume schaffen Eine weitere Möglichkeit, um Wasser zwischenzuspeichern, ist das Schaffen möglichst großer Hohlräume durch Füllkörperrigolen wie Aco Stormbrixx. Diese Va­riante ist gut geeignet für große versiegelte Flächen, wie z. B. Stadien mit großen Dachflächen. Aber auch im innerstädtischen Bereich kann dieses Prinzip angewandt werden, wie das Prinzip der sogenannten Klimafliese von Tredje Natur in Kopenhagen zeigt. Das Niederschlagswasser wird hier durch spezielle Bodenplatten an der Oberfläche aufgenommen, unter dem Gehweg zwischengespeichert und dient anschließend durch Versickerung als Bewässerung für Bäume und Grünanlagen. Dieses Beispiel zeigt, wie man in einer Stadt das Leben MIT dem Waser gestalten kann.

Fazit / Handlungsempfehlungen Die Betrachtung der gegenwärtigen Situation und der vorgestellten Lösungsansätze lässt den Schluss zu, dass bestehende Bauwerke aktiv technisch und konstruktiv verbessert werden können, um sie für Starkregenereignisse zu rüsten. Gleichwohl sind die Chancen einer oberflächennahen Entwässerung und alternative Möglichkeiten zur Schaffung von natürlich oder technischen Retentionsräumen zu nutzen. www.aco.com

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Blick zu den Nachbarn

Vom 3. Mann ins 3. Jahrtausend Innovatives Regenwassermanagement in Wien

Bild 1.  Entwässerung des 11. Wiener Gemeindebezirks

Der Dritte Mann (1949) gehört, neben James Bond – Hauch des Todes (1987) und Die 3 Musketiere (1993), zu den international bekanntesten Filmen, die je in Wien gedreht wurden. „Der Dritte Mann“ feiert dieses Jahr seinen 70sten Jahrestag. Der Film hatte am 31. August 1949 in London Weltpremiere, in den Kinos lief er ab dem 2. September. In Österreich startete die Verfolgungsjagd des berüchtigten Penicillin-Schiebers Harry Lime sechs Monate später, am 10. März 1950. Mit dem Film wurde nicht nur eine der bekanntesten Filmmelodien geschaffen, sondern auch das Wiener Kanalnetz weltberühmt. Wir haben daher das Jubiläumsjahr genutzt, einen Blick unter die Donaumetropole zu werfen. Bei Starkregenereignissen kam es in der Vergangenheit in verschiedenen Bereichen des 11. Wiener Gemeindebezirkes, kurz Wien Simmering, immer wieder zu Überflutungen durch Überlastung des Kanalnetzes. Aufgrund der Tieflage des Gebietes weisen die Kanäle dort durchweg ein sehr geringes Gefälle und eine sehr geringe Überdeckung auf. Bei Rückstauungen im Kanalnetz kann es damit rasch zu Überflutungen kommen. Das Kanalsystem in Wien Simmering steht in unmittelbarer Wechselwirkung mit jenem des Liesingtales im 23. sowie mit Teilen des 10. Gemeindebezirkes (siehe Bild Nr. 1). Sämtliche Abwässer aus diesen angrenzenden Gebieten müssen über das Simmeringer Kanalsystem in Richtung Hauptkläranlage (HKA) geführt werden. Entlastungsmöglichkeiten sind auf dem Weg dahin nicht vorhanden. Erst knapp vor der HKA kann Mischwasser über das Hebewerk Kaiserebersdorf in den Donaukanal abgeworfen werden. Aus hydrodynamischer Sicht ergibt sich damit ein zusammenhängendes Gebiet mit einer Einzugsfläche von mehr als 69 km2. Zur nachhaltigen Verbesserung des Gewässerschutzes und der Überflutungssicherheit in diesem Gebiet, das beinahe 17 % der Gesamtfläche von Wien einnimmt, wurde auf der Grundlage von umfassenden hydrodynamischen Untersuchungen ein weitreichender Maßnahmenkatalog ausgearbeitet.

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Bild 2.  Das Wiener Kanalnetz

Das Wiener Kanalnetz Das von Wien Kanal betreute Kanalnetz umfasst derzeit eine Gesamtlänge von ca. 2.500 km. Bei Trockenwetter fallen in Wien täglich ca. 500.000 m3 Abwasser an. Die Abwässer werden über das Wiener Kanalnetz in 9 Hauptsammelkanälen (inkl. Entlaster) zusammengefasst und schließlich allesamt der Hauptkläranlage (HKA) zugeführt (siehe Bild Nr. 2). Die Hauptsammelkanäle verlaufen dabei entlang der wichtigsten Wiener Fließgewässer Donau (Linker Donausammler, kurz LDS), Donaukanal (Linker- und Rechter Hauptsammelkanal sowie Entlaster, kurz LHSK, RHSK und RHSKE), Wienfluss (Linker- und Rechter Wienflusssammelkanal mitsamt Entlastungskanal, kurz LWSK, RWSK und WSKE) und Liesingbach (Liesingbachsammelkanal LSK sowie der zugehörige Entlaster LSKE). Die HKA befindet sich im 11. Wiener Gemeinde­ bezirk im tiefst gelegenen Gebiet von Wien, sodass die Ab-

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wässer im Freigerinne zufließen können. Die große Ausnahme bilden die Abwässer aus dem 21. und 22. Wiener Gemeindebezirk, die aufgrund der Seichtlage der Einzugsgebiete sowie zur Unterdükerung der querenden Fließgewässer maschinell gehoben werden müssen. Bei Regenwetter können von der HKA bis zu 18 m3/s abgenommen und einer Reinigung zugeführt werden.

Das Maßnahmenpaket im Groben Das Maßnahmenpaket zielt darauf ab, im Falle eines Stark­ regenereignisses, die aus den angrenzenden Gebieten ankommenden Mischwässer so lange als möglich zurückzuhalten, um die jeweils stromab gelegenen Problembereiche zu entlasten und Mischwasserentlastungen in den Donaukanal zu reduzieren. Durch bauliche Erweiterungen sowie durch die aktive Bewirtschaftung der bestehenden Kanalräume wurden dafür Retentionsvolumina im Gesamtausmaß von mehr als 85.000 m3 geschaffen. Den Schwerpunkt der Maßnahmen bildet die aktive Bewirtschaftung des LSKE im Bereich von Blumental bis Kledering sowie des LSK im Abschnitt Kledering bis Thürnlhofstraße. Bei einem Regenereignis kann der ca. 5,3 km lange LSKE sowie der weiterführende LSK mit Hilfe von 11 Regulierbauwer-

ken in eine kaskadenförmige Stauraumkette unterteilt und damit eine Stauraumkapazität von mehr als 25.000 m3 aktiviert werden. Durch Beschicken des Entlastungskanals Ailecgasse, der mit dem Einbau einer Schieberkammer zu einem Staukanal umfunktioniert wurde, kann ein weiterer Stauraum von ca. 6.400 m3 aktiviert werden. Mit der Reaktivierung der ehemaligen Kläranlage Blumental (KAB) als Mischwasserspeicherbecken mit einem Volumen von 20.000 m3 wurde die Rückhaltewirkung des LSKE weiter verbessert. Mit der Neuerrichtung des Speicherbeckens Simmering (s. Bild Nr. 3) zur Entlastung des Kaiserebersdorfer Sammlers sowie des stromab gelegenen Gebietes wurde gemeinsam mit den zuführenden Speicherkanälen ein Stauvolumen von mehr als 34.500 m3 geschaffen. Der Einbau einer Feinsiebrechenanlage im Bereich der Notentlastungsstelle des Hebewerks Kaiserebersdorf wird den Maßnahmenkatalog abschließen. Das Projekt befindet sich derzeit noch in Umsetzung. Der Vollausbau des Hebewerks ist ebenfalls Teil des Maßnahmenkatalogs und bereits abgeschlossen. Die beschriebenen Maßnahmen stellen allesamt sowohl für den Überflutungsschutz als auch den Gewässerschutz eine deutliche Verbesserung dar. Aus der Sicht des Gewässerschutzes kann das aus dem Bereich Kledering bzw. über den Kaiserebersdorfer Sammler ankommende Mischwasser zurückgehalten und zur späteren Weiterleitung in Richtung Hauptkläranlage zwischengespeichert werden. Entlastungen in den Donaukanal im Bereich des HW Kaiserebersdorf können dadurch reduziert werden. Insbesondere werden die Abwässer des Schmutzwassersystems Liesing zurückgehalten. Diese sind im Vergleich zu den im restlichen Einzugsgebiet anfallenden Abwässer naturgemäß am stärksten belastet, da der Schmutzwasseranteil im Regenwetterfall am größten ist.

Aktive Bewirtschaftung des Kanalnetzes

Bild 3.  Speicherbecken Simmering

Aufgrund ihrer komplexen hydrodynamischen Wechselwirkung ist eine übergeordnete und aufeinander abgestimmte Steuerung sämtlicher zuvor beschriebenen Anlagen erforderlich (vgl. Bild Nr. 4).

Bild 4.  Schematische Darstellung der ­umgesetzten Maßnahmen

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Die übergeordnete Steuerung der Anlagen erfolgt über das zentrale Leitsystem am Pumpwerk Linker Donausammler (PW LDS) auf der Donauinsel. Verschiedene Betriebsarten erlauben einen an die jeweilige Niederschlagssituation angepassten und hinsichtlich Gewässerschutz des Liesingbaches sowie Überflutungsschutz der stromab liegenden Gebiete in Wien Simmering optimierten Betrieb. Das Leitsystem gibt Empfehlungen zur Auswahl der Betriebsart, die endgültige Entscheidung und Freigabe der Betriebsart liegt beim verantwortlichen Leitwartenwerkmeister. Nach Aktivierung der entsprechenden Betriebsart erfolgt die Abflusssteuerung selbst vollautomatisch. Parameteränderungen durch das Betriebspersonal, wie etwa das Sperren von Stauräumen aus betrieblichen Gründen, sind jederzeit möglich.

Das Kanalnetz im Stau-Betrieb Der LSKE schließt im Bereich der Klederinger Brücke an den bestehenden LSK an und führt stromaufwärts bis zur ehemaligen Kläranlage Blumental. Der Stauraumkanal ist auf der gesamten Strecke mit einem Kreisprofil DN2400 verbaut. Über Trennbauwerke sind die im Einzugsgebiet liegenden Regenwassersammelkanäle an den LSKE angeschlossen. Die Bewirtschaftung des LSKE arbeitet gegenüber den restlichen Hauptsammelkanälen weitestgehend autonom. Es sind verschiedene Betriebsarbeiten implementiert (siehe Bild Nr. 5). Im Stau-Betrieb wird der LSKE mit Hilfe der Regulierbauwerke als Speicherkaskade betrieben. In der Vorwahl „Gewässerschutz“ wird er vorrangig zur Aufnahme des Spülstoßes aus den Regenwassersammelkanälen genutzt, um diesen einer Reinigung durch die HKA zuzuführen. Die Trennbauwerke sind dabei zunächst geöffnet. Die Wässer der abgeschlossenen Regenwasserkanäle werden in den LSKE eingeleitet. Wird bei einem Regenereignis in einem Stauabschnitt das eingestellte Stauziel erreicht, werden die in diesen Abschnitt einmündenden Regenwasserkanäle durch Verschließen der Trennbauwerke vom LSKE abgekoppelt.

Einführung der Betriebsart „Überflutungsschutz“ Ausgehend von dem ursprünglich für den Gewässerschutz konzipierten Steuerungskonzept wurde eine zusätzliche, für den Überflutungsschutz bei Starkregen optimierte Betriebsart implementiert.

Bei Extremereignissen wird der LSKE, sofern er sich nicht ohnehin bereits darin befindet, in den Stau-Betrieb verfahren und die Trennbauwerke unmittelbar verschlossen. Die ankommenden Regenwässer fallen in den Liesingbach über. Der LSKE steht mit seiner gesamten Stauraumkapazität zur Rückhaltung der aus dem Bereich Blumental ankommenden Mischwässer zur Verfügung. Mit Verschließen der Schieberkammer Thürnlhofstraße wird auch der Abschnitt des LSK zwischen Kledering und Thürnlhofstraße zur Mischwasserrückhaltung genutzt. Durch aktive Integration in die Abflusssteuerung erfolgt mit dem Hebewerk Kledering eine auslastungsabhängige Aufteilung der Abwasserströme in Richtung des LSK sowie des abzweigenden Entlastungskanals Ailecgasse. Indem er als Speicherkanal genutzt wird, lässt sich die Spitzenbelastung des stromab liegenden Gebietes weiter verrringern. Unter Berücksichtigung der Vorfüllung des LSKE durch den Trockenwetterabfluss können dadurch die Mischwässer aus dem Bereich Blumental für eine Dauer von etwa 1,5 h zurückgehalten werden. Ist aufgrund der Wetterprognose zu erwarten, dass diese Speicherkapazität alleine nicht ausreicht, wird auch das Speicherbecken Blumental in Betrieb genommen. Ist schwerpunktmäßig das Einzugsgebiet des oberen Kaiserebersdorfer Sammlers betroffen, wird zusätzlich das Speicherbecken Simmering beschickt. Ist die Abflusswirksamkeit des Niederschlagsereignisses abgeklungen, werden die Speicherbecken und Staukanäle so rasch als möglich entleert, um für den nächsten Regen wieder zur Verfügung zu stehen. Die gestaffelte Entleerung erfolgt vollautomatisch nach Freigabe des Entleerungsbetriebs. Die gespeicherten Abwassermengen werden zur Schwallspülung der untenliegenden Kanalabschnitte genutzt. Die Wirksamkeit der zuvor beschriebenen Maßnahmen konnte in der Vergangenheit bereits bei verschiedenen Starkregen bestätigt werden.

Betriebliche Aspekte in der Kanalnetzbewirtschaftung Zum Wiener Kanalnetz gehören knapp 500 Sonderbauwerke. Etwa die Hälfte davon verfügt über elektromaschinelle Einrichtungen, wie etwa Pumpen, Schieber oder ­Abwassermesssysteme. Für die Fernüberwachung und Abflusssteuerung steht ein modernes Leitsystem zur Verfügung. Die zentrale Leitwarte auf der Wiener Donauinsel ist rund um die Uhr besetzt und wird im Zweischichtbetrieb gefahren. Das Herzstück für die Kanalraumbewirtschaftung ist das sogenannte RTC-System (Real Time Control). Aus den Prozessdaten sowie Niederschlagsinformationen werden die geeigneten Vorgabewerte für die „Lastverteilung“ unter den Hauptsammelkanälen errechnet.

Das Online-Wetterinformationssystem von Wien Kanal

Bild 5.  Betriebsarten der Abflusssteuerung

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Von besonderer Bedeutung in der Kanalnetzbewirtschaftung ist das jeweils zeitgerechte Beschicken und Entleeren der einzelnen Stauräume. Ein zu „frühes“ Beschicken kann zur Folge haben, dass die Speicherräume erschöpft sind, wenn das Starkregenereignis tatsächlich abflusswirksam wird. Ein zu spätes Aktivieren kann wiederum dazu führen, dass sich die gewünschte Wirkung nicht mehr rechtzeitig einstellt. Analog spielt die „Rechtzeitigkeit“ auch bei der Entleerung der Stauräume eine Rolle. Zur Beurteilung des

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Bild 6.  Wetterprognoseportal als Unterstützung für die Abflusssteuerung

richtigen Zeitpunktes wird auf ein eigenes Online-Wetterinformationssystem zurückgegriffen. Dazu gehört ein Niederschlagsmessnetz mit 31 im bzw. um das Wiener Stadt­gebiet verteilten Niederschlagsmessstationen sowie ein speziell für die Anforderungen der Kanalraumbewirtschaftung zugeschnittenes Wetterprognoseportal (s. Bild Nr. 6) der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Eine besondere Herausforderung stellt die Früherkennung von Gewittern und Hagel dar, die meist mit starkem Regen einhergehen. Dabei handelt es sich oft um stark lokal begrenzte Ereignisse, die innerhalb sehr kurzer Zeit entstehen und abregnen können. Zeitdauern im Bereich von 10–15 Minuten sind hier keine Seltenheit. Kurze Verzögerungszeiten bei hoher Genauigkeit in der Prognose der Intensität und Zugrichtung der Unwetterzellen sind hier von oberster Bedeutung und entscheidend für die Wahl der Betriebsarten in der Abflusssteuerung. Die Niederschlagsdaten werden im Messnetz von Wien Kanal mit einer Zy­ kluszeit von 1 Minute nahezu in Echtzeit erfasst und an die ZAMG übermittelt. Mit dem von der ZAMG entwickelten sogenannten RapidINCA-Algorithmus (INCA = Integrated Nowcasting through Comprehensive Analysis) werden Aktualisierungsraten und Verzögerungszeiten von nur wenigen Minuten erreicht. Schnell genug, um zeitgerecht reagieren zu können.

Prädiktive Erhöhung der Kläranlagenfördermenge Durch eine Vorab-Erhöhung der Förderleistung der HKA wird bei bevorstehenden Niederschlagsereignissen der Pegelstand von RHSK und RHSKE (vgl. Bild Nr. 2) soweit als möglich abgesenkt, um damit zusätzlichen Stauraum bzw. Abflussvolumen zu schaffen. Aus Sicht der Abwasserreinigung führt diese Maßnahme zudem zu einer günstigeren Schmutzfrachtverteilung. Nach dem Hochfahren der HKA verbleibt sie auf der max. Abnahmemenge, bis von der Abflusssteuerung „Entwarnung“ gegeben wird. Entweder weil die Abflusswirksamkeit des Regenereignisses abgeklungen ist oder weil das prognostizierte Regenereignis doch nicht zu der erwarteten Abflusswirksamkeit geführt hat. Der Betrieb der HKA mit maximal möglicher Abnah-

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memenge vor und während der Abflusswirksamkeit ist sowohl aus Sicht des Gewässerschutzes als auch aus Sicht des Überflutungsschutzes von Bedeutung. Alleine durch die Voraberhöhung kann eine zusätzliche Stauraumkapazität im RHSK und RHSKE von gesamt ca. 8.000 m3 geschaffen werden. Tests haben gezeigt, dass das Zulauf­ hebewerk der HKA bei Vollbetrieb bei Trockenwetter ca. 1 h benötigt, um den RHSK weitest möglich abzusenken. Die minimale Vorwarnzeit der HKA liegt daher bei 1 h, bevor der Niederschlag im unteren Bereich des RHSK abflusswirksam wird (vgl. Bild Nr. 7). Die Entscheidungsgrundlage für die prädiktive Erhöhung der Förderleistung bildet wiederum die Prognose im Wetterportal.

Stauraumverfügbarkeit und Ausfallsicherheit Die Verfügbarkeit der für den Staubetrieb relevanten Messund Stellorgane, wie Pegelmessungen und Absperrschützen, wird von der lokalen Steuerung der Regulierbauwerke laufend automatisch überprüft. Ist ein Stauraum, z. B. aufgrund eines defekten Stellorgans, nicht verfügbar, wird dies auf der Leitwarte visualisiert (vgl. Bild Nr. 8). Ist aber trotz der Störung ein sicherer Staubetrieb möglich, etwa weil ein Schieber zwar ausgefallen ist, aber sich dieser in einer solchen Stellung befindet, wo ein Staubetrieb pro­ blemlos möglich ist, so kann die automatische Verfügbarkeitsprüfung vom Betriebspersonal „overrult“ und ein Kanalabschnitt für den Staubetrieb freigegeben werden. Bei der großen Anzahl von Mess- und Stellorganen und der rauen Umgebungsbedingungen im Kanal muss immer wieder und insbesondere auch während eines Starkregenereignisses mit Ausfällen gerechnet werden. Durch die beschriebene Maßnahme wird sichergestellt, dass die automatische Kanalnetzbewirtschaftung auch bei Ausfall von einzelnen Mess- und Stellorganen betriebsfähig bleibt. Nimmt man als Beispiel die Staukaskade des LSKE her: Fallen in einem Stauabschnitt Mess- oder Stellorgane aus, die für die Stauzielhaltung wichtig sind, so wird nach Freigabe durch das Betriebspersonal der betroffene Abschnitt automatisch mit dem unterhalb liegenden Stauabschnitt „zusammengelegt“. Die Abflussteuerung kann im Automa-

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Bild 7.  Voraberhöhung der Abnahmemenge der Haupt­ kläranlage (HKA)

Bild 8.  Leitsystembedienbild zur Visualisierung der Stauraumverfügbarkeit (Foto/Abb.: Wien Kanal)

tikbetrieb weiterarbeiten. Bei der Auslegung und Umsetzung des Steuerungskonzepts wurde besonderes Augenmerk auf eine hohe Ausfallsicherheit gelegt. Neben einer geringen Sensitivität gegenüber Ausfällen von Mess- und Stellorganen und geeigneten Maßnahmen zur Fehlerbehandlung (Störfallautomatiken) wurde auf eine hohe „lokale Intelligenz“ der einzelnen Sonderbauwerke abgezielt. Trotz Störungen in der Datenkommunikation mit dem zentralen Leitsystem oder untereinander, soll ein sicherer autonomer Betrieb gewährleistet sein. Störungen an Stellantrieben treten typischerweise bei Betätigung der Antriebe nach längeren Standzeiten auf. Werden Antriebe nicht verfahren, bleiben Störungen zumeist unentdeckt. Für die regelmäßige Überprüfung der Funktionstüchtigkeit der Stellorgane werden automatisiert periodische Prüffahrten nach Freigabe durch das Betriebspersonal durchgeführt. Durch diese Betriebsart „Prüffahrten“ wird erreicht, dass Störungen im Bereich der Stell­ organe rechtzeitig vor einem erforderlichen Staubetrieb erkannt und behoben werden können.

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Zusammenfassung und Ausblick Zur Verbesserung des Gewässer- und Überflutungsschutzes in Wien Simmering wurde ein umfassendes Maßnahmenkonzept umgesetzt. Durch eine ausgeklügelte Kanalnetzbewirtschaftung können im Sinne des Gewässerschutzes Entlastung so weit als möglich hintangehalten und die Stauraumkapazität des Kanalnetzes bestmöglich ausgenutzt werden. Sie sorgt auch dafür, dass Extremniederschlagsereignisse bestmöglich, d. h. überflutungsfrei, bewältigt werden. Von besonderer Bedeutung ist eine genaue und schnelle Niederschlagsprognose, nahezu in Echtzeit, um Steuerungsentscheidungen rasch und zielgerichtet treffen zu können. Eine hohe Robustheit gegenüber (Teil-)Ausfällen ist Voraussetzung dafür, dass sich eine automatische Kanalnetzbewirtschaftung in der Praxis bewährt. Dipl.-Ing. Dr. Andreas Kimmersdorfer www.wienkanal.at www.drittemanntour.at

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Versickerungssysteme

Der Starkregen kann kommen Technische Lösungen für Rückhalt + Versickerung In manchen Gebieten häufen sich die Starkregenereignisse. Dies überfordert das Kanalnetz kurzzeitig. Die Lösungsansätze hierfür sind völlig unterschiedlich und reichen von der Entsiegelung von Flächen bis hin zu Rückhalt des Wassers vor Ort. Klimawandel, zunehmende Starkregenereignisse und zunehmende Flächenversiegelung tragen dazu bei, dass die Anforderungen an die Ver- und Entsorgungsleitungen stetig steigen. Oberflächenwasser soll möglichst kontrolliert abgeleitet und sinnvoll und nachhaltig wiederverwendet werden, doch unsere Kanalisation ist nicht auf Jahrhundert­ ereignisse ausgelegt. Eine entsprechende Dimensionierung ist für die Betreiber schlicht nicht finanzierbar. Anders gesagt: Ein Kanalnetz, das mit Blick auf den Ausnahmefall des extremen Niederschlagsereignisses gebaut wird, rechnet sich nicht. Der Ansatz, mit dem wir den immer häufigeren Starkregenereignissen wirksam begegnen und Gebäude und andere Infrastruktur wirksam schützen können, muss ein anderer sein. Im Regenwassermanagement von morgen werden die Entsiegelung von Flächen und die ortsnahe Versickerung von Oberflächenwasser eine noch wichtigere Rolle spielen, als es heute der Fall ist. Dementsprechend werden technische Lösungen für Rückhalt und Versickerung weiter an Bedeutung gewinnen. Vor diesem Hintergrund entwickelt die Funke Kunststoffe GmbH seit Jahren Lösungen, zu denen neben dem Filterschacht DN 1000 und dem Sedimentationsschacht DN 1000 der D-Raintank 3000, die KS-Rainbox sowie die D-Rainclean Sickermulde gehören. Nach Ansicht des Unternehmens handelt sich um zukunftsweisende Produkte, welche die vom Gesetzgeber geforderte möglichst ortsnahe Versicke-

Bild 1.  Der Funke Filterschacht dient der Aufnahme von ­Niederschlagswasser von Dach- und Verkehrsflächen mit weitreichender Behandlung und anschließender Ver­sickerung.

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Bild 2.  Der Weg des Niederschlagswassers durch den Filterschacht.

rung, Reinigung, Speicherung oder Nutzung der Niederschläge ermöglichen.

Auf kleinstem Raum Der Filterschacht des Herstellers wurde für eine effektive Niederschlagswasserbehandlung auf kleinstem Raum konstruiert: Beim Durchfließen des Filterschachtes werden mehr als 95 % der enthaltenen Sedimente und sowohl gelöste als auch ungelöste Schadstoffe in den verschiedenen Baugruppen des Schachtkörpers zurückgehalten (geprüft vom TÜV Rheinland LGA Products GmbH, Würzburg). Der Filterschacht wird aus einem Profilrohr DN 1000 monolithisch gefertigt. Zu den wesentlichen Bauteilen zählen der tangentiale Zulauf, eine senkrecht im Schachtkörper integrierte Spirallamelle, ein Strömungstrenner, ein Filterkörper sowie ein umlaufendes Vollsickerrohr. Der Filterschacht ist für eine Anschluss­ fläche von bis zu 600 m2 geeignet (Deutsches Institut für Bautechnik, DIBt). Das Bauwerk hat inklusive der Abdeckplatte eine Gesamthöhe von ca. 3,20 m. Der Höhenversatz zwischen Zu- und Ablauf beträgt ca. 1,10 m, die Ablauftiefe liegt bei ca. 1,95 m. Der Filterkörper besteht aus D-Rainclean-Substrat. Die Ableitung des Regenwassers erfolgt über ein umlaufendes Vollsickerrohr, das in einer speziellen Kies-Packung gelagert ist. Der Wartungsaufwand soll gering sein: Einmal jährlich wird der Schlammspiegel gemessen. Beträgt dessen Höhe mehr als 120 mm, sind die Ablagerungen abzusaugen. Ein Austausch des Substrates erfolge nach vier Jahren.

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Versickerungssysteme

Bild 3.  Der Funke Sedimentationsschacht hält einen Großteil der abfiltrierbaren Stoffe (AFS) in Niederschlagswasserabflüssen zurück. Er ist für eine Anschlussfläche von bis zu 3.000 m2 geeignet.

Bild 4.  Das wartungsarme System D-Raintank 3000 eignet sich zur Dach-, Hof-, Abstellflächen- und Straßenentwässerung, zur Entwässerung von Gewerbeflächen sowie für die Kombination mit einer Mulde oder einem Filterschacht. Außerdem kann es zur Überlaufversickerung einer Regenwassernutzungsanlage eingesetzt werden.

Abfiltrierbare Stoffe zurückhalten

che Umgang mit den fertig angelieferten Elementen auf der Baustelle. Sie sollen nach Angaben des Herstellers leicht einzubauen sein und können raumsparend angeordnet werden.

Mit dem Einsatz des Funke Sedimentationsschachtes soll sich ein Großteil der abfiltrierbaren Stoffe (AFS) in Niederschlagswasserabflüssen zurückhalten lassen. Der Sedimentationsschacht sei für eine Anschlussfläche von bis zu 3.000 m2 geeignet. Der Wirkungsgrad ist abhängig von der Größe der angeschlossenen Fläche und beträgt bei A = 3.000 m2 ca. 70 %. Das Niederschlagswasser, das den Sedimentationsschacht durchlaufen hat, kann in der Regel in ein Oberflächengewässer abgeleitet werden (Ablauf von Flächenkategorie I und II nach Gelbdruck DWA-A 102). Der Sedimentationsschacht wird ebenfalls aus einem Profilrohr DN 1000 des Herstellers monolithisch gefertigt. Zu den wesentlichen Bauteilen zählen der tangentiale Zulauf, eine senkrecht im Schachtkörper integrierte Spirallamelle, ein Strömungstrenner sowie eine Tauchwand, die vor dem Auslauf angebracht ist.

Regenwassermanagement mit Weitblick

Statisch optimierte Konstruktion

Die KS-Rainbox besteht aus werkseitig kunststoffummantelten D-Raintank 3000-Elementen. Diese Variante des DRaintank 3000-Systems eignet sich nicht nur für die Zwischenspeicherung von Regenwasser, sondern – mit Blick auf eine spätere Entnahme und Nutzung – auch für eine dauerhafte Speicherung. Die Elemente lassen sich mit Anschlüssen in Nennweiten von DN/OD 110 bis DN/OD 200 versehen. Das leichte Gewicht und die integrierten Halterungen für mitgelieferte Hebegurte sorgen für eine einfache Handhabung auf der Baustelle. Grundsätzlich ist eine Ausführung in unterschiedlichen Breiten und bis zu drei Lagen übereinander möglich. Die realisierbare Größe der Elemente richtet sich letztendlich nach den Ladekapazitäten

Die grauen Elemente des Systems D-Raintank 3000 verfügen über die Abmessungen L × B × H 600 × 600 × 600 mm. Die hohe Tragfähigkeit soll durch die statisch optimierte Konstruktion und den Einsatz des widerstandsfähigen Kunststoffes PVC-U mit einem E-Modul größer 3000 N/ mm2 sichergestellt werden. Die Konstruktion mit jeweils vier lastabtragenden Säulen je Element sorge für eine optimale Kraftübertragung ins umliegende Erdreich. Lage und Position der einzelnen Rigolen-Elemente, die dreidimen­ sional durchflutbar sind und dreilagig übereinander eingebaut werden können, werden durch blaue 4-fach-Verbinder sichergestellt. Das System eignet sich zur Dach-, Hof-, Abstellflächen- und Straßenentwässerung, zur Entwässerung von Gewerbeflächen sowie für die Kombination mit einer Mulde oder einem Filterschacht. Außerdem kann es zur Überlaufversickerung einer Regenwassernutzungsanlage eingesetzt werden. Die Speicherfähigkeit liegt bei 97 %, während eine übliche Kies- oder Schotterrigole nur ungefähr 30 % bis 35 % erreicht. Hervorzuheben ist der einfa-

Bild 5.  Die Konstruktion des D-Raintank 3000 mit jeweils vier lastabtragenden Säulen je Element sorgt für eine optimale Kraftübertragung ins umliegende Erdreich.

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Versickerungssysteme

Substratgefüllte Sickermulde

Bild 6.  D-Rainclean nimmt das teilweise mit hohen Schadstoffkonzentrationen belastete Niederschlagswasser von Straßen, Parkplätzen, Hof- und Dachflächen auf und gibt es in unbedenklichem Zustand an den Boden ab. (Fotos: Funke Kunststoffe)

der Transportfahrzeuge. Allerdings können verschiedene KS-Rainbox-Elemente vor Ort an der Einbaustelle miteinander verbunden werden. Die Stabilität der KS-Rainbox entspricht der des D-Raintank 3000: Bei einer Überdeckung von 40 cm Höhe ist eine PKW-Befahrung möglich. Bei der Nutzung der KS-Rainbox sind zwingend Entlüftungen vorzusehen, die werkseitig montiert sind und mit HSRohren DN/OD 110 vor Ort verlängert werden können.

D-Rainclean – eine Kombination aus einer Sickermulde und einem Substrat – nimmt das teilweise mit hohen Schadstoffkonzentrationen belastete Niederschlagswasser von Straßen, Parkplätzen, Hof- und Dachflächen auf und gibt es in unbedenklichem Zustand an den Boden ab. Sie erfüllt die Anforderungen des DWA-Arbeitsblattes A 138, welches den Umgang mit stärker verunreinigtem Niederschlagswasser vor der Versickerung regelt. Die Sickermulde, die mit einem zum System gehörenden Substrat gefüllt wird, gibt es als offene Version – eine Bepflanzung ist möglich – oder in geschlossener Form mit Guss-Abdeckung Klasse B 125 und für höhere Belastungen mit GussAbdeckung Klasse D 400 bzw. Klasse E 600, die neu ins Lieferprogramm aufgenommen wurde. Zum System passende Endstückelemente sind ebenfalls erhältlich. Die Anschlussfläche je Laufmeter Mulde beträgt bis zu 20 m2. In Kombination mit dem D-Raintank kann die Sickermulde als Unterbau bzw. zusätzlich als Speicher bei schlechten Böden eingesetzt werden. Im Niederschlagswasser-Abfluss enthaltenen Ölmengen werden wirkungsvoll abgebaut. Bei Unfällen ist – nach Herstellerangaben – ein Rückhalt von mind. 10 Litern Öl je Meter Sickermulde über 24 Stunden möglich. Je nach Belastungsgrad erreiche das D-RaincleanSubstrat Standzeiten von 15 bis 20 Jahren.

www.funkegruppe.de

Gewerbebau in Heilbronn: Rinnenfilter sammelt und reinigt Wasser Filtersubstratrinnen auf Parkflächen Ein großes und prestigereiches Möbelhaus entsteht – der neue Standort der Firma Möbel Rieger. In Kürze wird hier eine hohe Kunden- und Lieferfrequenz herrschen. Dafür wird aktuell geplant und gebaut. Verschiedene Freiflächen, etwa zukünftige Kundenparkplätze, sind bereits angelegt und mit Entwässerungslösungen ausgestattet. Denn an diese Flächen werden sowohl in der Bauphase, als auch nach der Eröffnung besondere Anforderungen in puncto Verkehrsbelastung, Retentionsvolumen und Versickerungsmöglichkeiten gestellt werden. Die die Bit Ingenieure AG, die Planung und Projektleitung des Bauvorhabens innehaben, waren nach Aussagen von Hauraton schnell von den Vorteilen der Drainfix Clean Rinnen überzeugt. Infolgedessen ließen sie die ursprüngliche Überlegung, das Oberflächenwasser in offenen Rigolen zu sammeln und vor Ort zu versickern, fallen. Das vielseitige System besteht nicht nur aus einer Entwässerungsrinne, die das Oberflächenwasser sammelt und weiterleitet. Im Rinnensystem steht außerdem jede Menge Reten­ tionsvolumen bereit, um selbst große Wassermengen – etwa bei einem Starkregenereignis – zurückzuhalten.

Über 99 % der Schadstoffe herausfiltern Das von den Parkflächen abfließende Wasser wird in einer stabilen Entwässerungsrinne gesammelt und im Rinnenfil-

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Bild 1.  Bei der Wartung wird lediglich der Filterkuchen abgeschält, der sich über lange, wartungsfreie Zeiträume bildet. Es wird anschließend nur der Substratanteil wieder aufgefüllt, der beim Reinigungsvorgang entnommen wurde.

ter gereinigt. Das speziell dafür entwickelte Filtersubstrat Carbotec 60 ist in der Lage kleinste Schadstoffpartikel herauszufiltern. Auf diese Weise sollen über 99 % der im Oberflächenwasser transportierten Schadstoffe, etwa Kohlenwasserstoffe, Zink oder Kupfer sicher und zuverlässig zurückgehalten werden. Damit werden die Vorgaben des DIBt und der wasserrechtlichen Anforderungen weit über-

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Versickerungssysteme

Bild 2.  DRAINFIX CLEAN hat sich als flexibles Rinnenfiltersystem erwiesen. Bei diesem Bauvorhaben wurden die Schwerlastrinnen FASERFIX SUPER als Rinnenkörper verwendet. Je nach Einsatzanforderungen kann der Rinnenfilter ebenfalls mit verschiedenen Rinnentypen oder beispielsweise auch mit den RECYFIX Kunststoffrinnen kombiniert werden.

Bild 3.  Oberflächenwasser wird in den DRAINFIX CLEAN Rinnen gesammelt. Beim Ableiten des Wassers werden Schadstoffe, wie etwa Schwermetalle oder Kohlenwasserstoffe im Rinnenfilter herausgefiltert und zurückgehalten. (Fotos: Hauraton)

troffen. Die Projektverantwortlichen haben darüber hinaus Planungssicherheit, denn der Hersteller kann die Reinigungsleistung der Rinnen zuverlässig nachweisen. Viele Jahre schon liefert eine Versuchsanlage, die direkt an einer vielbefahrenen Straße mit hohem Verunreinigungsgrad betrieben wird, verlässliche und belastbare Ergebnisse aus der Praxis. Das System ist trockenfallend und einem Dauereinstau nicht ausgesetzt. Die Reinigungsleistung ist, nach Herstellerangaben, aber auch bei Starkregenereignissen gesichert. So funktioniert das System auch nach urbanen Sturzfluten und ist überstaubar. Es erfolgt keine Remobilisierung der Schadstoffe, die Filterstabilität ist gewährleistet.

der ersetzt werden. Damit ist die Wirtschaftlichkeit des Filterrinnensystems garantiert.

Große Wartungsintervalle erfreuen den Betreiber Nach Aussage des Herstellers soll das kostensparende und einfache Rinnenfiltersystem Vorteile durch einen geringen Wartungsaufwand bieten. Dies war ein wichtiges Entscheidungskriterium für den Einsatz dieses Rinnensystems. Je nach Anschlussfläche und Verschmutzungsgrad betrage der Wartungszeitraum zum Teil mehr als 10 Jahre. Wenn eine Wartung nötig ist, genüge das Abschälen des Filterkuchens, der sich im Laufe der Jahre durch Schmutzeintrag bildet. Ein Austausch des Filtersubstrats sei nicht notwendig, es müsse lediglich das abgeschälte Filtersubstrat wie-

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Vorteil: Schnellverschluss Für die Bietigheimer Gartengestaltung GmbH, die den Einbau der Rinnen realisierte, bot das System die Sicherheit eines bekannten und geprüften Rinnensystems. Die verwendeten Filtersubstratrinnen sind hoch belastbar, sie basieren auf den seit vielen Jahrzehnten praxiserprobten Faserfix Super Rinnen. Die Rinnenkörper werden aus faserbewehrtem Beton hergestellt und sind für höchste Belastungen ausgelegt. Selbst während der Bauphase sind die noch nicht fertig eingebauten Rinnen so stabil, dass Baufahrzeuge über sie fahren können, ohne dass sie Schaden nehmen. Die auf den Parkflächen des Möbelhauses ein­ gebauten Filtersubstratrinnen und Abdeckungen entsprechen der Klasse D 400. Der Schnellverschluss Side Lock ermöglicht dabei ein schnelles Lösen der Abdeckungen. Denn das Filtersubstrat wurde erst eingefüllt, als keinerlei Verschmutzungen durch die Baumaßnahme mehr zu erwarten waren. Die Abdeckungen wurden noch einmal entfernt und das Substrat eingefüllt. www.hauraton.com

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Versickerungssysteme

Versickerungsanlage für Eventausstatter Ca. 290.000 l Wasser unter Party Rent-Standort München gespeichert Die Eventbranche in und um München herum entwickelt sich ­rasant – und mit ihr der dortige Standort des Eventausstatters Party Rent. Sechs Jahre nachdem Ben Cudok und Tobias Viße als Franchisenehmer das Unternehmen in Eching gegründet haben, hat es im Sommer 2018 in Feldkirchen einen neuen Standort bezogen. Hier sind Lager, Logistik und die Verwaltung konzen­ triert. Das Niederschlagswasser der ca. 8.000 m2 großen Dachflächen wird in eine unterirdische Versickerungsanlage aus 684 Graf EcoBloc Inspect 420 Modulen geleitet.

Vorgaben der Baubehörde

samt Blick auf das umliegende Alpenpanorama. Beheizt wird das Gebäude mit einem Blockheizkraftwerk, damit kann der Energiebedarf für Spül- und Lagertechnik fast komplett gedeckt werden. Auch bei der Entwässerung der Dachflächen entspricht das Gebäudekonzept neuesten Anforderungen der Behörden. Die Baubehörde hat eine Entwässerung der Dachflächen auf dem Grundstück verlangt, um vor allem bei Starkregenereignissen eine hydraulische Überlastung der Kanalisation zu vermeiden. Unter der Lieferzufahrt können bis zu 287.280 l Wasser kontrolliert versickert werden. Für das der Versickerung zugeführte Niederschlagswasser entfallen die Niederschlagswasser­ gebühren.

Auf einer Grundstücksfläche von 13.400 m2 erstellte die Dreßler Bau GmbH als Generalübernehmer 3.900 m2 Büro- und Prozessflächen und 3.800 m2 Hallenflächen. Bereits für 2020 ist die Erweiterung der Gebäude geplant. Kompaktheit ist außen wie innen das strukturelle Leitbild des Neubaus. Der monolithische Baukörper ist der Rahmen um komplexe innere Prozesse. Bei der Gestaltung wurde auf eine homogene, kompakte und zeitlose Optik Wert gelegt. Innen führt sich dies durch geradlinige Formen, Materialien und Farben fort. Der Showroom bietet auf 500 m2 die Möglichkeit, Eventkonzepte bereits vor der eigentlichen Veranstaltung real erlebbar zu machen. Hinzu kommen eine Showküche und eine 250 m2 große Terrasse

Die Versickerungsanlage ist innerhalb von nur sieben Arbeitstagen entstanden. Dafür hat das beauftragte Unternehmen Schneider Erd-Tiefbau GmbH, Peiting, zunächst eine Baugrube (34 × 13 × 3,35 m) ausgehoben. Drei Mit­ arbeiter haben innerhalb von eineinhalb Arbeitstagen die 684 Module vor Ort zu einem Blockverbund zusammengefügt. Die Versickerungsanlage hat Außenabmessungen von 26,40 m × 5,60 m × 1,98 m. Dazu wurden die Wasserspeicher-Module in drei Lagen installiert und anschließend mit

Bild 1  Die Spezialisten der Schneider Erd-Tiefbau GmbH, Peiting, haben für die Regenwasserversickerung eine Baugrube von 980 m3 ausgehoben.

Bild 2.  Der Rigolenkörper wurde aus Modulen vor Ort zu einem Blockverbund mit einem Speichervolumen von 287.280 l montiert. (Fotos 1 und 2: Schneider Erd-Tiefbau)

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Bauablauf

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Versickerungssysteme

Bild 3.  Die einfache Handhabung spart bei diesem Rigolensystem entscheidend Montagezeit und Kosten. Durch die vormontierten Module wird nur wenig Zubehör und kein Werkzeug benötigt.

Geotextil umschlossen. Nach der Montage des Blockverbundes wurden die Rohrpositionen für den Zu- und Ablauf sowie die Entlüftung positioniert. Zum Anschluss der Zulaufleitungen wurde eine Adapterplatte montiert. Die Adapterplatte des Herstellers integriert die Nennweiten DN 300, 400 und 500 in einem mehrstufigen Anschlussstutzen. Damit konnte vor Ort der Anschluss an die vorhandene Rohrdimension der zwei Zulaufrohre DN 300 KG 2000 mit zwei vorgesetzten Lamellenklärern vorgenommen werden. Zudem wurden vier Rohre DN 100 KG 2000 zur Entlüftung angeschlossen. Die Baugrube wurde nach dem Einbau des Versickerungsystems mit Kies verfüllt und lageweise verdichtet. Mit der ausgeführten Erdüberdeckung von 120 cm bis Geländeoberkante ist das Rigolensystem bis SLW 60 überfahrbar. Der Hersteller fordert für diesen Lastfall eine minimale Erdüberdeckung von nur 80 cm.

Entscheidungskriterien

Bild 5.  Der Rigolenkörper wurden abschließend mit Geotextil umschlossen.

Bild 6.  Mit der ausgeführten Erdüberdeckung von 120 cm bis Oberkante Gelände ist das Rigolensystem überfahrbar.

Die hohe Wirtschaftlichkeit bei Einbau und Betrieb war für das Planungsbüro Rauschenberg Ingenieur GmbH, Hagen, und dem Generalunternehmer Dreßler Bau GmbH, Stockstadt, ein maßgebendes Kriterium. Nach Aussagen

des Herstellers soll sein System einfach zu handhaben sein und damit Montagezeit und Kosten sparen. Durch die vormontierten Module seien nur wenig Zubehör und keine Werkzeuge nötig. Dank der integrierten Zentrierung müssten die montagefreundlichen Module lediglich horizontal verbunden werden. Sie würden zu einem hochstabilen

Bild 4  Die Module wurden in drei Lagen installiert.

Bild 7.  Durch die vormontierten Module werden wenig Zubehör und Werkzeug benötigt.

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Versickerungssysteme

Voll integriertes Schachtsystem

Bild 8. Das modulare System ermöglicht die freie Positionierung benötigter Schächte ohne statische Einschränkungen. (Fotos 3–8: Graf)

Blockverbund zusammengefügt, obwohl bis zu 60 % weniger Verbindungspunkte gegenüber herkömmlichen Rigolensystemen benötigt werden. „Das System von Graf hat uns gegenüber anderen bekannten Rigolen viel Zeit bei der Montage gespart“, bestätigt Morris Goralski, verantwortlicher Bauleiter bei Schneider Erd-Tiefbau.

Die Module werden zu 100 % aus recyceltem Kunststoff hergestellt. Sie sind konstruktiv auf eine Nutzungsdauer von mindestens 50 Jahren unter Berücksichtigung einer zweifachen Sicherheit ausgelegt. Das Rigolenelement ist mit gängigen Inspektionskameras DN 200 inspizierbar. In den EcoBloc-Verbund sind drei Schachtsysteme passgenau integriert. Dadurch war kein zusätzlicher Aushub notwendig und das Schachtvolumen wird in das Fassungsvermögen des Regenrückhaltesystems einbezogen. Das modulare System ermöglicht die freie Positionierung benötigter Schächte ohne statische Einschränkungen. Das Schachtsystem bietet die Möglichkeit zum Anschluss großer Rohrdurchmesser bis DN 400. Mit dem um 360° drehbaren VS-Zulaufmodul können Anschlüsse bis DN 300 ohne zusätzliche Anschlussbögen realisiert werden. Eine lichte Weite des Schachtes von 600 mm erleichtert bei späteren Revisionen den Zugang. Der Teleskop-Domschacht ermöglicht die stufenlose Anpassung an die Erdüberdeckung bis zur Geländeoberkante. In Verbindung mit dem Teleskop-Domschacht LKW ist das System bis SLW 60 überfahrbar. Die Schächte wurden beim Hersteller bereits projektspezifisch vormontiert und anschlussfertig angeliefert. Dies sparte bei der Installation zusätzliche Zeit. Neben den Produktvorteilen haben die umfassenden Serviceleistungen des Herstellers das Planungsbüro und die ausführenden Unternehmen überzeugt. Das Graf-Projektteam unterstützte das Bauvorhaben bei der Planung und Bemessung des Systems. www.graf.info

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Versickerungssysteme

Regenwasserversickerungssystem durch iro Institut auf Hochdruckspülbarkeit nach DIN 19523 getestet Mit integrierter Filterstufe im Spülkanal Sedimente zurück halten Mit fortschreitender baulicher Verdichtung und der steigenden Häufigkeit von Starkregenereignissen gerät die Entwässerungsinfrastruktur in den Städten zunehmend an die Grenzen ihrer Kapazität. Die Auswirkungen sind häufig nicht zu übersehen und meist mit einem kapitalen Schaden für Netzbetreiber und Bürger verbunden. Mit dem Willen zur Reduzierung des Schadensrisikos steigt die Nachfrage nach technologischen Lösungen zur Regenwasserspeicherung. Das Entwässerungssystem wird damit zunehmend komplexer. Für den Betrieb der Netze bedeutet das jedoch auch eine Anpassung der Unterhaltungsmaß­ nahmen. So kommen seit einigen Jahren zur Regenwasser­ bewirtschaftung vermehrt Systeme zur Anwendung, die neben Sedimentations- und Abscheideanlagen auch sogenannte „Sickerboxen“ zur unterirdischen Speicherung und Versickerung des Wassers vorsehen. Obwohl die für die Vorbehandlung des Regenwassers verantwortlichen Systemkomponenten einen großen Anteil der Schmutzfracht zurückhalten, gelangt ein kleiner Teil weiterhin in die für die Speicherung und Versickerung zuständigen Anlagenteile. Sedimente können sich hier ebenfalls absetzen und verringern je nach Verschmutzungsgrad die Sickerleistung des Systems. Die „Sickerboxen“ werden daher in der Regel mit systemspezifischen Revisionsschächten und -kanälen ausgestattet. Für den Anlagenbetreiber, der für die Wartung verantwortlich ist, stellt sich damit die Frage nach der Spülbarkeit bzw. Wartungskomplexität der Anlagen.

Sedimente zurück halten Aus diesem Grund wurde das Institut für Rohrleitungsbau Oldenburg (iro) erstmalig mit der Durchführung von Reinigungsversuchen an einem Regenwasserversickerungssystem beauftragt. Bei dem Prüfmuster handelt es sich um die sogenannte Enregis/Controlbox der ENREGIS GmbH aus Sundern. Die Box fungiert als Systemverteiler, indem über eine Filterstufe die Sedimente zurückgehalten werden, ehe das Wasser in die angrenzenden „Sickerboxen“ gelangt. Die

Bild 1.  ENREGIS/Controlbox mit umgebender Filterstufe im iro-Prüfstand

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Bild 2. ENREGIS/Controlbox® Prüfstrecke in der ­iro-Forschungshalle (Abb.: iro Institut)

Sedimente können somit in der Box zurückgehalten und über den freien Querschnitt durch Hochdruckspülung entfernt werden. Für den Nachweis der Spülbarkeit wurde die DIN 19523 herangezogen. Die darin beschriebenen Prüfungen dienen zur „Ermittlung der Hochdruckstrahlbeständigkeit und -spülfestigkeit von Rohrleitungsteilen für Abwasserleitungen und Kanälen“ und sind somit grundsätzlich auch für entsprechende Regenbewirtschaftungssysteme geeignet. Um die Wirkung des Spülstrahls auf das Material feststellen zu können, wurde zunächst an einer Controlbox mit den Abmessungen 600 mm × 600 mm die Werkstoffprüfung durchgeführt (siehe Bild 1). Bei dieser Prüfung wird im Prüfstand ein Wasserstrahl unter Einhaltung bestimmter Parameter (Spülstrahlleistungsdichte, Geschwindigkeit und Luft-/Wassertemperaturen) mehrfach gezielt über die Oberfläche des Prüfmusters geführt. Die Controlbox inkl. der speziellen Filterstufe zeigten nach der Prüfung keine Schäden. Zudem konnte mit der Durchführung weiterer orientierender Leistungssteigerungsversuche eine deutliche Sicherheit gegenüber der geforderten Hochdruckstrahlbeständigkeit nach DIN 19523 nachgewiesen werden. In einem zweiten Schritt erfolgte die Praxisprüfung. Hierfür wurde in Anlehnung an DIN 19523 seitens des Herstellers eine Versuchsstrecke von 15 m in der iro-Forschungshalle aufgebaut (siehe Bild 2). Mit der autarken iro-Prüfeinheit (es wird kein extra Spülfahrzeug verwendet) wurde gemäß DIN 19523 eine Rundumstrahldüse 60mal unter Einhaltung der vorgegebenen Parameter (Spülstrahlleistungsdichte, Geschwindigkeit und Luft-/Wassertemperaturen) durch die Versuchs­strecke gefahren. Damit simuliert die Praxisprüfung neben der wiederkehrenden Belastung durch den Spülstrahl auch die mechanischen Wirkungen resultierend aus dem Düsenkörper und Spülschlauch. Das Ergebnis der Praxisprüfung war

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Versickerungssysteme

ebenfalls positiv zu werten. Weder an der Controlbox selbst noch an der umgebenden Filterstufe wurden nach der Prüfung Schäden festgestellt. Die Hochdruckstrahlbeständigkeit und -spülfestigkeit der ENREGIS/Controlbox® gem. den Vorgaben der DIN 19523 ist damit uneingeschränkt nachgewiesen. Für den verantwortlichen Betreiber dieser

Anlagen bedeutet das Ergebnis ein hohes Maß an Sicherheit bei künftigen Reinigungsmaßnahmen. Mike Böge, iro GmbH Oldenburg www.iro-online.de

Moderner Raum für Zeitgeschichte Ludwig Erhard Zentrum Die Stadt Fürth ist um ein Wahrzeichen reicher: Mit dem Ludwig Erhard Zentrum erinnert sie an einen ihrer berühmtesten Söhne. Der geradlinig modern gestaltete Neubau befindet sich direkt neben dem historischen Rathaus und fügt sich gut in das Stadtbild ein. Er besitzt zwei Dachterrassen und einen Eingangsbereich, die es zu entwässern gilt. Mit ihrem Neubau errichteten die „Reinhard Bauer Architekten“ aus München dem „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“ – Ludwig Erhard – ein Denkmal. Optisch setzt sich das Gebäude aus vier leicht versetzten Kuben zusammen. In Höhe und Breite orientiert es sich an der vorherigen Bausubstanz und bildet gemeinsam mit dem historischen Rathaus ein gelungenes Gesamtensemble. Ein geschosshohes Fenster in der Mitte der Eingangsseite gewährt einen Blick auf das gegenüberliegende Geburtshaus des Begründers der sozialen Marktwirtschaft.

Über den Dächern der Stadt Der erste Stock beherbergt eine Dauerausstellung. Eine Etage darüber befinden sich weitere Veranstaltungsräumlichkeiten. Insgesamt zeichnet sich das Gebäude durch einen musealen Charakter aus, wobei seine klare Innen­

Bild 1.  Im Stadtzentrum Fürths ist ein neues Wahrzeichen entstanden. Das Ludwig Erhard Zentrum erinnert mit einer Dauerausstellung an den „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“. Der moderne Neubau setzt sich aus vier leicht versetzten Kuben zusammen.

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Bild 2.  Trotz seiner modernen Formensprache fügt sich das Gebäude direkt neben dem historischen Rathaus gut in das Stadtbild ein. Dafür sorgen Details wie die farb­ liche Anpassung des Sichtbetons, der mit Sandsteinstaub eingefärbt wurde.

organisation den Besucher zu Exponaten, Inszenierungen und interaktiven Stationen führt. Das Dachgeschoss dient als Tagungs- und Begegnungsstätte. Es besitzt großzügige Dachterrassenflächen, dank der die Räumlichkeiten nach außen hin erweitert werden. Sowohl die in nordwestlicher Richtung zum Obstmarkt ausgerichtete Loggia als auch der atriumgleiche Innenhof gewähren luftige Ausblicke auf die Dachlandschaft Fürths. Auch hier überzeugt der massive Bau durch sein großzügiges Raumangebot mit durchdachter Aufteilung.

Bild 3.  Großzügige Terrassenflächen erweitern die Erlebniswelt. Sowohl die Loggia als auch der atriumgleiche Innenhof gewähren einen Ausblick auf die Dachlandschaft Fürths. Für die Außenbereiche war eine durchdachte Entwässerungslösung gefragt.

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Versickerungssysteme

Bild 4.  Die Wahl fiel auf Dränagerinnen des Typs „Fultura“ der Richard Brink GmbH & Co. KG. Insgesamt wurden 30 Meter der maßgefertigten Rinnen mit Einlaufbreiten von 100 mm, 160 mm und 260 mm verbaut.

Bild 6.  Geradlinig 7 × 7 mm Langenstabroste aus glasperlengestrahltem Edelstahl vermitteln einen optisch + real haptischen Eindruck von weichen Konturen. Passgenau eingesetzt unterstreichen sie nochmals den bodengleichen Übergang.

Bild 7.  Maßgefertigte, höhenverstellbare Rinnen sind Standard beim Hersteller (Fotos: Richard Brink GmbH & Co. KG)

Bild 5.  Dank ihrer Stelzlager lassen sich die Rinnen schnell und einfach an das jeweilige Höhenniveau des B­ odens anpassen. So ergibt sich ein barrierefreier Übergang von innen nach außen.

Entwässerung nach Maß Um den anfallenden Niederschlag auf den Freiflächen bestmöglich ableiten zu können, bedurfte es einer funktionalen Entwässerungslösung. Die Wahl fiel auf Dränagerinnen der Richard Brink GmbH & Co. KG. Sie werden sowohl den funktionalen als auch den optischen Ansprüchen der Verantwortlichen gerecht. Insgesamt wurden 30 m maßgefertigte, auf das Aufbaumaß des Bodens angepasste Rinnen des Typs „Fultura“ verbaut. Die Rinnen mit den Einlaufbreiten von 100 mm, 160 mm und 260 mm sind dank ihrer Stelzlager von 115 mm auf 170 mm und von

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165 mm auf 220 mm in der Höhe verstellbar. Schnell und einfach können sie an das benötigte Bodenniveau angepasst werden, sodass die verwendeten Roste einen barriere­ freien Übergang von innen nach außen gewährleisten. Nach Ansicht des Metallwarenherstellers überzeugen seine Produkte durch ihr Design. Ausschlaggebend für die Wahl der Erzeugnisse dieses Herstellers waren die hohe Qualität der Materialien sowie die individuelle Maßanfertigung der Rinnen, die den Einbau der Entwässerungssysteme deutlich beschleunigt hat. Herr Lindenmeyer von der verarbeitenden Firma August Guttendörfer GmbH & Co. KG aus Ansbach sagt hierzu: „Dank der passgenauen Anfertigungen waren zusätzliche Anpassungsmaßnahmen nicht nötig. Die Firma Richard Brink präsentierte sich als kooperativer Partner, der schnell und unkompliziert unseren Ansprüchen mehr als gerecht werden konnte. Mit dem Ergebnis sind wir überaus zufrieden“. www.richard-brink.de

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Aus der Forschung

Intelligente Steuerung von Retentionsspeichern in Gründächern zur Maximierung der Verdunstung und des Überflutungsschutzes im hochverdichteten urbanen Raum Regenwassermanagement auf hohem Niveau Wichtige Ziele eines modernen und effektiven Regenwasser­ managements sind unter anderem die Wiederherstellung des natürlichen Wasserhaushaltes und der Überflutungsschutz. Retentionsräume unter Gründächern tragen zum Erreichen gleich beider Ziele bei. Denn das dort zurückgehaltene Wasser kann über eine kapillare Verbindung der Substratschicht zugeführt und somit schließlich verdunstet werden. Welche Faktoren berücksichtigt werden müssen, erfahren Sie hier. Insbesondere im urbanen Raum sind die Anforderungen an Retentionsräume hoch. Bedingt durch diverse Faktoren, wie z. B. die Bebauungsdichte und eine weitreichende Flächenversiegelung, steht nur wenig Platz zur Verfügung. Dies bedeutet, dass auf möglichst geringem Raum durch maximalen Wasserrückhalt (und die damit einhergehende Erhöhung der Verdunstung über das Gründach) die Wiederherstellung des natürlichen Wasserkreislaufs unterstützt werden muss, während gleichzeitig mit großen Kapazitäten an leerem Speicherraum für den bestmöglichen Überflutungsschutz gesorgt werden muss. Um das gewährleisten zu können, bedarf es einer optimalen und damit intelligenten Nutzung des Retentionsraumes. (Bild 1)

Bisherige Umsetzung: Vor allem Lösungen für Abfluss und Versickerung verfügbar Der Wasserkreislauf, den es wiederherzustellen bzw. zu erhalten gilt, besteht aus drei Komponenten: Abfluss, Grundwasserneubildung und Verdunstung. Den größten Anteil im natürlichen Wasserhaushalt macht dabei die Verdunstung aus (vgl. DWA-A 102). Doch sind es vor allem technische Lösungen für die Realisierung des Abflusses und der Versickerung, die bereits ausreichend am Markt vorhanden sind. Für die Wiederherstellung der Verdunstung, insbesondere in städtischen Gebieten, sieht die Lage noch deutlich anders aus und die Zahl der technischen Möglichkeiten ist stark begrenzt. Gründächer allerdings sind hier eine wirkungsvolle Methode und können einen wesentlichen Beitrag zur Verdunstung leisten. Entscheidend dafür, wie deutlich dieser Beitrag ausfällt, sind vor allem der Aufbau und die Art der Dachbegrünung.

Bild 1.  Die Smart Flow Control auf dem Testgelände des Citylab-Projektes „Slimdak“ der Urban Roof Farm DakAkker in Rotterdamm

Spitzenabflussbeiwerts. Drainage-Ebenen, die komplexere Ansprüche erfüllen müssen, bestehen beispielsweise auch aus Platten, die nicht nur zur Verminderung des Spitzen­ abflussbeiwerts beitragen, sondern gleichzeitig auch über einen großen Wasserspeicher verfügen, oder aus speziellen Drainageplatten zur Retention mit besonders hohem Wasserrückhaltepotential. (Bild 2)

Drainage-Elemente mit Wasserrückhaltepotential Herkömmliche Dachbegrünungen bestehen zunächst aus einem Schutzvlies, das direkt über der Dachabdichtung ausgelegt wird. Darauf folgt eine Drainage-Ebene, die durch ein Filtervlies von der darüber liegenden Substratschicht getrennt wird. Letztere dient den Pflanzen der Vegetationsschicht als Wurzelbereich, über den sie mit Wasser und Nährstoffen versorgt werden können. Je nach Anforderungen des Dach- und Begrünungstyps kann die DrainageEbene unterhalb des Substrates unterschiedliche Funk­ tionen erfüllen. So existieren z. B. Drainage-Platten mit geringerem Wasserspeicher und besonders hohem Drainage-Vermögen oder Platten speziell zur Verminderung des

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Bild 2.  Einbau des Prototypen der Smart Flow Control in Rotterdam

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Aus der Forschung

meist mit weiteren Regenwasserbewirtschaftungselementen, wie z. B. Rigolen, gekoppelt werden, ist zur sicheren Dimensionierung solcher Systemkombinationen nach DWA-A 138 eine Simulation mittels eines NiederschlagsAbfluss-Modells notwendig. (Bild 3) Bild 3.  Zeichnung der Smart Flow ­Control

Retentionsdächer bringen zusätzliches Speichervolumen Letztere werden verwendet, um Retentionsdächer herzustellen. Bei der Fertigung dieses Drainage-Typs werden durch einige Zentimeter hohe Kunststoff-Hohlkörper genannt Wasser-Retentions-Box (WRB) Retentionsspeicher geschaffen. So können diese WRB auf Dachflächen ohne Gefälle zur Regenwasserrückhaltung unter Grün­dächern oder Verkehrsflächen verwendet werden. Eine Besonderheit der WRB: Sie besitzen über sogenannte Kapillarsäulen eine vertikale Verbindung zum Substrat. Durch sie wird das in den Hohlkörpern gespeicherte Regenwasser der Vegetation zur Verfügung gestellt. Der Ablauf des Daches wird bei Retentionsdächern mit einem Standrohr blockiert, um einen bestimmten Wasseranstau zu erzeugen. Die maximale Höhe, die der Wasserstand hierbei erreichen soll, wird zuvor definiert und über eine entsprechende Lochbohrung im Standrohr dafür gesorgt, dass Regenwasser bzw. Niederschlag gedrosselt abfließen können. Der Retentionsraum teilt sich auf diese Weise in 1.) einen permanenten, sich nur durch die Verdunstung reduzierenden und 2.) einen temporären, sich über den Abfluss entleerenden Retentionsspeicherraum auf. Durch ein solches wie das hier dargestellte Retentionssystem mit Speichervolumina von 75 bis 140 l/m2 kann die Verdunstung, aber auch der Überflutungsschutz von Gründächern bedeutend erhöht werden.

Modellierungssoftware STORM für Planungssicherheit Um wasserwirtschaftliche Systeme wie diese sicher am Gebäude umsetzen zu können, werden sie mit Hilfe spezieller Modellierungssoftware (STORM) und darüber erstellter Niederschlags-Abfluss-Modelle geplant. Dieses Vorgehen und die Software ermöglichen neben der Überflutungsprüfung auch eine Berücksichtigung des Bodenwasserhaushaltes in der Substratschicht sowie die Ausweisung einer Wasser­bilanz für das gesamte Objekt. Die Erstellung der Wasserbilanz über ein solches hydrologisches Modell ist notwendig, wenn man die Wiederherstellung der natürlichen Wasserbilanz durch das installierte System nachweisen möchte. Auch, weil Retentionsdächer in der Praxis

Wichtiger Kühlungseffekt für urbane Gebiete Die Regulierung des Wasserhaushaltes auf Retentions­ dächern ist so bedeutend, weil sie einen entscheidenden Einfluss auf das Mikroklima ihres direkten Umfeldes haben kann. Denn die erzeugte Verdunstung, die notwendig ist, um den natürlichen Wasserkreislauf wiederherzustellen, kühlt die Umgebung ab. Der Umgebung wird die für diesen Phasenübergang (von flüssig zu gasförmig) notwendige Energie entzogen. Temperatur ist ein Maß für Energie und so bedeutet der Entzug von Energie zugleich die Verminderung der Umgebungstemperatur. Diese Energie besitzen schließlich die sich nun in der Gasphase befindlichen Wasserteilchen. In diesem Aggregatzustand gespeichert, trägt ihre Energie nicht wieder zu einer Temperaturerhöhung bei, da es sich dabei nun um eine latente Energieform handelt. Außerdem ist der während des Prozesses entstandene Wasserdampf leichter als Luft und gelangt so in höhere Atmosphärenschichten. Folglich wird die Umgebungstemperatur durch den Verdunstungsvorgang gesenkt.

Positive Auswirkungen auf urbane Räume Für diesen Phasenübergang ist eine hohe Energiemenge notwendig: Soll 1 Gramm Wasser bei circa 20 °C Lufttemperatur zur Verdunstung gebracht werden, so sind etwa 2500 Joule dafür notwendig. Das Anlegen von Retentionsräumen, die regulierbar große Regenwassermengen über einen konstanten Zeitraum verdunsten und damit große Mengen an Energie, sprich Temperatur, aufnehmen, kann gerade in urbanen Gebieten als ein effektives Werkzeug genutzt werden, um langfristig und positiv auf das Lokalklima ein- und dem durch den Klimawandel nur noch verstärkten Effekt der „Hitzeinseln“ entgegenzuwirken. Dies gilt besonders für umfangreich bepflanzte Flächen. Eine offene Wasserfläche verdunstet im Vergleich nämlich deutlich weniger als eine gleichgroße Vegetationsfläche, da die Pflanzen eine wesentlich größere verdunstungsfähige Oberfläche besitzen. Mit Hilfe von Retentionsdächern und Vegetation lässt sich Regenwasser also effizient verdunsten.

Neuer Ansatz: Smartes und dynamisches Regenwasser­ management So wirkungsvoll Retentionsdächer in der bisher hier beschriebenen Form für das Regenwassermanagement sind,

Bild 4.  Visualisierter Wasserstand

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Aus der Forschung

stellen sie doch in ihrer Grundform recht statische Systeme dar. Um sie zu optimieren, das System Reten­ tionsgründach flexibler zu machen und so seinen maximalen Effekt zu erreichen, ermöglicht eine innovative Technik des baden-württember­ gischen Anbieters von Dach- und Bauwerks­begrünungssystemen Optigrün nun ihre dynamische und damit intelligente Steuerung. Sämtlicher Niederschlag wird dabei dezentral und dauerhaft zurückgehalten, um das gespeicherte Wasser über die Substrat- und Vegetationsflächen verdunsten zu lassen. Es gelangt nur dann zum Abfluss, wenn ein zu erwartendes Regenereignis mehr Speichervolumen benötigt, als aktuell im Retentionsraum zur Verfügung steht. Durch diesen gezielt erzeugten Abfluss wird im Voraus genau das Speichervolumen geschaffen, das notwendig ist, um das bevorstehende Regen­ ereignis vollständig aufzufangen und zurückzuhalten. Ein Abfluss aus dem Retentionsdach findet durch diese ­gezielte Weise der Drosselung ausschließlich vor einem Regenereignis und damit in ein noch unbelastetes Kanalsystem statt. (Bilder 4 bis 6)

Intelligente Regulierung durch Smart Flow Control Mit dieser Technik werden die bereits zu Anfang erwähnten Ziele des Regenwassermanagements, die Wiederherstellung des natürlichen Wasserhaushaltes und der Überflutungsschutz, klar erreicht. Zwei Ziele, die eigentlich, also wenn keine intelligente Steuerung vorhanden ist, kon­ trär zueinander stehen. Denn soll ein möglichst hoher Verdunstungsanteil erzielt werden, muss auch ein möglichst hoher permanenter Wasseranstau erzeugt werden. Und soll ein möglichst hoher Überflutungsschutz erzielt werden, muss der Wasseranstau wiederum möglichst gering gehalten werden. Diese Gegensätzlichkeiten lassen sich nur durch die Verwendung einer intelligenten Steuerung aufheben und jene Ziele letztlich sogar miteinander verknüpfen. Die für die intelligente Steuerung des Regenwassermanagements auf Retentionsdächern entwickelte Technik ist die Smart Flow Control (SFC) von Optigrün. Das Gerät wird direkt über dem Dachablauf installiert und umschließt

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ihn vollständig, indem ein Motor einen Zylinder mit Dichtlippe auf einen eingedichteten Edelstahlring drückt. Die Regenwasser-Steuerung kann problemlos an allen handelsüblichen Dachabläufen eingesetzt werden. Ihr Motor ist mit einer Steuerung verbunden, die via GSM-Verbindung mit einem Server kommuniziert und von diesem ihre Steuer­befehle erhält. Mit Hilfe eines speziellen Algorithmus werden diese Befehle dann in entsprechende Bewegungen des Motors übersetzt. Datengrundlage für das Steuerungssystem sind Wettervorhersagen, die der Server 48 bis 72 Stunden im Voraus erhält, und die schließlich durch das serverbasierte hydrologische Modell der STORM-Software verarbeitet werden. Für jeden Standort weltweit kann durch diese Methode ein Modell der vorhandenen lokalen Situation berechnet und abgebildet werden. (Bilder 7 und 8)

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nt anageme m r e s s a w Regen e mit Funk

Serverbasierte Steuerung des ­Retentionsspeichers Das serverbasierte Programm STORM ermittelt, welche Regenwassermengen den Retentionsspeicher durch die vorhergesagten Regenereig­ nisse erreichen werden. Diese Prüfung und Berechnung erfolgt nach jeder Rückmeldung des Steuergeräts oder jeder Aktualisierung der Niederschlagsvorhersage erneut. Unter Berücksichtigung des aktuellen Wasserstandes, den ein Sensor misst, wird geprüft, ob das vorhandene Reten­ tionsvolumen ausreicht, um das kommende Regenereignis zurückhalten zu können. Ist dies nicht der Fall, sendet der Server einen Befehl zur Entleerung des Retentionsspeichers an das SFC-Gerät auf dem Dach. Dabei wird immer darauf geachtet, dass möglichst nur so viel Retentionsvolumen wie notwendig geschaffen wird, um den bevorstehenden Niederschlag aufzufangen. Gleichzeitig soll die maximal mögliche Wassermenge auf dem Dach zurückgehalten werden. Diese beschriebenen Prozesse lassen sich dabei sowohl durch das Aus­ lesen der Serverdatenbank als auch über eine eigens dafür entwickelte App beobachten und überprüfen. Die Grundzüge für die Steuerung wurden im Rahmen verschiedener Projekte („Gesteuerte Kleinspeicher“ (2009) und HydroSensor­Web (2010)) gelegt.

versickern

speichern

Speichervolumen

97 %

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Aus der Forschung

Bild 5.  Hochverdichteter urbaner Raum

Bild 7.  STORM Benutzeroberfläche

Sie werden auch in Hochwasserwarnsystemen und diversen Speichersteuerungen im wasserwirtschaftlichen Bereich angewandt.

Bewusstsein für die Bedeutung von Regenwasser­ management steigern

Monitoring für Funktionsfähigkeit und Produktoptimierung Durch das hier aufgeführte Prinzip wird eine optimale Nutzung des vorhandenen Retentionsvolumens erreicht. Die im System integrierten Prozesse sind weitestgehend automatisiert. Dennoch benötigt das Modul ein kontinuierliches Monitoring, welches der Hersteller für seine Kunden übernimmt. Damit ist nicht nur die dauerhafte Funktionsfähigkeit des System gewährleistet, sondern auch eine kontinuierliche Analyse des Produktes selbst, um gegebenenfalls vorhandene Optimierungspotentiale identifizieren zu können. Genau deshalb wird das SFCSystem tagtäglich kontrolliert – auch wenn es bereits selbstüberwachend gestaltet ist und bei eventuell auftretenden Fehlern unmittelbar und automatisiert das Servicepersonal des Herstellers benachrichtigt wird. Der Kunde erhält monatlich einen selbstständig generierten Bericht über die Aktivitäten seines Regenwasser-KontrollSystems. Darin wird unter anderem aufgezeigt, wieviel Wasser zur Verdunstung gelangt ist, wieviel noch zurückgehalten wird oder in den Kanal abgeflossen ist, und welche Effekte, wie z. B. die Verdunstungskühlung, dadurch erreicht werden konnten.

Bild 6.  Screenshot der SFC-App

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Um beispielsweise den Bewohnern eines Gebäudes mit einem solchen intelligenten Regenwassermanagement zeigen zu können, wie sich diese besondere Gründachanlage auf ihren direkten Lebensraum auswirkt, wird ihnen die App der Smart Flow Control kostenfrei zur Verfügung gestellt. Sie erhalten keinen Zugriff auf die Steuerung, können aber alle Werte des Systems beobachten und vergleichen. Das schafft nicht nur einen deutlicheren Bezug zum Regenwassermanagement des eigenen Gebäudes, sondern kann auch insgesamt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema beitragen. Unter anderem mit solchen kleinen, aber durchaus effektiven Maßnahmen soll, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit und eines verantwortungsvollen Umgangs mit den begrenzten Ressourcen unserer Welt, ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung von Regenwassermanagement und seine Notwendigkeit im urbanen Raum geschaffen werden.

Ziele: Maximale Verdunstung, effektive Kühlung und maximaler Überflutungsschutz Dadurch, dass der Retentionsspeicher über Kapillarsäulen mit dem Substrat verbunden ist, wird die Bodenfeuchte und damit der Wasseranteil erhöht, der für die Vegetation verfügbar ist. In Eigen- und Fremduntersuchungen zeigte sich, dass auch extensive Gründächer mit einer Sedum-Vegetation bei ausreichender Bodenfeuchte Verdunstungsleistungen von bis zu 800 mm pro Jahr erreichen (vgl. Feng et al. 2018). Der Grund hierfür liegt in der Fähigkeit der SedumVegetation ihren Stoffwechselzustand von CAM auf C3 (Typisierung von Pflanzenarten nach Photosynthese-Leistung) ändern zu können – allerdings in Abhängigkeit von ihren Umgebungsbedingungen, insbesondere der Bodenfeuchte (vgl. Kuronuma & Watanabe 2017). Durch diesen Effekt gelangen über ein Sedum-Dach mit Retentionsspeicher in einem Sommermonat circa 100 mm zur Verdunstung. Dies reicht aus, um die meistverbauten Retentionsspeicher mit einem Fassungsvermögen von circa 80 l/m2 innerhalb eines Monats zu leeren. Diese Maximierung der Verdunstungsleistung und die damit einhergehende Umgebungskühlung können mit der intelligenten Steuerung über

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Aus der Forschung

Ausblick: Enormes Potential für die Städte der Zukunft Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Bewährt sich die intelligente Steuerung von Retentionsspeichern in der Praxis und werden mehrere Dächer, beispielsweise eines gesamten Stadtquartiers, mit auf diese Weise gesteuerten grünen Retentionsdächern ausgestattet, so könnte dies wesentlich zur Erhöhung der Verdunstung beitragen, und somit zur Wiederherstellung der natürlichen Wasserbilanz, zum Überflutungsschutz und zur Biodiversität des Gebietes – ein deutlicher Gewinn für unsere Städte und urbanen Gebiete.

Literatur

Bild 8.  Schnitt Retentionsdach-Aufbau (Fotos/ Abb.: 1–4, 6 u. 8 Optigrün; 5 pixabay; 7 Optigrün/ Sieker)

die Smart Flow Control erreicht werden. Gleichzeitig wird diese auf Basis der Wetterdaten vorrausschauend gesteuert und bei Bedarf freies Überflutungsvolumen zur Verfügung gestellt – damit wird die optimale Nutzung des vorhandenen Retentionsraumes gewährleistet. Ein weiterer vorteilhafter Effekt, den die so gesteigerte Wasserverfügbarkeit mit sich bringt, ist die deutliche Verbesserung der Biodiversität: Auch andere Pflanzenarten, wie z. B. Stauden oder kleine Sträucher, können problemlos auf den Dächern wachsen und gedeihen. Durch diese Variation in der Flora wird zugleich auch die Fauna vielfältiger, da Vögel, Insekten und Bodentiere hier neuen Lebensraum finden können. So kann besonders in stark bebauten Städten wertvolles Grün geschaffen werden, dass sich in nahezu allen Bereichen positiv auf die Lebensqualität urbaner Gebiete auswirkt.

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Cirkel, D., Voortman, B., ven Veen, T. & Bartholomeus, R. (September 2018). Evaporation from (Blue)Green Roofs: Assessing the Benefits of a Storage and Capillary Irrigation System Based on Measurements and Modeling. water, S. 1–21. DWA-A 102 Niederschlagsbedingte Siedlungsabflüsse – Grundsätze und Anforderungen zum Umgang mit Regenwasser (Entwurf). DWA-Arbeitsblatt 100. Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. DWA-A 138 Planung, Bau und Betrieb von Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser. DWA-Arbeitsblatt 138. Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. Feng, Y., Burian, S. J. & Pardyjak, E. R. (2018). Observation and Estimation of Evapotranspiration from an Irrigated Green Roof in a Rain-Scarce Environment. Water, 10(3), 262. Gesteuerte Kleinspeicher (2009). Gefördert von der Investitions­ bank Land Brandenburg HydroSensorWeb (2010). Integriertes vorhersagegesteuertes Speicher Management und Hochwasserwarnsystem in urbanen Gebieten und kleinen Gewässereinzugsgebieten. Gefördert im Rahmen des INNOWATT-Programms STORM (2018) Programm zur hydrologischen Modellierung. Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker mbH Kuronuma, T. & Watanabe, H. (2017). Photosynthetic and Transpiration Rates of Three Sedum Species Used for Green Roofs. Environmental Control in Biology, 55(3), 137–141.

Dr. Harald Sommer (Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker mbH) M. Eng. Dominik Gößner (Optigrün international AG)

www.sieker.de

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Aus der Forschung

Quantifizierung des Wasserhaushalts von Regenwasserbewirtschaftungs­ maßnahmen Messung und Modellierung von Bilanzgrößen des Wasserhaushalts Städte stehen in Zeiten des Klimawandels, der Urbanisierung sowie des demographischen Wandels zunehmend vor der Herausforderung neuer Systembelastungen. Der Wasser- sowie Energiehaushalt ist durch die Versiegelung von starken Veränderungen betroffen. In Siedlungsgebieten ist von einer Verringerung der Grundwasserneubildung und Verdunstung auszugehen, während Abflussvolumen und Abflussspitzen zunehmen und der Niederschlagsabfluss stark beschleunigt auftritt (Fletcher et al. 2013). Im Sinne einer integralen Entwässerungsplanung ist es das Ziel, den lokalen Wasserhaushalt in hydraulischer sowie stofflicher Hinsicht möglichst wenig zu beeinträchtigen (DWAA 100 2006). In der Vergangenheit wurden für die Berechnung oftmals nur überschlägige Ansätze gewählt, die zusammen mit gemittelten Gebietseigenschaften in die Wasserhaushaltsmodellierung eingingen. Kleinskalige Strukturen, wie die verschiedenen urbanen Vegetationsflächen und Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung (RWB), fanden in nur sehr geringem Maße Abbildung in den Modellen, obwohl die nachhaltige Strategieentwicklung auf dieser Ebene abläuft. Darauf Bezug nehmend gibt der vorliegende Beitrag einen Überblick über die Bilanzierung des Wasserhaushalts von RWB-Maßnahmen auf verschiedenen Betrachtungsebenen. Zu diesem Zweck werden mess- sowie simulationstechnische Daten des BMBF-Verbundvorhabens WaSiG (FKZ 033W040A) (Scherer et al. 2017) heran­ gezogen.

Messungen zum lokalen Wasserhaushalt von Gründächern Im Rahmen des Projektes WaSiG wurde in Münster ein umfangreiches Messprogramm verschiedener Gründächer durchgeführt. Dazu wurden neben einer großtechnischen Gründachversuchsanlage am Fachhochschulzentrum Münster (FHZ 1) mit 80 m2 Fläche, vier halbtechnische Gründachaufbauten mit jeweils 3 m2 Fläche (Gründach Leo 1, 4, 7 und 10) untersucht (Bild 1, Tabelle 1). Die halbtechnischen Versuchsanlagen variieren in Substrathöhe (6 cm, 10 cm und 15 cm) sowie im Substrattyp (Blähtongemisch und Tonziegelgemisch). Alle Gründächer im Messprogramm verfügen über ein Gefälle von 3 %. Die Vegetationsbedeckung besteht aus einer für Extensivbegrünungen typischen Mischung an Sedum Arten mit Kräutern und

Bild 1.  Versuchsanlage „Leo“ im Sommer 2017

Gräsern. Für die Darstellung und Modellierung der hydrologischen Prozesse eines Gründachs werden in WaSiG ­folgende Messgrößen erfasst: Abfluss, Bodenfeuchte, Niederschlag, sowie die verdunstungsrelevanten Parameter Strahlung, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit. Zur Quantifizierung des lokalen Wasserhaushalts von Gründächern für das Jahr 2017 werden die oben beschriebenen fünf Konfigurationen (Leo 1, 4, 7, 10 und FHZ 1) untersucht. Die Ergebnisse sind in Tabelle 2 zusammengetragen. In Summe sind in 2017 insgesamt 814 mm Niederschlag (421 mm im Sommer und 393 mm im Winter) bei einer potentiellen Grasreferenzverdunstung von 656 mm gefallen. Für das Jahr 2017 schwanken die Abflussbeiwerte (ψ = ∑hA/∑hN) in Abhängigkeit der Aufbaustärke zwischen 41 % und 57 %. Für die Sommermonate zeigen sich mit 22 % bis 36 % deutlich kleinere Abflussbeiwerte, die auf die höhere potentielle Verdunstung von 487 mm im Sommer im Vergleich zu 169 mm in den Wintermonaten zurückzuführen sind. Für die Versuchsdächer „Leo“ ergeben sich für die beiden Dächer mit 6 cm Substrat (Leo 1 und 4) und für das Dach mit 10 cm Substrat (Leo 7) vergleichbare Abfluss- und Verdunstungshöhen. Das Dach mit

Tabelle 1.  Systemaufbau der untersuchten halb- und großtechnischen Gründächer

Leo 1

Leo 4

Leo 7

Leo 10

FHZ 1

3

3

3

80

Typ

Extensiv

Vegetation

Sedum-Kräuter-Vegetation

Fläche

(m2)

3

Dachgefälle

(%)

3

Substrathöhe

(cm)

6

6

10

15

6

Mäanderplatte Typ

Floradrain

Mäanderplatte 30

Floradrain

Floradrain

Mäanderplatte 30

Mäanderplatte Höhe

(cm)

2,5

3

2,5

2.5

3

Wasserdurchlässigkeit kf

(mm/min)

≥ 0,6

≥ 0,6

0,6–70

0,6–70

≥ 0,6

Speicherkenndaten

(Vol-%)

> 35

> 35

ca. 40

ca. 40

> 35

Hersteller

Optigrün

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Aus der Forschung Tabelle 2.  Gemessene Niederschlags-, Verdunstungs- und Abflusshöhen sowie resultierende Abflussbeiwerte der Gründächer FHZ 1, Leo 1, 4, 7, 10

2017 ABFLUSS

Sommer*

Winter*

hA (mm)

ψ (%)

hA (mm)

ψ (%)

hA (mm)

ψ (%)

FHZ 1

(6 cm)

467

57 %

150

36 %

316

80 %

Leo 1

(6 cm)

405

50 %

138

33 %

266

68 %

Leo 4

(6 cm)

412

51 %

146

35 %

266

68 %

Leo 7

(10 cm)

398

49 %

130

31 %

269

68 %

Leo 10

(15 cm)

333

41 %

91

22 %

242

62 %

NIEDERSCHLAG

hN (mm)

hN (mm)

hN (mm)

alle

814

421

393

POT. VERDUNSTUNG

ETp (mm)

ETp (mm)

ETp (mm)

alle

656

487

169

*  Sommer entspr. Mai–Oktober, Winter entspr. November–April

einer Substrathöhe von 15 cm (Leo 10) weist etwas geringere Abflüsse und somit zugleich höhere Verdunstungs­ höhen auf. Dieses Verhalten kann einerseits auf das größere Substratvolumen, insbesondere aber auch auf die grö­ ßere verdunstungswirksame Vegeta­tionsoberfläche dieses Gründachaufbaus (vgl. Bild 1) zurückgeführt werden. Im Sommer, der die vegetationsstärkste Zeit aufweist, zeigt sich der Zusammenhang noch etwas ausgeprägter, als im Winter.

Modellierung von Regenwasserbewirtschaftungs­ maßnahmen: Modellkonzept Zur Aufarbeitung von Defiziten innerhalb der Wasserhaushaltsmodellierung von RWB-Maßnahmen wurde im Rahmen von WaSiG der Verdunstungsbaustein SWMM-Urban­ EVA entwickelt, der in das Open-Source-Produkt SWMM (US EPA) eingebunden ist. Dieses ist sowohl für die Simulation von Einzelereignissen, als auch für Langzeitsimula­ tionen einsetzbar und bildet hydrologische und hydrau­ lische Prozesse quantitativ sowie qualitativ ab. Als etabliertes Planungsinstrument kann es die Wasserbilanzgrößen befestigter und unbefestigter Flächen ermitteln (Rossman 2015). Zur Abbildung von Maßnahmen der RWB dient das Modul Low Impact Development (LID), in das auch SWMM-UrbanEVA integriert wird. Bei der Implementierung von SWMM-UrbanEVA bleibt das bestehende Dreischichtsystem des LID (Oberfläche – Boden – Speicher) erhalten. Dadurch wird auch weiterhin sichergestellt, dass die Infiltrations- und Perkolationsprozesse in Abhängigkeit bodenphysikalischer Parameter (u. a. Welkepunkt, Feld­ kapazität, Durchlässigkeitsbeiwert) modelliert werden ­können. Zusätzlich wird ein Vegetations-Layer definiert (Bild 2), dem vegetationsspezifische Eigenschaften zugeordnet werden können. Als zentraler Vegetationsparameter wird der Blattflächenindex (leaf area index, LAI) in das Modell aufgenommen, der mithilfe eines Wachstumsfaktors dynamisch an die vegetative Entwicklung im Jahresgang angepasst werden kann. Anders als zuvor, sieht SWMM-UrbanEVA eine separate Modellierung der Verdunstungskomponenten vor. Die pflanzengebundenen Prozesse Interzeptionsverdunstung (EI) und Transpiration (ET) werden energetisch von der (Boden-)Evaporation (ES) entkoppelt, da davon ausgegangen wird, dass der An-

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Bild 2.  Modellkonzept des Vegetations-Layers innerhalb des bestehenden SWMMBodenmodells, verändert nach (Rossman und Huber 2016)

teil von ES unter der Vegetation vernachlässigbar ist und sie daher nur im unbedeckten Teil stattfindet. Die Interzeption (I) wird entsprechend (Braden 1985) in Abhängigkeit von der Niederschlagsintensität P berechnet. Die Interaktion zwischen Transpiration (ET) und Interzeptions-Verdunstung (EI) wird nach Deardorff (1978) über den Anteil der benetzten Blattoberfläche abgebildet. Demnach erfolgt die Interzeptions-Verdunstung nur vom benetzten Anteil, während die Transpiration von der trockenen Oberfläche aus stattfindet. Die Boden-Evaporation (ES) wird als eine Funktion der relativen Bodenfeuchte definiert. Weitere Informationen zur Modellstruktur werden in Hörnschemeyer et al. (in preparation) veröffentlicht.

Modellkalibrierung/Modellvalidierung Die Modellkalibrierung erfolgt anhand von Messdaten des Drainabflusses des Extensiv-Gründachs am Fachhochschulzentrum (FHZ 1, vgl. Kapitel 2.1). Die Substrathöhe dieses Daches beträgt 6 cm. Zur Kalibrierung werden zehn Niederschlagsereignisse unterschiedlicher Charakteristik herangezogen. In Bild 3 wird exemplarisch ein Niederschlagsereignis zwischen dem 10.08.2017 und dem 12.08.2017 aufgezeigt. Bei einer Dauer von ca. 51 Stunden ergibt sich eine Niederschlagshöhe von hN = 35,8 mm. Die maximale Niederschlagsintensität beträgt 24 mm/h. Die Ergebnisse zeigen, dass das Modell das Abflussverhalten des Gründachs gut abbilden kann. Abflussspitzen werden qualitativ gut abgebildet, während auch die Nachlaufphasen in niederschlagsschwachen Phasen zu erkennen sind.

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Aus der Forschung Tabelle 3.  Niederschlags-, Verdunstungs- und Abflusshöhen (gemessen und simuliert) des Gründachs FHZ 1

Monat –

Niederschlag

potentielle Verdunstung

Abfluss gemessen

Abfluss simuliert

Abweichung

hN

ETp

hA,MESS

hA,SIM

ΔhA

mm/Monat

mm/Monat

mm/Monat

mm/Monat

mm/Monat

%

1

60,4

12,1

48,2

47,0

–1,3

–2,6 %

2

63,8

19,9

52,0

44,3

–7,7

–14,7 %

3

40,6

53,9

29,3

25,7

–3,7

–12,5 %

4

19,6

65,3

0,8

0,0

–0,8

–100,0 %

5

35,3

102,6

2,3

2,0

–0,3

–12,2 %

6

34,8

111,9

0,3

0,0

–0,3

–100,0 %

7

133,6

104,7

44,6

57,8

13,2

29,5 %

8

77,2

84,9

29,2

30,3

1,1

3,8 %

9

79,6

50,2

34,1

38,2

4,2

12,2 %

10

60,1

32,4

39,6

38,5

–1,1

–2,9 %

11

74,4

11,4

65,5

63,1

–2,4

–3,6 %

12

134,3

6,8

120,7

112,7

–8,0

–6,6 %

Summe

813,7

656,1

466,5

459,6

–7,0

–1,5 %

Es ergibt sich eine Nash-Sutcliff-Effizienz E2 = 0,77 sowie eine Überschreitung des gemessenen Abflussvolumens um 11,3 %. Aus der Kalibrierung geht als zentraler vegetationsspezifischer Modellparameter der LAI mit einem Wert von 1,14 hervor. Dies entspricht den Erwartungen für extensive Vegetation (Breuer et al. 2003). Mit ca. 33 Vol-% Speicherkapazität ergibt sich aus dem Modell für das Substrat ein ähnlicher Wert, wie im tatsächlichen Aufbau vorliegend (ca. 35 %). Die für das Jahr 2017 simulierten und gemessenen monatlichen Abflusshöhen (Tabelle 3) lassen einen sehr ähnlichen Verlauf erkennen. Die maximalen Abflusshöhen ergeben sich im niederschlagsreichen und strahlungs­armen Winter. Mit steigender potentieller Verdunstung nimmt das Abflussvolumen ab, bis sie in den gleichzeitig sehr niederschlagsarmen Monaten April bis Juni bei nahezu Null liegt. Eine Ausnahme im Jahresgang bildet der Juli, bei dem auf-

grund der großen Niederschlagsmenge (134 mm) und daraus resultierender Substratsättigung für die Jahreszeit ungewöhnlich viel Drainabfluss auftritt. Die maximale Differenz zwischen den gemessenen und simulierten Werten beträgt 13,2 mm im Juli, was einer Abweichung von 29,5 % entspricht. In allen weiteren Monaten liegt die Differenz zwischen 0,3 und 8,0 mm. Die jährliche Bilanz ergibt eine Differenz von lediglich 7 mm, was einer Volumenabweichung von 1,5 % entspricht. Das für einzelne Ereignisse kalibrierte Modell ist demnach auch für die Langzeitsimulation geeignet und bildet das Verhalten des Gründachs sehr gut ab.

Optimierungsstudie „Hannover-Kronsberg“: Konfiguration Ausgehend von oben beschriebenen Betrachtungen in der Mikroskale sollte in der Praxis der Fokus auch auf Be-

Bild 3.  Gang- sowie Summenlinien des kalibrierten Modells SWMM-UrbanEVA für das Gründach FHZ 1

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Aus der Forschung Tabelle 4.  Flächenzuordnung der Planungsvarianten

Flächentyp Flächenbeläge

Gebäude Grüne Elemente

V01 – Ableitung

V02 – Gründächer

V03 – RWB

m2

m2

m2

Asphalt

1.851

1.851

1.851

Pflaster, dichte Fugen

12.113

12.113

0

Teildurchlässiger Flächenbelag (6–10 % Fugenanteil)

0

0

2.707

Rasengittersteine

0

0

3.416

Flachdach, Dachpappe

5.040

0

0

Gründach, intensiv

0

5.040

5.040

Grünfläche

2.094

2.094

5.728

Laubbaum

0

0

1.010

Mulde

0

0

351

Mulden-Rigolen-System

0

0

1.011

21.097

21.097

21.097

SUMME

trachtungen der Mesoskale liegen. Zur Veranschaulichung der Wirkung von RWB-Maßnahmen auf den lokalen Wasserhaushalt eines Siedlungsgebiets werden deshalb verschiedene Bewirtschaftungsvarianten aufgestellt. Bei dem Referenzgebiet, für das drei Szenarien aufgestellt werden, handelt es sich um eine ca. 2,1 ha große Parzelle innerhalb des Einzugsgebietes „Hannover Kronsberg“. Das Gebiet besteht aus zwei privaten Wohnanlagen sowie den öffentlichen Gehweg- und Straßenflächen. Der Wasserhaushalt des Gebietes im unbebauten Zustand ist mit einem Abflussanteil a von 8 %, einem Grundwasserneubildungsanteil g von 26 % sowie mit 66 % Verdunstung (v) zu beziffern. Folgende Varianten werden im Rahmen der Optimierungsstudie untersucht: a. V01 – Ableitung im Trennsystem Die Niederschlagsabflüsse werden zur Ableitung über das Trennsystem gebracht. Das Einzugsgebiet besteht aus Asphalt, Pflaster (dichte Fugen), Flachdächer (Dachpappe) sowie Grünflächen. b. V02 – Flachdächer mit Intensivbegrünung Die Flachdächer werden durch intensive Gründachaufbauten ersetzt.

c. V03 – intensive Regenwasserbewirtschaftung Neben den Gründächern werden die Wegeflächen an Versickerungsmulden oder Mulden-Rigolen-Systeme angeschlossen. Die öffentlichen Gehwegflächen werden durch teildurchlässige Flächenbeläge (6–10 % Fugenanteil) ersetzt, während auf den privaten Innenhofflächen Rasengittersteine vorgesehen werden. Die Asphaltflächen sowie die Überläufe der RWB sind an die öffentliche Kanalisation angeschlossen. Die Flächenzuordnungen der jeweiligen Varianten sind in Tabelle 4 zusammengetragen. Zur Veranschaulichung dient weiterhin Bild 4. Der Wasserhaushalt der drei Planungsvarianten wird mit dem oben beschriebenen Modell SWMM-UrbanEVA bestimmt. Die Simulation erfolgt für das Jahr 2017 (hN,2017 = 901 mm). In Bild 5 sind die Wasserbilanzen des unbebauten Zustands sowie die der drei Planungsvarianten zusammen­ getragen. Als „worst-case-Szenario“ sind bei der Variante „V01-Ableitung“ infolge des sehr hohen Versiegelungsgrads die Differenzen der Aufteilungswerte zum unbebauten Zustand deutlich ausgeprägt. Der Direktabfluss ist im Ver-

Bild 4.  Übersicht der Flächenaufteilung der drei Planungsvarianten

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Aus der Forschung

Bild 5.  Wasserbilanzen des unbebauten Zustands sowie dreier Planungsvarianten (Foto/Abb.: FH Münster-IWARU)

gleich zum unbebauten Zustand stark erhöht (+52 %). Für die Grundwasserneubildung liegt lediglich eine Abweichung um 5 % vor. Die Verdunstung weist dagegen mit einer Abweichung von 47 % ein deutliches Defizit auf. Die Implementierung von Gründächern auf den bestehenden Flachdächern (V02-Gründächer) erwirkt keine maßgebliche Verbesserung des Wasserhaushalts des gesamten Gebietes. Zwar wird der Abflussanteil um ca. 10 % verringert und die Verdunstung entsprechend gefördert, jedoch liegen die absoluten Abweichungen dieser beiden Komponenten weiterhin bei 36 bis 42 %. Auch wenn das Gründach wie beschrieben den Wasserhaushalt lokal stärkt, ist dies stets im Zusammenhang des Gesamteinzugsgebiets zu betrachten, in dem die Gründächer nur einen geringen Flächenanteil im Verhältnis zu den großen Pflaster- und Asphaltanteilen einnehmen. Das Abflussregime des Planungsgebietes ist demnach weiterhin als stark verändert zu bewerten. Die dritte Variante (V03-RWB) stärkt zielgerichtet die Grundwasserneubildungs- und Verdunstungsprozesse. Mit einer absoluten Abweichung vom unbebauten Zustand von 4 % für den Direktabfluss, ist dem primär angestrebten Retentionsprinzip somit Folge geleistet und an dieser Stelle eine Vorzugsvariante gefunden. Zu optimieren wären jedoch weiterhin die Anteile Grundwasserneubildung (+24 %) sowie Verdunstung (–20 %). Lösungen zur Förderung der Verdunstung könnten beispielsweise die bewusste Erhöhung des Vegetationsanteils oder das An­legen von offenen Wasserflächen sein. Ferner sollte stets eine mögliche Gefahr durch übermäßigem Grundwasseranstieg aufgrund von zu viel Infiltration beachtet werden.

Fazit In zentralen technischen Regelwerken wird das übergeordnete Ziel verankert, die Veränderungen des natürlichen Wasserhaushalts in qualitativer und quantitativer Hinsicht so gering, wie es technisch, ökologisch und wirtschaftlich machbar ist, zu halten (DWA-A 100 2006, DWA-A 102 2016). Im Sinne einer integralen Entwässerungsplanung müssen aus diesem Grund für Siedlungsgebiete nachhaltige Bewirtschaftungsstrategien aufgestellt werden, deren Bausteine RWB-Maßnahmen sein können. Untersuchungen innerhalb des BMBF-Projektes WaSiG haben die Wirkung dieser Module ausführlich untersucht. Folgende Schlussfolgerungen können auf Grundlage der hier beschriebenen Untersuchungen aufgestellt werden:

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–– Gründächer tragen zu einer Minderung des Abflussanteils und somit zu einer Förderung der Verdunstung bei. Die Auswertungen der Abflussmessungen verschiedener Gründachaufbauten ergeben eine Abnahme des Abfluss­ anteils mit zunehmender Aufbaustärke und Vegetationsvolumen. Im Sommer verringert sich der Abflussanteil bei allen Konfigurationen aufgrund hoher Verdunstungs­ raten. –– Mithilfe des entwickelten Verdunstungsbausteins SWMM-UrbanEVA konnte die Wasserhaushaltsmodellierung von RWB-Maßnahmen verbessert werden. Die Modellierung erfolgt dabei zielgerichtet in Abhängigkeit der anstehenden Vegetation, die entscheidenden Einfluss auf die Verdunstungshöhe hat. –– Einzelne RWB-Maßnahmen sind in ihrer Wirkung immer im Kontext des Gesamteinzugsgebiets zu betrachten. Ziel sollte deshalb ein ganzheitliches Gebietskonzept und nicht nur die Umsetzung punktueller Maßnahmen sein. –– Eine flächendeckende Umsetzung von RWB-Maßnahmen geht nicht automatisch mit einer Angleichung an den Wasserhaushalt im unbebauten Zustand einher. Die Planung sollten aus diesem Grund stets auf die örtlichen Gegebenheiten (z. B. Aufteilung a/g/v im unbebauten Zustand, Bodenkennwerte) abgestimmt sein. Einem Defizit im Bereich der Verdunstung, das oftmals trotz flächendeckendem Einsatz von RWB-Maßnahmen zu verzeichnen ist, kann durch einen hohen Vegetationsanteil entgegengewirkt werden. Der bewusste und geschickte Einsatz von Maßnahmen der RWB stellt in Zeiten des Klimawandels einen wichtigen Baustein nachhaltiger Bewirtschaftungskonzepte für Siedlungsgebiete dar. Durch gezielte Förderung von Grundwasserneubildung und Verdunstung kann die Belastung für die siedlungsgeprägten Gewässer gemindert und zeitgleich das lokale Stadtklima verbessert werden. Als Stellschrauben des Wasserhaushalts müssen dabei die Konfigurationsmöglichkeiten der einzelnen Anlagen, insbesondere die vegetative Ausgestaltung, begriffen werden.

Danksagung Ein besonderer Dank gilt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die finanzielle Förderung des Verbundvorhabens „Wasserhaushalt siedlungsgeprägter Gewässer“ (WASIG) (Förderkennzeichen 033W040C). Literatur Braden, H. (1985): Ein Energiehaushalts- und Verdunstungs­ modell für Wasser und Stoffhaushaltsuntersuchungen landwirtschaftlich genutzer Einzugsgebiete. In: Mitteilungen Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft, 42(S), S. 294–299. Breuer, L., Eckhardt, K., und Frede, H.-G. (2003): Plant parameter values for models in temperate climates. In: Ecological Modelling, 169(2–3), S. 237–293. Deardorff, J. W. (1978): Efficient prediction of ground surface temperature and moisture, with inclusion of a layer of vegetation. In: Journal of Geophysical Research, 83(C4), S. 1889. DWA-A 100 (2006): DWA-Regelwerk: Leitlinien der integralen Siedlungsentwässerung (ISiE). Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hrsg.| Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.

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Bauphysik-Kalender 2019 Das Instrumentarium für Entwurf und Bemessung energetischer Konzepte unter Einbeziehung der licht- und wärmedurchlässigen Gebäudehülle sowie der Heizungs- und Klimatechnik, der Beleuchtung und der stromerzeugenden Anlagen liefert DIN V 18599 „Energetische Bewertung von Gebäuden – Berechnung des Nutz-, End- und Primärenergiebedarfs für Heizung, Kühlung, Lüftung, Trinkwarmwasser und Beleuchtung“ Teile 1 bis 12 in der aktuellen Fassung von 2016. Diese Norm ist das Recheninstrument, mit dem alle Bilanzanteile umfassend und mit vertretbarem Aufwand zusammengeführt werden können und die Effizienz eines Gebäudes ganzheitlich bewertet werden kann.

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Aus der Forschung DWA-A 102 (2016): DWA-Regelwerk: Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer (Entwurf, Stand Oktober 2016). Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hrsg.| Hennef. Fletcher, T. D., Andrieu, H., und Hamel, P. (2013): Understanding, management and modelling of urban hydrology and its consequences for receiving waters: A state of the art. In: Advances in Water Resources, 51(0), S. 261–279. Hörnschemeyer, B., Henrichs, M., und Uhl, M. (in preparation): SWMM-UrbanEVA: A Model for the evapotranspiration of urban vegetation. Rossman, L. (2015): Storm Water Management Model User’s Manual Version 5.1. EPA U.S. Environmental Protection Agency, Hrsg.| Cincinnati, Ohia.

Rossman, L. und Huber, W. C. (2016): Storm Water Management Model Reference Manual Volume III – Water Quality. EPA U.S. Environmental Protection Agency, Hrsg.| Cincinnati, Ohia. Scherer, I., Henrichs, M., Uhl, M., Schuetz, T., Weiler, M., Hackenbrock, K., Florenz, K., und Freytag, T. (2017): Planungsinstrumente und Bewirtschaftungskonzepte für den Wasserhaushalt in Siedlungen. In: KW – Korrespondenz Wasserwirtschaft, (4), S. 221–228.

Birgitta Hörnschemeyer, Malte Henrichs, Mathias Uhl www.fh-muenster.de/iwaru

Wasser in der Stadt gemeinsam anders denken und planen Anwendung einer zielorientierten, akzeptanzbasierten Planungsmethode für Stadtumbauvorhaben in Berlin Wie könnten bzw. wie sollten Wasserinfrastrukturen in der Stadt gestaltet sein, um angemessen mit den Folgen des Klimawandels umgehen zu können? Und wie können partizipative Prozesse zu einer zukunftsfähigen Regenwasserbewirtschaftung führen? Welche weiteren Beiträge zur Sicherung der Lebensqualität in Städten lassen sich durch eine veränderten Umgang mit Wasser in der Stadt erzielen? Im Rahmen des Forschungsverbundes netWORKS 4 (resilient netWORKS: Beiträge von Versorgungssystemen zur Klimagerechtigkeit [1]) werden u. a. diese Fragen zur Gestaltung klimagerechter Städte für ein zukunftsfähiges Leben im urbanen Raum und den Beitrag städtischer Wasserinfrastrukturen (z. B. Regenwasser und Grauwasser) in ihrer Wechselwirkung betrachtet. Dabei geht es um Synergien, die durch die Kopplung grau-grün-blauer Infrastrukturen erzielt werden können. Also, wie „graue“ Wasserleitungen, Kanalisationen und zum Beispiel urbanen Gewässern (blau) oder auch Grünflächen und Freiräumen verknüpft werden können. Im Rahmen konkreter Stadtumbau-, bzw. Neubauprojekte in Berlin wurden in partizipativen Planungsworkshops akzeptanzbasierte Maßnahmenvarianten erarbeitet. Dazu wurde der als KURAS-Methode bekannte integrierte Planungsansatz eingesetzt und dabei weiterentwickelt [2, 3]. Erfahrungen mit der Anwendung der Methode insbesondere aus den partizipativen Planungsworkshops und ersten Wirkungsabschätzungen der resultierenden Varianten im Hinblick auf den Wasserhaushalt und Gewässerschutz werden im Folgenden diskutiert.

Das betrachtete Gebiet liegt in einem Stadtumbaugebiet. Ein Grund für die Entscheidung für dieses Quartier lag in der noch frühen Phase der Stadtentwicklung und den gerade erst beginnenden Prozess für eine vorgezogene Bürgerbeteiligung. Eine Grundlage der Planungen ist das integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK), auf deren Basis u. a. die Sanierung, Erneuerung und Erweiterung von Grünund Freiflächen, mit den dazu erforderlichen stadttechnischen Systemen , wie auch die Sanierung und der Neubau

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von Objekten der sozialen Infrastruktur (Kitas und Schulen) erfolgt. Das Stadtumbaugebiet ist durch eine Bebauung vorrangig aus den 1960/1970er-Jahre mit einem hohen Grünflächenanteil gekennzeichnet. Ein Teil des Stadtumbaugebiets ist die geplante neue Wohnbebauung, die als „ökologisch soziales Modellquartier“ in die aktuelle Berliner Koalitionsvereinbarung aufgenommen wurde. Für das Modellquartier erfolgt zurzeit die Überarbeitung der städte­ baulichen Planung im Zuge eines frühzeitigen Beteiligungsverfahrens.

Fokusgebiete In Abstimmung mit den Fachbereichen Stadtplanung und Stadterneuerung des zuständigen Bezirksamtes wurden im Stadtumbaugebiet und dem Neubaugebiet verschiedene „Fokusgebiete“ ausgewählt, in denen Machbarkeitsstudien für gekoppelte Wasserinfrastrukturen entwickelt werden. Die Fokusgebiete sollen sowohl Schwerpunktthemen des Bestandsgebietes als auch des Neubau-Planungsgebietes (Ergänzender Neubau) abdecken und beispielgebend für stadttypische Maßnahmen sein. Orientiert am Bedarf des Landes Berlin wie z. B. der „Berliner Schulbauoffensive“ wurden u. a. Fokusgebiete mit sozialen Infrastrukturen (Kita und Schule) ausgewählt, über die hier vorrangig berichtet wird. So sollen die im Rahmen von netWORKS 4 erarbeiteten Vorschläge für einen veränderten Umgang mit Ressourcen in Schulen und Kitas – Schule als ökologischer Lernort – genutzt werden. Ziel ist die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen im Stadtumbaugebiet im Rahmen des anstehenden Baugeschehens. Gleichzeitig liefern sie eine gezielte Vorgabe im Rahmen möglicher Förderprogramme. Zum anderen wurden Fokusgebiete bestimmt, anhand derer sich die Zusammenhänge von Gebäude, Grundstück und Quartier bearbeiten lassen. Typisch sind Grün- und Freiflächen sowie das Straßenland, für die inte-

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Aus der Forschung

Bild 1.  Arbeiten an der gemeinsamen Vision (Foto: Diana Nenz, Deutsches Institut für Urbanistik, 4.7.2018)

Bild 2.  Gemeinsame Reflexionsrunde (Foto: Jeremy Anterola, Dreiseitl, 4.7.2018)

griert mit den angrenzenden Gebäuden Varianten gekoppelter Wasserinfrastrukturen entwickelt werden.

Ziele und Rahmenbedingungen für die Quartiersentwicklung diskutiert und prioritäre Ziele für den gewählten Transformationsraum abgestimmt. Im Rahmen des Forschungsvorhabens netWORKS 4 wurde als Grundlage dafür eine Übersicht von 14 nicht-monetären Zielen erarbeitet, die die Wirkungsvielfalt gekoppelter Infrastrukturen über die Siedlungswasserwirtschaft hinaus abbilden. Das Koordinierungsteam verständigte sich mit dem Bezirksamt auf sechs prioritäre Ziele: (1) Erlebbarkeit und Identifikation, (2) Umweltbildung, (3) natürlicher Wasserhaushalt, (4) Gewässerschutz, (5) Grundwasserschutz und (6) Erhaltung, Förderung, Verbesserung der biologischen Vielfalt (Bio­ doversität). Eine wichtige Anpassung der KURAS Methode besteht im Fokus auf die qualitativen, nichtmonetären Ziele. Maßnahmenvarianten sollen den potenziell möglichen Mehrwert so umfassend wie möglich darstellen und so konkret als möglich auf die spezifischen Bedürfnisse im Quartier und bei den Nutzern und Eigentümern eingehen. Ein monetärer Vergleich erfolgt – anders als bei der ursprünglichen KURASMethode – erst später zwischen zielführenden Varianten (siehe Punkt 4). In weiteren Treffen wurde das gemeinsame Vorgehen im Beteiligungsverfahren abgestimmt. (3) Partizipative Planungsworkshops: In mehreren 3–4 stündigen Workshops wurden für die verschiedenen Fokusgebiete akzeptanzbasierte Visionen für die Entwicklung der Gebäude und Grundtücke erarbeitet. Dabei wurden auch grundstücksübergreifende Aspekte betrachtet. An diesem Prozess nahmen durchschnittlich 15–20 Akteure aus den unterschiedlichen Fachabteilungen des Bezirks und der Stadt als auch Träger und Eigentümer der Grundstücke teil. Die wichtigsten Ziele der Workshops waren: (i) die Sensibilisierung und Wissensvermittlung über die Potenziale gekoppelter Infrastrukturen, (ii) der Austausch zur Eignung der Ziele, sowie (iii) zu wichtigen Rahmenbedingungen und Hindernissen, und (iv) die gemeinsame Arbeit an Plänen mit Bildern, Stiften und Karten (siehe Bilder). Dafür wurden von netWORKS 4 speziell entwickelte Informationskarten für 20 Maßnahmenbausteine bereitgestellt.

Das interdisziplinäre, transdisziplinäre Koordinierungsteam Ein wichtiger Prozessbestandteil für den praktischen Einsatz der KURAS Methode war die Begleitung und Steuerung durch ein interdisziplinäres Team, welches sich aus Akteuren der Forschung (Deutsches Institut für Urbanistik, Kompetenzzentrum Wasser Berlin, Institut für Sozialökologische Forschung), der Verwaltung (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klima, Bezirksamt Pankow mit seinen Fachabteilungen) und Unternehmen (Berliner Wasserbetrieben) zusammensetzt. Durch die breite fachübergreifende Expertise und gute Vernetzung der Akteure konnte mit diesem Koordinierungsteam schnell und direkt auf Anforderungen und Bedürfnisse, die sich aus dem initiierten Transformationsprozess ergaben, reagiert werden.

Anwendung der KURAS-Methode im Modellquartier Der Praxisprozess gliederte sich bisher in die folgenden Phasen, die fließend ineinandergriffen: (1) Standort- und Problemanalyse: In diesem Analyseschritt hat sich das Team intensiv mit dem Standort selbst aber auch mit den übergeordneten Herausforderungen, die sich beispielsweise aus dem Klimawandel und nötigem Klimaanpassungsmaßnahmen ergeben, befasst. Aufgenommen wurden dabei: (i) die konzeptio­ nellen Grundlagen der integrierten Stadtentwicklung und Planung des Bezirksamtes, (ii) die naturräumlichen Grundlagen wie Bodeneignung, Wasserkreislauf, Naturschutzerfordernisse aber auch (iii) landesweite Ziele und Erfordernisse für die wachsende Metropole Berlin. Mit Unterstützung eines Landschaftsarchitekturbüros (Studio Dreiseitl) wurden diese Informationen aufbereitet und Planungsgrundlagen erarbeitet. (2) Gemeinsame Zielfestlegung: Mit der Entscheidung für das Quartier begann der Kooperationsprozess mit der zuständigen Fachbereichen der zuständigen Bezirksverwaltung. In einem gemeinsamen Auftakt wurden

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Aus der Forschung

(4) Erarbeitung von Machbarkeitsstudien: Basierend auf den Ergebnissen der Workshops werden die identifizierten Maßnahmenkombinationen in gebäude- und freiraumspezifischen Konzepten umgesetzt. Zudem wurden Investitions- und Betriebskosten (inkl. mög­ licher Einsparungs­potenziale im Hinblick auf das in Berlin erhobene Niederschlagswasserentgeld) soweit möglich geschätzt. (5) Abschätzung der kombinierten Effekte: In einem weiteren Schritt werden die potenziellen Wirkungen auf die priorisierten Ziele für das Fokusgebiet bewertet und in die Inhalte der Machbarkeitsstudie aufgenommen. Dieser Schritt kann auch zu Anpassungen in den Varianten führen, z. B. wenn eine Vorgabe nicht eingehalten wird.

Erfahrungen mit der Anwendung der Methode Die Übersetzung des integrativen, zielorientierten Planungsansatzes der KURAS-Methode mit der starken Betonung der partizipativen Elemente hat sich im Umsetzungsprozess bewährt. Die Arbeit mit Visualisierungen und graphisch aufgearbeiteten Karten traf in der Zusammenarbeit auf positive Resonanz. Dadurch konnten unterschiedliche disziplinäre Wissenszugänge und Verständnisschwierig­ keiten im Hinblick auf die Maßnahmenvielfalt überbrückt werden. Darüber hinaus stellte sich deutlich heraus, dass der gemeinsame Lern- und Entscheidungsprozess von einer gewissen Systematik getragen werden muss, um sowohl die Bedürfnisse der Akteure als auch die Anforderungen die an sie gestellt werden (z. B. konkrete Abkopplungsvorgaben), aufzunehmen. Dies spiegelte sich beispielsweise in der Nutzung von Entscheidungsmatrizen wieder, die Entscheidungen nachvollziehbar und transparent gestalten. Der Zugang zu solidem technischen Know-how und die Beantwortung von Umsetzungsfragen war ebenfalls ein wichtiger Beitrag, der unterstützend für die Aufnahme der Bausteine in den weiteren Planungsprozess wirkte. Auch aus dieser Sicht hat sich die Zusammenarbeit im interdisziplinär aufgestellten Koordinierungsteam bewährt. Für zukünftige Anwendungen wird entsprechend die Begleitung des Prozesses durch erfahrene Fachplaner als unabdingbar gesehen. Eine weitere wichtige Funktion des Teams war die richtige Verankerung des Forschungsvorhabens in die laufenden Planungs-

Bild 3.  Abweichung vom natürlichen Wasserhaushalt für ein Projektbeispiel (Kita). Die gelben Balken zeigen den Zustand mit den akzeptanzbasierten gekoppelten Maßnahmen (Modellierung mit WABILA). (Bildquelle: KWB)

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und Beteiligungsprozesse – die Arbeit im „Reallabor“. Dass dies erfolgreich gelungen ist, zeigt sich in der Aufnahme der Bausteine in geplanten Bauvorhaben, für die Stadtumbaumittel beantragt und bewilligt wurden.

Erste Ergebnisse der Bewertung auf den Wasserhaushalt Die mit den Akteuren entwickelten Gestaltungsoptionen für die Kopplung von grau-grün-blauen Infrastrukturen wurden in ihrer Wirkung auf den Wasserhaushalt (Modell: WABILA) und auf Abflussspitzen (Modell: SWMM) modelliert und optimiert. Die Maßnahmenkombinationen erreichen in beiden Projektbeispielen (Kita und Schule) trotz Neubau und teilweiser Neuversiegelung von Pausenbereichen eine vollständige Abkopplung des Regenwassers vom Kanal, wodurch zum einen die Vorgaben zu maximalen Abflussspitzen des Landes Berlins eingehalten werden (Modell SWMM) und zum zweiten die das bisher anfallende Gebühr für Niederschlagswasser vollständig entfällt. Die dynamischen Simulationen einer 60-jährigen Regenreihe mit SWMM zeigen auch, dass über 70 % des von Dachflächen gesammelten Regenwassers als Betriebswasser für Bewässerung und Toilettenspülung wiederverwendet werden kann. Aus Sicht der jährlichen Wasserbilanz erreichen Abfluss (< 1 %) und Grundwasserneubildung durch die gekoppelten Maßnahmen einen naturnahen Zustand (Bild 2). Die Verdunstung bleibt unter der natürlichen Wasserbilanz, was vor allem auf die Nutzung von Regenwasser zurückzuführen ist. Hier zeigt sich beispielhaft ein Zielkonflikt zwischen Wasserbereitstellung/Betriebskosten und natürlichem Wasserhaushalt. In dem Beispiel in Bild 3 wurde ein Kompromiss zwischen Verdunstungsförderung (Dachbegrünung, teilweise Nutzung des gesammelten Regenwassers zur Bewässerung) und Betriebswassernutzung (Deckung von 80 % des Bedarfs für Toilettenspülung im Neubaubereich) erreicht. Das Beispiel unterstreicht die Wichtigkeit der Beschäftigung mit nichtmonetären Projektzielen und der Vielzahl möglicher Maßnahmen, um diese zu erreichen.

Schlussfolgerungen Der Einstieg in diese frühe Planungsphase der Stadtentwicklung erlaubte die erforderliche sektorübergreifende Abstimmung, um die notwendigen Infrastrukturkopplungen zu identifizieren und auszuwählen. Durch die Zusammenarbeit mit den Praxispartnern im Modellquartier wurde deutlich, dass zur Förderung der Umsetzung neuer technischer Lösungen ein komplexer Transformationsprozess unter Einbezug der betroffenen Interessenvertreter (Stakeholder) gestaltet werden muss. Die Beschäftigung mit nicht-monetären Zielen unterstützt diesen Transformationsprozess durch Systematisierung des Vorgehens und durch das Bewusstmachen von Zielkonflikten. Maßnahmenseitig hat sich gezeigt, dass Planungsprozesse durch Stakeholder ohne Hintergrund im Bereich der Wasserinfra­ struktur zu sehr wirksamen Maßnahmenkombinationen aus Sicht des Wasserhaushaltes und der Abflussdynamik führen können. Zusätzlich wird durch die Stakeholder ­sichergestellt, dass weitere wichtige Standortaspekte (im aktuellen Fall z. B. die Umweltbildung oder die Betriebskosten) Berücksichtigung finden. Kritische Punkte der

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KURAS-Methode, wie die hohe Komplexität und die Vermischung von Zielen und Kosten wurden durch die Weiterentwicklung der Methode erfolgreich verbessert bzw. korrigiert. Aufgrund der ersten praktischen Erfahrung wird eine Anwendung des Vorgehens empfohlen, allerdings sollten Iterationsschleifen vorgesehen werden, bei denen Varianten auf Akzeptanz/Zielerreichung geprüft werden.

Ausblick Im nächsten Schritt erfolgt neben der Abschätzung der Effekte aller prioritären Ziele auch eine Bewertung der Wirkung gekoppelter Infrastrukturen mit Blick auf die Steigerung der Lebensqualität im Quartier.

Danksagung Das Forschungsprojekt „netWORKS 4“ wird innerhalb der Fördermaßnahme „Nachhaltige Transformation urbaner Räume“ im Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung“ als Bestandteil des BMBF-Programms „Forschung für nachhaltige Entwicklungen (FONA)“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Den Projektbeteiligten, die nicht direkte Projektpartner im Berliner netWORKS 4 Vorhaben sind, gilt unser Dank für Ihre Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Verfahren und Ihre wertvollen Impulse.

Literatur [1] netWORKS 4: https://networks-group.de/de/networks-4/ das-projekt.html [2] Matzinger, A., Riechel, M., Remy, C., Schwarzmüller, H., Rouault, P., Schmidt, M., Offermann, M., Strehl, C., Nickel, D., Sieker, H., Pallasch, M., Köhler, M., Kaiser, D., Möller, C., Büter, B., Leßmann, D., von Tils, R., Säumel, I., Pille, L., Winkler, A., Bartel, H., Heise, S., Heinzmann, B., Joswig, K., Rehfeld-Klein, M., Reichmann, B. (2017): Zielorientierte Planung von Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung – Ergebnisse des Projektes KURAS. Berlin. Link: http://www. kuras-projekt.de/fileadmin/Dokumenten_Verwaltung/pdf/ 20170428_Leitfaden_Regenwasser_full_final_med_res.pdf [3] Matzinger, A., Rouault, P., Reichmann, B., Trapp, J. (2018) Integrierte Planung von Maßnahmen der Regenwasser­ bewirtschaftung, Anwendung und Weiterentwicklung der „KURAS Methode“ in Berlin. In: Ernst & Sohn Special 2018 – Regenwassermanagement 2018, S. 54–56. http://www. stadtentwicklung.berlin.de/bauen/oekologisches_bauen/ index.shtml

Diana Nenz (Difu), Andreas Matzinger (KWB), Jan Hendrik Trapp (Difu), Brigitte Reichmann (SenSW), Fabian Funke (KWB), Pascale Rouault (KWB), Michel Gunkel (BWB) www.difu.de www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/oekologisches_bauen/index. shtml

Neuer Starkregen-Check für den Kanalbetrieb Forschungsprojekt zur kommunalen Starkregenvorsorge liefert praktische Arbeitshilfen Wenn der Starkregen kommt, müssten die Leute vom Kanalbetrieb überall gleichzeitig sein: ausgefallene Pumpwerke instand setzen, Verklausungen an Rohrdurchlässen reinigen, neuralgische Netzpunkte inspizieren, Zugänge zu Pumpwerken gegen Überflutungen sichern. Damit schon im Vorfeld jeder weiß, was im Ernstfall zu tun ist, wurde in einem NRW-Forschungsprojekt der Starkregen-Check Kanalbetrieb entwickelt. Starkregenereignisse sind recht selten, können aber ex­ treme Auswirkungen haben. Vor allem nimmt die Bedeutung der Oberflächenabflüsse schnell zu. Die dann notwendigen Maßnahmen im Kanalbetrieb sind allerdings wenig vorhersehbar und müssen der Situation im Einzelfall angepasst werden. Hier geht es vorrangig um Krisen­ bewältigung. Schnelles und situationsgerechtes Handeln ist jetzt gefordert. Dabei stehen den Verantwortlichen nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung, die es optimal einzusetzen gilt, um den unterschiedlichsten Situationen zu begegnen. Ein erfolgversprechendes Krisenmanagement bedarf daher einer intensiven Vorbereitung [1, 2, 3].

Störfall- und Notfallplan nach DIN EN 752 Die DIN EN 752 [4] sieht deswegen im Rahmen des inte­ gralen Siedlungsentwässerungsmanagements die Entwicklung eines Maßnahmenplans vor. Dieser soll unter Berücksichtigung zukünftiger Bedingungen die hydraulische, umweltrelevante, bauliche und betriebliche Leistungsfähigkeit des Kanalsystems sicherstellen. Ein Teil dieses Maßnah-

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menplans ist der Störfall- und Notfallplan. Dieser sollte Informationen und Maßnahmen für Krisensituationen enthalten. Als mögliche Zwischenfälle werden in der Norm unter anderem kanalinduzierte Überflutungen, der Ausfall von Pumpenanlagen und Auswirkungen anderer Überflutungsarten auf das System genannt. Nach DIN EN 752 werden als Bestandteile eines solchen Störfall- und Notfallplans empfohlen: –– Organisation des Krisenmanagements –– Einzelheiten für Notfälle –– Geschätzter Zeitaufwand zur Einleitung von Maßnahmen (in allgemeiner Form) –– Liste der zu benachrichtigenden Personen –– Standort der verfügbaren Einsatzmittel (Personal, Fahrzeuge, Ausrüstung, Material) –– Vorgehensweisen (einschließlich Schutz der aufnehmenden Gewässer und Kläranlagen)

Gemeinsam geforscht Ein Arbeitskreis von 13 Abwasserbetrieben aus dem Kommunalen Netzwerk Abwasser (KomNetABWASSER) hat im vergangenen Jahr das Forschungsvorhaben „Umgang mit Starkregenereignissen im Kanalbetrieb“ [5] bearbeitet. Das Ergebnis: ein „Starkregen-Check Kanalbetrieb“, der alle Kanalbetriebe bei der organisatorischen Umsetzung von Maßnahmen, die in einer Krisensituation mit außergewöhnlichem und extremem Starkregen notwendig werden können, unterstützt. Im Forschungsvorhaben wurde ein

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Aus der Forschung

Muster-Störfall- und Notfallplan entwickelt. Die Inhalte und Erläuterungen des Störfall- und Notfallplans orientieren sich an den Empfehlungen der DIN EN 752, aber auch an den im Rahmen des Forschungsvorhabens ausgewerteten Betriebserfahrungen der dreizehn beteiligten Kanal­ betriebe mit Starkregenereignissen sowie den Erfahrungen anderer Abwasserbetriebe aus dem Kommunalen Netzwerk der Abwasserbetriebe. Inhalte aus Umweltalarmplänen der im Forschungsvorhaben beteiligten Kreise und kreisfreien Städte fließen ebenfalls in die Ausarbeitung ein.

Muster-Dokumente für Abwasserbetriebe entwickelt Im Störfall- und Notfallplan werden wichtige organisatorische Abläufe und Zuständigkeiten festgelegt. Beispielsweise könnte bei einem außerhalb der Dienstzeit auftretenden Starkregenereignis geregelt werden, dass Sofortmaßnahmen solange eigenverantwortlich vom Einsatzleiter der jeweiligen Rufbereitschaft geleitet werden, bis dieser die Einsatz­ leitung an einen anderen, zum Beispiel den Leiter Kanal­ betrieb, übergibt. Darüber hinaus werden durch Starkregen und Überflutungen besonders gefährdete Bereiche im Stadtgebiet wie Unterführungen, Rohrdurchlässe, Brücken oder besondere Lagen von Tiefgaragen erhoben und in Plänen gekennzeichnet. Die Identifizierung der gefährdeten Bereiche kann durch Starkregenkarten und gekoppelte hydro­ dynamische Kanalnetzberechnungen unterstützt werden. Liegt ein Störfall- und Notfallplan vor, sind folgerichtig auch die bestehenden Dienst- und Betriebsanweisungen im Hinblick auf die getroffenen Regelungen für den Starkregenfall anzupassen. Darüber hinaus werden allgemeine Gefährdungsbeurteilungen und Gefährdungsbeurteilungen für Betriebspunkte hinsichtlich der möglichen Gefahren bei Stark­ regenereignissen überprüft und wenn nötig optimiert.

Betriebspersonal einbinden Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden in mehreren Kommunen Workshops mit der Leitung des Kanal­ betriebs und dem Betriebspersonal der Kanalunterhaltung durchgeführt (Bild 2). Ziel dieser Termine war es, das Wissen der Mitarbeiter über kritische Punkte im Stadtgebiet bei einem Starkregen zu sammeln und auf dieser Grundlage gemeinsam Prioritätenlisten und Inhalte für Kontrollund Wartungslisten zu erarbeiten. Die Erfahrungen des Kanalbetriebs bilden die Grundlage für den Inhalt von Kontrolllisten und Tourenplänen, um bei entsprechenden Unwetterwarnungen die prekären Betriebspunkte zu kontrollieren und wenn nötig zu reinigen. So werden Sofortmaßnahmen bei Unwetterwarnungen an betriebsinternen Punkten und Bauwerken geplant, bei denen es zum Beispiel in der Vergangenheit schon zu Überflutungen gekommen ist. Hier können Vorsorgemaßnahmen einen großen Nutzen entfalten. Solche Punkt können zum Beispiel sein: –– Ein- und Auslässe –– Unterführungen –– bestimmte Straßeneinläufe, etwa an Tiefpunkten –– Abwasserbauwerke –– Rohrdurchlässe Im Ergebnis werden für die einzelnen Betriebspunkte Risikoanalysen und Vorsorgekonzepte erstellt, insbesondere

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Von Experten lernen: Alles Wichtige zur Starkregenvorsorge vermittelt der fünf­ tägige IKT-Lehrgang.

IKT-Lehrgang vermittelt A und O der Starkregenvorsorge Starkregen kann ohne große Vorwarnung überall auftreten und erhebliche Schäden anrichten. Um im Fall der Fälle das Schlimmste zu verhindern, ist es sinnvoll, wenn Kommunen Vorsorge treffen. Dafür braucht es Mitarbeiterinnen und Mit­ arbeiter, die das koordinieren und den Überblick behalten. Sol­ che Leute bildet das IKT in seinem Lehrgang „Beratung und Management Starkregenvorsorge“ aus. Teilnehmer Florian Ettmüller, Hydro Ingenieure Umwelttechnik GmbH, Krems-Stein, Österreich: „Ganz wichtig war für mich zu lernen, dass Lösungsansätze in diesem Bereich nicht pauschal gegeben werden können, sondern immer individuell an das Problemgebiet angepasst werden müssen.“ IKT-Lehrgang „Beratung und Management Starkregenvorsorge“ 18.–22. November 2019 in Gelsenkirchen Programm und Anmeldung: www.bit.ly/starkregenvorsorge-2019 für Pumpwerke, Drosselbauwerke, Einleitungsstellen und so weiter. Auch für gefährliche Arbeiten im Starkregenfall – wie das Öffnen von Schachtabdeckungen auf überfluteten Straßen oder das Entfernen von Verklausungen vor Rohrdurchlässen – werden Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt und Unterweisungen für das Betriebspersonal erstellt. Die Workshops mit dem Betriebspersonal zum Thema „Starkregen-Check Kanalbetrieb“ haben bei der Umsetzung in die Praxis sehr geholfen. Die Abwasserbetriebe berichteten einhellig von der positiven Sensibilisierung des Betriebspersonals für die präventive Vorsorgestrategie.

Ämterübergreifender Fachaustausch Außerdem hat es sich als sehr hilfreich erwiesen, einen „Runden Tisch“ oder „ämterübergreifenden Fachaustausch“ in der Stadtgemeinschaft zu gründen, bei dem sich die beteiligten Akteure in regelmäßigen Abständen über die Gemeinschaftsaufgabe Starkregenvorsorge austauschen können. Der Abwasserbetrieb kann mit seinem „Stark­ regen-Check Kanalbetrieb“ vorangehen und den Impuls setzen für weitere Starkregen-Checks in der Stadtgemeinschaft, etwa bei der Feuerwehr, dem Ordnungsamt, dem Tiefbauamt, dem Baubetriebshof, dem Straßenbaulast­

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Aus der Forschung

NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Essser überreicht den millionenschweren Förderbescheid an IKT-Geschäftsführer Roland W. Waniek (r.) und den Wissenschaftlichen Leiter des IKT, Prof. Dr.-Ing. Bert Bosseler.

IKT baut Halle mit neuer Starkregen-Prüfanlage Das IKT errichtet einen weltweit einmaligen Prüfstand für Stark­regen und urbane Überflutungen. Mit dem neuen Prüf­ stand wird im Maßstab 1:1 realitätsnah simuliert, wie Regen­ wasser auf Straßen, Wohn- und Gewerbegebieten abfließt. Ziel des Ganzen: Überflutungen durch lokale Starkregen ver­ hindern und Menschen und Gebäude schützen. Die Grund­ steinlegung für die neue Versuchshalle soll in diesem Jahr er­ folgen. Das ca. 11 Mio. € teure Vorhaben wird aus Mitteln des Euro­ päischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser hat persönlich den millionenschweren Förderbescheid überreicht. Lesen Sie mehr: www.bit.ly/starkregen-pruefanlage-ministerin

träger, der Stadtplanung, dem Grünflächenamt und beim Technischen Hilfswerk. Dabei ist darauf zu achten, dass die individuelle Auswahl der Ämter stark abhängig von den Strukturen der Stadtverwaltung ist. Die Erfahrungen im Projekt haben gezeigt, dass es bei der Initialisierung ämterübergreifender Veranstaltungen hilfreich ist, wenn möglichst von der obersten Leitungsebene für den Auftakt eingeladen wird.

Checkliste für Maßnahmen im Kanalbetrieb

und Notfallplänen werden Erreichbarkeiten, auch die Schnittstellen zu anderen Ämtern, identifiziert und schriftlich fixiert. Meldewege und Abläufe werden innerhalb des Kanalbetriebs und in der Gemeinschaftsvorsorge entwickelt und abgestimmt. Das Erstellen von Kontrolllisten für Sofort-Maßnahmen bei Unwetterwarnungen ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil der Vorsorge. Rohrdurchlässe, Sonderbauwerke und ggf. Straßenabläufe, die vor einem Starkregenereignis kontrolliert und bei Bedarf gereinigt werden sollten, werden aufgelistet. Zudem werden Sonderbauwerke im Stadtgebiet priorisiert, um im Starkregenfall schnell und gezielt Maßnahmen ergreifen zu können, den Betrieb bestmöglich aufrechtzuerhalten und das Schadensausmaß so gering wie möglich zu halten. Des Weiteren wird ein verstärkter Bereitschaftsdienst organisiert, damit im Starkregenfall ausreichend Personal zur Bewältigung des Starkregenereignisses verfügbar ist. 2. Maßnahmen bei Unwetterwarnung: Bei einer Unwetterwarnung wird der verstärkte Bereitschaftsdienst aktiviert und koordiniert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Kanalbetrieb und Vorgesetzte aus der Verwaltung werden in Rufbereitschaft versetzt. Der Kanalbetrieb ist somit auch außerhalb der Dienstzeit handlungsfähig und kann geeignete Maßnahmen durchführen. Eine Kontrollliste wird nach der Unwetterwarnung abgearbeitet, die durchgeführten Arbeiten werden dokumentiert. 3. Sofort-Maßnahmen in der Krisenbewältigung: Tritt tatsächlich ein Starkregenereignis ein, so sind auftretende Störfälle zu dokumentieren und nach der Priorisierungsliste einzustufen. Mit dieser Hilfe können schnelle und zielführende Maßnahmen zur Bewältigung der Situation durchgeführt werden. Falls notwendig wird Kontakt zur Einsatzleitstelle gesucht, um möglicherweise auch Hilfseinsätze für die Stadtgemeinschaft durchzuführen. 4. Nachsorge-Maßnahmen: Im Rahmen der Nachsorge werden Störungen der Abwasseranlagen in einem Störfallkataster dokumentiert. Zusätzlich werden weitere Notfälle im Stadtgebiet (z. B. Feuerwehreinsätze) archiviert und auch die Erfahrungen der eingesetzten Mitarbeiter gesammelt. Aufbauend auf der

Um die Arbeit der Abwasserbetriebe zu erleichtern wurde im Forschungsvorhaben die Checkliste „Starkregenma­ nagement im Kanalbetrieb“ entwickelt. Grundlagen für die Checkliste sind unter anderem die durchgeführten Workshops mit dem Betriebspersonal und die Erfahrungen aus den ämterübergreifenden Fachaustauschen. Die Maßnahmen im Kanalbetrieb bei Starkregenereignissen reichen von der Vorsorge über die Bewältigung bis zur Nachsorge und Beratung weiterer Ämter. Nachfolgend werden Beispiele für Maßnahmen und Planungen, die von den Kanalbetrieben umgesetzt werden können, nach den chronologischen Phasen kurz skizziert: 1. Vorbereitende Maßnahmen: Als vorbereitende Maßnahmen dienen insbesondere die Organisation von Abläufen und Meldewegen. In Störfall-

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Bild 1.  Auch bei Starkregen sichert das Betriebspersonal des Abwasserbetriebs die Kanalfunktion.

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Aus der Forschung

wasserbeseitigung vorbereiten, wie beispielsweise Überstau und Überflutungen durch Starkregen. Die Erfahrungen aus dem Forschungsvorhaben zeigen, dass große Anfangserfolge erzielt werden können, wenn ein Stark­ regen-Check für den Kanalbetrieb durchgeführt wird. Die Organisation der (ämterübergreifenden) Erreichbarkeiten, Meldewege und Abläufe in der Starkregenvorsorge sollte zudem in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Organisatorische Abläufe und Ausstattungsmerkmale können stetig verbessert werden.

„In Krisen Köpfe kennen“

Bild 2.  In Workshops mit dem Betriebspersonal wurden individuelle Lösungen erarbeitet.

Dokumentation der geleisteten Maßnahmen und Störfällen im Stadtgebiet wird eine gemeinsame Überprüfung der Vorsorgemaßnahmen durchgeführt und mögliche Optimierungen daraus abgeleitet. 5. Beratende Maßnahmen: Die Beratungskompetenz in andere Dezernate einzubringen ist von wesentlichem Charakter. So werden die Schnittstellen zu anderen Dezernaten überprüft und wichtige Informationen des Kanalbetriebes im stetigen Austausch übermittelt. Dadurch trägt der Kanalbetrieb wesentlich zur kommunalen Überflutungsvorsorge bei. Zu dieser Beratung gehört unter anderem, Betriebserfahrungen über Notwasserwege, Barrieren und Retention im Stadtgebiet zu erfassen und in Listen oder Risikokarten darzustellen. Feuerwehren und Rettungsdienste können mit diesen Daten ihre Rettungswege im Starkregenfall abstimmen. Die Stadtplanung kann die Karten nutzen, um bei Neubauprojekten frühzeitig den notwendigen Überflutungsschutz mit einplanen zu können. Auch der Straßenbaulastträger kann durch den Kanalbetrieb über prekäre Straßenabläufe im Stark­ regenfall informiert werden.

Strategische Umsetzung Verantwortliche und Betriebspersonal aus Abwasserbetrieben sollten sich auf besondere Betriebszustände der Ab-

Da nicht planbar ist, wann und ob überhaupt ein Stark­ regenereignis tatsächlich im Stadtgebiet eintreten wird, empfiehlt sich zur Überprüfung der getroffenen Maßnahmen die Durchführung von Praxis-Übungen im Kanal­ betrieb. Hilfreich zeigte sich im Forschungsprojekt die Durchführung von „Runden Tischen“ aller beteiligten Ämter. Der regelmäßige Austausch hilft bei der Organisation und Abstimmung von Maßnahmen zur Starkregenvorsorge. „In Krisen Köpfe kennen“ – das ist das Credo für eine funktionierende Bewältigung von Starkregenereig­nissen im Stadtgebiet.Die organisatorische Umsetzung erleichtert ein Basic-Manual, das Best-Practice-Beispiele aus der Praxis und Muster-Dokumente enthält und dem StarkregenCheck beigefügt wird. Die aus dem Forschungsprojekt hervorgegangenen Ausarbeitungen sind für alle Kanalbetriebe relevant und wurden deswegen auch vom Umweltministerium des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Der Forschungsbericht und die Arbeitshilfen werden nach Abschluss des Projekts – voraussichtlich im Frühsommer 2019 – frei verfügbar zum Download bereitgestellt: www. komnetabwasser.de und www.lanuv.nrw.de.

Netzwerk für Abwasserbetriebe Im Kommunalen Netzwerk Abwasser (www.komnetabwasser.de) haben sich mehr als 50 Abwassernetzbetreiber vernetzt, um die kommunalen Aufgaben der Abwasserbeseitigung gemeinsam anzugehen und möglichst bürgernah, kostengünstig und im Einklang mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu erfüllen. Arbeitshilfen, Erfahrungen und Wissen werden untereinander geteilt. Die teilnehmenden Kommunen nutzen den Vorteil des Rückhalts in der Gemeinschaft. Im Netzwerk mit anderen Entwässerungsbetrieben sind Entscheidungen und Vorgehensweisen bestmöglich abgesichert. Das KomNetABWASSER wird vom neutralen und unabhängigen IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur organisiert und unterstützt. Mehr über das Netzwerk: www.komnetgew.de Literatur

Bild 3.  Ein ämterübergreifender Fachaustausch zu Fragen der Starkregenvorsorge empfiehlt sich. (Fotos: IKT)

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[1] Salomon, M.; Schlüter, M.: Basic Manual für Kommunen – Konzeption zur Information und Einbindung der Mitar­ beiter im Kanalbetrieb in die organisatorische Umsetzung der Starkregenvorsorge. Kommunales Netzwerk Abwasser www.komnetabwasser.de, erarbeitet durch IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH, gefördert durch Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (MULNV NRW), vsl. 06/2019.

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Aus der Forschung [2] Karutz, H.; Geier, W.; Mitschke, T. (Hrsg.): Bevölkerungsschutz – Notfallvorsorge und Krisenmanagement in Theorie und Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2017. [3] Uth, H.-J. (Hrsg.): Krisenmanagement bei Störfällen – Vorsorge und Abwehr der Gefahren durch chemische Stoffe. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 1994. [4] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN EN 752 „Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden – Kanal­ management“. Deutsche Fassung EN 752:2017. Berlin, Beuth Verlag GmbH, Juli 2017.

[5] Salomon, M.; Schlüter, M.: Umgang mit Starkregenereignissen im Kanalbetrieb – Starkregen-Check Kanalbetrieb. IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH, gefördert durch Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (MULNV NRW), vsl. 06/2019.

Mirko Salomon, M.Sc. und Dipl.-Ing. Marco Schlüter, IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur www.ikt.de

Hochbelastetes Mikroplastik und Gummiabrieb in Straßenabläufen Filtersysteme im Test

Hochbelastete Plastikpartikel von Straßen und Autobahnen gelangen über die Wasserwege in die Meere und in die Nahrungskette, an deren Spitze der Mensch steht. Das Labor für Umweltverfahrenstechnik der Fachhochschule Südwestfalen in Meschede unter der Leitung von Prof. Dr. Ing. Claus Schuster und Andre Gerwens vom Technikum der Enregis GmbH aus Sundern haben sich wissenschaftlich mit dem Problem auseinandergesetzt und zeigen Lösungen auf. Der Eintrag von Mikroplastik in die Umwelt und auch in aquatische Ökosysteme ist in letzter Zeit stark in den Focus von Wissenschaft und Öffentlichkeit gerückt. Dabei wird häufig der sehr langsame Abbau der Plastikpartikel in der Umwelt und als Folge dessen insbesondere ein Eintrag von Mikroplastik in die unterschiedlichsten Nahrungsketten diskutiert. Unter Mikroplastik werden Kunststoffpartikel mit einer Größe von 0,001–5 mm verstanden. Im Detail wird dann weiter zwischen primärem und sekundärem Mikro­ plastik unterschieden. Unter primärem Mikroplastik werden Kunststoffteilchen verstanden, die gezielt hergestellt werden. Sekundäres Mikroplastik entsteht hingegen durch chemische- und physikalische Alterungs- und Zerfallsprozesse (Mitteilung des BFR). Dabei zerfallen dann größere Plastikteilchen nach und nach in immer feinere Mikroplastikpartikel.

Wenn Mikroplastik ins Meer gelangt Gelangen primäre und sekundäre Partikel z. B. über die Wasserwege in die Meere, kann dieser Umstand insbesondere bei Meereslebewesen dazu führen, dass die Plastikteilchen mit Nahrung verwechselt werden, was im schlimmsten Fall zu einem Verschluss des Verdauungstraktes oder zu inneren Verletzungen führen kann. Im weiteren Verlauf

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kann es durch die Aufnahme dieser Partikel zu einer Ak­ kumulation von Mikroplastik in der menschlichen Nahrungskette kommen (Schuhen et al. 2018). Neben dieser Aufnahme von Mikroplastik als Fremdstoff durch die ­Nahrungsaufnahme bestehen weitere Gefahren durch Mi­ kroplastik in den verwendeten Additiven und durch die Adsorptionsfähigkeit von Schadstoffen an den Oberflächen der Plastikpartikel. So können sich Additive, die den Kunststoffen während der Fertigung zugeben werden, in einem Gewässer, aber auch in einem tierischen Verdauungstrakt herauslösen. So gelangen zum Beispiel Phtahalate, welche als Weichmacher z. B. im Werkstoff PVC Verwendung finden, nach der Freisetzung in den natürlichen Kreislauf. Einige dieser Weichmacher stehen im Verdacht, nicht nur eine hormonartige Wirkung zu haben und sind somit als fortpflanzungs- und hoch umweltgefährdend einzuordnen, sondern stehen darüber hinaus auch noch in Verdacht, hochgradig krebserregend zu sein. Nicht zuletzt können sich diese Additive weiter oben in der Nahrungskette akkumulieren mit der Folge einer deutlich höheren Belastung, zum Beispiel im menschlichen Organismus (ARGE Nano 2018).

Erhöhte Schadstoffkonzentration Mikroplastikteile neigen außerdem dazu, dass sich gefähr­ liche Stoffe, wie zum Beispiel PCB, DDT oder auch HCH, durch adsorptive Effekte an den Plastikoberflächen anlagern. Ändern sich nun die Milieubedingungen, zum Beispiel durch Aufnahme in den Verdauungstrakt, so können die zuvor angelagerten Stoffe wieder freigesetzt werden. Dabei entstehen um ein Vielfaches höhere Schadstoffkonzentra­ tionen der Mikroplastikpartikel als im umgebenden Wasser. Darüber hinaus werden neben organischen Schadstoffen an Mikroplastikpartikeln auch höhere Gehalte an Metallen, wie Aluminium, Blei, Chrom, Kupfer und Zink nachgewiesen. Im Vergleich mit natürlichen Sedimenten, die auch zu einer Anreicherung von Metallen neigen, zeigt sich, dass Mikroplastik noch deutlich höhere Schadstoffmengen aufnehmen kann. Da diese aber viel langsamer abgegeben werden, führt dies zu einer deutlich höheren Anreicherung als in natürlichen Sedimenten (Umweltbundesamt 2015). Insbesondere das sekundäre Mikroplastik, welches aufgrund chemischer- und physikalischer Alterungs- und Zerfallsprozesse entsteht, ist für einen Großteil der Mikroplastik Emissionen verantwortlich. Allein in Deutschland werden geschätzt jedes Jahr 364 000 Tonnen Mikroplastik in die Um-

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Aus der Forschung

Bild 1.  Bestimmung absetzbare Stoffe, keine Sedimentation des Reifenabriebs

Bild 2.  Versuchsaufbau in Anlehnung an ÖNORM B 2506-3 mit unterschied­ lichen Substraten

welt freigesetzt. Davon entfallen umgerechnet 33% auf den Kraftfahrzeug- Verkehr (Stiftung Warentest 2018). Dabei zeigen die bisher verfügbaren Daten, dass insbesondere der Abrieb von Reifen für den Eintrag von Mikroplastik aus dem Verkehrssektor auf Straßen und Autobahnen und im weiteren Verlauf in deren Abflusssysteme verantwortlich ist. Wobei die derzeitige Datenlage allerdings noch sehr dünn ist und vermehrt auf Berechnungen als auf experimentellen Untersuchungen basiert (Bertling et al. 2018).

Fragen beantworten Diese Unsicherheiten in der Datenlage und Diskussionen in den Medien sorgen dafür, dass sich auf Seiten der Betreiber von dezentralen Anlagen zur Niederschlagswasser­ behandlung weitergehende Fragestellungen bezüglich des Stoffrückhalts und der Zuverlässigkeit bestehender Systeme im Laufe des Betriebes entwickeln. Um gerade auch solche Fragen, die über den jetzigen Stand der Technik hinaus gehen, zu beantworten, stehen dem Technikum der Enregis GmbH im sauerländischen Sundern eine Vielzahl unterschiedlicher Geräte, Prüfstände und Messmethoden zur Verfügung. Darüber hinaus werden diese Themen in einer Kooperation mit dem Labor für Umweltverfahrenstechnik der Fachhochschule Südwestfalen behandelt und wissenschaftlich untersucht. In der Regel werden Regen-

Bild 3.  Filterkuchen oberhalb des ­Substrates

Bild 4.  Filtersystem ENREGIS/VIVO CRCsorp in einen Einlaufschacht ein­ gesetzt

wasserflächenabflüsse vor Einleitung in ein Gewässer oder in das Grundwasser mittels Absetz- bzw. Sedimentationsanlagen gereinigt. So wurde unter anderem mittels Grundlagenversuchen durch die Fachhochschule ermittelt, in wieweit entsprechende Systeme des Sunderner-Unternehmens prinzipiell dazu geeignet sind, Mikroplastik zurück zu halten. Basis für diese Laboruntersuchungen bildete fein gemahlenes Reifenmehl, da davon auszugehen ist, dass Systeme zur dezentralen Niederschlagswasserbehandlung mit ähnlichen Verschmutzungen – hervorgerufen durch Reifenabrieb – konfrontiert sind. In einem an die DIN 38 409 H 9-2 (siehe Bild 1) angelehnten Test zeigte sich zunächst, dass die verwendeten Reifenpartikel sich nur schwer bzw. kaum benetzen lassen und dass der deutlich überwiegende Anteil, selbst nach einer längeren Kontaktzeit von mehr als 12 Stunden, nicht sedimentiert. Auch eine erneute Durchmischung der Trichterinhalte führte kaum zu einer Ver­ stärkung der Absetzneigung des verwendeten Materials. Einfache Sedimentationsprozesse führen somit nicht zu einem akzeptablen Rückhalt des Reifenabriebs. Nur wenn schwimmstoff- und leichtflüssigkeitsabscheidende Systemkomponenten, wie z. B. beim Enregis/Vivo Pipe System, Bestandteil einer Behandlungsverfahrenstechnik sind, kann von einem ersten, teilweisen Rückhalt in Standard Regenwasserbehandlungsanlagen ausgegangen werden.

Bild 5.  ENREGIS/VIVO TRP mit nachgeschalteter Biofiltrations-Substratmulde (Fotos/Abb.: Enregis)

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Aus der Forschung

Nur Teilrückhalt gefordert Leider wird in den gängigen Regelwerken (DWA M-153, ÖNORM, DIBt Zulassungsgrundsätze) auch für derartig ausgestattete Standard Regenwasserbehandlungen nur ein Teilrückhalt von absetzbaren und abfiltrierbaren Stoffen gefordert und bei der Planung und Projektierung mit Durchgangswerten von bis zu 80 % gerechnet. Zusätzlich wird der Bau von Abschlagsbauwerken und entsprechend vorgeschalteten Rückhalte- und Drosseleinrichtungen in der Praxis oft vernachlässigt, so dass die meisten Anlagen hydraulisch überlastet werden. Dadurch kann es nicht nur zum Durchlass erheblicher Schmutzfrachten kommen, sondern es besteht sogar die zusätzliche Gefahr einer Remobilisierung der zurückgehaltenen Stoffe. Um diesen Umständen entgegenzuwirken, ist eine weitere Behandlungsstufe erforderlich. Diese muss nicht nur die Feinstoffe dauerhaft zurückhalten können, sondern auch dazu in der Lage sein, die im Regenwasser aus den Mikroplastikpartikeln bereits weiter oben aufgezählten, rückgelösten organischen und anorganischen Schadstoffe nachhaltig zu entfernen bzw. zu binden. Hierfür bieten sich Filtersubstrate an, die neben ihren mechanischen Filtereigenschaften auch dazu in der Lage sind, durch Adsorption und Biofiltration gelöste Stoffe aus dem Regenwasser zu binden und langfristig abzubauen.

Wirksamkeit von verschiedenen Filtersubstraten In diesem Zusammenhang wurde die Wirksamkeit verschiedener technischer Filtersubstrate, wie sie unter der Bezeichnung „Enregis/Biocalith“ in den Systemen des Sunderner-Unternehmens zum Einsatz kommen, untersucht (Bild 2). Als Grundlage für den Aufbau und die Durchführung der aktuellen Untersuchungen im Labor wurden verschiedene europäische Normen und Zulassungsgrundsätze herangezogen, wie z. B. die DIBt-Zulassungsgrundsätze für Regenwasserbehandlungsanlagen oder die ÖNORM B 2506-3 „Regenwasser-Sickeranlagen für Abläufe von Dachflächen und befestigten Flächen“. Dabei muss allerdings sichergestellt sein, dass das Reifenmehl nicht aufschwimmt, sondern in den Filterkörpern filtriert bzw. in der Stoffmatrix tatsächlich zurückgehalten wird. Beide verwendeten Substrate zeigten im Test gute Rückhaltewirkungen von teilweise deutlich über 90 % gegenüber dem verwendeten Reifenmehl. Insbesondere beim getesteten Enregis/Biocalith K konnte eine ausgeprägte Filterkuchenbildung beobachtet werden (siehe Bild 3). Bei dem parallel getesteten Enregis/Biocalith MR-F1/-F2 Sub­ strat hingegen war eine deutliche Tiefenfiltration, also eine Abscheidung des Reifenmehls im Filterkörper, festzustellen. Neben dem guten mechanischen Rückhalt der Mikroplastikpartikel kann aufgrund der bereits vorliegenden positiven Erfahrung bezüglich Rückhalt und Elimination gelöster Stoffe in einer Vielzahl anderer Anwendungen auch hier von einem hohen Wirkungsgrad ausgegangen werden. Diese Schlussfolgerung muss im Rahmen der Langzeituntersuchungen bestätigt werden.

wasserbehandlung auch Mikroplastikpartikel und deren Anhaftungen wirksam zurückhalten. Zur schnellen und einfachen Nachrüstung bestehender, oder zur Ausrüstung neuer Einlaufschächte eignet sich zum Beispiel das praxisbewährte und direkt mit einer Substratfilterstufe ausgestattete System Enregis/Vivo CRCsorp, um Mikroplastik wirksam aus dem Niederschlagswasser von Straßenabläufen zu entfernen (Bild 4). Komplexere Flächenanforderungen und besonders hohe Nominalleistungen, z. B. für hochbelastete Straßenund Autobahnflächen, bewältigen bereits heute Enregis/ Vivo TRP Anlagen (Bild 5) in Kombination mit nachgeschalteten Filtersubstratmulden. Die technischen Filtersubstrate gewährleisten die Anlagerung sowie Festsetzung der Feinstpartikel und verhindern gleichzeitig deren Ausschwemmung. Auch nehmen sie durch ihre hohe Adsorptionsfähigkeit und die Biofiltra­ tionsfunktion beim Abbau der angelagerten Stoffe freigesetzte Substanzen auf – eine Eigenschaft, die in diesem Umfang über die aktuellen Anforderungen für eine Zulassung nach DIBt oder auch nach ÖNORM sogar hinaus geht.

Literatur ARGE Nano (2018): Mikro Kunststoffe. Grundlagen und Sachstand. Unter Mitarbeit von Gerhard Ott, Ulrich Wurster und Jürgen Zipperle. Hg. v. LUBW Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg. Online verfügbar unter http://www4.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/254486/?shop=true&shopView=6644, zuletzt geprüft am 08.03.2019. Bertling, Jütrgen; Bertling, Ralf; Harmann Leandra (2018): Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik. Ursachen, Mengen, Umweltschicksale, Wirkung, Lösungsansätze, Empfehlungen. Kurzfassung der Konsortialstudie. Hg. v. UMSICHT. Frauenhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheitsund Energietechnik. Oberhausen. BFR: Fragen und Antworten zu Mikroplastik. FAQ des BFR vom 1. Dezember 2014. Online verfügbar unter https://www.bfr. bund.de/cm/343/fragen-und-antworten-zu-mikroplastik.pdf, zuletzt geprüft am 08.03.2019. Schuhen, Katrin; Sturm, Michael Toni; Kluczka, Sven; Wilde, Axel; Wasser 3.0 / abcr GmbH; Anasysta e.K. (2018): Detektion von Mikroplastik. Hg. v. Analytik News. Online verfügbar unter https://www.analytik-news.de/Fachartikel/Volltext/wasserdreinull1.pdf, zuletzt geprüft am 08.03.2019. Stiftung Warentest (2018): Mikroplastik. Wie gefährlich sind winzige Kunststoffteilchen. Hg. v. Stiftung Warentest. Online verfügbar unter https://www.test.de/Mikroplastik-Wiegefaehrlich-sind-die-winzigen-Kunststoffteilchen-4817845-0/, zuletzt geprüft am 08.03.2019. Umweltbundesamt (2015): Mikroplastik in der Umwelt. Vorkommen, Nachweis und Handlungsbedarf. Unter Mitarbeit von Bettina Liebmann, Heike Brielmann, Holger Heinfellner, Philipp Hohenblum, Sebastian Köppel und Stefan Schaden. Hg. v. Umweltbundesamt GmbH. Wien. Online verfügbar unter http://www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/ publikationen/REP0550.pdf, zuletzt geprüft am 08.03.2019.

Prof. Dr.-Ing. Claus Schuster, Fachhochschule Südwestfalen, Meschede

Die Tests belegen Die durchgeführten und beschriebenen Tests belegen aber bereits jetzt, dass die getesteten Systeme zur Niederschlags-

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