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ISSN 1613-3714

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Einzelpreis € 3.-

Schwerpunktthema Zwischen den Zeiten – zwischen den Welten Die Stunden links und rechts der Uhr – interkulturelle Zeiterfahrungen Der Poetenweg von Eislingen Wandlungen: ein Film über Richard Wilhelm Johann Gottfried Seume Tagungsvorschau Tagungsreihe »Inklusion und Schule« Wie wirksam sind Mikrokredite in der Armutsbekämpfung? Syrienkrise und Flüchtlingspolitik Rückblende, Onlinedokumente Publikationen Service

Zwischen den Zeiten – zwischen den Welten

Dezember

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inhalt

aktuell ...

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Abschied von Akademie-Direktor Joachim L.. Beck Tagungszentrum wird Mitglied im VCH Initiative »Welt:bürger gefragt!« erfolgreich beendet Pfarrseminar und FGD ziehen zurück nach Birkach

Rückblende

Onlinedokumente

Was kommt ... 3 Vorschau auf Tagungen in der

Rückblick auf vergangene Tagungen

Ausstellung

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Zeit vom 10. Dezember 2012 bis 31. März 2013

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STANDpunktSUCHE – Stegplattenarbeiten und Ink-JetPrints von Norbert Huwer

Norbert Huwer: WYGIMTYS 04", 100 x 100 cm, 2010

Schwerpunkt: Zwischen den Zeiten zwischen den Welten

Impressum

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Die Stunden links und rechts der Uhr - Interkulturelle Zeiterfahrungen Gehend geht alles besser. Johann Gottfried Seume wurde vor 250 Jahren geboren. Begegnung mit dem Großvater. Bettina Wilhelm und ihr Film »Wandlungen« Wer hat Eislingen wachgeküsst? Wie Tina Stroheker die Worte in die Stadt brachte. Gegen alles, was wir gelernt haben. Israelische Realitäten zwischen den Welten Die Flamme in ihren Augen. Eine Veranstaltung anlässlich der Rede Charles de Gaulles an die deutsche Jugend 1962 XertifiX – Einsatz gegen Kinderarbeit in Indien

Titelbild Lesung der Schriftseller José F.A. Oliver (li.) und Walle Sayer im Tempele während der Tagung »Einzigartig vielfältig« am 8. September Foto von Susanne Wolf SYM 4/2012


editorial

Liebe Leserin, lieber Leser, seit dem 1. Oktober habe ich kommissarisch die Direktionsaufgaben in der Evangelischen Akademie Bad Boll von Joachim L. Beck übernommen. Er hat die Akademie in den vergangenen Jahren maßgeblich geprägt. Vielleicht ist, wenn Sie dieses Heft lesen, über die Nachfolge schon entschieden. In der Übergangszeit werden wir als Team die Arbeit der Akademie in bewährter Weise weiterführen und auch weiter entwickeln. Diese Ausgabe unseres Magazins »SYM« trägt den Titel »Zwischen den Welten – Zwischen den Zeiten« – ungewollt passend auch zur Zeit zwischen zwei Direktoren. Wir widmen uns in diesem Heft den Übergängen: zwischen heute und gestern, zwischen verschiedenen Kulturen, zwischen Realität und Fiktion. So lernen wir zum Beispiel Johann Gottfried Seume (neu) kennen, einen Literaten und Abenteurer, der vielen als erster Reporter Deutschlands galt, weil er auf seinen Wanderungen durch Europa soziale Missstände beschrieb und anprangerte. Er war offenbar kein bequemer Zeitgenosse. Den einen war er zu laut, zu sehr aus auf Öffentlichkeit, den anderen zu wenig revolutionär. Er selbst jedoch ließ sich von solchen Anfechtungen wenig beeindrucken und tat, wonach ihm der Sinn stand: Er zog durch das Europa des beginnenden 19. Jahrhunderts und scheute sich nicht, die Herrschenden für ihre Dünkel zu kritisieren oder Elend beim Namen zu nennen, wo es ihm begegnete. Insofern kann Seume, der sich durch eigenes Erleben und nicht nur durch vermittelte Botschaften ein Bild machen wollte, uns noch heute ein Vorbild sein. Wir sind dem in einer Tagung nachgegangen. Nicht immer glauben, was als sicher gilt, nicht nur lesen, hören, sehen, was uns andere vermitteln. Sondern selbst nachdenken, nachfragen, sich auf den Weg machen, um hinter die Dinge zu schauen: Dies miteinander zu tun, dazu laden wir Sie auch auf vielen unserer Tagungen ein. Am spannendsten, das weiß ich als Studienleiter aus eigener Erfahrung, wird es, wenn Sie als Gäste uns Akademielern neue Perspektiven öffnen, uns zeigen, wo wir ausgetretene Pfade verlassen können und sollten. Das ist Dialog und Diskurs, wie wir ihn uns wünschen und für unsere Arbeit brauchen. Ich wünsche Ihnen beim Lesen spannende Augenblicke, neue Perspektiven und viel Freude! Ihr Dr. Günter Renz

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aktuell Abschied von Akademie-Direktor Joachim L. Beck Mit einer Feierstunde in der Evangelischen Akademie Bad Boll hat die evangelische Landeskirche am Sonntag, 30. September den Akademie-Direktor Joachim L. Beck aus seinem Amt verabschiedet. Vor rund 250 Gästen im Akademie-Restaurant würdigte Landesbischof Frank Otfried July seine Arbeit auch in schwierigen Zeiten und lobte ihn als klugen und umsichtigen Brückenbauer zwischen Menschen und Meinungen. Seit dem 1. Oktober 2012 hat Studienleiter Dr. Günter Renz die kommissarische Leitung der Akademie übernommen. Das Auswahlverfahren für einen neuen Akademiedirektor läuft.

Beim internen Abschied am 25. September wurde Joachim L. Beck von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Akademie und des Tagungszentrums verabschiedet. Links Dr. Günter Renz, der kommissarische Direktor und rechts Joachim L. Beck.

»Akademien helfen Landeskirchen, sich zu unterbrechen. Das gefällt den Landeskirchen nicht immer, ist aber notwendig« sagte der Landesbischof in seiner Festrede. »Das Evangelium ruft in die Öffentlichkeit«, so July. Die Akademiearbeit sei in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs wichtig, um Themen wie Bildung, Nachhaltigkeit, Bioethik und den Dialog zwischen den Religionen im Lichte des Evangeliums zu beleuchten und zu diskutieren. »Diese Akademie ist und bleibt unverzichtbar, sie steht für Transparenz und Durchsicht der Kirche.« Joachim L. Beck hat die Evangelische Akademie nach 18 Jahren verlassen. Er begann als Studienleiter für Medizinethik und war seit 2004 Geschäftsführender Direktor. Beck übernimmt die Leitung der Fortbildung für Gemeinde und Diakonie in Stuttgart-Birkach, wo er die Aus- und Fortbildung für Frauen und Männer im Diakonat, Pfarramtssekretärinnen, Mesner und Kirchenpfleger organisiert.

Tagungszentrum wird Mitglied im VCH Das Tagungszentrum der Evangelischen Akademie Bad Boll tritt zum 1. Januar 2013 dem Verband Christlicher Hoteliers (VCH) bei. Im VCH haben sich rund 60 Häuser zusammengeschlossen, darunter Stadt-, Ferien-, Kur- und Tagungshotels in Deutschland und im benachbarten Ausland. 1904 gegründet steht der VCH seit über 100 Jahren

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für christliche Gastlichkeit. »Wir treten einer starken Gemeinschaft bei, die das Tagungszentrum der Evangelischen Akademie Bad Boll deutschlandweit als gastfreundlichen, modernen Tagungsort bekannt machen wird«, begründet der Geschäftsführer der Akademie Achim Ganßloser den Schritt. Das Tagungszentrum der Evangelischen Akademie bietet neben den rund 170 Akademietagungen pro Jahr auch rund 450 externen Veranstaltungen Raum und Ambiente. Den Gästen stehen 100 Zimmer und 17 Tagungsräume unterschiedlicher Größe zur Verfügung.

Initiative »Welt:Bürger gefragt!« erfolgreich beendet Mit einer Abschluss-Veranstaltung im Stuttgarter Landtag endete am 18. September 2012 die Initiative »Welt:Bürger gefragt!« der Landesregierung. 1.500 Bürgerinnen und Bürger hatten sich seit dem Start im Frühjahr an dem Dialogprozess, den die Evangelische Akademie Bad Boll organisierte und moderierte, zur Entwicklungspolitik beteiligt. »Die Abschlusskonferenz ist der Höhepunkt eines intensiven entwicklungspolitischen Dialogprozesses. Wir hatten Anfang des Jahres alle Bürgerinnen und Bürger, die sich in der Entwicklungspolitik engagieren, dazu aufgerufen, ihren Sachverstand, ihre Erfahrungen und Vorstellungen einzubringen. Aus diesen vielen Anregungen hat nun ein Expertengremium einen Vorschlag für die neuen entwicklungspolitischen Leitlinien des Landes formuliert. Als Initiator dieses entwicklungspolitischen Bürgerdialogs bedanke ich mich bei allen, die sich daran konstruktiv beteiligt haben«, so Europaminister Peter Friedrich in Stuttgart. In zwölf Bürgerkonferenzen und Themengesprächen im ganzen Land diskutierten seit April 2012 mehr als 1.500 Bürger ihre Ideen und Vorschläge für die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Minister und Vertretern der Landesregierung. 120 Verbände und Organisationen reichten Stellungnahmen ein. Zu jeder Veranstaltung gehörten Workshops, in denen Positionen und Anregungen gesammelt wurden. Ein Fachbeirat mit entwicklungspolitischen Experten wertete die Ergebnisse aus und erarbeitete daraus einen Vorschlag für neue entwicklungspolitische Leitlinien des Landes. Dieser geht nun in die parlamentarischen Beratungen in den Fraktionen des Landtags ein.

Pfarrseminar und FGD ziehen zurück nach Birkach 14 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Pfarrseminars ziehen im Januar 2013 aus der Evangelischen Akademie Bad Boll ins Haus Birkach. Seit Dezember 2011 hatte das Pfarrseminar Büros in der Akademie, während das Haus Birkach saniert wurde. Auch die Fortbildung für Gemeinde und Diakonie (FGD) wechselt im März 2013 mit ihren sechs Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wieder zurück ins angestammte Birkacher Domizil.

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rückblende Pilgerweg der Liebe 57. Jahreskonferenz von Oikosnet Europe 10.-16. September 2012 in Trondheim

Norwegen bemüht sich der Staat systematisch darum, Frauen eine anspruchsvolle Berufstätigkeit zu ermöglichen. Wolfgang Wagner

»Die Straßen sind mit Liebe erfüllt«, sagte der norwegische Prinz Haakon nach dem fürchterlichen Attentat des Anders Breivik. Als die Studienleiter europäischer Akademien die Jahreskonferenz ihrer Ökumenischen Vereinigung »Oikosnet Europe« 2012 nach Trondheim in Norwegen legten, konnten sie die Tragödie nicht ahnen. Nun war gerade der Prozess gegen den Mörder beendet worden und viele staunten, wie zivilisiert rechtsstaatlich dieser geführt wurde – mit Handschlag der Richterin für den Angeklagten. Norwegens Antwort auf den Terror war anders als in Amerika nicht Krieg, sondern ein Mehr an Menschlichkeit und Toleranz. Dennoch bleiben Fragen wie die nach dem medialen Umgang mit dem Bösen (»Mediatization of Evil«), die in einem Seminar diskutiert wurden. Der Journalist Öyvind Strömmen sprach von einem »dunklen Netzwerk«, das hinter der Wohlfahrtsgesellschaft verborgen sei. Er warf seiner Zunft vor, dass sie Betroffenheit artikuliert, aber nichts zur Aufklärung der rechtsradikalen Verbindungen in gewissen Nischen recherchiert habe. Professor Knut Lundby von der Universität Oslo, Abteilung »Medien und Kommunikation« fragte, welche Rolle die Religion im Umgang mit dem Bösen spielen könne. Die Journalistin Siri WahlOlsen meinte, dass dieser Begriff für sie in den religiösen Sprachschatz gehöre. Vielleicht sei aber die norwegische Nachkriegsgesellschaft zu optimistisch gewesen und zu meinen, alle Übel durch Erziehung und Wohlfahrt überwinden zu können. Das war das Stichwort für die Bischöfin Helga Byfuglien, die erzählte, wie die Kirche mit der kollektiven Trauer umgegangen sei. Sie habe Räume und Liturgie zur Verfügung gestellt, ohne die Situation missionarisch auszubeuten. Ihr bescheidenes, kluges Auftreten vermittelte die Kultur der norwegischen Bürgergesellschaft und den Wert der Frauenordination – insbesondere für

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Kathedrale von Trondheim

die orthodoxen und katholischen Studienleiter. Mit dem Bösen in der Geschichte wurden die ökumenischen Gäste auch durch einen Ausflug nach Falstadsenteret, einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager der SS, konfrontiert. Neben den Kriegsgräueln der deutschen Besatzungszeit erschreckte der spezielle Sadismus einzelner Offiziere, die später nur teilweise vor ein Gericht gestellt werden konnten. Die Gastgeber hatten ein hervorragendes Kulturprogramm vorbereitet, das in der wunderbaren Kathedrale von Trondheim, einem berühmten Pilgerzentrum geboten wurde. Die Kathedrale ist selbst ein steingewordenes Dokument der Überwindung von Gewalt – waren doch vor der Christianisierung Norwegens die Wikinger europaweit als brutale Räuber gefürchtet. Im Abschlussgottesdienst in der »Var Frue Kirche« predigte Studienleiter Wolfgang Wagner über Genesis 4.7, über die Warnung Gottes an den Brudermörder Kain, dem Bösen zu widerstehen. Diese 800-jährige Kirche ist eine Art ständige Vesperkirche, in der sich Menschen mit Sorgen und Problemen treffen und Hilfe erfahren können. Der Jahresversammlung ging eine Vorkonferenz des Frauennetzwerks »Wenn Frauen übernehmen…« voraus. Nach einem Einführungsvortrag über die norwegische Frauenbewegung besuchten die Studienleiterinnen die technologische Universität NTNU, um sich bei Svadis Benediktsdottir über die Anstrengungen zu informieren, Frauen in Führungspositionen zu bringen. Ein weiterer Schwerpunkt war die Diskussion mit Migrantinnen zum Thema Integrationsmöglichkeiten. In

Glaubwürdigkeit ist ein zentrales Gut des Journalismus Medientage 19.-20. Oktober in der Evangelischen Akademie Bad Boll Sinkende Abo-Zahlen bei Tageszeitungen, die Abkehr jüngerer Menschen von den klassischen Medien und eine Explosion von Informationsangeboten im Netz: Das sind nur einige der Entwicklungen, denen sich Medienschaffende seit einigen Jahren gegenüber sehen. Vor allem die Printmedien haben noch keinen Weg gefunden, den Schwund von Abonnenten und Anzeigenkunden mit Angeboten im Web zu kompensieren. Die aktuelle Technik erlaubt es auch Laien, Texte, Bilder, Tondokumente und Videos zu veröffentlichen – ohne, dass ihr Publikum weiß, ob sich die Laienreporter an journalistische Standards halten. Uwe Vorkötter, Berater des Vorstands der Mediengruppe M. DuMont Schauberg, forderte von seinen JournalistenKollegen vor allem mehr Selbstkritik. »Im Netz ist nicht nur Schwarmintelligenz, sondern auch viel Schwarmdummheit unterwegs. Davor müssen wir uns als Journalisten nicht fürchten, wenn wir bereit sind, unsere Arbeit immer wieder selbstkritisch nach der Glaubwürdigkeit zu hinterfragen«, sagte Vorkötter. Wahrheit und Wahrhaftigkeit seien zentrale Werte des Journalismus. Nur wenn das Publikum einem Medium vertraue, könne dieses Erfolg haben. Der ehemalige Chefredakteur von Stuttgarter und Berliner Zeitung warnte davor, diese Werte aufs Spiel zu setzen – etwa durch ungeprüftes Verwenden von PR-Material. »Die Tageszeitung ist noch immer das Medium, dem alte wie junge Menschen am meisten vertrauen«, sagte Michel Maurer, stellvertretender Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Deshalb müssten es Zeitungen schaffen, diese Vertrauenswür-

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rückblende

Zwei neue Studienleiterinnen hat Akademiedirektor Joachim L. Beck am 27. September in ihre Ämter an der Evangelischen Akademie Bad Boll eingeführt. Dr. Regina Fein (re.) organisiert an der Akademie Tagungen und Projekte zu den Themen Umwelt, Nachhaltigkeit, Technologie, Simone Helmschrott ist neue Studienleiterin für Friedenspolitik, internationale Krisen- und Konfliktbearbeitung. In SYM 3 wurden die beiden Studienleiterinnen vorgestellt.

digkeit noch stärker als bisher als Unterscheidungsmerkmal zu anderen Medien herauszuarbeiten. Dazu sei es notwendig, dass sich Redaktionen öffnen, transparent arbeiten und auch den Dialog – etwa in den Sozialen Netzwerken – mit den Lesern annehmen. »Im Netz entstehen neue Kontrollinstanzen wie etwa der Bildblog und auch vor denen muss unsere Arbeit bestehen«, sagte Maurer. Journalisten säßen oft auf einem hohen moralischen Ross. Stattdessen sei es geboten, die Grenzen des eigenen Handwerks kenntlich zu machen. Dr. Leif Kramp, Medienwissenschaftler an der Universität Bremen, betonte, Glaubwürdigkeit sei ein zentraler Wettbewerbsvorteil klassischer Medien. Aber: »Glaubwürdig ist, was das Publikum glaubt. Und heute kann sich vom lokalen Blog bis zum You-TubeSternchen jeder im Netz diese Glaubwürdigkeit verdienen«, so Kramp. Tageszeitungen und Sendeanstalten müssten noch viel stärker als bisher die Chancen des Internets nutzen: das Publikum stärker einbinden, etwa in die Recherche, den Dialog mit Lesern und Hörern verstärken und crossmedial produzieren. Auch die OnlineJournalisten Kersten Riechers und Tobias Reitz bemängelten, deutsche Redaktionen nützten die technischen Möglichkeiten zu wenig für ihre Ar-

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beit. »In Deutschland denken wir zu wenig technikbezogen. In den USA gibt es Zusammenschlüsse von Hochschulen, Redaktionen und Firmen, um Probleme zu lösen, zum Beispiel um Fakten mit Hilfe von Internet-Werkzeugen zu überprüfen«, so Reitz. Außerdem sei die Technik in Deutschland noch nicht nutzerfreundlich genug. Katja Korf, siehe auch S. 16/17

Förderung von Sport für sozial Benachteiligte Was kann Sport in der Arbeit mit benachteiligten jungen Menschen leisten? Dieser Frage gingen Ende September 50 Fachleute aus Kommunen, Vereinen und Verbänden bei einer Fachtagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll nach. Ein Fazit: Sportvereine können viel tun, um sozial benachteiligte Jugendliche zu fördern. Dafür benötigen sie jedoch mehr Beratung und finanzielle Unterstützung. Sport hat auf Kinder und Jugendliche oft eine positive Wirkung – das zeigen zahlreiche Studien, die Prof. Dr. Mone Welsche von der Katholischen Hochschule in Freiburg vorstellte. Allerdings sind sozial benachteiligte Mädchen und Jungen deutlich selte-

ner Mitglied in Sportvereinen als ihre Altersgenossen. Gezielte Förderung von solchen Gruppen könnten ehrenamtlich Engagierte allein kaum leisten – das betonte Prof. Dr. Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule Köln. Fort- und Weiterbildungsangebote für Übungsleiter, aber auch engere Zusammenarbeit zwischen Vereinen und Einrichtungen der Jugendarbeit seien deshalb notwendig. Was eine gute Kooperation von Kommune und Sportvereinen bewirken kann, zeigt die Stadt Karlsruhe. 1992 starteten verschiedene Träger die soziale Offensive des Jugendsports. Dr. Martin Lenz, Sozialbürgermeister der Stadt Karlsruhe: »Wir hatten ein Ziel: Die Bewegungsarmut bei Kindern zu bekämpfen«. Die Initiatoren der Karlsruher Initiative entwarfen zahlreiche Modelle, um Sport und soziale Arbeit zu verbinden. Im Laufe der Jahre gelang es, nicht nur die finanzielle Förderung der Stadt, sondern auch private Geldgeber zu bekommen. Ein Erfolgsbeispiel aus Karlsruhe ist der Bau einer so genannten Gorodki-Anlage. Gorodki, ein Sport aus Russland, ist in Deutschland nahezu unbekannt. Die Karlsruher schufen mit dem Bau der Anlage die Möglichkeit für Russlanddeutsche, ihren Sport auch in Deutschland auszuüben. Beim Gorodki versuchen die Athleten, mit Holzstangen Kegel auf einem abgesteckten Feld zu treffen. »Heute hat ein Karlsruher Sportverein, der SZ Südwest Hardeck, die Anlage übernommen und hat nun eine eigene Gorodki-Abteilung«, berichtete Lenz. 2006 wurde die erste Weltmeisterschaft Beim Gorodki-Spiel müssen die Spielerinnen versuchen, mit Holzstangen Kegel auf einem abgesteckten Feld zu treffen.

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Das Mandolinen-Orchester »Israeli Plectrum Orchestra« gastierte auf Vermittlung der Evangelischen Akademie Bad Boll am 28. Oktober im Kurhaus. Der Kontakt war 2010 bei der Tagung »Warum man bei Musik nicht sparen kann« von Thilo Fitzner entstanden. Maria Fiedler, Leiterin der Musikschule Filderstadt, hatte das Orchester jetzt eingeladen. Das mehrfach ausgezeichnete Orchester aus jüdischen und arabischen Israelis spielte auf Weltniveau.

außerhalb Osteuropas in Karlsruhe organisiert. Der Landessportbund unterstützt das Projekt. »Eine gelungene Integrationshilfe für Spätaussiedler, von denen viele durch den Sport Anschluss an einen deutschen Verein gefunden haben«, so Lenz. Eine enge Zusammenarbeit gibt es in Karlsruhe auch zwischen Ganztagsschule und Sportvereinen. Die Stadt stellt pro Jahr 150.000 Euro zur Verfügung. Um diese Gelder können sich Vereine bewerben, die an Ganztagsschulen Angebote machen möchten. »Mit dem Geld können die Vereine zum Beispiel ausgebildete Sozialpädagogen einstellen, um die Gruppen zu betreuen und den Anforderungen der Schulen gerecht werden zu können«, erklärte der Karlsruher Bürgermeister. Die Schulen profitieren, weil sie nachmittags ein sinnvolles Angebot für die Schüler haben, ohne eigene Lehrer einzusetzen. Die Vereine profitieren, weil sie in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen kommen, die sonst nicht auf ihre Angebote aufmerksam geworden wären. Die Tagung organisierte die Evangelische Akademie Bad Boll mit der Evangelischen Hochschule Freiburg, der Katholischen Hochschule Freiburg, der Deutschen Sportjugend, der BadenWürttembergischen Sportjugend, der Badischen Sportjugend Freiburg und dem Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg. SYM 4/2012

Schritte zu Gerechtigkeit und Versöhnung in Sri Lanka, Tagung vom 9.-11.11.2012 Sri Lanka ist kein Thema für Überschriften in der deutschen Medienrealität. Auch Kurzmeldungen tauchen nur selten auf – dabei herrscht seit dem formalen Ende des Bürgerkrieges 2009 längst noch kein Frieden. Im März dieses Jahres hat das UNMenschenrechtstribunal eine Resolution verabschiedet, die die Regierung Sri Lankas auffordert, Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und zur Versöhnung einzuleiten. Die Tagung ging den Fragen nach, wie aussichtsreich diese Resolution ist, auf welche Realitäten sie trifft und ob sich Chancen auf einen Ausgleich zwischen Tamilen und Singhalesen abzeichnen. In Zusammenarbeit mit INSD (International Network of Sri Lanka Diaspora e.V.) sowie GEKODEM (Gesellschaft für Konfliktprävention, Demokratie und Menschenrechte e. V.) stand auch die Frage nach der Rolle der Diaspora im Raum. Durch die verschiedenen Blickwinkel der Referierenden wurden die komplexe gegenwärtige Situation und die Schwierigkeit eines Ausblicks erkennbar.

sri-lankischen Identität, gerade in der Diaspora. »War changes identity«, merkte einer der Teilnehmer an. Der Vortrag von Sunanda Desapriya am folgenden Morgen öffnete die Perspektive hin zur UN. Er betonte die Rolle der UN-Sonderberichterstatter. Die UN-Politik sei nicht Tamilen-, sondern Sri-Lankaner-freundlich gewesen, so Desapriya. An diese Entwicklung gelte es, auch international anzuknüpfen, um die Empfehlungen der Resolution umsetzen zu können. M. D. Devashayam aus dem tamilischen indischen Bundesstaat Tamil Nadu betonte die Bedeutung einer partizipativen Demokratie, die auch in Indien fehle. Hier könne die Diaspora positiv einwirken, so Devashayam. In zwei kurzen Beiträgen berichteten Nadaraja Straube und Thillaiambalam Paramsothy von ihren aktuellen Reiseerfahrungen hinsichtlich der Situation der tamilischen Minderheit in Sri Lanka. Beide erzählten von Checkpoints mit langen Wartezeiten, einer starker Dominanz des Buddhismus und von heimlicher Folter. Wasantha Dissanayake machte deutlich, dass Tagungen zwar wichtig, aber längst nicht genug seien. Ein Wandel innerhalb der sri-lankischen Gesellschaft sei nötig, werde jedoch durch sich steigernden tamilischen und singhalesischen Nationalismus erschwert. Paul Sathianesan, der vom Flüchtling in Großbritannien zu einer der wichtigsten Gestalten der tamilischen Diaspora wurde, betonte die Bedeutung der kommenden Generation, die dringend mit eingebunden werde müsse. Ruki Fernando schließlich zeigte auf, dass die Regierung Sri Lankas in mehreren Kriege auf einmal kämpfe: Gegen die Bevölkerungsproteste, gegen einzelne Aktivisten, die öffentlich als Verräter beschimpft werden, sowie einen diplomatischen Krieg. Die abschließenden Work-shops entwickelten Strategien zur weiteren Lobby- und Advocacyarbeit der internationalen Disapora. Simone Helmschrott, Studienleiterin

Bereits am ersten Abend entwickelte sich ausgehend von dem 2010 in Cannes gezeigten Film »Shadow of Silence« eine lebhafte Diskussion zur

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kunst in der akademie

STANDpunktSUCHE – Stegplattenarbeiten und Ink-Jet-Prints von Norbert Huwer »Norbert Huwers farbige Malereien vereinen die Traditionen des Konstruktivismus und der konkreten Kunst, der Minimal- und der Op-Art – also einer ungegenständlichen, an formalen und bildsystemischen Fragestellungen orientierten Kunst.« (Lukas Baden) Nach Verlassen der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe entwickelte Norbert Huwer zunächst dreidimensionale farbig bemalte Objekte aus mit transparentem Material bespannten Aluminiumstäben. In diesen meist frei im Raum schwebenden Gebilden treffen malerische und skulpturale Elemente zusammen und der sich bewegende Betrachter erfährt einen stetigen Wandel von Form und Farbe. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt der aktuellen Stegplattenbilder. Hier verwendet Huwer ein aufwändiges Herstellungsverfahren, das Geduld, hohe Konzentration und Präzision erfordert. Die industriell hergestellte Stegplatte aus Acrylglas ermöglicht es dem Künstler die Farben auf drei, zuweilen auch auf vier räumlichen Ebenen zu platzieren. Je nach Standpunkt oder Blickwinkel des Betrachters verändert sich der Eindruck, den das Kunstwerk auf der Netzhaut hinterlässt, so dass das Bild in seiner Totalität nie zum gleichen Zeitpunkt erfasst werden kann. »WYGIMTYS – what you get is more than you see« sind deshalb diese Werke folgerichtig betitelt – in Anlehnung und Unterscheidung zum WYSIWYG der Computersprache. Parallel zu

diesen größeren Arbeiten entstehen seit einigen Jahren Ink-Jet-Prints, computergenerierte Grafiken, die die Farbveränderungen der Stegplattenbilder in vergleichbarer Weise nachvollziehbar machen. Dr. Kirsten Claudia Voigt, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, schreibt zu den Stegplatten-arbeiten von Norbert Huwer: »Wie schlägt Präzision in Poesie um? Diese Frage wirft konkrete Kunst in ihren glücklichsten Momenten auf. Kalkulierte Setzungen konstituieren die Werke von Norbert Huwer seit einigen Jahren. In seinen neuesten Arbeiten operiert er mit Materialien, die ein Höchstmaß an Strahl- und Leuchtkraft gewährleisten: Lichtstarke Farbe, virtuos komponiert, befreiend frisch, steht nun in mehreren Schichten auf sogenannten Stegplatten. Diese im Grunde überschaubare räumlich-plastische Anordnung, eine schlichte Konstruktion aus gefundenem, industriell vorgefertigtem Material eröffnet Huwer eine überraschende und inspirierende Spielfläche für seine optischen Manipulationen, eine Malerei, die frappierend vieldimensional wird. ... Norbert Huwer (stellt) mit seinen Werken die Relativität jedes unserer Blickwinkel dar. Diese Idee bildet das Zentrum seiner neueren bildnerischen Konzeption. ... Abstand nehmen, sich weiter bewegen, in Bewegung bleiben, die andere Seite mitdenken, das Ganze als komplex begreifen – zu alldem fordern die Werke Norbert Huwers auf, verführerisch und animierend, indem sie spielerisch die Neugier und eine ›Schaulust‹, wecken, die sich nicht nur aufs Optische beschränkt.« Norbert Huwer, Kurzvita: 1947 geboren in Homburg/ Saar. Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe: 1967-73 Malerei und Graphik bei Klaus Arnold; 1970-73 Skulptur und Kunststoffbearbeitung bei Wilhelm Loth. Seit 1974: zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland, künstlerische Praxis in den Bereichen Malerei und Grafik, Skulptur und Objekt www.norbert-huwer.de

WYGIMTYS 034, Kreuzserie Nr. 11, Acrylfarbe in und hinter Stegplatte aus Acrylglas, 100 x 120 cm, 2010

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Vernissage Sonntag, 27. Januar 201, 11 Uhr im Café Heuss Information und Anmeldung zum Mittagessen (12 Euro): Brigitte Engert, Tel. 07164 79-342, brigitte.engert@ev-akademie-boll.de Leitung: Susanne Wolf, Tagungsnummer: 936013 Dauer der Ausstellung: 27. Januar - 17. März 2013

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zwischen den zeiten

Die Stunden links und rechts der Uhr Interkulturelle Zeiterfahrungen Von Dr. Tim Lörke, Freie Universität Berlin Eine Minute hat sechzig Sekunden, sechzig Minuten hat eine Stunde, vierundzwanzig davon machen den Tag, der im selben Gleichmaß übergeht in Wochen, die zu Monaten, dann zu Jahren werden. Die Zeit ist genau abgemessen, sie verläuft immer gleich. Und doch gibt es die Langeweile oder die rasch verrinnende Zeit; es gibt den dauernden Augenblick wie die Zeit, die nicht vergehen will. Es gibt die Zeit, die man messen kann, und die, die man fühlt. Schon unsere alltägliche Zeiterfahrung lässt uns verschiedene Zeiten wahrnehmen, obwohl doch eine Minute immer nur sechzig Sekunden dauert. Was Ernst Bloch geschichtsphilosophisch die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« nannte, gilt für unseren Alltag ebenso: Unser Denken, Wahrnehmen und Fühlen vermischt verschiedene Zeiten. Vergangenheit als Erinnerung und Zukunft als Projektion bestimmen unsere Gegenwart. Dreierlei Zeitebenen bestimmen unseren Tag, der zudem mal rascher, mal langsamer vergeht. Dabei nimmt man den Zeitablauf oft anders wahr als andere Menschen. Für den einen ist ein Tag lang, während dem anderen die Zeit davonläuft. »Die Zeit reist für unterschiedliche Leute mit unterschiedlichem Schritt«, wusste bereits Shakespeare. Wenn dies schon gilt für Angehörige desselben Kulturkreises, wie muss es dann erst sein, wenn verschiedene kulturelle Zeithorizonte aufeinanderprallen? Wie fühlt sich Zeit auf anderen Kontinenten an? Denn die Vielfalt an Mentalitäten und kulturellen Zugehörigkeiten multipliziert die verschiedenen Reisegeschwindigkeiten der Zeit. Auf der Tagung wurden drei Romane und zwei Erzählungen gemeinsam analysiert, interpretiert und diskutiert, wobei jeweils die besondeSYM 4/2012

Dali‘, Salvator (1904-1989): The Persistence of Memory, 1931. New York Museum of Modern Art (MoMA). Oil on canvas, (24,1 x 33 cm) Digital image ©2012 MOMA, NY/SCALA, Florence.

re Art der Zeitdarstellung und die damit verbundene Wertung der Zeit im Mittelpunkt stand. Denn afrikanische und südamerikanische Stimmen kontrastieren die europäischen Zeitvorstellungen, und interkulturelle Begegnungen zwischen Europäern und Australiern und Japanern führen die unterschiedlichen Zeitweisen vor. Als Stichwortgeber für die Interpretation der Texte fungierte dabei Robert Levine, der in seinem Buch »Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit Zeit umgehen« den Zusammenstoß verschiedener Zeitkulturen darstellt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Unterscheidung zwischen der UhrFragen nach der Zeit widmete sich die literarisch-philosophische Sommerakademie. Dr. Tim Lörke vom Institut für Deutsche und Niederländische Philologie an der Freien Universität Berlin war Referent bei der Literarischen Sommerakademie. Er führte in ausgewählte Texte der Weltliteratur ein, die alle auf eine besondere Weise die Zeit thematisieren. Studienleiterin Susanne Wolf hat die philosophisch-literarische Sommerakademie in Zusammenarbeit mit Annegret Wolfram organisiert.

zeit, wie sie in den westlichen, kapitalistisch geprägten Ländern den Tagesablauf regelt, und der Ereigniszeit, die in überwiegend ländlichen, nach westlichen Maßstäben vorindustriellen Kulturen die Zeit wahrnehmbar macht: Verabredet man sich in der Uhrzeit etwa um 15 Uhr, so tut man dies in der Ereigniszeit, wenn die Kühe zum Wasser gehen. Nicht ein chronometrisch fixierbarer Zeitpunkt, sondern ein Vorkommnis legt die Zeit für die Verabredung fest. Mehr noch: In industrialisierten Ländern ist jeder Lebensbereich nach der Uhrzeit geregelt, man isst, wenn es der Zeitpunkt dafür ist, nicht, wenn man Hunger hat. Der Roman »Alles zerfällt« des nigerianischen Schriftstellers Chinua Achebe stellt eine afrikanische Stammesgesellschaft vor, die in der Ereigniszeit lebt. Die Handlung des Romans spielt etwa um 1890, als britische Kolonisatoren allmählich in das Land kommen. Mit ihnen kommt zugleich die andere Zeit – in doppeltem Sinne: Denn nicht allein hält die Uhrzeit Einzug, auch die Lebensgewohnheiten und Traditionen des Stammes werden

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zwischen den welten fundamental geändert. Davon erzählt der Roman auf der Inhaltsebene. In seiner Erzählform schlägt sich das zugleich nieder, als der Roman zwei verschiedene Zeiten tatsächlich erzählt. Bevor die Kolonisatoren die Herrschaft übernehmen, spielt sich die Handlung in einer nicht definierbaren Erzählgegenwart ab. Verschiedene Zeiten, gestern, heute, morgen, vermischen sich mit mythischen Zeiten. Erst als die Kolonialisierung nicht mehr aufzuhalten ist, wird auch der Roman chronologisch voranschreitend erzählt. Eine ähnliche Erfahrung macht auch der Erzähler von Bruce Chatwins Roman »Traumpfade«, der zwar im Australien der Gegenwart spielt, aber immer noch die Ahnung einer anderen Zeit vermittelt. Die alte Zeit ist für die Aborigines noch immer gültiger als die Uhrzeit: Von den mythischen Geschehnissen in jener Zeit leiten sie ihre Identität ab, die mit einer kapitalistisch geprägten Uhrzeit und den entsprechenden Ansprüchen an eine moderne, effiziente Lebensführung zusammenstößt. Haruki Murakamis Roman »Afterdark« zeigt im zeitgenössischen Japan, dass auch dort zwei verschiedene Zeitebenen existieren. Neben die kapitalistische Uhrzeit tritt allerdings hier keine gute Zeit, in der man sich heimisch fühlen könnte. Im Gegenteil imaginiert Murakami eine Latenzzeit, die sich wie ein Horrorfilm liest: Zwei Menschen, die mit den Ansprüchen der industriellen Moderne nicht mithalten können, finden sich in entfremdet in einem zeitlichen Zwischenreich wieder. Sie sind abgeschnitten von ihren Familien, die sie nicht erreichen können. Kulturkritik wird hier in Form der Zeitanalyse geübt. Der argentinische Schriftsteller Julio Cortázar schildert in seiner Erzählung »Südliche Autobahn« einen Stau auf einer Autobahn auf dem Weg nach Paris. Über vierzig konkrete Zeitangaben werden in dem Text gemacht; so beginnt alles an einem Sonntagnachmittag im August. Zählt man die Angaben zusammen, so dauert der ge-

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schilderte Stau ein paar Tage. Doch wird es zugleich Herbst, es beginnt sogar zu schneien, Frühling setzt ein, ehe sich der Stau auflöst. Die Zeit kommt völlig durcheinander. Genauso wie die sozialen Beziehungen: Die handelnden Personen tragen nur die Namen der Automarken, die sie fahren, aber im Stau löst sich die moderne Zivilisation auf. Es kommt zur Ausbildung vormoderner Stammesstrukturen. Die kapitalistische Uhrzeit erweist sich als störungsanfällig. Und der Mensch, der aus der Uhrzeit herausfällt, schafft sich wieder ein Zuhause in einer völlig anderen Zeitwahrnehmung. Auch in der Erzählung »Links der Uhr« des Kubaners Alejo Carpentier fallen Kapitalismuskritik, Phantastik und mythische Zeit in eins. Der Text setzt ein mit Arbeitern, die eine etwas heruntergekommene, hochherrschaftliche Villa abreißen, als sich ein alter Mann zu ihnen gesellt. Die Arbeiter machen Feierabend. Der Alte jedoch bleibt und vollführt einen Zauber. Fortan läuft die Zeit rückwärts: Die Villa erstrahlt nach und nach im alten Glanz, der kurz zuvor verstorbene Adelige, der sie bewohnte, wird wieder ein alter Mann, dessen Leben wir bis zu seiner Geburt zurückverfolgen. Das ganze dauert eine Nacht; als am nächsten Morgen die Arbeiter zurückkehren, ist die gesamte Villa fort, als hätte es sie nie gegeben. Hier erfüllt sich in der Fiktion der Traum, die westliche Kolonialisierung hätte es nie gegeben, sie verschwindet völlig. Die rückwärts laufende Zeit heilt. Gemeinsam ist all diesen Texten, dass sie interkulturelle Zeiterfahrungen mit Kulturkonflikten inszenieren. Der Uhrzeit des Kapitalismus, der westlichen Moderne und der Industrialisierung werden andere Zeiten entgegengesetzt, die den Menschen als Menschen zeigen, nicht als Rad in einer großen Maschinerie. Für Carpentier gilt, dass die Stunden links der Uhr die lebenswerten sind: die Stunden, die sich nicht im chronologischen Voranschreiten finden, sondern erfüllt sind mit Leben. Redet man über die Zeit, so redet man vor allem darüber, wie man leben will.

Gehend ginge alles Johann Gottfried Seume wurde Von Katja Korf Er schrieb: »Ich bin der Meinung, dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge.« Und legte doch weite Teile seiner berühmtesten Reise mit der Kutsche zurück. Er wütete gegen das Militär, war aber stolz auf seine Künste an der Waffe. Johann Gottfried Seume, einem Charakter voller Widersprüche, hat sich Ende November die Tagung »Der Spaziergang nach Syrakus« in der Evangelischen Akademie Bad Boll gewidmet. Geboren 1763 in Sachsen als Sohn eines Landwirts schaffte es Seume zum Theologiestudium an die Universität Leipzig. Er geriet jedoch in die Hände von Soldatenwerbern, die ihn in den Söldnerdienst zwangen. Er sollte für England im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg kämpfen, kam jedoch zu spät an und wurde, kaum zurück in der Heimat, in preußischen Dienst gezwungen. Mit Geld und Geschick entkam er der Fron an der Waffe und beendete sein Studium der Rechtswissenschaften, Philosophie, Philologie und Geschichte mit dem Magister. Er arbeitete als Lektor beim Göschen-Verlag in Grimma – und bewies schon da, dass er keinesfalls ein bequemer Zeitgenosse war. Beim Korrigieren beschränkte er sich selbst bei Werken hochgelobter Zeitgenossen wie etwa Klopstock nicht auf Orthographisches, sondern griff auch sprachlich ein. Das stieß bei Klopstock auf Unwillen und trieb Seume zu der Erkenntnis: »Wenn ich so fort korrigiere, fürchte ich nur, mein ganzes Leben wird ein Druckfehler werden; darum werde ich wohl bald das ganze Korrektorwesen radicitus korrigieren müßen.« So brach er bald darauf zu seiner ersten großen Reise auf. Die führte ihn von Leipzig über Wien, Laibach, Venedig, Rom und Neapel nach Syrakus und wieder zurück über Mailand, Zürich und Paris. Die Wanderung, auf der Seume mehrfach überfallen wurde, diente als Stoff seiSYM 4/2012


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besser vor 250 Jahren geboren nes ersten und bekanntesten Werks »Der Spaziergang nach Syrakus«. Der Leser lernt Seume als einen kennen, der deutliche Worte fand für vieles, was ihn störte, der sich für das wahre Leben ebenso interessierte und begeisterte wie für die Ausgrabungen in Pompeji oder die Museen in Rom. Er skizzierte die sozialen Verhältnisse, die ihm auf seinen Reisen begegneten. Dabei warf er den Mächtigen deutlich ihr Schmarotzertum vor, beklagte Armut und Ausbeutung. Mit drastischen Worten beschrieb er, was ihm allzu oft am Wegesrand begegnete: »Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denkmal und zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt waren.« Seume entwickelte sich zu einem scharfen Kritiker sozialer Ungleichheiten, viele seiner Schriften waren deshalb verboten. Warum das so war, kann sich vorstellen, wer schon auf den ersten Seiten des »Spaziergangs nach Syrakus« Seumes Gedanken zu Dresdens Fürsten liest: »Wehe dem Menschen, der zur Antichamber verdammt ist; es ist ein großes Glück, wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem gehörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.« Nicht alle Zeitgenossen schätzten Seumes Stil und seine deutliche Kritik. So schreibt etwa Caroline von Herder, die Gattin des Dichters und Weimarer Superintendenten, über den wandernden Literaten, dieser sei »ein grober Bengel, der mit seinem Ränzel in den niedrigen Wirtshäusern durchgekrochen ist und von da aus, die Städte und die Landesverfassung und die Sitten und den Charakter der Nation beurtheilt, und über die Ohren haut.« Seumes Art der Reiseberichterstattung machte trotz solcher Kritik später Schule: gefärbt von persönlichen Eindrücken, jedoch genau und detailliert SYM 4/2012

beschreibend und dokumentierend. Eindrücklich brachte er seinem Publikum die durchwanderten Landschaften nahe, lieferte Einblicke in seine Gedankenwelt und erlaubte sich philosophische Betrachtungen. Über Krieg und Frieden, über Gerechtigkeit und die Anmaßungen des Adels. Er lieferte, so schrieb die FAZ zu seinem 200. Todestag, »das proletarische Gegenstück zu Goethes olympischer ›Italienischer Reise‹«. Der Autor Bruno Preisendörfer, der zum 250. Geburtstag Seumes eine neue Biographie vorgelegt hat, nennt ihn »den ersten Reporter Deutschlands.« Ihm eifern Autoren nach und auch in Zeiten des boomenden Freizeitsports Wandern setzen etwa Wolfgang Büscher oder der ehemalige Harald-Schmid-Sidekick Manuel Andrack literarisch auf die Verbindung von gehen, nachdenken und erleben. Zu Seumes Charakter gehörte wohl auch, dass er sich und seine Reisen zu inszenieren wusste. Er sang das Hohelied auf das Gehen als beste Art der Fortbewegung, zu wandern galt ihm als einzige Möglichkeit, authentische Eindrücke zu sammeln. »So wie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt. Man kann niemand mehr fest und rein ins Angesicht sehen. Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft.« Und doch rechnete der Literaturwissenschaftler und SeumeBiograf Dirk Sangmeister nach, dass Seume weite Teile seiner Reise, insgesamt etwa 2 000 Kilometer, mit Kutsche oder Schiff zurücklegte, dies aber systematisch herunterspielte. In seinem Tornister trug der nur etwas mehr als 1,50 Meter große Dichter einen Gehrock für gepflegte gesellschaftliche Anlässe und zwölf Klassiker von Homer bis Catull, betrachtete sich zugleich als Proletarier, der von unten auf das hierarchische gesellschaftliche Gefüge seiner Zeit blickte. Zu diesen Widersprüchen in Seumes Tun und Handeln sowie der geschickten Darstellung der für ihn günstigen Umstände zählt auch, dass manche Experten heute glauben, seine Lust am Wandern sei nicht der puren Bildungslust geschuldet. Sangmeister

etwa schreibt in der Wochenzeitung Die Zeit, Seume sei auf der Flucht vor Liebeskummer gewesen. Für Dr. Thilo Fitzner, Studienleiter der Evangelischen Akademie Bad Boll, ist Seume trotz und sogar wegen aller Widersprüchlichkeit und Skurrilität bis heute ein Vorbild. »Seume hat persönliches Erleben mit politischen Entwicklungen und den Weisheiten klassischer Denker zusammengebracht. In Zeiten des Informationsüberflusses, in denen Erkenntnisse fast ausschließlich medial vermittelt werden, sollte uns Seumes Spaziergang als Modell für Schule, Unterricht und Weiterbildung dienen«, so Fitzner. Der Pädagoge vermisst in der aktuellen Bildungsdebatte die Diskussion über Bildungsinhalte. »Wir blicken auf Strukturen und Schulmodelle und lassen dabei außer Acht zu definieren, was wir von Bildung erwarten«, so Fitzner. Natürlich liefere das Vorbild des Bildungswanderers Seume keine Patentrezepte, doch der skurrile Gelehrte könne ein spannender Ausgangspunkt für Debatten sein.

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Begegnung mit dem Großvater Bettina Wilhelm und ihr Film »Wandlungen« Bei der Sommerakademie zum Thema »Konfuzius« zeigte die Akademie den vor einem Jahr erschienenen Film »Wandlungen« von Bettina Wilhelm. Martina Waiblinger hat die Regisseurin zum Film und über ihren Großvater Richard Wilhelm befragt.

Was war Ihre Motivation für den Film? Ich hatte die Frage schon lange mit mir herumgetragen. Die Frage war für mich nicht ob, sondern wann ich diesen Film machen könnte. Als junge Frau hätte ich das nicht gekonnt. Das Leben von Richard Wilhelm ist ja ein sehr komplexer Stoff. Ich musste mich annähern, bis ich das Gefühl hatte, dass ich das bewältige und eine Filmerzählung machen kann, die ein Publikum interessiert. Irgendwann war ich soweit und dachte, jetzt ist es Zeit. Dann habe ich mich damit befasst. Was war für Sie neu in der Recherche? Ich kannte meinen Großvater ja nicht. Er war schon 20 Jahre tot, als ich geboren wurde. Was mir nicht klar war, war das Ausmaß seines Werks, wie vielfältig es war Fotos von oben: Regisseurin Bettina Wilhelm, historisches Foto von Schulmädchen in der Schule Richard Wilhelms, Schafgarbenstäbe zur Bestimmung des I Ging und Richard Wilhelm als jüngerer Mann

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und mit wie vielen Menschen er Kontakt hatte. Als ich zur Bayerischen Akademie der Wissenschaften kam und den Nachlass sah, war ich wirklich überrascht – der Index allein ist über 40 Seiten lang. Was für ein Mensch war Richard Wilhelm? In seiner Jugend war er ein Mensch mit viel romantischer Sehnsucht und mit starkem Fernweh. Er war Zeit seines Lebens darum bestrebt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Er ließ sich nicht mit Konventionen abspeisen, sondern wollte für sich sehen, wo etwas hingehen kann. Er hatte immer das Bedürfnis, aus engen Situationen herauszukommen, auch aus engen geistigen Käfigen. Welche Fragen haben Richard Wilhelm umgetrieben? Seine Fragen waren die großen Fragen an das Leben: Warum sind die Dinge so, wie sie sind? Und was sind die großen Wahrheiten? Woher kam die Faszination für China? Das hängt mit diesen Fragen an das Leben zusammen. Ich denke, dass die chinesische Weisheit Richard Wilhelm von Anfang an sehr nahe war. In gewisser Weise ist sie auch sehr einfach und zugänglich. Es ist eine Weisheit, die mit den Gesetzen des Lebens zu tun hat und mit den Gesetzen der Wandlungen. Was er im Buch der Wandlungen und in der ganzen Philosophie zu den Wandlungen gefunden hat – da hat er sich wiedergefunden. Es hat ihm geholfen, die Frage zu beantworten: Wie kann man eine gute Haltung zu den Wandlungen, die ja notgedrungen im Leben vorkommen, beziehungsweise ein Teil davon sind, entwickeln? Im I GING fand er Situationen beschrieben, wie man sich in ihnen am besten verhält. Es ging ihm darum, die Wandlungen zu entdecken, auch die zeitlichen Wandlungen, also den Bezug zu der Zeit, in der man lebt und was sich da wan-

Richard Wilhelm Als junger Missionar kam Richard Wilhelm 1899 nach China. Er taufte zwar keinen Chinesen – bemühte sich aber um ein Verständnis des chinesischen Denkens und wurde der bedeutendste Vermittler chinesischer Philosophie in Europa. China wurde zu der Zeit von den Kolonialmächten ausgeblutet. Richard Wilhelm erlebte Revolten gegen Ausländer, das Ende der Kaiser-Dynastien und den ersten Weltkrieg. Die turbulenten Umbrüche verstärkten seine Suche nach einer Wahrheit, die den Menschen hilft, mit dem Wandel umzugehen und befähigt, das eigene Leben zu gestalten. Richard Wilhelm vollbrachte eine der größten Übersetzungs-Leistungen des 20. Jahrhunderts: »Konfuzius«, »Laotse«, die wichtigsten Texte des Daoismus und vor allem das chinesische Weisheitsbuch, das »I Ging, das Buch der Wandlungen«. Das Buch inspirierte viele Leser im Westen. Kurzbiografie: 1873 geboren in Stuttgart. 1899 reist Richard Wilhelm als Missionar der Ostasienmission nach Qingdao im damaligen deutschen Pachtgebiet. Er gründete eine Schule, die bis heute existiert und seinen Namen trägt sowie ein Hospital. 1900 kam es zum »Boxeraufstand« gegen die Ausländer, die das Land kolonialisiert hatten. Gemeinsam mit einem chinesischen Arzt schaltete sich Richard Wilhelm als Vermittler ein, als deutsche Truppen chinesische Dörfer angriffen und verhinderte weiteres Blutvergießen. 1911 erlebte er die Wende in China, als das Land nach über 2000 Jahren Kaiserreich zur Republik wurde. Im ersten Weltkrieg verlor Deutschland seine chinesische Kolonie. Qingdao wurde von Japan besetzt. 1920 kehrte Richard Wilhelm für kurze Zeit nach Deutschland zurück, knüpfte dort Kontakte zu C.G. Jung, Albert Schweitzer, Hermann Hesse und Graf Keyserling. Danach kam er zwei weitere Jahre nach China, nicht mehr als Missionar, sondern als wissenschaftlicher Berater der deutschen Gesandtschaft und als Gastdozent an der Beida, der Pekinger Universität. 1924 übernahm er an der Frankfurter Universität den ersten Lehrstuhl für Chinakunde, gründete dort auch das China-Institut für weiteren Kulturaustausch. Auf der Suche nach der tiefsten Wahrheit jenseits aller Kulturen und Zeiten vertiefte sich seine Freundschaft mit C.G. Jung, mit dem er gemeinsam ein Buch, Das Geheimnis der goldenen Blüte, herausgab. 1930 starb Richard Wilhelm im Alter von 56 Jahren. Begraben ist er auf dem Friedhof in Bad Boll. Die acht Symbole, die den Grundstein des I Ging bilden, umrunden sein Grab (siehe Rückseite dieser Ausgabe). SYM 4/2012


zwischen den welten delt. Und dazu eine Haltung zu entwickeln, die einen stärkt und führt. Warum hat er sich vom Missionsgedanken abgewandt? Er hat sich niemals von seiner christlichen Haltung abgewandt. Ihm war es wichtig, Kontakt zu den Menschen zu bekommen und zu sehen, was sie brauchen. Er hat ja auch Missionsarbeit gemacht: Mit viel Enthusiasmus hat er eine Schule geleitet und ein Krankenhaus gegründet. Er sah aber nicht ein, dass er eine chinesische Gemeinde zusammentaufen sollte. Weil es nicht das war, was die Menschen benötigten. Die Menschen hatten Bedürfnisse, materielle und geistige. Auf die ist er eingegangen. Die Menschen brauchten Bildung, die er allen vermitteln wollte. Er wollte aber nicht Christen und Nicht-Christen separieren. Seine Haltung, die auf den christlichen Werten beruhte und eine zutiefst humanistische war, hat Richard Wilhelm immer vermittelt. Hat die Lehre des I Ging Sie immer begleitet? In meiner Jugend war es immer da. In meiner Familie wurde es allerdings nicht in dem Sinne verwendet: »Was mache ich in dieser oder jener Situation?«. Es war eine Tradition an Silvester/Neujahr. Da wurde eine Frage gestellt. Diese Tradition, die gab es. Nach dem Entschluss diesen Film zu machen, habe ich mich natürlich tiefergehend damit befasst und in Dr. Henrik Jäger jemand gefunden, der mir sehr gut nahebringen konnte, worum es geht und wie wichtig es ist, die richtige Frage zu finden. Es ist sehr interessant, was dann passiert. Es öffnet einen wirklich und man bekommt eine neue Perspektive auf das Problem bzw. auf die Frage, die man hat. Das ist etwas sehr Inspirierendes und man kann damit sehr kreativ umgehen. Wenn man nur die Antwort hat, ist diese oft sehr kryptisch. Es gibt da immer noch etwas zwischen der Frage und der Antwort. Das muss man mit der eigenen Kreativität füllen. Genau das ist dieser Inspirationsprozess für mich. siehe auch S. 24/25

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Wer hat Eislingen wachgeküsst? Wie Tina Stroheker die Worte in die Stadt brachte Von Martina Waiblinger Im Rahmen des Literatursommer Baden-Württemberg 2012 zum Thema »Einzigartig vielfältig: 60 Jahre Literatur aus und in Baden-Württemberg« fand in der Evangelischen Akademie Bad Boll vom 7.-9. September die Tagung »Entdeckungen zur Sprachfindung und Identität« statt. Ganz verschiedene einheimische und hier heimisch gewordene Autorinnen und Autoren stellten hierbei ihre Projekte und Werke vor. Für alle eine spannende Spurensuche. Im Vortrag von Tina Stroheker ging es um ein langes Engagement in Eislingen, das 2011 zu dem Eislinger Poetenweg führte. »Aus Göppinger und Gmünder Sicht war Eislingen ein Rückschritt. Das war doch da, wo es ›nach Öl stinkt‹«, erzählt die in Ulm aufgewachsene Tina Stroheker über ihre Anfänge in Eislingen vor über 40 Jahren. Eislingen war 1933 aus zwei Dörfern zusammengelegt worden und hat heute ca. 20.000 Einwohner. Auf den ersten Blick gehört die Kleinstadt nicht zu den schwäbischen Kleinoden, die von Touristenschwärmen belagert werden – die Stadt ist eher von der Industrie geprägt, und das Zentrum muss man suchen. Seit dem Jubiläum zu 1150 Jahren Eislingen im Jahr 2011 hat die Stadt einen Poetenweg: 22 Glasstelen mit Gedichten aus verschiedenen Ländern hat die Stadt aufgestellt. Die in- und ausländischen Autoren und Autorinnen setzen sich darin mit dem Thema Heimat und Fremde auseinander und haben somit auch etwas mit den Menschen zu tun, die in Eislingen leben. Und mit Tina Stroheker, die die Gedichtauswahl getroffen hat und die seit 1976 erfolgreich mit anderen versucht, dieser scheinbar wenig attraktiven Stadt das kulturelle Potential zu entlocken. 1976 gab es keine Galerie in Eislingen, kein Museum, keinen geeigneten

Tina Stroheker am Friedhof Süd. Hier steht die Stele mit dem Grass-Gedicht »Mitten im Leben«.

Ort für Konzerte – nur eine junge Volkshochschule und ein Programm des Schlosstheaters. Durch das ideenreiche Engagement von Tina Stroheker und anderen entstand dann 1985 ein Kunstverein, in dem verschiedene Künste eine Heimat fanden bzw. von hier aus wirkten. Eine weitere Etappe ergab sich durch den Tod des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers Josef Mühlberger, der in Eislingen gelebt hatte. Anfangs interessierte sich Tine Stroheker nicht für ihn. So ging es ihm auch in der Stadt – vielleicht weil er ein Sudetendeutscher war, vielleicht weil er „vom anderen Ufer“ war, wie es hieß. Als sie sich dann doch mit seinem Werk befasste, schlug es sie schnell in seinen Bann. Gemeinsam mit dem damaligen Vorsitzenden des Kunstvereins Stephan Wünsche überlegten sie, wie an den Autor erinnert werden könnte. 1990 entstand ein erstes Bändchen mit Gedichten Mühlbergers. Dies war zugleich der erste Band einer Edition

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Meine blaue teekanne verrichtet ihren dienst in den städten ohne eigenes licht sie betrachtet in ihrer zerbrechlichen würde die dinge bei ihrem stillen gebet bis sie fallen meine blaue teekanne bleibt mir treu den teeblättern und dem wasser Ein Gedicht des iranischen Schriftstellers SAID, der in München lebt. Die Stele steht an der Lutherkirche.

des Kunstvereins, in der 2012 das von Tina Stroheker herausgegebene Büchlein »meine blaue teekanne bleibt mir treu« über den Eislinger Poetenweg verlegt wurde. Etwa 20 Prozent der Eislinger haben einen anderen sprachlichen und nationalen Hintergrund als den deutschen. Sprache hat für jeden Menschen etwas mit Heimat zu tun. Das spüren vor allem die, die im Alltag mit einer fremden Sprache zu kämpfen haben und ihre eigene kaum benutzen können. Hier setzte Tina Stroheker 1989 mit einem Projekt an, das jetzt seit über 20 Jahren existiert: »Zweisprachige Lyriklesungen«. Getragen wird es von Stadtbücherei und Volkshochschule. 1990 begannen die Abende mit italienischer Dichtung. Tina Stroheker sucht dabei jeweils nach interessierten Partnern, dann werden gemeinsam die Gedichte ausgewählt. Die Idee ist, dass sie von Muttersprachlerinnen und -sprachlern aus der Region vorgetragen werden sollen. In dem von ihr herausgegebenen Buch »Du schickst mir deine Gedichte – Ich schick dir meine. Zweisprachige Lyrik-Lesungen in Eislingen« erzählt Tina Stroheker, dass diese Suche immer auch zu spannenden Begegnungen mit vielen Überraschungen geführt hat: »Mein Eislinger Apotheker Abdullatif Alkatut entpuppte sich als leidenschaftlicher Literaturfreund …

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Eine erfolgreiche isländische Architektin mit einer wunderbar tiefen Stimme, Jórunn Ragnarsdóttir, ließ sich begeistern … Mein Partner für türkische Lyrik, Mustafa Sebibucin, brachte neben vielen Büchern auch zahlreiche Toncassetten mit. Und eines Tages tauchte in meinem Göppinger Literaturseminar ein Chinese auf, der sich als Journalist und Übersetzer vorstellte, Hu Rui.« Seit 1995 gibt es alle zwei Jahre die Mühlberger-Tage des Kunstvereins mit der Mühlberger-Preis-Verleihung. Diese »literarische Biennale Eislingen« ist mit einem Schwerpunkt und einmal mehr und einmal weniger mit Mühlberger verbunden. »Es macht Freude, in einem kleinen überschaubaren Ort etwas zu gestalten«, begeistert sich Tina Stroheker in ihrem Vortrag und erzählt u. a. von den Mühlberger-Tagen 2007 zum Thema »Liebe«, und zwar homosexuelle Liebe. Eines Tages standen im Schaufenster des Cafés »Da Damiano« zwei Hochzeitstorten, auf der einen Torte ein Männerpaar und auf der anderen Torte ein Frauenpaar – ganz im Sinne Tina Strohekers: »Wenn da nicht die Wörter ins Leben getreten sind!« Der vorläufige Höhepunkt des Engagements ist die Installierung des Eislinger Poetenwegs. Die Fragestellung zum Jubiläum von 1150 Jahren lautete: »Was bedeutet uns der Ort, an dem wir leben?« Darauf soll der Poetenweg mit den 22 Glasstelen eine Antwort geben. Die Stelen sind zwei Meter vierzig hoch, 96 cm breit und wiegen 125 Kilogramm. Ihr Glas ist auf der Vorderseite durch Glasperlstrahlen rau, matt und undurchsichtig gemacht worden. Nur die Buchstaben sind klar belassen – man sieht beim Blick auf den Text auch das, was dahinter ist. Je nach Tageszeit, Himmelsfarbe und Sonneneinstrahlung wechseln die Buchstaben ihre Ansicht und ihre Lesbarkeit. Roxana Oszkiel, die rumänische Lesepartnerin von Tina Stroheker, sagte einmal: »Wenn man seine Heimat nur mit dem Allernötigsten, ohne Identität, verlassen muss, ist man geneigt, am neuen Ort bescheiden und zurück-

Ein Gedicht von Alice Walker findet man am Rathaus-Bauplatz.

gezogen zu leben, um ja nicht aufzufallen. Man merkt nach kurzer Zeit, dass im Gegensatz zu dem, was man in der Schule gelernt hat, die alte Heimat und die alte Muttersprache fast unbekannt sind, und man denkt, so muss es sein. Und dann kommt jemand und interessiert sich für die Poesie in rumänischer Sprache. Ich fing an, mich in Eislingen daheim zu fühlen.« Was den einen Heimat gibt, fordert andere zur Zerstörung heraus. So wurde zum Beispiel die Stele von José F. A. Oliver zerstört; sie wurde inzwischen ersetzt. Tina Stroheker glaubt nicht, dass sich solche Attacken gegen die Gedichte wenden. Ihrer Meinung nach liegt es wohl eher an der großen attraktiven Fläche, die zur Bearbeitung reizt. Für sie sind sie ein Grund, weitere Projekte mit den Stelen zu initiieren und vor allem Jugendliche anzusprechen. »Ich möchte in die Schulen gehen und die Deutschlehrer ermutigen, den Poetenweg zu nutzen. Gerne möchte ich auch etwas mit Jugendhäusern entwickeln.« Das Projekt geht auf alle Fälle weiter. Bei der Tagung in Bad Boll gab es auch schon Interessierte, die mit ähnlichen Projekten ihre Gemeinden aus dem Dornröschenschlaf wecken möchten. Die ersten Anfragen sind bei Tina Stroheker bereits eingegangen.

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Gegen alles, was wir gelernt haben Israelische Realitäten zwischen den Welten Studienleiterin Simone Helmschrott war im Oktober auf einer Studienreise der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) zum Thema »Armee und Zivilgesellschaft in Israel« in Israel und Palästina. Sie schreibt über ihre Erfahrungen zwischen Militärwelten und Zivilgesellschaft. Eine kleine, herzliche, aber dennoch resolute Frau empfängt uns am Kalandiya-Checkpoint: Ronny Perlmann, Koordinatorin der NGO Machsom Watch. Kalandiya liegt im Nordosten des Stadtgebietes von Jerusalem, Durchgangspunkt durch die hohe Mauer, die hier Palästinenser aus Ostjerusalem von Palästinensern im Westjordanland trennt. Der direkte Weg nach Ramallah, dem Herzen der Palästinensischen Autonomiebehörde, führt hier hindurch. Ronny Perlmann nimmt sich über eine Stunde Zeit, uns die Absurditäten, aber auch die Realitäten des Jerusalemer Lebens zwischen den Welten erfahrbar zu machen. Wir – das ist eine Gruppe von 22 Teilnehmern der diesjährigen Studienreise der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nach Israel. Und doch nicht irgendeine Gruppe. Zum ersten Mal in der langen Tradition ihrer Israelfahrten seit 1963 schickt die bpb Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft und politischen Bildung gemeinsam mit Vertretern der Bundeswehr auf diese besondere Reise. Die beiden Erfahrungs- und Deutungswelten bilden die große Klammer all unserer Begegnungen, denn mit unseren Anfragen und Einschätzungen bewegen wir uns zwischen diesen Welten hin und her. Dies zeigt sich auch am Checkpoint in Kalandiya: Uns allen ringt das Engagement und die trotz allem ungeheuer positive Ausstrahlung Ronny Perlmanns großen Respekt ab. Doch während die Einen über Menschenrechte, Gerechtigkeit und Humanität ins Sinnieren kommen angesichts des Drehkreuzes und der knacksenden Durchsagen der Lautsprecher, stellen die Anderen SYM 4/2012

Ronny Perlmann ist Koordinatorin der Nichtregierungsorganisation Machsom Watch.

Überlegungen zur technischen Ausstattung der Durchleuchtungsanlagen an, zum Sicherheitsbestreben, zur Terrorabwehr und so gesehen zunächst nachvollziehbaren Methoden im geteilten Land. Unsere Gespräche bringen beide Sichtweisen zusammen und weiten so das Verständnis – für beide Welten. Machsom Watch nimmt sich eines besonderen Aspekts des alltäglichen Lebens an. Machsomim (hebr. Checkpoints) bestimmen den Tagesablauf in Jerusalem mindestens ebenso wie der übliche Verkehrsstau. Egal zu welchem Zweck, hier muss durch, wer aus palästinensischem in israelisches bzw. Jerusalemer Stadtgebiet möchte. Dienst haben israelische Soldaten, meist während ihrer verpflichtenden Wehrdienstzeit (Männer zwischen 18 und 29 drei Jahren, Frauen zwischen 18 und 26 21 Monate lang) – junge Soldaten also, denen große Machtbefugnisse gegeben werden. Eine Kombination, die rasch entgleiten kann zu Willkür, Machtdemonstration oder Gewaltanwendung. Die Aktivisten von Machsom Watch, meist selbst mit Militärerfahrung, oft Eltern von Soldaten, bilden allein mit ihrer Präsenz an Checkpoints und ihren Tages-Berichten eine zivile Kontrolle militärischer Präsenz. »Wenn eines Tages Frieden ist, will ich sagen können: ›Ich habe meinen Teil dazu beigetragen‹«, so Ronny Perlmann, Mutter von zwei Offizieren der IDF (Israeli Defense Forces, die israelischen Streitkräfte). Zwei Tage später lesen wir in der englischsprachigen Jerusalem Post, dass ein palästinensischer Jugendlicher mit Sprengsätzen im Rucksack in Kalandiya aufgegriffen wurde. Dass die israelische Armee in den besetzen Gebieten längst nicht mehr als friedliche Schutzmacht handelt, war lange Zeit ein Tabuthema. Dieses Schweigen zu brechen hat sich die Initiative »Breaking the Silence« vor-

genommen. Das ist viel Arbeit, auch an sich selbst: »Das Schweigen zu brechen ist gegen Deine eigene Erziehung und gegen alles, an was du geglaubt hast«, sagt Noam Chayut. Wir treffen ihn, den Mitbegründer der Organisation in unserem Hotel in Jerusalem. Die Sprengkraft, die in seiner Arbeit liegt, merkt man dem Mittdreißiger und seinen stillen Worten kaum an. Doch legen die gesammelten Zeugenberichte die Realität hinter den Leitbegriffen israelischer Präsenz in den Gebieten offen und greifen damit die Unantastbarkeit der IDF an. In den »testimonials« (siehe www.breakingthesilence.org.il) und im neu erschienenen Buch (s. S. 23) sprechen Soldaten, oft Jahre nach ihrem Dienst, offen über Befehle, die gegeben und ausgeführt wurden, und die sie oft erst im Nachhinein hinterfragten. Über ihre Erfahrungen mit der palästinensischen Bevölkerung wurde nie geredet. »Wir haben die großen Unterschiede zwischen unserer Welt, der Welt der Soldaten in den besetzten Gebieten und der Welt der Zivilgesellschaft in Israel erkannt«, so Noam Chayut. So werden aus Vertretern der israelischen Staatsmacht leidenschaftliche Gegner der Besatzung – und ein Dialog zwischen Armee und Zivilgesellschaft, zwischen zwei völlig konträren Erfahrungswelten, wird eingefordert. Ein Dialog, der auch in unserer deutschen Gesellschaft überfällig ist, das spüren wir in unseren Gesprächen deutlich.

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Die Flamme in ihren Augen Eine Veranstaltung mit 100 Jugendlichen anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Ludwigsburger Rede von Charles de Gaulle an die deutsche Jugend.

Nach zwei Weltkriegen mit Abermillionen Toten und schweren Zerstörungen in beiden Ländern war und ist die deutsch-französische Freundschaft keineswegs etwas Selbstverständliches. Wir sollten sie hegen und pflegen: unsere Städte- und Schulpartnerschaften, unsere persönlichen Freundschaften und nicht zuletzt die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern zum Wohle des Friedens in Europa und der Welt. Grund genug für uns, dem Thema eine Veranstaltung für Jugendliche zu widmen. Denn: Wie kam es zu dieser Freundschaft? Am Ende eines nicht immer ganz einfachen Annäherungsprozesses zwischen beiden Ländern besuchte der französische Staatspräsident Charles de Gaulle im Krisenjahr 1962 die Bundesrepublik und hielt in Ludwigsburg eine Rede an die deutsche Jugend – auf Deutsch, und das war sensationell! Diese Rede gilt zurecht noch heute als Meilenstein der deutsch-französischen Freundschaft. Wie aber dieses komplexe Thema Jugendlichen in einer Tagesveranstaltung verständlich nahebringen? An einem anschaulichen, Neugier und Interesse weckenden Impulsreferat führt kein Weg vorbei. Wie aber Anschaulichkeit und im Wortsinn Begreifbarkeit erzeugen? Wie immer bewähren sich Sachquellen: Ein deutscher und ein französischer Stahlhelm, beide durchschossen, aus dem Ersten Weltkrieg, dem »Großen Krieg«, wie er bis heute in Frankreich genannt wird. Der französische Helm stammt aus Verdun, wo der junge Berufsoffizier de Gaulle 1916 seine dritte Verwundung durch einen deutschen Bajonettstich erhielt und anschließend in deutsche Gefangenschaft geriet, aus der er fünfmal ver-

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Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer im Jahr 1963

geblich zu fliehen versuchte. Das Vorzeigen eines deutschen Bajonetts von 1916 verfehlte seine Wirkung ebenfalls nicht. Ich habe diese Begebenheit deshalb ausführlicher erörtert, weil es alles andere als selbstverständlich ist, dass ein solcher Mann als französischer Staatspräsident Deutschland die Freundschaft anbietet. Und weil damit Neugier und Interesse geweckt waren für die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen. Über die Wirkung der Rede auf sie berichteten eine Zeitzeugin und drei Zeitzeugen, die 1962 als Jugendliche in Ludwigsburg dabei waren. Ihre einhellige Erinnerung: Diese Rede hat uns Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegeben. Sie war so eindrucksvoll, dass sich niemand mehr an das erinnern konnte, was der damalige

Bundeskanzler Adenauer gesagt hatte, oder dass Bundespräsident Heinrich Lübke überhaupt anwesend war. Den haben wir gar nicht bemerkt, so die übereinstimmende Auskunft. Repräsentatives Dabeisein allein führte offensichtlich schon damals zu nichts, genauso wenig wie dürre Worte. De Gaulles Rede war nicht zuletzt auch eine Sternstunde großer politischer Rhetorik mit perfekter Inszenierung, was viele Politikerinnen und Politiker heute leider vermissen lassen. Eine sorgfältige Analyse der Rede bot sich also an, zunächst in kleineren Gruppen und anschließend im Plenum. Welche rhetorischen Stilmittel verwendete de Gaulle zu welchem Zweck und mit welcher Wirkung? Welche finden wir heute noch besonders eindrucksvoll und warum? An welche Formulierungen konnten sich die Zeitzeugen noch erinnern? Neben anderen war es die Satzeinleitung »Man braucht ja nur die Flamme in Ihren Augen zu beobachten…«. Hier sei dem Staatsmann eine kleine Unwahrheit verziehen, denn er war kurzsichtig. Ein General trägt keine Brille, wie de Gaulle sich auszudrücken pflegte. Aber die Augen hatten zweifelsfrei bei vielen geglänzt, wie bei unseren Gästen heute noch zu bemerken war. Und sie hatte motiviert und ihr Leben verändert. Alle vier lernten Französisch in der Schule, zwei arbeiteten oder studierten in Frankreich, und das war damals keineswegs einfach. Unser Ziel war freilich nicht nur die Vermittlung von historischem Wissen. Uns – wie de Gaulle – ging es um die Zukunft beider Völker in Europa und ein wenig Werbung für Europa. Wie aber ein Thema attraktiv gestalten, dem allgemein wenig Gegenliebe entgegengebracht wird? Fragen Sie ihr

Die Ansprache Charles de Gaulles an die deutsche Jugend in Ludwigsburg 1962 kann man auf der Website des SWR anschauen und im Originalton anhören. Link zu dem ca. 14-minütigen Film: www.swr.de/tv/-/id=2798/nid=2798/ did=10197502/t45q52/

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zwischen den welten Publikum! Wir stellten für eine weitere Gruppenarbeit drei Leitfragen: Was stört uns an Europa, was wollen wir von Europa, und was wollen wir von Europa wissen? Die Ergebnisse wurden auf Kärtchen notiert, gesammelt und strukturiert visualisiert. Für die gemeinsame Auswertung, Diskussion und Beantwortung der Gruppenergebnisse hatten wir die Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt eingeladen. Sie symbolisiert auf ganz besondere Weise die deutsch-französische Freundschaft: Sie vertritt als gebürtige Französin Deutschland im Europaparlament. Das wäre vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar gewesen und erstaunte nicht zuletzt die anwesenden französischen Austauschschülerinnen und -schüler. Mit ihr hatten wir eine überaus kompetente und fesselnde Gesprächspartnerin, der vor allem eines vortrefflich gelang: ihrem jugendlichen Publikum Europa näher zu bringen, viele zu begeistern und manche zu einem konkreten Engagement zu bewegen. So jedenfalls das Ergebnis der gemeinsamen Abschlussauswertung und einiger persönlicher Gespräche mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Eine Veranstaltung wie diese ermutigt nicht nur die Teilnehmenden, sondern alle Beteiligten und Mitwirkenden, denen an dieser Stelle herzlichst gedankt sei. Es hat eben etwas, wenn man den Glanz in den Augen sehen kann – oder zumindest daran zu denken und darauf zu hoffen wie einst Charles de Gaulle. Michael Scherrmann und Anna Greve

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XertifiX – Einsatz gegen Kinderarbeit in Indien

Von Walter Schmidt, XertifiX Mit der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens und der Zukunftssicherung der Armen setzte sich die Tagung »Paläste für die Reichen – Krumen für die Armen« vom 21. bis 23. September auseinander. Ein Thema: das Geschäft mit Grabsteinen und der Kampf gegen Kinderarbeit in Indien. Walter Schmidt vom Verein XertifiX aus Freiburg beschreibt, wie seine Organisation dagegen vorgeht. Es begann mit Grabsteinen Seit Mitte der 1990er Jahre kamen immer mehr kleine und mittelständische Steinmetzbetriebe in Deutschland in wirtschaftliche Bedrängnis, da sie mit deutlich billigerer Fertigware aus Indien konkurrieren mussten. Um nicht Konkurs anmelden zu müssen, fassten Freiburger Steinmetze den Entschluss, indisches Material zu kaufen. Damals war es bereits allgemein bekannt, dass in der indischen Teppichindustrie Kinder arbeiteten. Deshalb wollten die Freiburger Steinmetze wissen, ob man auch bei Natursteinen

Die Gefahr, hier Grabsteine zu bekommen, an denen auch Kinder gearbeitet haben, gibt es glücklicherweise nicht mehr - Dank XertifiX.

mit Kinderarbeit rechnen müsse. Sie baten den Misereor-Kinderarbeitsexperten Benjamin Pütter um seine Einschätzung. Dieser ging davon aus, dass es in diesem Bereich kein Problem geben würde, war aber bereit, vor Ort genauer zu recherchieren. Die Recherchen zeigten eine erschreckende Realität: Bei unangekündigten Besuchen in Grabstein-Exportsteinbrüchen fand er Kinder, die an Schlagbohrmaschinen arbeiteten und die Heraustrennung bzw. -sprengung von Steinblöcken durch Bohrlöcher vorbereiteten. Reporter des TV-Senders Arte dokumentierten 2003 die unhaltbaren Zustände und führten einem breiten Publikum die Probleme vor Augen. XertifiX – Einsatz gegen Kinderarbeit bei indischen Natursteinen Im Jahr 2005 wurde XertifiX e. V. gegründet. Das Ziel war, Kinderund Sklavenarbeit in der asiatischen Natursteinproduktion zu bekämpfen

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zwischen den zeiten und sich für bessere Arbeitsbedingungen der erwachsenen Arbeiter einzusetzen. Bekannte Persönlichkeiten wie der ehemalige Arbeitsminister Dr. Norbert Blüm (1. Vereinsvorsitzender) und der Misereor-Hauptgeschäftsführer Prof. Josef Sayer (2. Vorsitzender) trugen den Verein. Bald stellte XertfiX einheimische Inspektoren in Indien ein, die bis heute unangekündigt Steinbrüche und weiterverarbeitende Betriebe kontrollieren, um die Einhaltung der Kriterien sicherzustellen. Importeure aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden XertifiX-Lizenznehmer, in deren Auftrag XertifiX Exportsteinbrüche und –betriebe kontrolliert. 2008 strahlte der WDR die international preisgekrönte Reportage »Kindersklaven« aus. Sie zeigte, dass das Problem Kinderarbeit nicht nur bei Vorbereitung und Verarbeitung von Grabsteinen, sondern bei indischen Natursteinen insgesamt vorkommt. Die Reportage zeichnet den Handelsweg der Pflastersteine von Indien bis zu einem deutschen Importeur nach. Brisant war, dass Steine dieses Importeurs für den Kölner Heumarkt verwendet worden waren. Seitdem lassen sich immer mehr Kommunen in Deutschland bei der Beschaffung von Natursteinen nachweisen, dass keine Kinderarbeit involviert ist. Leider geschieht dies in vielen Fällen nur durch Eigenerklärungen der Händler oder durch zweifelhafte Nachweise aus Indien. Wünschenswert wäre, dass Kommunen unabhängige Nachweise von den Lieferanten einfordern. Herausforderungen Mittlerweile ändern immer mehr Kommunen ihre Friedhofssatzungen, um Grabsteine aus Kinderarbeit auf den heimischen Friedhöfen zu verbieten. Dies ist sehr erfreulich. Es geht dabei nicht nur um die Arbeit durch Minderjährige, sondern auch um zum Teil katastrophale Arbeitsbedingungen der Arbeiter insgesamt. Einheimische Produzenten in Deutschland haben gegenüber diesen Billiganbietern keine Chance. Deutsche Importeure führen derzeit keine indischen Grab-

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steine mit zuverlässigen Zertifikaten wie XertifiX oder SA 8000 (Social Accounability International) nach Deutschland ein. Hier muss der Handel dringend nachsteuern und solche Grabsteine in sein Sortiment mit aufnehmen. In den letzten Jahren hat XertifiX die Erfahrung gemacht, dass durch unangekündigte Kontrollen die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen gewährleistet werden kann: keine Kinderoder Sklavenarbeit, keine Diskriminierung und die Möglichkeit gewerkschaftlicher Arbeit. Leider hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen noch viel zu wenig getan. Deshalb hat XertifiX 2012 die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der erwachsenen Arbeiter als verpflichtenden Aspekt mit in die Zertifizierung aufgenommen. Dies soll einen Beitrag dazu leisten, dass der Handel mit asiatischen Natursteinen grundsätzlich unter faireren Bedingungen stattfindet. Von Anfang an hat XertifiX Wert darauf gelegt, dass Kinderarbeit nicht nur verboten wird, sondern dass den betroffenen Kindern geholfen wird. Hierzu arbeitet XertifiX eng mit dem Hilfswerk Misereor e.V. zusammen, das in Indien mit einheimischen Partnern Sozialprojekte durchführt. Zuletzt hat auch die Fair Childhood Foundation der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Schulprojekt in einer Steinbruchregion in Nordindien gestartet, das durch XertifiX beraten wird. So soll schrittweise geholfen werden, dass das indische Angebot an Schulen, speziell für Migrantenkinder, verbessert wird und eine echte Alternative zur Arbeit in Steinbrüchen gegeben ist. Das Ziel: Kinder von Steinbrucharbeitenden sollen wieder eine Chance auf Kindheit und angemessene Schulbildung bekommen.

Onlinedokumente auf der Internetseite der Akademie Text- und Tondokumente von Vorträgen und Diskussionen aus Tagungen der Evangelischen Akademie Bad Boll können Sie herunterladen und zu Hause lesen oder anhören. Alle Onlinedokumente – Texte und Audio-Dateien – finden Sie unter: www.ev-akademie-boll.de/onlinedokumente

Textdokument Konfuzius entdecken – In den Wandel vertrauen lernen 21.-24. August 2012, Bad Boll Eine Tagung der Sommerakademie befasste sich mit Konfuzius. Dieser große Gelehrte passt weder in die westlichen Schubladen von Philosophie noch von Religion. Er hat jedoch die Kulturen Ostasiens über 2500 Jahre geprägt wie kein anderer. Und heute – in der Ära des Wiedererstarkens Chinas – kann man entdecken, dass Konfuzius auch für unsere Gegenwart und Zukunft Wesentliches zu sagen hat. Den Vortrag von Dr. Henrik Jäger, Hildesheim/Trier Die »große Begegnung« zwischen China und Europa (1600-1750): Ein Katalysator der Aufklärung!? ist im Internet verfügbar.

Weitere Informationen siehe: www.xertifix.de

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onlinedokumente - was kommt..

Dr. Uwe Vorkötter, Berater des Vorstands der Mediengruppe M. DuMont Schauberg hielt die Dinnerspeach

Textdokument Michaelisakademie 30. September 2012 Den Hauptbeitrag der diesjährigen Michaelisakademie hielt Prof. Dr. Birgit Weyel, Lehrstuhl Praktische Theologie an der Universität Tübingen zum Thema Kirche in öffentlicher Verantwortung. Der Vortrag ist online verfügbar.

Audiodokumente Wem sollen wir glauben – Journalisten, Bloggern, Bürgern? Medientage Bad Boll 19.-20. Oktober 2012, Bad Boll In der Rückblende S. 3/4 ist ein Bericht zu den diesjährigen Medientagen veröffentlicht. Sie können dazuhin vier der dort gehaltenen Vorträge online hören (siehe unten). Michael Maurer, Stellvertretender Chefredakteur Stuttgarter Zeitung sprach zum Thema Perspektive der Printmedien.

Robert Schrem, Softwareentwickler und Gründer von fluegel.tv sprach zum Thema Bürger-Journalismus am Beispiel von Stuttgart 21

Was kommt? Tagungen vom 10. Dezember 2012 bis 31. März 2013 Unternehmen und Menschenrechte 10.-11. Dezember 2012, Bad Boll Unternehmen sind für die Einhaltung gesetzlicher Regeln und Bestimmungen haftbar. Sie werden darüber hinaus aber auch für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörungen durch Tochterunternehmen oder Zulieferer verantwortlich gemacht. Die Tagung diskutiert Möglichkeiten und Erfahrungen, den Schutz der Menschenrechte und vergleichbarer Rechtsnormen im unternehmerischen Handeln umzusetzen. Tagungsnummer: 620712 Tagungsleitung: Dr. Dieter Heidtmann Infos: Sybille Kehrer, Tel. (07164) 79-225, Fax 79-5225 sybille.kehrer@ev-akademie-boll.de

Dr. Leif Kramp ist Herausgeber von VOCER und Forschungskoordinator ZEMKI, Zentrum für Medien-, Kommunikations-, und Informationsforschung der Universität Bremen. Er sprach über Mittler zwischen den Kulturen.

Tagungsreihe »Inklusion und Schule« – Teil 2 11.-12. Dezember 2012, Bad Boll Die Veranstaltung bildet den Auftakt einer mehrteiligen Tagungsreihe zu Heterogenität und Inklusion in Schulen. Im Fokus steht die Organisation des Lernens für Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Tagungen zeigen Methoden für Unterricht, Schulentwicklung, Teambildung und die Verbindung von Schule und lokaler Inklusionskultur. Die Veranstaltungen sind einzeln oder als komplette Reihe buchbar. weitere Termine auf Anfrage Tagungsnummer: 501312 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/501312.pdf

Die Beiträge zu den Medientagen finden Sie unter: www.medientagebadboll.tumblr.com

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Auftauchen – Gesicht zeigen! Sichtbarkeit von Lesben im öffentlichen und privaten Raum 13.-16. Dezember 2012, Bad Boll Versteckt leben oder sich outen? Was hindert und was hilft Lesben, Gesicht

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was kommt ... zu zeigen und für gleiche Rechte zu kämpfen? Die Boller Lesben-Tagungen waren und sind der Ort, über Wege zur Sichtbarkeit im privaten, beruflichen, öffentlichen Raum zu diskutieren und sich von guten Vorbildern ermutigen zu lassen. Tagungsnummer: 531212 Tagungsleitung: Susanne Wolf Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Meditatives Tanzen für Frauen 4.-6. Januar 2013, Bad Boll Das Wochenende bietet Gelegenheit zum Tanzen in zwei Gruppen mit je verschiedenem Programm und zum kreativen Tun in einem Workshop. Die Tänze münden ein in den Tanzgottesdienst am Sonntagmorgen. Tagungsnummer: 530213 Tagungsleitung: Susanne Wolf Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Von Afrika lernen Erfahrungen von Christen, die uns herausfordern 7.-10. Januar 2013, Bad Boll Die Mission alter Prägung ist in den Missionswerken längst durch den Dialog und Austausch ersetzt worden. Viele Fachleute aus unserer Landeskirche kennen Afrika und die Kirchen dort aus eigener Anschauung. Wir fragen sie nach ihren Erfahrungen mit afrikanischer Theologie und Spiritualität, nach dem Verhältnis von Glaube und Politik und den Auswirkungen der Globalisierung. Tagungsnummer: 530113 Tagungsleitung: Susanne Wolf Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

(Wie) kann man wissen, was wirkt? Jugendstrafrechtspflegetagung 11.-13. Januar 2013, Bad Boll Das Jugendstrafrecht ist darauf ausgerichtet, wirksam zu sein. Die Bestraften sollen nicht wieder straffällig werden, das ist das Ziel. Was so selbstverständlich klingt, ist bei näherem Hinsehen durchaus komplex: Was genau bedeutet eigentlich Wirksam-

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keit bei jungen straffälligen Erwachsenen? Tagungsnummer: 520113 Tagungsleitung: Kathinka Kaden Infos: Gabriele Barnhill, Tel. (07164) 79-233, Fax 79-5233 gabriele.barnhill@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/520113.pdf

Tagungsreihe »Inklusion und Schule« – Teil 3 Wie kann individualisiertes Lernen in den Fächern gefördert werden? 14.-15. Januar 2013, Bad Boll Wenn nun die Forderung gestellt wird, die Lernenden individuell und inklusiv zu unterrichten, stellt sich für die Lehrenden die Frage: Was muss sich im Unterricht ändern? Getrennt in den drei Fachbereichen Deutsch, Englisch, Mathematik wollen wir uns mit folgenden Aspekten befassen: Veränderung von Haltung und Einstellung bei den Lehrenden; entsprechende Strukturierung des Unterrichts; differenziertes Curriculum; diagnostische Kompetenzen der Lehrenden; veränderte Aufgabenkultur; veränderte Formen der Leistungsmessung. Tagungsnummer: 501313 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Grundrechtsschutz in Europa – Praxis vor Ort. Humanitäres Aufenthaltsrecht für geduldete Flüchtlinge? 18.-19. Januar 2013, Bad Boll Neben Europäischen Richtlinien und Verordnungen werden Grundrechte und Entscheidungen europäischer Gerichte bedeutsam für das nationale Aufenthaltsrecht. Wie verändert das die Rechtsprechung in Baden-Württemberg? Wird künftig die wirtschaftliche und soziale »Verwurzelung« zum Maßstab einer Aufenthaltsgewährung? Diesen Fragen wird die Tagung nachgehen und am Beispiel Afghanistan vertiefen. Tagungsnummer: 430113 Tagungsleitung: Simone Helmschrott, Dr. Manfred Budzinski, Ottmar Schickle

Infos: Reinhard Becker, Tel. (07164) 79-217, Fax 79-5217 reinhard.becker@ev-akademie-boll.de

Bibel, Spaten und Geschichte Erkenntnisse und Irrtümer der biblischen Archäologie 19.-20. Januar 2013, Bad Boll Was erforschen biblische Archäologen wirklich? Ein archäologisches Methodenseminar mit historischen Bezügen. Die Tagungen zur Biblischen Archäologie führen in aktuelle theologische Themen und Ausgrabungen im Nahen Osten ein. Sie ermöglichen ein vertieftes Verständnis der Bibel. Tagungsnummer: 500613 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Tagungsreihe »Inklusion und Schule« – Teil 4 Anspruch auf gemeinsamen Unterricht; Berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung 23.-24. Januar 2013, Bad Boll Anmeldungswege zum Gemeinsamen Unterricht, sonderpädagogischer Bildungsanspruch, Bildungswegekonferenzen, Außenklassen, Inklusionsklassen, Einzelintegration, Schulbegleitung, Eingliederungshilfe. Diese Begriffe werden erklärt und durch viele Praxisbeispiele mit Leben gefüllt. Sie erfahren, welche Formen und Modelle inklusiven Unterrichts es gibt, welche Rolle und Aufgaben sie dabei haben, und wie und wo sie Unterstützung und zusätzliche Ressourcen erhalten können. Tagungsnummer: 502113 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Pferdehaltung als zukunftsfähige Form der Landwirtschaft 25. Januar 2013, Bad Boll Die Pferdehaltung gilt gerade in stadt-nahen Gebieten als zukunftsfähige Form der Landwirtschaft. Viele Betrie-be haben auf die Haltung von Pferden umgesattelt. Wie haben sich dadurch die Ansprüche an Wiesen und Weiden geändert? Welche Folgen SYM 4/2012


was kommt ... ergeben sich für pferdehaltende Betriebe, wenn immer mehr Grünland zu Äckern wird, auf denen Energiepflan-zen angebaut werden? Tagungsnummer: 610513 Tagungsleitung: Dr. Regina Fein Infos: Romona Böld, Tel. (07164) 79-347, Fax 79-5270 romona.boeld@ev-akademie-boll.de

Abitur – und dann? Tagung für Schülerinnen und Schüler der Klassen 12 und 13 25.-27. Januar 2013, Bad Boll Eine Gelegenheit, mit Menschen aus mehr als 30 Berufen, mit Studienund Berufsberatern sowie mit Vertretern von Freiwilligendiensten und Stiftungen in Kontakt zu treten und eigenen Fragen zur beruflichen Zukunft nachzugehen. Außerdem gibt es Talkrunden, Referate, Diskussionen und Theatersport. Tagungsnummer: 360113 Tagungsleitung: Marielisa von Thadden, Gerald Büchsel Infos: Heidi Weiser, Tel. (07164) 79-204, Fax 79-5204 heidi.weiser@ev-akademie-boll.de

Vernissage Norbert Huwer 27. Januar 2013, Bad Boll siehe S. 6 Anwalt des Kindes Fort- und Weiterbildung zum Verfahrensbeistand - Block I 28. Januar - 1. Februar 2013, Bad Boll Wenn das Interesse eines Kindes in erheblichem Gegensatz zu dem seiner gesetzlichen Vertreter steht, steht ihm oder ihr vor dem Familiengericht ein »Anwalt des Kindes« bei. Die Akademie bietet diesen hochschulzertifizierten Fort- und Weiterbildungskurs zum Verfahrensbeistand nach den Richtlinien der Bundesarbeitsgemeinschaft für Verfahrensbeistandschaft (BAG) an. Block II: 15. bis 21. April, Block III: 1. bis 5. Juli Tagungsnummer: 520213 Tagungsleitung: Kathinka Kaden Infos: Gabriele Barnhill, Tel. (07164) 79-233, Fax 79-5233 gabriele.barnhill@ev-akademie-boll.de

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Recht auf Dolmetschen und Übersetzungen in Gerichtsverfahren Wann und wie wird die Richtlinie der EU in Deutschland umgesetzt? 8.-10. Februar 2013, Bad Boll Verdächtige und Beschuldigte haben seit Oktober 2010 in der Europäischen Union das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren. Diese Richtlinie soll bis 27. Oktober 2013 in Deutschland in nationales Recht umgesetzt sein. Wie kann das gelingen – im Bund und in den Ländern? Und: Wie steht es um die Rechte der Opfer? Tagungsnummer: 521613 Tagungsleitung: Kathinka Kaden Infos: Gabriele Barnhill, Tel. (07164) 79-233, Fax 79-5233 gabriele.barnhill@ev-akademie-boll.de

Beteiligungsprozesse mit Dynamic Facilitation moderieren. Fortbildung für die Moderation von BürgerInnenräten in Baden-Württemberg 18.-20. Februar 2013, Bad Boll Die insgesamt 3-tägige Fortbildung bietet Theorie und Praxis mit Trainingsphasen zur Anwendung von Dynamic Facilitation in sog. BürgerInnenräten. Sie eignet sich für schwierige oder komplexe Beratung in größeren Gruppen oder in Kommunen. Mit ihr sollen Beteiligungsprozesse angestoßen werden - ein Stück Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft in Baden-Württemberg. Tagungsnummer: 330213 Tagungsleitung: Sigrid Schöttle Infos: Marion Heller, Tel. (07164) 79-229, Fax 79-5229 marion.heller@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/330213.pdf

Tagungsreihe »Inklusion und Schule« - Teil 5 Teamentwicklung, Zusammenarbeit als Faktor für Entlastung der Arbeit 18.-19. Februar 2013, Bad Boll Starke Organisationen sind erfolgreich, ihre Mitglieder sind gesund und fühlen sich wohl. Voraussetzung dafür ist die vertrauensvolle stabile soziale Beziehung zwischen den Mitgliedern, gemeinsame Überzeugungen und Werte, gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung.

Das Lehrer/innenteam kann der Ort wechselseitiger Unterstützung und sozialer Anerkennung sein. Es bildet die Basis für Entlastung und Erfolg. Teamarbeit will gelernt sein. Tagungsnummer: 500313 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Was bedeuten Arbeit und Zeit für eine solidarische Gesellschaft? Impulse des Denkens von Eugen Rosenstock-Huessy und Ernst Bloch 22.-23. Februar 2013, Bad Boll Für ein solidarisches Miteinander brauchen wir Zeiten, die wir mit anderen teilen und Zugang zu Arbeit, die uns erfüllt. Die Tagung bietet Raum zum Nachdenken: darüber, was sich ändert, wer etwas ändert und wie wir gemeinsam etwas verändern können in Gesellschaft und Arbeitswelt. Dabei lassen wir uns vom Denken des Soziologen Eugen Rosenstock-Huessy und des Philosophen Ernst Bloch inspirieren. Tagungsnummer: 250413 Tagungsleitung: Esther Kuhn-Luz, Welf Schröter, Forum Soziale Technikgestaltung Infos: Simon Lademann, Tel. (0711) 2068-261, Fax 2068-345 simon.lademann@ev-akademie-boll.de

Wie wirksam sind Mikrokredite? Mittel zur Armutsbekämpfung oder Schuldenfalle 22.-24. Februar 2013, Bad Boll Über eine Milliarde Menschen leben weltweit in Armut und ohne Zugang zu Finanzdienstleistungen. Mikrokredite gelten als wirksames Instrument, um Menschen aus der Armut zu helfen. In letzter Zeit mehrt sich aber die

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was kommt ... Kritik: Mikrokredite lockten Arme nur in die Schuldenfalle. Was ist dran an diesen Vorwürfen? Wie kann sichergestellt werden, dass Mikrokredite tatsächlich aus der Armut helfen? Tagungsnummer: 620213 Tagungsleitung: Dr. Dieter Heidtmann Infos: Sybille Kehrer, Tel. (07164) 79-225, Fax 79-5225 sybille.kehrer@ev-akademie-boll.de

Tagungsreihe »Inklusion und Schule« – Teil 6 Tablet PCs im Unterricht für Kinder mit und ohne Behinderung 26.-27. Februar 2013, Bad Boll Der Tablet PC bietet Möglichkeiten, Schüler und Schülerinnen individuell arbeiten zu lassen. Methoden kreativen Arbeitens stehen im Mittelpunkt: Filme und Berichte produzieren, recherchieren und kommunizieren. Gerade Kindern mit Behinderung bieten die aktuellen Geräte eine Anzahl von Hilfestellungen: Internettexte blitzschnell vorlesen lassen, Schriftgrößen variieren, Bedienung je nach Notwendigkeit der Gliedmaßen umstellen, einfache Verbindung zur Braille Tastatur, Steuern mit Kopfbewegungen. Tagungsnummer: 502023 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Respekt am Arbeitsplatz IV. Mobbing-Kongress 1.-3. März 2013, Bad Boll In den Betrieben hat sich die Konfliktund Belastungssituation weiter verschärft. Gesundheitliche und psychische Auswirkungen treten immer deutlicher zutage. Umso notwendiger ist ein respektvoller Umgang untereinander. Wir stellen auf dieser Tagung Wege zu einer konstruktiven Konfliktkultur vor, für die politische Veränderungen notwendig sind – insbesondere im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Tagungsnummer: 210113 Tagungsleitung: Karin Uhlmann, Josef Krebs, Martin Zahnert, Klaus-Peter Spohn-Logé Infos: Claudia Zimmermann, Tel. (07131) 98233-14, Fax -23 claudia.zimmermann@ev-akademie-boll.de

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Zwischen Befristung und Überlastung. Prekäres Arbeiten in der Wissenschaft 2. März 2013, Bad Boll Im internationalen Vergleich ist die Zahl der befristeten Verträge im Bereich des „Mittelbaus“ an Universitäten in Deutschland besonders hoch. Von Doktoranden wird oft erwartet, dass sie neben ihrer Promotion in der Lehre tätig sind und sich an Forschungsvorhaben des Lehrstuhls beteiligen. Die Tagung möchte den dringendsten Veränderungsbedarf erheben und Umsetzungsmöglichkeiten diskutieren. Tagungsnummer: 410613 Tagungsleitung: Dr. Günter Renz, Dr. Regina Fein Infos: Susanne Heinzmann, Tel. (07164) 79-212, Fax 79-5212

Tagungsreihe »Inklusion und Schule« – Teil 7 Das Team-Kleingruppen-Modell 14.-15. März 2013, Bad Boll Als Organisationsform ist das TeamKleingruppen-Modell (TKM) eine äußerst hilfreiche Voraussetzung für erfolgreiches, pädagogisch begründetes Handeln in der Schule. Eltern, Kinder und Jugendliche sowie Lehrerinnen und Lehrer sind gleichermaßen beteiligt. Eine kleine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen ist für eine Klasse verantwortlich, so dass die Zahl der Bezugspersonen überschaubar ist. Tagungsnummer: 501413 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342

susanne.heinzmann@ev-akademie-boll.de

Privater Reichtum, öffentliche Armut. Verteilungsgerechtigkeit in Zeiten der öffentlichen Spardebatte 15.-16. März 2013, Bad Boll Die zunehmende Spaltung in Arm und Reich hat eine Diskussion über Umverteilungspolitik befeuert, die lange Zeit tabu war. Ist der Staat angesichts der Überschuldung der öffentlichen Haushalte noch handlungsfähig? Was gegen die Schieflage zu tun ist und wie Steuererhöhungen aussehen könnten, diskutieren wir auf der Grundlage von Einschätzungen aus Wissenschaft und Politik Tagungsnummer: 240213 Tagungsleitung: Dagmar Bürkardt, Karl-Ulrich Gscheidle Infos: Wilma Hilsch, Tel. (07164) 79-232, Fax 79-5232

Abschied von der Erwerbsarbeit. Aufbruch ins Morgen – Weichen stellen 6.-9. März 2013, Bad Boll Altersteilzeit, Vorruhestand und Ruhestand sind verbunden mit dem Abschied aus vielen Rollen und Beziehungen. Den Abschied ernst zu nehmen und die Chancen der neuen Lebensphase in Beziehung, Freizeit und Engagement für andere zu erkennen, ist das Ziel des Seminars. Tagungsnummer: 760113 Tagungsleitung: Sigi Clarenbach, Werner Kollmer Infos: Heidi Weinmann, Tel. (0711) 351459-30, Fax 351459-55 heidi.weinmann@ev-akademie-boll.de

brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

wilma.hilsch@ev-akademie-boll.de

Tierschutz in Europa 8.-10. März 2013, Bad Boll Auch im Tierschutz werden Gesetze der EU immer wichtiger, ebenso wie grenzüberschreitende Initiativen. Doch (wie) funktioniert Tierschutz in Europa? Von welchem Land lässt sich etwas lernen? Tagungsnummer: 520313 Tagungsleitung: Kathinka Kaden Infos: Gabriele Barnhill, Tel. (07164) 79-233, Fax 79-5233 gabriele.barnhill@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/520313.pdf

Jugendliche beim Berufseinstieg begleiten. Neue Ansätze, Bedingungen, Erfahrungen im fachlichen BEB-Austausch 15. März 2013, Bad Boll Die Tagung bietet Gelegenheit zum fachbezogenen Austausch von Profis und Ehrenamtlichen, die mit Jugendlichen beim Übergang von Schule zu Beruf arbeiten. Die aktuellen Veränderungen in der Schullandschaft und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Begleitung beim Berufseinstieg werden praxisorientiert beleuchtet. SYM 4/2012


was kommt - rezept Tagungsnummer: 330413 Tagungsleitung: Sigrid Schöttle Infos: Marion Heller, Tel. (07164) 79-229, Fax 79-5229 marion.heller@ev-akademie-boll.de

Baden-Württembergischer Streitschlichter-Kongress 20.-22. Marz 2013, Bad Boll Streitschlichter-Programme sind an vielen Schulen erfolgreich etabliert. Streitschlichter wollen begleitet werden, suchen neue Impulse und brauchen Motivation. Der Kongress bietet die Möglichkeit, sich in Vorträgen und Workshops weiterzubilden, Erfahrungen auszutauschen und mit qualifizierten Mediatorinnen und Mediatoren intensiv in Gruppen zu arbeiten. Tagungsnummer: 310313 Tagungsleitung: Gerald Büchsel Infos: Andrea Titzmann, Tel. (07164) 79-307, Fax 79-5307

nicht in der Darstellung. Er die architektonische Formsprache, um Emotionen und Stimmungen auszudrücken. Tagungsnummer: 936113 Tagungsleitung: Susanne Wolf Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342

lässt. Theorie- und Praxiseinheiten setzen konkret an der persönlichen Situation der Teilnehmenden an. Tagungsnummer: 450113 Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers Infos: Wilma Hilsch, Tel. (07164) 79-232, Fax 79-5232

brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

wilma.hilsch@ev-akademie-boll.de

Jordanien entdecken Alte Kulturen – atemberaubende Wanderungen – intensive Begegnungen. Akademiereise 25. März - 4. April 2013, Entdecken Sie ein faszinierendes Land mit alten Kulturen und einer pulsierenden Hauptstadt. Drei Bergtouren

reinhard.becker@ev-akademie-boll.de

Vernissage Karl-Heinz Bogner 24. März 2013, Bad Boll Zeichnungen und Grafiken zeigt der Stuttgarter Künstler Karl-Heinz Bogner. Der diplomierte Architekt nutzt architektonische Bild- und Formwelten, bricht aber mit dem starren System der Bauskizzen. Er lässt sich von Gebäuden und Räumen inspirieren, doch seine Bearbeitung erschöpft sich SYM 4/2012

ergibt 10 Stücke Zutaten geputzt gewogen 300 gr

andrea.titzmann@ev-akademie-boll.de

Drehscheibe Türkei - Syrienkrise und Flüchtlingspolitik Humanitäre Hilfe als Ausdruck politischer Neuausrichtung? 23.-24. März 2013, Bad Boll Im Laufe der Syrienkrise nahm die Türkei mehrere Rollen ein: Mittler, humanitärer Helfer, militärischer Akteur. Doch mit welchen politischen Interessen und Zielen? Und wie verändert sich derzeit die Situation von Flüchtlingen und die Flüchtlingspolitik? Politologische Einschätzungen werden in Beziehung gesetzt zu den konkreten Erfahrungen zivilgesellschaftlicher und humanitärer Arbeit vor Ort. Tagungsnummer: 430213 Tagungsleitung: Simone Helmschrott Infos: Reinhard Becker, Tel. (07164) 79-217, Fax 79-5217

Kürbis-Zwiebelkuchen

Amphitheater in Amman

führen uns in atemberaubende Landschaften und natürlich nach Petra, die märchenhafte Stadt der Nabatäer. Begegnungen mit Einheimischen öffnen uns die Augen für die Probleme und Chancen dieses kleinen Landes, das Palästinensern wie Irakern und jetzt syrischen Flüchtlingen zur Zufluchtsstätte wurde. Der Termin kann sich noch geringfügig ändern, liegt aber in den Osterferien. Tagungsnummer: 100113 Tagungsleitung: Martina Waiblinger Infos: Monika Boffenmayer, Tel. (07164) 79-305, Fax 79-5305 monika.boffenmayer@ev-akademie-boll.de

Verantwortungsbewusstes Führen und Entscheiden. Selbst- und Zeitmanagement im Berufsund Privatleben 25.-27. März 2013, Bad Boll Praktische Ethik für Menschen in Entscheidungssituationen. In diesem Seminar zeigen qualifizierte Trainerinnen, wie sich dieses Modell schrittweise üben und konkret anwenden

Hokkaido- oder Muskatkürbis 300 gr Zwiebeln, fein gewürfelt 20 ml Öl 40 gr Kürbiskerne, geröstet 250 gr Mehl 0,6 EL Backpulver 1 Ei 100 gr saure Sahne 100 gr sehr weiche Butter 1 Prise Zucker, 1 EL Salz, 0,1 EL frisch gemahlener Pfeffer, 1/2 EL Thymian, getrocknet oder frisch, 2 EL Senf Zubereitung Kürbis fein raspeln. Zwiebeln in Öl fast gar dünsten. Mehl und Backpulver mischen. Eier und Gewürze schaumig rühren. Nach und nach saure Sahne, Senf und sehr weiche Butter dazurühren. Mehlmischung nach und nach unterrühren. Kürbis raspeln, ausgekühlte Zwiebeln und Kürbiskerne unter den Teig mischen. Auf gefettete schwarze Bleche ca. 3 cm hoch verteilen 160° C ca. 30 Min. backen Dazu sollte unbedingt eine Joghurtsoße serviert werden. Guten Appetit! Ihre Marianne Becker

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aus der akademie

Aus der Akademie Wir verabschieden Viktoria Pum, Studienleiterin Gesellschaftspolitische Jugendbildung Ursprünglich war vorgesehen, dass Viktoria Pum – damals noch Viktoria Scherr – ab Sommer 2007 nur für ein Jahr an die Evangelische Akademie Bad Boll kommen sollte – als Elternzeitvertretung für Sigrid Schöttle. Diese eigentlich begrenzte Zeit weitete sich auf fünf Jahre aus. Viktoria Pum hatte in Tübingen und später in Münster Pädagogik studiert mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung

und außerschulische Jugendbildung. Ihr Diplom bekam sie 2006. Danach arbeitete sie an zwei Studien am Lehrstuhl für Religionspädagogik in Tübingen, zum einen an einer Studie der Landeskirche zur Konfirmandenarbeit und zum anderen an einer Studie zur interkulturellen, interreligiösen Bildung in Kindertagesstätten. Am Anfang war Viktoria mit Abstand die jüngste Studienleiterin in der Akademie. Sie musste mit der Frage leben: »Ach, Du bist die neue Praktikantin«? Es gab Kolleginnen und Kollegen, die arbeiteten schon in der Akademie, als sie noch gar nicht auf der Welt war. Dies änderte sich aber bald: »Als klar war, dass ich keine Praktikantin bin, wurde ich schnell die Kollegin«.

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Zu Beginn lag der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Tagungen mit Jugendlichen. Im Herbst kommen immer Gruppen aus weiterführenden Schulen, z. B. Berufsfachschulen und weiterführenden Gymnasien in die Akademie. Bei diesen Tagungen geht es darum, den Übergang von der Schule in den Beruf vorzubereiten und den Neuanfang mit ihnen zu gestalten. Nach dem 1. Jahr wurde der Vertrag von Viktoria Pum auf einer halben Stelle bis Sommer 2013 verlängert. Seit 2007 ist sie verheiratet und 2010 wurde Lukas geboren. Neben den Tagungen mit Jugendlichen bildeten sich auch andere Schwerpunkte heraus – wie die Arbeit mit Multiplikatoren und Multiplikatorinnen. 2008 leitete sie den Fachtag »Schule verändert sich – die Evangelische Jugendarbeit gestaltet mit«. Daraus entstand die Publikation: »Evang. Jugendarbeit gestaltet Schule.« Aus der Fachtagung »Erlebnispädagogik im christlichen Kontext« im März 2009 entstand das Buch »Erlebnispädagogik im christlichen Kontext. Religionspädagogische Perspektiven«, das 2011 in der edition akademie 27 erschienen ist. Zuletzt hat Viktoria Pum an einer Praxishilfe für die Kooperation von Kirche, Jugendarbeit und Schule in BadenWürttemberg mitgearbeitet, die im Herbst unter dem Titel »Lebens-Werte entdecken« veröffentlicht wurde (s. S. 23). Hieraus ergibt sich für sie Klammer ihrer Arbeit, da sie mit dem Thema Jugendarbeit und Schule eingestiegen ist und mit der Veröffentlichung einen Abschluss bildet. Seit Mitte November ist Viktoria Pum im Schwangerschaftsurlaub. Sie geht mit einem »lachenden und einem weinenden Auge.«, meint sie. »Nach fünf Jahren ist eine gute Zeit, etwas Neues anzufangen.« Martina Waiblinger

Publikationen Halbjahresprogramm 1/2013 77 Tagungen und Studienreisen veranstaltet die Evangelische Akademie Bad Boll im ersten Halbjahr 2013. Zu den Schwerpunkten gehört die Frage nach der Verteilung des Wohlstands: Mehrere Tagungen widmen sich der Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland, der Ausbreitung von Niedriglöhnen und der Altersarmut. Demografischer Wandel und Inklusion, Nachhaltigkeit und Fragen der globalen Gerechtigkeit sind weitere Punkte auf der Akademie-Agenda – ebenso wie die Lage von Flüchtlingen besonders in Syrien und der Türkei sowie der christlich-islamische Dialog. Ein Fachtag im April beleuchtet die Therapieangebote für Menschen mit dem sogenannten Messie-Syndrom. Unter dem Titel »Sammeln bis zur Einsamkeit« diskutieren Mediziner, Therapeuten und Betroffene über Erfolge und offene Fragen. Am 10. Todestag der Theologin Dorothee Sölle, dem 27. April 2013, steht ihr Werk im Mittelpunkt einer Akademietagung. Vor der Bundestagswahl zieht die Tagung »Gleichstellung geht anders« vom 28. bis 30. Juni eine kritische Bilanz der Gleichstellungspolitik der Bundesregierung. Eine Übersicht aller Veranstaltungen finden Sie im Internet unter: www.ev-akademie-boll.de/programm. Oder Sie bestellen das gedruckte Halbjahresprogramm kostenlos bei: Monika Boffenmayer, 07164-79305, pressestelle@ev-akademie-boll.de

Rezension »Schöner Wohnen« Millenium-Enwicklungsziele nachgefragt Als zum Jahr 2000 die Vereinten Nationen acht globale Entwicklungsziele (MDG) verkündeten, wurden in der Evangelischen Akademie etliche begleitende Tagungen durchgeführt.

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buchtipps – aus dem archiv Danach wurde es stiller, zumal sich abzeichnete, dass diese nicht vollständig erreicht werden können. Nun – drei Jahre vor Fristende – legen Geographen einige Analysen dazu vor. Darunter ist besonders bemerkenswert der Aufsatz von Studienleiterin Dr. Regina Fein, die selbst in Äthiopien eigene Forschungen durchgeführt hat. Unter dem Titel »Schöner Wohnen« – es geht natürlich um verbesserte Wohnbedingungen im Rahmen des 7. Milleniumziels – berichtet sie von zwei grundsätzlich verschiedenen Wohnprojekten in Addis Abeba. In diese Millionenstadt strömen weiterhin Menschen vom Land, die sich zunächst in den wuchernden Slums einrichten. Sie vergleicht nun die Strategie einer äthiopischen Nichtregierungsorganisation (IHA-UDP) mit staatlichem Wohnungsbau. Erstere setzt auf die Verbesserung traditioneller Bauweise unter Beteiligung der Bevölkerung, kann aber auf externe Geldgeber nicht verzichten. Die andere Strategie setzt auf mehrstöckige »Condominium-Wohnungen«. Beide Projekte bieten tatsächlich erkennbare Verbesserungen, wenn auch die Finanzierung problematisch bleibt. An den geschilderten Details der Projekte sieht man, dass die Bewohner durchaus kreative Problemlösungen finden, auch wenn diese nicht immer den Vorstellungen der Planer entsprechen. Vermutlich werden sie in bessere Wohnungen umziehen, wenn sie Arbeit finden und sie sich leisten können. Regina Fein: Schöner Wohnen als Entwicklungsziel – Einschätzungen aus Addis Abeba, in: Geographische Rundschau 11/ 2012, Westermann Verlag Braunschweig, S. 20–27.

Buchtipps »Lebens-Werte entdecken«: Praxishilfe für die Kooperation von Kirche, Jugendarbeit und Schule in Baden-Württemberg, 2012 Neben grundlegenden Informationen für das Gelingen einer Kooperation sind in der Broschüre 26 gelungene SYM 4/2012

Kommentare zum Schwerpunkt Es war einmal … ein Ugander in Deutschland

Praxisprojekte dokumentiert. Ziel der 80-seitigen ökumenischen Praxishilfe ist es, Schulen, Kirchengemeinden und Jugendverbände zu weiteren Kooperationen zu ermuntern. Sie enthält einen Beratungsgutschein sowie zahlreiche praktische Informationen. Herausgeber sind die evangelischen Landeskirchen in Württemberg und Baden sowie die katholischen Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg. Die Praxishilfe kann kostenlos bestellt oder im Internet heruntergeladen werden unter: www.kirche-jugendarbeit-schule.de

Zum Beitrag »Gegen, alles, was wir gelernt haben. Israelische Realitäten zwischen den Welten«, S. 13 Breaking the Silence: Israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten Breaking the Silence (Autor), Barbara Kunz (Übersetzung) Econ Verlag, 410 Seiten, 2012

Zum Beitrag »Wer hat Eislingen wachgeküsst? Wie Tina Stroheker die Worte in die Stadt brachte«, S. 11 »meine blaue teekanne bleibt mir treu«. Der Eislinger Poetenweg von Tina Stroheker (Hrsg.) eislinger edition, 2012

Zum Beitrag »Begegnung mit dem Großvater. Bettina Wilhelm und ihr Film Wandlungen«, S. 10 »Wandlungen. Richard Wilhelm und das I Ging« von Bettina Wilhelm DVD, 87 Minuten, 2012

Anfang des Jahres war ich für einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt in Ugandas Hauptstadt Kampala. Eines Tages fragte ich während einer Unterhaltung meinen dortigen ugandischen Kollegen, der einige Jahre in Deutschland studiert hatte, was sein verrücktestes Erlebnis dort war. Er musste nicht überlegen und fing gleich an zu erzählen: »In meiner ersten Woche in Deutschland wollte ich die Stadt, in der ich studierte, erkunden. Mein deutscher Mitbewohner hielt mich auf, als ich zur Tür hinaus wollte und sagte, er wolle mich nur vorwarnen; wenn ich in ein Geschäft wolle, mit automatisch aufgleitenden Türen, hätte ich ein Problem, weil sich diese Türen nur für Weiße öffnen würden. Zwar wunderte ich mich, wie das technisch funktionieren sollte, doch mir war so vieles neu und auch fremd in diesem Land, dass ich keinen Augenblick an der Wahrheit seiner Aussage zweifelte. Ich erkundete also die Stadt, es begann zu regnen und ich beschloss daher mich im Einkaufszentrum näher umzuschauen. Als ich vor dem Eingang stand und die auf- und zugleitenden Türen sah, blieb ich erst einmal stehen, um zu beobachten. Zahlreiche Leute gingen ein und aus, aber kein Schwarzer war unter ihnen, also blieb ich wartend im Regen stehen. Ich beobachtete Asiaten und Türken, wie sich die Türen für sie öffneten. Und schließlich öffneten sich die Türen sogar für einen Hund. Da dämmerte es mir allmählich, dass mich mein Mitbewohner wohl reingelegt hatte, also bewegte ich mich zögerlich auf den Eingang zu und siehe da, die beiden Glasscheiben glitten auch für mich zur Seite«. Und wenn sich die Technik in diesem Bereich nicht revolutioniert und der Rassismus sich nicht immens ver-

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kommentare aus büchern schärft hat, dann öffnen sich die automatischen Türen auch heute noch für Jedermann. Franziska Höfler, zur Zeit Praktikantin in der Evangelischen Akademie Bad Boll

Wer hat die Uhr, wer hat die Zeit? Seit vielen Jahrzehnten ist die Evangelische Akademie auch ein Treffpunkt für Menschen aus aller Welt. Besucher aus der Ökumene, Experten aus vielen Ländern, Teilnehmer an internationalen Tagungen, ausländische Studierende oder Menschen mit Migrationshintergrund kommen in unser Haus und damit treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Deutsche Pünktlichkeit trifft auf orientalische oder mediterrane Gelassenheit und die Bedürfnisse entspannter Tagungsteilnehmender auf die Angespanntheit von Studienleitenden, die ihr Programm in Gefahr sehen oder Mitarbeiterinnen aus der Küche, dem Speisesaal, der Hausreinigung, die ihre Arbeitspläne durcheinander gebracht sehen. Teilnehmende, die statt pünktlich zur nächsten Einheit zu erscheinen, entspannt beim Frühstück oder Kaffee sitzen bleiben und miteinander plauschen. Da bleibt als Tagungsleiterin nur freundliches Zureden, erneute Ansagen oder als letztes Mittel der Gong. Es ist nicht einfach, so unterschiedliche Verhaltensweisen unter einen Hut zu bringen und immer allen gerecht zu werden. So gilt es etwa auch an den nächsten Referenten zu denken, der ebenfalls wartet und besorgt auf die Uhr sieht und rechnet, ob er bei der schwindenden Zeit noch das ganze Referat halten kann. Der Referent muss also beruhigt werden, die Teilnehmenden höflich aus dem Speisesaal komplimentiert werden, die Mitarbeiterinnen um Verständnis gebeten werden und zumindest nach außen Gelassenheit bewahrt werden. In unseren Seminaren zum Thema der interkulturellen Kommunikation versuchen wir den ausländischen Teilnehmenden auch die in Deutschland so wichtige Pünktlichkeit ans Herz zu legen. In den Gesprächen miteinander wird dann immer schnell klar, dass

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diese deutsche Tugend in Ländern, in denen der Bus kommt, wenn er kommt und nicht dann, wenn der Fahrplan es vorsieht, höchst befremdlich wirkt. Die Teilnehmenden erfahren, dass es unterschiedliche Verstehensweisen der Zeit gibt. In der westlichen Welt stellen wir uns die Zeit linear vor, das heißt, wir kennen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Was war, ist vorbei, kommt nicht wieder, ist verloren. Viele andere Gesellschaften sehen das anders. Manche Völker kennen weder Vergangenheit noch Zukunft als Begriff. Andere haben eine circuläre Vorstellung, in der Zeit sich wiederholt. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: »Die Europäer haben die Uhren, die Afrikaner die Zeit.« Es gilt Unterschiede wahrzunehmen, sie zu achten und erträgliche Lösungen für alle zu finden – nicht nur in der Akademie! Marielisa v. Thadden, Studienleiterin

Aus Büchern aus: Die Seele Chinas von Richard Wilhelm, marix verlag, 2009, S. 236 »Fragen wir nach den Erfolgen der Missionstätigkeit. Sie sind verschieden, je nach den Persönlichkeiten und den von ihnen angewandten Methoden. Es ist klar, dass, wenn ein noch so wohlmeinender Mann von beschränktem Gesichtskreis in ein hochkultiviertes Land wie China kommt und damit beginnt, die ganze jahrtausendalte Kultur in Frage zu stellen und als Teufelswerk zu bezeichnen, er keinen Anhang unter den geistig hochstehenden Schichten finden wird. So waren es denn zunächst meist Menschen, die innerhalb des chinesischen Kulturzusammenhangs zu den Ausgestoßenen gehörten, die sich der Mission anschlossen. Die Mission bot finanzielle Vorteile, sie gewährte freie Verpflegung und Unterricht für ihre Zöglinge, oft bekamen die Eltern sogar noch eine Entschädigung. Auf diese Weise lassen sich überall Proselyten machen! ... Natürlich kam auf diese Weise weder das chinesische Volk noch die Mission

zur Ruhe. Es war ein Circulus Vitiosus. Der Missionar bedrängte den Beamten zugunsten seiner Christen und drohte mit Kanonenbooten. ... Der Beamte gab nach und drückte auf die Bevölkerung, dass die Christen recht behielten. Die Bevölkerung brach, wenn sich die Misshandlungen gehäuft hatten, in irgendeinem lokalen Aufstand los, brannte die Missionsstationen nieder und schlug wohl auch einen Missionar tot. Dann griffen die fremden Mächte ein ... und die Dinge begannen wieder von vorn.«

Impressum SYM – Magazin der Evangelischen Akademie Bad Boll 9. Jahrgang 2012, Heft 4/2012 ISSN: 1613-3714 Herausgeber: Evangelische Akademie Bad Boll (Dr. Günter Renz) Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Martina Waiblinger Redaktion und Gestaltung: Martina Waiblinger Fotonachweis: Wilhelm Bühler, Stadtwiki Karlsruhe Badische Sportjugend Freiburg: S. 4; Thilo Fitzner: S. 5; Dali‘, Salvator (1904-1989): The Persistence of Memory, 1931. New York Museum of Modern Art (MoMA) Oil on canvas, (24,1 x 33 cm). Given anonymously, Acc. N.: 162. 1934. ©2012. Digital image, The Museum of Modern Art, NewYork/Scala, Florence. Digital image ©2012 MOMA, NY/SCALA, Florence: S. 7; Simone Helmschrott: S. 13; Katja Korf: S. 2, 16, 17; Benjamin Pütter: S. 15; Martina Waiblinger: S. 2, 4, S. 11, 12, S. 25, U 4; Website des Films Wandlungen: S. 10; SYM erscheint vierteljährlich. Anschrift des Herausgebers: Evangelische Akademie Bad Boll Akademieweg 11, 73087 Bad Boll Tel. (07164) 79-0 E-Mail: info@ev-akademie-boll.de Redaktion: martina.waiblinger@ ev-akademie-boll.de Tel. (07164) 79-302 www.ev-akademie-boll.de Das Papier wurde chlorfrei und säurefrei gebleicht. Druckerei: Mediendesign Späth GmbH, 73102 Birenbach

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Sich lernend und übend auf den Weg machen Der Meister sprach: »Lernen und fortwährend üben: Ist das denn nicht auch befriedigend? Freunde haben, die aus fernen Gegenden kommen: Ist das nicht auch fröhlich? Wenn die Menschen einen nicht erkennen, doch nicht murren: Ist das nicht auch edel?« »Glück liegt in der Beschränkung« übertitelt Richard Wilhelm diesen Spruch. Man sagt, im Christentum sei wenig vom Glück die Rede, es gehe eher um Leiden, Verzicht und himmlische Seligkeit. Ich halte das für ein Missverständnis des Evangeliums. Das rührt nicht zuletzt daher, dass Luther in der Bergpredigt Jesu von »Seligpreisungen« spricht. Das ist aber eine ungenaue Übersetzung. »makarioi« sind die Glücklichen. So auch korrekt in der lateinischen Vulgata: »beati«. Bei Homer wurden die Götter so genannt, die frei sind von Arbeit, Sorge und Tod. Was Jesus auf vermutlich aramäisch wirklich gesagt hat, wissen wir nicht. Wir haben seine Worte nur als spätere Überlieferung. Das ist bei Konfuzius genauso. Als Jude blieb Jesus aber der Erde treu. Seligkeit erst mit dem Jenseits zu verbinden, ist eine Engführung. Wie Konfuzius wurde er »Meister« genannt und als Rabbi hat er natürlich das Lernen nicht verachtet. Ich bin immer wieder beschämt, wie sehr heutige Rabbiner im Vergleich zu uns Pfarrern das Studium der Weisungen Gottes betreiben und sich bis ans Lebensende vervollkommnen. Immerhin hat die Kirche von Anbeginn das Lernen betont, die Klöster haben Deutschland nicht zuletzt durch Bildung entwickelt, die Reformatoren haben Schulen gegründet und unsere Landeskirche hat nach dem verheerenden 30-jährigen Krieg für die allgemeine Schulpflicht gesorgt. Es war eine Fehlentwicklung, als manche besonders »Fromme« meinten, man kann Wissen durch Glauben ersetzen oder sich auf das »Fürwahrhalten von Katechismussätzen« beschränken.

Gleichwohl muss ich zugeben, dass nur wenige das christliche Leben »üben« wie etwa Buddhisten, die in ihren Meditationen gewisse Einstellungen üben und so einen spirituellen Fortschritt erlangen. Die meisten Protestanten lassen – wie man so sagt – »den lieben Gott einen guten Mann sein«, d. h. ihre Religion hat kaum eine den Alltag prägende Kraft. Wenn dann auch noch der Sonntag geschäftig oder konsumierend entwertet wird, ist die stetige Verdunstung der Religion keine Frage mehr. Lernen und üben, meint Konfuzius, ist in sich selber befriedigend. Es hängt nicht am Erfolg. Das finde ich sehr befreiend und eine Wahrheit wohl aller echter Religion: Ich muss mich auf den Weg machen. Ob ich ans Ziel gelange, steht oft nicht in meiner Macht. Zu unterschiedlich sind die Bedingungen, unter denen wir ins Leben gehen. Manche sind körperlich, andere psychisch behindert. Manchen helfen glückliche Umstände, andere werden in schier aussichtslosen Verhältnissen geboren. Aber sich auf den Weg machen – das kann jeder. Ich weiß nicht, an welche Freunde Konfuzius dachte. Sind es Freunde der Wahrheit? Freunde der Philosophie? Sind seine Jünger gemeint? In der Kirche sprechen wir von Gemeinden und darüber hinaus von weltweiter Ökumene. Es wäre übertrieben zu sagen, dass Kirchenarbeit immer Spaß mache. Aber es ist schon beglückend, wenn man über Grenzen hinweg Menschen mit gleichen geistigen Grundlagen erlebt. Selbst wenn man von der Welt verkannt wird, ist dies ein Wert. Konfuzius nennt es »edel«, ein Zustand, der nicht wie beim Adel vererbt, sondern durch Lernen erworben wird. Das Wort »edel« kommt in der Bibel selten vor, aber doch z. B.

Jes. 32, 8: »Aber der Edle hat edle Gedanken und beharrt bei Edlem.« Gleichwohl ist das Christentum nicht wie mache Kritiker meinen die Religion der Zukurzgekommenen. Es ist die Religion, die selbst diesen, die nach menschlichen Maßstäben verraten und verkauft sind, noch Glück zuspricht: Glücklich sind die Armen, denen sogar das Gottvertrauen genommen wurde, denn ihnen gehört Gottes Welt .… »Glücklich sind die Trauernden, denn sie sollen getröstet werden.« Andacht von Studienleiter Pfr. Wolfgang Wagner bei der Sommerakademie »Konfuzius« am 22. August 2012 über Konfuzius und Christus. Hier zu einem Wort von Konfuzius im »Lun Yü« in der Übersetzung von Richard Wilhelm.


Abs. Evangelische Akademie Bad Boll, Akademieweg 11, 73087 Bad Boll - Postvertriebsstück 64670 - Entgelt bezahlt

BlumhardtSpaziergang nennt sich der Gang zu den Orten in Bad Boll, an denen das Wirken von Johann Christoph Blumhardt, Pfarrer und Heiler (1805-1880), seines Sohns Christoph, Pfarrer und SPD-Landtagsabgeordneter (1842-1919) und dessen Schwiegersohn Richard Wilhelm (18731930) lebendig und sichtbar wird. Oben ist eine Ansicht von Bad Boll von 1870 abgebildet – zu einer Zeit, als Vater Blumhardt noch lebte. Darunter sind das Grab von Richard Wilhelm und das Kurhaus abgebildet. Unten links: Johann Christoph Blumhardt, dann »Blumhardts Literatursalon« in der Evangelischen Akademie und das Grab von Christoph Blumhardt auf dem Blumhardt-Friedhof.


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