Wien Museum Ausstellungskatalog „Österreichische Riviera - Wien entdeckt das Meer“

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Christian Rapp · Nadia Rapp-Wimberger [HG.]

Wien Museum

Österreichische Riviera Wien entdeckt das Meer

CZERNIN VERLAG



Her ausg e ge be n von

C hr istian Rapp · N adia R a pp - wi m b erger

Österreichische Riviera  Wien entdeckt das Meer

Wien Museum Czernin verlag


Österreichische Riviera Wien entdeckt das Meer 393. Sonderausstellung des Wien Museums Wien Museum Karlsplatz 14. November 2013 bis 30. März 2014

AUSSTELLUNG

K ATA L O G

I d ee un d K o n z e p t

Herausge b er

Christian Rapp Nadia Rapp-Wimberger

Christian Rapp, Nadia Rapp-Wimberger im Auftrag des Wien Museums

K urat o r I sc h es T ea m

Christian Rapp Nadia Rapp-Wimberger Astrid Göttche Alexandra Hönigmann-Tempelmayr, Wien Museum

R e d akti o n

Astrid Göttche Alexandra Hönigmann-Tempelmayr L ekt o rat

Vera Ribarich

A rc h itektur

polar:-

G ra f isc h e G estaltung

Haller & Haller

A usstellungsgra f ik

Larissa Cerny

F o t o s W ien Museu m

faksimile digital

gra f ik

Haller & Haller

S c h ri f t

Ü b erset z ung

Copperplate Gothic light, Corporate A, Corporate S

Vera Ribarich Angela Parker

Pa p ier

Gardapat Chiara

A usstellungsPr o d ukti o n Druck

Bärbl Schrems

die2gstelle

R egistrar

Andrea Glatz Laura Tomicek

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

R estaurierung

Anne Biber Alexandra Moser Gunn Pöllnitz

Copyright © 2013 by Wien Museum und Czernin Verlag Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Abdrucks oder der Reproduktion einer Abb., sind vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

A u f b au

museom Me d ientec h nik

cat-x

ISBN Broschur 978-3-7076-0479-5 ISBN Hardcover 978-3-7076-0478-8

Hauptsponsor des Wien Museums

AUSSTELLUNGSsponsor

KOOPERATIONSPARTNER


INHALT

Wolfgang Kos 6

Vorwort

Christian Rapp, Nadia Rapp-Wimberger 12

Wien und die Adria Rückblick auf eine Fernbeziehung Erika Oehring

24

Voyages Pittoresques Bilder von der österreichischen Riviera Michaela Lindinger

44

Auf Abwegen – Habsburger am Mittelmeer Peter Jordan

54

Der Kvarner und seine Inseln Die Vorgeschichte des Riviera-Tourismus Desirée Vasko-Juhász

66

Komfort und Kapital Die Südbahn und ihre Abbazia-Hotels Andreas Gottsmann

76

Vor und hinter den Kulissen Tourismus und nationale Spannungen in Abbazia und Istrien Mirjana Kos

88

Seefahrerstadt wird Kurzentrum Geschichte des Tourismus auf Lussin/Losˇinj Christian Marysˇka

96

„... Und Dann wieder das blaue Meer“ Zum Bildinventar der Tourismuswerbung für die österreichische Riviera

Peter Stachel 108

Die „eigene“ Fremde Dalmatien in Reiseführern und Reiseberichten (1815–1918) Aleksandar Jakir

118

Jenseits der Reiseführer Nationale Emanzipation und Konflikte in Dalmatien Branka Vojnovic ´ Trazˇivuk

126

Dalmatiens Volkskunst Ihre „Entdeckung“ und Konstruktion durch die Ethnologie um 1900 Josef Mugler

136

Das Unternehmen Brioni Paul Kupelwieser und sein Inselprojekt Petra Kavrecˇicˇ

148

Vom Kurort zum Ferienparadies Grado und Portorose/Portorozˇ Ursula Storch

160

„Der Süden ist eine Haltestelle unserer Elektrischen geworden“ Die Adria-Ausstellung 1913 Michael Zinganel

170

Die rote Riviera Architektur eines Urlaubsparadieses im Sozialismus

179

Die Ausstellung

302

Autoren, Danksagung, Leihgeber, Bildnachweis


Vorwort

Palace Hotel Portorose Postkarte um 1910 Privatbesitz, Wien

Peter Balzer, Johann Weber Plakat „Wien-Triest“, 1898 Österreichische Nationalbibliothek, Wien

Viele Wiener und Wienerinnen haben persönliche oder in der Familie tradierte Erinnerungen an Aufenthalte an der Adria, auch wenn für die meisten heute fernere Destinationen wie Mallorca oder die Seychellen Sehnsuchtsorte sind. Ich erlaube mir, aus dem eigenen Erinnerungsfundus zu schöpfen. So habe ich noch die Erzählungen meiner Großmutter im Ohr, die nur einmal in ihrem Leben an der Adriaküste war, nämlich knapp vor 1914 im einstigen k. u. k. Nobelkurort an der istrianischen Küste, der heute Portorozˇ heißt. Damals verwendete man den italienischen Name Portorose, den meine Großmutter (die nicht aus der Oberschicht stammte) aber französisch aussprach: Portorooos, also mit lang gezogener, vornehmer Schlusssilbe. Ein kleines Beispiel nur für den Image-Transfer von der für die meisten unerreichbaren französischen Original-Riviera zur österreichischen. Auch wenn es sich, wie wir heute nüchtern feststellen müssen, um eine „Ersatzriviera“ gehandelt hat, so war der subjektive Eindruck, einen Ort mit internationalem Flair besucht zu haben, durchaus authentisch. „Riviera“ bezeichnete ja nicht nur topografisch einen Landschaftstypus, der durch das Heranrücken von Berghängen an das Meer gekennzeichnet war, sondern wurde zu einem universellen touristischen Symbol für fashionable Schau- und Badefreuden. Steilküste und Sandstrand schließen sich im Regelfall aus (weshalb die Metapher „Riviera“ für einen flachen Badeort wie Grado nicht anwendbar war), dafür bieten knapp über Meeresniveau liegende Hotels Panoramablick. 2004 fand im Wien Museum eine Ausstellung mit dem Titel „Riviera an der Donau – Sommerfrische Kritzendorf“ statt. Also auch in einem stadtnahen Strombad ließ sich Riviera-Flair imaginieren. Meine eigenen Adria-Erinnerungen sind von den Nachkriegsjahrzehnten geprägt, als es noch mühsam war, ans Meer zu reisen: Während andere in den 60er Jahren bereits mit dem VW-Käfer zum Camping nach Caorle fuhren, besaßen 6


Ă–sterreichische Riviera

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Vor wort

meine Eltern noch kein Auto. Also reisten wir (wie zu Kaisers Zeiten, nur unbequemer) mit dem Zug – oder mit dem Reisebus. Einige Stunden Venedig ergaben sich durch einen preiswerten Tagesausflug, den ein Busunternehmer in unserem Kärntner Ferienort anbot. Gebadet haben wir zwar im „Ozean“, aber so hieß bloß ein Ziegelteich im Süden von Wien. Einmal nur kam es zu einem zweiwöchigen Familienurlaub an der Adria, in Selce bei Crkvenica südlich von Rijeka. Die Zugreise war mühevoll, umso ˇevapcˇic´i und der Jugo-Pop in faszinierender waren die noch unbekannten scharfen C der Stranddisko. Es war eine fremde Welt mit fremden Menschen. Dass Kroatien und Dalmatien einmal österreichisch waren, spielte für uns keine Rolle mehr. Diese Kontinuität war erst viele Jahre später spürbar, als Seebäder wie Opatija, das ehemalige Abbazia, in den postsozialistischen Nostalgie-Aufwind gerieten und eine merkwürdige Habsburger-Nostalgie die Region um Triest mit spezieller Patina heimsuchte. Auch meine Frau und ich hielten wie viele Wiener Freunde Nachschau, wie es um die einstige Pracht bestellt war und flanierten auf der pittoresken Promenade zwischen Lovran und Opatija. Sogar einem alten Hotelkasten in Portorozˇ erwiesen wir unsere Reverenz. Obwohl wir in einem Hotel aus der Monarchie Quartier nahmen, war nur mit Fantasie zu imaginieren, wie meine Großmutter hier die große Welt gespürt hatte. Längst wurden in Wien wieder Spezialtipps für besondere Plätze an der ehemals kaiserlichköniglichen Küste ausgetauscht: Die kleine Pension in Duino! Die Trüffelnudeln in Istrien! Die frisch herausgeputzten Wiener Villen in Grado! Auch diese Ausstellung ist eine retrospektive Neuentdeckung der „österreichischen Riviera“. Nach frühen Büchern von Südbahn-Enthusiasten wie Alfred Niel erschienen in den letzten Jahrzehnten etliche Text- und Fotobände, die selten ohne Melancholie auskamen. In jüngster Zeit nahmen Spurensuche und neu tradiertes Wissen, aber auch die kulturgeschichtliche Erforschung der Region merkbar zu – in Österreich ebenso wie in Kroatien. Unsere Ausstellung steht also auf einer breiten und aktuellen Forschungsbasis. Dementsprechend breit gefächert sind die Fragestellungen in Ausstellung und Katalog. Die Bedeutung der militärisch-politischen Aneignung und verkehrstechnischen Erschließung der oberen Adria wird ebenso thematisiert wie die entscheidende Rolle der Medizin bei der Propagierung von Kurorten wie Abbazia, die ästhetischen Blickverschiebungen ebenso wie die von Wien ausgegangene ethnografische Erkundung einer der ärmsten Regionen der Habsburger-Monarchie. Vor allem werden die vielfältigen ökonomischen und sozialen Bezüge zwischen Zentrum und Peripherie herausgearbeitet – am Beispiel einer faszinierenden Mustererzählung einer von Wien ausgehenden „Kolonisierung“ einer Erholungslandschaft. Die Schau endet 1918 (unser Ausstellungsraum ist deutlich kürzer als die altösterreichische Küste!), aber einige Blitzlichter auf spätere Transformationen des Fremdenverkehrs in Richtung Massentourismus dürfen nicht fehlen. 8


Österreichische Riviera

Wer die Programmlinie des Wien Museums kennt, weiß, dass der Blickraum eines Großstadtmuseums über Wien hinausgehen muss. Überraschend viele Bilddokumente fanden sich in der eigenen Sammlung, sei es im Kontext von Wiener Biografien oder in einer Ordnungskategorie, die irgendwann „fremde Orte“ benannt wurde. Keineswegs zum ersten Mal findet man am Karlsplatz Meeresrauschen: Von der „Riviera an der Donau“ war bereits die Rede, eine weitere Ausstellung erzählte vom „Meer der Wiener“. Das war ein Werbebegriff, mit dem in der Zwischenkriegszeit für Ausflüge zum Neusiedler See geworben wurde. Dass man ihn als „Meer“ imaginierte, war eine indirekte Folge des Endes der Monarchie. Speziell der Verlust des „eigenen“ Zugangs zum Meer wurde im Klein- und Binnenstaat Österreich als traumatisch empfunden, also diente der Steppensee im neuen Bundesland Burgenland als kleine Kompensation. In der Ausstellung „Großer Bahnhof“ wiederum wurden unter anderem die Zielgebiete der von Wien ausgehenden Bahnlinien behandelt – und damit auch die Südbahn als Symbol des Südens. Mein großer Dank gilt dem Kurator Christian Rapp und der Kuratorin Nadia Rapp-Wimberger. Mit ihnen war von Anfang an gesichert, dass große Fachkenntnis und Erfahrung in der Ausstellungsdramaturgie in das Konzept einfließen werden. Um ein letztes Mal Persönliches einzubringen: Gemeinsam mit Christian Rapp gestaltete ich die niederösterreichische Landesausstellung 1992 zum Thema „Die Eroberung der Landschaft – Semmering, Rax, Schneeberg“. Wiederholt hat er sich in Ausstellungen und Publikationen – neben vielen anderen Themen – mit Landschaftswahrnehmung, Tourismus und Mobilität befasst. Herzlicher Dank auch an Alexandra Hönigmann-Tempelmayr, die das kuratorische Team seitens des Wien Museums ergänzt hat und deren außergewöhnliches Engagement festzuhalten ist. Besondere Reverenz möchte ich den Ausstellungsarchitekten polar:- und den Grafikbüros Larissa Cerny (Ausstellung) und Haller & Haller (Katalog und Plakat) erweisen. Mit allen verbindet das Museum eine längere und einmal mehr ideenreiche und stilsichere Zusammenarbeit. Ich bedanke mich bei Bärbl Schrems und dem Produktionsteam des Wien Museums für die umsichtige und engagierte Betreuung des Projektes. Viele Leihgeber haben die Ausstellung unterstützt. Neben den einmal mehr großzügigen österreichischen Museen und Archiven gilt mein besonderer Dank den Museen in Split, Rijeka, Opatija und Triest, staatlichen Archiven in Italien und Kroatien, dem Tourismusverband Opatija, dem Nationalpark Brijuni sowie den zahlreichen privaten Leihgebern in Kroatien, Slowenien und Österreich. Sie alle tragen mit bedeutenden Leihgaben – darunter zahlreiche noch nie gezeigte Exponate – zum Gelingen der Ausstellung bei. Wolfgang Kos Direktor Wien Museum

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Wien entdeckt das Meer

Erwin Pendl S端dstrand von Abbazia, 1911 Sammlung Samsinger

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Ă–sterreichische Riviera

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Wien und die Adria Rückblick auf eine Fernbeziehung

C h r istian Rapp N a d ia Rapp - Wimbe rge r

1 Ljubica Pilepić et al.: Hotels’ online sales

strategies with emphasis on web booking, Academic and Business Research Institute.

Die Szene ist verführerisch: Ein Bademantel, über den weiß gestrichenen Holzsessel gelegt, frisch gepresster Orangensaft im Glas, Obst und Blumen auf dem Tisch, dahinter das Meer. Links vom eigenen Balkon dichte Reihen cremefarbener Säulen und gedrechselte Balustraden; dahinter ein noch schmuckerer Palast in Hellblau mit schmiedeeisernen Balkons, Türmchen und Erkern. Die weitläufige Terrasse wird von bunten Sonnenschirmen aus festem Stoff überdeckt, rund um sie stehen Zypressen und Palmen. Den Horizont bildet ein dicht bewaldeter Bergrücken. Das Klirren von Kaffeetassen und die kühle Morgenluft verraten, dass es Zeit für das Frühstück ist. Es hat sich offenbar nichts geändert, seitdem man vor etwa hundert Jahren hier gewesen sein könnte. Die Fassaden der eleganten Hotels und Villen sind frisch gestrichen, die Parkanlagen und Promenaden gepflegt, das Meer unverändert schön. Die Hotels heißen Bellevue, Excelsior, Grand und Palace, die Uferpromenade ist nach Kaiser Franz Joseph benannt. Lediglich die lärmende Durchzugsstraße hinter den Hotels, die Marschall-Tito-Straße, ist ein Hinweis, dass zwischen der Gründerzeit dieser Kurstadt und dem Heute etwas gewesen sein könnte. Opatija, das alte Abbazia, setzt erfolgreich auf die Überblendung von alten und neuen Bildern. Investitionen in die alten k. u. k. Hotels lohnen sich. Exklusivität und historisierendes Ambiente macht sich nicht nur im Prospekt gut, sondern lässt sich auch an Individualkunden verkaufen, die ohne Umweg über Agenturen buchen. Damit bleibt dem Hotel mehr vom Zimmerpreis. Umso wichtiger sind der Look, die Atmosphäre und ein Vertrauen stiftender Eindruck.1 Und die Bilder von der alten und 12


Österreichische Riviera

Blick von der Punta Colova Richtung Süden Postkarte, 1913 Privatbesitz, Wien

von der neuen Eleganz passen gut zusammen. Wichtiges Medium für die Überblendung zwischen Gegenwart und Vergangenheit ist die historische, kolorierte Postkarte. Man findet sie in zahlreichen Büchern, in Museen, neu aufgelegt in Souvenirläden, aber auch in vielen Hotels – auf Gemäldeformat vergrößert und gerahmt als Wandschmuck. Vielfach verdrängt sie dort Grafiken und Schwarzweiß-Landschaften aus jugoslawischer Zeit. Tourismusnostalgie ist aber nicht nur ein postsozialistisches Phänomen. Auch im italienischen Grado ist man seit Jahren von einer Vielzahl alter Bilder umgeben. Nahezu jährlich gibt es Sonderausstellungen in der Stadt, etwa zu historischen Werbe‑ plakaten und lokalen Fotoateliers, in den Pensionen liegen großzügig gestaltete Bildbände über die historischen Anfänge des Badeortes auf, und vermutlich war Auchen‑ tallers berühmtes Grado-Plakat mit den eleganten Damen nie verbreiteter als heute, wo es, laminiert und lichtresistent gedruckt, die langen Zäune des Badestrandes schmückt. In Österreich erinnert man sich seit den 1980er Jahren der „k. u. k. Riviera“, wie ein Buch von Alfred Niel hieß. In den letzten Jahren hat die Zahl der Neuerscheinungen markant zugelegt.2 Auch Romanciers befassen sich mittlerweile mit der Region und ihren Tourismusakteuren.3 An der Konjunktur der historischen Bilder setzte unser Interesse am Thema an, wobei uns zunehmend mehr beschäftigte, was die übereinander gelagerten Bilder unterscheidet, was den Abstand zwischen ihnen ausmacht. An der „Welt von gestern“ 13

2 Zum Beispiel Johannes Sachslehner:

Abbazia. K. u. k. Sehnsuchtsort an der Adria, Wien/Graz/Klagenfurt 2011; Renate BaschRitter: Die k. u. k. Riviera, Wien 2002; Elmar Samsinger: Eine Automobil-Reise durch Bosnien, die Hercegovina und Dalmatien, Wien 2011. 3 So beschreibt Egyd Gstättner den Maler und Grafiker Josef Maria Auchentaller in einer fiktiven Biografie: Egyd Gstättner: Das Geisterschiff, Wien 2013.


Wien und die Adria – Rückblick auf eine Fernbeziehung

Statuten des Vereins „Österreichische Riviera“ zur Gründung schwimmender Sanatorien an der österreichischen Riviera, 1904 Archivio di Stato di Trieste

4 Fernand Braudel: Das Meer, in: Fernand

Braudel, Georges Duby, Maurice Aymard: Die Welt des Mittelmeeres, Frankfurt 2006, S. 37. 5 Thomas Mergel: Transnationale Kommunikation von unten. Tourismus in Europa nach 1945, in: Martin Sabrow (Hg.): Potsdamer Almanach des Zentrums für Zeithistorische Forschung 2008, Göttingen 2009, S. 115-126.

interessiert uns mehr die Ferne als die Nähe. Denn die Blütezeit der österreichischen Riviera hat ihren Schwerpunkt in den Jahren 1890–1914, das sind nicht einmal 25 Jahre. Seither ist viermal so viel Zeit vergangen, ein ganzes Jahrhundert mit beträchtlichen Turbulenzen, in denen wenig unverändert geblieben ist, und das nicht nur in politischer Hinsicht. Das Mittelmeer selbst ist, wie es Fernand Braudel treffend charakterisiert, von einer Unendlichkeit zu einem großen See geschrumpft.4 Kaum steigt man mit dem Flugzeug bei Gibraltar auf, geht es im Osten des Mittelmeeres auch schon wieder hinunter. Brauchte man vor hundert Jahren zwölf Stunden von Wien nach Triest und zwei Tage mit dem Schnelldampfer von Triest nach Ragusa/ Dubrovnik, so ist man heute in zwei Stunden am Ziel. Das ist nicht nur eine Frage der technischen Beschleunigung, das prägt auch innere Landkarten und Freizeit‑ konzepte der Menschen. Zwei Stunden Fahrzeit sind jene Distanz, mit denen einst die Hotels am Semmering bei Wien um eine Stippvisite warben – eine Distanz, die einen Wochenendausflug rechtfertigt, vielleicht sogar eine Tagesreise. So gesehen ist das Mittelmeer in den letzten hundert Jahren in die Umgebung Wiens gerückt. Wienerinnen und Wiener haben heute intensivere Beziehungen zu „ihrem“ Mittelmeer denn je. Opatija zum Beispiel wird von durchschnittlich etwa 330.000 Menschen im Jahr besucht, 1914 waren es 42.000. Der Anteil der Gäste aus dem Gebiet des heutigen Österreich machte 1914 rund 21 % aus, das entsprach etwa 8.800 Gästen. Heute kommen etwa 16 % der Gäste aus Österreich, also insgesamt 54.400 Personen. Viele Wiener pflegen seit vielen Jahren persönliche Kontakte zu ihren Gastgebern in Kroatien und Oberitalien, nicht wenige besitzen ein eigenes Haus, eine Ferienwohnung oder ein Segelboot in einem der Häfen. Sie alle sind Teilnehmer jenes innereuropäischen Transfers zwischen Nord und Süd, den Thomas Mergel als „transnationale Kommunikation von unten“ bezeichnet hat, die wesentlich zur europäischen Integration beiträgt.5 Es gibt also wenige Gründe, einer angeblich verlorenen Küste nachzutrauern. Der Kreis jener Großstädter, die sich vor hundert Jahren einen Aufenthalt an der Adria leisten konnten, war überschaubar, und viele suchten sie aufgrund von Krankheiten und Schwächezuständen auf, die man sich heute kaum als Anlass einer Reise ans Meer wünschen würde. Der Aufenthalt im Seewasser war in erster Linie ein therapeutisches Mittel. Man muss sich dazu einen völlig anderen medizinischen Körperbegriff vergegenwärtigen. In der Kenntnis des menschlichen Körpers war man gerade so weit, Zellen beschreiben und analysieren zu können. Man wusste, wie diese auf Flüssigkeiten, auf Luft, Hitze oder elektrische Energie reagieren und leitete daraus entsprechende Therapien ab. Man verließ sich auf das exakt Messbare: Luftfeuchtigkeit, Salzgehalt, Temperatur und die Kranken- und Sterbedaten der lokalen Bevölkerung. Der Wirkung des Klimas auf den Körper wurde so ernst genommen wie heute die Wirkung von Antibiotika. Die reine Luft auf offener See galt als das Ideal schlechthin, die Seereise selbst als wichtiger Bestandteil des Heilungsprozesses. 14


Österreichische Riviera

Meeresmediziner, sogenannte Thalassotherapeuten, befassten sich unter anderem mit der Möglichkeit, Schiffe als Sanatorien einzurichten.6 Als unbestritten galt die Wirkung der Seeluft auf tuberkulosegefährdete Kleinkinder,7 weshalb in enger Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsbehörden und Ärzteschaft bereits seit den 1870er Jahren entlang der Küste systematisch Orte gesucht und geprüft wurden, die sich für die Anlage von Hospizen eigneten. Hier sollten die Kinder, weitgehend abgeschottet von der Umgebung, an der Seeluft genesen. Der kranke Mensch – und jener, der Krankheiten vorbeugen wollte – war der erste Gast der „österreichischen“ Riviera, das primäre Zielpublikum des frühen Küstentourismus. Um ihn herum entstand ein spezifisches Milieu aus Ärzten, medizinischem Personal und lokalen Unternehmern, das die Keimzelle der touristischen Entwicklung bildete. Aus dem medizinischen Diskurs dürfte auch die Verwendung des Begriffs „Riviera“ abzuleiten sein. Ärzte und Gesundheitsbeamte hatten bei ihren vergleichenden Untersuchungen von Küstenorten immer wieder stolz auf Klimadaten verweisen können, die jenen von Nizza, Antibes und Cannes entsprachen und sich auf ähnliche geografische Verhältnisse, die Kombination aus Meer und Steilküste mit klimaregulierenden Wäldern, zurückführen ließen. Die schmale Küstenzone, unterbrochen von felsigen Strecken, mit einem mächtigen Gebirgszug dahinter, immergrüne Strauchvegetation, teilweise durch exotische Pflanzen wie Eukalyptus, Mimosen und Agaven ersetzt, gilt bis heute unter Geografen als Kennzeichen des Küstentypus „Riviera“. Bereits um 1885 ist in Reisebeschreibungen von einer „Riviera“ bei Abbazia die Rede, bald darauf von der „österreichischen Riviera“8. Der Begriff wird in den folgenden Jahren in naturwissenschaftlichen Zeitschriften aufgegriffen, um den Landstrich rund um Abbazia zu beschreiben. Um 1890 hat sich der Begriff in der deutschsprachigen touristischen Literatur etabliert.9 Bis in späten 1890er Jahre bezeichnete die „österreichische Riviera“ allerdings nur den etwa 10 Kilometer langen Küstenstreifen zwischen Volosca/Volosko und Lovrana/Lovran. Zu einer wesent‑ lichen Erweiterung des Begriffs haben vermutlich Schifffahrtsunternehmen, wie zum Beispiel der Österreichische Lloyd, beigetragen. Als Verleger von geografischer Literatur, Reisezeitschriften und Reiseführern hatte der Lloyd gewissermaßen die sprachliche Deutungshoheit über den Adriaraum inne. Er nahm den Begriff auf und erweiterte ihn, weil er unabhängig von den komplizierten Verwaltungseinheiten Görz, Gradiska, Istrien und Dalmatien die gemeinsame Küste zu beschreiben vermochte, international vermarktbar war und die „österreichische“ Küste gegenüber dem ungarischen Littorale – also der ungarischen Küste bei Fiume/Rijeka – abgrenzte. Auf der Pariser Weltausstellung von 1900 präsentierte der Lloyd das gesamte Küstengebiet einschließlich Dalmatiens mit dem Titel „österreichische Riviera“ und warb u. a. für das neue Imperial-Hotel in Ragusa mit Landschaftsbildern des südlichen Küstenabschnitts. 1904 erschien die erste Ausgabe der Österreichischen Riviera-Zeitung, die sich im Untertitel als Organ für die kurörtlichen und wirtschaftlichen Interessen von 15

6 Zentralblatt für Thalassotherapie,

1. Jg., Nr. 1, Abbazia 1909, S. 3-10. 7 Siehe dazu z. B. Alexander Ritter von

Goracuchi: Die Adria und ihre Küsten mit Betrachtungen über Triest als Badeort nebst einer Erörterung über das Seewasser, Triest 1863, S. 50f. 8 Die erste Erwähnung des Vergleichs von Abbazia mit der französischen Riviera findet sich im 1884 erschienenen Tagebuch aus Abbazia von Heinrich Noë. 1887 heißt es in einer zoologischen Zeitschrift, dass man die Dörfer an der Küste bei Abbazia „einstweilen noch etwas hyperbolisch“ die „österreichische Riviera“ nenne. Verhandlungen der kaiserlich-königlichen zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien, Bd. 37, Wien 1887, S. 501. 9 Z. B. Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Band 80, Braunschweig 1890, S. 556.


Wien und die Adria – Rückblick auf eine Fernbeziehung

10 Eugen Gelcich: Die Insel Lussin mit

den beiden Städten Lussingrande und Lussinpiccolo, Wien 1888, S. 2. 11 Heinrich Noë: Dalmatien und seine Inselwelt nebst Wanderungen durch die Schwarzen Berge, Leipzig 1870, Vorwort, o. S.

Dalmatien, Istrien und Triest bezeichnete. Damit war der maximale Geltungsraum der „Riviera“ festgeschrieben. Der Begriff hatte sich von seinen geografischen Grundlagen gelöst und fasste nunmehr einen beachtlichen „touristischen“ Raum zusammen, der die Steilküsten Dalmatiens ebenso einschloss wie die flachen Sandstrände von Grado. Dieser Raum war über 2.000 Kilometer lang, aber nur wenige Kilometer tief. Die wirtschaftlichen Player der „Riviera“, Kurärzte, Hoteliers, Eisenbahn- und Dampfergesellschaften, hatten lediglich an der Entwicklung und Wertschöpfung der Häfen- und Küstenstädte Interesse, keineswegs an einer Erschließung der Umgebung. Das Hinterland hatte Versorgungsfunktion, alles andere wurde mitgebracht, von den Investoren und den Architekten der Hotels bis zu den Zahlkellnern. Wichtiger Garant für die Unabhängigkeit der Ortsentwicklung gegenüber politischen Instanzen und regionalen Interessen war die Kurkommission, die aus den Tourismuseinnahmen finanziert wurde und weitgehend selbständig über die Ausgaben für Infrastruktur und Gestaltung des Kurortes entscheiden konnte. In der Hand der Kurkommission von Abbazia etwa lagen zahlreiche Aufgaben, die sonst von Gemeinden bestritten werden, wie etwa die Straßenreinigung, die Wegeerhaltung und die elektrische Beleuchtung öffentlicher Anlagen. In manchen Orten übernahmen Hygiene- und Verschönerungsvereine eine vergleichbare Funktion. Auch sie sorgten für einen teilautonomen Wirtschaftskreislauf im Interesse der Tourismusunternehmen. Im Detail konnten sich einzelne Küstenorte sehr unterschiedlich entwickeln. Es gab den Typus der urbanen, aus dem Nichts geschaffenen Kurkolonie wie Abbazia, es gab aber auch zahlreiche alte Inselstädtchen mit nur einer oder zwei Pensionen, die sich „Hotel de la Ville“ oder „Hotel de la Cité“ nannten. In Arbe/Rab, in Werbebroschüren vollmundig als das „österreichische Venedig“ beworben, war das erste „Grand Hotel“ ein umgebautes Patrizierhaus. Im Seefahrerort Lussingrande/ Veli Losˇinj wurden Sanatorien in alten Kapitänshäusern eingerichtet, praktisch ohne Umbaumaßnahmen. Trägerinnen des Tourismus waren dort Nonnen, Mönche und Familien, die sich auf die Betreuung kranker Kinder spezialisiert hatten. Nicht an Beherbergungsraum fehle es, so ein Führer aus dem Jahr 1885, nur am entsprechenden Wirtshaus: „Wohnungen findet man auf Lussin so viele man will, es wäre nur noch für eine gute Restauration mit deutscher Küche zu sorgen gewesen.“10 Je weiter südlich man kam, umso schwächer wurde der Einfluss der Metropole, ihres Kapitals und ihres Geschmacks, sieht man von den großen Städten wie Zara/ Zadar, Spalato/Split und Ragusa ab. Es änderte sich aber auch die touristische Praxis. Der Kurtourismus wurde abgelöst von einem Bildungs- und Entdeckertourismus. Nach Dalmatien reiste man, um antike Denkmäler, byzantinisch und venezianisch geprägte Städte zu sehen, an die Grenzen des Reiches vorzustoßen, schroffe Gegensätze von Natur und Kultur zu erleben. Das schlägt sich auch in der Sprache der Reiseführer nieder. Der Reiseschriftsteller Heinrich Noë nennt seine Beschreibungen Dalmatiens eine „Galerie von Stereoskopen aus den eigenthümlichsten Zügen der Natur und des Menschenlebens“.11 Natur und Mensch werden nicht zufällig gemein16


Österreichische Riviera

Arbe/Rab Koloriertes Dia, um 1910

sam genannt, sondern stellen einander ergänzende Akteure dar, beide gleichermaßen „ungebändigt“. Die Reize „einer überreichen üppigen Vegetation“ verbinden sich, so ein weiterer Dalmatienführer, mit „dem lebendigen Interesse an einer eigenartigen Bevölkerung, in deren Adern griechisches, römisches, slawisches und osmanisches Blut fließt und die darum zu den interessantesten Völkern des Erdballs zählt.“12 Im Unterschied zur nördlichen Riviera richtet sich die Perspektive vom Eigenen auf das Fremde, auf das Unbekannte und „Interessante“. Der ethnografische Diskurs wird bestimmend. Man vermittelt ein Bild bunten Lebens sowie vielfältiger Gebräuche und Trachten. Das war nicht nur touristisch attraktiv, sondern auch politisch wichtig. Kulturelle Vielfalt kann ja von Eliten durchaus positiv gedeutet werden, als Charakteristikum agrarischer Gesellschaften, die aus kleinen, isolierten oder konkurrierenden Einheiten bestehen und nicht zuletzt wegen ihrer Heterogenität einer Steuerung durch ein Zentrum bedürfen. Erst die politische Integration breiterer Bevölkerungsschichten macht kulturelle Heterogenität „zu einem Problem der herrschenden Eliten und des Staates“, wie Elke Nicole Kappus am Beispiel von Istrien ausführt.13 In den großen Küstenstädten, die man als Tourist mit den Dampfschiffen ansteuern konnte, 17

Österreichisches Volkshochschularchiv, Lichtbildersammlung Urania Wien

12 Illustrierter Führer durch Dalmatien,

Wien/Leipzig 1915, S. V. 13 Elke-Nicole Kappus: Eine Reise in die

lebendige Vergangenheit – Ethnographische Blicke auf Istrien, in: Veronika Plöckinger und Matthias Beitl (Hg.): Istrien – Sichtweisen, Wien 2001, S. 36.


Wien und die Adria – Rückblick auf eine Fernbeziehung

14 Wiener Gemeindevertreter in den

Südländern unseres Vaterlandes (Mai 1909), Aufzeichnungen eines Reiseteilnehmers, Wien 1910, S. 26. 15 Ebda. S. 36. 16 Katharina von Bukowska von Stolzenburg: Meine Reisen in Süddalmatien (1904–1907), in: Tillfried Cernajsek (Hg.): Berichte der Geologischen Bundesanstalt 98, Wien 2013, S. 37.

waren solche Integrationsprozesse allerdings schon längst im Gange und standen im Widerspruch zur Vorstellung eines friedlichen vorindustriellen Lebens. Wer sich als Tourist für ein paar Stunden am Tag an Land begab und abends auf den Dampfer zurückkehrte, wie es mitunter empfohlen wurde, mochte sich an den Bildern uneingeschränkt erfreuen und tatsächlich in der „eigenartigen“ Bevölkerung ein Amalgam früherer Besiedlungsstufen sehen, ohne diese ethnisch, sozial und politisch zu differenzieren. Änderte man aber den Habitus, konnte deutlich werden, wie spannungsgeladen die innenpolitische Situation bereits war. Als Bürgermeister Karl Lueger und eine Gruppe Wiener Gemeinderäte im Jahre 1909 auf einer offiziellen Reise in die „Südländer“ auch der Stadt Spalato einen Besuch abstatteten, mischten sich zwischen die offiziellen Jubelkundgebungen „die grellen Pfiffe irredentistischer und sozialistischer Parteigänger“. Polizei und Finanzwachmannschaften mussten „energisch vorgehen, um den Wienern und ihren Freunden“ durch die dichtgedrängte Menge den Weg ins Zentrum zu bahnen und sie vor Protestdemonstrationen zu schützen.14 Bürgermeister Mihajlovic´ bedauerte in einer Rede an die Gäste die Vorgänge und meinte, an ihnen wären „nicht Einheimische, sondern auswärtige, fremde Elemente schuld“.15 Außerhalb der großen Städte Dalmatiens wurden die Trennlinien zwischen „eigenen“ Stützpunkten und dem fremden Territorium noch schärfer gezogen. Der Aktionsraum wurde enger, je weiter es gegen Süden ging, beschränkte sich schließlich auf die abgesteckte Sphäre der Ordnungsmächte, die Garnisonen des Militärs, die Agenturen der Schifffahrtsunternehmen, Post- und Telegrafenämter. Wie einsam es an der Küste sein konnte, zumal wenn man, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und aus Überheblichkeit, den Kontakt mit den Einheimischen scheute, geht aus den Tagebüchern von Katharina von Bukowska von Stolzenburg hervor, der Gattin eines Geologen, der zwischen 1904 und 1907 viele Monate in der Umgebung von Spizza/ Sutomore verbrachte, um im Auftrag der Geologischen Reichsanstalt Vermessungen und Gesteinsuntersuchungen durchzuführen. Bukowska kann zwar anfangs den „kolossalen Bergriesen“ und den vielen Sonnenstunden einiges abgewinnen, klagt aber schon bald über das Essen, den Schmutz, die dürftigen Quartiere ohne Heizung, Probleme mit dem Lebensmittelnachschub und eine angeblich feindselige Bevölkerung. Zum Schutz vor umherziehenden montenegrinischen Banden müsse sich sogar der örtliche Pfarrer im eigenen Haus einschließen. Bezeichnenderweise spricht sie vom „fernen Vaterlande“, wenn sie an zu Hause denkt. „Soll mir nur jemand etwas vorsprechen oder vorlesen von den [sic!] herrlichen, gottvollen Küstenstrich Dalmatiens, dem [sic!] werde ich aber aufklären, wie lange diese Schwärmerei wohl anhalten dürfte. Auf die Dauer hier zu bleiben, möchte keinem Menschen von all den Liebhabern dieses Landes einfallen, außer er wird gezwungen.“16 Distanz und ein Gefühl der Fremdheit konnte das Verhältnis zur österreichischen Riviera auch dort prägen, wo man sich im Kern der staatlichen Machtstrukturen wähnte, wie etwa in der Marinestadt Pola/Pula, dem Hauptkriegshafen der Mon18


Österreichische Riviera

Postkarte Adria-Ausstellung 1913: „Matrosen beim Laden eines 15-cm-Geschützes“, 1913 Wien Museum

archie. Der Schriftsteller Franz Karl Ginzkey ist als Sohn eines Marinechemikers dort aufgewachsen und erinnert sich an ein zwiespältiges Empfinden gegenüber seiner Geburtsstadt. Zwar verkörperten die mächtigen Schiffe und Werften „das Ansehen und den Stolz des Reiches“, und doch hatte er den Eindruck, dass der „Boden, auf dem sich alles dies vollzog“, ihm „nicht völlig zugehörig“ sei. „Irgendein Machtgedanke, fühlte ich, war hier am Werke, der Begriff der Eroberung war an die Stelle des naturgemäßen Wachstums getreten, und so konnte auch alles, was hier geschah, nicht von unbegrenzter Dauer sein.“ Ginzkey empfand „all das ernste, pflichttreue Geschehen“ um sich herum als „nicht ganz am richtigen Platze“ und „ahnte die Flüchtigkeit seines Bestandes.“17 Claudio Magris konstatiert für Triest eine sehr distanzierte Haltung der deutschsprachigen Bevölkerung gegenüber der Stadt. Sie blieb dem Wesen der Stadt fremd und nahm an ihrer Entwicklung nicht teil: „Beim Zusammenbruch der habsburgischen Herrschaft verlässt die ‚Kolonie‘ der Beamten und Angestellten die Stadt, ohne Spuren zu hinterlassen, die der langen habsburgischen und deutschen Präsenz in Triest entsprächen.“18 Das Verhältnis der Großstädter zur Küste und ihren Städten blieb also insgesamt fragil, distanziert und widersprüchlich. Interessanterweise entwickelten sich die Beziehungen dort am dauerhaftesten, wo sie am flüchtigsten und oberflächlichsten blieben – im Tourismus. Im Dienste des Fremdenverkehrs, mit dem Aufbau künstlicher, der Residenzstadt nachgebildeter Straßenzüge, Plätze, Parkanlagen und Kaffeehäuser gelang es tatsächlich, so etwas wie stabile Außenposten der Metropole zu schaffen, die sich von ihrer Umgebung ästhetisch, ökonomisch und politisch isolieren ließen. Für diese bedeutete der Zusammenbruch der Monarchie im Jahre 1918 auch nicht unbedingt das Ende. Der touristisch besonders intensiv ausgebaute Abschnitt der Riviera mit den Schlüsselorten Grado, Portorose/Portorozˇ, Pola, Abbazia und den Inselgruppen Brioni/Brijuni und Lussin/Losˇinj fiel nach 1918 Italien zu, die Küste südlich von Fiume/Rijeka gehörte zum neuen SHS-Staat (Staat der Slowenen, Kroaten und Serben), dem späteren Jugoslawien. Die Besitzverhältnisse blieben zunächst unangetastet, und selbst öffentliche Einrichtungen wie die Kinderhospize der Stadt 19

17 Franz Karl Ginzkey: Zeit und Menschen

meiner Jugend, Wien 1942, S. 29. 18 Claudio Magris/Angelo Ara: Triest – eine

literarische Hauptstadt in Mitteleuropa, München 1993, S. 44.


Wien und die Adria – Rückblick auf eine Fernbeziehung

Wien konnten weitergeführt werden. Für die Ärzte und das medizinische Personal änderte sich wenig, und auch österreichische Architekten konnten in der Zwischenkriegszeit noch manche Projekte an der Küste umsetzen.19 Werbegrafiker arbeiteten nun für italienische und jugoslawische Schifffahrtslinien und Fremdenverkehrsagenturen. Die Netzwerke von Gastgebern und Gästen waren zunächst stärker als staatliche Zugehörigkeiten. Erst die Weltwirtschaftskrise ab 1930 sowie die Verschärfung faschistischer Wirtschaftspolitik in Italien erhöhte den Druck auf ausländische Eigentümer. Der Zweite Weltkrieg und die Verstaatlichung im Nachkriegsjugoslawien, das nunmehr auch Istrien umfasste, bedeutete dann das endgültige Aus für ausländische Privatbetriebe. Aber noch in den 1950er Jahren führte zum Beispiel der österreichische Kriegsopferverband einige Jahre lang ein Kinderheim auf Losˇinj.20 Das Ende der österreichischen Riviera kam also nicht plötzlich, sondern war ein Rückzug auf Raten, der sich über viele Jahrzehnte hinzog. Wiener Mode, 15. Juni 1909 Zeitschrift Privatbesitz, Wien

19 Ein Beispiel für diese Kontinuität ist der

Grazer Architekt Alfred Keller, der noch bis in die 1930er Jahre Projekte an der jugoslawischen Küste umsetzte, die meisten davon im Zusammenhang mit dem Tourismus, siehe dazu: Jasenka Kranjčević: Alfred Keller (1875–1945), Zagreb 2013. 20 Lošinjski hoteli, pansioni i lječilišta 1887.–2012., Mali Lošinj 2012, S. 154.

Der Ausstellungsparcours Die Dramaturgie der Ausstellung folgt dem Prinzip einer Rundreise, wobei wir bestimmte Küstenregionen jeweils dann „aufsuchen“, wenn ihnen in der Entwicklung des Rivieratourismus eine Schlüsselrolle zukommt. Wir ordnen die verschiedenen Erscheinungsformen des Tourismus dabei exemplarisch bestimmten Orten zu, für die sie charakteristisch waren: In Abbazia war dies etwa der Kuraufenthalt im Winter, für Grado der Sommerurlaub am Sandstrand. Natürlich hat man in Abbazia früher oder später auch mit Kindern gebadet, und natürlich ist man in Grado auch elegant promeniert; aber Bedeutung erlangt haben Urlaubsorte mit sehr spezifischen touristischen Verhaltensweisen. Tourismusgeschichte ist immer auch eine Auseinandersetzung mit der Distribution von Sehnsüchten und Erinnerungen, und das spielt in die Konzeption einer Ausstellung herein. Das Leitmedium Ansichtskarte wurde bereits genannt; Ansichtskarten gibt es von überall, und es wäre ein Leichtes gewesen, die gesamte Reiseroute mithilfe dieses Mediums zu absolvieren. Doch wollten wir damit zurückhaltend umgehen, weil ein „flächendeckender“ Einsatz die Differenzen zwischen Orten, ihrer Nutzung und ihrer visuellen Repräsentation allzu sehr eingeebnet hätte. Wir haben versucht, innerhalb der Fülle an visuellem Material „aufzuräumen“ und bestimmten Themen jeweils diskursrelevante Medien zuzuordnen. Eine solche Schwerpunktsetzung spiegelt kulturelle Asymmetrien deutlicher wider. So erhält sich von entlegenen, „exotischen“ Gegenden anderes Material als von Tourismusmaschinerien wie Abbazia. Aber auch innerhalb eines Mediums gibt es unterschiedliche Nutzungsweisen, die zu berücksichtigen waren. Die Postkarte aus dem Kurort schreibt man, um Verwandten und Freunden von der allmählichen Genesung zu berichten, die Postkarte vom Sandstrand, die den Absender im Badekostüm zeigt, dient auch der eigenen Erinnerung an einen Familienurlaub. 20


Österreichische Riviera

Unsere Rundfahrt beginnt mit der „Ankunft“ in den beiden großen Hafenstädten Triest und (dem damals ungarischen) Fiume, die 1856 bzw. 1873 an die Eisenbahn angeschlossen wurden und die Schnittstellen zwischen Wien und dem Meer bildeten. Zu dieser Zeit hatte das bürgerliche Publikum der Metropole durch Reisebücher, Zeitschriftenbeiträge, Grafikserien und Mappenwerke durchaus schon eine bestimmte Vorstellung von Küste und Meer, die in einem eigenen Kapitel thematisiert wird. Auch die therapeutische Wirkung von Seeluft wurde bereits offensiv beworben. Nach etwa dem ersten Drittel der Reise dokumentiert die Ausstellung die Entwicklung der Kurkolonie Abbazia, die seit den 1880er Jahren in raschem Tempo entsteht und Vorbildcharakter hat. Viel Platz ist dem Aspekt der Erkundung des südlichen Küstengebietes durch Ethnografen, Kunsthistoriker und Archäologen gewidmet, die, ergänzend zum Kur- und Erholungsaspekt, die kulturelle Interpretation der „österreichischen Riviera“ prägte. Die folgenden Kapitel, die sich mit Brioni und Grado befassen, zeigen zwei wichtige Spielarten des modernen Tourismus im 20. Jahrhundert: Brioni ist ein Prototyp für das moderne Luxusresort mit Clubcharakter und Grado ein frühes Beispiel für den familienorientierten Massentourismus, wie er für die Mittelmeerküsten typisch werden sollte. Die im Sommer 1913 im Wiener Prater präsentierte Adria-Ausstellung mit ihren nachgebauten Sehenswürdigkeiten, Schiffen und Vergnügungsangeboten ist gewissermaßen eine symbolische Zusammenfassung des Freizeit- und Kulturraumes k. u. k. Riviera, der aufwendigste und zugleich letzte Versuch, das Engagement der Wiener für „ihre“ Riviera zu mobilisieren.

The essay outlines the central themes of the exhibition and discusses how the concept of the “Austrian Riviera” evolved. The term was coined when medical experts, convinced of the therapeutic effects of seaside air, first studied the climatic conditions along the Austrian Littoral region and compared them to those of the French Riviera. Denoting only a small area around Abbazia/Opatija at first, the concept of the “Austrian Riviera” was soon extended, and from about 1900 onwards encompassed the whole stretch of coast between Grado and Cattaro/Kotor. In the years leading up to 1914, many seaside tourist colonies sprang up there, some as big as a town, others consisting of no more than a single Grand Hotel.

The collapse of the Habsburg Empire in 1918 did not necessarily mean the end for these exclaves. Hotel owners were not dispossessed, many regular patrons continued to visit the region, and there were construction projects for architects and advertising for graphic artists to work on. The exhibition is designed as a round trip. Starting in the port cities of Trieste and Fiume/Rijeka, it shows different tourist practices that were characteristic of different places and regions (Abbazia/Opatija, Dalmatia, Brioni/Brijuni, Grado). The final stop takes visitors to the 1913 Adriatic Exhibition in Vienna – the grandest, most costly, but also the last large-scale advertising campaign for the “Austrian Riviera”. 21


Wien und die Adria

Wocheinerbahn bei Triest, 1907 Hintergrundbild zu einem Diorama Technisches Museum Wien

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Voyages Pittoresques Bilder von der österreichischen Riviera

E r i ka OEh rin g

Künstlerisch entdeckt wurde das „wildfremde Land“1 östlich und südlich von Triest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als ein Netz von Eisenbahnlinien die Länder der Monarchie zu überziehen begann. In der Region der östlichen Adria wurde ab 1833 der Österreichische Lloyd mit der Einführung der Dampfschifffahrt zur wichtigsten Schifffahrtsgesellschaft. Bisher unbekannte, exotisch anmutende Landstriche der Heimat wurden bequem zugänglich. Zahlreiche Bildbände und Druckwerke schürten das Interesse des Publikums und boten Künstlern willkommene Verdienstmöglichkeiten. Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert hatten sich die Schüler der Wiener Akademie hinaus aufs Land begeben, um dort nach der Natur zu zeichnen. Die malerischen Erkundungstouren, die sich davor sehr stark auf Voralpen und Hochgebirge konzentriert hatten, wurden später auf die heimischen Küstenland‑ striche ausgedehnt. Anlass dafür gaben in der Regel Auftragsarbeiten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Editionen mit landschaftlichen Ansichten in Mode gekommen. Diese Publikationen sind in Zusammenhang mit dem zunehmenden nationalen Bewusstsein im Gefolge der napoleonischen Feldzüge zu verstehen. Unzählige Skizzenbücher füllten sich mit bildwürdigen Motiven, die im Atelier als Veduten ausgeführt oder zu schaurig-schönen Landschaftsstücken inszeniert wurden.

1 Rudolf von Alt, zitiert nach: Ludwig Hevesi:

Rudolf Alt. Sein Leben und sein Werk, Wien 1911, S. 24.

Mediterranes Österreich – Heimatbewusstsein in Bildern Zu den in jeder Hinsicht ersten Künstlern, die in feinster Biedermeier-Manier Ansichten von der österreichischen Riviera schufen, zählen Jakob und Rudolf von Alt. Es war ein Auftrag des in Wien ansässigen Kunsthändlers Heinrich Friedrich Müller, der Vater und Sohn im Sommer 1840 nach Dalmatien führte, wo sie nach 24


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Marie Egner Meeresbrandung in Dalmatien um 1884/90 OberĂśsterreichisches Landesmuseum

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Galizien und der Slowakei ihr zweites großes Vedutenprojekt in Angriff nahmen. Die von Müller bei den beiden Künstlern bestellten Vorlagen erschienen zwischen 1840 und 1843 in dem chromolithografischen Sammelwerk Pittoreskes Österreich.2 Diese Publikation sollte die zunehmende Nachfrage nach aktueller Reiseliteratur bedienen und deshalb ein umfangreiches Kapitel mit Ansichten von Dalmatien enthalten. Der Auftrag erwies sich als äußerst lohnend. Von diesen Zeichnungen konnte Rudolf von Alt gleichzeitig einige bedeutende Blätter für den „Guckkasten“ von Kaiser Ferdinand I. ausführen. In Triest nahm die Dalmatienreise der beiden Künstler ihren Anfang. Ende August 1840 traf Rudolf seinen Vater in Zara/Zadar. Zunächst ging es über Promina und Dernis/Drnisˇ nach Sebenico/Sˇibenik. Hier schrieb Rudolf am 3. September 1840 an seine Braut Hermine: „Aber welch schrecklichen, schauderhaften Eindruck macht die fast unendliche Steinwüste (…). Die Thäler, Ebenen, Berge – da sieht man nichts als Steine, Steine, Steine und lauter Steine (...) Aber hingegen die plötzliche Veränderung der Beleuchtung, oder sonst gegen Abend, kann diese schrecklichen Öden zu wahrhaft zauberischen Bildern umwandeln (…).“3 Nach dem Besuch von Split und Traù/Trogir erreichten die beiden Künstler am 24. September 1840 Ragusa/Dubrovnik. Die Küstenstadt faszinierte Rudolf: „Wie herrlich ist Ragusa (...) das ist das Schönste, was ich bis jetzt gesehen habe (…) Man glaubt sich nach Algier oder Tunis versetzt.“4 Der Künstler war angetan von der Topografie der Stadt, die sich hinter steil abfallendem Gelände, von ihrem historischen Befestigungsring geschützt, auf einer Halbinsel gleichsam in die Adria schiebt. Der Blick auf Dubrovnik, 1841 ausgeführt, bot Rudolf von Alt und vielen Künstlern nach ihm – wie Emil Jakob Schindler 1887 oder Gottfried Seelos 1873 – die pittoreske Verdichtung einer romantischen Bildidee, die bald den klassischen Postkartenblick bestimmte. Das malerische Gespür für das Licht- und Farbenspiel des Südens konnten Jakob und Rudolf von Alt bereits 1833 und 1835 in Venedig, Neapel, Amalfi, Capri und Sorrent schulen, ehe sie die dalmatinische Küste mit dem Skizzenheft erforschten.

2 Walter Koschatzky: Des Kaisers Guckkasten.

Eine Sammlung alt-österreichischer Ansichten aus der Wiener Hofburg, Salzburg/Wien 1991, S. 22f. 3 Rudolf von Alt, zitiert nach Ludwig Hevesi: Rudolf Alt. Sein Leben und sein Werk, Wien 1911, S. 21-22. 4 Rudolf von Alt, zitiert ebenda, S. 22. 5 Maren Gröning: Die Dalmatienreise 1840, in: Klaus Albrecht Schröder, Maria Luise Sternath: Rudolf von Alt 1812–1905, Albertina Wien 2005, S. 171; Ludwig Hevesi, 1911, S. 21.

Die Aquarellmalerei, die sich auf ihrem Höhepunkt befand, erschöpfte sich keineswegs in Vedute und Abbild. Auf den ersten Blick zeigen die mit haarfein und präzise gesetzten Pinselstrichen ausgeführten Ansichten ein Oszillieren zwischen der traditionellen akademischen Auffassung und der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den landschaftlichen Gegebenheiten. Obwohl Rudolf von Alt von den landschaftlichen und architektonischen Reizen dieses nach seinen Worten „wildfremden Landes“ begeistert war, mied er Expeditionen in das unwegsame Landesinnere und zog diesem die bekannteren Orte und Kulturstätten vor. Dankend lehnte er einen Abstecher zu den Pelikanen an den sumpfigen Ufern der Neretva ab. Lieber besuchte er das reizvoll gelegene Omblatal bei Ragusa.5 26


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Rudolf von Alt Blick auf Ragusa 1841 Albertina, Wien

Rudolf von Alt Der Bazar von Ragusa 1841 Albertina, Wien

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6 Maren Gröning: Die Dalmatienreise

1840, in: Klaus Albrecht Schröder, Maria Luise Sternath: Rudolf von Alt 1812–1905, Albertina Wien 2005, S. 171; Ludwig Hevesi, 1911, S. 177. 7 Rudolf von Alt, zitiert nach Ludwig Hevesi: Rudolf Alt. Sein Leben und sein Werk, Wien 1911, S. 1. 8 Zitiert nach Walter Koschatzky: Thomas Ender 1793–1875. Kammermaler Erzherzog Johanns, Graz 1982, S. 154. 9 Graz, Universalmuseum Joanneum, Neue Galerie. 10 Elisabeth Edith Kamenicek: Emil Jakob Schindler 1842–1892. Sein schriftliches Werk im Kontext von Kunsthandel, Mäzenatentum und Kunstkritik seiner Zeit, phil. Diss., Universität Salzburg, Institut für Kunstgeschichte Salzburg, Salzburg 2002, Band I und II.; Agnes Husslein-Arco, Alexander Klee: Emil Jakob Schindler. Poetischer Realismus, Belvedere, Wien/München 2012. 11 Andrea Winkelbauer: Vom Berg in die Au. Albert Zimmermann und seine Wiener Schüler, in: Gerbert Frodl (Hg.): Stimmungsimpressionismus, Ausstellungskatalog Belvedere, Wien 2004, S. 47f.

Skizzierend und malend verbrachten die beiden Künstler den Oktober 1840 in Kotor. Über eine Vedute hinaus geht das Guckkastenblatt Der Dom von Cotor. Rudolf von Alt lässt die massige Kirche vor dem nackten Karstgebirge in betonter Untersicht in den Raum ragen. Die graue Ton-in-Ton-Malerei verdeutlicht den Eindruck des Monumentalen ebenso wie die Verwandtschaft des felsigen Geländes mit der steinernen Kirche. Mehrere Fassungen der dalmatinischen Veduten, die nach 1841 entstanden sind und nicht für den Guckkasten ausgeführt wurden, befanden sich in ärarischem Besitz und zählten vermutlich zu den Lieblingsbildern Franz Josephs I.6 Joseph Selleny schuf als künstlerischer Begleiter der Novara-Expedition (1857–59) ebenfalls Ansichten von der dalmatinischen Küstenlandschaft, wie auch Fritz Reinhold, ein Schüler von Thomas Ender. Ender, von Rudolf von Alt als „Nonplusultra“7 bezeichnet und einer der vier von Erzherzog Johann für die „gesamtösterreichische Landesaufnahme“ beschäftigten Kammermaler, berichtete nach einer neunmonatigen, künstlerisch ertragreichen Reise durch Italien, die in Triest begann und endete, in einem ausführlichen Schreiben an den Erzherzog: „Von Rom reiste ich über Voligno, Loretto und Ancona, Triest und Wien, welches ich genau in fünf Tagen erreichte. Jetzt habe ich mich in meinem Arbeitszimmer eingesperrt, habe zwei große und einige kleine Ölgemälde in Ausführung genommen. In der schönen Hoffnung durch Vorlage meiner Arbeiten die Zufriedenheit meines gnädigsten Herrn zu erhalten, lege ich mich gehorsamst zu Füßen und verbleibe in aller Unterthänigkeit Euer kaiserlicher Hoheit ergebenst gehorsamer Diener Thomas Ender.“8 In Duino entstanden mehrere Bilder vom sogenannten Dante-Felsen.9 Die Fassung von 1853 (Abb. S. 43, Meereslandschaft mit Segelbooten bei Triest) zeigt die akribisch wiedergegebenen Felsen in effektvollem Kontrast zum nuancenreichen Blau der Adria. Der dunkle Vordergrund ist noch der Tradition verpflichtet. Dieser „point de vue“ mit Fels und Ruine über dem Meer erfreute sich bei Malern und Dichtern großer Beliebtheit. Ab 1891 konnte Karl Mediz, wie Rainer Maria Rilke häufiger Gast der Fürstin Thurn und Taxis im Schloss von Duino, hier die Inspiration zu seinen „Felsbildern“ finden. Es wäre interessant zu verfolgen, wie weit und ob Ender, von 1837 bis 1851 Professor an der Wiener Akademie, die neue Generation erlebt hatte.

Eine neue Generation entdeckt die heimische Küstenlandschaft Eine Schlüsselfigur der neuen Generation war Emil Jakob Schindler, der sich an der Malerei der Schule von Barbizon und der Haager Schule orientierte.10 Ab 1868 konnte er in Wien die seiner Kunstauffassung verwandte neue französische Malerei kennenlernen.11 Ähnlich wie Thomas Ender führten Schindler Aufträge in das Küstenland. Zuerst war es Friedrich Franz Josef Freiherr von Leitenberger, Gründer des „Centralverbandes der Industriellenvereinigung“, der den Künstler 1874 für die Wiener 28


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Josef Selleny Dalmatinische Küstenlandschaft, um 1850 Wien Museum

Fritz Reinhold Küste bei Triest, 1843 Wien Museum

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Illustrierte mit Ansichten aus Ragusa und Lacroma/Lokrum betraute.12 Schindler benötigte diesen Auftrag dringend, da ihn der jähe Einbruch des Kunstmarktbooms, der durch den Börsenkrach 1873 ausgelöst worden war, empfindlich getroffen hatte.13 Der nächste offizielle Auftrag für den zeitlebens unter Depressionen und Existenzängsten leidenden Künstler erfolgte 1885. In der von Thronfolger Erzherzog Rudolf initiierten Edition Die österreichische Monarchie in Wort und Bild, dem sogenannten „Kronprinzenwerk“, erschien der Band 11 Dalmatien im Jahr 1892. Für einen Großteil der landschaftlichen Schilderungen wählte man Emil Jakob Schindler.14

12 Elisabeth Edith Kamenicek, 2002,

Band I, S. 19. 13 Elisabeth Edith Kamenicek, ebenda, S. 26. 14 Alexander Klee: Dalmatien im Kronprinzen-

werk – Der nahe Orient, in: Sabine Grabner (Hg.): Orient & Okzident. Österreichische Maler des 19. Jahrhunderts auf Reisen, Belvedere, Wien 2012, S. 172f. 15 Carl Moll, zitiert nach Hans Dichand: Carl Moll und seine Freunde, in: Carl Moll. Seine Freunde. Sein Werk. Sein Leben, Salzburg 1985, S. 12. 16 Peter Peer: Die österreichische Landschaftsmalerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Stilkritische Untersuchungen zu ihren künstlerischen Einflüssen, phil. Diss., Graz 2002, S. 227. 17 Zitiert nach Elisabeth Edith Kamenicek, 2002, Band II, S. 271.

Wo die Berge ins Meer sinken Schindlers künstlerisches Interesse galt der genauen Beobachtung des Atmosphärischen der Natur. In zahlreichen Ölskizzen befasste sich Schindler mit dem aufgewühlten Meer. Die auf einem Holztäfelchen festgehaltene Meeresbrandung. Brandung bei Fort Lorenzo in Ragusa wurde auf der XVIII. Jahresausstellung im Wiener Künstlerhaus präsentiert. Spontaneität und offener Duktus entsprechen dem Motiv. Carl Moll notierte: „In unmittelbarer Nähe unseres Hauses auf hohem Felsen das Fort Lorenzo, und an dem Felsen brachen sich heranstürmende Wellen. Schindler begann sofort zu malen.“15 Hier zeigt sich deutlich das Abweichen der Skizzen von den ausgeführten Arbeiten. Eine derartige Intensität der Handschrift mit der Auflösung des Materiellen tritt in den Gemälden stark zurück. Trotz der Vereinheitlichung der Farbtöne bleibt dort die Homogenität des Formalen bestehen. Schindler war sich der Probleme der malerischen Entwicklung angesichts des an die Tradition gewöhnten Publikums bewusst. Dennoch verkauften sich seine Ölskizzen gut, obwohl sie von der Kritik als „genial-nachlässig“ bezeichnet wurden.16 Ein neues Verständnis für das Skizzenhafte im Bild begann sich zu entwickeln. In seiner Abhandlung Probleme der Malerei befasste sich der Künstler mit dem Meer als malerischem Objekt: „Mehr noch wie die Luft und ihre herrlichen Erscheinungen, liegt im Wasser die große Aufgabe für den Landschafter (…) In den unnatürlichen Bewegungen liegt eine Schwierigkeit, von der die Figurenmaler keine Ahnung haben.“17 Bilder wie die mit 1890 datierte Küstenlandschaft in Dalmatien prägen unsere Vorstellung von der dalmatinischen Küste mit den charakteristischen, steil zum blauen Meer abfallenden Karstfelsen. Trotz Abkehr von der spätbarock-klassizistischen Ideallandschaft sowie vom heroisch aufgeladenen Landschaftsbild und den realitätsnahen Landschaften der Biedermeiermaler wurde der repräsentative Blick über die Küste immer wieder aufgegriffen: etwa von Gottfried Seelos 1874 im Aquarell Ragusa, um 1880 von Anton Hlavácek im Kleinformat Ausblick auf das Meer gegen Triest bei Duino oder in der 32


Ă–sterreichische Riviera

Emil Jakob Schindler KĂźstenlandschaft in Dalmatien, 1890

Emil Jakob Schindler Meeresbrandung beim Fort Lorenzo in Ragusa, 1887/88

Belvedere, Wien

Wien Museum

Abb. Seite 30/31

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Voyages Pittoresques

Gottfried Seelos Ragusa, 1874 Wien Museum

Ansicht von Lovrana-Volosca von Leopold Munsch. Kompositionen mit exotischen Pflanzen oder steilen Klippen im Vordergrund werden von der rasant wachsenden Ansichtskartenindustrie übernommen und mutieren zur Ideallandschaft für den „Postkartenblick“.

Feine Nuancierungen Gleichzeitig kam es zu unkonventionellen Lösungen. Eugen Jettel, der mit Schindler in der Landschaftsklasse bei Albert Zimmermann abgeschlossen hatte, gilt mit diesem als „Vorreiter fortschrittlicher Freilichtmalerei“ (Martina Haja). Jettel lebte und arbeitete mehr als 20 Jahre in Paris. Wie nur wenige österreichische Künstler hatte er die nordfranzösische Landschaft kennengelernt und bei Dieppe seine Motive gefunden. Vermutlich kannte Jettel die Ausstellungen in der Galerie Durand-Ruel, wo man in den 1890er Jahren die Nabis ebenso unterstützte wie die Impressionisten und deren heftig kritisierte Malerei zeigte. Inspiration fand er jedoch vorwiegend bei vorimpressionistischen Malern wie Eugène Boudin oder Charles-François Daubigny, die sich mit Gleichgesinnten regelmäßig in Deauville und Honfleur trafen. Jettel reflektierte in stimmungsvollen Landschaften die unterschiedlichen zeitgenössischen Strömungen, ohne jedoch das Gegenständliche aufzulösen. 34


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Eugen Jettel Valle Oscura, 1900 Belvedere, Wien

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Voyages Pittoresques

18 Eugen Jettel, Der Weg im Steinbruch, um

1895, Öl/Holz, 40 x 27 cm, Belvedere Wien, Inv.Nr. 507a. 19 Schindler zitiert nach Elisabeth Kamenicek: Emil Jakob Schindler zwischen Tradition und Moderne. Unbeachtete Archivalien in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek als wertvolle Ergänzung zum malerischen Œuvre Emil Jakob Schindlers, in: Gerbert Frodl, Verena Traeger (Hg.), Stimmungsimpressionismus, Ausstellungskatalog Belvedere Wien 2004, S. 276. 20 Heinrich Fuchs: Eugen Jettel. Werkkatalog, Wien 1974, S. 253f. 21 Belvedere, Wien.

Ein Beispiel für die helle Tonigkeit, die die späten Arbeiten des Künstlers prägt und laute Farbtöne meidet, ist die 1899 entstandene, stimmungsvolle Gouache Uferlandschaft Ika. Die feine Nuancierung von Himmel und Wasser löst den Horizont auf. In präziser Feinmalerei ausgeführt, erscheinen die Segelboote auf dem menschenleeren Strand. In der Gouache Valle Oscura, entstanden 1900 auf der Insel Losˇinj, setzte Jettel auf die Wirksamkeit des knappen Ausschnitts. Durch die angehobene Horizontlinie im verwendeten Hochformat dominiert die Fläche des hellen Karstgesteins. Die Betonung der Bildfläche findet man in Jettels Bildern seit Mitte der 1880er Jahre. Wir können hier seine Auseinandersetzung mit der japanischen Grafik erkennen. Er hatte dazu in Paris ausreichend Gelegenheit. Dieses Bild einer stimmungsvollen Ruhe fällt aus allen Landschaftsbildern heraus, die in der Küstenregion zu jener Zeit entstanden sind. In zarter Tonigkeit schildert der Künstler das helle Braungrau des bleichen Karstfelsens in reizvollem Kontrast zum kräftigen und nuancenreichen Türkisblau des Wassers. Das Motiv und der knappe Bildausschnitt erinnern an Jettels fünf Jahre später entstandenes kleinformatiges Ölgemälde Weg im Steinbruch.18 Die spezifische Bildkomposition ist unseren heutigen Sehgewohnheiten vertraut und bringt die Fotografie ins Spiel, die sich zwischen 1839 und 1870 rasant entwickelte. Künstler kannten im Allgemeinen keine Berührungsängste und nutzten die neue Technik nicht nur als Gedächtnisstütze, sondern als Vorlage für Bildkomposition und Bildaufbau. So schrieb Emil Jakob Schindler am 16. Jänner 1891: „Ich möchte dann in Fiume noch Schiffe fotografieren.“19 Wie in der Fotografie ging es in der neuen Malerei nicht um objektive Wirklichkeitszeugnisse, sondern um den artifiziellen Moment, um den künstlerischen Augenblick. Nicht Abbild, sondern Gestaltung war die Auffassung der Impressionisten, die ihre Motive formten, komponierten und gleichsam zu einer eigenständigen Realität im Bild verdichteten. Jettel kam dieser Auffassung mit seinem eigenen, unverwechselbaren Stil in diesem stimmungsvollen Karstporträt sehr nahe. Er verzichtet bewusst auf die Wiedergabe eines „point de vue“. Das Motiv der kargen hellgrauen Felsformationen eignet sich hervorragend zur Reduktion der Bildmittel, was ermöglicht, die ausgetretenen Pfade in Richtung Abstraktion zu verlassen. In Lussin/Losˇinj und Lovrana/Lovran, südlich von Abbazia, werden gegen Ende seines Lebens die Friedhöfe zu einem häufigen Motiv,20 ähnlich wie bei Schindler, der für seine großformatige Ausführung des Friedhofs von Lovrana mit dem Titel PAX21 im Jahr 1892 (kurz vor seinem Tod auf der Insel Sylt) mit der Goldenen Staatsmedaille ausgezeichnet wurde. 1901 starb Jettel im Alter von nur 56 Jahren in Lussingrande/Veli Losˇinj unerwartet an einem Schlaganfall.

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Eugen Jettel Uferlandschaft Ika (Ika bei Lovran) Wien Museum

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