SYM 2012-3

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ISSN 1613-3714

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Einzelpreis € 3.-

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2012

Schwerpunktthema Medizin - Ethik - Politik Menschsein heißt immer auch verantwortlich sein Gendiagnostik vor der Schwangerschaft Erklären Sie sich! Das neue Gesetz zur Organspende Produktionsschulen schaffen Perspektiven Tagungsvorschau 50 Jahre deutsch-französische Partnerschaftsarbeit Tagungsreihe »Inklusion und Schule« Recht auf Risiko - Jugendschutz und freie Entfaltung Rückblende, Onlinedokumente Publikationen Service

Medizin - Ethik - Politik September


inhalt

aktuell ...

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Delegiertenkonferenz des entwicklungspolitischen Dialogs »Welt:bürger gefragt« Evangelische Akademie in Baden: Verabschiedung von Akademiedirektor Dr. Jan Badewien Kerstin Hörster ist neue Geschäftsführerin der Evangelischen Akademie Meißen

Wegbegleiter von Joachim L. Beck

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Onlinedokumente

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Was kommt ...

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Vorschau auf Tagungen in der Zeit vom 8. September bis 31. Dezember 2012

Rückblende

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Rückblick auf vergangene Tagungen

Ausstellung

Frank Kleinbach stellt mit Dietmar Strauss in Bad Boll aus. Er arbeitet als Fotodesigner in Stuttgart.

Menschsein heißt immer auch verantwortlich sein Gendiagnostik vor der Schwangerschaft Erklären Sie sich! Das neue Gesetz zur Organspende Produktionsschulen schaffen Perspektiven Die Prekarisierungsfalle

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Publikationen

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Impressum

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Meditation

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KUNSTMediumFOTO Boller Bußtag der Künste mit Frank Kleinbach und Dietmar Strauss

Schwerpunkt: Medizin – Ethik – Politik

Aus der Akademie

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Titelbild Demonstration des Hebammenverbands am 5. Mai 2012 in Heidelberg Foto: picture alliance / dpa

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editorial

Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem Sommer macht der Skandal um die Vergabe von Organen an den Kliniken in Regensburg und Göttingen Schlagzeilen: Offensichtlich gefälschte Krankenakten führten dazu, dass Patientinnen und Patienten bevorzugt ein Spenderorgan bekamen. Diese Manipulation wird öffentlich, während das neue Transplantations-Gesetz in Kraft tritt. Dieses schreibt die Entscheidungslösung fest: Jede und jeder wird befragt, ob sie oder er als Spender zur Verfügung stehen würde. Die neue Regelung soll die Zahl der Organspenden in Deutschland erhöhen. Studienleiter Dr. Günter Renz analysiert die neue Gesetzgebung und deren erhoffte Wirkung, die durch das kriminelle Fehlverhalten Einzelner konterkariert wird. Weitere Themen aus Sozialpolitik und Medizinethik greifen wir hier auf, z. B. Präimplantationsdiagnostik (PID) und Arbeitsmarktpolitik. Dabei geht es um die Frage, was eine Gesellschaft zusammenhält, wie die Würde des Einzelnen und das Gemeinwohl zusammengebracht werden können. Akademien sind eine Investition der Kirchen in die politische Kultur. Mit der Akademiearbeit wird politisches Gestalten unterstützt; Gemeinwohlorientierung steht im Vordergrund. Dazu gehört die Erinnerung an grundlegende Werte der Demokratie und des Sozialstaates. Gesellschaftliche und berufliche Themen stehen oben auf der Agenda, die wir alle 15 evangelischen Akademien in Deutschland aufgreifen, um Menschen in Beruf und Ehrenamt zu unterstützen. Nach über 18 Jahren in der Evangelischen Akademie Bad Boll schreibe ich zum letzten Mal ein Editorial für SYM. Nach dem Wintersemester in Heidelberg, in dem ich mich mit Diakoniewissenschaft und Theologie beschäftigen werde, übernehme ich ab Februar die Leitung der Fortbildung für Gemeinde und Diakonie. Ich danke Ihnen für alle Unterstützung, Beratung und Begleitung, welche die Evangelische Akademie als Ganze und ich persönlich erfahren haben. Es tat gut, Menschen zu kennen, die etwas von der Evangelischen Akademie erwarten, Menschen, die bereit sind, sich einzubringen: als Referierende, als Kooperationspartner, als Teilnehmende, als Beratende, als Sponsoren oder als Kritiker. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung und Ermutigung, für Ihren Einsatz für eine menschendienliche und lebensfördernde Gesellschaft! Im Herbst wird über die Nachfolge entschieden. Der Oberkirchenrat hat Studienleiter Dr. Günter Renz mit der kommissarischen Leitung der Akademie beauftragt. Ich wünsche ihm und meiner Nachfolgerin / meinem Nachfolger sowie der Evangelischen Akademie Bad Boll, dass sie weiterhin mit Ihrem Vertrauen und Engagement rechnen können! Mit herzlichem Dank und herzlichen Grüßen

Joachim L. Beck SYM 3/2012

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aktuell Delegiertenkonferenz des entwicklungspolitischen Dialogs »WELT:BÜRGER GEFRAGT!« Am Samstag, 7.Juli, haben sich in Karlsruhe rund 40 Bürgerinnen und Bürger mit entwicklungspolitischen Experten zur Delegiertenkonferenz des Entwicklungspolitischen Dialogs »WELT:BÜRGER GEFRAGT!« getroffen. Ziel der Veranstaltung war es, den Entwurf für neue entwicklungspolitische Leitlinien und Handlungsvorschläge zur Entwicklungspolitik Baden-Württembergs anhand der Ergebnisse der Bürgerkonferenzen und Themengespräche des Dialogprozesses fertig zu stellen.

Veränderungen nun in die Entwürfe der Leitlinien und Handlungsvorschläge für die Entwicklungspolitik des Landes Baden-Württemberg einarbeiten. Am 18. September 2012 werden die endgültigen Ergebnisse des Entwicklungspolitischen Dialogs »WELT:BÜRGER GEFRAGT!« im Landtag von Baden-Württemberg an die Landesregierung und die Fraktionen des Landtags übergeben. Der Entwicklungspolitische Dialog »WELT:BÜRGER GEFRAGT!« wird von der Evangelischen Akademie Bad Boll organisiert und moderiert.

Kerstin Hörster ist neue Geschäftsführerin der Evangelischen Akademie Meißen

Die Delegierten – die auf den Bürgerkonferenzen gewählten Vertretungen – konnten in Karlsruhe die vorgeschlagenen Dokumente überarbeiten und mit Minister Peter Friedrich diskutieren.

Die Initiative »WELT:BÜRGER GEFRAGT!« der Landesregierung läuft seit März 2012. In 16 Bürgerkonferenzen, Themengesprächen und Expertentagungen in ganz BadenWürttemberg diskutierten Bürgerinnen und Bürger, Fachleute und ehrenamtlich Engagierte mit Staatsminister Peter Friedrich und anderen Vertretern der Landesregierung Vorschläge für neue entwicklungspolitische Leitlinien. Rund 1500 Teilnehmende haben dabei über 2.500 Vorschläge erarbeitet. Daraus hat nun der Fachbeirat, ein Gremium aus entwicklungspolitischen Experten, Entwürfe für die neuen Leitlinien und Handlungsvorschläge zur Entwicklungspolitik des Landes Baden-Württemberg zusammengestellt. In Karlsruhe konnten die auf den Bürgerkonferenzen und Themengesprächen gewählten Vertreter gemeinsam mit den Mitgliedern des Fachbeirats die vorgeschlagenen Dokumente überarbeiten. Danach diskutierten die Delegierten ihre Vorschläge mit Minister Peter Friedrich. Dieser würdigte die intensive inhaltliche Arbeit an den neuen entwicklungspolitischen Leitlinien: »Wenn man sieht, wie viel zusätzliche Energie der Prozess ›WELT:BÜRGER GEFRAGT!‹ bisher ausgelöst hat, kann man nur sagen, diese Form der Bürgerbeteiligung hat sich gelohnt und soll auf jeden Fall in geeigneter Form weiter geführt werden.« Am Ende nahm die Delegiertenkonferenz die beiden Dokumente mit den erarbeiteten Veränderungsvorschlägen einstimmig an. Der Fachbeirat wird die vorgeschlagenen

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Am 1. Juli 2012 wurde Kerstin Hörster (45) offiziell in den Dienst an der Evangelischen Akademie Meißen eingeführt. Die studierte Betriebswirtin tritt als Geschäftsführerin der Evangelischen Akademie Meißen die Nachfolge von Michael Ahner an, der als Direktor an das Haus der Kirche nach Dresden wechselte. Im Domgottesdienst wurde Kerstin Hörster von Akademiedirektor und Dom- Kerstin Hörster prediger Johannes Bilz und den beiden Mitgliedern des Kuratoriums Bettina Westfeld und Prof. Dr. Ulrike Grässel feierlich in ihren Dienst eingeführt.

Evangelische Akademie Baden: Verabschiedung von Akademiedirektor Dr. Jan Badewien Dr. Jan Badewien wurde Mitte Juli im Rahmen einer HeinrichBöll-Tagung in Bad Herrenalb verabschiedet. 17 Jahre lang war der gebürtige Ostfriese einer der Direktoren der Evangelischen Akademie Baden und zugleich Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden. Die thematischen Schwerpunkte von Badewien waren Tagungen über Medizin, Literatur, Weltanschauung sowie Dr. Jan Badewien die deutsch-französischen Trialogue-Tagungen mit den Nachbarakademien in der Pfalz und im Elsass. Mit der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe entwickelte er viele Literaturprojekte, die meist in der Buchreihe »Herrenalber Forum« dokumentiert wurden.

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rückblende Israel – Palästina. Frieden in Grenzen? Tagung vom 29.6.-1.7.2012 In der diesjährigen Israel-PalästinaTagung ging es um die Grenzen von Israel und Palästina bei einer ZweiStaaten-Lösung. Im Eröffnungsvortrag machte Andreas Zumach, UNO-Korrespondent in Genf für die taz und andere Medien, deutlich, dass es für die Palästinenser essentiell ist, endlich den seit langem versprochenen palästinensischen Staat zu verwirklichen. Für Zumach kommen nur die Vorkriegsgrenzen von 1967 in Frage. Aufgrund der zunehmenden Zerstückelung des Landes durch die Fakten schaffenden israelischen Siedlungen gibt es für viele inzwischen auch andere Optionen. Zumach ist aber der Auffassung, dass zuerst »der eigene Staat Palästina Wirklichkeit werden« muss. Auch deshalb, weil viele Palästinenser zunehmend den Eindruck haben, dass sie nur hingehalten werden und dass – wie der jüdisch-amerikanische Nahostpolitiker Zachary Lockman kürzlich schrieb – der sogenannte Nah-Ost-Prozess zu einem Synonym für die Aufrechterhaltung der israelischen Besatzung unter amerikanisch-europäischer Schirmherrschaft geworden ist. Nach Zumachs Analyse wären neue Verhandlungen unsinnig. Seine These ist, dass der bisherige Verhandlungsansatz gescheitert ist, weil im OsloProzess die vier Hauptfragen ausgeklammert wurden: der endgültige Verlauf der Grenzen, der Status von Jerusalem, die Flüchtlingsfrage und künftige Sicherheitsvorkehrungen. Dies entspricht auch der Einschätzung der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin, eines die Bundesregierung beratenden Instituts. Der einzige Ansatz, der sich um die Lösung der Hauptprobleme bemühte, war die Genfer Initiative vom Dezember 2003. Nach Zumach wurden damals in einem über zweijährigen Prozess Lösungen für nahezu alle Streitpunkte gefunden, die »das beste Konzept und die beste Blaupause« für eine gerechte Zweistaatenlösung sind, so Zumach.

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Die momentanen Rahmenbedingungen seien allerdings relativ schlecht: Die Arabellion und die Wahlen im November in den USA hätten keinen positiven Einfluss auf das Geschehen. Ferner nutze der israelische Premier Benjamin Netanjahu die »völlig überzogene behauptete Bedrohung aus Teheran«, um vom palästinensischisraelischen Konflikt abzulenken. Um etwas zu verändern, sollten sich die Europäer und die Deutschen nicht weiter hinter den USA verstecken, sondern darauf drängen, dass das Nah-Ost-Quartett endlich Verantwortung übernimmt und sich ernsthaft für die skizzierte Zwei-StaatenLösung einsetzt. Druck könnte leicht ausgeübt werden. Da die EU beschlossen hat, Israel in die europäische Nachbarschaftspolitik aufzunehmen, könne man dies auch aussetzen, bis sich in der anderen Frage etwas tut. Dr. Meir Margalit, Mitglied der israelischen Meretz-Partei und im Jerusalemer Stadtparlament, erklärte den psychologischen Faktor in der Grenzfrage. So sei das verheißene Land für viele Politiker immer noch Wunschdenken, an dem sie festhalten. Auf den offiziellen Karten gebe es weder Westbank noch Gaza. Nach Margalit ist der Konflikt auch der einzige Kitt, der die Gesellschaft noch zusammenhält. Einen positiven Effekt auf das Vorstellungsvermögen einer Grenze hatte erstaunlicherweise der Bau der Mauer: Viele Israelis haben erstmals verstanden, dass die Westbank nicht ein natürlicher Teil Israels ist. An das Publikum wandte sich Margalit mit den Worten: »Wenn Sie wirklich Freunde Israels sind, wenden sich an Israel und fordern Sie einen Stopp der Besatzung!« Die Israelin Inna Michaeli von der »Coalition of Women for Peace« beleuchtete in ihrem Vortrag die Besatzungsökonomie. Es wurde deutlich, dass nicht nur internationale Firmen, davon allein 58 aus Südafrika, sondern auch viele deutsche, gut an der Besatzung verdienen. Natürlich haben diese nicht das geringste Interesse an einem Ende der Besatzung.

Der Palästinenser Jamal Juma, der die Kampagne »Stop the wall« ins Leben gerufen hat, zeigte die Wirkung der israelischen Strategie der Errichtung von Industriezonen in Grenznähe und der schnell absperrbaren Tunnels und Quertrassen durch die Westbank auf. Die palästinensische Wirtschaft kann dadurch kontrolliert und geknebelt, die Löhne können niedrig gehalten werden. Auch ist eine sofortige Absperrung der Gebiete möglich.

Fotos oben: Inna Michaeli und Jamal Juma; Mitte: Dr. Meir Margalit und Andreas Zumach; unten: Emmanuel Nahshon, Gesandter der Botschaft des Staates Israel in Berlin

Der israelische Botschaftsrat in Deutschland Emmanuel Nahshon, hatte sich am Sonntag für die Tagung Zeit genommen. Er hielt ein kurzes Statement und stellte sich einigen Fragen. Er betonte, dass die Besatzung für Israelis und Palästinenser eine Katastrophe sei und stellte sich hinter eine Zwei-Staaten-Lösung. Sein Vorschlag, zuerst die Probleme zu analysieren und die einfachen Fragen zu lösen und die komplizierten erst später zu thematisieren, stand der Analyse von Andreas Zumach diametral entgegen, der ja gesagt hatte, dass die Lösungen seit Jahren auf dem Tisch liegen würden, man aber endlich an ihre Umsetzung gehen müsse. Nahshon betonte, dass die Palästinenser verschiedene Möglichkeiten zum Frieden abgelehnt hätten. Ferner verneinte er, dass noch weitere Siedlungen gebaut würden und dass die vorhandenen ein Hindernis für Frieden und eine ZweiStaaten-Lösung seien. Martina Waiblinger, s.a. Onlinedokumente S. 16 und Buchtipps und Links S. 23

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rückblende Wie die Wutbürger entstanden sind – Erhard Eppler über direkte Demokratie Tagung am 14. bis 15. Juni 2012 »Bürger beteiligen – aber wie?« So fragt eine Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll, zu der Politiker und Wissenschaftler Stellung nehmen. Erhard Eppler hat schon vor Jahrzehnten Plebiszite befürwortet. Jetzt berichtete er, wie die evangelische Kirche in Deutschland noch 1985 keine Stellung dazu bezog, sondern nur das Für und Wider aufgezeigt habe. Er durfte mitdiskutieren, manches floss ein. Gleichwohl sei dieser Standpunkt ein großer Fortschritt gewesen, denn die Kirche der Nachkriegszeit habe den Obrigkeitsstaat akzeptiert. Eppler: »Wenn diese Denkschrift 1925 möglich gewesen wäre, wäre die Geschichte Deutschlands anders gelaufen.« Recht bekam Eppler mit Stuttgart 21. Wie die »Wutbürger« entstanden seien: Sie hätten hinter dem Bahnprojekt einen Klüngel aus fast allen Parteien in Stadt, Land und Bund, der Wirtschaft und einem Großteil der Medien gewittert. Es sei etwas eingetreten, was in einer Demokratie gar nicht sein dürfe: Dass Bürger sich als »die da unten« fühlen und Politiker für »die da oben« halten. Das sei das Merkmal einer Diktatur. Demokratie sei dagegen der Streit zwischen Mehrheit und Minderheit, und der könne mit einem Plebiszit entschieden werden. Das zeige Stuttgart 21, und das zeigten die Volksabstimmungen in Bayern, wo sich die Regierungspartei immer schon ohne Murren in eine Niederlage gefügt habe. Stuttgart 21 sei kein Paradebeispiel für eine Volksabstimmung, meinten mehrere Teilnehmer. »Nirgends ist so viel gelogen und getäuscht worden wie bei S21«, lautete ein Vorwurf. Der frühere Landtagsvizepräsident Dr. Alfred Geisel nannte es unbefriedigend: Die Bürgerinitiative habe darunter gelitten, »dass alle Fragen pro und contra nicht entsprechend dargestellt wurden.« Eppler sah andere Versäumnisse: »Geißlers Moderation hätte zwei Jahre früher passieren sollen.«

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einandersetzen müssen. »Ich glaube, das ist ein heilsamer Vorgang.« Die Schweizer seien politischer, weil sie gezwungen würden, Stellung zu nehmen. Jürgen Schäfer, Redakteur, NWZ Göppingen; s.a. Onlinedokumente S. 16

Sozialministerin Katrin Altpeter: »Demografischen Wandel nicht als Bedrohung verstehen« Fachtagung am 23. Juli 2012

Erhard Eppler hat schon vor Jahrzehnten Plebiszite befürwortet.

Knackpunkt sei gewesen, dass die Stadt Stuttgart 2007 ein Bürgerbegehren abgewürgt habe. Was Eppler Sorgen macht: 75 Prozent der Deutschen fänden, dass es ungerecht zugehe, und 37 Prozent glaubten nicht an eine Besserung. Das bedeute, »dass man sich von der Demokratie nicht mehr viel erhofft.« Ein Alarmzeichen sei es, dass die Piraten rein durch ihren Protest am demokratischen Verfahren Erfolg hätten. Diese Partei wisse noch nicht mal, was sie zu Europa zu sagen habe, äußere sich aber zu geschlechtsneutralen Vornamen. Sie trete auf mit »Programmfetzen« wie »Wir leben Demokratie« und der »inhumanen Vorstellung« einer völligen Transparenz in der Politik, das jedes vertrauliche Wort unter Politikern verböte. Widerspruch bekam Eppler von einem Teilnehmer aus Stuttgart, der selbst kein Pirat ist. Er verwies noch einmal auf Stuttgart 21. Geißler habe die Bahn händeringend um Fakten gebeten, der Konzern habe sie nicht herausgerückt. Er sprach von unsäglichen Rollenspielen der etablierten Parteien und rief Eppler zu: »Gewöhnen Sie sich an den neuen Diskurs, der aus der Mediengesellschaft kommt.« Eppler blieb unbeeindruckt. Weitere Kritik des SPD-Vordenkers: Europa sei zu einer Art Eliteprojekt geworden, weil man die Bevölkerung nie befragt habe. Hätte man sie gefragt, dann hätte sich der Einzelne damit aus-

Eine neue Generationenpolitik für Baden-Württemberg hat Landessozialministerin Katrin Altpeter bei einer vom Sozialministerium und der Evangelischen Akademie Bad Boll gemeinsam veranstalteten DemografieFachtagung angekündigt. »In Zukunft werden wir uns bei politischen Entscheidungen die Frage stellen müssen, wie generationengerecht die politischen Maßnahmen sind«, erklärte die Ministerin vor den rund 160 Teilnehmenden in der Evangelischen Akademie. Wie notwendig das ist, zeigen Zahlen des Statistischen Landesamtes. »Bis 2030 werden wir 43 Prozent mehr Pflegebedürftige haben als heute. Da kommt eine Lawine auf uns zu«, sagte Ivar Cornelius, Abteilungsleiter der Behörde. »Jede Gesellschaft ist aber bei aller gewünschten Heterogenität und Individualität auf ein gewisses Maß an sozialem und gesellschaftlichem Zusammenhalt angewiesen«, sagte die Ministerin. Wer nicht miteinander rede, entfremde sich. Deshalb müssten feste Strukturen geschaffen werden, die einen Austausch ermöglichten. Die Ministerin betonte, es sei ein wesentliches Ziel ihrer Politik, älteren Menschen in Baden-Württemberg ein aktives Altern zu ermöglichen. Eine angemessene und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung, ein ausreichendes Angebot an Pflege und sozialen Diensten seien dafür von elementarer Bedeutung. »Wir dürfen den demografischen Wandel nicht als Bedrohung verstehen«, so Altpeter. »Er ermöglicht uns vielmehr eine neue Solidarität zwischen den Generationen.« Diese Solidarität herrscht vor allem in Familien. Der Demografie-Experte Dr. SYM 3/2012


rückblende strengungen in Bildungs- und Sozialpolitik.

Ministerin Katrin Altpeter

François Höpflinger betonte, entgegen aller Unkenrufe sei der Zusammenhalt in Familien eher stärker als schwächer geworden. »Studien zeigen, dass sich die Generationenbeziehungen in Familien in den vergangenen Jahrzehnten eher verbessert als verschlechtert haben. Es gibt allerdings immer mehr Menschen ohne Familie.« Die ShellJugendstudie sei ein Beispiel: Hier gaben in den 80er Jahren nur rund 50 Prozent der Jugendlichen an, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie selbst von ihren Eltern erzogen worden seien. Heute wollen mehr als 75 Prozent der jungen Befragten ihre Sprösslinge nach dem Vorbild der eigenen Eltern erziehen. Zu den Prinzipien einer generationenfreundlichen Gesellschaft gehöre es, niemanden aufgrund seines Alters zu diskriminieren. »Ebenso wenig darf es aber Altersprivilegien geben«, sagte der Schweizer

Die demografischen Daten für BadenWürttemberg stellte Ivar Cornelius vom Landesamt für Statistik dar. »Wir blicken auf ein rasantes Bevölkerungswachstum zurück – das stärkste aller deutschen Bundesländer.« Seit der Gründung des Landes 1952 sei die Zahl der Einwohner von 6,6 auf 10,8 Millionen gestiegen, vor allem wegen der Zuwanderung, die zwei Drittel des Zuwachses ausgemacht habe. Doch heute sei der demografische Wandel in vollem Gange, so Cornelius weiter. »Seit dem Jahr 2000 sinkt die Zahl der Unter-Sechsjährigen, 2030 wird im Vergleich zu heute jede vierte Schulbank leer sein.« Die Erwerbsbevölkerung werde älter: Seit 2005 überwiegen die 40- bis 60-Jährigen. »Das bedeutet: Technische und wirtschaftliche Innovation muss von einer gealterten Erwerbsbevölkerung erbracht werden. Deshalb nimmt die Bedeutung von Fort- und Weiterbildung auch bei Älteren zu.« Bei der Fachtagung »Perspektiven des Landes im Dialog der Generationen« erörterten die Teilnehmenden, wie Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Einrichtungen aus Kinder-, Jugendund Seniorenarbeit auf den demografischen Wandel reagieren können. Nach den Fachvorträgen am Vormittag zeigten ausgezeichnete Modellprojekte und prämierte Konzepte aus baden-württembergischen Kommunen und der Wissenschaft, wie ein Zusammenleben der Generationen funktioniert. In einem abschließenden Workshop legten Expertinnen der Bertelsmann-Stiftung ihren Fahrplan für demografiesensible Kommunalpolitik Katja Korf dar.

Während der Tagung wurde auch der Alterssimulator »Gerta« vorgeführt. Prof. Dr. Nadja Schott interviewt Katrin Nachbar, die den Alterssimulator ausprobiert und über ihre Erfahrungen berichtet.

Flüchtlingsfrauen im Exil – die Flüchtlingspolitik der neuen Landesregierung Tagung 13.-15. Juli 2012, Bad Boll

Sozialgerontologe. Eine zentrale Aufgabe generationenfreundlicher Politik sei es zu verhindern, dass sich Armut weiter vererbe. Hierzu bedürfe es An-

60 Flüchtlingsfrauen aus rund 20 Ländern hatten in Bad Boll ein Wochenende lang die Gelegenheit, eine Auszeit aus dem Leben in ihren Flücht-

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Die Tagung Flüchtlingsfrauen wurde u. a. mit Spenden aus einer Fundraisingaktion der Akademie finanziert.

lingsunterkünften zu nehmen, sich ein wenig verwöhnen zu lassen und sich gleichzeitig sowohl mit ihrer eigenen Situation als auch mit der Flüchtlingspolitik der neuen Landesregierung zu beschäftigen. Gearbeitet wurde in neun Sprachgruppen und mit der Unterstützung von Gruppenbetreuerinnen und Sprachmittlerinnen. Die Regierung war durch die Landtagsabgeordneten Jörg M. Fritz (Grünen) und Sabine Nägele (SPD) – beide Mitglieder im Ausschuss für Integration – und den Referatsleiter im neuen Integrationsministerium Baden-Württembergs, Dr. Ralf Schäfer vertreten. Weitere Themen waren die Asylpolitik und die damit verbundene Rechtslage wie auch Erziehungs- und Partnerschaftsprobleme, die sich durch das Leben auf beengtem Raum und in einem neuen Kulturraum ergeben. Am Ende der Tagung stand ein Vortrag von Dr. Angelika Linckh, Gynäkologin aus Stuttgart, die aus psychischer, politischer, feministischer und sozialer Sicht über Gesundheitspolitik und Frauengesundheit sprach. Für sie sind Sicherheit, Selbstwertgefühl, gute Gefühle und Bindung die Grundsteine der Gesundheit. Für Flüchtlingsfrauen, die oft traumatisiert sind durch das, was sie in ihrer Heimat, auf der Flucht und nun in einer fremden Umgebung erlebt haben, ist es schwierig, dies zu realisieren. Dafür gab es keine Rezepte, aber Anregungen der Referentin und eine bewegte, bewegende Diskussionsrunde in den einzelnen Sprachgruppen und im Plenum. Marielisa v. Thadden

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kunst in der akademie

Boller Bußtag der Künste: KUNSTMediumFOTO Frank Kleinbach und Dietmar Strauss Die beiden Fotografen Frank Kleinbach und Dietmar Strauss beschäftigen sich mit der Fotografie von Kunstwerken und bringen somit einen neuen Blick auf diese. Eine Auswahl ihrer Fotos sind bei der Ausstellung in der Evangelischen Akademie Bad Boll zu sehen. Bernhard Huber, Verein Kirche und Kunst, schreibt dazu: Das Herstellen von Bildern ist eine der ältesten und anschaulichsten Techniken, das Sehen eine unserer wichtigsten Sinneswahrnehmungen. In einer Zeit, die von Bild- und Medienkonsum geprägt wird, spielt die Fotografie von Kunst und Architektur nach wie vor eine tragende Rolle. Ihre Bedeutung nimmt mit den medialen Verbreitungsmöglichkeiten sogar stetig zu – da Kunstwerke doch zunehmend über Medien visuell wahrgenommen und bewertet werden. Im Gegenzug rückt das Rezipieren des Originals in den Hintergrund. Der Kunstliebhaber begibt sich nicht mehr zwangsläufig an den Ort des Kunstwerks. »Das Hier und Jetzt des Kunstwerks« (1) wird entwertet durch die beliebig abrufbaren technischen Reproduktionen. Geht damit die Einmaligkeit und Magie eines Kunstwerks verloren? »Neu in einem absoluten Sinne sind auch die sozialen und demographischen Bedingungen und die damit einhergehenden Zuwächse bei Auflagenzahlen und Zuschauerquoten; ... Die industrielle Produktion fördert die Standardisierung und Normierung von Formen und Mustern und aufzeichnungsbedingte Prozesse des Vergessens, Erinnerns und Überschreibens.« (2) Im Umgang mit den Bildern wird die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sehen immer relevanter. Die Fotografie liefert unterschiedlichste Modelle des Seerhens. Neue bildgebende Verfahren, Simulation und

Frank Kleinbach hat nach einer Berufsausbildung zum Fotografen an der Kunstakademie Stuttgart GrafikDesign studiert. Seit 1989 arbeitet er als Fotodesigner in Stuttgart.

digitale Bildbearbeitung beherrschen unseren Alltag. Gleichzeitig erweitern sich die Grenzen der Darstellung. Die Übergänge zwischen Objekt, Simulation und Illusion sind etwa im Bereich wissenschaftlicher Abbildungen mitunter fließend. Die Fotografie nähert sich dem Aspekt des Sehens aus unterschiedlichsten Blickwinkeln. Sie selbst wird dabei oft eigenständig zum subjektiven bildnerischen Medium. Es geht nicht nur um eine analytische Betrachtung und Sondierung, sondern auch um daraus entstehende neue Chancen für Kunst und Rezeption. Hinter dem scheinbar profanen Dienst der »Fotografie von Kunstwerken« stecken also eine Reihe von relevanten Maßgaben und Prämissen, die sich auf die Kunst auswirken, ohne den Eigenwert der Fotografie außer Acht zu lassen. (1) Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt 1968, 2. Auflage (2) Matthias Bruhn, Kai-Uwe Hemken (Hg.): Modernisierung des Sehens. Sehweisen zwischen Künsten und Medien. Bielefeld 2008.

Dietmar Strauß ist freier Architekturfotograf. Nach einer Ausbildung zum Kaufmann hat er in der Gastronomie und bei einem Bergbauern gearbeitet. »Architekturfotograf ist für mich eine Mischung aus Handwerk, Kreativität und Einfühlungsvermögen.« Die Fotografie zeigt ein Werk des Künstlers Christoph Hildebrand »copy & puzzle«, 2006

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Boller Bußtag der Künste in Kooperation mit dem Verein Kirche und Kunst, 21. November, 16:00 Uhr Information und Anmeldung: Brigitte Engert, Tel. 07164 79-342, brigitte.engert@ev-akademie-boll.de Dauer der Ausstellung: 21. November 2012 bis 13. Januar 2013 Leitung: Susanne Wolf, Tagungsnummer: 531112 Laufende Ausstellung Werner Stepanek: Skulpturen, Ausstellung bis 31. Oktober

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medizinethik und sozialpolitik

Menschsein heißt immer auch verantwortlich sein Von Joachim L. Beck Joachim L. Beck leitet die Evangelische Akademie Bad Boll seit über acht Jahren. Vorher hat er als Studienleiter für Medizinethik Tagungen veranstaltet und moderiert, aktuelle Diskussionen verfolgt und Stellung bezogen. Zu seinem Abschied aus der Akademie blickt Beck zurück auf das, was die Medizinund Sozialpolitik bewegt – und was ihn dabei bewegt hat. Manchmal habe ich ein Déjà-vu, wenn ich die aktuellen Diskussionen in der Gesundheitspolitik verfolge. Themen und Argumente kehren wieder, die Akteure sind allerdings andere. Einige Beispiele dafür: 1994 ging es um ein Transplantationsgesetz; im Mittelpunkt der damaligen Debatte stand die Frage, wann ein Mensch als (hirn)tot gilt. Mit dieser ethisch und medizinisch brisanten Frage setzte sich auch meine erste Akademietagung auseinander. 2012 wurde im Blick auf das Gesetz darum gerungen, ob Menschen einer Transplantation ihrer Organe zustimmen müssen oder ob es reicht, wenn sie vor ihrem Tod nicht widersprochen haben. Um den Bluttest der Konstanzer Firma LifeCodexx zur Früherkennung eines Down-Syndroms wird derzeit genauso heftig gestritten wie um die Ermöglichung der Präimplantationsdiagnostik – die Würde des (behinderten) Menschen ist ein Hauptargument in der Debatte. Auch wenn ich die sozial- oder wirtschaftspolitischen Fragestellungen anschaue, entdecke ich Wiederholungen: Rentenabsicherung, Nachhaltigkeitsstrategie, Mindestlohn, … Die Herausforderungen, ein gutes Miteinander zu gestalten, kehren wieder. Stets stoßen wir an Grenzen, denn der »Bedarf« ist unendlich und übersteigt das Angebot – nicht nur bei Spenderorganen und Rettungsschirmen; (Selbst-)Begrenzung und Mittelallokation sind somit die logische Folge. SYM 3/2012

Damit sind wir beim Kernauftrag der Evangelischen Akademie Bad Boll. Dieser besteht darin, »sich um eine bessere Gestaltung unseres gemeinsamen Lebens« zu bemühen und deshalb »Fragen des öffentlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Staat, Gesellschaft und Kirche sowie Fragen des beruflichen und persönlichen Lebens des Einzelnen in das Licht des Evangeliums (zu) rücken.« So steht es in der Ordnung der Evangelischen Akademie Bad Boll von 1983. Wenn wir Themen der Sozialpolitik und Medizinethik diskutieren, geht es immer um Grundfragen des Menschseins: um Einkommen und Auskommen, um Existenzsicherung, um Gesundheit und Krankheit, um das »gute Leben«, um Endlichkeit und Begrenztheit. Solche Fragen lassen mich nicht los, unabhängig von der beruflichen Beschäftigung als Studienleiter oder Direktor. In den Argumentationslinien dieser sozialpolitischen und medizinethischen Diskussionen lassen sich idealtypisch zwei widersprüchliche Positionen unterscheiden. Der eine Pol

geht davon aus, dass der Einzelne in hohem Maße eigenverantwortlich handeln muss und handeln kann, und sich in einem Markt bewegt, der sich über Angebot und Nachfrage selbst reguliert. Selbstverantwortung und Vorsorge werden ebenso wie Wettbewerb groß geschrieben. Ein Beispiel für diese Position ist das Pflegeversicherungsgesetz von 1995. Das »Pflegemonopol« der gemeinnützigen (auch kirchlichen) Träger in der ambulanten Pflege wurde damals durch den Wettbewerb mit privaten Anbietern abgelöst. Die eingeführte PflichtVersicherung soll eine Grundversorgung garantieren. 2012 wird das Pflegeversicherungsgesetz von 1995 ergänzt durch den sogenannten »Pflege-Bahr« mit staatlicher Förderung; dies geschieht v.a. im Blick auf die zunehmende Zahl der Demenzerkrankungen – und macht aus einer solidarischen Pflichtversicherung eine private Zusatzversicherung. Dem diametral entgegen steht die zweite Position in diesen Debatten. Ihre Verfechter schreiben Solidarität groß im Wissen darum, dass Schicksale nicht selbstverantwortet sind,

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medizinethik dass eine Gemeinschaft durch und aus der gegenseitigen Unterstützung lebt. Wer viel zur Verfügung hat, trägt viel bei zur Unterstützung der Schwachen in der Gesellschaft. In der Diskussion um den Spitzensteuersatz ist diese Position erkennbar, die meiner Meinung nach in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft stabil verankert ist. Diese beiden von mir als Idealtypen bezeichneten Ansätze lassen sich trefflich gegeneinander ausspielen, weil in jedem dieser Pole zumindest ein wichtiger Punkt benannt ist. Menschsein heißt immer auch verantwortlich sein: für sich selbst, das eigene Tun und Lassen, die eigene Zukunft – und dazu gehört Vorsorge in vielfältiger Form. Gleichzeitig ist jede und jeder für andere verantwortlich, die nahen und fernen Nächsten, die Schwestern und Brüder, Freunde und auch Feinde. Diese doppelte Bestimmung des Menschen, verantwortlich für sich und andere zu sein, müssen Sozialgesetzgebung und Gesundheitspolitik in Paragraphen und Regeln übersetzen. Es gilt, Rahmen zu schaffen, die Menschen ermöglichen und ermutigen, für sich selbst zu sorgen. Gesetze sollten Anreize geben, Impulse setzen, Eigenverantwortung einfordern und unterstützen. Und gleichzeitig müssen die Verantwortlichen in Politik und Behörden dafür sorgen, dass niemand durch die Maschen fällt. Dieser Schutz ist etwas grundlegend anderes als eine soziale Hängematte, die Polemiker gerne in die Debatte einbringen. Er ist die Reaktion darauf, dass vieles im Leben eines Menschen Schicksal ist – etwa die genetische Disposition. Solidarität ist Ausdruck der gegenseitigen und wechselseitigen Verantwortung. Von Déjà-vu-Erlebnissen sprach ich, weil ritualartig je nach Interessenlage der eine oder andere Aspekt betont wird. So fordern die Einen in der Organspende-Debatte Solidarität, reden fast von einer Pflicht zur Organspende. Gleichzeitig wird im Blick auf die Krankenversicherung die individuelle Vorsorge hochgehalten. Individuelle

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»Leben als Fragment zu verstehen, heißt nicht erniedrigt zu werden, auf Unvollkommenheit festgelegt zu werden, also kleingemacht zu werden. Leben als Fragment zu verstehen soll vielmehr eine Befreiung sein, die uns vor falschen Idealen löst. Verstehen wir unser Leben als Fragment, dann können wir aufatmen und leben.« Henning Luther

Gesundheitsleistungen (IGEL-Leistungen) werden auf den Markt gebracht und abgerechnet. Der Markt (bzw. die Wirtschaftsinteressen) und die Eigenverantwortung sind bei Suchtmitteln wie Tabak und Alkohol leitend – später aber die Solidarität mit deren Opfern. Bewusst formuliere ich dies holzschnittartig und provozierend. Weil ich nach der »besseren Gestaltung des gemeinsamen Lebens« suche, weil mir an einer konsistenten theologisch-sozialethischen Reflexion dieser Themen liegt. In der biblischen Tradition wird das Menschsein in verschiedenen Dimensionen qualifiziert: Leben ist immer Gabe, wir machen uns nicht selbst. Die Körperlichkeit aber auch der familiale Rahmen, in den wir geboren werden, ist uns vorgegeben, nicht von uns gewählt oder gemacht. Leben ist fatum, nicht faktum. Menschen sind immer soziale Wesen, auf Gemeinschaft angewiesen. Martin Buber hat dies pointiert formuliert: Zum Ich wird man durch das Du, durch das Gegenüber. Zusammenleben in der Gemeinschaft funktioniert nur in der wechselseitigen Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Tun und für andere Menschen zu übernehmen. So gestalten Menschen ihre Beziehungen, in denen sie leben, so wird die Welt gestaltet. Und klar ist auch: Wir Menschen werden immer hinter den Ansprüchen und Erwartungen, den Anforderungen zurückbleiben. Keine /

keiner ist vollkommen; Leben ist und bleibt fragmentarisch. Der Begriff der »Erbsünde« steht für mich für diese Begrenzung. In dieser mehrdimensionalen Wahrnehmung des Menschen ist die Würde des menschlichen Lebens begründet. Eine Würde, die unbedingt, also ohne Bedingungen besteht und vorgegeben ist; dieser Würde versuchen wir im Miteinander gerecht zu werden. Die Akademien sind eine Investition der Kirchen in die politische Kultur. Oder anders formuliert: Durch die diskursive Tagungsarbeit werden die zugrunde liegenden Werte einer Demokratie beständig ins Gespräch gebracht und im Gespräch gehalten. Die Gemeinwohlorientierung, die soziale Verpflichtung des Einzelnen wird immer wieder ins Spiel gebracht und begrenzt bzw. ergänzt durch das Wissen, dass andere sich denselben Werten verpflichtet fühlen. Die Aufforderung zur steten Debatte um Werte, zu mehr Solidarität kann durchaus auch Déjà-vu-Erlebnisse auslösen. Denn auch sie wird mantraartig in Sonntagsreden und Alltagshandeln zitiert. Was überhaupt nicht schadet. Wissen wir doch aus der Pädagogik und Hirnforschung, dass Erinnerung an und Rezitieren von Grundlegendem stabilisiert, weil sich durch Wiederholung im Gehirn Trampelpfade zu Autobahnen ausbauen, auf denen man leichter vorankommt. Dieses Vorankommen in der Sozialpolitik ist vonnöten, denn die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Gesunden und chronisch Kranken, zwischen Arbeitslosen und Arbeitenden, zwischen Menschen, die lebensbegleitend lernen können, und Schulabbrechern ist seit 1995 gewachsen. Die Schere geht immer weiter auseinander. Die Dramatik nimmt zu, wenn wir dies aus dem deutschen und europäischen Kontext herausheben und im weltweiten Horizont bedenken. Deshalb ist die dauerhafte Erinnerung notwendig: »Lasst uns den Weg der Gerechtigkeit gehen!« denn »Gerechtigkeit erhöht ein Volk!« (Sprüche Salomos 14).

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medizinethik

Gendiagnostik vor der Schwangerschaft Von Dr. Katarina Weilert Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofes zur Präimplantationsdiagnostik (PID) im Juli 2010 und der dadurch manifestierten Öffnung des Embryonenschutzes für eine Gendiagnostik an Embryonen in vitro eroberte ein Thema die politische Tagesordnung, das seit langem schwelt. In der gesellschaftspolitischen Diskussion ging es vor allem um genetisch vorbelastete Paare, deren Schicksal durch Fehlgeburten oder schwerkranke Kinder viele Menschen anrührte. Dem Mitleid auf der einen Seite standen jedoch grundsätzliche ethische Bedenken und die Befürchtung eines »Dammbruchs« auf der anderen Seite gegenüber. Eine explizite gesetzliche Regelung der PID trat schließlich im Dezember 2011 in Kraft. Der neue in das Embryonenschutzgesetz (ESchG) aufgenommene § 3a sieht zwei Fallgruppen vor, in denen eine PID vorgenommen werden darf. Eine erste Gruppe betrifft jene genetisch vorbelasteten Paare, für deren Nachkommen das »hohe Risiko« einer »schwerwiegenden Erbkrankheit« besteht. Eine zweite Gruppe erweitert die Möglichkeit auf genetisch unbelastete Paare, wenn die PID zur Feststellung einer »schwerwiegenden Schädigung« des Embryos vorgenommen werden soll, die mit »hoher Wahrscheinlichkeit« zu einer Totoder Fehlgeburt führen würde. Das Gesetz lässt viele Fragen offen: Was ist ein »hohes Risiko«, wann ist eine Erbkrankheit »schwerwiegend«, wann eine Wahrscheinlichkeit »hoch«? Es sind nicht nur diese rechtlich unbestimmten Begrifflichkeiten, die Probleme bereiten, sondern vielfach ist auch die medizinische Prognose alles andere als klar. Der Schweregrad der Behinderung von Menschen mit derselben genetischen Auffälligkeit kann sehr unterschiedlich ausfallen. Besonders kritisch muss die zweite Fallgruppe betrachtet werden, die unabhängig

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Der vorgelegte Entwurf zur PID-Rechtsverordnung legt den Rahmen für PID großzügig aus.

von einer genetischen Disposition der Eltern eine Vornahme der PID gestattet. Diese Fallvariante muss restriktiv ausgelegt werden, weil sie ansonsten das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren würde. Nach § 3a Abs. 1 ESchG ist die PID nämlich grundsätzlich verboten. Würde man ganz allgemein und ohne begründeten Verdacht eine Untersuchung zur Auffindung genetischer Veränderungen, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu einer Fehl- oder Totgeburt führen, erlauben, so wäre damit die PID faktisch für alle Paare freigegeben, da ein solches Risiko für kein Paar völlig ausgeschlossen werden kann. Mit Spannung war nun auf die nach § 3a ESchG erforderliche PID-Rechtsverordnung gewartet worden, die nähere Bestimmungen zur Zulassung der PID-Zentren, der Ethikkommissionen und der Dokumentation zu treffen hatte. Der im Juli vorgelegte Entwurf von Gesundheitsminister Bahr, der voraussichtlich im September vom Dr. iur. A. Katarina Weilert ist Referentin im Arbeitsbereich Religion, Recht und Kultur in der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST). Sie war zum Thema des Beitrags zu einer Tagung »Prädiktive Gendiagnostik« Ende Juli eingeladen. Die Tagung musste wegen zu geringer Anmeldungen abgesagt werden.

Bundeskabinett beschlossen werden soll, und danach den Bundesrat passieren muss, schöpft den Rahmen für die PID in großzügiger Weise aus. Nach § 3 der neuen PID- Verordnung wird die Anzahl der Zentren gar nicht begrenzt. Bedenkt man, dass Krankenhäuser und ambulante medizinische Einrichtungen einem nicht unerheblichen Ökonomisierungsdruck unterliegen, könnte es zu einer Konkurrenz um Patienten kommen, die sich zu Lasten des Embryonenschutzes auswirkt. Auch ist unklar, weshalb so viele Zentren sinnvoll sind, wenn es doch – so die Argumentation bei Verabschiedung des Gesetzes zur Regelung der PID – nur um sehr wenige Paare geht, für die die PID offen sein soll. Ob eine PID durchgeführt werden darf, entscheidet eine jeweils für die medizinische Einrichtung zuständige Ethikkommission. Die Ethikkommission setzt sich nach der neuen Verordnung aus vier Medizinern, einem Ethiker (der ein Theologe sein kann, aber nicht muss), einem Juristen und zwei Patientenvertretern zusammen. Sie ist nicht weisungsgebunden, entscheidet unabhängig und mit einfacher Mehrheit. Dadurch kann die Expertise von bis zu zwei Disziplinen überstimmt werden.

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medizinethik Ein Paar kann im Falle einer Ablehnung seines Antrags erneut bei einer anderen Ethikkommission einen Antrag stellen (vgl. § 5 Abs. 4 Nr. 4 PIDVerordnung) – und dies, obwohl die Verordnung im Falle einer ablehnenden Entscheidung der Ethikkommission ohnehin einen Rechtsweg einräumt (§ 6 Abs. 5 PID-Verordnung). Faktisch bedeutet dies, dass die liberalste Ethikkommission den Standard in Deutschland bestimmt, weil ein Paar so lange umherziehen kann, bis es ein positives Votum erhält. Für die Fallgruppe der genetisch nicht vorbelasteten Eltern bestimmt § 5 Abs. 4 Nr. 2 PID-Verordnung, dass dem Antrag eine »ärztliche Beurteilung der Annahme, dass eine schwerwiegende Schädigung des Embryos vorliegt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird«, beizulegen ist. Die Erläuterung zur Verordnung fügt hinzu, dass diese ärztliche Beurteilung »in nachvollziehbarer und begründeter Weise die Annahme« nahelegen muss, dass ein solcher Fall gegeben ist. Weiter heißt es: »Die Wahrscheinlichkeit muss dabei höher als beim Durchschnitt gleichaltriger Frauen sein, d.h. das Alter der Frau, von der die Eizelle stammt, allein reicht nicht als Annahme aus.« Damit hat die Verordnung ein Kernproblem erkannt, nämlich, dass ein allgemeines Screening, dem kein bestimmter Verdacht zugrunde liegt, nach § 3 a ESchG nicht erlaubt sein kann. Die schwere sprachliche Fehlkonstruktion des ESchG im Hinblick auf die zulässige PID an genetisch unbelasteten Paaren hätte von der PID-Verordnung jedoch noch ausdrücklicher klarstellend einer restriktiven Auslegung unterzogen werden sollen. So wäre eine Festlegung wünschenswert gewesen, dass der Antrag auf eine PID nur im Hinblick auf einen (oder wenige) Gendefekte zulässig ist und ein allgemeines Screening, das zu vielen Zufallsbefunden führt, nicht gestattet werden kann. Auch fehlt eine Regelung, wie mit Zufallsbefunden umzugehen ist. Inwieweit ist der Arzt berechtigt oder verpflichtet, dem Paar Informationen über den Embryo mitzuteilen, die zu einer PID

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nicht berechtigen würden? Mit zunehmender Entdeckung des Zusammenhangs von bestimmten Genkonstellationen und Krankheiten wird die Entscheidung über den Embryonentransfer bei Zufallsbefunden immer schwieriger werden und die Ärzte bzw. Eltern schließlich vor beinahe unzumutbare Entscheidungen stellen. Die PID-Verordnung hätte hier klar darauf hinwirken müssen, dass Zufallsbefunde durch das Verbot eines allgemeinen Screenings minimiert werden und hätte in Auslegung von § 3a ESchG regeln sollen, wie mit »überschüssigem Wissen« des Arztes umzugehen ist. § 15 Abs. 1 des Gendiagnostikgesetzes bestimmt etwa, dass der Arzt der Schwangeren das Geschlecht des Embryos nicht vor Ablauf der zwölften Schwangerschaftswoche mitteilen darf. Um der Beobachtungspflicht der Auswirkungen des Gesetzes nachzukommen, wäre es wichtig gewesen, eine möglichst differenzierte Datenerhebung vorzuschreiben. Die PID-Verordnung verweist hier pauschal auf »die Anzahl des jeweiligen Begründungstypus der Indikationsstellung nach § 3a Abs. 2 des ESchG einschließlich der jeweiligen genetischen Untersuchungsmethoden«. Eine sinnvolle Bewertung der Praxis würde dagegen voraussetzen, dass gerade für die Fallvariante der genetisch unbelasteten Eltern klar hervorgeht, mit welcher Begründung eine Untersuchung veranlasst wird und inwieweit »Zufallsbefunde« zu einer weit über das Gesetz hinausreichenden Selektion führen. Die Daten, die die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) auf freiwilliger Basis gesammelt hat, sprechen eine klare Sprache: Die meisten PID-Verfahren dienen nicht jenen (wenigen) genetisch vorbelasteten Paaren, deren Leid auch den deutschen Gesetzgeber dazu bewogen hat, den Embryonenschutz empfindlich auszuhöhlen. Soll das grundsätzliche Verbot der PID nach § 3a Abs. 1 ESchG noch eine praktische Relevanz entfalten, muss die Verordnung nachgebessert werden.

Erklären Sie sich! Von Günter Renz Alle scheinen sich einig zu sein: Organspende rettet Leben; zu wenige Menschen haben einen Organspendeausweis (die Angaben schwanken zwischen 10 und 18 Prozent); deshalb sterben täglich Patienten, die auf der Warteliste stehen. Also wurde ein Gesetz verabschiedet, nach dem die Bürger regelmäßig aufgefordert werden, sich zur Organspende zu erklären. Ab November erhalten wir zum ersten Mal ein entsprechendes Schreiben der Krankenkassen, das auch die Möglichkeit einräumt, sich nicht zu diesem Zeitpunkt festzulegen. Bei dieser Sicht werden wichtige Aspekte außer Acht gelassen: 1. Schon längst und auch künftig kommen nicht nur Menschen für eine Organspende in Betracht, die einen Organspendeausweis ausgefüllt haben. Auch eine mündliche Äußerung, die die Angehörigen bezeugen, ist dafür hinreichend, ja, es genügt der mutmaßliche Wille und nicht nur das: Wenn sich auch dieser nicht eruieren lässt, können die Angehörigen ersatzweise zustimmen. Deshalb werden auch nicht nur 10 oder 18 Prozent der hirntoten Menschen Organspender, sondern mehr als 60 Prozent! Wie lange aber mag es dauern, bis sich 60 Prozent schriftlich positiv zur Organspende erklärt haben? 2. Selbst in Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt (z. B. Österreich und Spanien), nach der alle Menschen erst einmal als Organspender infrage kommen, wenn sie dem nicht klar widersprochen haben, werden die Angehörigen um ihre Zustimmung gebeten. Aus gutem Grund. Die Dichterin Mascha Kaléko hat in ihren »Versen für Zeitgenossen« so treffend formuliert: »Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, / Doch mit dem Tod der andern muß man leben.« Die Angehörigen stehen auf der Intensivstation vor der Aufgabe zu begreifen: SYM 3/2012


medizinethik

Das neue Gesetz zur Organspende Eben noch liefen die Apparate mit dem Ziel der Lebensrettung, jetzt, um eine Organspende möglich zu machen. Am Aussehen des Patienten hat sich nichts verändert. Im Falle einer Organspende können sie am Sterben des ganzen Menschen nicht teilnehmen. Zwar sieht das Gesetz vor, dass auch nach der Organspende ein Abschied von dem Verstorbenen noch möglich ist, (zu) oft wird aber davon abgeraten. Also sollte doch denen, die in ihrer beginnenden Trauerarbeit besonders betroffen sind, eine Mitentscheidung zugebilligt werden. Unbestritten kann es eine Hilfe für die Angehörigen sein, wenn sie wissen, wie er, wie sie sich dazu erklärt hat. Jedoch kann und darf eine Organspende nicht »einfach« und »schnell« gehen. Die Sensibilität gegenüber den Angehörigen würde leiden, wenn sie ihr Mitspracherecht, das ihnen bislang nahezu überall de facto zugebilligt wird, verlören. 3. Viele Menschen empfinden, dass die effektive Hilfe, die durch die Organspende möglich ist, ein überragender Wert ist. Andere Menschen empfinden stärker den Tabubruch und die Gewaltsamkeit, einem durchbluteten Leib Organe zu entnehmen, um sie einem anderen einzusetzen. Der Philosoph Hans Jonas formulierte: »Denn niemand hat ein Recht auf eines anderen Leib. – Um noch in einem anderen, religiösen Geist zu sprechen: Das Verscheiden eines Menschen sollte von Pietät umhegt und vor Ausbeutung geschützt sein.« In dem diskussionswürdigen Buch »The Righteous Mind« hat Jonathan Haidt dargestellt, wie für verschiedene Menschen und Kulturen das Gewicht der an sich selben moralischen Intuitionen unterschiedlich ist. Wohltun und Nichtschaden sind für viele Menschen der zentrale Wert, der sie auch die Organspende befürworten lässt. Aspekte von Heiligkeit und Unantastbarkeit etwa spielen in den westlichen liberalen Gesellschaften

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Die Zwillinge Cosmas und Damian waren Ärzte im 4. Jhd. Der Legende zufolge gelang ihnen eine Beintransplantation, die als »Beinwunder« in die Geschichte einging.

dagegen eine untergeordnete Rolle, wenn sie auch keineswegs verschwunden sind. Wir schulden Menschen Respekt, deren moralische Intuition der Integrität des Leibes eines Hirntoten einen hohen Wert beimisst. Dass es eine Tabuverletzung ist, einen Menschen nicht unangetastet zu Ende sterben zu lassen, werden wohl auch Organtransplanteure empfinden. Gewiss, sie stützen sich auf die HirntodDefinition (s. u.). 4. Die intellektuelle Redlichkeit erfordert es, klar im Blick zu behalten, dass es sich bei dieser Hirntod-Definition um eine Definition handelt, die in Konkurrenz zu anderen möglichen Definitionen steht, die nur dadurch gegeneinander abgewogen werden können, dass sie mehr oder weniger klar, mehr oder weniger plausibel, mehr oder weniger akzeptabel erscheinen. Unplausibel und nicht akzeptabel erscheint zum Beispiel eine Definition des Todes, die nur ein Abgestorbensein des Hirnstamms voraussetzt, wie es in Großbritannien der Fall ist (brain stem death), wo es deshalb schon vorgekommen sein soll, dass Patienten mit einem Locked-in-Syndrom als »tot« bezeichnet wurden. Die in Deutschland maßgebliche Definition setzt hingegen voraus, dass der »endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Stammhirns nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse entsprechen, festgestellt ist« (Transplantationsgesetz § 3). Diese Definition hielten die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland offenbar für plausibel, wenn sie schon 1990 formulierten: »Der unter allen

Lebewesen einzigartige menschliche Geist ist körperlich ausschließlich an das Gehirn gebunden.« Und: »Dass das irdische Leben eines Menschen unumkehrbar zu Ende ist, wird mit der Feststellung des Hirntodes zweifelsfrei erwiesen.« Wegen der genannten Aspekte ist es jedenfalls völlig verfehlt, einen moralischen Druck auszuüben, der Menschen in eine bestimmte Richtung drängen will. Wenn das neue Gesetz jedoch zu einer besseren Information beiträgt und auch dazu, dass Menschen mehr mit ihren Angehörigen über eine mögliche Organspendebereitschaft oder auch eine Patientenverfügung sprechen, ist das sicher eine gute Entwicklung. Günter Renz ist Studienleiter für Gesundheitspolitik und Medizinethik an der Evangelischen Akademie Bad Boll.

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abschied von Joachim l. beck

Wegbegleiter von »Er schafft eine Atmosphäre der Offenheit und Klarheit.«

»Brücken bauen über tiefe Schluchten«

Unterstützung und Diskurs mit den Hebammen

Da ist dieser neugierige und freundliche Blick. Er schafft eine Atmosphäre der Offenheit und Klarheit. Der Raum, in dem man sich befinKlaus-Dieter Kaiser det, verändert sich. Immer wieder habe ich dies erlebt, wenn ich mit Joachim Beck zusammengekommen bin. Dabei war es nicht von Belang, ob es in den Gesprächen um weitreichende Veränderungen in der Akademielandschaft der Zukunft oder um persönliche Dinge ging, ob gesellschaftspolitische Herausforderungen zu analysieren oder die Moderation der nächsten Sitzung zu klären waren. Der jeweiligen Frage widmete Joachim Beck seine ganze ungeteilte Aufmerksamkeit und seine Gegenüber spürten dies. Verbunden ist dies mit einer vorurteilsfreien Neugier auf den unverwechselbaren Menschen, der hinter bestimmten Positionen steht – und auf den es einzugehen gilt. Wer so auf den Anderen zugeht schafft eine Kultur des Gesprächs, die an der Sache orientiert ist und dabei den Einzelnen nicht aus dem Blick verliert. So ist es mir jedenfalls über Jahre hinweg in der wunderbaren Zusammenarbeit im Vorstand der Evangelischen Akademien in Deutschland mit Joachim Beck gegangen. Wer so auf die Welt und den Menschen blickt, ob im Kleinen oder im Großen, der schafft eine Offenheit, in der uns die Sorgenlast, die wir mit uns herumschleppen, nicht mehr zu erdrücken droht. Ein weiter Horizont öffnet sich – in den Bergen Württembergs und an der Ostseeküste Mecklenburgs. Danke, lieber Joachim!

Die Empörung über die Tagung »Partner für den Frieden – Mit Hamas und Fatah reden«, war 2010 groß. Kritik kam von der israelischen Regierung Werner Stepanek und der Bundesregierung, aber auch innerhalb der Evangelischen Kirche gab es deutliche Distanz über die »Lust am Diskurs« – so ein Zeitungstitel. In dieser aufgeheizten Stimmung brauchte die Evangelische Akademie einen festen Halt, eine kräftige Stimme und ein prägendes Gesicht, um deutlich zu machen, wofür sie steht: »Brücken bauen – auch über tiefe Schluchten!« Das sagte damals Joachim Beck, der Geschäftsführende Direktor.

Es bleibt mir somit das Bild des Akademiedirektors, der standhaft auch im Sturm der nationalen und internationalen Entrüstung für die Erfüllung des Auftrags der Akademie kämpfte: »Das gesellschaftliche Leben im Lichte des Evangeliums zu betrachten und zu begleiten.« Darum ließ er sich nicht beirren, diese Veranstaltung durchzuführen. Menschen finden nur zusammen, wenn sie aufeinander zugehen, weil sich Positionen nur dann verändern, wenn Gespräche stattfinden und auch Zumutung stattfinden kann – so Beck.

Einfach schwanger Sein ist nicht mehr. Hier ein Bluttest, dort ein Feinultraschall. Frauen werden in Situationen gebracht, in denen sie EntscheidunUrsula Jahn-Zöhrens gen fällen müssen. Die Gesellschaft scheint ein Recht auf gesunde Menschen zu haben. Es gibt wenige, die sich für eine ungestörte Schwangerschaft einsetzen. Die Bad Boller Hebammentagung ist ein Raum, in dem sich Hebammen austauschen und stärken, um den Spagat zwischen Machbarkeit und der Unversehrtheit der Schwangerschaft auszuhalten. Themen, zu denen Joachim Beck etwas zu sagen hat: vorgeburtliche Untersuchungen, Menschen mit Handicaps, Funktionieren des Menschen in einer Gesellschaft, die auf Effizienz getrimmt ist. Joachim Beck kennt den Berufsstand der Hebammen, der sich ändert, der krankt, und immer noch eine wichtige Rolle in den Familien spielt. Hebammen leiden unter dem Anspruch an die eigene Arbeit, an ihre Erreichbarkeit und am Anspruch der Frauen auf Verfügbarkeit. Hebammen kommen an Grenzen oder überschreiten sie, erleiden Burnout und kehren dem Be-ruf, den sie einst so enthusiastisch ergriffen haben, den Rücken. Fachfrau, beste Freundin oder Mutter: Welche Rolle ist gefragt? Und was hat das zu tun mit der Selbstbestimmung der Frau? Diese Problematik hat Joachim Beck aufgegriffen. Seit über 50 Jahren veranstaltet die Akademie mit dem Landesverband die Hebammen-Tagung. Joachim Beck hat uns – bei aller Unterstützung – mit empathisch-kritischer Reflexion und theoretischem Input angeregt und weitergebracht. Wir ihn vielleicht auch.

Werner Stepanek, Vorsitzender des Kuratoriums

Ursula Jahn-Zöhrens, 1. Vorsitz. des Hebammenverbands / Andrea Bosch, Hebamme

Klaus-Dieter Kaiser, Direktor der Evang. Akademie der Nordkirche (Büro Rostock) und stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Evangelischen Akademien Deutschlands (EAD)

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Es sind Blitzlichter in außergewöhnlichen Situationen, die eine Person charakterisieren. Trotz vieler persönlicher Begegnungen und enger Zusammenarbeit mit Joachim Beck in vielen Gremien z. B. im Kuratorium oder in der Landessynode brauchte es auch für mich eines solchen Moments, um Einsichten zu haben und Wahrnehmungen zu machen, die Joachim Beck kennzeichnen.

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abschied von joachim l.. beck

J o a c h i m L. B e c k Rhythmus, Tanzen und Körperbewusstsein ...

Mary Ann Fröhlich und Chris Portele

... ganz sinnliche Vokabeln prägen unsere Beziehung zu Joachim Beck. Als er uns vor fast 20 Jahren erstmals zu einer Tagung an die Akademie einlud, damals noch als Studienleiter, waren wir beeindruckt von der Selbstverständlichkeit und Klarheit, mit der er unsere Themen mit seinen verknüpfte. Die gemeinsame Liebe zu Rhythmus und Perkussion, die gemeinsame Freude daran, Menschen zusammenzubringen und ihnen eine Zeit und einen Raum zu bieten, sich und Andere zu erleben und in neuem Kontext kennen zu lernen, sind die Dinge, die uns – ohne große Worte und Mühe – zusammen gebracht haben. Nicht nur als Referenten wurden wir seither in die Akademie eingeladen. Unser beeindruckendstes Erlebnis war Joachim Becks Investitur. Wir trommelten die Gemeinde wortwörtlich zusammen und durften Joachim musikalisch in seine neue Verantwortung mit hinein begleiteten. Was uns fasziniert an Musik und Tanz aus Afrika, die Basis unserer Arbeit, ist das Urthema »Geben und Nehmen«. Vor einigen Jahren schenkte Joachim Beck uns ein kleines Büchlein, einen Text, der uns sehr beeindruckt hat und in dem wir unser Thema wiederentdeckten. Es hatte den Untertitel »Über Zeit, Raum und Liebe«. Diese Begriffe drücken knapp aber präzis viel über den Inhalt seiner und unserer Arbeit aus, den Kern dessen, was uns verbindet. Danke, Joachim Beck! Mary Ann Fröhlich, Chris Portele, Musiker SYM 3/2012

Klar, vernehmbar, unverwechselbar, modern

Als Direktor in der kritischsten Phase des Hauses eingesprungen

Denke ich an die Evangelische Akademie Bad Boll, kommen mir Joachim Beck als ihr Direktor und der seit zwei Jahren bestehende Südflügel in den Sinn. Der Südflü- Dr. Hariolf Teufel gel hat seine eigene, herausragende Architektursprache und fügt sich gleichwohl stimmig in das gesamte bauliche Ensemble der Akademie ein. Er umfasst zusammen mit den übrigen Gebäuden einen zentralen Platz, auf dem im Juli 2010 unter freiem Himmel bei schönstem Sommerwetter die Norwegische Messe aufgeführt wurde. Ich kann mich gut an dieses besondere Ereignis erinnern und die Freude von Joachim Beck, für den mit dieser Aufführung ein Wunsch in Erfüllung gegangen war. Was der Südflügel an architektonischer Persönlichkeit und Individualität ausstrahlt, aber gleichzeitig zur Raumbildung zusammen mit den weiteren Gebäuden beiträgt, das ist für mich Joachim Beck in der Evangelischen Akademie Bad Boll. Klar vernehmbar, unverwechselbar, modern in unserer Zeit stehend, aber auch eingefügt in einen Gesamtkontext und ein Kollegium. Er hat Themen aufgegriffen, die sich nicht bequem eingrenzen und (v)erträglich abschließen lassen, sondern die zu einer intensiven Auseinandersetzung mit offenem Ausgang führen. Er hat die Konfliktlinien, die in den Themen stecken, identifiziert und klar angesprochen. Er hat die Dinge nicht vereinfacht, sondern in ihrer ganzen Schwierigkeit dargestellt, auch durch den Rückgriff auf persönliche Lebenserfahrungen. Das war für ihn die Basis, um Brücken zu bauen, zu Versöhnung anzuleiten und die Anbindung an Gemeinsames zu finden.

Die Tagungsgäste und ich sitzen in der Kapelle der Evangelischen Akademie. Es ist 7:55 Uhr, die Glocke läutet. Wo bleibt der Kollege, der das »Wort in den Tag« Dr. Irmgard Ehlers halten soll? Plötzlich denke ich an unsere Notfallpläne. Für diesen Fall lautet die Absprache: Joachim Beck anrufen. Ich schleiche zum Telefon. Drei Minuten später betritt unser Direktor die Kapelle und beginnt die Andacht, als hätte er sie lange geplant. Joachim L. Beck war ab 1994 Studienleiter für Medizinethik und Gesundheitspolitik. Seine Expertise zu diesen Themen wird bis heute geschätzt. Er versteht das Tagungsgeschäft und steht hinter unserem Arbeitsauftrag. Das ist wichtig und tut besonders gut, wenn einflussreiche kirchliche oder politische Gruppen sich über unsere Tagungen ärgern – was immer wieder vorkommt. Er rückte 2003 in die – damals – vierköpfige Führung der Akademie, übernahm 2006 die alleinige Leitung. Joachim Beck trat einen harten Job an: Es gab Konflikte im Leitungsteam, die Landeskirche legte uns Sparpläne auf. Intensive Klärungen und Restrukturierungen standen an. Immerhin: Es gab keine betriebsbedingten Kündigungen und der neue Südflügel der Akademie entstand. Heute sind die wichtigsten Restrukturierungen erledigt. Wir können wieder nach vorne schauen, uns auf unsere Zielgruppen und die Inhalte konzentrieren. Dafür steht Joachim Beck. Er ist als geschäftsführender Direktor in der kritischsten Phase des Hauses eingesprungen und hatte immer einen Notfallplan parat. Ich bedaure sehr, dass er uns verlässt.

Dr. Hariolf Teufel, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Göppingen

Dr. Irmgard Ehlers, seit 1986 Studienleiterin an der Evang. Akademie Bad Boll

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produktionsschulen

Produktionsschulen schaffen Perspektiven Von Martin Mertens, Bundesverband Produktionsschulen In Kooperation mit dem Bundesverband Produktionsschulen e.V., der Evangelischen Jugendsozialarbeit EJSA und dem Diakonischen Werk Württemberg hat die Evangelische Akademie Bad Boll vom 15. bis 16. Juni eine Tagung zum Thema »Produktionsschulen stärken« durchgeführt. Sie widmete sich der Frage, welchen Beitrag Produktionsschulen in der beruflichen Förderung Benachteiligter leisten können und welchen Hoffnungen und Hürden man bei der Umsetzung begegnet. Ein wichtiges Ergebnis war die Gründung eines Initiativkreises Produktionsschulen in BadenWürttemberg.

ist inspiriert von einem reformpädagogischen Modell aus Dänemark, das schon seit 1978 existiert. In Deutschland gibt es gegenwärtig – vornehmlich im Norden des Bundesgebiets – mehr als 100 Produktionsschulen, die 5000 Lernenden ein Bildungsangebot eröffnen. Produktionsschule ist ein betriebsnahes Lernarrangement für junge Menschen, in dem über einen kooperativ organisierten Arbeitsprozess individuelle Lernprozesse nachhaltig gefördert werden. Der zentrale Lernort sind verschiedene Werkstätten. Hier spielen sich Arbeiten und Lernen ab, hier werden marktfähige Produkte erstellt und Dienstleistungen angeboten. Die Jugendlichen können hier auch Schulabschlüsse machen. Die Verbindung von Bildung und Arbeit sind somit die konzeptionellen Pfeiler der Produktionsschule. Es geht aber auch um: • Lust am Lernen und Arbeiten • erste Erfahrungen in betrieblichen Ernstsituationen • den Erwerb von Kenntnissen und Verhaltensweisen, die Voraussetzung für eine Berufsausbildung und ein späteres Erwerbsleben sind • Leistungs- und Kooperationsbereitschaft und Verantwortungsübernahme • praktische Unterstützung bei der Entwicklung eigener Zukunftsperspektiven

»Ich bin einzigartig« – heißt eine Plakatreihe des Bundesverbands Produktionsschulen.

Immer weniger Jugendlichen gelingt der reibungslose Übergang von der allgemeinbildenden Schule in den Beruf. Misserfolgserlebnisse - nicht lernen wollen oder nicht können - führen zu fatalen Entwicklungen. Das eigene Lernverhalten und die Leistung werden von vielen Jugendlichen als unbeeinflussbar erlebt, Passivität macht sich breit, jegliche Lernmotivation verschwindet. Seit Anfang 1990 gibt es in Deutschland Produktionsschulen. Ihr Konzept

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Mit ihrem Lernkonzept können Produktionsschulen einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von Bildungsarmut leisten. Dies belegen die guten Ergebnisse bei der Integration Jugendlicher aus diesen Einrichtungen in Ausbildung und Arbeit. Während der Tagung formulierten Prof. Dr. Wolfgang Mack und Prof. Dr. Arnulf Bojanowski die Probleme und Herausforderungen beim Übergang von Schule zu Beruf aus berufs- und sozialpädagogischer Sicht. Martin Mertens markierte die wesentlichen pädagogischen Prinzipien und Quali-

tätsmerkmale von Produktionsschulen einschließlich einer Standortbestimmung. Anhand von Praxisbeispielen konnten diese Eckpunkte konkretisiert werden. In den Workshops ging es um Fragen der Umsetzung und Implementierung von Produktionsschulen in die Praxis. Dabei war der Fokus immer darauf gerichtet, wie die politischen Rahmenbedingungen aktuell sind und welche strategischen Ziele sich daraus ergeben. Ein wichtiges Ergebnis der Tagung war die Gründung des Initiativkreises Produktionsschulen in Baden-Württemberg durch die Referenten der Tagung. Der Initiativkreis wendet sich an die baden-württembergische Bildungspolitik und wirbt für die Gründung von Produktionsschulen an geeigneten Standorten. Produktionsschulen werden als pädagogisches Konzept fachlich hoch gehandelt. Die finanzielle und rechtliche Situation, letztlich die politische, ist aber noch unübersichtlich und unsicher. Bei den momentanen Überlegungen zur grundsätzlichen Neustrukturierung des Übergangs Schule – Beruf sind hinreichend Ansätze vorhanden, in denen das Produktionsschulkonzept eine wesentlichere Rolle spielen kann. Es geht dabei nicht darum, einen weiteren Schultypus zu etablieren, sondern darum, wenig erfolgreiche zu ersetzen. Deshalb ist es wichtig, in die (bildungs-) politische Diskussion einzutreten, um Produktionsschulen zu stärken und zu verstetigen. Der gegründete Initiativkreis soll dazu einen Beitrag leisten. s.a. S. 22: Literaturtipps zum Thema

Bundesverband Produktionsschulen e.V. Bundesgeschäftsstelle, Wunstorfer Str. 130, 30453 Hannover, Tel. 0511-76353758 info@bv-produktionsschulen.de www.bv-produktionsschulen.de (Downloads der Qualitätsstandards, Produktionsschulprinzipien, Veranstaltungen und weitere aktuelle Informationen)

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erwerbslosentagung

Die Prekarisierungsfalle Von Bernhard Jirku, ver.di Bundesverwaltung, Berlin Das Hartz-IV-System ist schon lange kein Arbeitslosengeld- oder Sozialhilfesystem mehr. Vielmehr haben wir es mit einem Prekariatssystem zu tun, in dem die Leute mal weniger oder mal mehr, mal kürzer oder mal länger stecken. Erwerbslose, kurzzeitig oder befristet Beschäftigte, geringfügig Verdienende und Aufstocker/innen, Familien mit einfachen Einkommen: Sie alle befinden sich immer öfter, immer wieder in den Mühlen des Arbeitslosengeld-II-Systems, ohne dass es für die meisten von ihnen wirklich einen Ausweg in Richtung langjährige, existenzsichernde Beschäftigung gibt. Denn so viele existenzsichernde Arbeitsplätze sind gar nicht vorhanden – sie müssen erst geschaffen werden. Im Rahmen der Hartz-Agenda wurde die Erwerbsarbeit zunehmend prekärer bzw. unsicherer und schlechter. Die Löhne in den unteren Vergütungsgruppen sanken real um etwa zehn Prozent. Mehr als 2,5 Millionen reguläre Vollzeitarbeitsplätze verschwanden zwischen 2000 und 2010. Sie wurden ersetzt durch Mini-Jobs und Teilzeit, Leiharbeit und Werkvertragsunternehmungen, befristete Beschäftigung und Arbeit auf Abruf, Scheinselbstständigkeit und Werkverträge, 0-Euro-Praktika für Student/inn/en und Arbeitslosengeldbezieher/innen. Ein-Euro-Jobs und untertarifliche Bürgerarbeit bedrängen den Arbeitsmarkt. Mit der Ausweitung von prekärer Beschäftigung und der Verarmung in unteren und mittleren Lohngruppen stieg die Zahl der Personen bzw. Familien, die ergänzende Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen müssen. Mehr als jede/r fünfte Beschäftigte (20 Prozent) arbeitet nun zu Niedriglöhnen, insbesondere Frauen (zu 30 Prozent), aber auch Männer (zu 15 Prozent). Rund 3,5 Millionen arbeiten zu Hungerlöhnen unter 6 Euro pro Stunde. SYM 3/2012

»Würde hat ihren Wert. Arbeit hat ihren Preis« - Poster aus einer ver.di-Kampagne

Rund 80 Prozent der Niedriglöhner/ innen sind qualifiziert. Für die Benachteiligten am Arbeitsmarkt bedeutet dies: prekäres Leben rund um das sozio-kulturelle Existenzminimum, geringes oder kein Erwerbseinkommen, keine oder schlechte Arbeit, mit Sicherheit hohen Bedarf an sozialen Leistungen, vielleicht Verschuldung oder gar Überschuldung, eventuell Belastungen in der Familie bzw. in der Partnerschaft oder im Freundes-kreis, Individualisierung und Stigmati-sierung, Ausschluss und weniger Sympathien in der Bevölkerung. Mit der Hartz-Agenda verbindet sich die Devise »Jobs, Jobs, Jobs«: Arbeit um jeden Preis, Arbeit zu jedem Preis – prekäre Arbeit eben. Die Gewerkschaften treten für »Mehr und bessere Arbeit!« ein. Die Hartz-Agenda hat sich weder gesamtwirtschaftlich noch beschäftigungspolitisch bewährt: Andere EU-Staaten haben beim Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum mit einer anderen Politik wesentlich besser abgeschnitten. Auch in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 2010 hat sich die Hartz-Agenda nicht bewährt; vielmehr hat sie zur Vertiefung der Krise beigetragen. Bewährt haben sich Kurzarbeit, Arbeitszeitkonten, Beschäftigungssicherungstarifverträge und Konjunkturpakete. Beschäftigungswachstum gibt es langfristig bei den Dienstleistungen, gerade bei den »personennahen«. Hier war die Beschäftigung auch während der Finanzkrise stabil. Wir benötigen eine bessere Finanzierung der sozialen Dienstleistungen: Sei es über Steuermittel (z. B. für Bildung und Erziehung), sei es über Sozialversicherungsbeiträge (z.B. in der Pflege). Die Steuerspar-Agenda löst einen großen gesamtwirtschaftlichen Schaden aus. Es wird zu wenig für die Einnahmeseite getan, Ausgabenbegrenzung steht zu sehr im Vordergrund. Verbesserte Einnahmen sind nicht nur möglich (z. B. per Vermögenssteuer), sondern auch für eine stabile Ent-

wicklung der sozialen Dienstleistungen und einen ausgewogeneren Konjunkturverlauf notwendig. Auch die Lohnspar-Agenda führt zu großem gesamtwirtschaftlichen Schaden. Durch die reale Senkung in den unteren und mittleren Lohngruppen geht Kaufkraft dort verloren, wo sie direkt in den Wirtschaftskreislauf einfließt. Und die Menschen leiden unter miesen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen, erst psychisch und dann auch physisch. Gute statt prekäre Arbeit ist gefragt: • Mindestlöhne von 8,50 Euro statt Hungerlöhne • Unbefristete statt befristete Beschäftigung • Gleichbezahlte und gleichbehandelte Leiharbeit statt Lohndumping • Gleichbezahlte und gleichbehandelte Mini-Jobs statt Hungerlöhnen • Besser gesicherte (Solo-)Selbstständige statt sozialem Elend • Fair bezahlte Praktika und anständig behandelte Praktikantinnen statt 0-Euro-Jobs Bernhard Jirku, Bereichsleiter Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, ver.di Bundesverwaltung, war Referent bei der Erwerbslosentagung Baden-Württemberg, 24.-26. Juli

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onlinedokumente ...... Onlinedokumente auf der Internetseite der Akademie Text- und Tondokumente von Vorträgen und Diskussionen aus Tagungen der Evangelischen Akademie Bad Boll können Sie herunterladen und zu Hause lesen oder anhören. Alle Onlinedokumente – Texte und Audio-Dateien – finden Sie unter: www.ev-akademie-boll.de/onlinedokumente Textdokument Erwebslosentagung Dr. Martin Schneider 24.-26. Juli 2012, Bad Boll In seinem Vortrag »Wenn prekäre Arbeit zum Normalfall wird« stellte Schneider die Ursachen einer gefährlichen Tendenz zu prekären Arbeitsverhältnissen auf dem deutschen Arbeitsmarkt dar. Dies sei ein Indikator für pathologische Tendenzen in der Arbeitswelt. Er sieht in der Einführung

selbst zu Wort zu kommen. Es wurde immer wieder vom Missbrauch bei der Anwendung des § 31 des SGB II berichtet. Ein hoffnungsvolles neues Instrument kann das Modell des Passiv-Aktiv-Tausches werden, von dem die baden-württembergische Sozialministerin Katrin Altpeter bei der Vorstellung des neuen Landesprogramms für langzeitarbeitslose Menschen »Gute und sichere Arbeit« berichtete. Bundesweit sei dies ein Pilotprojekt, bei dem es durch öffentlich geförderte Arbeit zu einem Ausweg aus prekärem Leben in Armut, Angst und Ausgrenzung kommen soll. Die Ministerin führte weiter aus, dass das Land im Bundesrat Initiativen zur Eindämmung prekärer Beschäftigung in den Themen Mindestlohn-LeiharbeitEntgeltgleichheit eingebracht hat. Karl-Ulrich Gscheidle, KDA Reutlingen

Der Sozialethiker Dr. Martin Schneider ist Referent beim Diözesanrat der Erzdiözese München und Freising.

eines Mindestlohns und in der Umsetzung des Grundsatzes »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« im Zusammenhang mit dem Missbrauch bei der Leiharbeit wichtige sozialpolitische Gegenstrategien und zeigt auf, dass an den Sozialpathologien der Depression bzw. des »erschöpften Selbst« sich beobachten lasse, wie prekär beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehme-rinnen in den vergangenen Jahren unter immer stärkeren psychischen Druck geraten sind. Die Erwerbslo-sentagung 2012 gab über 70 Teilneh-menden, die selbst seit Jahren unter prekären Beschäftigungsverhältnissen leiden und als Hartz IV–Betroffene von teilweise entwürdigenden Erfahrungen berichteten, die Möglichkeit,

Audiodokument Israel und Palästina. Frieden in Grenzen? 29. Juni bis 1. Juli, Bad Boll Über die Tagung wird in diesem Heft in der Rückblende, S. 3 berichtet. Den Einführungsvortrag mit dem Titel Frieden in Grenzen? In welchen Grenzen und mit welcher Politik? hielt Andreas Zumach. Er ist online verfügbar.

Textdokument Mehr direkte Demokratie? Chancen und Risiken 14. bis 15. Juni 2012 Die Entwicklung der deutschen Demokratie seit 1989 unter Berücksichtigung der Entwicklung der Europäischen Union lautete der Titel eines Vortrags von Prof. Dr. Gary S. Schaal. Schaal geht davon aus, dass der wichtigste Trend in der Entwicklung der Demokratie nach 1989 ein Prozess der zunehmenden Postdemokratisierung der bundesdeutschen Demokratie ist. »Hinter der Fassade formal intakter demokratischer Partizipationsstrukturen hat sich der Einfluss der Bürger auf die Politik reduziert und der Einfluss ökonomischer Interessen, insbesondere von multinationalen Firmen, deutlich erhöht.« Diesen Trend stellt Schaal in einen direkten Zusammenhang mit einem Bedeutungszuwachs des Neoliberalismus. Mit vielen Beispielen unterfüttert Schaal seine Theorie. Seine Hoffnung ist aber, dass der »Prozess der beschleunigten Postdemokratisierung in Deutschland« entschleunigt werden kann und die Demokratie wieder an Bedeutung gewinnt. Die notwendigen Anstöße gibt er in seinem spannenden Vortrag.

Textdokument Interview mit Wolfgang Wagner, Studienleiter für Ökumene und interreligiösen Dialog 26. Juli 2012 Die Kurzfassung des Interviews von Martina Waiblinger befindet sich auf S. 22 in diesem Heft. Die Langfassung können Sie auf unserer Website lesen.

Andreas Zumach ist UNO-Korrespondent in Genf für die taz und andere Medien.

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Was kommt? Tagungen vom 7. Sept. bis 31. Dez. 2012 Einzigartig vielfältig: Entdeckungen zu Sprachfindung und Identität 60 Jahre Literatur in und aus Baden-Württemberg 7.-9. September 2012, Bad Boll Im Gespräch mit Autorinnen und Autoren verschiedener Generationen fragen wir, wie sie als Kinder und Jugendliche ihre Lebenswelt in Baden-Württemberg erlebt haben. Was hat ihnen geholfen, zu ihrer Eigentümlichkeit in Sprache und Ausdruck zu finden? Was blieb fremd? Welche Erfahrungen sind exemplarischer Natur? Die Tagung findet statt im Rahmen des Literatursommers Baden-Württemberg. Tagungsnummer: 531012 Tagungsleitung: Susanne Wolf Infos: Brigitte Engert, Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Zwischen Befristung und Überlastung. Prekäres Arbeiten in der Wissenschaft 15. September 2012, Bad Boll Im internationalen Vergleich gibt es an deutschen Hochschulen besonders viele befristete Verträge für die Beschäftigten im Mittelbau. Gerade Doktoranden leiden unter der Mehrfachbelastung von Promotion, Lehre und weiteren Forschungsvorhaben. Die Bezahlung ist äußerst bescheiden. Was muss sich ändern, um wissenschaftlichen Nachwuchs zu halten und gute Bedingungen zu bieten? Tagungsnummer: 410912 Tagungsleitung: Dr. Günter Renz, Dr. Regina Fein Infos: Susanne Heinzmann, Tel. (07164) 79-212, Fax 79-5212 susanne.heinzmann@ev-akademie-boll.de

Paläste für die Reichen – Krumen für die Armen? Die wirtschaftliche Entwicklung Indiens und die Zukunft der Armen 21.-23. September 2012, Bad Boll Seit gut 20 Jahren betreibt Indien eine Politik der wirtschaftlichen ÖffSYM 3/2012

nung, die eine starke Dynamik in der indischen Gesellschaft frei setzt. Die Gegensätze wachsen, aber die offizielle Politik will ein »einschließendes Wachstum« – ein »inclusive growth« – erreichen, das alle Bürger miteinbezieht. Kann das gelingen? Welche Perspektiven ergeben sich daraus für die über 500 Millionen Armen Indiens? Tagungsnummer: 640312 Tagungsleitung: Wolfgang Wagner, Walter Hahn, Lutz Drescher, Maria Gießmann Infos: Romona Böld, Tel. (07164) 79-347, Fax 79-5270 romona.boeld@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/640312.pdf

50 Jahre de Gaulle und die deutsche Jugend. Vergangenheit und Zukunft der deutsch-französischen Partnerschaftsarbeit 21.9. September 2012, Bad Boll Am 9. September 1962 hielt Charles de Gaulle im Ludwigsburger Schloss eine Ansprache an die deutsche Jugend. Seine Rede gilt als Meilenstein in der Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich. An diesem Studientag wollen wir gemeinsam mit deutsch-französischen Partnern überlegen, was sich seither verändert hat und wie es in der Partnerschaftsarbeit weitergeht.

Menschenrechte und humanitäre Flüchtlingspolitik Zugänge zu einem fairen Asylverfahren in Europa 21.-23. September 2012, Bad Herrenalb Flüchtlinge brauchen Zugang zu einem fairen Asylverfahren – das zeigen die Flüchtlings-Tragödien an den EU-Außengrenzen. Wie kann ein solches Verfahren aussehen? Unterstützung im Rechtsschutzverfahren, Verbesserungen für besonders Schutzbedürftige, menschenwürdiger Vollzug bei Haft während des Asylverfahrens sind einige der Themen, die in Referaten, Foren und Workshops behandelt werden. Tagungsnummer: 430812 Tagungsleitung: Simone Helmschrott, Annette Stepputat, Landeskirchliche Beauftragte für Migration Infos: Reinhard Becker, Tel. (07164) 79-217, Fax 79-5217 reinhard.becker@ev-akademie-boll.de

Abschied von der Erwerbsarbeit Aufbruch ins Morgen – Weichen stellen 26.-29. September 2012, Bad Boll Altersteilzeit, Vorruhestand und Ruhestand sind verbunden mit dem Abschied aus vielen Rollen und Beziehungen. Die Chancen der neuen Lebensphase in Beziehung, Freizeitaktivitäten und Engagement zu erkennen, ist das Ziel des Seminars. Tagungsnummer: 700212 Tagungsleitung: Dr. Karlheinz Bartel, Margit Metzger Infos: Heidi Weinmann, Tel. (0711) 351459-30, Fax 351459-55 heidi.weinmann@ev-akademie-boll.de

Die deutsch-französische Kooperation wurde von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle angestoßen. Das Foto ist von 1958.

Tagungsnummer: 670112 Tagungsleitung: Anna Greve Infos: Sybille Kehrer, Tel. (07164) 79-225, Fax 79-5225 sybille.kehrer@ev-akademie-boll.de

Sport und soziale Arbeit in der Zivilgesellschaft. Bilanz und Perspektiven der Arbeit mit sozial benachteiligten jungen Menschen 27.-28. September 2012, Bad Boll Sport spielt in der Sozialen Arbeit seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle: Er wirkt integrierend, kann pädagogische Arbeit unterstützen und schafft Raum für Begegnungen. Die Fachtagung zeigt die Entwicklungen aus Sicht von Kommunalpolitik, Wissenschaft und

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was kommt ...

Vereinen. Workshops bieten Gelegenheit, gelungene Beispiele aus der Praxis kennen zu lernen. Tagungsnummer: 340512 Tagungsleitung: Viktoria Pum, Prof. Dr. Bernd Seibel Infos: Marion Heller, Tel. (07164) 79-229, Fax 79-5229 marion.heller@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/340512.pdf

Fundraising macht Schule – Schule macht Fundraising! Fundraising für öffentliche und private Schulen und Internate 28.-29. September 2012, Bad Boll Private wie öffentliche Schulen und Internate haben Stärken, die für das Fundraising genutzt werden können. Fundraising ist kontinuierlicher Beziehungsaufbau und Beziehungspflege. Als Teil eines engagierten Schulleitungsteams erhalten Sie hier das nötige Wissen und Handwerkszeug, um dieser Herausforderung gewachsen zu sein. Damit hat Ihre Schule im Wettbewerb um pädagogisches Profil die Nase vorne. Tagungsnummer: 451112 Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers, Wolfgang Mayer, Anne Kreim Infos: Wilma Hilsch Tel. (07164) 79-232, Fax 79-5232 wilma.hilsch@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/451112.pdf

Chamäleon Mensch? Friedens- und Konfliktpotenziale im Umgang mit Klimawandel 1.-3. Oktober 2012, Bad Boll Der Prozess der Erderwärmung befindet sich in vollem Gange. Von den direkten und indirekten Konsequenzen der daraus folgenden Wetterveränderungen sind viele Millionen Men-

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schen betroffen, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Vor Ort werden in den verschiedenen Ländern passgenaue Lösungen gebraucht. Wie kann Konflikten vorgebeugt werden? Wie können innovative und differenzierte Wege der Anpassung aussehen? Tagungsnummer: 430412 Tagungsleitung: Kathinka Kaden, Simone Helmschrott, Julika Bake Infos: Reinhard Becker Tel. (07164) 79-217, Fax 79-5217 reinhard.becker@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/430412.pdf

Was ist los mit meinem Kind? Anstrengungsverweigerung und andere Bewältigungsstrategien. Tagung für Adoptiveltern 6.-7. Oktober 2012, Bad Boll Anstrengungsverweigerung ist eine der häufigsten und gravierendsten Folgen einer frühen Traumatisierung. Betroffene Kinder schneiden z.B. schlecht in der Schule ab oder scheinen unfähig, kleine Dinge des Alltags zu bewältigen. In diesem Seminar geht es um die verschiedenen Facetten der Anstrengungsverweigerung. Anhand von Fallbeispielen werden Möglichkeiten des Umgangs mit diesem Phänomen aufgezeigt. Tagungsnummer: 400812 Tagungsleitung: Christa Engelhardt, Ilse Ostertag Infos: Erika Beckert Tel. (07164) 79-211, Fax 79-5211 erika.beckert@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/400812.pdf

Rechte kennen und durchsetzen Tagung für SchwerbehindertenVertretungen 10.-12. Oktober 2012, Bad Boll Wer sich als Schwerbehinderten-Vertreter/in einsetzt, muss die Grundlagen des Sozialgesetzbuchs IX kennen. Prof. Franz Josef Düwell, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, geht auf Fragen ein und erläutert, was die Gesetzeslage für den Schutz von Beschäftigten mit einer Schwerbehinderung bedeutet. Workshops thematisieren z.B. betrieb-

liches Eingliederungsmanagement und Barrierefreiheit. Tagungsnummer: 250212 Tagungsleitung: Esther Kuhn-Luz, Martin Schwarz, Christa Engelhardt Infos: Simon Lademann Tel. (0711) 2068-261, Fax 2068-345 simon.lademann@ev-akademie-boll.de

Mitmachen Ehrensache Fit für das Botschafteramt 12.-14. Oktober 2012, Bad Boll Die Aktion »Mitmachen Ehrensache« und die Evangelische Akademie Bad Boll laden Schülerinnen und Schüler aus Baden-Württemberg ein, die sich als ehrenamtliche Botschafterinnen und Botschafter für diese Initiative an Schulen, bei Arbeitgebern und in den Medien einsetzen wollen. Das Seminar bietet Workshops, in denen öf-

fentliches Auftreten und Kommunikation geübt werden. Tagungsnummer: 360312 Tagungsleitung: Marielisa von Thadden, Gabi Kircher, Günter Bressau Infos: Heidi Weiser Tel. (07164) 79-204, Fax 79-5204 heidi.weiser@ev-akademie-boll.de

Wem sollen wir glauben? Journalisten – Bloggern – Bürgern? Medientage Bad Boll 19.-20. Oktober 2012, Bad Boll Die Grenzen zwischen klassischen und neuen Medien verschwimmen, je mehr Journalisten mit Bild- und Nachrichtenmaterial aus dem Netz arbeiten. Wo liegen die Chancen, wo die Risiken dieses Vorgehens? Wer sorgt für die Qualität und damit die Glaubwürdigkeit der Berichterstat-

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was kommt ... tung? Welchen Mehrwert bringen Blogger und Bürgerreporter für Leserinnen und Leser? Tagungsnummer: 531812 Tagungsleitung: Susanne Wolf, Infos: Brigitte Engert Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Bad Boller Hebammentagung 2012 19.-21. Oktober 2012, Bad Boll Aktuelle Themen, die Hebammen beschäftigen, werden in Vorträgen und Workshops erarbeitet: Geburt – normal oder natürlich? Tragen von Babys – auch in besonderen Situationen. Frühgeburtlichkeit. Begleitung von Frauen in der Reproduktionsmedizin. Migrantinnen verstehen und betreuen. Tagungsnummer: 410412 Tagungsleitung: Dr. Günter Renz Infos: Susanne Heinzmann Tel. (07164) 79-212, Fax 79-5212 susanne.heinzmann@ev-akademie-boll.de www.ev-akademie-boll.de/tagungen/ details/410412.pdf

Familien mit schwerkranken Kindern ehrenamtlich helfen Ehrenamtliches Engagement: helfen – begleiten – stärken 20.-21. Oktober 2012, Bad Boll Familien mit einem schwerkranken Kind brauchen Hilfe. Das Seminar qualifiziert Ehrenamtliche, die solche Familien unterstützen wollen. Hemmschwellen werden abgebaut, das Verständnis für die Ängste und Sorgen betroffener Familien gefördert. Außerdem vermitteln die Referierenden das notwendige Wissen sowie die erforderlichen Kompetenzen. Tagungsnummer: 400912 Tagungsleitung: Christa Engelhardt, Ulrich Mack Infos: Erika Beckert Tel. (07164) 79-211, Fax 79-5211 erika.beckert@ev-akademie-boll.de

Staatsschuldenkrisen: Was können wir daraus lernen? Erfahrungen aus Entwicklungsländern und Europa 2.-4. November 2012, Bad Boll Staatsinsolvenz in der Eurozone: Dass uns das blühen kann, ist durch die Krisen in europäischen Ländern schmerzhaft bewusst geworden. SYM 3/2012

Europa scheint viele der in Entwicklungsländern gemachten Fehler zu wiederholen. Die Tagung fragt nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Krisen in Nord und Süd, analysiert die Reaktionen der Politik und eröffnet Möglichkeiten zu Engagement für die Zivilgesellschaft. Tagungsnummer: 240512 Tagungsleitung: Dagmar Bürkardt Infos: Wilma Hilsch Tel. (07164) 79-232, Fax 79-5232 wilma.hilsch@ev-akademie-boll.de

Tagungsreihe »Inklusion und Schule« – Teil 1 6.-7. November 2012, Bad Boll Die Veranstaltung bildet den Auftakt einer mehrteiligen Tagungsreihe zu Heterogenität und Inklusion in Schulen. Im Fokus steht die Organisation des Lernens für Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Tagungen zeigen Methoden für Unterricht, Schulentwicklung, Teambildung und die Verbindung von Schule und lokaler Inklusionskultur. Die Veranstaltungen sind einzeln oder als komplette Reihe buchbar. Teil 2: 11. bis 12. Dezember 2012 Teil 3: 14. bis 15. Januar 2013 Teil 4: 23. bis 24. Januar 2013 Teil 5: 18. bis 19. Februar 2013 weitere Termine in Planung Tagungsnummer: 501412 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de Abschied von der Erwerbsarbeit Aufbruch ins Morgen - Weichen stellen 7.-10. November 2012, Bad Boll Altersteilzeit, Vorruhestand und Ruhestand sind verbunden mit dem Abschied aus vielen Rollen und Beziehungen. Die Chancen der neuen Lebensphase in Beziehung, Freizeitaktivitäten und Engagement zu erkennen, ist das Ziel des Seminars Tagungsnummer: 760212 Tagungsleitung: Sigi Clarenbach, Werner Kollmer Infos: Heidi Weinmann

Tel. (0711) 351459-30, Fax -55 heidi.weinmann@ev-akademie-boll.de

Verantwortungsbewusstes Führen und Entscheiden. Selbst- und Zeitmanagement im Berufs- und Privatleben 12.-14. November 2012, Bad Boll Praktische Ethik für Menschen in Entscheidungssituationen. In diesem Seminar zeigen qualifizierte Trainerinnen, wie sich dieses Modell schrittweise üben und konkret anwenden lässt. Theorie- und Praxiseinheiten setzen konkret an der persönlichen Situation der Teilnehmenden an. Tagungsnummer: 450612 Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers Infos: Wilma Hilsch Tel. (07164) 79-232, Fax 79-5232 wilma.hilsch@ev-akademie-boll.de

15. Architektentag 12. November 2012, Bad Boll Die Veranstaltung richtet sich an Fachleute aus Architektur, Restaurierungswesen, Denkmalpflege und kirchlichen Baureferaten und dient dem fachlichen Austausch über aktuelle Fragen des Bauens und Renovierens. Tagungsnummer: 531312 Tagungsleitung: Susanne Wolf, Dipl.-Ing. Gerald Wiegand Infos: Brigitte Engert Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Inklusion als Qualitätsmerkmal in Jugendarbeit und Schule. Fachtag zu inklusiver Kultur im Landkreis Esslingen 16. November 2012, Bad Boll Der Fachtag konzentriert sich auf die Diskussion und Entwicklung »inklusiver Kulturen« für Jugendarbeit und Schulen. Wie können Mitarbeitende dazu beitragen, Jugendlichen mit und ohne Behinderungen, mit verschiedenen Voraussetzungen und Hintergründen gerecht zu werden? Welche Haltung, welche pädagogischen Konzepte braucht es? Wie leben wir Wertschätzung und respektvollen Umgang mit Fremden/Anderen? Tagungsnummer: 331412 Tagungsleitung: Sigrid Schöttle

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was kommt ... Infos: Marion Heller, Tel. (07164) 79-229, Fax 79-5229 marion.heller@ev-akademie-boll.de

Selbsthilfe oder Selbstbedienung? Kritische Auseinandersetzung mit Patienten-Selbsthilfeverbänden 17.-18. November 2012, Bad Boll Selbsthilfe kann eine wichtige Rolle zur Bewältigung von Krankheiten spielen. Die Arbeit von Selbsthilfeorganisationen sollte unabhängig, eigenständig und transparent sein. Doch wer genau hinschaut, entdeckt zuweilen Verstrickungen und Abhängigkeiten, z.B. von der Pharmaindustrie. Dadurch werden Eigeninitiativen, Selbständigkeit und Meinungsaustausch behindert. Wie können sich Selbsthilfe-Gruppen trotz finanzieller Anreize die Unabhängigkeit erhalten? Tagungsnummer: 401012 Tagungsleitung: Christa Engelhardt, Gottfried Lutz Infos: Erika Beckert Tel. (07164) 79-211, Fax 79-5211

Chancen und Gefahren der E-Justiz 21.-23. November 2012, Bad Boll Der Begriff »E-Justice« bezeichnet den Einsatz von elektronischen Verfahren sowohl innerhalb der Justiz als auch zwischen Organen der Justiz – etwa Gerichten – und der Verwaltung und/ oder Privatpersonen. Welche OnlineAngebote der Justiz bringen den Rechtssuchenden was? Zeit- oder Geldersparnis, weniger Schreibarbeit, eine schnellere Erledigung der Anliegen und Beantwortung der Fragen? Tagungsnummer: 520812 Tagungsleitung: Kathinka Kaden Infos: Gabriele Barnhill Tel. (07164) 79-233, Fax 79-5233 gabriele.barnhill@ev-akademie-boll.de

Der Spaziergang nach Syrakus: Bildung als Abenteuer Johann Gottfried Seume – Wanderer und kritischer Denker 23.-25. November 2012, Bad Boll

erika.beckert@ev-akademie-boll.de

Wohnen, Leben, Wohlfühlen: Was attraktive Kommunen ausmacht 3. Demografie-Fachtag des Landkreises Göppingen 20. November 2012, Bad Boll Was macht Städte und Gemeinden zu attraktiven Wohn- und Lebensorten? Was können Kommunalpolitik und Verwaltung tun, um die Bedürfnisse Jüngerer und Älterer, von Familien, Singles und Berufstätigen zu erfüllen? Diese Frage steht im Blickpunkt des 3. Demografie-Fachtags im Landkreis Göppingen. Denn angesichts sinkender Einwohnerzahlen im Landkreis gilt es, die Attraktivität der Region weiter zu steigern. Tagungsnummer: 451412 Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers, Susanne Leinberger Infos: Wilma Hilsch Tel. (07164) 79-232, Fax 79-5232 wilma.hilsch@ev-akademie-boll.de

Boller Bußtag der Künste 21. November 2012, Bad Boll siehe S. 6

In einem halben Jahr ging Johann Gottfried Seume 1801 von Leipzig zu Fuß nach Sizilien und über Paris zurück. Sein Gepäck: 12 lateinische und griechische Klassiker und ein Frack für gepflegte Unterhaltungen. Auf den Spuren dieses neugierigen und kritischen Beobachters suchen wir nach Ansatzpunkten für einen Bildungskanon und Lehren für zukünftiges Lernen. Tagungsnummer: 500812 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

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Gibt es ein Recht auf verständliche Information? Das Konzept der einfachen Sprache 26.-27. November 2012, Bad Boll Die einfache/leichte Sprache ist eine besonders leicht verständliche Ausdrucksweise. Sie sorgt dafür, dass auch Menschen mit Sprachschwierigkeiten wichtige Informationen verstehen. Wie wird der Inhalt einer Information kommuniziert, welche Anforderungen hat die jeweilige Zielgruppe? Die Tagung führt Mitarbeitende in Einrichtungen und Behörden, die Einfache Sprache nutzen wollen, an das Thema heran. Tagungsnummer: 401312 Tagungsleitung: Christa Engelhardt, Cordula Edler Infos: Erika Beckert Tel. (07164) 79-211, Fax 79-5211 erika.beckert@ev-akademie-boll.de

Arbeit, Leben und Leistung neu denken. Grundeinkommen, Grundsicherung und andere Alternativen 30. Nov. - 1. Dez. 2012, Bad Boll In Deutschland ist der Anteil der Menschen mit geringem Einkommen seit dem Jahr 2000 von 18 auf 22 Prozent gestiegen. Gleichzeitig steigen die Einkommen der Besserverdienenden. Die Tagung geht Ursachen dieser Polarisierung nach und sucht nach neuen Formen von Arbeit, Leben und Leistung. Adrienne Göhler, MitAutorin des Buches »1000 Euro für jeden«, stellt ihr Modell des Grundeinkommens vor. Tagungsnummer: 250312 Tagungsleitung: Esther Kuhn-Luz Infos: Simon Lademann Tel. (0711) 2068-261, Fax 2068-345 simon.lademann@ev-akademie-boll.de

Mit Zielen zum Ziel Die eigene Vision des Lebens entwickeln und verwirklichen 3.-4. Dezember 2012, Bad Boll In diesem Seminar zum zielorientierten Selbstmanagement vermitteln erfahrene Referentinnen, wie Sie Ihre Pläne umsetzen, damit Sie beruflich und privat verwirklichen können, was Sie sich vorgenommen haben. Mit Hilfe von theoretischem Input, praktischen Übungen und individuellem SYM 3/2012


was kommt - rezept Feedback bestimmen Sie Ziele und den Weg zu Ihrer Umsetzung. Tagungsnummer: 450812 Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers Infos: Wilma Hilsch Tel. (07164) 79-232, Fax 79-5232 wilma.hilsch@ev-akademie-boll.de

Mobilität von morgen – Drogen von heute Verkehrssicherheitstagung 3.-4. Dezember 2012, Bad Boll Tausende finden den Tod auf den Straßen in Deutschland, Hunderttausende werden (schwer) verletzt. Jedes Jahr. In vielen Unfällen spielen Alkohol und Drogen eine Rolle – und eine hohe Risikofreudigkeit der Fahrerinnen und Fahrer. Nichts scheint so verführerisch, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, wie ein starker Druck aufs Gaspedal. Gibt es weniger gefährlichen Ersatz? Tagungsnummer: 520912 Tagungsleitung: Kathinka Kaden Infos: Gabriele Barnhill Tel. (07164) 79-233, Fax 79-5233 gabriele.barnhill@ev-akademie-boll.de

Recht auf Risiko Jugendschutz und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit 7.-8. Dezember 2012, Bad Boll Es gibt Gründe, Jugendliche in Schutz zu nehmen, zum Beispiel vor Rauschtrinken oder bestimmten Computerspielen. Nur: Wo dürfen sie noch ihre eigenen Erfahrungen machen? Öffentliche Verregelung provoziert immer gefährlichere Fluchten. Pädagogik und Politik müssen sich in der Spannung zwischen Jugendschutz und Persönlichkeitsentfaltung neu verständigen. Tagungsnummer: 310912 Tagungsleitung: Gerald Büchsel Infos: Andrea Titzmann Tel. (07164) 79-307, Fax 79-5307 andrea.titzmann@ev-akademie-boll.de

Unternehmen und Menschenrechte 10.-11. Dezember 2012, Bad Boll Unternehmen sind für die Einhaltung gesetzlicher Regeln und Bestimmungen haftbar. Sie werden darüber hinaus aber auch für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörungen

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durch Tochterunternehmen oder Zulieferer verantwortlich gemacht. Die Tagung diskutiert Möglichkeiten und Erfahrungen, den Schutz der Menschenrechte und vergleichbarer Rechtsnormen im unternehmerischen Handeln umzusetzen. Tagungsnummer: 620712 Tagungsleitung: Dr. Dieter Heidtmann Infos: Sybille Kehrer Tel. (07164) 79-225, Fax 79-5225 sybille.kehrer@ev-akademie-boll.de

Tagungsreihe »Inklusion und Schule« – Teil 2 11.-12. Dezember 2012, Bad Boll In der mehrteiligen Tagungsreihe geht es um Heterogenität und Inklusion in Schulen. Im Fokus steht die Organisation des Lernens für Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Tagungen zeigen Methoden für Unterricht, Schulentwicklung, Teambildung und die Verbindung von Schule und lokaler Inklusionskultur. Die Veranstaltungen sind einzeln oder als komplette Reihe buchbar. weitere Termine auf Anfrage Tagungsnummer: 501312 Tagungsleitung: Dr. Thilo Fitzner Infos: Brigitte Engert Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Auftauchen – Gesicht zeigen! Sichtbarkeit von Lesben im öffentlichen und privaten Raum 13.-16. Dezember 2012, Bad Boll Versteckt leben oder sich outen? Was hindert und was hilft Lesben, Gesicht zu zeigen und für gleiche Rechte zu kämpfen? Die Boller Lesben-Tagungen waren und sind der Ort, über Wege zur Sichtbarkeit im privaten, beruflichen, öffentlichen Raum zu diskutieren und sich von guten Vorbildern ermutigen zu lassen. Tagungsnummer: 531212 Tagungsleitung: Susanne Wolf Infos: Brigitte Engert Tel. (07164) 79-342, Fax 79-5342 brigitte.engert@ev-akademie-boll.de

Französischer Ziegenkäse auf exotischem Tomatenbeet 4 Personen Zutaten geputzt gewogen 1 EL 1/2 50 ml 1 1 EL 100 gr 400 gr 4

Pinienkerne Bio-Orange, Schale Orangensaft EL Honig Sultaninen Kräutersalz, Pfeffer Frühlingszwiebeln (fester Teil) kleine Rispentomaten Olivenöl Ziegenfrischkäse à 40 gr Basilikumblätter

Zubereitung Pinienkerne in einer trockenen Pfanne anrösten; aus der Orangenschale Zesten reißen und mit Orangensaft, Rosinen, Honig, Salz und Pfeffer zu den Pinienkernen geben. Kurz aufkochen, zur Seite stellen. In der Kippbratpfanne Olivenöl erhitzen, Frühlingszwiebeln in schräge 3 cm breite Stücke schneiden, anbraten; die ganzen Tomaten dazugeben und so lange bei milder Hitze in der Pfanne bewegen, bis die Tomaten durchgewärmt sind und die Haut aufplatzt. Die Saftmischung dazugeben und abschmecken Das Tomatengemüse flach in eine Wanne füllen und die Ziegenkäse mit lockerem Abstand auflegen, 10 Minuten bei 170 ° im Ofen überbacken, mit Basilikumblättern überstreuen und lauwarm servieren. Guten Appetit! Ihre Marianne Becker

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aus der akademie

Aus der Akademie Wir verabschieden Studienleiter Wolfgang Wagner Am 1. November 1998 hat Wolfgang mit der Arbeit in der Evangelischen Akademie Bad Boll begonnen. Vierzehn Jahre später, zum 1. November 2012, geht der Studienleiter für Ökumene und interreligiösen Dialog in den Ruhestand. Die Stelle fällt den Sparvorgaben der Landeskirche zum Opfer und wird nicht wieder besetzt. Martina Waiblinger hat sich mit Wolfgang Wagner unterhalten. Die Langfassung des Interviews ist im Internet verfügbar (s. a. S. 16)

Was heißt Ökumene für Dich? Ich bin schon von meiner Familie her so gestrickt, dass evangelisch und katholisch für mich keine getrennten Häuser sind. Ökumene ist für mich die ganze bewohnte Erde, auch über konfessionelle Grenzen hinweg. Deshalb habe ich die Ökumene schon früh auf den interreligiösen Dialog ausgeweitet. Durch die Einwanderung vieler Muslime nach Deutschland wurde der Dialog auch politisch dringend. Ich habe die Bedeutung dieses Dialogs von Anfang an auch im Arbeitskreis Islam der Landeskirche (AK Islam) intensiv vertreten. Wie hat sich das Thema Islam entwickelt? Der Islam wurde in der Akademie vor allem unter migrationspolitischen Aspekten gesehen. Deshalb wollte ich auch theologische Fragen aufnehmen.

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Mir ging es darum, ein positives Verhältnis zum Dialog zu gewinnen. Als ich hier anfing, gab es in der Kirchenleitung eine starke Abwehr – ich kann mich an eine Formulierung im AK Islam erinnern: Ich solle doch den Islam nicht hoffähig machen. Am Anfang thematisierte ich die ChristlichIslamischen Gesellschaften, die in Boll den Koordinierungsrat christlich-islamischer Dialog (KCID) gegründet haben. Ich habe das Thema Islam auch durch meine Studienreisen in den Nahen Osten aufgegriffen – zum Beispiel in den Libanon und nach Syrien – auch als Ergänzung zu den vielen Reisen nach Israel. Mir war wichtig, dass man das Heilige Land nicht nur auf Israel bezieht. Ferner ging es mir darum, die islamischen Pluralitäten wahrzunehmen. Ich habe früh gelernt, Shia und Sunni zu unterscheiden und zu sehen, dass der Islam innerhalb der verschiedenen Ethnien noch einmal ganz verschieden aussieht. In meiner Zeit in Afrika hatte ich einen sehr toleranten afrikanischen Islam kennengelernt, der sich nach dem 11. September 2001 allerdings radikalisiert hat – wie hier ja auch. Vielleicht kann man sagen, dass der 11.9.2001 die Scheidemarke war. Gab es auch einmal einen Skandal? Na ja, also skandalös fand ich schon, dass bei einer Armenientagung, die anlässlich eines Jubiläums der Kirche von Armenien stattfand, die Sozialistische Arbeiterpartei der Türkei vor dem Haus eine Demonstration durchgeführt hat. Obwohl ich sie zum Gespräch und zum Kaffee eingeladen habe, haben sie sich verweigert. Sie wollten nur ihre Fernsehbilder haben, und sie haben uns schon während der Tagung in der Zeitung Hürriyet in die Pfanne gehauen. Das fand ich schon ziemlich übel. Übel finde ich auch, dass man gleich zum Antisemiten gestempelt wird, wenn man etwa die Politik Israels kritisch darstellt oder Referenten einlädt, die das tun. Das finde ich besonders bei mir ziemlich deplatziert, wo ich schon als 20-Jähriger Aufbauarbeit in Israel geleistet habe. Es ärgert einen natürlich, wenn das Gespräch nicht mehr im Saale

stattfindet, sondern in Pressemeldungen oder E-Mails. Diese Entwicklung verstärkt sich durch das Internet. Was hast Du besonders gerne gemacht? Ich hatte immer sehr viel Freude an den Sommerakademien. Hier war ich nicht nur Moderator und habe die Referenten besorgt, sondern konnte selbst mehr zur Sache einbringen. Was mir da sehr am Herzen liegt, sind nicht nur die Religionen des Fernen Ostens, zu denen ich einiges gemacht habe, wie diesen Sommer die Konfuzius-Tagung. Ich war im Jahr 2000 in unserer Partnerakademie in Kyoto und habe mich da mit den japanischen Religionen beschäftigt. Im letzten Jahr war ich dann in Peking und Tsingtau auf den Spuren von Richard Wilhelm. Diese Verbindung mit der Tradition Blumhardts und Richard Wilhelms pflegen wir hier im Haus ja sehr und ich hoffe, dass das fortgesetzt wird. Wir haben in Bad Boll den Blumhardt-Friedhof und das Grab von Richard Wilhelm und ich träume davon, dass dies ein Pilgerort für Millionen von Chinesen wird, die kommen, um das Grab zu besuchen. Wilhelm ist in China sehr berühmt und es ärgert mich, dass ich immer wieder Theologen treffe, die von Richard Wilhelm keine Ahnung haben. Was hat sich in der Akademie verändert? Erstens: Die Tagungen sind teurer geworden und man muss immer dem Geld und den Zuschüssen nachjagen. Das ist schwieriger geworden. Ich bekomme von der Landeskirche für die Tagung im engeren Sinn weniger Geld, das war früher noch etwas anders. Zweitens sind die Leute meiner Zielgruppe, die Zeit haben, manchmal nicht so gut bemittelt, dass sie unsere Gebühren bezahlen können. Oder umgekehrt, wenn sie Geld haben, haben sie meist nicht die Zeit für eine zweibis dreitägige Tagung. Das ist eine Entwicklung, die ich für sehr problematisch halte. Außerdem gibt es immer mehr Stiftungen und Tagungsstätten – die Angebote eskalieren. Vieles, was früher in der Akademie einzigartig war, machen inzwischen SYM 3/2012


buchtipps – aus dem archiv auch andere. Die Konkurrenz ist sehr viel schärfer geworden und man muss mehr aufbringen als früher – auch in der Öffentlichkeitsarbeit. Nehmen wir einmal das aktuelle Beschneidungsproblem – dazu hätte man früher vielleicht eine Tagung gemacht. Bis wir das hier aber organisiert haben, ist das Thema für die meisten schon wieder vorbei. Da sind ein paar Talkshows gelaufen, da gibt es Diskussionen im Internet und dann interessiert es schon nicht mehr. Mit solchen aktuellen Themen tun wir uns schwer. Durch die Wiedervereinigung ist unsere Akademie auch etwas ins Abseits geraten. Ich merke, dass politisch sehr viel in Berlin läuft, wo Kollegen einen leichteren Zugang zu Ministern, Abgeordneten und Politikern haben. Es ist schwieriger geworden, Referenten hierher zu locken. Und was die Kirche angeht, da finde ich es bedauerlich, dass die Generation, die aus der Evangelischen Akademikerschaft ein typisches Tagungspublikum war, inzwischen ziemlich überaltert ist und wir mit dem Nachwuchs Probleme haben und noch kein Patentrezept, wie wir die jüngere Generation hierher lotsen können.

Neu in der Akademie Dagmar Heft, Leiterin des Tagungszentrums Dagmar Heft leitet seit dem 1. Juli das Tagungszentrum der Evangelischen Akademie Bad Boll. Die 44Jährige folgt Ingrid Hess nach, die nach 26 Jahren in den Ruhestand gegangen ist. Dagmar Heft stammt aus Kirchheim/Teck und ist nach einigen Auslandsaufenthalten wieder dorthin zurückgekehrt. Die gelernte Restaurantfachfrau begann ihre Laufbahn in der gehobenen Gastronomie und Hotellerie und veränderte ihre beruflichen Einsätze immer mehr in den Empfangs- und Veranstaltungsbereich. Unter anderem arbeitete sie als Empfangschefin in Kenia für den ASC, sowie für den Robinson Club in Österreich und Italien. Außerdem kann sie in den Sparten Gastronomie, Catering und Veranstaltungen auf mehrjährige leitende Positionen sowohl im organisatorischen als auch SYM 3/2012

im administrativen Bereich zurückblicken. Zuletzt war sie bei der Wöllhaf Gastro Service GmbH am Stuttgarter Flughafen als Konferenz- und Bankettmanagerin tätig. »Ich freue mich sehr auf die neue Aufgabe. Mich spricht vor allem die Herausforderung an, in der heutigen Zeit ein Tagungszentrum nachhaltig – also sozial, ökologisch und auch ökonomisch verantwortlich – zu führen und für die Gäste und Mitarbeiter attraktiv zu gestalten.«

Buchtipps, Links Zu »Produktionsschulen schaffen Perspektiven« (s. S. 14): Thomas Johanssen: Produktionsschulen schaffen Perspektiven, in: Lernchancen 74/2010 Cortina Gentner, Arnulf Bojanowski, Claus Wergin (Hrsg.): Kurs finden. Junge Menschen auf dem Weg ins Leben, Münster 2008 Zu »Erklären Sie sich: Das neue Gesetz zur Organspende« Jonathan Haidt: The Righteous Mind: Why Good People Are Divided by Politics and Religion, Pantheon 2012 (in englischer Sprache) Zu »Palästina und Israel.

Frieden in Grenzen?« (s. S. 3) Meir Margalit Kontrolle, Strategie und Praxis der Siedlerbewegung in Ost-Jerusalem, AphorismA Verlag, Berlin, 2012 Mehr als vier Jahrzehnte nachdem die Stadt ›vereinigt‹ wurde durch die israelische Armee, ist die Stadt so geteilt wie eh und je. Die psychologischen und die sozio-ökonomischen Barrieren sind sehr viel höher als die Mauer es war, durch die Jerusalem bis 1967 in Ost und West geteilt war. Israelis und Palästinenser wurden in dieser Zeit Bürgerinnen und Bürger zweier unvereinbarer Welten; eine Kluft trennt sie, sie leben auf demselben Fleckchen Erde, und doch scheinen es zwei unterschiedliche Planeten zu sein. Sari Nusseibeh Ein Staat für Palästina? Plädoyer für eine Zivilgesellschaft in Nahost Antje Kunstmann Verlag, München 2012 Links zu Inna Michaeli, Coalition of Women for Peace und das Projekt »Who profits?« www.whoprofits.org www.coalitionofwomen.org/?lang=en Link zur Kampagne »Stop the wall«: www.stopthewall.org

Aus dem Archiv Das Thema »Hebammen« in den 50er Jahren Seit vielen Jahren gibt es in der Evangelischen Akademie Bad Boll die Hebammentagungen. Wie das Thema in den 50er Jahren behandelt wurde, zeigen Ausschnitte aus der Akademiezeitschrift »aktuelle gespräche«: aktuelle gespräche 2/1954, S. 6-7 Ausnahmezustand Geburt Der Mensch von heute ist von fataler Nachgiebigkeit gegenüber der Zentrifugalkraft, die ihn aus seinem Intimbereich in das Versachlichte und Unverbindliche hinausschleudert. Auch die Geburt verlagert sich in die keimfreie Institution. Die Mutter verzich-

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aus dem archiv tet weitgehend auf das persönliche Vertrauensverhältnis zu einer Hebamme. Stirbt die freie Hebamme? fragte man sich auf der Hebammentagung. Und die Klinikhebamme: ist sie nicht bloß noch Ornament, einzig durch das Hebammengesetz vor dem Abbröckeln bewahrt, das das Hinzuziehen einer Hebamme zu jeder Entbindung anordnet? Geburt und Tod vollziehen sich – adrett hygienisch verpackt – in der Klinik. Das Elementare ist dem Auge entrückt. [...] Man sieht nicht mehr, dass geboren wird. Die Familie betrügt sich um die Geburt als natürliches Ereignis. [...] Vielleicht ist die Hebamme ein Relikt des Urtümlichen, das sich wie ein Museumsstück zwischen Nickel, Chrom und Narkose ausnimmt, sie erfüllt aber doch eine besondere Aufgabe, die ihr eine eigene Würde und Berechtigung verleiht: Sie kann Ratgeberin der Familie sein, wie kaum jemand sonst. Wo Leben und Tod eine hautdünne Wand zwischen sich haben, wird plötzlich Raum für Fragen nach den letzten Dingen. Und hier überhöht sich die Ratgeber-Aufgabe der Hebamme. Hier wird Seelsorge von ihr erwartet. Firma Hebamme & Co. Früher hatte beinahe jede Gemeinde ihre Hebamme. Heute gibt es zu wenig Hausgeburten dafür. Um nicht unnötig vielen Hebammen das garantierte Mindesteinkommen von 1200 DM im Jahr zahlen zu müssen, schaffen einzelne Länder (wie auch BadenWürttemberg) Planstellen und zentralisieren die Hebammen. Statt eine oder zwei Gemeinden hat die Hebamme nun vielleicht zwölf zu besorgen. [...] Die verplante Hebamme wird ein Betrieb. Eigentlich brauchte sie jetzt Auto, Telefon und jemand, der ans Telefon geht, wenn sie nicht da ist. Diese Betriebskosten würden die garantierten monatlichen 100 DM überschreiten. [...] Deshalb werden sich die Hebammen weiterhin zweirädrig über vereiste Straßen bewegen müssen. Hebammen aus Passion Und sie begnügen sich. Denn sie sind Hebammen aus Passion. Und wenn sie längst Mann und Kinder haben, und wenn genau genommen weder Zeit

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ist noch die Notwendigkeit be-steht, neben dem Haushalt zu arbeiten, können sie es nicht lassen. Ein Zug des Urmütterlichen, ein metaphysischer Schauer, das Geheimnis der Schöpfung ist um diesen Beruf. Nur wer ihn mit seelsorgerlicher Verantwortung ausübt, wird ihm ganz gerecht. Obgleich man eigentlich nicht mehr von ihm leben kann, gibt es immer noch reichlich Nachwuchs dafür. Vielleicht ist das Bangen mancher Hebammen um ihre künftigen Existenzmöglichkeiten deshalb nicht nötig, weil offenbar eine mit dem Verstand nicht faßbare Existenzberechtigung für diesen Beruf besteht. Es gibt Dinge, die aller menschlichen Voraussicht nach schon längst hätten sterben müssen und die dennoch unverwüstlich weiterleben. aktuelle gespräche 2/1955 Hebammentagung 11.-15.3.1955 Zum ersten Mal kaserniert wird der Mensch als Neugeborenes in der Klinik. Das Natürliche und den Bedürfnissen des Neugeborenen entsprechende wäre das Zusammenbleiben mit der Mutter. In Paris und den USA gehen deshalb einige Kliniken schon dazu über, das Kind in den ersten Tagen nicht von der Mutter zu trennen. Eine andere Enttäuschung des Kindes in den ersten Lebenstagen, die sich eher vermeiden lässt, ist die Flasche. Die Mutter, die sich bewußt oder unbewußt, durch ein teures Präparat vom Stillen loskaufen möchte (Pulver in die Flasche, dreimal schütteln, und die Nahrung ist fertig), sollte bedenken, dass die Flasche das erste Fehlerlebnis des Kindes darstellt. Die Hebamme hat hier – wie auch in anderer Hinsicht – die Aufgabe, die Mutter zu sich selbst und zu ihrem natürlichen Erleben zurückzuführen und damit dem Kind von heute die wirkliche Mutter wiederzugeben. »Mehr Seele in der Geburtshilfe«, forderte der Direktor der Mainzer Universitäts-Frauenklinik, Prof. Schwalm, auf der Hebammentagung. Er dachte dabei vor allem an diejenigen Kliniken, die ihr fehlendes Personal durch Medikamente ersetzen zu können

glauben. Verantwortungsvolle Ärzte kommen in den Kliniken immer mehr von bewusstlos machenden Medikamenten ab. Seelische Führung lässt sich nicht durch eine Narkose ersetzen. Die Hebamme wird stets den Hauptteil an der seelischen Führung haben. Vor allem braucht die werdende Mutter vor der Entbindung eine intensive seelische Betreuung. Diese Betreuung ist eine sittliche Verpflichtung, die der Hebammenberuf jeder Hebamme auferlegt. Sie sollte sich Zeit dazu nehmen – selbst wenn sie nichts daran verdient.

Impressum SYM – Magazin der Evangelischen Akademie Bad Boll 9. Jahrgang 2012, Heft 3/2012 ISSN: 1613-3714 Herausgeber: Evangelische Akademie Bad Boll (Joachim L. Beck) Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Martina Waiblinger Redaktion und Gestaltung: Martina Waiblinger Fotonachweis: Badische Sportjugend Freiburg: S. 18; Michael Bofiinger: U 4 (1); Evan. Akademie Bad Boll: S. 2, 7; Evan. Akademie Baden: S. 2; Evan. Akademie Meißen: S. 2; Thilo Fitzner: U 4 (1); Simone Helmschrott: S. 5; Israelische Botschaft: S. 3; Katja Korf: S. 4, 16; Kirchenfernsehen.de: S. 22; picturealliance/ dpa, Waltraud Grubitzsch: S. 9; Irina Rossnov: U 4 (1); ver.di: S. 15; Martina Waiblinger: S. 3, 5 (2), 16, U4 ( 6) SYM erscheint vierteljährlich. Anschrift des Herausgebers: Evangelische Akademie Bad Boll Akademieweg 11, 73087 Bad Boll Tel. (07164) 79-0 E-Mail: info@ev-akademie-boll.de Redaktion: martina.waiblinger@ ev-akademie-boll.de Tel. (07164) 79-302 www.ev-akademie-boll.de Das Papier wurde chlorfrei und säurefrei gebleicht. Druckerei: Mediendesign Späth GmbH, 73102 Birenbach

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meditation

Heilsame Berührung Fresko aus der Kirche des Heiligen Mamas in Louvaras, Zypern

Von Günter Renz In einer der alten kleinen Scheunendachkirchen im Gebirge Zyperns findet sich dieses Fresko. Die Kirche ist nach dem Heiligen Mamas benannt, einem Märtyrer aus dem 3. Jahrhundert, der im Mittelalter besonders in Zypern verehrt wurde. In orthodoxen Kirchen folgt die Ausmalung einem festen ikonographischen Programm. In dieser Kirche aus dem 15. Jahrhundert hat der Künstler zusätzlich gleich vier Heilungsgeschichten aus dem Neuen Testament dargestellt, darunter diese Heilung der Schwiegermutter des Petrus von ihrem Fieber. Petrus scheint seine Schwiegermutter Jesus vorzustellen, erwartungsvoll, fast fordernd auf Jesus schauend -, aber der hat längst seinen eigenen Blick-Kontakt zu ihr aufgenommen, die - wie es mir scheint – zurückhaltend und neugierig gleichermaßen zu ihm aufblickt. Jesus ist ihr zugeneigt, ja er hat ihre Hand genommen. Versetzen wir uns in die Schwiegermutter des Petrus. Da berührt sie in

ihrer Schwäche ein fremder Mann. Spüren wir mit ihr die Hand Jesu? Wie tief geht es in uns - in sie hinein? Das Zulassen und Erhoffen dieser Berührung durch diesen Wunderheiler geht durch und durch. Das Berühren dürfte das älteste und wirksamste Werkzeug ärztlichen Handelns sein. Was ist davon geblieben? Der berühmte Herzspezialist Bernard Lown schildert in seinem Buch ›Die verlorene Kunst des Heilens‹ sehr eindrucksvoll, wie die Berührung immer unwichtiger wurde. Im Mittelalter legten die Ärzte ein Ohr auf den Brustkorb des Patienten, um auf die Darmund Herzgeräusche zu hören. „Auf das, was in mir vorgeht, lauscht ein gebildeter Mensch, der diese Nähe nicht scheut.“ Heute ist die Berührung weitgehend der maschinellen Durchleuchtung und der Analyse von Laborwerten gewichen. Dabei spüren wir in der Berührung durch einen anderen nicht nur diesen, sondern vor allem auch uns selbst. Das kann jeder bestätigen, der einmal bei einem zupackenden Physiotherapeuten war. Berührungen sind in unserer Kultur stark formalisiert (Händeschütteln)

oder dem sehr privaten und intimen Bereich vorbehalten. Manchmal habe ich mich schon gewundert, wie alte und vielleicht auch kranke Menschen, aber auch Trauernde Berührung suchen und gerne zulassen, so wie sie es ihr Leben lang vielleicht nie gewollt oder nie erlebt haben. Sie haben offenbar wieder die Freiheit anzunehmen, was ihnen gut tut. Wohltuendes Berühren und Streicheln scheint den Blutdruck zu senken und das Immunsystem zu aktivieren. Wieder zu Jesus. Jesus berührte und ließ Berührung zu. Er ließ sich die Füße salben, er ließ diese intime Berührung durch eine noch dazu stadtbekannte Frau zu; und sie geschah unter den Augen wohlanständiger Leute, die nur befremdet und peinlich berührt sein konnten. Da wird die Wirkung der Berührung potenziert durch die Augen, die auf diese Handlung gerichtet sind. Jedem wäre es an Jesu Stelle wahrscheinlich äußerst ungemütlich geworden. Aber Jesus findet wieder einmal Worte, die weiterführen. Ja, Jesus ließ sich berühren, natürlich auch im übertragenen Sinn, er ließ sich berühren von den Menschen in Not, die ihm begegneten, er ließ sich berühren von der Schwiegermutter des Petrus in ihrer Schwäche und ihrem Fieber – und er berührte sie und heilte sie.


Abs. Evangelische Akademie Bad Boll, Akademieweg 11, 73087 Bad Boll - Postvertriebsstück 64670 - Entgelt bezahlt

Joachim L. Beck verlässt nach 18 Jahren die Evangelische Akademie Bad Boll. Er hatte 1994 als Studienleiter für Medizinethik und Gesundheitspolitik begonnen. 2003 wurde er Teil der vierköpfigen Leitung. Von 2006 bis Ende September 2012 war er Geschäftsführender Direktor der Akademie.


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