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Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter laufendem Betrieb

Entwicklung und Anwendung eines bauaufsichtlich zugelassenen Verfahrens Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter laufendem Betrieb

von Jürgen Feix, Johannes Lechner

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Ein Großteil der in Deutschland erstellten Ingenieurbauwerke wurde in den 1950–1970er Jahren errichtet und ist somit heute rund 50 Jahre alt. Aus wirtschaftlichen sowie Gründen der Nachhaltigkeit sollen diese Bauten häufig weiterverwendet, vergrößert oder umgenutzt werden. Damit einher gehen meist eine Lasterhöhung auf das Tragwerk und geänderte Bemessungsansätze der Normung, wodurch eine Verstärkung des Tragwerks erforderlich wird. In vielen Fällen ergeben sich drastische Defizite an vorhandener Querkraft- bzw. Durchstanzbewehrung in bestehenden Stahlbetonbauten. Aus diesem Grund wurde in den vergangenen Jahren an der Universität Innsbruck ein neues Verfahren entwickelt, das auf der Verwendung von sogenannten Betonschrauben als nachträglicher Bewehrung beruht. Die aus der Verankerungstechnik bekannten Betonschrauben haben aufgrund ihres mechanischen Verbundes mit der existierenden Struktur ein sehr robustes Tragverhalten und können von einer Seite des Tragwerks installiert werden, wodurch sich große Vorteile hinsichtlich der Nutzung des Bauwerks während der Verstärkungsmaßnahme ergeben. 1 Einleitung Ein Großteil der vorhandenen Brückentragwerke der zentraleuropäischen Staaten wurde in den Jahren zwischen 1960 und 1990 errichtet. Dies ist sehr deutlich anhand Bild 1 zu erkennen, in welchem der Anteil der gesamten Tragwerksflächen, bezogen auf den Errichtungszeitraum, dargestellt ist. Die Brückentragwerke an den deutschen Bundesfernstraßen sind mit über 45 % der Bauwerksflächen heute zwischen 60 und 40 Jahre alt. Eine Betrachtung der verwendeten Materialwahl bei diesen Brücken der Deutschen Bundesanstalt für Straßenwesen [1] zeigt, dass der überwiegende Teil, fast 90 % der Tragwerke, in den Bauweisen Stahlbeton- oder Spannbeton errichtet wurde. Die Verteilung der Brückenfläche nach den verschiedenen Bauweisen ist in Bild 2 dargestellt. Üblicherweise wird für Brückentragwerke eine Nutzungsdauer von ca. 100 Jahren definiert, wobei davon ausgegangen wird, dass in diesem Zeitraum etwa zweimal eine Sanierung des Tragwerks im größeren Ausmaß vorzunehmen ist. Betrachtet man nun die Altersstruktur, so kann erkannt werden, dass ein großer Teil der Tragwerke bereits die Hälfte der beabsichtigten Nutzungsdauer überschritten hat. Zudem müssen für einen großen Teil des Brückenbestands in nächster Zeit die vorgesehenen Instandsetzungsmaßnahmen erfolgen.

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Altersstruktur der Brückentragwerke der Bundesfernstraßen in Deutschland © Universität Innsbruck/Daten aus [1]

Neben dem steigenden Alter der Brückeninfrastruktur wirkt sich der deutlich zunehmende Schwerverkehr auf den europäischen Hauptverkehrswegen negativ auf den Zustand dieser Bauwerke aus. So zeigen Verkehrsstatistiken, wie etwa jene des Amtes der Tiroler Landesregie rung [2], dass sich die Menge der transportierten Güter über den Brennerpass, eine der zentralen europäischen NordSüd-Verbindungen, zwischen 1960 und 2010 mehr als verzehnfacht hat. Ähnlich zeigt die Verkehrsstatistik der Bundesanstalt für Straßenwesen [3], dass auch auf deutschen Fernstraßen das durch schnittliche Verkehrsaufkommen zwischen 1960 und heute von ca. 7.000 auf ca. 50.000 Kfz/d gestiegen ist. Mit dieser massiven Zunahme des Verkehrs geht auch eine deutliche Zunahme der Lasten einher, welche auf die vorhandenen Tragwerke einwirken, insbesondere durch den wachsenden Schwerverkehr und neue größere Güterfahrzeuge. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und die heutigen Bauwerke auch für zukünftige Entwicklungen auszulegen, wurden im Zuge der Einführung der europäischen Normung, der Eurocode-Serie, die anzusetzenden Lasten auf Brücken deutlich gegenüber den vorher gültigen Richtlinien gesteigert. So zeigen etwa Maurer et al. [4], dass durch die höheren Lasten gerade die Auswirkungen in der Berechnung in Tragwerksquerrichtung deutlich ausfallen können. Daraus ergibt sich etwa die Notwendigkeit einer Querkraftverstärkung von Fahrbahnplatten bei bestehenden Plattenbalken- oder Hohlkastentragwerken. Zudem wurden speziell in Hinsicht auf den Querkraftwiderstand die Berechnungsansätze in der Normung seit Errichtung der Tragwerke mehrmals angepasst und überarbeitet. So wurde etwa die Ermittlung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung, wie sie zum Beispiel Platten darstellen, im Laufe der Jahrzehnte deutlich restriktiver.

Somit ergibt sich bei einer Nachrechnung von 115 Balkenbrücken durch Fischer et al. [5] bei 57 % ein rechnerisches Querkraftdefizit, wobei bei einem Viertel der Tragwerke ein Defizit von mehr als 100 %, bezogen auf die ursprünglich rechnerisch aufnehmbare Querkraft, festgestellt wird. Der überwiegende Anteil dieser Bauwerke stammt aus den Jahren vor 1966, da hier aufgrund der damals gültigen Normung auf eine Mindestquerkraftbewehrung bei Einhaltung der kritischen Schubspannung verzichtet werden konnte. Aus diesen Gründen ergibt sich gerade für Betontragwerke die Notwendigkeit, solche rechnerischen Defizite auszuglei chen. In den letzten Jahren haben sich zwei Ansätze für die Lösung jener Problemstellung etabliert. Dies ist zum einen der Nachweis der Tragfähigkeit mit neueren, häufig versuchsbasierten Berechnungsansätzen, die eine höhere Tragfähigkeit ergeben, und zum anderen die Verstärkung der Tragwerke auf das geforderte Traglastniveau der aktuellen Normung.

2 Betonschrauben als Verstärkungselement 2.1 Einführung Um die Defizite an vorhandener Querkraftbewehrung in bestehenden Strukturen auszugleichen, braucht es innovative Verstärkungssysteme. Diese müssen nicht nur eine hohe Verstärkungswirkung bei geringem Einsatz an Verstärkungselementen aufweisen, sondern auch eine möglichst schnelle und einfache Installation ermöglichen. Der Einsatz von Betonschrauben als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung kann derartige Erfordernisse erfüllen. Daher wurde in den vergangenen zehn Jahren an der Universität Innsbruck an jenem neuen Verstärkungssystem geforscht und in zahlreichen Versuchsserien anhand von Bauteilversuchen die Eignung der Schrauben als nachträgliche Bewehrung untersucht. Auf Basis dieser Untersuchungen wurden im September 2019 zwei bauaufsichtliche Zulassungen für das System durch das Deutsche Institut für Bautechnik erteilt. Die Zulassung Z-15.1-339 [6] regelt den Einsatz der Betonschrauben als nachträgliche Querkraftbewehrung, die Zulassung Z-15.1-340 [7] den Einsatz als nachträgliche Durchstanzverstärkung. 2.2 Tragwirkung der Betonschrauben Betonschrauben sind seit Beginn der 1990er Jahre als Verankerungselement in Stahlbetonstrukturen bekannt und wurden in den vergangenen Jahren vermehrt eingesetzt. Ein großer Vorteil von Betonschrauben gegenüber anderen Ankermitteln sind die schnelle Installation und die sofortige Belastbarkeit, welche sich durch den mechanischen Verbund der Schraube mit der Betonstruktur ergibt. Betonschrauben werden in ein vorge bohrtes Loch mit entsprechendem Durchmesser eingedreht und schneiden sich dabei ein Gewinde in die Bohrlochwandung, wodurch eine Verzahnung mit dem Beton erzeugt wird. Damit ergibt sich eine kraftschlüssige Verbindung, die sofort belastet werden kann, wie in Bild 3 ersichtlich ist.

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Tragwirkung der Verbundankerschrauben als Kombination aus mechanischem und Klebeverbund © Universität Innsbruck

Um die Tragfähigkeit der Betonschrauben weiter zu erhöhen, wurden die sogenannten Verbundankerschrauben entwickelt, bei denen ein Vinylestermörtel vor dem Eindrehen der Schrauben in das Bohrloch injiziert wird. Damit wird der existierende Ringspalt zwischen Schraube und Beton verfüllt, was durch die größere Auflage fläche des Gewindes und den Klebeverbund (Bild 3) zu größeren Traglasten führt. Der Auszugswiderstand der Schrauben kann mittels Verklebung um etwa 40 % gesteigert werden, wie auch in [8] gezeigt wird.

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Zugelassene Schraubentypen des Systems reLast © Universität Innsbruck

2.3 Betonschrauben für

die Tragwerksverstärkung Die Verbundankerschrauben werden für den Einsatz als nachträgliche Querkraftund Durchstanzverstärkung gemäß den Zulassungen verwendet. Für diesen Einsatz wurden die Schrauben etwas modifiziert, um den abgeänderten Anforderungen zu entsprechen. Während Betonschrauben als Ankermittel externe Lasten in die Struktur ableiten müssen, werden beim Einsatz als nachträgliche Bewehrung interne Kräfte der bestehenden Struktur aufgenommen und müssen wieder in der Struktur abgeleitet werden. Dementsprechend ist es erforderlich, nicht nur Kräfte an der Schraubenspitze über das Verbundgewinde aufzunehmen, sondern diese am anderen Ende der Schraube auch wieder abzuleiten. Dafür werden beim System reLast eine Unterlegplatte mit einer Keilsicherungsfederscheibe und eine Mutter am ISO-Gewinde der Schraube an der Außenseite des Tragwerks angeordnet. Über die Mutter an der Außenseite ist es zudem möglich, eine Vorspannung in der Schraube durch Andrehen zu erzeugen. Eine solche Konfiguration ist in Bild 4 dargestellt, die die zugelassenen Typen der Betonschrauben als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung zeigt. Wie Bild 4 zeigt, sind die Schraubentypen TSM-22 und TSM-16, welche sich hinsichtlich des Bohrlochnenndurchmessers (d 0 = 22 mm bzw. d 0 = 16 mm) unterscheiden, zugelassen. Eine weitere Unterscheidung wird hinsichtlich des jewei ligen Anschlussgewindes vorgenommen, welches als genormtes ISO-Gewinde ausgeführt ist. Die Länge der Schrauben kann an das jeweilige Verstärkungspro jekt angepasst werden und ist in den Zulassungen über die maximale Bohrlochtiefe (200 cm für die Querkraftverstärkung, 100 cm für die Durchstanzverstärkung) begrenzt. Bei Bohrungen über 170 mm für die TSM-16- bzw. 210 mm für die TSM-22-Schrauben sind Stufenbohrungen auszuführen, um ihr korrektes Eindrehen zu gewährleisten. Alle Schrauben des zugelassenen Systems werden aus Stahl mit einer charakteristi schen Fließspannung von mindestens f yk = 500 MPa gefertigt und mit einem speziellen Korrosionsschutzsystem versehen. Dieser Schutz gewährleistet eine Korrosionsschutzklasse nach C5-I gemäß DIN EN ISO 12944-6. Der Einsatz des Verbundmörtels erhöht den Korrosionsschutz zusätzlich.

3 Wissenschaftliche Untersuchungen zur Zulassung 3.1 Allgemeines Vor einigen Jahren wurde an der Universität Innsbruck am Arbeitsbereich Massivbau und Brückenbau begonnen, den Einsatz von Verbundankerschrauben als nachträgliche Bewehrung experimentell zu untersuchen. Dazu wurden drei Versuchsreihen an Stahlbetonbalken durchgeführt, um die Eignung der Schrauben als Querkraftverstärkung zu untersuchen, die Details des Versuchsaufbaus und der Versuchsergebnisse dieser Testreihen können zum Beispiel [9] entnommen werden. Zeitgleich wurde in insgesamt vier Versuchsreihen an plattenförmigen Versuchskörpern die Möglichkeit der nachträglichen Durchstanzverstärkung untersucht. Im Zuge dieser Versuche konnte die Eignung des Systems in verschiedenen Konfigurationen nachgewiesen werden, wie auch in [12] [13] [14] [15] gezeigt wird. Die Bilder 5 und 6 veranschaulichen die Versuchsergebnisse einiger durchgeführ ter Durchstanzversuche mit den erzielten Traglaststeigerungen gegenüber Referenzversuchen ohne Durchstanzverstärkung. Es zeigt sich, dass je nach Konfiguration Traglaststeigerungen zwischen 20 % und 50 % erzielt werden konnten.

3.2 Versuche für die Erlangung der Zulassung Neben den bereits durchgeführten 29 Balkenversuchen mit Verbundankerschrauben als nachträglicher Querkraftbewehrung mussten für die Erlangung der Zulassung weitere experimentelle Untersuchungen, speziell an Platten durchgeführt werden. Die Versuchsergebnisse dieser Versuche sind unter anderem in [10] und [11] diskutiert. Bild 7 zeigt die Querkraft-Verformungs kurven der durchgeführten Versuche an Plattenstreifen mit einer Breite von 88 cm bei einer Höhe von 32 cm. Jede Platte war mit jeweils 12 Schrauben in verklebter Installation verstärkt, wobei der Schrau bendurchmesser (TSM-22 und TSM-16) sowie die Installationstiefe variiert wurden. Die Installationstiefe wurde zum einen mit d = 29 cm so gewählt, dass die Spitze der Schraube auf Höhe der Oberkante der oberen Längsbewehrung lag, zum anderen mit d = 26 cm so, dass die Schraube unter der oberen Längsbewehrung lag. Die Versuchsergebnisse zeigen dementsprechend einen Einfluss der Verankerung unter oder auf Höhe der oberen Längsbewehrung, wie in Bild 7 ersichtlich ist. So liegt die erzielte Traglaststeigerung mit 90 % bei größerer Bohrlochtiefe deutlich über den 64 % Traglaststeigerung, wenn unter der oberen Längsbewehrung verankert wird. Nahezu identisch stellt sich dies bei Verwendung der Schrauben mit kleinerem Nenndurchmesser dar, wobei hier die erzielbaren Traglaststeigerungen generell mit 84 % bzw. 53 % generell etwas unter denen der Schrauben mit größerem Durchmesser liegen.

3.3 Bemessungskonzept Auf Basis der durchgeführten Versuche wurde sowohl für das System der Querkraftverstärkung als auch für die Durchstanzverstärkung ein Bemessungsmodell abgeleitet, welches in die Zulassung aufgenommen wurde. Beide Bemessungskonzepte basieren auf den Bemessungsmodellen des Eurocode 2 und somit auf der aktuellen Normung für die Stahlbetonbemessung. Bei der Bemessung der erforderlichen Querkraftverstärkung wird das erweiterte Fachwerkmodell für die Bemessung von Betonstrukturen mit Querkraftbewehrung verwendet, wobei der nach Eurocode 2 variable Druckstrebenwinkel θ bei der Bemessung der Betonschraubenverstär kung mit θ = 45° fixiert wird. Ebenso wird der Winkel der Betonschrauben mit

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Versuchsergebnisse der durchgeführten Querkraftversuche an Plattenstreifen © Universität Innsbruck

α = 90° gegenüber der Stablängsachse fest definiert. Der Nachweis der Betondruckstrebe V Rd.max des Fachwerkmodells erfolgt unter Berücksichtigung dieser beiden Winkel unverändert zu den Regelungen des EC 2. Der Nachweis der Zugstrebe, also der erforderlichen Verstärkung, erfolgt ebenfalls mit der Gleichung des Eurocode 2 bei Beachtung der beiden genannten Winkel. Allerdings wird anstelle des vollen Bemessungswerts der Streckgrenze der Querkraftbewehrung eine effektive Fließspannung der Schrauben f ywd.eff in der Bemessung verwendet. Da die Gleichung zur Ermittlung der Fließspannung aus den Versuchsergebnissen durch statistische Verfahren abgeleitet wurde, gehen darin über zwei Faktoren c 1 und c 2 der Schraubendurchmesser und die Verankerungstiefe ein, die einen wesentlichen Einfluss auf die Verstärkungswirkung haben. Bei der Bemessung der Durchstanzverstärkung mit dem reLast-System wird ebenfalls das Bemessungskonzept des Eurocode 2 verwendet. Bei Überschreiten des Durchstanzwiderstandes des Betons V Rd.c darf der Durchstanzwiderstand V Rd.cs bis zu einer Größe von 1,40 V Rd.c mit Verbundankerschrauben gesteigert werden. Dafür wird ähnlich zur Querkraftverstärkung ein effektiver Bemessungswert der Streckgrenze der Durchstanzbewehrungselemente ermittelt, welcher ebenfalls auf den Ergebnissen der durchgeführten Durchstanzversuche basiert und in den unter anderem der Schraubendurchmesser einfließt. Neben den Gleichungen zur Ermittlung der notwendigen Verstärkungselemente geben die Zulassungen ebenfalls Regelungen zur konstruktiven Anordnung der Verstärkung an, welche zum einen auf den Versuchsergebnissen, zum anderen auf den konstruktiven Regeln des Eurocode 2 basieren.

4 Pilotprojekte 4.1 Allgemeines Auf Basis der erzielten Erkenntnisse der Versuche und der daraus abgeleiteten Bemessungsmodelle konnten in den letzten Jahren bereits einige Pilotanwen dungen mit den beiden neuen Verstärkungssystemen ausgeführt werden. Es wurden Bauwerke sowohl des Hochbaus, als auch des Brücken- und Tiefbaus nachträglich erfolgreich verstärkt.

4.2 Verstärken der Eisenbahnüberführung A 70 Die Eisenbahnüberführung über die Bundesautobahn A 70 wurde als zweifeldrige Spannbetonbrücke 1967 errichtet. Die Balkenbrücke mit zwei getrennten Überbauten wurde mit einem gedrungenen Hohlkastenquerschnitt und einer maximalen Feldweite von 17,50 m erbaut. Sie wurde mittels des damals gebräuchlichen Sigma-Oval-Spannstahls vorgespannt. Dieser Spannstahl ist nach heutigem Wissenstand stark spannungs risskorrosionsgefährdet. Aufgrund dessen wurde ein Nachrechnung durchgeführt, welche eine Restlebenszeit von 0 Jahren ergab, weil für den Fall eines Spanngliedrisses kein Ankündigungsverhalten nachweisbar war. Um das Schlüsselbauwerk weiterhin im Netz halten zu können und eine Total sperrung der wichtigen Eisenbahnstrecke zu vermeiden, wurde eine Verstärkungsmaßnahme geplant, mit der es möglich ist, die Restlebenszeit der Brücke auf 20 Jahre zu erhöhen. In diesem verbleibenden Zeitraum kann somit ein Ersatzneubau sorgfältig geplant und ausgeführt werden, ohne Unterbrechungen des Eisenbahnverkehrs zu verursachen. Eine wesentliche Vorgabe bei der Ausführung der Verstärkung war dabei, dass der Eisenbahnverkehr auf der Brücke nicht unterbrochen werden darf. Es konnten dementsprechend keine Maßnahmen von der Oberseite durchgeführt werden. Gleichzeitig durfte unter der Brücke jedoch auch lediglich jeweils ein Fahrstreifen der Autobahn A 70 gesperrt werden. Dazu wurde ein spezielles Verstärkungskonzept erarbeitet, mit dem die gesamte Maßnahme innerhalb von vier Wochen umgesetzt werden konnte.

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Querschnitt mit Verstärkung in Form von Betonschrauben und Stahllaschen als externe Bewehrung © Prof. Feix Ingenieure GmbH

Bild 8 zeigt die rechte Seite des Quer schnitts der Brücke. Der Querschnitt besteht aus zwei Hohlkästen, welche mit einer Platte verbunden sind. Aufgrund der Gefährdung durch den verwendeten Spannstahl musste nicht nur eine Querkraft-, sondern auch eine Biegeverstärkung vorgenommen werden. Diese wurde durch externe Bewehrung in Form von Stahllaschen an beiden Seiten des Hohlkörpers ausgeführt, wie Bild 8 ebenfalls zeigt. Die Stahllaschen wurden in Form von einzelnen Schüssen mit Betonschrauben an den Stegen befestigt und anschließend miteinander verbunden und vorgespannt. Durch den abschnittsweisen Einbau war es möglich, die Sperren auf der Autobahn auf lediglich einen Fahrstreifen zu beschränken. 4.3 Ertüchtigung des Münchner Altstadtringtunnels Der Münchner Altstadtring stellt den innersten Verkehrsring der Landeshauptstadt München dar. Der sogenannte Altstadtringtunnel im Norden des Rings ist zugleich zentrale West-Ost-Verbindung im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt. Der Tunnel wurde in den späten 1960er Jahren errichtet und anlässlich der Olympischen Spiele 1972 für den Verkehr freigegeben. Heute stellt der Altstadtring Nord mit einer durchschnittlichen Verkehrsbelastung von 60.000 Kfz/d im Tunnel eine wesentliche Hauptverkehrsader dar. Eine Teil- oder Totalsperrung bedeutet für München eine schwerwiegende verkehrstechnische Beeinträchtigung für das gesamte Innenstadtgebiet.

9 10 Aufrechterhaltung des Verkehrs auf und unter der Brücke während des Einbaus der Verstärkungselemente © Prof. Feix Ingenieure GmbH

Eine Besonderheit des Altstadtringtunnels ist mit dem Tunnelblock 34, direkt unter dem Prinz-Carl-Palais, gegeben. Das historische Palais, welches lange als Amtssitz des bayerischen Ministerpräsidenten genutzt wurde, wurde 1806 fertiggestellt. Daher musste der Tunnel aufwendig nachträglich unter dem Gebäude errichtet werden. Dafür wurde im vorhandenen Kellergeschoß eine Abfangekonstruktion aus Stahlträgern realisiert, und anschließend wurden im Pilgerschrittverfahren insgesamt 15 Betonträger – auch als Lamellen bezeichnet – abschnittsweise betoniert. Diese Lamellen besitzen eine Höhe von 3,50 m und eine variable Querschnittsbreite. Zur Reduzierung des Eigengewichts wurden in den Lamellen in Längsrichtung mehrere Hohlkörper angeordnet. Die Lamellen wurden in Längsrichtung vorgespannt sowie anschließend auch in Querrichtung und bilden so die Tunneldecke. Nach Errichtung der Tunneldecke wurden die Bereiche für die beiden Tunnelwände ausgegraben und diese realisiert, abschließend wurde der Restquerschnitt des Tunnels ausgebrochen und die Fahrbahn hergestellt. Somit sind die einzelnen Lamellen vorgespannte Einfeldträger, welche auf den Tunnelaußenwänden aufliegen. Die maximale Spannweite der Lamellen ist ca. 32 m, wobei der gesamte Lastabtrag des Prinz-Carl-Palais über die Tunneldecke dieses Blocks erfolgt. Für die Vorspannung der Tunneldecke wurde das Spannsystem PZ mit vergüte ten Spannstählen Sigma Oval St 145/160 verwendet. Nach heutigem Kenntnisstand gilt der verwendete Sigma-OvalStahl, wie schon beschrieben wurde, als spannungsrisskorrosionsgefährdet. Eine Nachrechnung im Jahr 2013 ergab, dass bei 13 der 15 Lamellen keine Vorankündigung des Versagens bei Ausfall der Spannbewehrung nachgewiesen werden kann.

11 reLast-Schrauben als nachträgliche Querkraftverstärkung und hochfeste Gewindestäbe als neue Biegezugbewehrung © Prof. Feix Ingenieure GmbH

Aufgrund der Randbedingungen wurde von der Landeshauptstadt München eine Verstärkung der Tunneldecke dieses Tunnelblockes beschlossen, wobei keine Maßnahmen von oben ausgeführt werden können und eine Totalsperre des Tunnels nicht möglich ist. Es wurde daher ein Einbau von Betonschrauben durch die Hohlkörper als nachträgliche Querkraft verstärkung geplant und eine zusätzliche Betonschicht von 30 cm an der Tunneldeckenunterseite, in die zusätzliche Biegebewehrung eingebaut wird, wie Abbildung 11 zeigt. Je nach Bereich und Spannweite der Tunneldecke kommen dazu hochfeste Gewindestäbe mit einem Durchmesser von 43 mm bzw 63,50 mm zum Einsatz. Diese Gewindestäbe werden mit Hilfe von zwei oder vier Betonschrau ben an beiden Seiten in die Tunnelwände verankert, um die entstehenden Biegezugkräfte aufzunehmen.

Im Frühjahr 2019 wurde mit den Ausführungsmaßnahmen der Tunnelverstärkung begonnen, wobei in einem ersten Schritt die reLast-Schrauben an der Tunnelnordseite eingebaut wurden. Dafür wurde der Verkehr umgelegt, wobei stets mindestens zwei Fahrstreifen geöffnet bleiben mussten, wie auch Bild 13 zeigt. Nach einer ausführlichen zerstörungsfreien Detektion der vorhandenen Spannglieder konnten die Einstiegsöffnungen in die Hohlkörper hergestellt werden, welche für den Einbau der Schrauben in die Hohl körper erforderlich sind. Die im Zuge der Errichtung zurückgebliebene Schalung der Hohlkörper musste in ihnen zerkleinert und entfernt werden. Anschließend konnte mit dem Einbau der Verstärkungsschrauben begonnen werden. Der Einbau der Schrauben in der Nordhälfte des Tunnels konnte im Herbst 2019 abgeschlossen werden. Im nächsten Schritt wurden die hochfesten Gewindestäbe an der Deckenunterseite eingebaut und der Verkehr auf die Nordseite umgelegt, um die Arbeiten an der Südseite der Decke fortzusetzen. Die Arbeiten an der Südseite werden derzeit ausgeführt. Nach dem Einbau der restlichen Schrauben – insgesamt werden ca. 7.300 Schrauben angeordnet –, wird die neue Biegebewehrung an der Südseite eingebaut und mittels Muffen an die Bewehrung der Nordseite angeschlossen. Danach wird eine Spritzbetonschicht von 30 cm an der Deckenunterseite angebracht und somit deren ebene Untersicht wiederhergestellt. Diese Arbeiten sollen bis Juni 2020 abgeschlossen sein.

5 Zusammenfassung Seit Anfang September 2019 sind die reLast-Verbundankerschrauben als nachträgliche Querkraft- und Druchstanzbewehrung durch das Deutsche Institut für Bautechnik zugelassen. Dem gingen jahrelange wissenschaftliche Untersu chungen und zahlreiche Bauteilversuche an der Universität Innsbruck voraus. Diese Versuche zeigten, dass mit Hilfe der nachträglich eingebauten Betonschrauben die Traglasten gegenüber Referenzversuchen ohne Schubbewehrung um bis zu 150 % bei Querkraftverstärkung und um bis zu 50 % bei Durchstanzverstärkung gesteigert werden können.

12 13 Installation der nachträglichen Querkraftverstärkung und der Biegezugbewehrung unter Aufrechterhaltung des Verkehrs © Prof. Feix Ingenieure GmbH

Auf Basis der Versuchsergebnisse wurden anschließend Bemessungskonzepte abgeleitet, die auf den Bemessungsmodellen des Eurocode 2 und somit auf der aktuellen Normung basieren. Diese Bemessungskonzepte, die nun auch in den Zulassungen enthalten sind, ermöglichen dem planenden Ingenieur eine einfache Dimensionierung der Verstärkung mit Hilfe der bekannten Gleichungen der Normung. Wie zahlreiche durchgeführte Pilotprojekte gezeigt haben, liegt der große Vorteil der nachträglichen Verstärkung mit reLast-Verbundankerschrauben in deren einfachen Installation und sofortigen Belastbarkeit. Das Verstärkungssystem kann aufgrund der Tragwirkung auf dem Prinzip des Hinterschnitts über das Verbundgewinde im Bohrloch von einer Seite in die zu verstärkende Struktur eingebaut werden. Damit entfällt der

Abtrag von Fußboden- oder Fahrbahnaufbauten auf der Oberseite des Tragwerks, welcher bei anderen Verstärkungssystemen oftmals notwendig ist. Derart lässt sich die Verstärkung also unter laufendem Betrieb durchführen, wobei lediglich kleine Bereiche für den Einbau der Verbundankerschrauben gesperrt werden müssen, wie die beiden exemplarisch erläuterten Pilotprojekte beweisen. Das neue System der Tragwerksverstär kung mit reLast-Betonschrauben zeichnet sich somit durch die einfache und schnelle Installation während des laufenden Betriebs des Tragwerks aus. Durch die nun vorliegenden Zulassungen für die Querkraft- und Durchstanzverstärkung und die darin enthaltenen Bemessungsgleichungen auf Basis der EurocodeBemessungsmodelle sind eine ebenso unkomplizierte wie bauzeitschonende Planung und Ausführung möglich.

Autoren: Prof. Dr.-Ing. Jürgen Feix Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Dipl.-Ing. Dr. Johannes Lechner Prof. Feix Ingenieure GmbH, München Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen: Brückenstatistik Deutschland. 2017. [2] Amt der Tiroler Landesregierung, Sachgebiet Verkehrsplanung: Verkehr in Tirol, Bericht 2012. Innsbruck, 2013. [3] Fitschen, A.; Nordmann, H.: Verkehrsentwicklung auf Bundesfernstraßen 2014. Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen, 2016. [4] Maurer, R.; Arnold, A.; Müller, M.: Auswirkungen aus dem neuen Verkehrslastmodell nach DIN EN 1991-2/ NA bei Betonbrücken; in: Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 106, 2011, Nr. 11, S. 747–759. [5] Fischer, O.; Müller, A.; Lechner, T.; Wild, M.; Kessner, K.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland; in: Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 109, 2014, Nr. 2, S. 107–127. [6] Deutsches Institut für Bautechnik: Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung. Allgemeine Bauartgenehmigung Z-15.1-339, TOGE TSM BC SB reLast für die Querkraftverstärkung. September 2019. [7] Deutsches Institut für Bautechnik: Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung. Allgemeine Bauartgenehmigung Z-15.1-340, TOGE TSM BC SB reLast für die Durchstanzverstärkung. September 2019. [8] Lechner, J.; Fleischhacker, N.; Waltl, C.; Feix, J.: Zum Verbundverhalten von Betonschraubdübeln mit großem Durchmesser; in: Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 112, 2017, Nr. 9, S. 589–600.

[9] Lechner, J.; Ein neues Verfahren zur nachträglichen Querkraftverstärkung von Stahlbetonbauteilen. Dissertation, Universität Innsbruck, 2017. [10] Lechner, J.; Feix, J.; Hertle, R.: Strengthening of a City Center Tunnel with Concrete Screw Anchors under Special Boundary Conditions; in: 20th Congress of IABSE, 2019, S. 1.493–1.502. [11] Lechner, J.; Feix, J.: First experiences with concrete screw-anchors as post-installed shear reinforcement in concrete bridges; in: Civil Engineering Design, Bd. 1, 2019, Nr. 1, S. 17–27. [12] Spiegl, M.; Walkner, R.; Axmann, H.; Pilch, E.; Schön, A.; Feix, J.: Betonschrauben als Durchstanzertüchtigung für statisch und zyklisch belastete Platten; in: Bauingenieur, Bd. 93, 2018, Nr. 7, S. 274–285. [13] Walkner, R.; Spiegl, M.; Feix, J.: Experimentelle Untersuchungen und Vorstellung eines Bemessungsansatzes zur Durchstanzverstärkung von Betonbauteilen mit Betonschrauben; in: Bauingenieur, Bd. 95, 2020, Nr.1, S. 26–36. [14] Feix, J.; Lechner, J.; Walkner, R.; Spiegl, M.: Betonschrauben als Querkraftverstärkung für dynamisch belastete Betonbauteile; in: 3. Grazer Betonkolloquium, 2016, S. 65–73. [15] Feix, J.; Wörle, P.; Gerhard, A.: Ein neuer Ansatz zur Steigerung der Durchstanztragfähigkeit bestehender Stahlbetonbauteile; in: Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 87, 2012, Nr. 4, S. 149–155.

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