eigenart #76-80

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Herzlich Willkommen zu unserer kleinen Revue, mach es dir be­ quem, falls dein Bewußtsein noch nicht erweitert ist, wer­den wir das jetzt tun, zumindest im Hinblick auf das eine: die eigenart. Wir fangen gleich an und wollen beginnen mit einem alten Lied. So, wie es heute gesungen wird, dieses Stück von der studentischen Mitbestimmung in Sachen Hochschule, so sang man es auch schon vor 20, 40, 60 Jahren. 1992 besonders laut und erfolgreich: ein Student hatte sich fast bis ganz oben, bis ins Nest des Präsidenten hochgeträllert. Im Juni berichtet die eigenart in Ausgabe 7 über den Architekturstudenten Jo Panne, der den Willen hatte, Vizepräsident zu werden.­ Für seine Bewerbung schrieb er ein ausführliches Konzept, mit dem damals noch futuristischen Namen HdK 2000. „Eine verant­ wortungs­­bewußte Studentenvertretung, die sich und ihre Aufgabe ernst nimmt, kann aber mit ihrem Engagement und Beitrag zur aka­demischen Selbstverwaltung nicht brav halt machen vor den Zim­mern der Hochschulleitung! Nur mit einem studentischen Vizepräsidenten wäre eine echte Mitgestaltung der Hochschulpolitik möglich; gewissermaßen, so drückt sich Jo Panne aus: E ­ in ständiger Fuß in der Tür des Präsidenten.“ Er lässt sich 1991 für die Wahl aufstellen und wird auch vom akademischen Senat für die Bewerbung zugelassen. Die Wahl sollte dann erst ein Jahr später stattfinden und wieder berichtet die eigenart, inzwischen in Ausgabe ıı: „Die Wahl der Vizepräsidenten wurde dann im Juni 1992 im Konzil durchgeführt. Der Favorit der Studentenschaft liegt im ersten Wahlgang zwei Stimmen vor dem vom Präsidenten vorgeschlagenen konservativen Professor, und es fehlt Jo Panne 1 Stimme zur absoluten Mehrheit. Ein Raunen geht durch den Wahlraum. Die Hochschulleitung scheint besorgt. In der Pause zum zweiten Wahlgang findet dementsprechend starker atmosphärischer Druck, seitens des Präsidenten und Kanzlers auf bestimmte Mitglieder des Wahlgremiums statt. In der anschließenden Stichwahl kann sich der Professor dann knapp gegen den Studenten durchsetzen. Um ein Haar wäre die Sensation für die HdK dagewesen!“ Zehn Ausgaben später ist das hochschulpolitische Hoch abgeflaut und ein Autor nähert sich in Heft 21 den geschriebenen Hinterlassenschaften auf den Toiletten der UdK. „Eßt mehr Ohren!“ lautet da ein Hinweis am Einsteinufer. Naja, denken wir uns, andere Zeiten andere Sitten. Schließlich war die Wende erst fünf Jahre her, da waren Lebensmittel anscheinend knapp. Auch der Hausmeister schien sich öfter damit auseinandersetzen zu müssen, denn er brachte folgenden Hinweis in den Toiletten an: „Es ist verboten, die Kacheln in den Mund zu nehmen. Der Hausmeister.“ Aber Toiletten sind nicht das einzige, was die Studierenden umtreibt. Schließlich ist es inzwischen Mitte der 90er und Ausgabe 26 der eigenart. Auch wenn es heut noch nicht allen klar ist: das mit dem Analogen, das war einmal. Schon damals begann die große Digitalisierung. 1995 – das verbinden viele von uns mit dem Eintritt in eine neue Welt. Das Betriebssystem Windows 95 zog das Interesse der Gesellschaft auf sich. Fasziniert von den Möglichkeiten widmet sich auch die eigenart diesem Thema: „Where do you want to go today? Wenn man der aufstrebenden Softwarefirma Microsoft Glauben schenken darf, dann hat uns unsere Zukunft endlich eingeholt. Mit dem massiv beworbenen Windows 95 soll die Theorie der weltweiten Computervernetzung, die das vielbeschworene globale Dorf für jeden zugänglich macht, endlich in die Praxis umgesetzt werden. Mit einem Klick ins Internet! Oder vielmehr ins MSN, das Microsoft Network, einer der vielen neuen Online-Dienste, die momentan aus dem Boden schießen. Überall schallt es aus den virtuellen Wäldern heraus. Wer sich jedoch als einfacher User mal kurz einloggen will, [...] der wird bald feststellen müssen, daß der Server des Providers, den man ausgewählt hat, leider den Hyperlink in die



im rausch der seiten

Staaten nicht aufrecht erhalten konnte. In der Regel handelt es sich dann um Netzwerküberlastungen, die durch die übermäßige globale Kopplung der größtenteils noch analogen Übertragungswege zustande kommt.“ Neue Welten zu erobern, das war noch nie leicht, aber wer sagts denn, inzwischen gibt es sogar ein W-Lan-Netz in den Gebäuden der UdK. Hat zwar ein bisschen gedauert, aber wie gesagt, das mit der neuen Welt. Visionär wurde in jenem Artikel auch von den neuen Möglichkeiten für die Kunst gesprochen. Das ist jetzt 16 Jahre her, das klang damals aufregend und ist es auch heute noch, im Lehrangebot der UdK ist dazu leider noch nicht allzuviel Neues angekommen: „Das spannende ist, das hierarchische Strukturen passé sind. Filme erzählen keine Geschichte im ursprüng­lichen Sinn mehr, sondern liegen als komplexer Schwamm von Bildern vor. Im Internet entsteht eine neue anarchistische Kunstform. Ein Autor kann beispielsweise ein Gerüst für einen Roman vorgeben und den Leuten, die seinen Computer besuchen, die Möglichkeit einräumen, diesen Roman selbst weiterzuschreiben. Schon nach kurzer Zeit verschmelzen die lesende und die schreibende Masse.“ Verschmelzung, das klingt nach einem Urinstinkt, und so wahnsinnig analog. Ja, es klingt so schön, dem konnte sich selbst die HdK nicht entziehen. Und so verschmolzen zum WS 97 /98 ihre elf Fachbereiche zu vieren zusammen. Dummerweise hat die Hoch-


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