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März 2016

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www.ev-akademie-boll.de

Zeit für Veränderung: Wie viel Mobilität ist genug? ● Das kann nicht gutgehen mit dem Kapitalismus ● Hunger nachhaltig bekämpfen. Nachhaltigkeitsziel zur Ernährung ● Wachstum: Der Preis für gute und ausreichende Arbeitsplätze?


Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

die sogenannte Flüchtlingskrise wird uns wahrscheinlich auch noch in den nächsten Jahren beschäftigen. Dass mehr als eine Million Menschen zu uns fliehen müssen, liegt auch an den voranschreitenden Globalisierungsprozessen. Die Exportwirtschaft hat Deutschland zum Globalisierungsprofiteur Europas gemacht. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag hierzulande zuletzt 22 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Deutschland ist noch vor den Wohlfahrtsökonomien der Niederlande, Schwedens oder Österreichs das »Reichenhaus Europas«, wie der Soziologe Stephan Lessenich jüngst in einem SZ-Artikel (25.1.2016) schreibt. Weiter führt er aus: »In anderen Weltregionen sind massenhafte Wanderungsbewegungen die schwierige Normalität – hierzulande werden idealisierte Vergangenheiten für normal erklärt. Nicht unsere Wertmaßstäbe werden an veränderte gesellschaftliche Verhältnisse angepasst, sondern die Verhältnisse haben bitte schön unseren Wertvorstellungen zu gehorchen.« Wie lange kann dieses System noch aufrechterhalten werden, oder stehen wir – global gesehen – nicht vor einer grundlegenden Anpassung der Wirtschaftssysteme an menschengerechte, nachhaltige und damit zukunftsfähige Lebensweisen? Die im letzten Herbst von den UN-Mitgliedsstaaten beschlossenen und seit Januar 2016 in Kraft getretenen Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) stellen uns mit ihren 17 Zielen genau vor diese Herausforderung des Umsteuerns in einer mehr und mehr zusammenwachsenden Weltgemeinschaft. Das Schicksal der Menschen in anderen Weltregionen kann uns – nicht allein aus menschlich-moralischen Gründen – nicht kalt lassen. Es muss und wird Teil unserer nationalen Gesamtrechnung werden, wenn wir nicht immer mehr Konflikte riskieren wollen. »To transform the world« lautet deswegen die Überschrift des Schlussdokuments des UN-Sondergipfels in New York. Die dort beschriebene Agenda hat das Potenzial, eine wirtschaftlich-soziale Transformation zum Besseren einzuleiten, sofern sie auch hierzulande zu konkreten Veränderungen führt.

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Einige Beiträge dieser Ausgabe von SYM informieren deshalb auch über verschiedene Aspekt der SDGs: Felix Prinz von ­Löwenstein zeigt die Herausforderungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft auf, Michael Kopatz vom WuppertalInstitut fragt nach neuen Mobilitätsformen und Wolfgang Streeck, ehemaliger Direktor eines Max-Planck-Instituts, stellt die Systemfrage, wie lange ein am Wachstum orientierter ­Kapitalismus überhaupt noch überlebensfähig ist. Die Bei­ träge der SDG-Tagung werden Mitte März als epd-Dokumentation erscheinen. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre des neuen Magazins »SYM« und hoffen sehr, dass Sie mit uns in der Akademie zusammen an einer zukunftsfähigen Wirtschaft und Gesellschaft bauen wollen. In diesem Sinne laden wir Sie herzlich auch zu unseren Tagungen ein, die Sie im Überblick in den Ankündigungen finden. Herzliche Grüße,

Prof. Dr. Jörg Hübner Geschäftsführender Akademiedirektor

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Inhalt

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Aktuell ... ▪ Veränderungen in der norwegischen Kirche. Ein Statement von Rev. Kristin Gunleiksrud Raaum ▪ »Die Aufnahme von Flücht lingen ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesell schaft«. Festrede von Ulrich Lilie beim Neujahrsempfang in der Akademie

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Akademiegeschichte Tagung für junge Unternehmer und Betriebsräte über Prestige als Bedürfnissteigerung

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Kunst Religion Today – 50 Fotoarbeiten von Eddy Seesing

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Flüchtlings-Extra

Interview mit Michael Blume zum Sonderkontingent NordIrak

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Vorschau Tagungen vom 9. März bis 31. Juli 2016

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Aus der Akademie

8 Thema: Zeit für Veränderung Wie viel Mobilität ist genug? Suffizienz im Mobilitätsalltag und als verkehrspolitische Strategie Von Dr. Michael Kopatz, S. 8 Kaleidoskop, S. 11 »Das kann nicht gutgehen mit dem Kapitalismus«. Von Prof. Dr. h.c. Wolfgang Streeck, S. 12 Hunger nachhaltig bekämpfen Von Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, S. 14 Wachstum – der Preis für gute und ausreichende Arbeitsplätze? Der Konflikt von Wachstum und Wohlstand Von Norbert Reuter

Titelbild Der fünfjährige Murtaza lebt in einem Dorf in Afghanistan und ist begeisterter Fußball-Fan von Messi. Sein Bruder hat ihm aus einer Mülltüte ein Trikot gebastelt und mit »Messi« beschriftet – und schon ist der Traum zu einer großen Veränderung greifbar. Foto: AFP

▪ Rezept ▪ Abschied von Martin Schwarz ▪ Neues aus der OAK – Kreta soll erneuerbar werden

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Publikationen ▪ Rezension ▪ Onlinedokumente ▪ Verlosung

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Impressum

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Kommentar Klimakonferenz in Paris Von Klaus-Peter Koch

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Meditation Dauer im Wechsel. Von Susanne Meyder-Nolte

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Aktuell

In Norwegen gab es bis 2012 eine Staatskirche. In der Verfassung steht nun der Begriff »Volkskirche«. 75 Prozent der Bevölkerung sind ihre Mitglieder, aber die Anzahl verringert sich. 1992 wurde das PartnerschaftsGesetz eingeführt. Die Mehrheit in der Kirchenleitung war gegen das Gesetz. Am 1. Januar 2009 trat ein neues Ehegesetz in Kraft, das besagt, dass zwei Menschen desselben Geschlechts oder verschiedenen Geschlechts heiraten können. Dieses neue Ehegesetz gilt nicht für die Kirche. Ein Abschnitt hindert Pfarrer daran, Gleichgeschlechtliche zu trauen. Rev. Kristin Gunleiksrud Raaum war Referentin bei der Tagung »Lesbische Sichtbarkeit in Bildung, Gesellschaft und Kirche. Beispiele guter Praxis«, 11.–13. Dezember 2015

Veränderungen in der norwegischen Kirche. Ein Statement von Rev. Kristin Gunleiksrud Raaum Wir sind gerade dabei, die Kirche in Norwegen zu verändern! In etwas mehr als einem Jahr wird es gleichgeschlechtlichen Paaren möglich sein, in der norwegischen Kirche zu heiraten. LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender)-Fragen stehen in der Kirche von Norwegen ganz oben auf der Debattenliste. Können LGBT-Menschen als PfarrerInnen angestellt werden? Kann man ihnen »erlauben« zu heiraten? Für manche ist Homosexualität Sünde. Zahlenmäßig sind sie nur wenige, aber sie sind gut organisiert und haben eine überdurchschnittlich große Zahl an Sitzen im Kirchenparlament – in der Synode. Uns, die wir zum liberalen Teil der Kirche gehören, fehlt es traditionell an der Fähigkeit, uns zu vereinen. Wenn es darum geht, in der Kirche eine Machtposition zu beziehen, waren wir deshalb bisher ein leicht zu überstimmender Gegner. Seit 1995 haben wir ununterbrochen die sogenannten »Gay-Fragen« diskutiert. Es war DAS Gesprächsthema Nummer 1 der letzten 20 Jahre, das die Kirche spaltete. Jene unter uns, die eine LGBT- Identität haben, wurden diskriminiert. Man hat ihnen Arbeitsstellen in der Kirche verweigert. Der größte Widerspruch ist, dass es die Kirche ist, die dazu beigetragen hat, dass Menschen gezwungen sind, ihre Identität zu verstecken. Die Kirche, die in dieser Welt die Wahrheit über Gott und die Liebe verkünden soll. Wenn das Wort Sünde je relevant war, dann in diesem Sinn: Es ist Sünde, dazu beizutragen, dass Menschen ihr Angesicht vor Gott verstecken müssen und sich dafür schämen müssen, wen sie lieben. Eines Tages wird sich die Kirche dafür entschuldigen müssen. 2010 setzte der Rat der Bischöfe einen Ausschuss ein, der die theologische Basis von Liebe und Ehe

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studieren sollte. Nach drei Jahren Prüfung waren acht Bischöfe für gleichgeschlechtliche Ehen und vier dagegen. Nun sollte die Synode eine Entscheidung treffen. Wir waren eine kleine Gruppe von vier Frauen – Mitglieder der Synode. Eine Lesbe, drei Hetera, drei davon Pfarrerinnen. Und ich, die stellvertretende Kirchenleitende der Kirche in Norwegen. Wir schrieben Artikel, recherchierten, stritten und verbrachten hunderte Stunden am Telefon. Als sich das Synodenjahr 2014 näherte, war klar, dass es knapp werden würde. In der Nacht vor der Abstimmung realisierten wir, dass wir knapp verlieren würden. Das Positive war, dass die konservative Seite auch keine Mehrheit zustande brachte. Am nächsten Tag hatte ich Hunderte Botschaften in den sozialen Medien, wie z.B.: »Das war’s jetzt! Ich trete aus der Kirche von Norwegen aus!« Es war klar, dass wir aktiv werden mussten. Zwei Monate später wurde eine neue Organisation gegründet: Die Offene Volkskirche (eine Art Kirchenfraktion). Wir waren nur eine Handvoll. Aber wir hatten ein Jahr Zeit. Unser Ziel war ein Kirchenreferendum am 14. September 2015. Die neue Synode, bestehend aus 11 Diözesanräten (insgesamt 116 Mitglieder), sollte gewählt werden. Wir organisierten jede Diözese nach vorgegebenen Listen. In 9 von 11 Diözesen gelang es uns, solche Listen aufzustellen. Wir packten es gemeinsam an: Schwule, Lesben und Heteros, LGBT und Nicht-LGBT. Für mich ist es manchmal schwierig, heterosexuell und gleichzeitig glaubwürdig zu sein. Ich habe durch diese Frustration etwas gelernt. Niemals zuvor hatte ich um Respekt kämpfen müssen aufgrund dessen, wer ich war. Aber jetzt stand ich Vorurteilen gegenüber und groben Bemerkungen wegen meiner hohen Absätze, meiner blonden Haare und meiner Leidenschaft für Champagner. Aber das ist ja nichts im Vergleich zu vielen anderen. Ich habe gespürt, was es heißen kann, um eine Arbeitsstelle zu kämpfen oder um das Recht in Würde zu lieben. Wir machten unsere Kampagne – ehrenamtlich, ohne Geld. Es war ein unmögliches Projekt. Man muss viel Schlechtes über Facebook sagen, aber ohne Facebook hätten wir niemals gewonnen. Manche von uns arbeiteten im Öffentlichkeitsbereich, einige kontaktierten berühmte Künstler und brachten viele der besten Künstler Norwegens auf die Bühne. Wir bettelten um Geld bei den reichsten Norwegern. Einer gab uns 200 000 Euro – ein Mann, der selten Interviews gibt. Nun gab er drei SYM 1/2016


Aktuell

Interviews und erzählte, dass er uns unterstützte, weil er sich dazu aufgrund des Evangeliums von Jesus Christus verpflichtet fühlte. Zwei Monate später outete er sich als bisexuell. Bei den Begegnungen mit den Menschen wurde deutlich, wie wichtig dieses Thema für ganz gewöhnliche Gemeindeglieder ist, egal, ob sie LGBT oder hetero/hetera sind. Viele brachten zum Ausdruck: endlich! Es war, als ob alle verstanden, dass eine Kirche, die einige Menschen nicht anerkennt, niemanden anerkennt. Es geht um die Menschenwürde. Denn wir haben uns verändert – als Menschen, als Gesellschaft, als Christen. Wir wollen eine Kirche, die uns unterstützt, dass wir unseren Kindern dabei helfen, ihre Identität zu finden.

»Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft«. Festrede von Ulrich Lilie »Die Augenwischerei, dass die Konflikte und Kriege in den fernen Ländern uns nichts angingen, hat endgültig ihr Ende erreicht«, sagte Ulrich Lilie in seiner Festrede vor 170 Gästen. »Wenn wir Menschen eine Verantwortungs-Gemeinschaft sind, müssen wir zuerst die Fluchtursachen bekämpfen«, so Lilie. Unfaire globale Handelsbedingungen, die Missachtung von Menschenrechten und Umweltstandards bei Lieferketten, wachsende soziale Ungleichheit, Waffenlieferungen in Krisengebiete, rücksichtsloser Ressourcen- und Energieverbrauch: Diese Fluchtursachen seien nicht gegeben, sondern von Menschen gemacht und daher gestaltbar: »Die Flüchtlinge sind nicht das Problem, sie sind die Opfer dieser ungelösten Probleme.« Er rief zu einer neuen europäischen Flüchtlingspolitik auf, die sich am Maßstab des Menschrechts auf Asyl orientiert. Die Dublin III-Verordnung sei gescheitert. Europa müsse Wege zur legalen Einreise ermöglichen. Er forderte die sofortige Aufnahme von mindestens 750 000 Menschen aus den Transitstaaten wie Libanon, Türkei und Jordanien. Jeder Schutzsuchende solle nach einer Beratung sein Zufluchtsland einmal selbst wählen dürfen. Darüber hinaus sei ein Neuansiedlungsprogramm mit jährlichen Kontingenten in jedem EU-Staat nötig. Deutschland werde sich durch die Geflüchteten verändern, sagte Lilie. »Doch es kommt kein

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Und wie ging nun alles aus? – Wir haben gewonnen. Beinahe 65 Prozent der Stimmen. Wir haben in allen Diözesen gewonnen – selbst in den konservativsten. Jetzt haben wir die Mehrheit in der Synode. Und ab Januar 2017 wird es möglich sein, dass sich gleichgeschlechtliche Paare in der Kirche trauen lassen. Wir haben damit begonnen, eine neue Liturgie zu entwickeln. Ich bin so stolz darauf, dass mir das Privileg geschenkt wurde dabei mitzuwirken: Die Kirche zu verändern. Die Bedingungen für das Leben, die Liebe und für den Glauben zu verändern. Rev. Kristin Gunleiksrud Raaum, stellvertr. Leiterin der Church of Norway, Generalsekretärin der norwegischen kirchlichen Akademien, Oslo. Übersetzung: Elisabeth Frey und Dr. Irmgard Ehlers

Stoßtrupp einer fremden Kultur oder Religion mit gezielten Übernahmeabsichten.« Es kommen Fleißige und Faule, Träumer und Realisten, Religiöse und Unreligiöse – Künstler, Ärzte, Hebammen, Arbeiter und Menschen, die weder lesen noch schreiben können. »Die Aufnahme von Flüchtlingen und ihre gelingende Integration ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft«, ist Lilie überzeugt. Wie Studien zeigen, sind die Deutschen weiterhin offen für Geflüchtete, wenn die Einheimischen den Eindruck gewinnen, dass die eigenen sozialen Rechte nicht beeinträchtigt werden und die kulturelle – auch christliche – Identität erkennbar bleibt. Lilie: »Daran gilt es zu arbeiten.« Nicht nur den Alteingesessen werde diese Improvisationskultur abverlangt, auch von den Neuankömmlingen könne dies erwartet werden: »Wir dürfen von Menschen, die kommen und bleiben wollen, Realismus erwarten. Wir dürfen Forderungen stellen: Die Sprache muss gelernt werden – ohne Deutschkenntnisse keine Integration.« Das Strafrecht müsse eingehalten, Respekt und Toleranz gelebt werden. Ulrich Lilie: »Heute sind es die Bürgerkriegsflüchtlinge. Gut möglich, dass sich bald Klima- oder Hungerflüchtlinge auf den Weg machen werden. Und wer wollte sie aufhalten? Wer dürfte es, wenn gelten soll, dass Menschenrechte unteilbar sind?«

Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, beim Neujahrsempfang der Evangelischen Akademie Bad Boll. Sein Vortrag steht auf der Website der Akademie unter Service/ Online-Dokumente zur Verfügung.

Claudia Mocek

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Akademiegeschichte

Tagung für junge Unternehmer und Betriebsräte über Prestige als Bedürfnissteigerung Die Entwicklung aber führte von diesem gratis gewährten zum selbstbezahlten Prestige. Das früher einmal an die Persönlichkeit geknüpfte Prestige hat sich nach außen verlagert und gleichzeitig kommerzialisiert. (…) Der Wert des Menschen ist heute viel stärker als früher quantitativ bestimmt. Man möchte mit dem Schein etwas vortäuschen, was das Sein nicht hergibt. Dr. Helmut Cron (re.), Chefredakteur der Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung (Stuttgart) bei einer Tagung in Bad Boll mit Eberhard Stammler (li.) und Rudolf Augstein (Mitte)

Dr. Helmut Cron, Chefredakteur der Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung (Stuttgart) sprach Mitte der 50er Jahre auf einer Tagung für junge Unternehmer und Betriebsräte über das Prestige als Motiv der Bedürfnissteigerung. Er beleuchtete das Problem des modernen Prestigestrebens hauptsächlich von der gesellschaftlichen Seite. Wir veröffentlichen Auszüge aus den Hauptpunkten seiner Rede: Der Impuls der modernen Wirtschaft besteht nicht mehr in der Befriedigung eines traditionell feststehenden Bedarfs: Die moderne Wirtschaft lebt aus der Bedürfnissteigerung; sie musste künstlich Käufermassen schaffen. Dieser Notwendigkeit kamen drei Vorgänge entgegen: Der Abbau der Feudalstruktur der Gesellschaft, die Verbilligung der Produktion – Massenherstellung bei gleichzeitiger Hebung der Situation der unteren Käuferschichten – , und Angleichung der Käufergewohnheiten. Was früher Luxusbesitz weniger war, ist heute selbstverständlicher Besitz aller. (…) Mit der leichten Befriedigung der Bedürfnisse haben sich die Ansprüche gesteigert. Das Problem hat sich zur psychologisch-wirtschaftlichen Seite verschoben: Den meisten Menschen geht es heute besser als in früheren Zeiten. Sie verdienen mehr, leben materiell sorgenfreier. Aber das genügt ihnen 6

nicht mehr. Offenbar ist es ein Irrtum, dass sich die soziale Frage in dem Maß lösen lassen werde, wie die materielle Situation sich verbessert: Der Mensch lebt nicht von der Wirklichkeit, sondern von dem Wunsch nach Wirklichkeit, ein Umschlag des Prestiges aus der materiell wirtschaftlichen Sphäre in die Sphäre sozialer Geltung lässt sich feststellen. Der Mensch sucht das, was er materiell gewonnen hat, auch gesellschaftlich umzusetzen – andere müssen uns unsere Vorstellungen von uns selbst bestätigen. Dieses Verlangen, sich zur Schau zu stellen, gibt es nicht nur beim Politiker, sondern auch beim Mann hinter dem Schalter, beim Vorstand vom Fußballklub, in der Fabrik. Leben ist für den Menschen heute in erster Linie also das, was die anderen ihm an sozialem Prestige zusprechen. Alles, was nach Prestige drängt, orientiert sich an Leitbildern von vorgestern, an einem »Wechselbalg von nicht mehr vorhandenen gesellschaftlichen Zuständen«. (…) Die Diskrepanz zwischen ökonomischer Situation und vorgestelltem gesellschaftlichem Leitbild (»cultural lack«) gibt den Boden für einen Wildwuchs von Prestigegefühlen ab. (…) Was wir Prestige nennen, hat sich in den letzten Generationen gründlich gewandelt: Früher stellte Prestige eine Art gesellschaftlicher Gratiszugabe dar.

Das allgemeine Streben nach »Sozialprestige« kann überall dort noch mit Lächeln aufgenommen werden, wo es aus eigener Tasche bezahlt wird. Aber es ist ein Alarmzeichen, dass man heute bedenklich stark die Kosten für seine persönliche gesellschaftliche Aufwertung der Allgemeinheit auflädt. Das tut der einzelne. Und das tut auch die Gruppe. Der einzelne ist bereit, Leistungen von der Gruppe zu erwarten, die ihm selbst zukämen, die er aber nicht leisten kann oder nicht leisten möchte. Die Demokratie organisiert das Prestige kollektiv. (…) Das soziologische Phänomen des cultural lack muss sich auslaufen. Und es wird sich eines Tages auslaufen. »In zwanzig bis dreißig Jahren werden wir einen solideren Lebensstil haben als heute.« Alles, was dem falschen Streben nach Sozialprestige mit politischer oder Steuerhilfe entgegenkommt, sollte eingedämmt werden. Viel wäre gewonnen, wenn wir wieder auf lange Zeit disponieren könnten – das würde viele momentane leichtfertige Ausgaben eindämmen. Leider lässt sich ein innerer Unterschied zwischen der wirtschaftlichen Wohlstandsentwicklung der Bundesrepublik und ihrer inneren demokratischen Gesundung feststellen. Ein »revolutionärer Elan« wäre wünschenswert, um die »falsche Visitenkarte des heraufgekommenen Deutschlands lächerlich zu machen«. Aus: Aktuelle Gespräche, 1955, Nr. 3, S. 6

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Kunst in der Akademie

Religion Today 50 Fotoarbeiten von Eddy Seesing ›Religion Today‹ ist eine Zeit-Aufnahme des spirituellen Lebens in Europa. Die fotografischen Porträts des niederländischen Künstlers Eddy Seesing zeigen eindrucksvoll, wie vielfältig die Formen religiösen Lebens in der Europäischen Union sind, und sie versuchen, diese Vielfalt unvoreingenommen darzustellen. Das Ausstellungsprojekt ›Religion Today‹ möchte zu einem tieferen Verständnis interreligiöser Dynamiken in der Gesellschaft beitragen. Es will eine breite öffentliche Wahrnehmung und (Wieder)Entdeckung der reichen Vielfalt jener religiöser Aktivitäten und Gruppen anregen, die je auf ihre Weise zur Stärkung des Zusammenlebens und Zusammenhalts sozialer Strukturen in Europa beitragen können. ›Religion Today‹ besteht aus insgesamt 71 großformatigen Fotoporträts. Mit größtmöglicher Sorgfalt, Behutsamkeit und Respekt sind hier Bildeindrücke von Pastoren, Imamen, Priestern, Rabbis und anderen geistlichen Leitpersonen festgehalten. Sie demonstrieren die große Diversität und Intensität religiöser Gemeinschaften auf unserem Kontinent. Von der gesamten Serie werden in den Räumen der Akademie 50 Aufnahmen gezeigt. Beispiele für Seesings Arbeiten sind die Porträtserien ›Topmanagers‹ (1994/1995), ›Opera Sopranos‹ (1997/1999) oder ›Boughaz‹ (2001/2003), ein Porträt der Generationenfolge und Geschichten von 24 aus Marokko stammenden und mittlerweile in den Niederlanden lebenden Familien. Drei aufeinander folgende Generationen in den Niederlanden wurden zu verschiedenen Themen befragt: Männer und Frauen der ersten Generation, Vernissage: Sonntag, 12. Juni 2016, 11 Uhr im Café Heuss, Leitung: Hans-Ulrich Gehring Information und Anmeldung zum Mittagessen: Andrea Titzmann, Tel. 07164 79-307 andrea.titzmann@ev-akademie-boll.de Dauer der Ausstellung: 12. Juni bis 4. September 2016 Laufende Ausstellung – bis 8. Mai 2016: Zeichnungen von Sam Szembek

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Pfr. Emmanuel Koney (vorne re.), Gründer der Pentecoast Revival Church in Amsterdam mit seiner Gemeinde

ihre in Marokko geborenen Kinder und die marokkanischen Kinder, die in den Niederlanden geboren wurden. Gegenwärtig arbeitet Seesing an ›Lobbyists Today‹, eines als Multimedia-Installation geplanten Porträts von 25 Personen, die in politischer Lobbyarbeit engagiert sind, rund um das niederländische Parlament, um die Ministerien in Den Haag und die europäischen Institutionen in Brüssel. ›Religion Today‹ steht im Kontext einer Akademietagung gleichen Titels, die sich vom 10.- bis 12. Juni 2016 mit der Frage der Pluralitäts- und Demokratiefähigkeit von Religion(en) beschäftigt. Hans-Ulrich Gehring

Eddy Seesing, geboren 1964, ist ein audio-visueller Porträtkünstler. Seine Arbeitsweise basiert auf intensiven kulturanthropologischen Studien einer jeweils bestimmten sozialen Gruppierung im Kontext westlicher Gesellschaften. Das daraus resultierende Konzept führt zu einer Serie von Porträtaufnahmen in Form von Foto- und/oder Videoaufnahmen. Aus diesen Serien kreiert Seesing Installations- und Ausstellungsprojekte. Seesing lebt und arbeitet in Rotterdam.

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Mobilität

Wie viel Mobilität ist genug? Suffizienz im Mobilitätsalltag und als verkehrspolitische Strategie Von Dr. Michael Kopatz Benzinpreise sind ein Dauerthema. Manche Autofahrer unterhalten sich darüber genauso häufig wie über das Wetter. Die meisten denken sich auch, dass es langfristig nicht so weiter gehen kann wie bisher. Öl steht schließlich nicht unendlich zur Verfügung. Auch Klimaschutz ist beim Abendessen mit Freunden ein Thema. Einigkeit besteht meist darin, dass etwas gegen die globale Erwärmung getan werden muss. Nach dem Abendessen fahren die Gäste dann mit dem Auto heim, womöglich keine drei Kilometer. Man muss ja nicht gleich sofort und bei sich selbst anfangen. Außerdem bringt es quasi nichts, wenn 8

einer sein Auto stehen lässt, aber alle anderen weiter machen wie bisher. Und wenn man dann auch noch an die Entwicklung in China oder Indien denkt. Das bisschen CO2, das man selbst, ja selbst ganz Deutschland verursacht, fällt da doch kaum ins Gewicht. Individuell betrachtet, ist das eine ganz rationale Überlegung. Schließlich kann der zum Klimaschutz geneigte Bürger seine Nachbarn nicht zwingen, auf das Auto zu verzichten. Auch werden es nur wenige wagen, ihn darauf anzusprechen. Wer möchte schon als Miesepeter dastehen. Und so führt das individuell rationale Verhalten zu einem kollektiv irrationalen Ergebnis. Denn niemand will

den Klimawandel. Und wer verschwendet schon gern Ressourcen? Das ist gar kein Problem, erwidern viele Experten aus der Autobranche. Unsere Wagen werden ja immer effizienter und klimafreundlicher. Das hilft allerdings weniger, wenn die Kraftfahrzeuge immer schwerer und zahlreicher werden. Allein zwischen 2009 und 2015 stieg die Zahl der angemeldeten PKW um drei Millionen.1 Die Neuzulassungen von Kleinwagen verringerten sich zwischen 2009 und 2014 um fast 20 Prozent, während die Zahl der SUVs und Geländewagen um 122 Prozent zunahm. Im Schnitt hatte im Januar 2011 jeder Neuwagen 133,6 PS unter der Haube. Im Jahr 1995 SYM 1/2016


Mobilität

waren es noch 95 PS.2 Diese Entwicklung wird sogar politisch befördert durch das sogenannte Dienstwagenprivileg.3 Mehr als die Hälfte aller Pkw werden in Deutschland als Dienst- bzw. Firmenwagen gekauft.4 Zugleich nahm der Straßengüterverkehr dramatisch zu, weil Unternehmen ihre Lager auf die Straße verlegt haben – »Just in Time« auf Kosten der Steuerzahler. Weil wir Kartoffeln aus Ägypten kaufen, statt bei den Bauern aus der Region, weil an den Flug- und Seehäfen immer mehr Überflüssiges landet und ins Land gekarrt wird. Weil selbst die Herstellung einer einfachen Lasagne auf fünfzehn Nationen verteilt ist. Damit hat sich übrigens ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit etabliert, in dem jeder die Schuld auf den anderen schiebt und man kaum noch rausfindet, wer das Pferdefleisch reingemischt hat. Eine Politik für Verkehrssuffizienz sorgt u.a. für kurze Wege zu Einkaufsmöglichkeiten für den alltäglichen Bedarf, sorgt für eine exzellente Anbindung zum kostengünstigen Nahverkehr, verlängerte Wege zum Auto, schrittweise reduzierte Stellplätze und den Einsatz von besonders sparsamen Personenwagen. Wichtig ist zudem die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Dienstwagen und Dieselkraftstoff. Bei entsprechenden Rahmenbedingungen kann es gelingen, dass die Bürgerinnen und Bürger durch moderat suffizientes Verhalten den Primärenergieverbrauch und die entsprechenden Treibhausgasemissionen mehr als halbieren. Straßenbaumoratorium Zuvorderst ist es an der Zeit, dass wir uns vom Aus- und Neubau von Straßen verabschieden. Das spart zugleich viel Geld, wie die Petition »Straßenbaumoratorium« vorrechnet. Schon jetzt sei ein gewaltiger Sanierungsstau aufgelaufen. Mit jeder weiteren Straße stiegen die Unterhaltungskosten.5 Das Moratorium würde auch die Finanzhaushalte der Kommunen entlasten. Denn allen Klagen über klamme Kassen zum Trotz, werden allerorts noch Gelder für Erweiterungs- und Umgehungstraßen eingestellt. Und dies, obwohl die öffentlichen Haushalte schon jetzt kaum in der Lage sind, die Bestandsstraßen in einem verkehrssicheSYM 1/2016

ren Zustand zu lassen, weil viel zu wenig Geld für die Instandhaltung vorhanden ist. Fliegen Ein weiteres Konzept, um die Bürger in der Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu unterstützen, ist die Einführung von Limits für Starts und Landungen auf Flughäfen. Möglich wäre auch die Limitierung der Passagierzahlen pro Flughafen. Ziel ist zunächst, den Flugverkehr auf das gegenwärtige Niveau zu begrenzen. Da die Flieger zugleich immer effizienter werden, gingen die extrem klimawirksamen Treibhausgase zurück. Gegenwärtig geschieht das Gegenteil, begründet mit den immer gleichen Plattitüden: Das schafft Arbeitsplätze und ist wichtig für den Wirtschaftsstandort. Freiwillig und aus innerer Motivation beschränken sich weder Kommunen noch Bürger. Billigtarife und Angebotsausweitung signalisieren den Konsumenten zugleich, dass es ruhig noch etwas mehr sein darf. Außerdem begeben sich manche Kommunen in ein schwieriges Abhängigkeitsverhältnis eines einzelnen Flugunternehmens und werden damit erpressbar. So können die Fluggesellschaften mit dem Umzug zu einem anderen Flughafen drohen und für den Betreiber unwirtschaftliche Konditionen erzwingen. Tempo 30 Darüber hinaus ist endlich das überfällige Tempolimit für Autobahnen einzuführen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, die einzufordern wir nicht müde werden dürfen. Weniger in der Öffentlichkeit diskutiert, aber genauso wichtig: In der Straßenverkehrsordnung ein generelles Tempolimit von 30 Kilometer pro Stunde innerhalb geschlossener Ortschaften einzuführen. Warum das nicht schon längst Realität ist, scheint unbegreiflich, wenn man die Faktenlage betrachtet: Die Sicherheit

Die Zukunft der Mobilität ist multimodal, postfossil und smart. Die Tagung »Zukunftsfähige Mobilitätskultur – Wie kann sie gelingen?«, 15.-16. Januar, untersuchte Veränderungsprozesse, die auf dem Weg zu diesem Ziel gestaltet werden müssen. Viele wissen, was zu tun wäre, aber die individuellen und gesellschaftlichen Widerstände gegen weniger Auto sind massiv. Die Psychologie kennt wirksame Interventionsstrategien, um individuelles Mobilitätsverhalten zu beeinflussen. Neue Rahmenbedingungen unterstützen diese notwendigen Verhaltensänderungen. Dazu gehören attraktive Alternativen zum Auto, Vorrang für Bus und Bahn, aber auch städtebauliche Entwicklungen wie Rad- und Fußgängerwege mit Aufenthaltsqualität, der Rückbau von Strukturen der autogerechten Stadt der 1970er Jahre und die Stadt der kurzen Wege. Die Gestaltung dieser Strukturen erfordert mutige und weitsichtige Zielsetzungen und langfristige Strategien. Daran fehlt es noch. Dr. Michael Kopatz vom Wuppertal Institut war einer der Referenten.

Von 41,321 auf 44,403 Millionen, Kraftfahrtbundesamt 2016 Kraftfahrt-Bundesamt Beim Dienstwagen können die laufenden Betriebskosten (inklusive Abschreibung) im Rahmen der jährlichen Einkommenssteuererklärung geltend gemacht und so Steuern eingespart werden. 4 Laut Kraftfahrt-Bundesamt gab es 2014 63,8 Prozent gewerbliche Halter. Das sind 1,9 Millionen Fahrzeuge. 5 Eingereicht als öffentliche Petition beim Petitionsschuss des Deutschen Bundestags am 13.10.2011 (Petition 20526). 1

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Mobilität

erhöht sich schon allein dadurch drastisch, dass sich der Bremsweg fast halbiert – lebensrettende Meter in Gefahrensituationen.6 Die Zahl der Radfahrer nimmt zu – im britischen Bristol zum Beispiel um zwölf Prozent –, weil sich ihr Sicherheitsgefühl erhöht. Der Verkehr wird flüssiger und Beschleunigungsund Bremsvorgänge verringern sich. Das mindert deutlich die Abgas- und Lärmemis-

sionen. Der Lärm reduziert sich um subjektiv bis zu 50 Prozent.7 Weniger Schadstoffe, Lärm und mehr Radfahrer, all dies ist gut für die Gesundheit. Und da die Durchschnittsgeschwindigkeit etwa in Berlin ohnehin weit unter 24 km/h liegt8, kommen die Städter fast genauso schnell ans Ziel. Das Argument, jede Kommune könne doch selbst bestimmen, wo 30-Zonen und Straßen liegen sollen, ist wohlfeil. Denn die bürokratischen Hürden sind enorm zeitaufwendig. Nur in ausgewählten Bereichen dürfen die

Das Wuppertal Institut Nachhaltige Entwicklung bedarf eines integrierten Politikund Wissenschaftsansatzes. Denn die Fragestellungen einer zukunftsfähigen Entwicklung sind häufig nicht innerhalb von Ressortgrenzen oder einzelner wissenschaftlicher Disziplinen zu beantworten. Hier setzt das Forschungsprogramm des Wuppertal Instituts an. Es ist transdisziplinär und am Systemverständnis orientiert. Die Forschung des Wuppertal Instituts richtet sich auf die Gestaltung von Übergängen (»Transitions«) zu einer nachhaltigen Entwicklung. Prof. Dr. Uwe Schneidewind ist seit 2010 Präsident des Wuppertal Instituts, das 1991 unter der Leitung von Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker gegründet wurde. Ein internationaler wissenschaftlicher Beirat berät das Institut in grundsätzlichen strategischen Forschungsfragen, sichert die wissenschaftliche Qualität und die Unabhängigkeit der Forschung. Das Wuppertal Institut wird in der Rechtsform der gemeinnützigen GmbH geführt und erhält eine Grundfinanzierung vom Land Nordrhein-Westfalen. Aus: www.wupperinst.org/de/ das-wuppertal-institut/

Kommunen das Limit vorgeben. Viel einfacher ist es, wenn sich die Ausgangssituation umdreht und für ausgewählte Straßen Tempo 50 zugelassen werden muss. Dass der Vorschlag nicht abwegig ist, zeigte die österreichische Stadt Graz schon vor 20 Jahren. Hier waren zu Anfang des Großprojektes erst rund 40 Prozent der Bevölkerung vom generellen Tempo 30 überzeugt, was sich dann nach vier Jahren auf rund 80 Prozent erweiterte. Wo bleibt die Freiheit Auf solche Vorschläge werden einige entgegnen, es sollte im eigenen Ermessen der Bürgerinnen und Bürger liegen, ob sie rasen oder fliegen. Vertreter dieser liberalen Argumentationslinie stützen sich auf Artikel 2 des Grundgesetztes: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.« Doch der Auto- und Flugverkehr unterdrückt massiv die Freiheitsrechte der Anwohner und das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Fußgängern und Radfahrern. Und ganz offensichtlich ignoriert unsere Lebensweise die Freiheitsrechte der zukünftigen Generationen. Absolute Grenzen für Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß sind geradezu zwingend notwendig, wenn man den Freiheitsgrundsatz zu Ende denkt. Gute liberale Politik hat den Bürger nicht nur als Konsumenten im Blick, sondern als Staatsbürger, meinen Uwe Schneidewind und Angelika Zahrnt.9 Wer die individuellen Freiheitsrechte zu schützen sucht, wird zugleich um deren Begrenzung nicht umhin kommen. Nur so kann vermieden werden, dass unsere Freiheit zugrunde geht. Andernfalls bleibt nur ein Überlebenskampf, bei dem die Stärksten überleben. Bis zur Barbarei ist es dann nicht mehr weit. Unsere Zivilisationsgeschichte stünde vor dem Abgrund. Siehe auch Tagungsvorschau: »Elektromobilität«, S. 24

Dr. Michael Kopatz ist Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

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6 Vgl. Umweltbundesamt (2007): Verbesserung der Umweltqualität in Kommunen durch geschwindigkeitsbeeinflussende Maßnahmen auf Hautverkehrsstraßen – Abschlussbericht und Anlagenband. S.11. 7 Vgl. 20’s plenty for us (2012): Wide Area 20 mph Limits Raise Cycling and Walking Levels By Up To 12% 8 Statista 2016 9 Schneidewind, Uwe / Zahnrt, Angelika (2013): Damit gutes Leben einfacher wird. München, S. 23.

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Kaleidoskop

Radicalizing Reformation Das Luther-Jahr 2017 verursacht große Kosten und hat ungeheure, manchmal erstaunliche Werbekampagnen entfacht. Luther in allen Größen, Luther als Playmobil-Figur und was nicht alles angeboten wird, um Geld zu machen – sicher nicht ganz im Sinne des Reformators. Der Befreiungstheologe und Gründer von Kairos Europa, Ulrich Duchrow, und 40 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus allen Kontinenten haben diesem Treiben etwas entgegengesetzt. Unter dem Thema »Die Reformation radikalisieren – provoziert von Bibel und Krise« haben sie 94 neue Thesen entwickelt, deren grundlegende Perspektive »der biblische Vorrang der Ausgeschlossenen und Marginalisierten« sind. Auf der Website www.radicalizingreformation.com kann man die Thesen und deren Entstehungsgeschichte nachlesen. Die Perspektive ist die »Befreiung zum Leben in gerechten Beziehungen« mit den Unterpunkten: Befreiung zur Gerechtigkeit, Befreiung zum Mammon, Politik und Ökonomie der Befreiung, Befreiung von Gewalt zum Leben in Frieden, und Kirche – befreit zu Widerstand und Transformation.

Grundeinkommen – Praxistest Dass die Einkommensungleichheiten – auch in Deutschland – zunehmen, ist kein Geheimnis mehr. Mit Arbeit lässt sich einfach nicht so viel verdienen wie mit Vermögen. Der Berliner Michael Bohmeyer interessiert sich für den Praxis-Test. Über die CrowdFunding-Plattform »Mein Grundeinkommen« sammelt er seit 2014 Geld, um Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 € monatlich zu finanzieren. Eine Viertel Million Euro sind bis Januar 2016 schon zusammen gekommen und 23 Menschen haben davon für die Dauer eines Jahres profitiert. Das erste Grundeinkommen hat ein junger Mann gewonnen, der daraufhin seinen Job im Callcenter kündigt und eine Erzieherausbildung anfängt. Der Test zeigt, dass die Menschen das Geld nicht nutzen, um nichts zu tun. Ein spannendes Experiment. Nachzulesen im Deutschlandfunk: http://bit.ly/1KH3lyn

Vermögenssteuer Claus Hilvenscheidt hat in einem Kommentar in der SZ vom 18. Januar geschrieben, dass für viele die Frage, »wie lange ein Land wie Deutschland sich ein weiteres Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich noch wird leisten können, vor allem eine politischmoralische« ist. Er meint, dass »das Problem nicht die Einkommensungleichheit zwischen Chefarzt und Krankenschwester, Konzernchef und Sekretärin, Banker und Bauarbeiter ist. Das Problem ist die Vermögensungleichheit. Das mittlere Vermögen eines deutschen Haushalts beträgt gut 50 000 €, wer dauerhaft zur Miete wohnt, kommt gar nur auf 2000 €. Das reichste Tausendstel der Haushalte hat dagegen 35 Millionen.« Seine Lösung ist: „Die Vermögenssteuer müsste nicht zusätzlich, sondern anstelle der Einkommenssteuer erhoben werden. Ein faszinierendes Modell. Siehe: http://bit.ly/20X6M8g

Costa Rica ist das Lieblingsbeispiel von Jeffrey D. Sachs Jeffrey Sachs gilt weltweit als einer der führenden Experten gegen Armut und berät die UN und viele Regierungen zu diesen Themen. In einem Interview mit »Enorm« erklärt er, warum Costa Rica sein Lieblingsbeispiel ist für ein Land, das auf einem guten Weg ist: »Das Land hatte schon vor Jahrzehnten eine visionäre Führung: Sie schaffte die Armee ab! Und sie wollte Sozialdemokratie, Gesundheitsversorgung und Bildung für alle. Auch beim Umweltschutz war Costa Rica Vorreiter. Man entwickelte Finanzmechanismen, um Ökodienstleistungen zu bewerten: Schädiger des Systems sollten bestraft, Schützer belohnt werden.« Zwei Bücher von Jeffrey Sachs sind auch auf Deutsch erhältlich: »Das Ende der Armut« (2005) und »Wohlstand für alle« (2008).

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Kapitalismuskritik

»Das kann nicht gutgehen mit dem Kapitalismus« Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Streeck war Referent bei der Tagung »Den Kapitalismus religiös überwinden. Tagung in Zusammenarbeit mit der Blumhardt-Sozietät«. Das folgende gekürzte Interview ist am 8.1.2015 in Wirtschaftswoche online erschienen.

Die Banken stehen heutzutage für einen maßlosen, unkontrollierten Kapitalismus.

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Herr Streeck, Sie kündigen das nahende Ende des Kapitalismus an. Wie kann ein Gesellschaftssystem enden, das den meisten Menschen auf der Welt alternativlos scheint und das kaum jemand abschaffen will? Zunächst habe ich einfach darauf aufmerksam gemacht, dass auch der Kapitalismus ein historisches Phänomen ist. Als Gesellschaftsordnung ist er nicht viel älter als rund zwei Jahrhunderte. Was einen Anfang hat, hat auch ein Ende. Allerdings müssen wir uns frei machen von dem Fortschrittsglauben, der noch aus dem 19. Jahrhundert stammt. Dieser besagt, dass eine Gesellschaft nur enden kann, wenn sie von einer besseren abgelöst wird. Ich glaube, dass es gute Gründe dafür gibt, anzunehmen, dass der Kapitalismus nicht durch eine Revolution abgeschafft oder überwunden wird, sondern von selbst verendet. Es gibt viele Symptome des Niedergangs, aber am wichtigsten sind drei langfristige Trends in den hochentwickelten, kapitalistischen Ländern.

dauernd reparaturbedürftigen und immer schwerer zu reparierenden sozialen Systems.

Und zwar? Zuerst der anhaltende Rückgang der Wachstumsraten, verschärft seit 2008. Verbunden damit die extreme Zunahme der Verschuldung, sowohl der Staaten als auch der Privathaushalte und Unternehmen. Drittens die Zunahme der ökonomischen Ungleichheit in diesen Gesellschaften. Mein Bild vom Ende des Kapitalismus, das meiner Ansicht nach schon begonnen hat, ist das eines

Die Akteure in Politik und Wirtschaft sehen das anders. Da scheint keiner das Ende des Kapitalismus zu befürchten. Heute ist man sich in den Zentralen des Kapitalismus der Dramatik der Lage sehr bewusst. Larry Summers, der unter Clinton die Finanzmärkte deregulierte, spricht von »säkularer Stagnation«. Und der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman fordert, man solle lieber Crashs riskieren und gefährliche Kredite

Die Krise begann für Sie also nicht erst 2008. Ich habe in meinem Buch »Gekaufte Zeit« gezeigt, wie die Spannungen innerhalb des Systems des demokratischen Kapitalismus seit den 1970er Jahren zu dreieinhalb Phasen krisenhafter, immer globalerer Entwicklung führten. Die Lösungen, die das Wachstum ankurbeln und die Verteilungsprobleme beschwichtigen sollten, waren Inflation, Staatsverschuldung, Aufblähen des Finanzsektors. Die dreieinhalbte, aktuelle Phase ist das Aufblähen der Bilanzsummen der Zentralbanken. Alle diese Lösungen waren und sind hochgefährlich! Historisch waren es nur Zwischenlösungen, die sich in Probleme verwandelten und daher unter erheblichen Schwierigkeiten abgelöst werden mussten durch neue Zwischenlösungen.

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Kapitalismuskritik

vergeben, als gar keine. Da herrscht doch die schiere Panik. Warum bringt das viele billige Geld kein Wachstum? Brauchen wir staatliche Konjunkturprogramme? Ist die Deflation die große Gefahr, oder doch die Inflation? Man ist ratlos, was zu tun ist. Den meisten Menschen, nicht nur Ökonomen, ist der Gedanke an ein grundsätzliches Scheitern des Kapitalismus fremd. Die drei Jahrzehnte nach dem Krieg prägen unser Bild einer halbwegs demokratischen, einigermaßen stabil funktionierenden kapitalistischen Gesellschaft bis heute. Aber wenn man weiter zurückblickt, wird der absolute Ausnahmecharakter dieser Epoche klar. Vorher ein halbes Jahrhundert Chaos, hinterher dreißig Jahre ein Ritt auf Messers Schneide, von der wir 2008 beinahe ganz abgerutscht wären. Nach der Großen Depression war der Kapitalismus so gut wie am Ende; nur der Krieg und sein Ausgang haben ihn wieder möglich gemacht. Allerdings wohl kaum für immer. Wenn wir heute verstehen wollen, was um uns herum stattfindet, benötigen wir einen realistischen Blick auf Übergangszeiten, Zerfallszeiten, die Agonie von Gesellschaftssystemen. Man muss mit Analogien sehr vorsichtig sein. Aber aus der Geschichte des Niedergangs des Römischen Reiches kann man vielleicht lernen, wie in Übergangsphasen ein Zustand der Rat- und Regellosigkeit eintritt. Das Leben in den Provinzen verliert seine Sicherheit gewährende Struktur, weil das Imperium mit seinen Legionen es nicht mehr schützen kann. Die Leute müssen selber sehen, wie sie zurechtkommen. Wie zeigt sich dieser Niedergang der gesellschaftlichen Unsicherheit in Ihren Augen konkret? Ein Beispiel ist die abnehmende Gestaltungskraft des Arbeitsmarktes für die Lebensführung. Niemand kann sich mehr auf seinen Job verlassen. Jeder

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muss ständig improvisationsbereit sein. Der Einzelne muss sich sozusagen mit Humankapital bis an die Zähne bewaffnen, weil das System nicht für seine Sicherheit sorgen kann. Wo der Kapitalismus zur Gesellschaftsordnung wird, kann er nicht mehr nur eine Wirtschaftsweise sein, sondern muss zu einem Mechanismus der Strukturierung des Lebens werden. Doch darauf ist kein Verlass mehr. Der Wandel ist so schnell geworden, dass viele nicht mehr mitkommen können. In allen europäischen Ländern verstehen immer mehr Menschen nicht mehr, was um sie herum vorgeht. Und vor allem verstehen sie die Politik nicht mehr, weshalb sie auch nicht mehr wählen gehen – oder sogenannte »populistische« Protestparteien wählen. Und die Politik hat es nicht mehr in der Hand, das zu ändern? Was soll denn ein Politiker versprechen? Wenn er ehrlich ist, kann er doch nur sagen: Leute, seid bereit für alles; helft euch selber: optimiert euch! Ihr müsst euch drauf einstellen, dass ihr heute für einen Beruf lernt, den es in ein paar Jahren gar nicht mehr gibt. Die Welt wird zum Abenteuerspielplatz, das können wir nicht verhindern. Aber Abenteuer können doch auch Spaß machen. Have fun! Die hohe Kunst der Politik besteht zunehmend darin, so zu tun, als habe sie die Kontrolle, obwohl alle wissen, dass ständig alles Mögliche passieren kann und auf nichts Verlass ist. Und was ist mit neuen politischen Bewegungen? Für die Linke wird es zu einem existentiellen Problem, dass Leute, die früher links gewesen wären, heute wegen der Verschwisterung von linkem Internationalismus und Kapitalinternationalismus nach rechts rücken. Die zunehmende Unsicherheit wird sehr viele lokale Bewegungen in Gang setzen, einige davon sehr hässlich. Wenn die Wahlbeteiligung sinkt, steigt der Stimmenan-

teil der radikaleren Parteien. Leute wie Wilders in den Niederlanden oder die Schwedendemokraten werden dadurch stärker, dass die anderen nicht wählen. Man kann aber nicht damit rechnen, dass die neuen Bewegungen instrumentelle Antworten auf die Probleme liefern. Auch, weil sie von der etablierten Politik ausgegrenzt und dadurch auf Protest reduziert werden. Es entsteht keine neue Ordnung, sondern nur neue Unordnung. Was kommt eigentlich nach dem von Ihnen vorausgesagten Verfall der kapitalistischen Gesellschaft? Das große Chaos? Ich mache keine Vorhersagen. Ich weise nur auf die rapide zunehmenden gesellschaftlichen Brüche hin und wünsche mir, dass wir beim Nachdenken über die Zukunft die Möglichkeit eines langsamen Zerfalls der kapitalistischen Ordnung – einer Reduzierung des gesellschaftlichen Lebens auf die Gesetze des Marktes mit allen damit verbundenen Pathologien – nicht ignorieren. Eine Gesellschaft ohne Sicherheit und Solidarität, von Zynismus zerfressen und ständig von platzenden Blasen bedroht, in der sich rettet wer kann, zusammengehalten durch grenzenlose Konsumlust am Rande der ökologischen Möglichkeiten – das kann nicht gutgehen. © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Streeck ist Direktor eremitus am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln.

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Entwicklungsziele

Hunger nachhaltig bekämpfen Im September 2015 haben die UN-Mitgliedsstaaten über die »Post-2015-Entwicklungsagenda« getagt und sich auf 17 nachhaltige Entwicklungsziele (Sustainable Developement Goals, SDGs) geeinigt, die bis 2030 gelten sollen. Diese neue Agenda wurde im November in der Evangelischen Akademie diskutiert. Felix Prinz zu Löwenstein referierte zum Thema »Hunger bekämpfen, Ernährung sichern, Landwirtschaft nachhaltig gestalten«. Der hier gekürzte Beitrag erscheint Mitte März in voller Länge mit den anderen Beiträgen der Tagung in epd-Dokumentation Nr. 11/2016.

Von Dr. Felix Prinz zu Löwenstein »Hunger bekämpfen, Ernährung sichern, Landwirtschaft nachhaltig gestalten« lautet das zweite Nachhaltige Entwicklungsziel. Alle Menschen haben täglich das Bedürfnis zu essen. Die schlimmste Armut ist die, nicht essen zu können. Gleichzeitig hat die Art und Weise, wie wir unsere Nahrung produzieren, vor allem im Bereich der »Urerzeugung«, also der Landwirtschaft, starke Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen. Sie entscheidet darüber, ob, wo und wie in Zukunft Landwirtschaft noch möglich sein wird. Ein anderer Punkt sind die Krisen der Weltgeschich14

te: Viele werden durch Nahrungsmangel ausgelöst oder verursachen selbst Hunger. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Syrienkrieg. Der amerikanische Außenminister John Kerry beziffert die Menschen, die wegen verschiedener Dürre-Jahre ihre Dörfer verlassen haben und in die Städte gedrängt sind, mit 1,5 Millionen. Auf dem Global Forum for Food and Agriculture im Januar 2016 wurde die Schlussfolgerung aus der globalen Ernährungskrise gezogen, die die Agrarindustrie seit Jahren vertritt: »Wir, der begünstigte Norden, haben den globalen Süden zu ernähren. Dafür brauchen

wir eine zweite Grüne Revolution.« Gemeint ist eine Revolution, die unser Modell der industrialisierten Landwirtschaft intensiviert und zur Chemie noch die Biotechnologie hinzufügt – die Kreation von Pflanzen und Tieren, die die Natur selbst nicht zustande bringt. Wenn wir aber in einer Gesellschaft leben wollen, die nicht durch Stacheldraht garantiert wird und wenn wir unseren Kindern eine Welt hinterlassen wollen, in der es sich nicht schlechter leben lässt, als wir es hier und heute tun, dann müssen wir folgende Frage stellen: Funktioniert diese Landwirtschaft, diese Lebensmittelherstellung und unser SYM 1/2016


Entwicklungsziele

Ernährungsstil auf Dauer? Oder gerät die Vorstellung, »die Welt ernähren« zu müssen, zwangsläufig in Konflikt mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung? Wo Menschen hungern, geht es in der Regel nicht um die Menge der zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel, sondern um den Zugang zu Nahrung. In Syrien und in der Hungerkatastrophe im Südsudan können die Menschen oft keine Nahrung erzeugen, weil ihnen der Zugang zu den Äckern verwehrt ist. Das SDG 16 spricht dies an – nur in friedlichen und gerecht organisierten Gesellschaften kann Hunger vermieden werden. In SDG 15 geht es um: »Schutz, Wiederherstellung und Förderung der nachhaltigen Nutzung der terrestrischen Ökosysteme, nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder, Bekämpfung der Wüstenbildung, Stopp und Umkehrung der Landdegradierung und Stopp des Verlustes an biologischer Vielfalt.« Damit Landwirtschaft und Nahrungsproduktion auf Dauer möglich sind, müssen alle SDGs erreicht werden. Der kontinuierliche Verlust fruchtbarer Böden, der weltweit über 10 Millionen Hektar jährlich beträgt – was fast der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands entspricht, zeigt die Dringlichkeit. Allerdings stellt auch der Verlust der biologischen Vielfalt eine Bedrohung unserer Fähigkeit dar, die Ernährungsgrundlagen zu erhalten. Die wichtigste Voraussetzung für das Funktionieren von Ökosystemen und deren Fähigkeit, uns u. a. mit Nahrung zu versorgen, ist die biologische Vielfalt, die sich über Ausleseprozesse von Jahrmillionen entwickelt hat und in denen jeder Organismus seine Funktion im Ganzen erhält. Entfallen Organismen, ohne dass ihre Funktion im Rahmen der Evolution durch andere ersetzt wird, entfallen auch Ökosystemleistungen. Ohne Sicherung und Wiederaufbau fruchtbarer Böden können die katastrophalen Folgen des Klimawandels nicht verhindert werden. Offensichtlich ist die Landwirtschaft sein erstes Opfer, weil sie von den Begleiterscheinungen der globalen Erwärmung negativ beeinflusst wird. Nach einer Studie in der Fachzeitschrift Nature im Januar 2016 werden die höchsten Schäden durch Trockenheit SYM 1/2016

und Dürre verursacht – in den betroffenen Ländern hat dies bereits eine Größenordnung von 10 Prozent. Tendenz steigend! Fatalerweise haben diejenigen die Schadenslast des Klimawandels zu tragen, die am wenigsten zu seiner Entstehung beigetragen haben. Es ist kaum zu erwarten, dass diese Menschen geduldig den Hungertod abwarten. Über kurz oder lang werden sie vor unserer Tür stehen. Sowohl die Agrarpolitik der Europäischen Union – konkretisiert in ihrer nationalen Umsetzung in Deutschland – als auch unsere Entwicklungspolitik müssen deshalb alles darauf ausrichten, die landwirtschaftliche Produktion nachhaltig zu gestalten. Die Fixierung auf eine Erhöhung der Mengenproduktion durch die Methoden der industrialisierten Landwirtschaft beeinträchtigt die Möglichkeiten der Menschen des globalen Südens und die künftiger Generationen, die Ernährung einer wachsenden Bevölkerung sicher zu stellen. Der Schwerpunkt des Engagements muss darauf gelegt werden, den Biodiversitätsverlust abzuwehren, einen geschlossenen Nährstoffkreislauf zu schaffen und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft einzugrenzen. Das System des ökologischen Landbaus ist ein ebenso kostengünstiges wie wirkungsvolles Instrument zur Erreichung dieser Ziele. Es ist durch Regelwerke in allen Wirtschaftsräumen der Welt definiert, es weist in allen wesentlichen Parametern bessere Werte als das gängige Modell der industriellen Landwirtschaft auf. Und es verfügt über einen eigenen Markt, durch den Verbraucher Milliarden für seine Fortentwicklung beitragen. Siehe auch Tagungsvorschau: »Nachhaltigkeitsziele der UN«, S. 24

Kritik an den SDGs Deutliche Kritik an den SDGs kam u.a. von der Welthungerhilfe, NABU und medico international. Eine Presseerklärung von medico zitiert Geschäftsführer Thomas Gebauer: »Es besteht die Gefahr, dass die Nachhaltigkeitsziele als Papiertiger enden.« Neue Regeln, etwa zur Bekämpfung von Steuerflucht und Korruption, seien bereits am Veto mächtiger Industriestaaten gescheitert. Ohne globale Umverteilung und eine Transformation des Weltwirtschaftssystems blieben die SDGs nur Flickschusterei. »Das fundamentale Problem der neuen Entwicklungsagenda ist ihre Widersprüchlichkeit, die so weit geht, dass sich ihre Ziele gegenseitig aufheben. Wie sollen Klima und Umwelt geschützt werden, wenn die Mittel, die für solche Maßnahmen notwendig sind, über das Wachstum einer zerstörerischen Produktionsweise generiert werden? Wie soll zugleich mehr und weniger realisiert werden? Wie die Armut bekämpft werden innerhalb eines Systems, das Armut immer wieder systematisch produziert?«, fragt Gebauer.

Dr. Felix Prinz von Löwenstein ist Vorstandsvorsitzender der Naturland e.V. BÖLW, Ötzberg

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Gute Arbeit

Der Konflikt von Wach In der Tagung ›Gute Arbeit ohne Wachstum? – Ansatzpunkte für eine nachhaltige Gestaltung der Arbeit‹ vom 6.-8. November 2015 ging es um die Zukunft der Arbeit unter den Bedingungen einer sozialökologischen Transformation. Wie sehen Gewerkschaften die Chancen für gute Arbeit bei weniger Wirtschaftswachstum und welche Strategien bieten sich dafür an? Zu diesen Fragen nahm Norbert Reuter vom ver.di-Bundesvorstand Stellung. Von Norbert Reuter Wirtschaftliches Wachstum und wachsender Wohlstand galten lange Zeit als zwei Seiten einer Medaille. Inzwischen ist dieser Konsens brüchig geworden. Heute wird immer deutlicher, dass wirtschaftliche Wachstumsprozesse von zwei gegenläufigen Entwicklungen begleitet werden. Steigen Einkommen und Wirtschaftsleistungen, können mehr Güter genutzt werden. Auf niedrigem Einkommensund Produktivitätsniveau ist damit auch unmittelbar eine Steigerung des Wohlstands verbunden. Solange Menschen kein Dach über dem Kopf haben, kaum Kleidung und zu wenig Nahrung, stellt jedes Mehr an Wohnung, Kleidung und Nahrung einen klaren Wohlstandsgewinn dar. Dieser enge Zusammenhang löst sich allerdings mit zunehmender Sättigung grundlegender Bedürfnisse tendenziell auf. Gleichzeitig nehmen die negativen Begleiterscheinungen des Wachstums zu: Schlechtere Umweltqualität, globale Erwärmung, Umweltkatastrophen, steigende Ressourcenknappheit. Als Folge wird der Sinn weiteren Wachstums von immer mehr Menschen grundsätzlich in Frage gestellt, zumal in jüngster Zeit weiteres Wachstum zunehmend mit wachsendem Arbeits- und Leistungsdruck und längeren Arbeitszeiten erkauft wird. Vor diesem Hintergrund rückt die Frage nach einer qualitativen Entwicklung in den Vordergrund. Sobald nicht mehr bloßes Wirtschaftswachstum, sondern die Frage des Wohlstands in den Blick rückt, müssen die Bedingungen und Inhalte der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung 16

in einem demokratischen Prozess definiert werden: »Welche Gesellschaft wollen wir?« In diesem Zusammenhang kommt der Arbeitszeitfrage wieder eine steigende Bedeutung zu. Trotz aller Erfolgsmeldungen vom Arbeitsmarkt und trotz aller statistischen Beschönigungen waren auch Ende 2015 immer noch gut 3,4 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos. Mit Blick auf die enorme Zuwanderung dürfte sich dieses Problem noch deutlich verschärfen. Bereits in den letzten Dekaden waren die Wachstumsraten zu gering, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Hoffnungen auf eine Wachstumsbelebung durch eine wirtschaftsfreundliche (»neoliberale«) Politik haben sich nicht erfüllt. In allen entwickelten Ländern bewegen sich die Wachstumsraten inzwischen auf niedrigem Niveau und gehen in der Tendenz sogar weiter zurück. Zudem sind die ökologischen Probleme schon jetzt kaum beherrschbar. Deshalb erscheint es auch utopisch, die Massenarbeitslosigkeit dauerhaft durch Wachstum überwinden zu wollen. Eine Rückkehr zu einer gesamtwirtschaftlichen Arbeitszeitverkürzung kann eine Lösung für die gesamte Gesellschaft sein. Die Arbeitszeitverkürzung kann nicht nur ausreichende Arbeitsplätze schaffen. Sie wird auch zunehmend vor dem Hintergrund von Wohlstandsüberlegungen diskutiert. Befragungen von Beschäftigten zur gewünschten Arbeitszeit zeigen immer wieder, dass Vollzeitbeschäftigte weniger und Teilzeitbeschäftigte mehr arbeiten wollen. Gewünscht wird im Durchschnitt eine wöchentliche Arbeitszeit von rund 35 Stunden.

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Gute Arbeit

hstum und Wohlstand Auf hohem Einkommensniveau steht der Nutzen zusätzlicher Freizeit tendenziell über dem eines weiter steigenden Einkommens. Hierauf weisen zum einen immer wieder Berichte von Beschäftigten hin, die in der Vergangenheit im Zuge von krisenbedingter Kurzarbeit eine Zeitlang kürzer arbeiten mussten. Nach den Erfahrungen einer länger anhaltenden Vier-Tage-Woche fällt es beispielsweise offensichtlich schwer, diesen Zugewinn an Freizeit und Lebensqualität wieder aufzugeben – selbst wenn dadurch das Einkommen wieder auf das alte Niveau steigt. Das bestätigen Arbeitszeitexperimente: Unternehmensberater in den USA, die in einem Experiment gezwungen wurden, einen Tag in der Woche frei zu nehmen, bewerteten nach fünf Monaten ihre Arbeits- und Lebenssituation deutlich besser als ihre Kollegen ohne Arbeitszeitverkürzung. Politische Folgerungen Arbeitszeitverkürzung bietet sich damit als Mittel an, den Wohlstand zu erhöhen, ohne die Umwelt zusätzlich zu belasten. Folgende Rahmenbedingungen würden diese Entwicklung fördern: Beschäftigte müssen eine rechtlich gesicherte Option haben, auch wieder in Vollzeit zurückwechseln zu können. Im Rahmen von Tarifverhandlungen sind statt kollektiver Lohn- und Arbeitszeitregelungen individuelle Wahlmöglichkeiten zwischen Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung zu schaffen. Arbeitszeitverkürzung muss immer mit klaren Regelungen zur Verkürzung des Arbeitspensums bzw. mit einem Personalausgleich einhergehen, damit ein steigender Leistungsdruck vermieden wird. Bei den Arbeitszeitmodellen müssen die unterschiedlichen Wünsche von Teil- und Vollzeitbeschäftigten berücksichtigt werden. Es müssen klare Personalschlüssel und Pausenregelungen vereinbart werden, unbezahlte Mehrarbeit verhindert, auf eine klare Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit geachtet und ausreichende Angebote zur SYM 1/2016

Gesundheitsvorsorge gemacht werden. Wachstum ist keineswegs der unvermeidbare Preis, der für Wohlstand im Allgemeinen und ausreichende Arbeitsplätze im Besonderen zu zahlen ist. Arbeitszeitverkürzung setzt sich aber nicht von alleine durch. Richtige politische Rahmensetzungen und ein anhaltender Wertewandel sind nötig, damit Zeitwohlstand eine zunehmende Bedeutung bei der wirtschaftlichen Entwicklung erlangt.

Ver.di diskutiert zur Zeit ein Arbeitszeitmodell, das eine Verkürzungsperspektive für Vollzeitbeschäftigte mit einer Verlängerungsperspektive für Teilzeitbeschäftigte verknüpft. Instrument sind sogenannte zusätzliche »Verfügungszeiten«. Vollzeitbeschäftigte müssten dann z.B. 14 Tage pro Jahr weniger arbeiten - bei vollem Lohnausgleich. Bei Teilzeitbeschäftigten würde sich die Arbeitszeit zunächst entsprechend erhöhen. Da sie aber auch Anspruch auf die Verfügungszeit hätten, bliebe die tatsächlich zu leistende Arbeitszeit gleich; sie würden aber so viel verdienen, als ob sie 14 Tage mehr arbeiten würden. Gleichzeitig hätten sie die Option, ihre Arbeitszeit in Richtung kurze Vollzeit (z. B. 30 Std. Woche) zu erhöhen. Siehe auch die ver.di-Broschüre: Mehr Zeit für mich. Impulse für eine neue arbeitszeitpolitische Debatte, Berlin, August 2015

Norbert Reuter ist Leiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung im ver.diBundesvorstand.

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Extra: Flüchtlinge

Hilfe für verfolgte Frauen und Kinder aus dem Nordirak Eine Tagung mit dem Titel »Shingal blutet. Dolmetscherinnen und Sozialarbeiterinnen begleiten Traumaopfer aus dem Nordirak« fand am 5./6. Dezember in Bad Boll statt. Martina Waiblinger hat Dr. Michael Blume zu dem Sonderkontingent Nordirak befragt, das er im Auftrag des Staatsministeriums BadenWürttemberg geleitet hat. 18

Die Landesregierung hat im letzten Jahr 1000 Frauen und Kinder aus dem NordIrak nach Deutschland geholt. Woher kam der Impuls, sich speziell dieser Gruppe zuzuwenden? Was unterscheidet sie von anderen vom IS verfolgten Gruppen? Eine Delegation des Zentralrats der Yeziden in Deutschland trug im Spätsommer 2014 Ministerpräsident Kretschmann und Staatssekretär Murawski das Leid

der Frauen und Kinder vor, die versklavt und deren Männer vom IS ermordet wurden. Wir stellten fest, dass Bundesländer humanitäre Kontingente durchführen können – bisher hatte das nur noch niemand probiert. Beim LandesFlüchtlingsgipfel im Oktober stimmten dann auch Sprecher aller Landtagsfraktionen zu: Wenn wir etwas tun können, dann sollten wir das tun.

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Extra: Flüchtlinge

Sie haben gesagt, dass weder Religion, Herkunft oder Sprache für die Auswahl entscheidend waren. Nach welchen Kriterien wurden die Frauen ausgesucht? Mussten Sie viele zurücklassen, die gerne am Programm teilgenommen hätten? Das Kontingent richtete sich an Frauen und Kinder, die in den Händen des IS traumatisierende Gewalt erfahren und Angehörige verloren haben. Außerdem sollte absehbar sein, dass wir ihnen in Deutschland auch helfen können. Neben Yezidinnen haben wir auch Christinnen im Kontingent. Und angesichts der teuren und gefährlichen Fluchtroute fliehen vor allem junge Männer nach Europa – teilweise legt die erweiterte Familie dafür zusammen. Frauen mit Kindern und ohne Mann haben es dagegen am Schwersten. Viele Entscheidungen sind uns sehr schwer gefallen. Erfreulicherweise haben neben uns auch noch Niedersachsen 70 und Schleswig-Holstein 30 weitere Menschen aufgenommen. Unter was haben die Frauen am meisten zu leiden? Die Frauen und Kinder haben meist brutale, sexuelle Gewalt erfahren und oft den Mord an den eigenen Angehörigen mit angesehen. Hinzu kommt der Verlust ihrer Heimat. Und in den alten, patriarchalen Traditionen gelten sie zudem auch noch als »entehrt«, werden teilweise sogar von Angehörigen abgelehnt. Selbstmord kommt leider häufig vor. Schon der Wechsel der Umgebung und der Schulbesuch der Kinder verbessert ihre Situation. Auch machen wir deutlich, dass nicht die Opfer ihre Ehre verloren haben, sondern nur die Täter. Welche Perspektiven bietet ihnen das Programm für ihre Zukunft? Wir helfen und geben ihnen die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal zurück. Sie bekommen für zunächst zwei Jahre soziale, medizinische und psychologische Begleitung, können Schule, Ausbildung und Arbeit aufnehmen und dann auch beantragen, auf Dauer in Deutschland zu bleiben. Vor allem die Kinder überraschen uns positiv, blühen häufig auf, aber es ist trotz allem kein leichter Weg. SYM 1/2016

Hintergrundinfo zum Sonderkontingent Im Sommer 2014 richtete die Terrormiliz »Islamischer Staat« im Nordirak unter Angehörigen religiöser Minderheiten – wie Yeziden und Christen – ein Massaker an. Viele Männer wurden getötet, Frauen und Mädchen wurden versklavt und sexuell missbraucht. Das Land Baden-Württemberg beschloss daraufhin, 1000 besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aufzunehmen, sicher unterzubringen und psychologische Hilfe bereit zu stellen. Das Projekt namens »Sonderkontingent Nordirak« hat Dr. Michael Blume, Religionswissenschaftler, im Auftrag des Staatsministeriums BadenWürttemberg geleitet. Er ist zehnmal mit seinem 15-köpfigen, interreligiösen Team in die Region gefahren, begleitet von Prof. Dr. Dr. Ilhan Kizilhan, der als psychologischer Berater dabei war.

Bei der Tagung in Bad Boll ging es um die Erfahrungen der Dolmetscherinnen und Sozialarbeiterinnen, die die Frauen begleitet haben. Welche Erkenntnisse waren für Sie dabei neu? Es war verblüffend, wie viele ähnliche oder sogar gleiche Erfahrungen die Kolleginnen an den verschiedenen Orten machten! Wir vernetzen uns und teilen Erfahrungen, denn die transkulturelle Migrations- und Traumaforschung ist häufig noch sehr theoretisch und wenig empirisch. Zu Themen wie Traumaphasen bei Flüchtlingen oder dem Einfluss neuer Medien gibt es noch kaum Brauchbares! Insofern ist das Kontingent auch ein Pilotprojekt geworden, Bad Boll ein Reflektions- und Lernort. Können Sie als Religionswissenschaftler uns noch eine kurze Info zu den Yeziden geben? Das Yezidentum ist Jahrtausende alt und ethnisch kurdisch, wird mündlich und über Kasten von Geistlichen tradiert und hat sowohl christliche wie islamisch-sufische Elemente aufgenommen. Bisher darf nur in der eigenen Kaste geheiratet werden, auch Konversionen sind noch nicht möglich. Es gibt viele Ähnlichkeiten zum früheren Alevitentum. Yeziden glauben an Gott und daran, dass sich der Oberste Engel wieder mit Ihm versöhnt habe und es keinen Dualismus gibt. Daraus machen islamische Fundamentalisten den völlig falschen Vorwurf, sie wären »Teufelsanbeter«. Durch Rückzug und Kinderreichtum haben die Yeziden viele Verfolgungen überstanden. Es gibt weltweit noch etwa eine Million Yeziden, davon noch etwa zwei Drittel im Irak und in Syrien. Sie sind vom Genozid bedroht.

Veranstaltungshinweis: Flüchtlinge im Nordirak. Eindrücke aus der Praxis mit Michael Blume und Ayse Özbabacan, Mittwoch, 23.3.2016, 19:00 Uhr im Hopspitalhof in Stuttgart Dr. Michael Blume ist Religionswissenschaftler, siehe auch: www.blume.religionswissenschaft.de

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Was kommt?

Was kommt?

Tagungen vom 9. März bis 31. Juli 2016 Gesellschaft, Politik, Staat Hast du Netz? Lass dich nicht verapplen 15. Baden-Württembergischer Streitschlichter-Kongress 9. bis 11. März 2016, Bad Boll Streitschlichter-Programme sind an vielen Schulen erfolgreich etabliert. Streitschlichter wollen begleitet werden, suchen neue Impulse und Motivation. Der Kongress bietet die Möglichkeit, sich in Vorträgen und Workshops weiterzubilden, Erfahrungen auszutauschen und mit qualifizierten Mediatorinnen und Mediatoren intensiv in Gruppen zu arbeiten. Tagungsleitung: Marielisa von Thadden Infos: Heidi Weiser, s. S. 25 Mitwirkung und achtsamer Umgang in Wohnheim und Wohngruppen Fortbildung für Bewohnerbeiräte der Behindertenhilfe in der Diakonie 17. bis 18. März 2016, Bad Boll Seit Mai 2014 gibt es ein neues Gesetz, das u. a. die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner in Einrichtungen der Behindertenhilfe regelt. Das Gesetz heißt Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG). Die Heimbeiräte heißen nun Bewohnerbeiräte. Ihre Aufgaben haben viel mit Beteiligung zu tun. Wie kann diese umgesetzt werden? Wie kann es gelingen, dass sie mitwirken, dass alle Menschen im Wohnheim oder in der Wohngruppe achtsam miteinander umgehen? Tagungsleitung: Christa Engelhardt, Bernd Schatz Infos: Erika Beckert, s. S. 25 Selbstmanagement mit dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM®) ZRM®-Grundkurs 31. März bis 2. April 2016, Bad Boll Das Zürcher Ressourcen Modell ist ein Ansatz des Selbstmanagements, das die 20

Stärken in den Blick nimmt. Es erschließt persönliche Entwicklungskräfte und erweitert den eigenen Handlungsspielraum auch in schwierigen Situationen. Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers Infos: Romona Böld, s. S. 25 Entwicklungspolitische Landeskonferenz 2016. Entwicklungspolitischer Dialog der Landesregierung BadenWürttemberg 2. April 2016, Messe Stuttgart Unter dem Motto »Welt:Bürger gefragt!« organisiert die Landesregierung BadenWürttemberg seit 2012 einen Bürgerbeteiligungsprozess, in dem neue entwicklungspolitische Leitlinien für das Land Baden-Württemberg erarbeitet wurden. Die Akademie Bad Boll moderiert diesen Prozess. Einmal jährlich berät die Entwicklungspolitische Landeskonferenz über die Umsetzung dieser Leitlinien. Die Ergebnisse fließen in die Entwicklungspolitik der Landesregierung ein. Sie sind eingeladen, sich an dem Dialogprozess aktiv zu beteiligen! Im Fokus ist 2016 »Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung«. Tagungsleitung: Mauricio Salazar, Carmen Ketterl Infos: Conny Matscheko, s. S. 25 »Wo geht’s denn hier nach Königsberg?« – Kriegserfahrungen als Herausforderung in der Seelsorge 11. bis 13. April 2016, Bad Boll

Intervention der Deutschen in Norwegen, 1940

Viele Menschen, die bis 1947 geboren sind, haben Kriegserfahrungen und -folgen erlebt als unmittelbar betroffene Erwachsene oder Kinder. Diese bleiben oft über Jahrzehnte im Verborgenen und brechen erst im Alter auf. Warum und wie dies geschieht, wird uns bei der Tagung ebenso beschäftigen wie die Frage, welche seelsorgerlichen Konsequenzen wir daraus im Pflegeheim-Alltag ziehen. Tagungsleitung: Dr. Dietmar Merz Infos: Romona Böld, s. S. 25 Verantwortungsbewusstes Führen und Entscheiden. Selbst- und Zeitmanagement im Berufs- und Privatleben 11. bis 13. April 2016, Bad Boll In diesem Seminar zeigen qualifizierte Trainerinnen, wie Menschen in Entscheidungssituationen Praktische Ethik schrittweise üben und anwenden können, z.B. die Entscheidung darüber, welche Prioritäten wirklich Priorität haben und wie sich Ihre Interessen mit denen Ihrer Organisation gewinnbringend für beide verbinden lassen. Theorie- und Praxiseinheiten gehen konkret auf Ihre persönlichen Entscheidungs- und Konfliktsituationen ein. Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers, Christine Rall Infos: Romona Böld, s. S. 25 Bad Boller Hebammentage 2016 Fachtagung 15. bis 17. April 2016, Bad Boll Das berufspolitische Umfeld wird für Hebammen immer schwieriger. Aktuelle Entscheidungen wie die hohen Prämien der Haftpflichtversicherung und der Schiedsspruch mit seinen festen Ausschluss-Kriterien einer geplanten Hausgeburt betreffen vor allem freiberufliche Hebammen. Doch auch angestellte Hebammen arbeiten unter zunehmend belastenden Bedingungen in den Geburtskliniken. Unsere Bad Boller Hebammentage sind eine wichtige Auszeit mit der inspirierenden Mischung aus fachlicher Fortbildung und einem entspannenden Rahmenprogramm. Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers, Jutta Eichenauer SYM 1/2016


Was kommt?

Vorbereitungsteam: Marlis Binnig, Susanne Dießner, Gerlinde Feichtinger, Andrea Mora, Elke Schönherr Infos: Romona Böld, s. S. 25 Einfühlsame Gesprächsführung für Menschen in psychosozialen Berufen Auf der Grundlage der gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Dr. Marshall Rosenberg 20. bis 22. April 2016, Bad Boll Berufliche und private Beziehungen sind fester Bestandteil unseres Alltags. Täglich erleben wir, wie schwierig es sein kann, Probleme zu lösen und Konflikte auszutragen, ohne sich zu verletzen. Dabei kommt unserer Sprache besondere Bedeutung zu. Worte können Fenster oder Mauern sein. Die gewaltfreie Kommunikation ist eine wirkungsvolle Weise, um mit unseren Mitmenschen in Verbindung zu treten. Sie fördert eine innere Haltung der gegenseitigen Wertschätzung und führt zu mehr Tiefe und Achtsamkeit. Tagungsleitung: Christa Engelhardt, Dr. Uwe Schirmer Infos: Erika Beckert, s. S. 25 Projektwerkstatt 21 Neue Aufgabenfelder in der SMV-Arbeit an Gymnasien 26. bis 27. April 2016, Bad Boll In Form einer Zukunftswerkstatt werden Projekte aus den Bereichen »Eine Welt«, »Toleranz« und »Soziales Miteinander« vorgestellt, geplant und konkrete Handlungsmöglichkeiten für die teilnehmenden Schulen eröffnet. Das Seminar bietet außerdem die Möglichkeit, die Zukunfts (kurz) werkstatt als anwendbare Methode kennenzulernen und einzuüben. Tagungsleitung: Michael Scherrmann Infos: Karin Walz, s. S. 25 Juristisches Vergessen? Der NS-Mord an Sinti und Roma. Die juristische Behandlung der NS-Morde an Sinti und Roma und deren Wirkungen 2. bis 4. Mai 2016, Bad Boll Erschreckend spät kam die juristische Aufarbeitung des nationalsozialistischen Völkermords an Sinti und Roma SYM 1/2016

Gedenktafel, Berlin Thielallee, eingeweiht 1995

in Gang. Nur wenige der Verantwortlichen wurden dabei für ihre Verbrechen belangt. Ist diese juristische Verdrängung symptomatisch für das Vergessen der Verbrechen an Sinti und Roma in der NS-Zeit? Welche Folgen hat diese unzureichende juristische Aufarbeitung für die aktuelle Situation von Sinti und Roma in Deutschland heute und für den Fortbestand des Antiziganismus? Diesen Fragen stellt sich diese Tagung, die als Folgekonferenz einer wichtigen Tagung in der Akademie vor 25 Jahren kritisch Bilanz ziehen soll. Tagungsleitung: Wolfgang Mayer-Ernst, Herbert Heuß, Arnold Roßberg Infos: Gabriele Barnhill, s. S. 25 Der gnädige Gott! Und der gnädige Mensch? – Ein Kirchengemeinderatswochenende zur Aktualität der Reformation 6. bis 8. Mai 2016, Bad Boll Ein runder Gedenktag wird am 31.10.2017 gefeiert: 500 Jahre ist es her, dass Luther seine 95 Thesen mit seiner Kritik am Ablasswesen seiner Zeit öffentlich gemacht hat. Was hat das denn mit uns zu tun? Vielleicht eine ganze Menge! Denn die Wiederentdeckung eines gnädigen Gottes könnte für uns, für unseren Umgang mit uns selbst wie mit anderen, ja für unsere Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung eine Menge kritischer und aktueller Anfragen bereit halten. Es geht um Luther und seine Theologie wie um uns und unsere Zeit. Tagungsleitung: Wolfgang Mayer-Ernst Infos: Gabriele Barnhill, s. S. 25

In neuen Territorien denken Landgrabbing in Lateinamerika 6. bis 8. Mai 2016, Bad Boll Die Ressource Land und Territorium ist in Lateinamerika, aber auch in anderen Ländern des Südens, zunehmend umkämpft. Historisch gesehen ist die Landfrage als eine Ursache von Befreiungs- und Bürgerkriegen in Afrika und Lateinamerika anzusehen. Aktuell geht es um den Abbau von Rohstoffen sowie um die Verteidigung der Ressource Land vor finanzstarken Investoren. Die Tagung informiert über die Auswirkung von Landgrabbing in Lateinamerika und Deutschland. Vor allem fragt sie danach, welche Lösungsansätze es zur Überwindung dieses globalen Problems geben könnte. Tagungsleitung: Mauricio Salazar Infos: Susanne Heinzmann, s. S. 25 Das Salz der Demokratie im Rechtswesen. Eine Tagung für Schöffinnen und Schöffen und interessierte Zeitgenossen 3. bis 4. Juni 2016, Bad Boll Recht gesprochen wird in der Bundesrepublik »im Namen des Volkes«. Es ist in einem demokratischen Rechtsstaat nötig, dass das Volk an der Urteilsbildung mitwirkt. Darum sind Schöffinnen und Schöffen in Strafrechtsprozessen als die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter neben den Berufsrichterinnen und Richtern an der Rechtsprechung beteiligt. Bei dieser Tagung geht es um Fragen, die sich für Schöffinnen und Schöffen im Gerichtsalltag ergeben, und um das Wissen, das sie für ihre Arbeit brauchen – damit wirklich Recht im Namen der Demokratie werden kann. Tagungsleitung: Wolfgang Mayer-Ernst, Robert Gunderlach Infos: Gabriele Barnhill, s. S. 25 …die 24 Stunden von Bad Boll …außergewöhnlich unterwegs zu mir selbst 6. bis 9. Juli 2016, Bad Boll Aktiv – bewegt – gemeinsam – zielstrebig! Nach Einstieg und Vorbereitung sind wir 24 Stunden unterwegs von Bad Urach nach Bad Boll. Wir erleben, wie es 21


Was kommt?

ist, in einer herausfordernden Situation eigene, innere Kräfte zu mobilisieren. Es geht dabei nicht um Schnelligkeit und Einzelkämpfertum, sondern um gegenseitige Unterstützung; um das Erreichen eines gemeinsamen Ziels. Nach Entspannung und Schlaf werten wir unsere Erfahrungen aus – auch in ihrer Bedeutung für unseren Alltag. Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers Infos: Romona Böld, s. S. 25 Zusammenarbeit in der Werkstatt Wie kann das gut gelingen? Fortbildungsreihe für Werkstatträte – Teil 3 11. bis 13. Juli 2016, Bad Boll Der Werkstattrat (WR) wurde von den Beschäftigten gewählt. Er soll ihre Interessen gut vertreten. Außerdem muss der WR mit vielen anderen Stellen zusammenarbeiten: mit der Leitung, dem Sozialdienst, den Gruppenleitungen und den Beschäftigten. Was kann zum Gelingen der Zusammenarbeit beitragen? Was kann der Werkstattrat tun, um gehört zu werden? Was tun im Streitfall? Welche Regeln helfen uns dabei? Tagungsleitung: Christa Engelhardt, Silke Frisch, Matthias Kneißler Infos: Erika Beckert, s. S. 25

Theologie, Kultur, Religion »Auf die Chefs kommt es an« Jahrestagung für Führungskräfte in Diakonie-Sozialstationen und ambulanten Pflegediensten 14. bis 15. März 2016, Bad Boll Viele Menschen wenden sich vertrauensvoll an Diakonie-Sozialstationen und ambulante Pflegedienste. Sie erwarten gute und zuverlässige Versorgung. MitarbeiterIinnen müssen den Anforderungen der Kundschaft gerecht werden. Der Führung einer Station oder eines Arbeitsbereichs kommt eine besondere Rolle zu. Sie muss die richtigen MitarbeiterInnen finden. Nur motivierte MitarbeiterInnen sorgen für zufriedene Kunden und eine gute Kultur. Wie das gelingen kann, wird aufgezeigt. Tagungsleitung: Dr. Dietmar Merz, 22

Schwester Margarete Mühlbauer, Johannes Kessler Infos: Romona Böld, s. S. 25 Alles Familie?! Erkundungen, Diskurse und Debatten 17.-18. März 2016, Stuttgart-Hohenheim Die Kirchen setzen sich in den letzten Jahren mit dem, was Familie ist oder sein soll, auseinander. Kirchliche Dokumente und Synoden unterstreichen diesen Prozess der Auseinandersetzung und Positionierung. Den einen geht dies zu weit, die anderen kritisieren umgekehrt die Rückständigkeit der theologischen Argumentation. Eine Tagung von Evangelischer Akademie Bad Boll und der Akademie der Diözese RottenburgStuttgart. Die Tagung erkundet, wie sich die Kirchen den Veränderungen im familialen Zusammenleben stellen, fragt, wie die Kirchen als sozialpolitische Akteurinnen auftreten und diskutiert, wie eine zukunftsweisende »Theologie der Familie« aussehen könnte. Tagungsleitung: Prof. Dr. Hans-Ulrich Gehring, Dr. Andrea Thimm Infos: Andrea Titzmann, s. S. 25 Zwischen den Generationen – Familienbande im Wandel Tagung für Menschen im Ruhestand und im aktiven Dienst 8. bis 10. April 2016, Bad Boll Zu Austausch und Begegnung und zur Auseinandersetzung mit einem theologischen Themenschwerpunkt sind auch in diesem Jahr Theologinnen und Theologen im Ruhestand und alle thematisch Interessierten nach Bad Boll eingeladen. Tagungsleitung: Prof. Dr. Hans-Ulrich Gehring, Prälat i. R. Hans-Dieter Wille Infos: Andrea Titzmann, s. S. 25 Sing-Akademie Die Akademie in Wort und Ton 5.-8. Mai 2016, Bad Boll Für das Singen begeisterte Menschen sind eingeladen, sich auf eine Reise mit einem musikalischen Werk mit christlichem gesellschaftspolitischem Bezug zu begeben. Die Arbeit an der eigenen Stimme mit Spaß und professioneller Begleitung wird verbunden mit Infor-

mationen und theologischen Interpretationen zu den gesungenen Texten. Unterschiedliche Musikrichtungen, Choreografie und Tanz finden Raum in der Erprobung des Werkes. Abschluss der Sing-Akademie wird eine öffentliche Präsentation des Gelernten sein. Tagungsleitung: Jörg Hübner Infos: Karin Nitsch, s. S. 25 Junge Muslime zwischen Extremismus und Dialog Herausforderung Dschihadismus 9. bis 10. Mai 2016, Bad Boll Immer mehr junge Menschen in Deutschland schließen sich radikalislamistischen Gruppen an. Fachkräfte in Schule, Jugendhilfe, politischer Bildung, aber auch bei der Polizei begegnen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich für Botschaften des Dschihadismus interessieren und Gewaltbereitschaft zeigen. Unwissenheit und Unsicherheit bringen Gefühle von Überforderung und Hilflosigkeit mit sich. Was geht in den Jugendlichen vor? Was bedeutet Radikalisierung und was können Fachkräfte tun? Im Dialog u. a. mit muslimischen Gesprächspartnern werden Antworten gesucht. Tagungsleitung: Sigrid Schöttle Infos: Silke Klostermann, s. S. 25 1. Boller Frauenmahl zur Zukunft von Religion und Kirche Meines eigenen Glückes Schmiedin?! Wie erhöhe ich das Bruttosozialglück? 4. Juni 2016, Bad Boll Frauen aus verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten wie Politik, Theologie, Kultur und Wirtschaft bringen Impulse zur Zukunft von Religion und Kirche bei einem festlichen Essen zu Gehör. Anregende Dialoge bei Tisch, spirituelle Atempausen ermöglichen Muße, Reflexion und Inspiration. Tagungsleitung: Sigrid Schöttle, Ursula Werner Infos: Silke Klostermann, s. S. 25 The Big Five Klassen und Gruppen in der Schule gekonnt leiten. Ein Trainingstag 18. Juni 2016, Bad Boll SYM 1/2016


Was kommt?

Weise wie ein Elefant, wild wie ein Löwe, kraftvoll wie ein Nashorn... Ausgehend von den fünf Tieren der afrikanischen Savanne erforschen wir, wie wir ihre Fähigkeiten für die eigene Leitungsfunktion in Klassen und Gruppen nutzbar machen können. Wie finde ich einen kompetenten Auftritt? Wie kommuniziere ich Störungen und Grenzen? Wie kommuniziere ich im hierarchischen Umfeld? Ziel ist es, die eigene Leitungspersönlichkeit zu entwickeln und neue Potenziale freizulegen. Wir arbeiten mit Körper, Atem, Stimme, initiatischem Gebärdenspiel® und Cantienica®. Tagungsleitung: Claudia SchmenglerLehnardt, Barbara Meffert, Martina Schockenhoff Infos: Erika Beckert, s. S. 25 »Meine Räume weiten« Meditatives Tanzen für Frauen 15. bis 17. Juli 2016, Bad Boll Wir tanzen nach Melodien aus der internationalen Folkloretradition, nach zeitgenössischer und nach klassischer Musik. Arbeit mit der Stimme, Körperwahrnehmungsübungen, Stille und Gespräch sowie ein Feuer im Garten werden unser Tanzen begleiten. Tagungsleitung: Claudia SchmenglerLehnardt, Barbara Besser Infos: Erika Beckert, s. S. 25 Ehrenamt – quo vadis? Tagung mit den Gruppierungen der Landeskirche 15. Juli 2016, Bad Boll Ehrenamtlichkeit spielt eine zunehmend bedeutsamere Rolle in der Zivilgesellschaft, aber auch in der persönlichen Biografie. Zugleich sind die Erwartungen derjenigen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, deutlich gestiegen: Das Projekt soll präzise beschrieben sein, die Aufgabe soll begrenzt sein und gleichwohl ein Höchstmaß an Teilhabe ermöglichen. Der aktuell veröffentlichte Freiwilligen-Survey 2014 bietet hier hervorragende Einblicke. Wie kann die sich daraus ergebende Herausforderung in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen als Chance wahrgenommen werden? SYM 1/2016

Tagungsleitung: Jörg Hübner Infos: Karin Nitsch s. S. 25 Mandolino Brillante Konzerte für Mandoline und Klavier 7. August 2016,

Von dem Conservatorio aus Neapel kommen die hochdekorierten Künstler: Luca Natale (Mandoline) und Lucia Pascarella (Piano), Conservatorio di Musica Napoli. Sie begeistern Sie mit neapolitanischer Mandolinenmusik der Romantik von - Carlo Munier (1859-1911) - Enrico Marucelli (1873-1901) - Giuseppe Silvestri (1841-1921) - Raffaele Calace (1863-1934) Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Andrea Titzmann, s. S. 25 Einführung in den interreligiösen Dialog mit dem Islam 7.- 8. September 2016, Bad Boll In Deutschland löst das Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen Ängste aus, geschürt durch Krisen und Konflikte. Soll das Zusammenleben nicht scheitern, müssen Christen und Muslime sich um besseres Verstehen bemühen. Interreligiöser Dialog ist längst kein Luxus mehr, sondern unverzichtbar für ein friedliches Zusammenleben in ein und derselben Gesellschaft. Aber Dialogfähigkeit hat man nicht einfach, man erwirbt sie wie andere Kompetenzen auch. Das Seminar versteht sich als Einführung in die Grundfragen des Glaubens von Christen und Muslimen auf der Grundlage von Bibel und Koran. Mit Prof. Dr. Karl-Josef Kuschel Tagungsleitung: Schmengler-Lehnardt Infos: Erika Beckert, s. S. 25

Wirtschaft, Globalisierung, Nachhaltigkeit Ausstieg aus dem Beruf – Aufbruch wohin? 9. bis 12. März 2016, Bad Boll Altersteilzeit, Vorruhestand und Ruhestand sind verbunden mit dem Abschied aus vielen Rollen und Beziehungen. Den Abschied ernst zu nehmen und die Chancen der neuen Lebensphase in Beziehung, Freizeitaktivitäten und Engagement für andere zu erkennen, ist das Ziel des Seminars. Hinweis: Einige Firmen übernehmen innerhalb ihres Fortbildungsprogramms die Kosten. Tagungsleitung: Karl-Ulrich Gscheidle, Sigi Clarenbach Infos: Petra Randecker, s. S. 25 Betriebliches Gesundheitsmanagement als Chance? V. Mobbing-Kongress 11. bis 12. März 2016, Bad Boll Konflikte und Mobbing sind wachsende Probleme in der heutigen Arbeitswelt. Darunter leiden nicht nur die Mitarbeitenden, sie verursachen jährlich auch Kosten in Millionenhöhe für Betriebe, Krankenkassen und Gesellschaft. Ein

gut funktionierender betrieblicher Gesundheitsschutz kann präventiv und begleitend Abhilfe schaffen. Gefragt ist dabei die Kooperation von innerund außerbetrieblichen Akteuren. Die Tagung zeigt den betrieblichen Gesundheitsschutz in all seinen Facetten auf und fragt nach Möglichkeiten, Gesund-

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Was kommt?

heitsschutz im Betrieb aktiv zu pflegen. Tagungsleitung: Karin Uhlmann, Josef Krebs, Martin Zahner, Christian Gojowczyk, Infos: Petra Randecker, s. S. 25 Elektromobilitätstage 2016 Wie nachhaltig ist das Elektroauto? 3. bis 4. Juni 2016, Bad Boll Wird das Auto nachhaltig, wenn der Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor ausgetauscht wird? Das Elektroauto ist effizient, leise und – wenn der Strom aus erneuerbaren Energien stammt – fast emissionsfrei. Kritiker wenden jedoch ein, dass für die Herstellung von E-Autos auch Ressourcen und Energie gebraucht werden, dass nicht genügend Ökostrom zur Verfügung steht für einen elektrischen Individualverkehr und dass auch das Elektroauto Straßen und Parkplätze braucht. Welche Rolle kann das Elektroauto in einem zukunftsfähigen Mobilitätskonzept spielen? Die Tagung wird begleitet durch eine Elektromobilitäts-Roadshow mit E-Fahrzeugen. Tagungsleitung: Carmen Ketterl Infos: Nina Hrusa, s. S. 25 Bezahlbar wohnen! Erwerbslosentagung Baden-Württemberg 2016 4. bis 6. Juli 2016, Bad Boll Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum trifft besonders Menschen, die wenig Geld haben: von Erwerbslosigkeit und prekärer Beschäftigung Betroffene und Flüchtlinge. Ist die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus die Lösung? Wie kann eine Wohnungspolitik aussehen, die auch Menschen mit geringem Einkommen bessere Chancen auf gute und preisgünstige Wohnungen ermöglicht? Gibt es in Europa gute Beispiele? Tagungsleitung: Karl-Ulrich Gscheidle, Christa Cheval-Saur, Klaus Kittler, Thomas Maile, Jendrik Scholz, Franz Schürle, Klaus-Peter Spoh Infos: Petra Randecker, s. S. 25

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Nachhaltigkeitsziele der UN – Herausforderungen für die Wirtschaft 16. bis 17. Juli 2016, Bad Boll 17 nachhaltige Entwicklungsziele lösen 2016 die bisherigen UN-Entwicklungsziele ab. Sie verbinden ökonomische, soziale und ökologische Aspekte, u.a. wird es darin um Bildungs-, Umweltund Sozialstandards gehen. Wir fragen, welchen Beitrag die Wirtschaft zur Umsetzung leisten kann. Am Beispiel von Textilunternehmen und Landwirtschaft diskutieren wir die Bedingungen und Anforderungen an nachhaltige Investitionen zur Umsetzung dieser Ziele. Tagungsleitung: Prof. Dr. Jörg Hübner, Karin Uhlmann Infos: Karin Nitsch, s. S. 25

Akademie-Reisen Galizien – Bukowina – Waldkarpaten Politisch-geschichtlich-literarische Wanderstudienreise in der Westukraine 5. bis 19. Juni 2016, Westukraine Diese besondere Reise führt uns in die UNESCO-WelterbeStadt Lviv (Lemberg) und nach Tschernizwi (Czernowitz), die Heimat von Paul Celan und Rose Ausländer. Die Karpaten im Westen liegen weit weg von der Kriegszone im Osten der Ukraine. Wir wandern durch Bestände der letzten Urwälder Europas und treffen dabei auf eine in Teilen noch aus dem Mittelalter erhaltene bäuerliche Wirtschaftsweise. Gespräche und Vorträge über Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt, Literatur, Kirche und Soziales sowie viele Begegnungen mit Einheimischen lassen uns dieses schöne Land in der geographischen Mitte Europas besser verstehen. Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers, Wolfgang Mayer-Ernst, Dr. Andreas Hohl Infos: Romona Böld, s. S. 25

Der Leopard Sizilien und die Orte der Familie Tomasi di Lampedusa 17. bis 27. Mai 2016, Sizilien Eine Spezialreise nach Sizilien und auf die Liparischen Inseln, um den Roman »Der Leopard« und seine politische Aktualität unter dem Geist des Ortes authentisch zu verstehen. Die Reisenden werden auch Gäste des Adoptivsohns von Tomasi Lampedusa, Gioacchino Lanza Tomasi, Duca di Palma und seiner Frau in ihrem Palazzo in Palermo sein. »Der Leopard« – eines der meistgelesenen Werke der Weltliteratur, bekannt durch den Film mit Claudia Cardinale und Burt Lancaster, liefert aktuelle sizilienkritische Impulse. Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Andrea Titzmann, s. S. 25 Kreta entdecken mit allen Sinnen Wanderungen und Begegnungen mit Menschen, Kultur, Geschichte und Alltag 29. Mai bis 9. Juni 2016, Kreta Manche erinnern sich bei Kreta an das Matala der Hippiezeit und an die Literaturverfilmung des berühmten Autoren Kazantzakis »Alexis Sorbas«, andere denken an die Gräuel der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg. Und über allem liegt heute die schwere Wirtschaftskrise Griechenlands. Die Evangelische Akademie Bad Boll ist von Anfang an mit der Orthodoxen Akademie Kretas verbunden. Sie ist wunderschön am Meer gelegen und wird ein erster Bezugspunkt unserer Wander-/Studienreise auf Kreta sein. Faszinierende Schluchten, wilde Kräuter, Oliven und Wein, die Musik der Lyra, die Literatur, die Minoer, Römer und Türken und die deutsche Besatzung – es gibt unendlich viel zu entdecken. Tagungsleitung: Martina Waiblinger Infos: Reinhard Becker, s. S. 25

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Rezept

Sekretariate: Kontakte Gabriele Barnhill Tel. 07164 79-233, Fax 79-5233 gabriele.barnhill@ev-akademie-boll.de Erika Beckert Tel. 07164 79-211, Fax 79-5211 erika.beckert@ev-akademie-boll.de Romona Böld Tel. 07164 79-347, Fax 79-5347 romona.boeld@ev-akademie-boll.de Eliane Bueno Dörfer Tel. 0731 1538-571, Fax 1538-572 eliane.doerfer@ev-akademie-boll.de Marion Heller Tel. 07164 79-229, Fax 79-5229 marion.heller@ev-akademie-boll.de Susanne Heinzmann Tel. 07164 79-217, Fax 79-5217 susanne.heinzmann@ev-akademie-boll.de Nina Hrusa Tel. 07164 79-342, Fax 07164 79-5342 nina.hrusa@ev-akademie-boll.de Silke Klostermann Tel. (07164) 79-225, Fax 79-5225 silke.klostermann@ev-akademie-boll.de Conny Matscheko Tel. (07164) 79-232, Fax 79-5232 conny.matscheko@ev-akademie-boll.de Karin Nitsch Tel. 07164 79-206, Fax 07164 79-5206 karin.nitsch@ev-akademie-boll.de Petra Randecker Tel. 07121 161771, Fax: 07121 411455 petra.randecker@ev-akademie-boll.de Dorith Szillat-Poerschke Tel. 0711 229363-261, Fax 0711 229363-262 dorith.szillat-poerschke@ev-akademie-boll.de Andrea Titzmann Tel. (07164) 79-307, Fax 79-5307 andrea.titzmann@ev-akademie-boll.de Karin Walz Tel. (07164) 79-402, Fax 79-5402 karin.walz@ev-akademie-boll.de Heidi Weinmann Tel. 0711 351459-30, Fax 351459-55 heidi.weinmann@ev-akademie-boll.de Heidi Weiser Tel. 07164 79-204, Fax 79-5204 heidi.weiser@ev-akademie-boll.de

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Bärlauch-Omelett Für vier Personen 150 g Bärlauch 100 g geriebener Parmesan 6 Eier Salz 200 g Sahne Pfeffer, Muskatnuss 50 g Butter 20 g Parmesan zum Garnieren Bärlauch waschen, trockenschleudern und in Streifen schneiden. Backofen auf 140 Grad vorheizen. Eier trennen, Eiweiß mit 1 Messerspitze Salz steif schlagen. Sahne und Eigelb verquirlen, den Parmesan dazu rühren und mit Salz, Pfeffer und frisch geriebener Muskatnuss würzen. Dann Bärlauch und das steifgeschlagene Eiweiß dazu rühren. Butter in einer backofengeeigneten Pfanne erhitzen, die Omelettmasse darauf geben und bei schwacher Hitze ca. 6 Minuten garen. Die Pfanne in den Backofen stellen und 10 Minuten stocken lassen, bis die Eimasse durchgegart aber nicht trocken ist. Das fertige Omelett auf eine vorgewärmte Platte stürzen, mit Parmesan bestreuen und in Portionen schneiden. Mit buntem Salat und Brot servieren! Guten Appetit! Marianne Becker

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Aus der Akademie

Aus der Akademie Abschied von Martin Schwarz

Zum 30. November 2015 hat Martin Schwarz den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Evangelischen Landeskirche in Württemberg verlassen und ist als Referent für Organisationsentwicklung und Beteiligungsprozesse an die Führungsakademie des Landes Baden-Württemberg gewechselt. Von 2010 an war Schwarz im KDA in der Prälatur Ulm als Wirtschafts- und Sozialpfarrer und seit 2013 als Vorsitzender des KDA in Württemberg tätig. Dort war er der kirchliche Ansprechpartner in Fragen von Wirtschaft und Arbeitswelt. Gleichzeitig vermittelte er die Erfahrungen aus der Arbeitswelt in die Kirchengemeinden und -bezirke. Zu seiner Arbeit in den letzten fünf Jahren in der Akademie hat ihn Claudia Mocek befragt: Welche Schwerpunkte hast Du in den vergangenen fünf Jahren in Deiner Arbeit gesetzt? Die Schwerpunkte haben sich eher ergeben. Viele Menschen leiden unter immer unsichereren Beschäftigungsverhältnissen und zunehmender Arbeitsverdichtung. So war Burnout ein wichtiges Thema. In der Prälatur Ulm

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waren daneben die Auswirkungen des demografischen Wandels auf Leben und Wirtschaften im ländlichen Raum ein wichtiges Thema. Der KDA kann nach meiner Überzeugung nicht anders arbeiten, als die Themen aufzugreifen, die die Menschen in der Arbeitswelt bewegen. So verstehe ich auch das Wort »Dienst« in unserem Namen. Dabei braucht der KDA immer Partner, mit denen er zusammenarbeitet. Was war die größte Herausforderung? Das war ohne Frage die Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker, als in kurzer Zeit 35.000 Beschäftige auf der Straße standen. Es galt, rasch seelsorgerliche, beratende und finanzielle Hilfe für die Betroffenen zu organisieren und zugleich für politische Lösungen zu kämpfen. Die Arbeitsplätze retten konnten wir nicht, aber dennoch einiges erreichen, bis hin zu Änderungen im Insolvenzrecht. Das war nur möglich, weil wir auf langjährige, vertrauensvolle Kontakte zu katholischen, gewerkschaftlichen sowie politischen Partnern und Institutionen zurückgreifen konnten. Du hast Dich in dem Projekt »Ulmer Netzwerk gesellschaftliche Verantwortung im Mittelstand« für die Verbesserung von Umwelt- und Sozialstandards eingesetzt. Was hat Dich dazu motiviert? Das Projekt eröffnete die Chance, Unternehmen über drei Jahre zu begleiten und ganz konkret etwas zu verändern. Dabei haben wir die Beschäftigten auf allen Ebenen stark beteiligt. Es war beeindruckend, wie viel Engagement und Kreativität dabei freigesetzt wurde. Durch diese Praxiserfahrung und die Arbeit mit den Beteiligten aus Betrieben, Wissenschaft und Zivilgesellschaft habe ich viel gelernt. Welche Themen werden den KDA künftig beschäftigten, was sind die zentralen Themen an der Schnittstelle zwischen Kirche und Arbeitswelt? Existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse, Digitalisierung, nachhaltiges

Wirtschaften und demografischer Wandel bleiben zentrale Themen. Der KDA wird dabei die Zusammenhänge im ökumenischen Horizont ebenso im Blick behalten wie die konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen vor Ort. Besonders derjenigen, die dabei unter die Räder zu kommen drohen. Zugleich unterstützt der KDA auch Kirchengemeinden, sich als gesellschaftliche Akteurinnen mit ihren Erfahrungen und Möglichkeiten einzubringen. Welche Themen stehen bei Dir in der neuen Stelle nun im Mittelpunkt? Da hat sich gar nicht viel verändert! Es geht um die Weiterentwicklung von Organisationen und Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen, wie aktuell etwa die Integration der Geflüchteten. Dabei ist es ein Kennzeichen der Führungsakademie, dass wir beteiligungsorientiert arbeiten und Brücken schlagen zwischen den verschiedenen Beteiligten. Darauf hat mich die Akademie sehr gut vorbereitet.

Neues von der OAK – Kreta soll erneuerbar werden Über die wieder neu geknüpften Beziehungen zwischen der Orthodoxen Akademie auf Kreta (OAK) und der Evangelischen Akademie Bad Boll haben wir bereits mit einem Artikel in SYM 3/2015 hingewiesen. Es ging dabei auch um geplante Tagungen und Reisen. Eine Wander-/Studienreise beginnt Ende Mai (s. S. 24), ein Vortrag zur Besatzung Kretas von 1941 bis 1945 ist am 30. Juni mit Eberhard Rondholz, Berin, im Hospitalhof in Stuttgart geplant. Eine weit größere Tragweite hat allerdings ein ökologisches Projekt, das Kreta einmal erneuerbar machen soll. Jobst Kraus, ehemaliger Studienleiter in Bad Boll, hat das Projekt initiiert. Im Juni 2014 war Jobst Kraus in der OAK, um Gespräche zu führen und sich

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Aus der Akademie

ein Bild zu machen, welche Möglichkeiten es für erneuerbare Energien in der OAK und auf Kreta gibt. Hintergrund waren Überlegungen der Ökumenischen Energiegenossenschaft Baden-Württemberg eG, ihr Modell dezentraler erneuerbarer Energieerzeugung auf kirchlichen Dächern und Liegenschaften für Kreta vorzuschlagen und damit auch ein Stück praktischer Solidarität gegenüber Griechenland zu zeigen. Verantwortliche der OAK, der Leiter der Akademie Konstantinos Zorbas und seine Frau und Studienleiterin Katerina Karkala-Zorba, sind an diesen Fragen sehr interessiert. Auch legt es die wirtschaftliche Situation Griechenlands und Kretas nahe, sich mit Energiealternativen auseinanderzusetzen. Dazuhin gibt es lokale Bewegungen, die eine nachhaltige Lebensweise propagieren und leben. Sie werden unterstützt durch eine Initiative des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I., die dem Schutz der Umwelt gewidmet ist. In den Gesprächen, die Jobst Kraus führte, entstand die Idee, die OAK in kleinen Schritten so weit zu bringen, dass sie eine Leuchtturmfunktion übernehmen kann. Um schließlich eine Genossenschaft zu gründen, müssen die Schritte mit der lokalen Gesellschaft gegangen und viele Akteure eingebunden werden: die Kommunen, Bürgermeister, Wissenschaftler, die Kirche, Bürger/innen und Mitarbeitende der OAK. Ein kretischer Partner ist die Technische Universität in Chania. Ferner wird die OAK auch Tagungen für Stakeholder und Interessierte auf Kreta anbieten. Eine erste Tagung hat bereits im November 2015 stattgefunden – in Zusammenarbeit mit der TU Chania, der Heinrich Böll Stiftung und der Uni Kassel mit Prof. Henning Meschede, der bereits in ein ähnliches Projekt für die Insel Gomera eingebunden war. Auf der Tagung wurden grundsätzliche Fragen diskutiert und Beispiele von Inseln und Gemeinden, die zu 100 Prozent erneuerbar sind, vorgestellt. Momentan arbeitet die OAK daran, sich auf Nachhaltigkeitskurs zu bringen. Dazu ist eine detaillierte Bestands-

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Prozent erneuerbar wird. Große Pläne – aber ein Mut machender Anfang ist bereits gemacht. Spenden für das Projekt sind willkommen. Empfänger: Ökumenische Vereinigung, Stichwort: »Solar Crete«, IBAN: DE48 3506 0190 1013 4690 12

Martina Waiblinger

Buchtipp Klaus Schwab The Fourth Industrial Revolution World Economic Forum, 2016

Im Bild oben sieht man die erste 8-kW PV-Anlage, die seit Herbst läuft. Bild unten von li. n. re.: Akademie-Leiter Konstantinos Zorbas, Katerina Karkala-Zorba und Jobst Kraus.

aufnahme notwendig, die mit Ulrich Rochard / eboek Tübingen, Henning Meschede / Uni Kassel und der TU Chania erstellt werden soll. Um die Kosten zu reduzieren, werden vor allem Studierende daran arbeiten. Mit einer Spende aus der Simpfendörfer-Stiftung und einer Spende der Kirchengemeinde in Bad Boll wurde auf einem Nebendach der OAK bereits eine 8 kW PV-Anlage erstellt, die seit Herbst 2015 läuft. Nun gibt es Pläne, eine größere Dachfläche mit einer PV-Anlage zu bestücken. Momentan kommt der Strom auf Kreta von einem Kraftwerk in Heraklion, das mit Diesel betrieben wird, der auf Schiffen nach Kreta gebracht wird. Die Akademie wird parallel dazu eine Tagungsarbeit zur Ökologisierung Kretas entwickeln. Das Ziel dieser Ökologisierung ist, dass Kreta einmal aus eigener Kraft zu 100

Klaus Schwab ist wie kaum ein anderer in der Lage, Auskunft über den Zustand der Welt und sich abzeichnende Trends zu geben. Der Wirtschaftswissenschaftler gründete 1971 eine gemeinnützige Stiftung, aus der 1987 das Weltwirtschaftsforum hervorging, das durch seine Treffen in Davos der Öffentlichkeit bekannt ist. Soeben hat er mit »The Fourth Industrial Revolution« ein Buch veröffentlicht, in dem er die Brisanz der gegenwärtigen globalen Entwicklung, die sich unter dem Leitmotiv der Digitalisierung vollzieht, vor Augen führen will. Wer, gestützt auf die am Weltwirtschaftsforum häufig geübte Kritik, neoliberalen Fortschrittsoptimismus erwartet, wird eines Besseren belehrt. Schwab bezeichnet sich zwar als pragmatischen Optimisten, aber er klammert die bestehenden und sich abzeichnenden Probleme ebenso wenig aus wie die Verantwortung der Politik bei der Gestaltung der sich rasch vollziehenden Entwicklungen. Schwab hält sich nicht lange mit der Beschreibung der ersten drei industriellen Revolutionen auf (Stichworte: Dampfmaschine/Eisenbahn – Elektrizität/Fließband – Computer/Internet). Während andere Analysten die aktuelle Entwicklung als Weiterführung der dritten begreifen, sieht Schwab eine vierte industrielle Revolution im Aufstieg begriffen. Diese sei gekennzeichnet

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Buchtipps, Links, Onlinedokumente

durch die Verschmelzung der neuen Technologien und Entdeckungen ganz verschiedener Disziplinen. Fortgeschrittene Robotik, neue Materialien, der 3D-Drucker, Bio- und Gentechnologie, allesamt verbunden durch die digitalen Anwendungen, führen zu im Einzelnen noch nicht voraussagbaren Innovationen. Die Gensequenzierung ist nur durch die schnellere Datenverarbeitung möglich geworden. Der 3D-Druck wird inzwischen sogar zum Druck von Zellgewebe verwendet. Nanomaterialien wie etwa Graphene, die 200-mal stabiler als Stahl sind, eröffnen ressourcenschonende Anwendungen neuer Art. Schwab erwartet schnelle Fortschritte auch bei den erneuerbaren Energien und Speichertechniken. Er hofft, dass damit dem real drohenden Klimawandel begegnet werden kann. In einem Anhang finden sich prognostizierte Trends der digitalen Revolution, die das Weltwirtschaftsforum unter Führungskräften erhoben hat. Eine deutliche Mehrheit erwartet bis zum Jahr 2025 z.B.: implantierte »Handys«, Internetanschluss von 10 Prozent der Brillen, 10 Prozent führerlose PKW in den USA und eine transplantierbare Leber aus dem 3D-Drucker. Wie ist es aber zu erklären, dass es trotz dieser behaupteten Revolution bislang nicht zu einem deutlichen Wirtschaftswachstum kommt? Nach Schwab wird der begonnene Wandel teilweise verdeckt dadurch, dass der Qualitätsgewinn für den Verbraucher sich nicht in den Statistiken widerspiegelt. Es kann mehr Musik konsumiert werden, es kann mehr kommuniziert werden, ohne dass dafür mehr Geld ausgegeben werden muss. Künftig werden Unternehmen weniger Waren als Dienstleistungen anbieten. Man muss ein Buch, eine CD, ein Auto, eine Wohnung nicht mehr besitzen, um sie nutzen zu können. OnlinePlattformen vermitteln diese Dienste. Schwab sieht eines der größten Probleme in zunehmender Arbeitslosigkeit. 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA könnten von zunehmender Automatisierung betroffen sein. Mit den Fortschrit-

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ten der künstlichen Intelligenz werden selbst Rechtsanwälte und Ärzte von wichtigen Tätigkeiten »entlastet« werden. Es ist zu erwarten, dass die Nutznießer der vierten industriellen Revolution Erfinder, Investoren und Shareholder sein werden, während immer mehr Menschen prekären Arbeitsbedingungen unterliegen. Zunehmend werden Menschen in der »human cloud« ihre Dienste preisgünstig anbieten, sei es das Schreiben eines Computerprogramms oder eine Taxifahrt mit dem privaten PKW. Im günstigsten Falle wird die angestrebte Work-Life-Balance zu einer harmonischen Work-Life-Integration. Es droht aber auch Ausbeutung und ein Wettbewerb nach unten. Wir werden, so Schwab, die Risiken nicht meistern und die Früchte der vierten Revolution nicht ernten können, wenn wir nicht einen Sinn für ein geteiltes Ziel und das gemeinsame Gute entwickeln. Schwab schließt mit einem engagierten und überzeugenden Plädoyer für einen intensiven Diskurs darüber, in welcher Welt wir gemeinsam leben wollen: »Alle diese neuen Technologien sind zuerst und vor allem Werkzeuge, gemacht von Menschen für Menschen.« Günter Renz Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Indikatorenbericht 2014 Statistisches Bundesamt Seit 2002 gibt es in Deutschland eine Nachhaltigkeitsstrategie. Eingeführt wurde sie von der damaligen rot-grünen Bundesregierung. Geprüft wird die nachhaltige Entwicklung in Deutschland anhand von 21 Indikatoren, die die ganze Bandbreite der Nachhaltigkeit abdecken sollen. Der Bericht zeigt auf den ersten Blick, wo Ziele erreicht werden und wo Stagnation herrscht oder es rückläufig ist. Unter den Überbegriffen Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und internationale Verantwortung wird gemessen, ob wir uns in Richtung Nachhaltigkeit bewegen – oder (noch) nicht.

Problematisch sieht es bei Artenvielfalt, Zukunftsinvestitionen, umweltfreundlicher Mobilität, sparsamem Umgang mit Ressourcen, der Landwirtschaft und der Gleichstellung der Geschlechter aus. Download: http://bit.ly/1o3KXOH

Publikationen Flyer mit allen Akademiereisen und Ferienangeboten für das Jahr 2016 Auf die Akademiereisen verweisen wir ja bereits in der Vorschau S. 24. In unserem Flyer finden Sie aber auch interessante Angebote für die Ferienzeit. Die Ferienwoche kreativ findet dieses Jahr vom 31. Juli bis 6. August statt und steht unter dem Motto: »In Bewegung sein!« Unter den 12 verschiedenen Workshops findet jede und jeder etwas, was die eigene Kreativität herauslockt. An den Nachmittagen gibt es Wanderungen, Geländespiele, Geocaching oder Exkursionen, Bastel- und Schnupperangebote, abends Kulturprogramme. Ein Angebot für Jung und Alt, mit und ohne Behinderung. Ein Angebot der philosophischen Sommerakademie hat vom 24,-27. August das Buch »Beschleunigung« von Hartmut Rosa zum Thema, ein anderes Angebot widmet sich vom 8.-11. September »Hannah Arendt. Das Leben als Gestaltungsauftrag«. Um den höchst umstrittenen Roman von Klaus Mann »Mephisto. Roman einer Künstlerkarriere« geht es vom 1.-4. September und um Richard Wagners »Meistersinger von Nürnberg« vom 5. bis 7. September. Prof. Karl-Josef Kuschel gibt am 7./8. September eine Einführung in den interreligiösen Dialog mit dem Islam und vom 8.-11. September gibt es das jährliche Plato-Lektüreseminar – dies Jahr mit dem Werk Nomoi. Bestellungen: reinhard.becker@ ev-akademie-boll.de; Download: bit.ly/1Kp9MXa

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erscheint vier Mal im Jahr (zu bestellen über unsere Website oder über Reinhard Becker, Sekretär für Presse und Öffentlichkeitsarbeit, s.u.)

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Wolfgang Streeck: Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus Suhrkamp 2015 Wolfgang Streeck legt in seinen vieldiskutierten Frankfurter Adorno-Vorlesungen die Wurzeln der gegenwärtigen Finanz-, Fiskal- und Wirtschaftskrise frei, indem er sie als Moment der langen neoliberalen Transformation des Nachkriegskapitalismus beschreibt. Er analysiert die Spannung zwischen Demokratie und Kapitalismus und beleuchtet den Umbau des europäischen Staatensystems. In einem ausführlichen Vorwort zu dieser Taschenbuchausgabe setzt er sich unter anderem mit seinen Kritikern auseinander und zieht eine erste Bilanz (aus dem Klappentext). S.a. S. 12-13. Wir verlosen drei Bücher. Machen Sie mit und schreiben Sie uns eine E-Mail. Wir sammeln bis 17. März. Dann entscheidet das Los und Sie werden benachrichtigt. Mails, Postkarten oder Briefe an: Redaktion SYM Akademieweg 11, 73087 Bad Boll martina.waiblinger@ev-akademie-boll.de

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Sie möchten die Akademiearbeit unterstützen? Dann können Sie Mitglied im Förderkreis werden oder etwas spenden. Mit Ihrem Beitrag helfen Sie der Evangelischen Akademie Bad Boll, Tagungsstipendien zu vergeben. Ihre Spende ist i. S. d. § 10 b Einkommensteuergesetz als Zuwendung zur Förderung kirchlicher Zwecke steuerlich abzugsfähig. Evangelische Akademie Bad Boll, IBAN: DE68 6105 0000 0000 0679 33 BIC: GOPSDE6GXXX, Kreissparkasse Göppingen Impressum SYM – Magazin der Evangelischen Akademie Bad Boll 13. Jahrgang, Heft 1/2016 ISSN: 1613-3714 Herausgeber: Evangelische Akademie Bad Boll (Dr. Jörg Hübner) Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Martina Waiblinger Redaktion:  Martina Waiblinger Fotonachweis: Archiv Evangelische Akademie: S. 6; Bildagentur-online/Tetra-Images: S. 16/17; Bundesarchiv/Emil Borchert: S. 20; Bundesinstitut für Risikobewertung: S. 21; Giacinto Carlucci: S. 5, 19; dpa/Daniel Karmann: S. 11; dpa/Frank Rumpenhorst: S. 12; dpa/Roland Weihrauch: S. 16; dpa-Zentralbild/Michael Reichel: S. 16/17; Irmgard Ehlers: S. 4; Fotolia / Elisabeth Coelfen: S. 25; Fotolia/Ehrenberg: S. 22; Fotolia/Alexander Wurditsch: S. 14; privat: S. 10, 13, 15, 17;

Jobst Kraus: S. 27; MPlfG/Christoph Seilbach: S. 13; REUTERS/Rodi Said: S. 18; Shutterstock/ Eric Gevaert: S. 9; Shutterstock/Jurgen Ziewe: S. 8; Shutterstock / Pavel L Photo: S. 23; Martina Waiblinger: S. 11, 26; World Economic Forum from Cologny: S. 11 SYM erscheint vierteljährlich. Anschrift des Herausgebers: Evangelische Akademie Bad Boll Akademieweg 11, 73087 Bad Boll Tel. (07164) 79-0 E-Mail: info@ev-akademie-boll.de Redaktion: martina.waiblinger@ ev-akademie-boll.de Tel. (07164) 79-302 www.ev-akademie-boll.de Das Papier wurde chlorfrei und säurefrei gebleicht. Druckerei: Mediendesign Späth GmbH, 73102 Birenbach Konzeption & Layout: Werbeatelier Waiblinger, 72070 Tübingen

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Kommentar

Herausforderung Klimagerechtigkeit Von Klaus-Peter Koch

Der Klimawandel ist in vollem Gang. Die Häufigkeit und die Schwere von Dürren, Überflutungen und Wirbelstürmen haben in den letzten Jahren eindeutig zugenommen. Sie verursachen vier Fünftel der weltweiten Katastrophen. Fast alle Opfer sind in Entwicklungsländern zu finden. Diese Länder können die Folgen von Naturkatastrophen nicht auffangen oder Schutzmaßnahmen finanzieren. So fragen uns die Betroffenen, was wir im industrialisierten Norden als Hauptverursacher der Klimaveränderungen tun, um die Klimagase zu reduzieren. Es geht um die Haftung von Schäden, die von uns mitverursacht werden. Es geht um unsere Verpflichtung zu Schadensbegrenzung und Kompensation. Es geht um Klimagerechtigkeit. Als Kirche sind wir herausgefordert, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Deshalb hat sich die württembergische Landeskirche zu Emissionsminderungen verpflichtet, ein Klimaschutzkonzept erstellt und sich mit einer hochrangigen Delegation im Dezember 2015 gemeinsam mit Kirchen in Baden-Württemberg und im Elsass auf einen Pilgerzug zur Welt-Klimakonferenz in Paris begeben.

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Die UN-Konferenz in Paris wurde von Experten als letzte Chance angesehen, eine wirksame Vereinbarung zur Begrenzung der Klimaveränderungen zu erzielen. Entgegen aller Befürchtungen konnte ein Abkommen geschlossen werden, das nun von einer ausreichenden Anzahl Vertragsstaaten ratifiziert werden muss und ab 2020 greift. Der Vertrag wird als epochaler Erfolg gefeiert. Und doch bleiben für die Folgekonferenzen offene Fragen. Als Zielwert soll die Erderwärmung auf unter 2° begrenzt und Anstrengungen für eine maximale Temperaturerhöhung um 1,5° unternommen werden. Aber: 1° Erwärmung ist schon erreicht. Die angestrebte Begrenzung auf 1,5° heißt, dass momentan nur 0,5° zusätzlich möglich sind. Die im Vorfeld der Pariser Konferenz genannten freiwilligen Verpflichtungen begrenzen den Temperaturanstieg nur auf 2,7° bis 3°. Die CO2-Emissionen sollen so schnell wie möglich nicht weiter ansteigen. Aber: Entwicklungsländer bekommen mehr Zeit für eine »nachholende Entwicklung«. Vereinbart ist nicht das Ende der Treibhausgasemissionen, denn der Vertrag erlaubt CO2-Ausstoß bei gleichzeitiger Neutralisierung. Dies stärkt den unrealistischen Glauben an eine grenzenlose technische Machbarkeit. Die Staaten sollen Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel ergreifen. Aber: es ist ungeklärt, wie dieser enorme Aufwand finanziert werden kann. Die Frage der klimabedingten Schäden und Verluste ist im Vertrag benannt. Aber: die Industriestaaten, allen voran die USA, konnten durchsetzen, dass daraus keine rechtlichen Ansprüche abgeleitet werden. Jährlich sollen 100 Mrd. Dollar für einen Klimafonds bereitgestellt werden. Aber: dies wurde bereits vor sechs Jahren vereinbart und nun in den unverbindlichen Teil des Beschlusses verschoben. Die UN überwinden erstmals die strikte Trennung zwischen entwickelten Staaten und Entwicklungsländern. Alle Staaten sollen in Abhängigkeit ihrer Möglichkeiten einen Beitrag leisten. Aber: die Ermunterung der Schwellenländer zu engagiertem Handeln ist eher dezent. Die Vertragsstaaten sollen sich alle fünf Jahre neue Ziele für die Begrenzung ihrer

Treibhausgasemissionen geben. Das Prinzip der ständigen Verbesserung wurde verankert. Aber: es gibt keine einheitlichen Standards für die Berichterstattung, Maßnahmen zur Zielerreichung sind freiwillige Absichtserklärungen und strenge Kontrollpflichten werden nicht auferlegt. Eine erfolgreiche Umsetzung der Pariser Beschlüsse erfordert umfassende Veränderungen in der weltweiten Zusammenarbeit, in Wirtschafts- und Sozialsystemen, in Gesellschaften und für jeden Einzelnen. Politiker fordern Kirchen auf, sich stärker als bisher einzubringen und die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen nicht zu unterschätzen. Der Umweltbeirat der EKD hat schon vor Jahren Kirche bezeichnet als »eine wichtige gesellschaftliche Organisation, die unterschiedliche gesellschaftliche Interessen übergreift und als Anwalt derer Gehör findet, die – wie die nachfolgenden Generationen – keine politisch oder gesellschaftlich wirksame Stimme haben«. Während der Delegationsreise der Kirchen zur Klimakonferenz wurde deutlich: Kirchen kommt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des notwendigen Wandels zu. Sie sehen die globalen Zusammenhänge, sie können den auf wirtschaftlichen Erfolg verengten Blickwinkel um die Motive Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung weiten. Deutlich wurde aber auch, dass wir in unseren Kirchen selbst einen noch größeren Beitrag zur Klimagerechtigkeit leisten können und müssen. Der Pariser Klimavertrag ist eine große diplomatische Leistung. Er ist eine Anfrage auch an die Kirchen. Es ist an uns, die Herausforderung Klimagerechtigkeit anzunehmen, den auf das Morgen gerichteten Blickwinkel der Kirche mit der Erkenntnis der Umkehr zu verbinden und in engagiertes, konsequentes Handeln umzusetzen. Klaus-Peter Koch ist Umweltbeauftragter der Württembergischen Landeskirche. Er war Mitglied der Delegation.

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Meditation

Dauer im Wechsel Hielte diesen frühen Segen, Ach, nur Eine Stunde fest! Aber vollen Blütenregen Schüttelt schon der laue West. Soll ich mich des Grünen freuen, Dem ich Schatten erst verdankt? Bald wird Sturm auch das zerstreuen, Wenn es falb im Herbst geschwankt.

Willst du nach den Früchten greifen, Eilig nimm dein Teil davon! Diese fangen an zu reifen, Und die andern keimen schon; Gleich mit jedem Regengusse Ändert sich dein holdes Tal, Ach, und in demselben Flusse Schwimmst du nicht zum zweitenmal.

Von Susanne Meyder-Nolte Veränderung gehört zum Leben, Wandel ist natürlich, alles fließt, scheint das Gedicht von Goethe auszudrücken. Doch es lässt sich auch anders lesen: Unstrittig gültige Regeln im Management von Organisationen scheinen in bildhafter Sprache ausgedrückt zu sein. Früchte sind vergänglich, man darf sich nicht darauf ausruhen, ohne stetigen Wandel schwindet der Erfolg. Die erfolgreiche Organisation der Gegenwart und Zukunft braucht permanenten »Change«. Klaus Doppler, der Guru des »Change Management«, beschreibt als Quelle des Wandels einen von Managern entworfenen, gesteuerten Plan. In seinem Standardwerk führt er Checklisten für die Aufgaben des »Change Agent« auf – der Wandel erscheint planbar und machbar. Täglich werden solche »Change«-Prozesse aufgesetzt, Ziele und Meilensteine und »Change Agents« benannt, Entwicklungspfade überwacht. Der »Change« ist Alltagsgeschäft. Die »Change-Fitness-Studie 2014« der Bundeswehr-Universität München sagt, dass 96 Prozent der befragten Unternehmen von Veränderungsprozessen betroffen waren, aber lediglich 19 Prozent ihren »Change« als erfolgreich bewerten. Dabei ist klar: Ob Sparprogramm, Strategiewechsel oder Neustrukturierung – jeder Wandel wirbelt Unternehmen durcheinander, verunsichert Mitarbeitende und ruft Widerstände hervor. Inzwischen zeigen weitere Studien: Nicht Fachwissen oder Controllermentalität sind Erfolgsfaktoren, viel eher führen die »soft skills«, die weichen Führungstugenden, zum Erfolg. Bei Umstrukturierungen fürchtet jede/r Zweite um den Arbeitsplatz, befürchtet Statusverlust, ist in Sorge: Werde ich den neuen Anforderungen gewachsen sein? Werde ich überhaupt dabei sein? Werde ich eine andere Stelle finden? Solche Ängste spüren auch Führungskräfte, deren Erfolg an der Veränderung gemessen wird. Fast alle haben das Gefühl, dass der »Change« atemloser und unberechenbarer geworden ist. Manch eine Führungskraft würde gerne Reißaus nehmen angesichts des Auftrags, eine Umstrukturierung mit Personaleinsparung durchzuführen. SYM 1/2016

In einem tibetischen Märchen haben ein Goldfasan, ein Hase, ein Affe und ein Elefant Freundschaft geschlossen. Sie hörten von einem wundersamen Pfirsichbaum, der zu allen Jahreszeiten Früchte trug. Der Goldfasan besorgte einen Schössling. Der Hase pflanzte ihn ein. Der Affe düngte, der Elefant goss das Bäumchen. Der Baum wuchs heran und trug Früchte. Bald hingen die Früchte höher und höher so dass eines Tages selbst der Elefant keine Pfirsiche mehr erreichte. Die Freunde begannen zu streiten. Ein Weiser riet ihnen: »Denkt gründlich darüber nach, wie die Früchte zustande gekommen sind. Dann wird das Misstrauen zwischen euch verschwinden und die Brüderlichkeit wieder ihren Platz einnehmen!«. Von nun wollten sie gemeinsam ihr Mahl einnehmen, der Elefant stellte sich unter den Baum, der Affe stieg auf seinen Rücken, der Hase auf den Rücken des Affen und der Goldfasan flog obenauf. Er würde die Pfirsiche pflücken und sie nach unten weiterreichen. So konnten die vier Freunde die Früchte in Eintracht ernten und verzehren. Diese Entscheidung treffen alle, die Verantwortung in Führung tragen, ob bewusst oder unbewusst: Wohin trägt das Wachstum die Früchte, und wieviel und welchen »Change« vertragen Gesundheit und Wohlergehen, Eintracht und Brüder-/Schwesterlichkeit? Susanne Meyder-Nolte ist Studienleiterin bei der Akademie für Führung und Verantwortung in der Evangelischen Akademie Bad Boll.

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Abs. Evangelische Akademie Bad Boll, Akademieweg 11, 73087 Bad Boll – Postvertriebsstück 64670 – Entgelt bezahlt

Lernen für das Leben in einer fremden Kultur Seit vielen Jahren arbeitet die Akademie mit den Universitäten Hohenheim und Stuttgart bei Tagungen für Studierende englischsprachiger Masterstudiengänge zusammen. Vor allem für die ausländischen Studierenden sind diese Angebote eine Chance sich mit den Vor- und auch Nachteilen des Wechsels in eine andere Kultur auseinander zu setzen, sich untereinander kennen zu lernen, Fragen zum Leben in Deutschland stellen zu können und in Simulationsspielen das Arbeiten in internationalen Teams zu erproben. Die Fotos stammen aus einer Tagung mit Hohenheimer Studierenden. Sie kamen aus 31 Ländern und aus unterschiedlichen Studiengängen für Landwirtschaft. Viele von ihnen hatten das Herkunftsland vorher nie verlassen, die wenigsten kannten Deutschland. Am Ende der Tagung war die Überzeugung, dass sie der Herausforderung in einer fremden Kultur zu leben, gewachsen sind. Text: Marielisa v. Thadden, Fotos: Davlatali Davlyator


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