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14. August 2011 ISSN 1436-607X

Magazin der Evangelisch-methodistischen Kirche

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Leben mit Demenz Wissen n

Wie wirkt sich diese Krankheit aus? Seite 8

Alltag n

Wie Betroffene leben. Seite 10

Pflege n

Was Angehรถrigen hilft. Seite 16


2 ::: Editorial

Eine gute Lektüre wünscht Ihnen Michael Putzke

So erreichen Sie uns: Redaktion »unterwegs« Telefon 069 242521-150 E-Mail: unterwegs@emk.de Aboservice: 0711 83000-0

kurz gesagt Für Ärger sorgt der neue Bun-

desfreiwilligendienst (BFD). Angesichts vieler unbesetzter Dienstplätze hat das Bundesministerium für Familie, ­Senioren, Frauen und Jugend nun angekündigt, Plätze des Freiwilligen Sozialen Jahrs (FSJ) nur noch finanziell zu fördern, wenn der Träger für schen Eingreifen der Verjeweils drei FSJ-Stellen auch einten Nationen oder andezwei BFD-Stellen besetzt. rer ausländischer Truppen Die Träger des Freiwilligen führt in die Irre«, sagte der Sozialen Jahres befürchten 47-jährige Agraringenieur. deswegen, dass durch die neuen Förderrichtlinien Spekulationen um den Jüngskünstlich Teilnehmer für den ten Tag sind in den USA Bundesfreiwilligendienst vor dem Hintergrund des ­geworben werden sollen – Ringens um eine Abwenauf Kosten des FSJ. dung des Staatsbankrotts aufgelebt. Auch die GeGeistliche bewerten kann man schäfte mit Endzeitliteratur auf der Internetseite »Hirflorieren. tenbarometer.de«. Unter dem Motto »Auch Gott Eine kirchliche Erfolgs­ geschichte ist der Chrisbraucht Feedback« ging das kommerzielle Bewertungstus-Pavillion im thüringiportal für evangelische und schen Ort Volkenroda. katholische Geistliche vor Rund 40.000 Menschen wenigen Monaten online. besuchen ihn jedes Jahr. Dahinter stecken JungunterSeit 2001 nutzen die Jesusnehmer aus Karlsruhe. Einer Bruderschaft und die mitvon ihnen ist Andreas Hahn. teldeutsche Landeskirche »Die Idee von Hirtenbarodas ehemalige Kirchengemeter ist, dass auch pastorabäude der Weltausstellung le Arbeit Qualität haben EXPO 2000 in Hannover soll«, sagt er. Deshalb wolle für Gottesdienste, Festivals die Seite einen Dialog darüTagungen und Konzerte. ber ermöglichen, was gut Auch das Bundesjugendlaufe und was nicht. In den treffen der EmK fand in Kategorien Gottesdienst, diesem Jahr dort statt. Glaubwürdigkeit, Am Puls Manchmal beobachtet der der Zeit, Jugend- und Senioam Pavillon tätige Pfarrer renarbeit können Nutzer bis Albrecht Schödl sogar zu sechs Punkte vergeben. Brautpaare, die von weither kommen, um sich vor Gegen einsatz Von Militär in dem Gebäude fotografieren Somalia hat sich der neue zu lassen. Kirchlich geheiLeiter der Diakonie Katas­ ratet haben sie nicht. Aber trophenhilfe, Martin ­Kessler das moderne Gotteshaus ausgesprochen. »Die Fordebegeistert auch die Kirrung nach einem militärichenfernen. epd/idea/lassiwe

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Titelfoto: Claus Arnold; Foto Hand: Christoph Püschner

Das Schweigen ist gebrochen. Immer mehr Menschen sprechen über Demenz. Der Schriftsteller Arno Geiger zum Beispiel beschreibt in seinem Buch »Der alte König in seinem Exil«, wie die Alzheimer-Erkrankung die Persönlichkeit seines Vaters veränderte. Es war für ihn ein schmerzlicher Prozess, mitzuerleben, »wie die Sprache aus ihm heraus sickerte«. Kein Wunder, dass wir diese Krankheit fürchten. Sie führt dazu, dass Menschen sich auch in ihrer gewohnten Umgebung nicht mehr Zuhause fühlen. Sie drohen, im eigenen Leben heimatlos zu werden. Diese Krankheit ist eine große Herausforderung – gerade auch für die Angehörigen. Sie müssen erleben, wie der Abstand zum Erkrankten immer größer wird. Frauen verstehen ihren Ehemann nicht mehr, Kinder ihre Eltern und umgekehrt. Deswegen müssen wir darüber reden, denn an Demenz Erkrankte und deren Angehörige brauchen Unterstützung. Wir haben in dieser Ausgabe von »unterwegs« viele Informationen zusammengetragen. Was eigentlich ist Demenz? Was erleben die Betroffenen und die Angehörigen? Kann man Demenz therapieren? Wie sind Gemeinden gefordert? Wir hoffen, dass Ihnen all das weiterhilft. Denn eines ist klar: Die Demenz kann man nicht wegschweigen. Wir müssen reden.


Titelthema: Leben mit Demenz ::: 3

Noch ein Tänzchen gegen das Vergessen Tanzen tut gut – das ist sogar wissenschaftlich bewiesen: Durch die Bewegung werden verschiedene Bereiche des Gehirns aktiviert. Das kann auch Alzheimerpatienten helfen. Einrichtungen für Betroffene machen sich dies zu Nutze und bitten Demente zum Tanz. Renate Haller hat eine Tanzgruppe für Demente und ihre Angehörigen in Wiesbaden besucht.

fotos: Evangelische Sonntags-Zeitung

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ie meisten Gäste haben sich hübsch gemacht. Eine ältere Dame trägt einen breitkrempigen, hellen Sommerhut, eine andere hat reichlich Schmuck angelegt. Zum Tanz-Café des Diakonischen Werks in Wiesbaden sind rund 30 Frauen und Männer gekommen – die Frauen sind etwas in der Überzahl. Organisiert wird das Tanz-Café vor allem für Menschen mit Demenz und deren Angehörige; willkommen sind aber auch alle anderen, die sich im Takt alter Schlager bewegen wollen. Es ist heiß an diesem Samstagnachmittag. An der Rückseite des großen Saals, den der Wiesbadener Tanz-Club Blau-Orange zur Verfügung gestellt hat, ist eine große Tür geöffnet. Ein älteres Paar dreht dort seine ruhigen Runden zu dem Schlager »Tulpen aus Amsterdam« aus den 1950er Jahren. Eine Drei-MannCombo, bestückt mit Schifferklavier, Trompete und Gitarre, spielt den Evergreen. An der hohen Decke

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hängen orangefarbene und blaue Luftballons. Maria und Waldemar Heck sitzen noch beim Kaffee an einem der langen Tische. Das Paar kommt gerade vom Mittagstisch der Alzheimer Gesellschaft, der monatlich angeboten wird. »Ich bin dankbar für jedes Angebot«, sagt Maria Heck. Ihr Mann ist seit drei Jahren dement. Sie kümmert sich rund um die Uhr um ihn und ist froh, wenn sie sich mit anderen Betroffenen austauschen kann. Denn eigentlich, sagt die 71-Jährige, sei es in ihrer Partnerschaft schon ziemlich ruhig geworden. Bei den Treffen mit anderen Betroffenen aber »gibt es keine Hemmungen«.

Melodie und Rhythmus bleiben im Gedächtnis Alle haben ähnliche Probleme und Verständnis füreinander. Beim Tanz-Café ist das Ehepaar Heck zum zweiten Mal. »Ich hätte nie gedacht, dass mein Mann und ich noch einmal miteinander tanzen werden«,


4 ::: Titelthema: Leben mit Demenz

sagt Maria Heck und hat dabei Tränen der Rührung und auch der Freude in den Augen. Ihr Mann vergisst zwar, welcher Tag heute ist, ob er sich am Morgen rasiert hat und dass seine Schulzeit schon lange hinter ihm liegt, aber Tanzen kann der 88-Jährige noch immer. »Die Füße laufen einfach los«, erklärt das die Gerontologin Ursula Frühauf vom Diakonischen Werk. Melodie und Rhythmus vergesse man auch durch eine Altersdemenz nicht. Vertraute Klänge weckten Erinnerungen und könnten Geborgenheit geben, wo ansonsten häufig Desorientierung dominiert. Auf der Tanzfläche hat sich inzwischen eine Polonaise gebildet. Dem Alter angemessen langsam, aber dennoch fröhlich zieht die Schlange durch den Saal. Die Menschen wiegen sich im Rhythmus der Musik und lachen miteinander. Wer noch sitzt, wird zum Mitmachen aufgefordert, nachhaltig genötigt aber wird niemand. »Die Menschen sollen Spaß haben und sich wohl fühlen«, betont Frühauf.

Auch Rock ‘n‘ Roll geht noch Tanzen für Menschen mit Demenz wird seit einigen Jahren in vielen Städten angeboten. Stefan Kleinstück vom Demenz-Servicezentrum Nordrhein-Westfalen in Köln nimmt für seine Einrichtung in Anspruch, die erste gewesen zu sein, die Tanzveranstaltungen regelmäßig und vor allem öffentlich angeboten hat. »Wir wollen Demenz doch enttabuisieren, deshalb muss das einfach in der Öffentlichkeit passieren«, sagt Kleinstück. Seit dem Welt-Alzheimertag im September 2007 bittet das Demenz-Servicezentrum gemeinsam mit einer Tanzschule monatlich zum

Tanz. Alzheimerkranke verlieren ihr kognitives Gedächtnis, die sinnliche Wahrnehmung aber bleibe erhalten, sagt der Krankenpfleger, Sozialarbeiter und Betriebswirt Kleinstück. Sie spürten es, ob sie etwa im umgeräumten Speisesaal des Seniorenheims tanzen oder in einer neuen Umgebung. Etwa 30 bis 40 Besucher, so Kleinstück, drehen sich in Köln regelmäßig zu den Klängen alter Schlager. Tanzlehrer Hans-Georg Stallnig hat für diese Nachmittage ein spezielles Programm entwickelt. Los geht es immer mit einem Walzer, gefolgt von Swing, Step und Rock ’n’ Roll. Dazu gebe es ein Schlager-Quiz. Wer dabei am erfolgreichsten ist, sagt Kleinstück, wird von Stallnig zu einem Rock ’n’ Roll auf die Tanzfläche gebeten. Mit einem Tanzkurs sind die Veranstaltungen dennoch nicht zu verwechseln. Zwar werden auch immer wieder einfache Schrittfolgen gezeigt, im Wesentlichen aber tanzen die Besucher die Schritte, die sie in früheren Jahren abgespeichert haben. Denn wer in jungen Jahren keinen Spaß am Tanzen hatte, wird es im Alter wohl nur in Ausnahmefällen versuchen.

Raus aus der Isolation In Wiesbaden sitzt Herbert Küttner an einem der langen Tische. Der 81-Jährige verschnauft ein wenig und sieht zu, wie seine Frau Lieselotte mit Tanja Kadesch tanzt, eine der Ehrenamtlichen, die für das Diakonische Werk wöchentlich eine Nachmittagsbetreuung für Demente anbieten. Die 86-jährige Lieselotte lächelt, hält die junge Betreuerin an beiden Händen und dreht sich mit kleinen Schritten im Kreis. »Früher haben wir viel getanzt«, erinnert sich Herbert Küttner,

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Titelthema: Leben mit Demenz ::: 5

Durch den Tanz

»jetzt freuen wir uns über diese Gelegenheit.« Er betreut seine kranke Frau seit zehn Jahren. Was früher war, das weiß sie sehr gut, was erst kürzlich geschehen ist, bleibt in ihrem Gedächtnis nicht mehr haften. Auch Herbert Küttner ist 24 Stunden am Tag für seine Frau da. Die kurze Abwechslung beim Tanz-Café genießt er und ist sicher, dass auch seine Frau sie mag. Ein Blick in ihr entspanntes Gesicht bestätigt seine Worte. Kranke und Angehörige sollen gemeinsam schöne Erlebnisse haben, betont Ursula Frühauf. Vor allem die Angehörigen könnten ihre kranken Partner – wenigstens für kurze Zeit – einmal nicht als Belastung empfinden, sondern entdecken, dass es noch etwas gibt, was sie gemeinsam erleben können, erklärt die Gerontologin. Durch die Krankheit ihrer Partner leben viele gesunde Angehörige sozial isoliert. Gesellschaftliche Aktivitäten werden nicht mehr angenommen, Scham über den Zustand des Partners oder Überforderung durch die Betreuung fesseln sie an das eigene Wohnzimmer. Beim Tanz-Café, so Frühauf, kann das aufgehoben werden. Die Angehörigen könnten Kontakte zu anderen Betroffenen knüpfen und gemeinsam mit ihren Partnern ein wenig Gemeinschaft in unbeschwerter Atmosphäre erleben. Denn ebenso wie sich die Anspannung der Angehörigen auf die Kranken übertrage, spürten diese auch die Entspannung. Deshalb soll es in den kommenden Jahren mehr Tanzveranstaltungen geben. Der Spaß steht auch in Köln im Vordergrund. Zwar aktiviert die Kombination von Bewegung, Emotion

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und geistiger Tätigkeit verschiedene Hirnregionen und knüpfen kann das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen, ­Menschen aber vor allem müssen sich die Tanzenden wohl füh- ­Kontakte len. Ansonsten, sagt Stefan Kleinstück, werden keine positiven Gefühle geweckt. Tanzen fordert viele Kompetenzen, sagt Hans Gutzmann, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Krankenhaus Hedwigshöhe in Berlin. Das reiche von der sozialen Interaktion bis zum Trainieren des Gleichgewichts. Wer gut im Gleichgewicht sei, stürze auch weniger – ein weiterer Vorteil des Tanzens. Generell sei die Verzögerung des Krankheitsverlaufs zurzeit noch das Ziel bei der Alzheimertherapie. Und das sei mit Tanzen durchaus möglich, fügt Gutzmann hinzu. Von einem positiven Stimulationseffekt durch langsamen Walzer und Co. werde wissenschaftlich gesehen inzwischen ausgegangen. Maria Heck ist selig. Fröhlich steht sie mit ihrem Mann am Tisch und schunkelt gemeinsam mit ihm und anderen Gästen zum Ohrwurm »Auf der Reeperbahn nachts um halb eins«. »Heute Abend sind wir sicher kaputt«, sagt sie lachend, »aber das macht gar nichts.«

Renate Haller ist Redakteurin der »Evangelischen Sonntags-Zeitung« in Frankfurt am Main.


6 ::: Titelthema: Leben mit Demenz

Aktuelle Modellprojekte: Bewegung hilft bei Demenz Demenz schränkt das Leben massiv ein. Betroffene erleiden deutliche Begrenzungen ihrer Beweglichkeit und zeigen ein extrem hohes Sturzrisiko. In Heidelberg wurde geforscht, was für ein Training hilft. Der Heidelberger Sportwissenschaftler und Biologe Klaus Hauer zeigt auf, wie geistige und körperliche Fähigkeiten zusammen trainiert werden können.

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ine Untersuchung in Heidelberg zeigte beachtenswerte Erfolge bei leicht bis mittelschwer an Demenz erkrankten Patienten. In einer der weltweit größten Untersuchungen in diesem Forschungsbereich konnte durch ein intensives, dreimonatiges Training eine Steigerung von 30 bis 50 Prozent an Kraft und motorischen Fähigkeiten wie Gehen und Aufstehen erzielt werden. Die Psyche und die Fähigkeiten der Wahrnehmung der Umwelt wurden durch das körperliche Training wesentlich verbessert, was auch in der Nachbeobachtungsphase noch anhielt.

Spezielles Training hilft Besondere Bedeutung für den Erfolg hatte ein Trainingsansatz, der speziell auf die Demenzkranken abgestimmt war. Die Ergebnisse dieser Studie weisen daraufhin, dass auch Demenzkranke wirkungsvoll behandelt werden können. Auffällig sind die Verbesserungen in den Fertigkeiten Wahrnehmung, die typisch für demenziell Erkrankte sind. Hier sind vor allem Fähigkeiten zu nennen, zwei verschiedene Aufgaben im Blick zu behalten und auszuführen. Solche Defizite treten im Krankheitsverlauf früh auf und verringern wichtige motorische Fähigkeiten wie zum Beispiel Gehen drastisch um bis zu 50 Prozent. Das schränkt den ­Alltag

Zur Person Privatdozent Dr. Klaus Hauer ist Leiter der ­Forschungsabteilung am BethanienKrankenhaus/ Geriatrisches Zentrum am Klinikum der Universität Heidelberg. Für seine wegweisenden Arbeiten im ­Bereich der medizinischen Versorgung älterer Menschen ist er mehrfach ­ausgezeichnet worden. www.bewegung-bei-demenz.de

Forschungen ergaben, dass auch Bewegungs- und Krafttraining Foto: KLaus Hauer Demenz-Patienten helfen.

von Demenzkranken massiv ein und führt zu einer hohen Sturzgefährdung. Das erfolgreiche Training dieser Leistungen, die bislang als nicht trainierbar galten, stellt einen wichtigen Schritt dar. Geistige und körperliche Fähigkeiten werden zusammen trainiert. Die Forschungsergebnisse werden derzeit in die Praxis überprüft. Bislang existieren kaum Richtlinien zum Training bei Demenz-Patienten und zur Ausbildung von Trainern. Langfristiges Ziel ist die Etablierung eines demenz-spezifischen Trainingsangebots in der Übungsleiterausbildung auf nationaler Ebene, wie auch in Ausbildungseinrichtungen der Pflege und Therapie. Um ein Heimtraining zu ermöglichen, wurde von der Forschungsgruppe am Bethanien-Krankenhaus ein Internetportal zum Thema »körperliches Training – Aktivierung bei demenzieller Erkrankung« entwickelt und eröffnet, welches eine kostenfreie, animierte Trainingsanleitung, Selbsttests zur motorischen Leistung, Hintergrundinformationen und Querverweise zum Thema Demenz anbietet.

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foto: York schön

Dennoch ist vor Gott keiner vergessen. Lukas 12,6

Titelthema: Leben Wort mit auf Demenz den Weg ::: 7

Gott erinnert sich an jeden Menschen

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nsere Freundin ist spastisch gelähmt und kann innert man sich noch an eine Reise, aber die Einzelsich seit Jahrzehnten nur im Rollstuhl fortbe- heiten sind durch das durchlässige Netz des löcherigen wegen. Dazu ist ihr Sprechen schwer verständ- Gedächtnisses gefallen. Was man Böses getan und verlich. Während des Dritten Reiches versuchten die Na- ursacht hat, vergisst man am liebsten. Auch der Alltag zis, sie nach Grafeneck zu bringen. Dort wollten sie ist vom Vergessen betroffen. Als Kind schon warfen das Mädchen als »lebensunwertes Leben« ermorden. mir meine Eltern Vergesslichkeit vor. Sie hat sich bis Sie nannten das beschönigend »Euthanasie, was auf heute gehalten. Ich glaube nicht, dass sich diese unanDeutsch so viel heißt wie »schöner Tod«. Der Vater des genehme Eigenschaft noch einmal verbessert. Ganz im Kindes ahnte, was ihr dort bevorstand. Standhaft wei- Gegenteil. Spätestens im Sterben werde ich alles vergerte er sich, dies zuzulassen und zog es vor, seine gessen, was ich je erlebt habe, im Guten wie im Bösen. Tochter in einem primitiven Handwagen durch das Man kann den Tod als das radikale Vergessen auffasDorf zu ziehen. Auf diese Weise blieb sie vor der Tö- sen, das alle Menschen einmal trifft. Irgendwann tungsmaschinerie des Nazi-Terrors schweigt die Erinnerung vollständig. bewahrt und überlebte das »Dritte Doch auch hier greift die BotIn Gottes Gedächtnis schaft, dass vor Gott keiner vergessen Reich«. Heute wohnt sie in einem Heim in sind wir eingebrannt – ist. »Kann auch eine Mutter ihr Kindder Nähe von Stuttgart. Auf dem lein vergessen, dass sie sich nicht erauf ewig. Grundstück dieses Heimes befindet barme über den Sohn ihres Leibes? sich ein Denkmal. Es ist ein v-förmig Und ob sie desselben vergäße, so will gespaltener Granitblock. In den Spalt sind Glasschei- ich doch deiner nicht vergessen« (Jesaja 49,15). Dies ben eingelassen, auf denen die Namen vieler ermorde- ist zum Volk Israel gesagt; aber im Licht des Neuen ter Menschen mit Behinderungen und ihr Geburts- Testamentes ist es gerechtfertigt, es auf jedes einzelne und Sterbedatum eingeschrieben sind. Es ist ein zu- Leben zu beziehen. Wenn wir uns selbst vergessen, tiefst bewegender Anblick. Unsere Freundin bat uns, wenn andere uns vergessen, wenn wir einer völligen die Rückseite des Denkmals zu betrachten. Dort war Vergessenheit anheimfallen – in Gottes Gedächtnis ein Stein in den Boden eingelassen mit der Aufschrift: sind wir eingebrannt auf ewig, mit unserer Freude, mit »Dennoch ist vor Gott keiner vergessen.« Das war unserer Trauer, unserer Gerechtigkeit und unserer wohl der bewegendste Augenblick unseres Besuches. Schuld. Gott ruft uns aus dem Grabe, und alles wird Ich fragte unsere Freundin, ob sie den Spruch ausge- wieder lebendig, was wir vergessen haben, unser ganwählt habe. Sie nickte unter Tränen. Niemand ist ver- zes Tun und Erleben. Und alles, was wir getan und ergessen, die Opfer nicht, und die Täter auch nicht. Gott lebt haben, wird versöhnt sein in und durch Jesus bewahrt ewig in seinem Gedächtnis auf, wer unter Christus. wem gelitten hat. Er vergisst niemanden.

Irgendwann schweigt unsere Erinnerung Menschen hingegen vergessen manchmal allzu leicht. Vielleicht kennt man noch Namen, aber die Gesichter dazu nicht mehr. Vielleicht kennt man noch die Gesichter, aber die Namen sind vergessen. Vielleicht er-

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Diederich Lüken ist Pastor in Stuttgart-Bad Cannstatt.


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Wind, Sonne und Meer. Am Falcken­steiner­ Strand kann man ­hervorragend Wassersport treiben.

Was zunächst mit Pastor Eberhard Loos und einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern als Kanufreizeiten an wechselnden Orten in ganz Europa anfing, hat seit 1989 einen festen Standort am Falckensteiner Strand bei Kiel gefunden: Die EmKWassersportfreunde.

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inen perfekten Urlaub kann man am Falckensteiner Strand erleben, sagt Sven Johannsen, der Vorsitzende der Wassersportfreunde der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK). Direkt an der Kieler Förde bieten sie schon seit 23 Jahren sechs Wochen lang verschiedene Wassersportfreizeiten an. Über 170 Teilnehmende, in bis zu vier verschiedenen Freizeiten erleben hier jedes Jahr den perfekten Urlaub. Familien, Kinder und Jugendliche wachen jeden Morgen

mit dem Rauschen der Wellen auf, hören und erleben Geschichten von Gott, unternehmen spannende Exkursionen und erlernen neue Wassersportarten wie Kajak fahren, segeln oder surfen. Der Zeltplatz liegt direkt am Strand und bietet genau die richtige Mischung aus Natur, Meer und Zeltplatz. Ziel der Arbeit ist es, Menschen mit der Liebe Gottes vertraut zu machen. Die Wassersportfreunde haben entdeckt, dass sich christliche Inhalte ideal mit dem Erlebnis Wassersport verbinden lassen: Teamwork, Selbsterfahrung, Spaß und das Übernehmen von Verantwortung vermitteln und vertiefen die Botschaft von Gottesliebe und Nächstenliebe. Durch die ehrenamtliche Arbeit der über 80 Mitarbeitenden, die nicht nur ihre Ferien spenden, ist

diese Arbeit über das gesamte Jahr und in der Saison erst möglich. Auch die vielen Gebete und Geldspenden des Freundes- und des neuen Förderkreises sind eine große Unterstützung. Die Wassersportfreunde setzen auf gut geschultes Personal und hohe Qualität im Wassersport. So gibt es eine eigene Wasserwacht mit ausgebildeten Rettungsschwimmern. Ausbildungen wie JuLeiCa (Jugendleitercard) und Fortbildungen in den verschiedensten Bereichen werden nicht nur auf den Vorbereitungstreffen angeboten, sondern bilden ein ganz neues Freizeitangebot. Aber Exkursionen rund um Kiel, Fahrradtouren, Geländespiele, Beachpartys oder andere typische Zeltlagerangebote runden das Angebot ab. www.wassersportcamp.de

Foto: privat

Mit dem Rauschen der Wellen aufwachen


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persönlich Au f geno mmen Altdorf ::: am 24. Juli Judith Hermann (25) und Dr. Stefanie Saleth (41). Berlin-Friedenau/Schöneberg ::: am 24. Juli Kyung Suk Weber (62). Bodelshausen ::: am 24. Juli Monica Bohland, Jürgen ­Bohland, Ilse Zolg, Christoph Zolg und Michael Binder. Crottendorf ::: am 12. Juni Josefine Geng (23). Dusslingen ::: am 17. Juli Tobias Jäger und Valentin Grau. Leingarten ::: am 17. Juli ­Susanne Frenz, Renate Schnabel und Martin Schnabel. Mössingen ::: am 24. Juli Mirjam Dauner, Annika Jäger, Brigitte Pfarr und Ted Reimel. Sindelfingen ::: am 17. Juli ­Walter Walker (83), Cornelia Sattler (52) und Jörg Dieter Notter (43). Stuttgart-Feuerbach ::: am 31. Juli Carola Just (35). Tuttlingen/Trossingen ::: am 10. Juli Marlen Schmidtmann (19).

Uhingen-Ebersbach ::: am 24. Juli Andrea Kreis (40). Ulm ::: am 3. Juli Boris Koch (31) und Lioudmila Kokonowskyj (45). Villingen ::: am 26. Juni ­Johannes Meyer (34).

W ir gr atul ier en Eppingen ::: Emmy und Dieter Herrmann zur goldenen Hochzeit. Kirchberg/Wilkau-Haßlau ::: Johanna Schröpfer zum 100. Geburtstag. Leonberg ::: Helmut Reinhardt zum 90. Geburtstag. Nürtingen ::: Luise Schweizer zum 90. Geburtstag. Reichenbach ::: Irmgard und Siegfried Biedermann zur ­diamantenen Hochzeit. Reutlingen ::: Ruth und Hans Straub zur goldenen Hochzeit. Schönheide ::: Sieglinde und Eberhard Männel zur goldenen Hochzeit; Elfriede und Claus Schlesiger zur goldenen Hochzeit.

Te r mine Frankfurt am Main ::: EmK Christus­kirche, Merianplatz 13, 20. August, 19 Uhr, Konzert für alle, Sopranistin Ute Bolz-­ Fischer mit ihren Gesangs­ schülerinnen und -schülern, ­begleitet von Pianistin Tatjana Jurayeva. Informationen unter www.emk-frankfurt.de

Heimg eg ang en Asperg ::: Rosa Mack am 11. Juli, 100 Jahre. Besigheim-Ottmarsheim ::: Ruth Müller am 9. Juli, 77 Jahre. Delmenhorst ::: Erna Bleckwehl am 18. Juli, 91 Jahre. Dresden-Friedenskirche ::: Christa Kunde geborene Martin am 16. Juli, 89 Jahre. Hamburg-Bethanien ::: ­Diakonisse Inge Baaß am 12. Juli, 91 Jahre.

Kirchberg/Wilkau-Haßlau ::: Hildegard Patzig am 23. Juli, 92 Jahre. Kleinschmalkalden ::: Ilse Münch geborene Schüssler am 19. Juli, 79 Jahre. Laichingen ::: Manfred Sommer am 18. Juli, 78 Jahre. München-Erlöserkirche ::: Lilo Täuber am 1. Juli, 69 Jahre. München-Friedenskirche ::: Anneliese Meinhold am 7. Juli, 87 Jahre. Nürnberg-Paulusgemeinde ::: Christine Weigel am 29. Juli, 59 Jahre. Rommelshausen ::: Erwin Eisele am 5. Juli, 76 Jahre. Tübingen ::: Karl-Friedrich Otto am 16. Juli, 67 Jahre. Waiblingen/Öhringen ::: ­Lieselotte Bläsing geborene Wibbing am 31. Juli, 88 Jahre. Werdau ::: Dora Neukamm am 24. Juli, 79 Jahre. Wuppertal-Elberfeld ::: Hans Lembcke am 15. Juli, 91 Jahre.

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Run dfu nk im Internet radio m kompakt: Podcast-­ Magazin – engagiert. radio m im Gespräch: PodcastGespräche über den Glauben. radio m Themen: Berichte und ­Reportagen. radio m ­Andachten: ­Kostenlos zu abonnieren: www.radio-m.de radio m bei Klassik Radio (bundesweit) Andachten »Carpe diem«: 22. bis 27.8., kurz nach 6 Uhr: mit Anja Kieser; Sonntagsmagazin »Klassik und ­Kirche«: sonntags, 7–8 Uhr: mit Anja Kieser.

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Sindelfingen ::: Hermann ­Gerlach zum 90. Geburtstag. Treuen ::: Gudrun und Friedhold Bachmann zur goldenen ­Hochzeit; Marianne Bär zum 90. Geburtstag. Ulm ::: Ursula und Karl-Heinz Hopp zur goldenen Hochzeit. Unterheinsdorf ::: Maria und Werner Künzel zur goldenen Hochzeit. Zschorlau ::: Helga und Frieder Pretzsch zur goldenen Hochzeit.

Radio AREF – sonnund feiertags von 10-12 Uhr. www.aref.de und UKW 92,9 MHz (Großraum Nürnberg) ERF Jeden Donnerstag, 20 Uhr, Bilanz, mit Horst ­Marquardt. 16.8., 6.20 Uhr, Wort zum Tag, mit Harald Stein. 17.8., 21.30 Uhr, Macht und Ohnmacht eines Einzelnen, mit Horst Marquardt. 27.8., 21.30 Uhr, Worte haben Wirkung, mit Kurt Scherer

MDR Figaro 21.8., 10–11 Uhr, Gottesdienst aus der Friedenskirche Chemnitz, mit Christhard Rüdiger. 21.-27.8., 6.05 Uhr, Wort zum Tag, mit Dr. Ulrich Meisel. Radio Sachsen-Anhalt 21.–26.8., 5.50 und 9.50 Uhr, 27.–28.8., 6.03 und 9.03 Uhr, an(ge)dacht - Wort zum Tag, ­­­­mit Dr. Ulrich Meisel. Radio Thüringen 22.-26.8., 22.57 Uhr, Gedanken zur Nacht, mit Sebastian und ­Johanna Ringeis.


16 ::: Titelthema: Leben mit Demenz

Spagat über Generationen Wenn Partner oder Eltern wie Kinder werden, gerät das Leben zunächst aus dem Rhythmus. Petra Plaum stellt Frauen und Männer vor, die ihre Angehörigen pflegen. Sie erzählen von den Nöten und den Freuden im Pflegealltag.

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flege wird bei uns kein Problem«, sagte sich Rosi Hennig mit 50. Mit erwachsenen Kindern, einem engagierten Ehemann und viel Platz im Mehrfamilienhaus war sie sich sicher: »Ich pflege meine Mutter bis zuletzt.« Im Erdgeschoss wartete die altengerechte Wohnung, in ihrer Stadt gibt es Nachbarschaftshilfe und Pflegedienste, die Verwandten sagten ihre Unterstützung zu. Mit Ende 40 entschloss sich der Journalist Dr. Reinhard Abeln, seine Mutter zu pflegen. »Die Oma war eine Riesenstütze, als unsere Kinder klein waren«, sagte er sich, »jetzt, da sie die 80 überschritten hat, sind wir eben für sie da.« 25 Jahre sind seitdem vergangen – die Abelns lösen das Versprechen noch immer ein, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Die Mutter ist nun 106 Jahre alt. Für Margit Winkler, 48, war das Thema Pflege bis vor wenigen Jahren nur beruflich präsent. Als gelernte Bankkauffrau, heute unabhängige Finanzfachfrau und Fachautorin rund ums Geld wusste sie um die Bedeutung finanzieller Vorsorge. Doch vor zwei Jahren bekam ihr Mann während der Arbeit Sprachstörungen, kam als Notfall in eine Klinik. Und Pflege wurde quasi über Nacht ihr Alltag. »Per Telefon bekamen wir von den Ärzten die schreckliche Diagnose«, erinnert sich Margit Winkler. »Er hatte ein Glioblastom, einen nicht heilbaren Hirntumor. Wochen, höchstens Monate, sagten sie. Keine

interview Pastor Norbert Rose ist Seelsorger im Bethesda Seniorenzentrum in Wuppertal und bildet Angehörige zum Thema »Leben mit dementiell erkrankten Menschen« aus. Was raten Sie Menschen, die ihre Angehörigen pflegen? Norbert Rose: Ich mache Angehörigen immer wieder den Verlauf der Krankheit klar: Die Patienten müssen rund um die Uhr betreut werden. Sie verlieren den Tag-Nacht-Rhythmus und das Zeitgefühl, es besteht Fluchtund Verletzungsgefahr. Manche sind dabei lieb und glücklich, andere wer-

Hoffnung. Keine Zukunft.« Margit Winkler und ihr Mann trafen alle notariellen Vorkehrungen: Testament, Patientenverfügung, Vorsorge- und Betreuungsvollmacht. »Danach taten wir am liebsten so, als sei alles normal. Wir wollten es einfach nicht wahrhaben«, berichtet sie. Sie reisten, feierten, aßen gut, redeten viel; Margit Winkler arbeitete fast nur noch von zuhause aus, um für Mann und Kinder da sein zu können. »Nach langem Abwägen entschied sich Norbert für ein Hospiz. Mir war es wichtig, dass seine Zeit so selbstbestimmt wie möglich ist«, berichtet sie.

Selbstbestimmt bis zum Schluss Ein Jahr nach der Diagnose starb er in den Armen seiner Frau. Heute sagt sie: »So schwer es war, ihn zu verlieren, so war es doch ein Trost, zu sehen: Mein Mann verabschiedet sich so, wie er es wollte. Immer wieder lerne ich Familien kennen, bei denen lief es ganz anders.« Da hatte der Patient keine Vollmachten erteilt, keine Versicherung abgeschlossen, nichts angespart. »Die Zeit der Krankheit, Sterben und Trauer ist für alle Beteiligten eine schwere Zeit«, meint Margit Winkler heute und: »Es bricht einem das Herz, wenn sich Kinder dann noch um Pflegekosten streiten oder darüber diskutieren, dass der Patient das so nicht gewollt hätte.« Rosi Hennigs Herz wurde schwer, als sie erkannte: Die Mutti ist nicht mehr die bildungshungrige, kreati-

den aggressiv. In der Regel halten ­Angehörige die Pflege nicht durch. Viele, gerade Christen, sagen: Ich kann doch meine Eltern nicht abschieben. Norbert Rose: Christen leiden aber auch darunter, wenn ein vorher sehr frommer alter Mensch plötzlich anzüglich wird oder flucht, wenn man ihn quasi verstecken muss. Und der Rückzug der ganzen Familie, der oft auf eine Demenz folgt, verstärkt die Tendenz zu Depressionen, die mit der Demenz einhergehen. Doch nichts ist gewonnen, wenn man sich aufopfert. Solange Pflege zuhause klappt – was hilft den Angehörigen? Norbert Rose: Den Krankheitsver-

lauf zu kennen und zu verstehen. Zu wissen, der alte Mensch verändert sich, weil sein Gehirn sich verändert – nicht, weil er es will oder weil die pflegenden Angehörigen etwas falsch machen. Vielen hilft die Möglichkeit, Informationen zu dementiellen Erkrankungen zu sammeln und sich mit anderen zu vernetzen. In Selbsthilfegruppen darf jeder offen sein, Gefühle äußern wie: »Ich kann meine Mutter nicht mehr ertragen« – die anderen verstehen das. Grundsätzlich kann jeder, der pflegt, froh sein, wenn er nicht allein ist. Und gönnen Sie sich stundenweise Auszeiten von der Pflege. Nehmen Sie sich Zeit nur für sich und tun Sie Dinge, die für Sie Kraftquellen sind. unterwegs 17/2011 ::: 14. August 2011


Titelthema: Leben mit Demenz ::: 17

Über Pflege sollten ältere Menschen mit ihren Kindern und Angehörigen dann reden, wenn sie noch fit genug sind, Entscheidungen zu treffen.

Foto: Sxc.hu / macanudo

ve Person, die sie jahrzehntelang gewesen war. »Als 1996 die letzte ihrer drei Schwestern starb, baute meine Mutter ganz schnell ab«, sagt sie rückblickend. »Der Arzt hatte Jahre vorher schon von Alzheimer gesprochen, wir winkten ab. Doch dann passierten immer mehr Sachen ...« Die Omi, die bis in die USA gereist war, fand ihren Friseur nicht mehr. Eines Nachts fiepte es unerträglich laut in der Wohnung der Enkelin, die mit im Haus lebte – die Omi hatte ihr Hörgerät dort in einem Blumentopf vergraben. Immer häufiger suchte die Seniorin den Streit mit ihrer Tochter, dann wieder jammerte sie: »Ich werde heute sterben.« 1998 erklärte die Seniorin plötzlich stolz: »Ich habe mir einen Platz im Pflegeheim gesucht!« »Wenn ich meine Mutter ins Heim geben müsste, wäre das ihr Tod«, sagt Reinhard Abeln bestimmt. »Sie selbst sagt, der Herrgott hat mich wohl vergessen.« Was er erzählt, ist die Geschichte eines eingespielten Teams. »Mutter lebt nach der Uhr. Sie schläft, isst, lebt nach der Uhr, und wir richten uns auf sie ein.« Seit sowohl er als auch seine Frau im Ruhestand sind, geht das einfacher. Obwohl: »Als Paar etwas unternehmen, etwa den Gottesdienst besuchen – das geht nicht. Einer muss bei Mutter bleiben.«

Auszeit muss sein Außer dem Glauben und einem gewissen Grund-Pragmatismus findet Abeln Folgendes unverzichtbar in Pflegejahren: »Auszeiten. Ich brauche zum Beispiel Zeit zum Schreiben meiner Bücher und um Vorträge zu halten, meine Frau töpfert und widmet sich den Enkeln. Da entlasten wir uns gegenseitig.« Er macht Menschen, die nicht (lange) pflegen können, keinen Vorwurf: »Ohne meine Frau würde ich das nicht

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schaffen. Wenn ich krank würde, könnte ich das nicht schaffen. Ob man miteinander klarkommt, hängt auch immer von der zu pflegenden Person ab.« Davon kann Rosi Hennig ein Liedchen singen. »Wir versuchten uns zu entlasten, holten eine Hilfe ins Haus, aber meine Mutter schickte sie heim. Den Pflegedienst und die Tagespflege wollte sie auch nicht. Sie war sehr eigen in allem. Und sie wurde immer unsicherer, wenn sie an der Straße war, an Treppen ... ich bekam Angst um sie und um ihre kleine Urenkelin, die mit im Haus aufwuchs. Ich schlief immer schlechter. Irgendwann konnte ich nicht mehr.« 2001 zog ihre Mutter in das von ihr ausgesuchte Seniorenheim neben ihrer geliebten Kirche. Dass die Wahl der alten Dame keine gute gewesen war, zeigte sich, als sie eines Nachts im Nachthemd aus dem Heim ausbrach. »Danach war sie eingeschlossen – im Nachhinein weiß man, man hätte nach einem auf dementielle Erkrankungen besser vorbereiteten Heim gucken sollen«, ärgert sich Rosi Hennig. Es folgen drei Jahre des Abschiednehmens. Mit täglichen Besuchen – wobei die Omi immer öfter den Pflegerinnen vermittelte: »Mich besucht eh keiner.« Mit Gesprächen, mal verworren, mal klar, und mit Spaziergängen. Man weinte und lachte gemeinsam, war sich nah bis zuletzt. »Ein Schuldgefühl bleibt«, sagt Rosi Hennig, »doch ich stehe dazu, es ging nicht mehr.« Margit Winkler hat ihre Erfahrungen zu einem Fachbuch verarbeitet. »Wir, die mittlere Generation, und die reife Generation sollten offen über das Thema Pflege reden«, sagt sie. »Wir haben mit den Kindern unseren Plan gemacht und die offenen Gespräche haben uns auch gutgetan.« Wie vieles eben nicht planbar ist, das weiß sie ganz genau.


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Einen mitfühlenden, würdevollen Demenz ist eine Krankkeit, die viele Ängste auslöst. Erste Anzeichen dieser Krankheit werden schnell verdrängt. Tabuisierung aber hilft nicht, sagt Ulrike Stunkat, die selbst Pflegekräfte ausbildet. Was hilft, sind eine konkrete Diagnose und die Wahrnehmung von Hilfsangeboten. Auch Gemeinden sind durch Demenz neu gefordert. Mit Ulrike Stunkat sprach Michael Putzke. Was ist eigentlich Demenz? Was zeichnet sie aus? Ulrike Stunkat: Bei der Demenz handelt es sich um einen Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit mit zunehmenden Verwirrtheitszuständen, Orientierungsverlusten des gewohnten Umfeldes der Menschen um einen herum bis hin zum Verkennen der eigenen Persönlichkeit. Man muss es sich vorstellen, dass das Gehirn ein ­Puzzle ist und durch die Demenz fehlen einzelne Puzzle­teile, sodass das Gesamtverständnis gestört ist, Sachverhalte einen anderen, neuen Sinn bekommen, dass sich der Demenzerkrankte in seiner aktuellen Lebenssituation nicht zurecht findet, zeitweise in der Vergangenheit lebt. Was muss man tun, wenn man bei einem Angehörigen oder bei sich selbst Demenz vermutet? Ulrike Stunkat: Ich empfehle eine konkrete Diagnosesicherung, keine Tabuisierung, wie sie leider oft gelebt wird. Viele Menschen verdrängen die ersten Anzeichen eines Gedächtnisverlustes, wollen dies nicht wahrhaben. Ein Arztbesuch kann wesentlich zur Klärung weiter helfen. Es gibt verschiedene Testverfahren, mit denen der Schweregrad einer Demenz eingestuft werden kann. Ebenso dient das Hinterfragen der bisherigen Lebensgewohnheiten dazu, einen eventuell Flüssigkeits- oder Vitamin (B12-) Mangel festzustellen, der behoben werden kann. Nehmen Sie Kontakt zu Selbsthilfegruppen und zu Pflegeberatungsstützpunkten auf. Es gibt Tagesbetreuungsangebote für dementiell erkrankte Menschen, wo eine gezielte, individuelle Beratung und Betreuung stattfinden kann. Diese Angebote sollten sich die Betroffenen und Angehörigen anschauen und nutzen, denn sie stellen eine große Entlastung dar, die für die

Zur Person Ulrike Stunkat (44) ist examinierte Krankenschwester und Fachlehrerin im Gesundheitswesen. Sie unterrichtet an der Gesundheitsund Krankenpflegeschule des PiusHospitals in Oldenburg.

Angehörigen von großer Bedeutung ist! Ebenso kann man sich bei ambulanten Pflegediensten, Senioreneinrichtungen, Krankenhäusern, Sozialdiensten und Krankenkassen / Pflegekassen informieren. Wie sollen Gemeinden mit Demenz umgehen? Ulrike Stunkat: In jeder Gemeinde wird es dementiell Erkrankte geben, ebenso wie im öffentlichen Leben. Der offene Umgang damit ist wichtig, um auch in der Gemeinde einen würdevollen, mitfühlenden, christlichen Umgang miteinander zu pflegen. Es ist ganz wichtig, dass die Betroffenen ebenso wie Menschen mit Behinderungen integriert werden. Ergänzend können Gemeinden Tagesbeschäftigungen anbieten: Gemeinsames Singen und Musizieren, Kochen und Backen, Ausflüge unternehmen, Hausbesuche anbieten. Die Gemeinde sollte eine große Toleranz aufbringen, insbesondere bei auffälligem Verhalten während der Gottesdienste. Wie können Gemeinden die Angehörigen unterstützen? Ulrike Stunkat: Bemitleiden ist wenig hilfreich, eher belastend. Die Gemeinden können durch Gebete helfen und effektiv durch reelle Hilfsangebote unterstützen: Die Betroffenen besuchen, mit anpacken, den Angehörigen Zeit schenken, damit diese etwas Gutes für sich tun können, um den Kopf frei zu bekommen und Kraft zu sammeln. Welche Herausforderungen gibt es in der Pflege durch die Demenz? Ulrike Stunkat: Es bedeutet einen hohen Zeitaufwand, den Pflegende oft nicht leisten können. Pflegende benötigen viel Geduld und Verständnis, ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und kommunikative Kompetenz. Demenzerkrankte Menschen wollen oft ihre Medikamente nicht einnehmen, lehnen Hilfsangebote ab, fühlen sich unverstanden und reagieren aggressiv. Dieses aggressive Verhalten kann eine Gefährdung für die Pflegenden darstellen. Menschen mit Demenz haben einen hohen Bewegungsdrang, laufen zu erlebten Ereignissen der Erinnerung hin. Hierbei kann es zu Stürzen und Unfällen mit Folgen kommen. Manche Demenzerkrankte werden depressiv und ziehen

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Titelthema: Leben mit Demenz ::: 19

Umgang pflegen Eine gesunde Ernährung kann vorbeugend gegen Demenz sein.

sich zurück bis hin zur sozialen Isolation. Pflege muss kreativ sein, um diese Menschen anzusprechen, zu berühren und für das Leben zu begeistern.

Foto: MEV

Wie sieht die Gesetzeslage aus, was die Seniorenheime betrifft? Was kann man an Unterstützung dort erwarten? Ulrike Stunkat: Bei Einstufung eines an Demenz erkrankten Menschen in einer Pflegestufe gibt es eine Finanzierungshilfe für die Pflege. Meiner Meinung nach reichen die finanziellen Mittel jedoch nicht aus, so dass die Angehörigen eine wesentliche Säule in der Betreuung darstellen. Die Vorgaben durch die Gesetzgebung sind zu eng bemessen. Die Senioreneinrichtungen spezialisieren sich zunehmend auf die Betreuung von Demenzkranken. Es gibt »Dementenstationen«, wo die Betroffenen einen geschützten Raum bekommen, ihrem Bewegungsdrang zum Beispiel in Rundwegen in Kräuter- oder Sinnesgärten nachgehen können, ohne durch eine »chemische Medikamentenkeule« ruhiggestellt zu sein. In diesen Wohnbereichen leben die Menschen ihren Alltag zusammen. Sie kochen und unternehmen etwas gemeinsam, und werden individuell angeregt. Die Pflegenden gehen fachgerecht mit den Menschen um, sie leben Wertschätzung, Empathie, Echtheit und Kongruenz und kommunizieren in dieser Weise mit den Betroffenen. Die Personalbesetzung ist auf diesen speziellen Stationen besser als auf den herkömmlichen Wohnbereichen. Wie hat sich die Ausbildung der Pflegekräfte durch die Demenz verändert? Ulrike Stunkat: In der Ausbildung der Altenpflege findet das Thema Demenz schon seit vielen Jahren einen großen Stellenwert. Aufgrund des demographischen Wandels werden ebenso diese Inhalte in der Ausbildung der Gesundheits- und Krankenpflege immer stärker aufgenommen und richten sich auf den gezielten Umgang mit Demenzerkrankten aus. Ein Teil der praktischen Ausbildung erfolgt neben dem Einsatz im Krankenhaus sowohl in der Ambulanten Pflege als

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auch in Senioreneinrichtungen statt. Die Auszubildenden lernen die Biographiearbeit mitsamt individuellen Betreuungsangeboten kennen, wie z.B. die 10-Minuten-Aktivierung zu einem Thema, die Basale Stimulation und die Validation als Schwerpunkt im Bereich der Kommunikation. Diese Inhalte werden im Theoretischen Unterricht vorbereitet und geübt. Diese Entwicklung finde ich positiv und notwendig, jedoch herrscht leider in vielen Pflegeeinrichtungen Personalmangel. Die politischen Instanzen müssten sich hier vermehrt engagieren! Haben Sie selbst Angst vor der Demenz? Ulrike Stunkat: Ich muss diese Frage mit »Ja« beantworten. Ja, ich habe Angst, diesen Abbau bewusst mitzubekommen und zu erleben, wie sehr man von anderen Menschen abhängig wird. Auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, den anderen zur Last zu werden und dem Willen der anderen »ausgesetzt« zu sein, eventuell aus dem gewohnten Umfeld heraus zu kommen, das finde ich beängstigend. Was kann man tun, um Demenz zu verhindern? Ulrike Stunkat: Als Vorbeugung sehe ich eine gesun-

de Lebensweise, eine ausgewogene Ernährung, die Vermeidung von ungesundem Stress. Das Pflegen von Hobbies und sozialen Kontakten erachte ich als wichtig. Musizieren, lesen, Gehirnjogging und ein bewusster Umgang mit Computer, Fernsehen und anderen elektronischen Medien. Ebenso beugt viel Bewegung an der frischen Luft vor und sich selbst etwas Gutes zu tun, trägt grundsätzlich der Gesunderhaltung bei. Meiner Meinung nach ist eine positive Grundeinstellung eine hilfreiche Basis. Der christliche Glaube kann Demenz nicht verhindern, doch er bietet eine hilfreiche Unterstützung, damit umzugehen. In diesem Sinn wünsche ich mir, dass wir offener miteinander umgehen und Nächstenliebe nicht nur besprechen, sondern praktizieren. Betroffene und Angehörige möchte ich motivieren, Hilfebedarf in den Gemeinden gezielt zu äußern und Hilfsangebote anzunehmen.


::: Gemeindeportrait Titelthema: Leben mit Demenz 20 :::

Gemeinsam unterwegs Mehr als 260 Bezirke gibt es in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland. Alle haben ihre eigene Prägung. Um diese Vielfalt zu zeigen, stellen sich in »unterwegs« regelmäßig EmK-Bezirke vor. In dieser Ausgabe geht es nach Dittersdorf.

Mit Gott zu den Menschen gehen Ob zum »Tag der offenen Tür« beim Weihnachtsmarkt auf dem Parkplatz neben der Kirche, beim Kuchenstand auf dem Kirmesplatz zu Gunsten der Aktion »Kinder helfen Kindern«, beim

»Pyramidenanschieben« zum 1. Advent oder beim Zeltgottesdienst zum Freibadfest gemeinsam mit der evangelisch-lutherischen Gemeinde – wir wollen dort sein, wo sich die Menschen unserer Orte treffen. Hier wollen wir das Evangelium weitersagen.

Stimmen aus der Gemeinde Der Sonntagsgottesdienst ist uns wichtig. Eine Predigt, in der wir uns wiederfinden und zeitgemäße Lieder sprechen uns an. Evelyn und Joachim (47) Im Beten, Singen und Hören auf Gottes Wort spüre ich seine Nähe und seinen Segen. Das gibt mir Geborgenheit und Kraft für meinen Alltag. Gudrun (73)

Bezirk Dittersdorf n Zum Bezirk gehören die Gemeinden Dittersdorf und

­Weißbach. Der Bezirk hat etwa 97 Kirchenglieder, 39 Kirchenangehörige, 9 Kirchenzugehörige und 46 Freunde. n Dittersdorf und Weißbach gehören zur Gemeinde ­Amtsberg mit etwa 4300 Einwohnern, am Rande des Erzgebirges gelegen etwa 15 Kilometer südlich von Chemnitz. n Gottesdienste beginnen am Sonntag in Dittersdorf um 9 Uhr und um 10.15 Uhr in Weißbach. Am letzten Sonntag im Monat feieren die Gemeinden einen Bezirksgottesdienst im Wechsel. www.christeninamtsberg.de

In unserer Selbsthilfegruppe »Lichtblick« treffen sich Menschen, die zu keiner Gemeinde gehören und an ihrer Alkoholkrankheit leiden. Christina (47) Ich freue mich, dass es in unserer Gemeinde einen Mutti-Kind-Kreis gibt. Peggy (32) Wir schätzen es, dass in unserer Gemeinde jeder willkommen ist. Hanna und Günther (71) Wir sind eine Gemeinde von »Originalen«, jeder ist anders, aber jeder ist von Gott geliebt. Christina und Andreas (60) Ich finde es super, dass es in unseren Gemeinden Menschen gibt, die noch Träume haben und die nicht nur auf den hohen Altersdurchschnitt und die abnehmenden Gliederzahlen schauen. Ich wünsche mir Mut für kreative Wege, damit Jesus bekannt wird. Rebekka (26) In unserer Gemeinde gibt es oft was zu lachen, das genieße ich. Wichtig finde ich, dass wir miteinander statt übereinander reden. Manchmal ist es nur ein Missverständnis und daraus entsteht ein falsches Bild vom Anderen. Josephine (21)

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Foto: Christian WeiSSbach

So fing es an Der Bezirk Dittersdorf entstand aus einer Bewegung des geistlichen Aufbruchs Ende des 19. Jahrhunderts. Der Bibelverkäufer August Schmidt erlebte, dass die Menschen hier im Erzgebirge offen für die gute Nachricht waren. In Kneipen, auf der Straße und selbst in Betrieben wurden Bibeln verteilt und die Leute zu Bibel- und Erbauungsstunden eingeladen. So kam es 1879 zur Gründung der Gemeinde und schon 1885 wurde in Dittersdorf die »Christuskirche« gebaut. Heute bilden die Gemeinden Dittersdorf und Weißbach einen Gemeindebezirk mit etwa 140 Personen.


Meine Meinung ::: 21

Für Sie gelesen

Sommerloch?

Welch ein Schatz! Fulbert Steffensky, Der Schatz im Acker. ­Gespräche mit der Bibel, Radius Verlag ­Stuttgart 2010, 208 Seiten, Paperback, 15 Euro, ISBN 978-3-87173-916-3

Eine Erscheinung des modernen medialen Zeitalters – das Sommerloch – bleibt scheinbar in diesem Jahr aus. Keine Sommerpause im Jahre 2011 für brisante Nachrichten. In Politik und Gesellschaft will einfach keine Ruhe einziehen.Die Nachrichten sind voll mit Meldungen über die verschiedensten Ereignisse in der Welt. Meist nichts Gutes, womit wir Tag für Tag konfrontiert werden.

Die Texte von Fulbert Steffensky sind für viele Christinnen und Christen unserer Zeit wichtig. Ihre gedankliche Klarheit und verantwortete Menschlichkeit, ihre theologische Eindeutigkeit und ihre auf das Leben gerichtete Bestimmtheit machen ihn zu einem der wichtigsten Denker und Autoren der deutschsprachigen gegenwärtigen Christenheit. Sein neues Buch enthält vierzig Gespräche mit biblischen Texten – vorwiegend aus dem Neuen Testament: kurz, prägnant, originell, anregend und erbauend. Die meisten brauchen nicht mehr Raum als zwei Druckseiten. Das macht das Buch geeignet, auch als Andachtsbuch verwendet zu werden. Zu den biblischen Betrachtungen kommen zwölf nachdenkenswerte weitere Texte zu verschiedenen Themen. Bescheiden schreibt er im Vorwort: »Ich werde wohl gelegentlich einen Knochen als Schatz anbieten... Irrtümer sind nicht ausgeschlossen, wo man nach der Wahrheit sucht.« Natürlich hat er mit dem letzten Satz recht, aber ich habe keinen »Knochen« gefunden. Hartmut Handt

Autorinnen, Autoren. Autorinnen, Autoren ... Raimund Fellinger, Suhrkamp, Suhrkamp. Autoren über Autoren, 508 Seiten, Paperback, 15 Euro, ISBN 978-3-518-42164-2 Da hat sich der Autor zum »Sechziger Jubiläum« des Suhrkamp-Verlags etwas Originelles einfallen lassen: Er lässt Autorinnen und Autoren über Autorinnen und Autoren des Verlages und ihre Werke schreiben. Nein, genau genommen nimmt er Äußerungen seit 1954 und stellt sie hier zusammen – und dies in alphabetischer Reihenfolge der Beschriebenen. Unter denen ist auch der neue Literaturnobelpreisträger Vargas Losa, aber auch bedeutende Autorinnen und Autoren der Vergangenheit und Gegenwart. Der kürzeste Beitrag ist nur neun Zeilen lang, der längste 48 Seiten. Nun liest man ein solches Buch natürlich nicht »in einem Rutsch« durch, eher ist es eine Art Nachschlagwerk, wenn man sich mit dem Werk einer Autorin, eines Autors intensiv befassen möchte oder eines ihrer Bücher liest. Es dabei zur Hand zu haben, ist sehr willkommen. Hartmut Handt

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Täglich hören oder lesen wir Berichte über Attentate, Bürgerkriege, Gewalt, Hungersnöte, Finanzkrisen, Erfolglosigkeiten im Sport, zu viele Niederschläge und zu kühles Wetter mitten im Hochsommer. Zuletzt sahen wir Bilder von den furchtbaren Anschlägen in Norwegen, den hungernden Kindern in Afrika und Berichte von der drohenden Finanzkrise in den USA. Erreichen uns all diese negativen Nachrichten überhaupt noch? Die Bilder der Hochzeit eines Fürstenpaares, die Geburt eines Kindes oder die schönen Urlaubsfotos unserer Freunde gehören zu den erfreulichen Nachrichten und finden nachhaltig Eingang in unsere Herzen. Wir sehnen uns nach den schönen und friedvollen Dingen im Leben. Schaffen wir uns unser eigenes Sommerloch«?! Nehmen wir eine Auszeit von all dem, was uns täglich in Atem hält. Eine Auszeit von zuhause, um neue Städte und Regionen zu erkunden, Ruhe und Erholung zu genießen. Daraus können wir neue Kraft schöpfen. Kinder haben Ferien. Familien fahren in den Urlaub und freuen sich über die gemeinsame freie Zeit. Auch ich bin gern einmal unterwegs. Und auch in der Fremde lese ich Zeitung, höre Radio, sehe fern. Das Weltgeschehen kann ich nicht anhalten, aber ich kann all die traurigen Ereignisse und alles Schöne in der Fürbitte vor Gott bringen, denn meine Zeit und alle Zeit steht in seinen Händen – Gott sei Dank.

Christina Posdzich ist Laienmitglied und Rundfunkbeauftragte der OJK. Sie lebt in Dresden.

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22 ::: Rätsel

Eure ­Hände sind voll ...

Auflösung des Rätsels aus dem letzten Heft 16/2011

Kennzeichen eines Methodisten Warum Methodisten schlicht und einfach Christen sind Nach dem englischen Original von 1742 neu übersetzt und bearbeitet von Manfred Marquardt Hrsg. vom Medienwerk der Evangelisch-methodistischen Kirche Best.-Nr.: 299.311 • 5,90 €; ab 10 Exemplaren 4,90 €/Stück; ab 50 Exemplaren 3,90 €/Stück .

Man merkt dieser Schrift ihr Alter von fast 270 Jahren nicht an. Die Erläuterungen sind immer noch hochaktuell und treffen in dieser neuen Übersetzung auch heute den Ton – ermutigend und herausfordernd. Und wenn Wesley schlussfolgert, dass wir Methodisten uns „von wahren Christen – welcher Denomination sie auch angehören – durchaus nicht unterscheiden“ kann das nach dem Lesen dieser kleinen Schrift nur bestätigt werden. Wenn sich die Methodisten den Inhalt dieses kleinen Büchleins zu Herzen nehmen und ihre Hand zur Gemeinschaft ­ausstrecken, sind sie tatsächlich „schlicht und einfach Christen“, die aber einen großen Auftrag leben. Das zieht Kreise – garantiert. Die außerordentlich schön gestaltete Neufassung ist anregend zu lesen. Sie gehört ins Bücherregal eines jeden Methodisten, ist ein nettes ökumenisches Geschenk und gut geeignet zur ­Weitergabe, wenn wieder einmal gefragt werden sollte „Was sind Methodisten eigentlich?“

Seit jeher sind Methodisten damit konfrontiert, ihren Namen zu erklären und sich des Sekten­vorwurfs zu erwehren. John Wesley hat in dieser kleinen Schrift eine noch heute aktuelle Hilfestellung gegeben.


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unterwegs Herausgegeben von der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland Ludolfusstraße 2-4 60487 Frankfurt am Main Zeitschriftenredaktion im Medienwerk der EmK: Redaktionsleiter Volker Kiemle Stellvertretender Redaktionsleiter Michael Putzke Ludolfusstraße 2-4 60487 Frankfurt am Main Telefon 069 242521-150 Telefax 069 242521-159 E-Mail: unterwegs@emk.de Vertrieb • Anzeigen- und Abonnementsverwaltung: Blessings 4 you GmbH Postfach 31 11 41 · 70471 Stuttgart Telefon 0711 83000-51 Telefax -50 Anzeigendisposition: E-Mail: anzeigen@blessings4you.de Es gilt der Anzeigentarif 2011. Bezugspreise: Bei Bezug über die EmK-Gemeinde: im Quartal € 13,75. Bei Direktlieferung durch die Post: jährlich € 55,– + Versandkosten. Direkt gelieferte Abonnements verlängern sich jeweils um ein Jahr, wenn bis zum 30. September keine schriftliche Kündigung vorliegt. DTP-Produktion: Grafisches Atelier Arnold, 72581 Dettingen an der Erms Herstellung: frechdruck GmbH, 70499 Stuttgart

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Agneta Ingberg ist 58, als sie die Diagnose »Alzheimer« bekommt. Jetzt weiß sie, warum sie manchmal etwas vergisst, nicht mehr mit der U-Bahn zurechtkommt oder einfach nicht die richtigen Worte findet. Sie erlebt Angst und Scham, kämpft aber tapfer und mit Humor. Muss ihr die Krankheit peinlich sein? Gibt es wirklich keine Therapie? Agnetas Freundin Birgitta Andersson lässt Sie an Agnetas Gedanken und Leben vor und nach der Diagnose teilhaben. Eine traurige und doch warme und hoffnungsvolle Geschichte ...

Arno Geiger hat ein tief berührendes Buch über seinen Vater geschrieben, der trotz seiner Alzheimerkrankheit mit Vitalität, Witz und Klugheit beeindruckt. Die Krankheit löst langsam seine Erinnerung und seine Orientierung in der Gegenwart auf, lässt sein Leben abhandenkommen. Arno Geiger entdeckt, dass es auch im Alter in der Person des Vaters noch alles gibt: Charme, Witz, Selbstbewusstsein und Würde. Arno Geigers Buch ist lebendig, oft komisch. In seiner tief berührenden Geschichte erzählt er von einem Leben, das es immer noch zutiefst wert ist, gelebt zu werden. Ulrike Strätling

Als die Kaffee­ mühle streikte 128 Seiten, Brunnen Verlag Best.-Nr.: 114.123 • 7,99 €

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24 ::: Portrait

Panik vor dem Pommesduft

»So schwer, sich leicht zu fühlen, egal wie viel du wiegst.« Déborah Rosenkranz berichtet in ihrem Buch über ihr essgestörtes Leben zwischen Hungern, Kloschüssel und Kühlschrank. Sie wurde als »singende Flugbegleiterin« bekannt.

S

ie ist fröhlich, extrovertiert und eine gefragte Sängerin, die derzeit an ihrem ersten Soloalbum mit Israel Houghton und der Musikgruppe Söhne Mannheims arbeitet. Wer Déborah Rosenkranz erlebt, kann kaum glauben, dass sie mehrere Jahre unter Essstörungen litt und daran beinahe zugrunde gegangen wäre. Alles begann beim Handballtraining. Der heimliche Schwarm der damals Zwölfjährigen saß auf der Bank der Sporthalle und sagte: »Déborah, ich weiß gar nicht, wie du mit so viel Fett überhaupt rennen kannst!« Diese Worte trafen.

Kampf gegen die Kalorien Tatsächlich war die junge Déborah zu dieser Zeit ein wenig mollig, doch nun glaubte sie, sie sei zu dick, um geliebt zu werden. Der Kampf gegen die Kalorien begann. Die Pfunde purzelten, aber die Pastorentochter fühlte sich immer noch nicht schlank genug. Und das, obwohl sie bald nur noch 47 Kilo wog. Zeitweise »ernährte« sie sich von einem kleinen Stückchen Apfel und ein paar Löffeln fettfreien Joghurts am Tag. Partys wurden abgesagt, aus Angst, etwas essen zu müssen. »Ich hatte große Panik vor dem Duft von Frittierfett, weil ich dachte, dass ich zunehmen könnte, wenn ich etwas einatme«, erinnert sich Rosenkranz in ihrem Buch »So schwer, sich leicht zu fühlen«. Die Haare fielen aufgrund der Mangelernährung aus, stattdessen wuchs ein Haarflaum auf dem Handrücken. Wegen Vitamin-B-Mangels zeigten sich Lähmungserscheinungen in einem Bein. »Je mehr meine Mutter darauf achtete, was ich aß, desto ausgeklügelter wurden meine Tricks.« Als sie eines Nachts erst um zwei Uhr von einem Konzert nach Hause kam, hörte sie Stimmen im Schlafzimmer ihrer Eltern. Neugierig lauschte die Tochter an der Tür und hörte ihre Eltern beten und dabei herzzerreißend schluchzen. Mitten in der Nacht lagen sie wach und beteten gemeinsam dafür, dass ihre kranke Tochter nicht stirbt. »Diese Nacht war der Wendepunkt in meinem Leben«, sagt Déborah Rosenkranz.

Plötzlich wurde der damals 14-Jährigen klar, dass sie gegen die Magersucht angehen muss. Sie begann wieder mehr zu essen. Doch dann kamen die Fressattacken. Sie gewöhnte sich daran, nach dem Essen zur Toilette zu gehen, den Finger in den Hals zu stecken und sich zu übergeben. »Wenn ich über der Schüssel hing, hatte ich das Gefühl, ich verletze Gott. Jedes Mal habe ich ihn beim Übergeben angefleht, mir zu helfen, von meinen Essstörungen frei zu werden«, sagt sie.

Der lange Weg vom Kopf zum Herz Es dauerte lange, bis die überzeugte Christin auch im Herzen wusste, dass sie in den Augen Gottes wertvoll und geliebt ist – unabhängig von ihrem Aussehen. Neben ihrem Glauben an Gott half ihr dabei auch die Bestätigung, die sie durch ihren Gesang erhielt. Schon mit neun Jahren hatte sie begonnen, in der Band ihrer Gemeinde zu singen. Nach einem Musikstudium an der australischen Hillsong-Akademie arbeitete sie als Stewardess einer kleinen Fluglinie. Eines Tages gab Déborah Rosenkranz auf Bitte der Passagiere ein Spontankonzert im Flugzeug. Schnell wurde die singende Stewardess bekannt, trat bei Stefan Raab auf und sang bei ihren Flügen immer wieder Lieder durch das Bordmikrofon. Sie geriet an einen Manager, der von ihr wollte, dass sie als Partygirl auf Mallorca zweifelhafte Liedtexte singt. Kurz vor der Unterzeichnung ihres Plattenvertrags sprang Déborah Rosenkranz unter Tränen von dem augenscheinlich reizvollen Angebot ab. Sie wollte nicht als »Ballermann-Püppchen« Karriere machen, sondern ihren christlichen Werten treu bleiben. In einem ihrer Lieder singt sie von dem, was ihr die Kraft gegeben hat, aus dem schrecklichen Kreislauf von »kotzen, fressen, hungern« auszubrechen: »Du bist eine Perle in den Händen des Vaters. Er kann deine Leere füllen und dein Glück sein.« epd n Déborah Rosenkranz: »So schwer, sich leicht zu fühlen«, Gerth-Medien, Asslar 2011, 160 Seiten, 14,99 Euro. unterwegs 17/2011 ::: 14. August 2011


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