Instrumente und Techniken der internen Kommunikation: Trends, Nutzen und Wirklichkeit

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Kapitel 3: Methoden und Zielgruppen der Internen Kommunikation

Dr. Michael Müller

Storytelling: Narrative Methoden in der Unternehmenskommunikation Seit etwa fünfzehn Jahren wird im angelsächsischen Raum, seit etwa zehn Jahren in Deutschland viel über Storytelling in Unternehmen geredet. Unternehmen entdecken die Kraft von Geschichten in der Internen und Externen Kommunikation, im Wissensmanagement oder in der Motiv- und Mentalitätsforschung. Ist Storytelling einfach nur die aktuelle Mode in der an Moden reichen Welt der Management- und Kommunikationsmethoden? Oder steckt hinter der Aufmerksamkeit, die den Geschichten in Unternehmen geschenkt wird, die (Wieder-)Entdeckung einer Grundhaltung menschlichen Denkens? Schon in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat der in New York und Harvard lehrende Psychologe Jerome Bruner zwei verschiedene Herangehensweisen an die Wirklichkeit untersucht, und die beiden zu Grunde liegenden Denkweisen als „logisch-wissenschaftliches“ beziehungsweise „argumentatives“ Denken einerseits und „narratives“ Denken andererseits beschrieben (Bruner 1986: 11ff.). Beide Arten zu denken liefern einen jeweils unterschiedlichen Zugang zur Welt, und beide sind notwendig, um die Welt, in der wir leben, verstehen und in ihr handeln zu können. Bruner macht dabei ganz deutlich, dass diese beiden Denkweisen nicht gegeneinander austauschbar sind: Eine Geschichte ist nicht nur eine andere, vielleicht nettere Art, etwas auszudrücken, was ich auch rein argumentativ ausdrücken könnte. Umgekehrt ist eine Geschichte nie vollständig übersetzbar in eine logische Schlussfolgerung oder eine Kette von Argumenten: Eine Geschichte ist immer mehr als die Menge an Fakten, die in ihr stecken. Und Bruner macht auch klar, dass wir beide Arten zu denken brauchen, wollen wir uns in der Welt erfolgreich orientieren und bewegen. Denn mit dem argumentativen Denken erfassen wir die Fakten und die allgemeinen Regeln und Gesetze der Welt, mit dem narrativen Denken schaffen wir Zusammenhänge, Sinn, Orientierung und Visionen für die Zukunft. Mit dem logisch-wissenschaftlichen Denken hat die Menschheit die Gesetze der Schwerkraft entdeckt, mit Geschichten wie der von Ikarus und Daedalus hielt sie den Traum vom Fliegen wach – bis es gelang, ihn zu verwirklichen. 1. Unser Gehirn denkt in Geschichten 1.1 Das episodische Gedächtnis: Speicher für Geschichten

Die Überlegungen von Bruner wurden in den letzten Jahren von Ergebnissen der Gehirnforschung bestätigt. Sie zeigen, dass das Erzählen nicht nur eine schöne Ausschmückung der Kommunikation ist, die man auch lassen kann, sondern tief in der Struktur unseres Gehirns verwurzelt ist. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Neurophysiologie ist, dass es nicht nur eine, sondern mehrere Arten von Gedächtnis gibt. Die beiden wichtigsten davon 201


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