UP #704: Entweder ... Oder (April 2021)

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UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT DER UNIVERSITÄT SALZBURG —

ENTWEDER

— #704 APRIL 2021


IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Carolina Forstner / Layout: Soja Hack / Anzeigen und Vertrieb: Carolina Forstner Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Carolina Forstner, David Mehlhart, Hannah Wahl, Christoph Strongman Würflinger, Carlos Reinelt Autor*innen: Carolina Forstner, David Mehlhart, Keya Baier, Hande Armagan, Raphaela Maier, Manuel Gruber, Ariya Azadi, Hannah Wahl, Gespol, FemRef, Kay Michael Dankl, Robert Obermair, Anne Marie Gómez Neumann, Bernhard Landkammer, Carlos Reinelt Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 4.500 Stück. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors/der Autorin und nicht immer die Sichtweise der Redaktion wieder.

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EDITORIAL

Carolina Forstner

Hannah Wahl

Carlos Reinelt

David Mehlhart

Liebe* r Leser* in Wer die Qual hat, hat die … Wahl. Dieses abgedroschene Sprichwort trifft wohl auf Liebesbeziehungen wie auch ÖH-Wahlen zu. Und da es oft durchaus schwer ist, sich zwischen mehreren Alternativen entscheiden zu müssen, bieten zum einen ein neuer Dating-Podcast den Salzburger Datingwilligen Abhilfe, zum anderen werden wir unserem Servicecharakter natürlich auch wieder gerecht und haben einen Fragebogen (fast aller) Fraktionen, die sich von 18. bis 20. Mai der ÖH Wahl in Salzburg stellen, erstellt. Nach der Beantwortung von wichtigen Fragen zur Lieblingsströmung im Feminismus oder welcher Song auf der Weihnachtsfeier schmettert, sollte eine Entscheidung wohl ziemlich leichtfallen. Neben der Fülle an Wahloptionen, ob in Liebes- oder unipolitischen Belangen, bietet die neue Ausgabe der u:p, Wissenswertes zu Umstrukturierungen an der Uni, eine Rückschau auf den feministischen Kampftag am 8. März, fragt Studierende, wie sie die letzten Corona-Semester erlebt haben oder berichtet über die Absage eines Seminars, welches durch seine Inhalte und Intentionen für Aufsehen sorgte. Zu guter Letzt ein Beisltest der besonderen Art. Unser Vorarlberg-Export in Japan zeigt uns „Impressionen“ aus dem Fortgehleben in Tokio. Ob uns das nun Feiern gehen mehr vermissen lässt? Na ja. Uns bleibt bis zur Öffnung unserer geliebten Beisln wohl keine andere Wahl. Ps.: Zum Verschönern eurer Wohnungen findet ihr in der Heftmitte ein Poster der Künstlerin Nina Maron. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen!

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INHALT

INHALT INHALT INHALT 50

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INHALT

UNI & LEBEN 22

Neues aus dem Vorsitzbüro

24 Vorsitzrevue 29 Henni googelt 30 Digitales und Analoges gemeinsam denken 32 Ein Land kann nicht frei sein, wenn die Frauen nicht frei sind 36 Corona & Hochschulen Zwischen Krise und Aufbruch 40 Ein neues Kleid für die Uni 43 Studierende in Salzburg am Wort 45 ÖH Führt Disabilityreferat (wieder) ein

POLITIK & GESELLSCHAFT 47 Die Häuser denen, die sie brauchen! 48 Raus auf die Strasse

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50 Memory-Spiel gegen Nazistrassennamen 52 Impfpatente: Geld oder Leben? 55 Bitte reibungslos: die Uni Salzburg und ihr schwieriges Verhältnis zum Antisemitismus 60 Lässt sich Armut teilen?

ENTWEDER … ODER

KULTUR & MENSCHEN

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62 Kunst ist für mich erst Kunst, wenn sie politisch ist Die Wiener Künstlerin Nina Maron

A, B oder Skip

10 Hingehen oder Daheim bleiben: Die Öh-Wahlen 2021 12

ÖH Wahl

20 Hilf Gernot beim Frühjahrsputz

64 Filmschmankerl 66 Der ultimative Uni:pressbeisltest

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UG NOVELLE

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UG NOVELLE

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B  , Skip

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A

do er

DER SALZBURGER BEZIEHUNGSMARKT IN ZEITEN VON CORONA Dating ist in Zeiten von Corona nicht gerade einfacher geworden. Eine Idee des Wahl-Salzburgers Hendrik Stoltenberg mischt seit geraumer Zeit die Salzburger Datingszene auf. Die Fragen stellte Carolina Forstner

u:p: Zum Einstieg ein bisschen Auflockerung: Wie kamst du zur Podcast-Idee und für alle Unwissenden: Was ist „Salz im Herz“? Hendrik: Die Idee kam mir einfach so. Ich bin selbst Single und höre sehr gerne Interviewpodcasts – das Equipment habe ich schon lange, das ist aber aus Zeitgründen nie in eine Umsetzung gegangen. Durch Corona habe viel mehr Zeit und dann ging es Anfang Dezember mit der ersten Folge los. Salz im Herz ist ein Podcast, in dem ich einmal pro Woche ein Interview mit einem Single führe. Abwechselnd Frau Mann ist aktuell der Turnus. Alter, Beruf und sexuelle Orientierung werden erst von mir am Ende erwähnt. Es gibt keine Infos über das Äußere. Ich möchte ein kleines Gegenkonzept zu der Oberflächlichkeit von Tinder bieten. Wenn man als Zuhörer*in den Gast spannend findet, kann man eine Nachricht schreiben. Ich leite diese dann an meinen Gast weiter und vielleicht entsteht ein Kontakt. Skizziere für uns mal den Ablauf einer typischen Podcast-Episode? Typisch – Na ja, ich habe immer eine ähnliche Struktur, aber es kommt natürlich sehr auf meinen Gast an, was ein Thema wird. Wir sprechen über Dating, Hobbys,

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Gedanken, Ängste und ganz allgemeine Dinge. Es ist eigentlich mehr normales Gespräch als ein reines Dating Format. Ich versuche irgendwie herauszubekommen, was die Person ist und nicht was, sie macht.

zu. Und wenn man die Person spannend findet, kann man mir eine Nachricht schreiben, die ich dann weiterleite. Gerne auch kreativ. Ich habe schon Briefe bekommen und auch Sprachnachrichten.

Im Podcast kommst du auch gerne die guten alten Datingapps wie Tinder und Co. zu sprechen und befragst deine Podcast-Gäste zu ihren Erfahrungen mit dem Onlinedating – Was wird dir hierzu berichtet? Das ist natürlich sehr individuell, aber im Grundsatz stellt sich heraus, dass die meisten Tinder irgendwie doof finden. Zu oberflächlich, zu schnell, zu spielerisch, es aber dennoch immer wieder nutzen. Ich glaube das liegt auch daran, dass es kostenlos ist und eine gute Möglichkeit, gerade jetzt zu Corona neue Menschen kennenzulernen. Es geht uns ja doch allen ab! Ich verteufle diese Apps nicht, aber ich glaube, man muss einfach für sich selbst das Beste damit machen.

Die meisten Podcast-Gäste können aufgrund ihres Alters als sogenannte Millennials eingestuft werden? Hat diese Generation ein Dating-Problem? Ja, das liegt aber daran, dass ich selbst Mitte 30 bin. Ich versuche da schon eine gewisse Vielfalt beim Alter reinzubringen, das ist aber gar nicht so einfach. Ein Dating Problem – das glaube ich nicht. Ich glaube aber, dass wir alle auf was Besseres warten, ohne zu wissen, was das ist. Liebe und Vertrauen braucht Zeit und ergibt sich nicht in vier Wochen. Aber dann suchen wir bei dem kleinesten Problem oder Unstimmigkeit schon nach jemand Neuem – sicher auch, weil Tinder das so einfach möglich macht. Ich bespreche das in Folge 1 mit Sebastian ganz gut.

Was unterscheidet deinen Podcast von besagten Datingplattformen (den offensichtlichen Punkt. Es ist ein Podcast und keine Datingapp-Punkt aside ;)“)? Dass das Aussehen keine Rolle spielt. Diese Standard-Attribute fehlen in dem Podcast. Man hört einer Stimme für 30–40 Minuten

Du stellst in deinem Podcast immer sogenannte A/B-Fragen, also Entweder/ Oder Fragen, nach welchem Prinzip hast du dir die Fragen ausgedacht? Ach, da gibts gar kein Prinzip. Ich kenne das aus anderen Podcasts und finde es extrem spannend, da man da selbst mit-


... ODER

denkt. Was sagt der Gast? Was denke ich selbst? Passt das nun? Und dann vergleicht man. Konzepte wie soziale Erwünschtheit spielen da eine riesige Rolle und das finde ich extrem spannend. Sich „coole“ Fragenpaare auszudenken ist nur leider alles andere als einfach. Wie viele ernsthaft interessierte Menschen melden sich um die in deinem Podcast porträtierten Personen kennenzulernen? Das ist ganz unterschiedlich. Die Reichweite des Podcasts ist noch nicht so groß und das Konzept lebt halt nur von der Reichweite. Die Männer bekommen deutlich mehr Anfragen als Frauen, da die Hörerschaft sehr weiblich geprägt ist. Das finde ich noch etwas schade, da ich wirklich tolle Gäste hatte bisher. Was denkst du: Warum melden sich eigentlich viel mehr Frauen als Männer, um sich in deinem Podcast vorzustellen? Es liegt sicher an der medialen Verbreitung wie „Fräulein Flora“ oder „Woman“. Die haben eine sehr weibliche Leserschaft. Davon ab glaube ich, dass Frauen bei so einem Format einfach mutiger sind und offener Mal was auszuprobieren. Männer sind da vielleicht doch eher oberflächlich geprägt. Das ist jetzt natürlich sehr plakativ und pauschal. Die genauen Gründe werde ich vielleicht nie erfahren. Eine Frage von mir als Kennerin deines Podcast und deiner Fragen: Warum stellst du die Frage: „Freiheit oder Hoffnung und warum antworten alle Podcast-Teilnehmer*innen immer mit „Freiheit?“ Die Frage hat sehr viele Aspekte und kann sehr komplex gedacht werden. In der Kürze der AB-Fragen, glaube ich aber wird Freiheit positiver empfunden als Hoffnung. Letzteres hat ja doch oft einen negativen Beigeschmack. Man braucht Hoffnung, wenn etwas negativ ist. Das ist aber nur eine Vermutung. Ob es so ist - ich weiß es nicht. Welche Frage würdest du den Gästen deines Podcasts gerne stellen, traust dich aber nicht? (lacht) Das ist gar nicht so einfach. Mich etwas nicht zu fragen trauen habe ich nicht wirklich außer in negativen Aspekten nachbohren – daran habe ich kein Interesse. Es soll ja positiv bleiben. Ich glaube, alle Themen, die das Sexuelle betreffen, wären schon irgendwie spannend, aber da finde ich, dass es nicht ins Format passt.

Was konntest du aus diesem Projekt bisher für dich selbst mitnehmen? Es ist wunderbar, Menschen dadurch kennenzulernen und offen über allerlei Themen zu sprechen. Das Feedback ist wahnsinnig positiv und ich lerne aktuell sehr viel. Das macht sehr viel Spaß und wer weiß wo das noch hinführt. Würdest du selbst gerne Gast in einem Single-Podcast sein? Die Frage bekomme ich oft gestellt das wird aber eher nicht passieren. Wie kann ich Teilnehmer*in in deinem Podcast-Format werden? Man schreibt mir eine Nachricht, dass man gerne mitmachen will. Am besten gleich mit Alter, Herkunft, Wohnort und sexueller Orientierung. Da ich ein Fan von Vielfalt bin, versuche ich das in dem Podcast, soweit es machbar ist abzubilden. Bei vier Folgen pro Monat kann man aber nur wenigen Menschen diesen Raum zur Verfügung stellen. Ich habe schon viele Gäste Anfragen und bin gut ausgelastet. An Männern fehlt es ein bisschen. Aber es gibt ja nun schon einige Folgen und Vergeben sind erst zwei Personen. Was möchtest du unbedingt noch gesagt wissen? Ich freue mich grundsätzlich über jede Weiterempfehlung. Das Format ergibt einfach nur Sinn mit mehr Reichweite. Und es wäre schön, wenn mehr Männer sich bei den Frauen melden. Da ist noch Luft nach oben :)

„Salz im Herz“ ist überall zu finden, wo es Podcasts gibt. Weitere Infos unter: salzimherz.com.

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HINGEHEN ODER DAHEIM BLEIBEN: DIE ÖHWAHLEN 2021 Die ÖH-Wahlen stehen in der urösterreichischen Tradition der sozialpartnerschaftlichen Konfliktvermeidung. Diese Art der Vertretung durch Zwangsmitgliedschaften sei nicht mehr zeitgemäß und unflexibel, sagen die Kritker*innen. Warum sie im Falle der ÖH jedoch mehr Segen als Fluch sein könnte, lest ihr hier: Von David Mehlhart

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sterreich ist ein Labyrinth, dessen Absolvierung am Ende mit einem herrlich, vor Rum nur so triefenden Punschkrapfen belohnt wird. So oder so ähnlich schrieb Rektor Hendrik Lehnert in seiner letzten Rector’s Column. Es ist davon auszugehen, dass er mit dieser Metapher wohl seine ersten eineinhalb Jahre in Österreich verarbeiten, zumindest aber zusammenfassen wollte. Denn: So unabhängig die Universitäten formal auch sein mögen, so sehr sind sie die Verdoppelung der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Republik. Die schmerzliche Erfahrung, dass der sozialpartnerschaftliche Konsens-Filz nicht am Bein des viel beschworenen Grünen Tisches zu wuchern aufhört, muss man als nicht-autochthoner erst einmal verdauen. Aber an dieser Stelle soll es aber explizit nicht um den etwaigen Kulturschock des Rektors gehen, sondern quasi um seinen Gegenpart – die Studierenden und die Wahl ihrer Vertreter*innen vom 18. bis zum 20. Mai.

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Dass die Studierenden an den österreichischen Universitäten mit der ÖH ebenfalls ihren fixen Platz in dieser institutionalisierten Konflikt-Umschiffung zugewiesen bekommen haben, scheint oftmals nicht ganz klar zu sein. Bei der ÖH handelt es sich nicht um einen bloßen Verein, einen freiwilligen und privaten Zusammenschluss von Menschen, die ein gleiches Ziel oder Projekt verfolgen z. B. – um an dieser Stelle im Studentenmilieu zu bleiben, – in dem sie sich zusammenschließen, um durch übermäßigen Bierkonsum ein Großdeutschland herbeizutrinken. Vielmehr ist die ÖH eine sogenannte Körperschaft öffentlichen Rechts. Damit steht sie in einer Reihe mit dem Gewerkschaftsbund, der Arbeiterkammer oder offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften. Ob man es nun will oder nicht, Stichwort Zwangs-/Pflichtmitgliedschaft wird man als Studentin und Student per Gesetz durch die ÖH vertreten. Die Lethargie und Behäbigkeit, die diese Art der Organisation ausstrahlt mag mitunter auch der

Grund sein, warum die Wahlbeteiligung seit jeher rückläufig ist. Waren es zu Beginn der Wahlen im Jahr 1946 bundesweit noch 82 Prozent der Studierenden, die ein Votum abgaben, schleppten sich in Salzburg zuletzt lediglich 19 Prozent der Studis ins Wahllokal. Und hier scheint der Hund begraben zu liegen. Ist man auf der Suche nach guten Gründen zur Wahl vom 18. bis 20. Mai zu gehen, die jenseits von pflichtschuldigen pro forma Aufrufen a la „mehr Stimmen = mehr Demokratie“ verlaufen, muss man sich mit den Tiefenstrukturen von Pflichtmitgliedschaften und gesetzlichen Vertretungen auseinandersetzten. Denn wie so oft in Österreich liegen auch hier Fluch und Segen, Progressivität und Reaktion sehr nah beieinander. Laut Statistik.at handelt es sich um 376.050 Menschen (2019/20) die in Österreich als ordentliche Studierende gemeldet sind. Hätten all diese bei der letzten Nationalratswahl 2019 geschlossen für


... ODER

eine Partei votiert, wäre diese Partei nur knapp hinter den NEOS gelandet (387.000 Stimmen und acht Prozent). Nun liegt es in der Natur der Sache, dass durch die Masse der Studierenden Bruchlinien jedweder Art verlaufen. Ein angehender Pfarrer hat mit einer Historikerin, die sich für queere Geschichte interessiert, wahrscheinlich eher weniger politische Überschneidungen. Genauso wie die sozio-ökonomischen Unterschiede zwischen den Studierenden immens sein können oder viele junge Menschen der Zugang zu Universitäten von vornherein verbaut ist, da Bildung (oder zumindest das, was im gegenwärtigen Unisystem noch davon übrig ist) immer noch dynastisch vererbt wird. Den Schluss, den man also daraus zieht, darf aber gerade nicht lauten, dass man sich um der Eintracht willen zusammenrauft und irgendwelche Burgfrieden-Koalitionen aushandelt, die dann erst recht zahnlos daherkommen. Der wohl entscheidende Vorteil, den eine Pflichtmitgliedschaft mit sich bringt, ist die Möglichkeit der Selbstorganisation bzw. -verwaltung. Im besten Fall agiert die gewählte Vertretung, an dieser Stelle ist es egal auf welcher Ebene oder welche Farbe nach den selbst gesteckten und definierten Zielen und arbeitet so aus der Studierendenschaft heraus für diese. „Aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun“ hieß es passend dazu in einem populären Schlager aus dem 19. Jahrhundert. Dass dies natürlich auch schlimm nach hinten losgehen kann steht freilich außer Frage. Stichwort Vitamin B bzw. das, was Österreich unter Meritokratie verstanden wird. Ein kurzer Ausflug in den studentischen Alltag, um dies zu verdeutlichen. Beim Anbieten von Services macht aber diese Eigenschaft der Selbstorganisation einen Unterschied ums Ganze. Liest man sich etwa die Beschreibung des ÖH Beratungszentrums im Unipark durch, sieht man schnell zu wessen Gunsten hier beraten wird. Im Fokus stehen klar die Studierenden selbst, deren Studienerfolg aber auch

deren sehr individuelle Probleme und Anliegen. Kurzum: „Die Ratsuchenden stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit.“ Die Unabhängigkeit als Ausgangslage der Beratung darf nicht unterschätzt werden. Dass das auch anders geht, kann man aktuell in Salzburg beobachten. Im Rahmen der 900.000€ schweren „On Track“-Initiative. Das Geld kommt direkt vom Wissenschaftsministerium, was einmal die Frage nach der Unabhängigkeit aufwirft. Zum anderen wird versucht Beratungsangebote, Die man klassischerweise bei der ÖH direkt erhalten kann, in bester BWL-manier outzusourcen. Durchgestylt und mit passendem Instagram-Auftritt in Agentur-Ästhetik will man dort den Studierenden und ihren Problemen per Mentoring, Training, Coaching und einer Prise positiver Psychologie beikommen. Allein an dieser Wortwahl lässt sich schon erkennen, wohin die Reise gehen soll. Ganz offensichtlich geht eh dort darum, die Ökonomisierung der Universitäten voranzutreiben und den Effizienz-Hebel auf der Ebene der Studierenden anzusetzen. Denn am Ende der Gleichung, wie in der Tageszeitung „Die Presse“ nachzulesen ist, stehen sage und schreibe sieben ECTS mehr, die man durch dieses Projekt im Durchschnitt pro Studi erwirtschaften konnte. Wie es den Studierenden dabei ging, konnte man nicht nachlesen. (Länger und ausführlicher wird in der nächsten Ausgabe der u:p über dieses Projekt zu lesen sein). Dieses Beispiel soll zeigen, dass die letzte Stunde der Pflichtmitgliedschaften noch nicht geschlagen hat. In einem Bildungssystem, das ständig mit Einsparungen konfrontiert ist und dessen Zweck es immer mehr wird, Menschen möglichst schnell auszubilden und sie dann unverzüglich der Wirtschaft zu offerieren, kann eine aktive ÖH derjenige Faktor sein, der diese Entwicklungen, auf welchen Ebenen sie auch stattfinden, zurückzudrängen vermag. Deshalb ist es wichtig, bei der kommenden Wahl die Kandidat*innen mit einer Stimme zu unterstützen, um auch in Zukunft die Interessen der Studierenden vor so manchem Rektor, Bil-

Deshalb ist es wichtig, bei der kommenden Wahl die Kandidat*innen mit einer Stimme zu unterstützen, um auch in Zukunft die Interessen der Studierenden vor so manchem Rektor, Bildungsminister oder Excel-Spreadsheet, das mehr zu mehr Effizienz anhält zu verteidigen. dungsminister oder Excel-Spreadsheet, das mehr zu mehr Effizienz anhält zu verteidigen. Natürlich ist die ÖH am Ende das, was die gewählten Vertreter*innen daraus machen, positiv wie negativ, aber mehr Druck lässt sich mit einem aussagekräftigen Mandat im Rücken machen. Vor allem wenn man sieht, wie etwa Services der ÖH, deren Qualität in der Unabhängigkeit ebenjener sich begründen, scheibchenweise dieser abspenstig gemacht werden. Erinnert sei an dieser Stelle noch an die Pariser Kommune, deren Ereignisse sich im März zum 150. Mal gejährt haben. Ihren Ausgang nahm diese mit einer Wahl, bei der 190.000 Pariser*innen für die Errichtung eines Revolutionsrates stimmten und 26.000 dagegen. Und wer weiß, vielleicht ließe sich auch eine Universität nicht so schlecht basisdemokratisch organisieren. Und wenn alles glatt läuft, braucht es bis dahin auch gar nicht mehr so viele ÖH-Wahlen.

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ÖH WAHL Fleißig bespielen die Fraktion ihre Social Media-Kanäle und versuchen dort zu zeigen, warum man gerade sie bei der wählen sollte. Infografiken, Vorstellung der Kandidat*innen usw. sind dort zu finden. Man kennt das. Die wichtigen Fragen aber, etwa wie man am liebsten Geld veruntreuen würde oder welche Feminismus­ strömung die liebste ist, kommen dabei zu kurz. Sehr schade wie wir finden und so haben wir den Fraktionen Antworten zu entlocken versucht.

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GRÜNE UND ALTERNATIVE STUDENT_INNEN (GRAS)

Es sei noch vorrausgeschickt, dass die Fragen nur an diejenigen Fraktionen versendet wurden, die auch bei der letzten ÖH Wahl an den Start gingen. Das hat aber nichts mit den politischen Ansichten der Redakteur*innen zu tun, die diese oder jene Fraktion canceln wollen. Vielmehr war es leider so, dass die Einreichung der Kandidatur bei der Wahlkommission erst möglich war, als die uni:press bereits hon Redaktionsschluss hatte.

1. Warum sollen Studis gerade euch wählen? Weil die GRAS als einzige verlässliche Fraktion für eine ökologische Uni einsteht. Wir stellen den Vorsitz nun schon seit 4 Jahren und haben viel für die Studierenden erreicht. Gerade in der Pandemie war die ÖH durch unsere Arbeit für die Studierenden da. 2. Wer ist euer politisches Vorbild? Emma Goldman – Sie wurde 1869 in Russland geboren und wanderte mit 17 Jahren in die USA aus. Dort wurde sie um den Kampf zum 8 Stunden Tag in Chicago zur militanten Anarchistin. Für ihre Texte wurde sie mehrmals inhaftiert und schließlich aus den USA ausgewiesen und nach Russland deportiert. Den Rest ihres Lebens verbrachte sie in England und Frankreich. Emma Goldman setzte sich für die „Freie Liebe“ und die Rechte der Frauen ein und machte sich somit zu einer Gallionsfigur der anarchistischen und feministischen Bewegung. 3. Studiengebühren: ja, wenn… … sie die Politiker_innen, die sie einführen auch bezahlen! 4. Hendrik Lehnert sollte lieber mal... …endlich Lernräume schaffen, eine 24/7 Bib einführen, mit uns die Uni begrünen und alle Studiengebühren zurückzahlen.

bleiben ungeregelt. Hier hätte die Gunst der Stunde genutzt werden können und ein pandemiegerechtes und modernes Studienrecht verabschiedet werden können. 8. Lieblings-Strömung im Feminismus? Anarchafeminismus (antiautoritär, antikapitalistisch, gegen das Patriarchat und heteronormative Geschlechterrollen) 9. Wenn kurz keine*r schauen würde, wie würdet ihr ÖH-Mittel am liebsten veruntreuen? Wir lehnen die Veruntreuung von Studierendengeldern kategorisch ab. Sonst aber: Spritzerparty hinterm Unipark (: 10. Am Zenit der Weihnachtsfeier läuft welcher Song? Fürstenfeld von STS. Weil Partys am Zenit immer etwas sentimental werden. 11. Welche Kompetenzen bräuchte die ÖH dringendst? Gesetzlich wäre es nötig, dass die ÖH bei der Unifinanzierung mitentscheidet und Studierende in allen Gremien gleichermaßen vertreten sind. Darüber hinaus ein barrierefreies Büro und vor allem einen funktionierenden Aufzug.

5. 3 Adjektive die zu Eurer Liste passen? Lässig, queerfeministisch und kompetent.

12. Die Mozartstatue am Mozartplatz sollte man ersetzen durch? Ein Windrad. Oder einen Schokobrunnen mit Fairtrade Schokolade.

6. Was soll die ÖH sein? Eine starke Stimme der Studierenden, die sich für ihre Interessen stark macht. Sie muss neben wichtigen Serviceangeboten auch unbedingt die allgemeinpolitischen Interessen der Studierenden vertreten – Existieren geht nämlich über Studieren!

13. Dieser Lehrstuhl fehlt an der Uni Salzburg? Klimagerechtigkeit (ein interdisziplinärer Lehrstuhl der zu dem Thema naturwissenschaftliche mit gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen verbindet)

7. Die UG-Novelle ist gut, weil… Ist sie nicht! Es wurden zwar durch unseren Protest gegenüber dem ersten Entwurf ein paar Sachen verbessert, jedoch steht im beschlossenen Gesetz immer noch die Mindeststudienleistung drinnen und viele wichtige Bereiche

14. Man könnte die Uni demokratischer machen durch? Gleiche Stärke von Studierenden in allen Gremien der Uni (sogenannte Drittelparität), weniger Plätze im Universitätsrat die durch die Politik besetzt werden und eine basisdemokratische Wahl der_s Rektkors_in.

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AKTIONS GEMEINSCHAFT (AG)

1. Warum sollen Studis gerade euch wählen? Weil wir die einzigen sind, die wirklich auf die Interessen und Bedürfnisse der Studis eingehen und unsere Energie nicht an ideologischen Grabenkämpfen verschwenden. 2. Wer ist euer politisches Vorbild? Bertha Freifrau von Suttner, weil sie eine unermüdliche Kämpferin für ihre Ziele und Werte war.

9. Wenn kurz keine*r schauen würde, wie würdet ihr ÖH-Mittel am liebsten veruntreuen? Grundsätzlich würden wir Gelder nie veruntreuen, es sei denn, es ist zum Wohle der Studierenden.

3. Studiengebühren: ja, wenn… ich gerne auf eine Privat-Uni gehen will.

10. Am Zenit der Weihnachtsfeier läuft welcher Song? Alles nur nicht „Last Christmas“

4. Hendrik Lehnert sollte lieber mal... seine Web-Cam so positionieren, dass man nicht nur sein Profil sieht.

11. Welche Kompetenzen bräuchte die ÖH dringendst? Eindeutig mehr Mitspracherechte im Senat.

5. 3 Adjektive die zu Eurer Liste passen? hilfsbereit, engagiert und authentisch

12. Die Mozartstatue am Mozartplatz sollte man ersetzen durch? Man sollte die Mozartstatue nicht ersetzen, sondern um gemütliche Chill-Out Loungen für Studierenden ergänzen, die zum Lernen, Quatschen oder einfach zum Chillen einladen.

6. Was soll die ÖH sein? Eine unabhängige starke Vertretung der Studierenden, die sich unermüdlich für die Verbesserung des Studien-Alltags engagiert und hierzu sowohl die Kooperation mit Politik als auch der Wirtschaft sucht. 7. Die UG-Novelle ist gut, weil… die Anerkennung von Leistungen vereinfacht wird, es eine Begrenzung der Amtszeiten für Rektor*innen gibt und Ghostwriting künftig strafbar ist.

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8. Lieblings-Strömung im Feminismus? Jede Strömung die nicht radikal ist

13. Dieser Lehrstuhl fehlt an der Uni Salzburg? Ein Lehrstuhl für digitale Lehre - denn da müsste auch die Uni selbst noch viel lernen. 14. Man könnte die Uni demokratischer machen durch? Urabstimmungen zu wichtigen für Studis relevanten Themen und häufigere Gesprächsrunden zwischen Studis, ÖH-Vorsitz und Rektorat.


... ODER

VERBAND SOZIALISTISCHER STUNDENT_INNEN SALZBURG (VSSTÖ) 1. Warum sollen Studis gerade euch wählen? Die Studis sollten uns wählen, weil wir uns dafür einsetzen, eine Hochschule zu schaffen, die alle inkludiert und Hochschulpolitik machen wollen, die die unterschiedlichen Lebenssituationen der Studierenden widerspiegelt und anerkennt. Wir wollen eine inklusive Hochschule schaffen, die die Diversität der Studierenden abbildet und Hochschulpolitik, die alle mit einbezieht machen. Uns ist wichtig, dass stärker berücksichtigt wird, dass viele Studis neben dem Studium arbeiten oder Betreuungspflichten nachkommen, wofür eigene Modelle wie etwa ein Teilzeitstudium, wünschenswert wären. Außerdem hat das letzte Jahr klar gezeigt, dass an der Digitalisierung der Universität gearbeitet werden muss, aber wir haben auch neue Chancen für die Lehre an unserer Universität sehen können. Aufgezeichnete Lehrveranstaltungen, die man einfach abrufen kann, wenn man Zeit dazu hat, helfen besonders Studierenden, die aufgrund anderer Verpflichtungen nicht immer präsent sein können. Wer sich eine soziale Hochschulpolitik wünscht, in der auf das Wohl der Studierenden geachtet wird und eine Hochschulvertretung möchte, die es anstrebt, Studierenden in allen Lebenssituationen zu vertreten, der/ die sollte den VSStÖ Salzburg wählen.

2. Wer ist euer politisches Vorbild? Johanna Dohnal 3. Studiengebühren: ja, wenn… Niemals! 4. Hendrik Lehnert sollte lieber mal…… sich um seine Studierenden kümmern. Entscheidungen mit den Studierenden fällen und sie in den Gremien ernstnehmen. Wir sind ein wesentlicher Teil der Universität, gäbe es uns nicht, dann wäre die Uni ein Nichts. Genau das muss endlich anerkannt werden. Ein Rektor der nicht auf die Studis und deren Bedürfnisse achtet, ist für uns nicht vertretbar. 5. 3 Adjektive die zu Eurer Liste passen? Solidarisch, feministisch und gerecht. 6. Was soll die ÖH sein? Die ÖH soll eine Institution sein, die sich der Vertretung aller Studierenden widmet und zum Ziel hat, ihr Leben und ihr Studium gesamtheitlich zu verbessern. 7. Die UG-Novelle ist gut, weil… Sie uns gezeigt hat, dass wir definitiv noch einiges zu erarbeiten haben und die Politik aktuell nicht im Sinne der Studierenden agiert. Anstelle von Hilfestellungen in dieser schwierigen Zeit haben wir Hürden bekommen. Die Abschwächung und Verhinde-

rung diverser Punkte (z. B. dass die drei Prüfungstermine doch erhalten bleiben sollen), ist zwar besser als das, was ursprünglich geplant gewesen wäre, aber dennoch sehen wir in der UG-Novelle gesamtheitlich eine Verschlechterung der Studienbedingungen. Unter den Änderungen leiden vor allem jene, die ohnehin schon größere Schwierigkeiten haben, ihr Studium zu bestreiten und das ist ungerecht. Es mangelt stark an Differenzierungen und Anerkennung dafür, dass nicht alle ihr Studium auf demselben Weg bestreiten können. Jede Hürde ist eine Hürde zu viel und dagegen werden wir auftreten! 8. Lieblings-Strömung im Feminismus? Wir vertreten sozialistische Feminismen. Feminismus geht Hand in Hand mit der Kritik an geläufigen Strukturen und Systemen, weswegen wir die Veränderung des Diskurses in Richtung eines Mainstream - Feminismus, der nur mit Quoten arbeitet, gelegentlich Frauen* in Spitzenpositionen aufsteigen lässt, aber nicht Machtstrukturen und das patriarchale System aufbrechen möchte. Feminismus lässt sich nicht mit einem ausbeuterischen, kapitalistischen System vereinbaren und bedeutet mehr als nur hier und da ein paar mehr Frauen* einzusetzen. Es bedeutet, dass Ziel zu verfolgen, alle

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FLINTA* (Frauen, Lesben, Nichtbinäre, Intersexuelle, Transsexuelle, Agender) von Unterdrückung zu befreien, und das lässt sich nicht mit einem patriarchalen und kapitalistischen System kombinieren. 9. Wenn kurz keine*r schauen würde, wie würdet ihr ÖH-Mittel am liebsten veruntreuen? Wir halten absolut nichts davon, uns selbst zu bereichern. Lieber würden wir selbst wenn wir privat viele Ressourcen zur Verfügung hätten, diese auch noch in Ausgaben für das Wohl der Studierenden investieren. Dann würden wir Partys veranstalten und Salzburg tatsächlich zur Studistadt machen! Wir würden das Geld für Gratis-Öffis, die Schaffung von einem Studiviertel und die Eröffnung eines Studi Lokals, wo die Preise nicht teuer sind wie es jetzt in der Altstadt ist, verwenden. Alles, was eigentlich Stadt- und Land Salzburg für uns umsetzen sollte und was wir schon seit Jahren fordern, würden wir finanzieren. Außerdem würden wir Studierende in finanziellen Notsituationen unterstützen. 10. Am Zenit der Weihnachtsfeier läuft welcher Song? Bella Ciao, weil dieses Lied, das im Zweiten Weltkrieg durch italienische Widerstandskämpfer*innen bekannt wurde und sich zu einer der Hymnen der antifaschistischen und sozialistischen Bewegungen entwickelt hat. Die neue Version eignet sich zudem gut zum abfeiern! 11. Welche Kompetenzen bräuchte die ÖH dringendst? Die ÖH brächte dringend ein Vetorecht bei Lehrveranstaltungs-Abläufen, wenn diese nicht den Regeln entsprechen. Außerdem wären eine höhere Stellung in Universitätsgremien und mehr Mitspracherecht bei der Erstellung der Curricula wünschenswert.

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12. Die Mozartstatue am Mozartplatz sollte man ersetzen durch? Wir würden im Herzen der Altstadt einen frei zugänglichen, kostenlosen Bierbrunnen inklusive separater Wein-Säulen etablieren. An schönen Sommertagen, die wir Studis gerne an der Salzach verbringen, wäre das doch wunderbar. 13. Dieser Lehrstuhl fehlt an der Uni Salzburg? Soziale Arbeit! Wir finden, dass der Uni Salzburg an gesamtheitlichen sozialen Lehrstühlen fehlt. Durch die Einführung eines Curriculums für soziale Arbeit würden diese Aspekte endlich abgedeckt werden. Ebenfalls wünschenswert wären mehr Lehrveranstaltungen zu Rassismus, Diversität und Inklusivität. 14. Man könnte die Uni demokratischer machen durch? Durch die Einführung von Drittelparitäten (Studierende, Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Professor*innen) in allen Gremien (Senat, Unirat, Curricularkommissionen) innerhalb der Universität Salzburg. Gleichzeitig sollte der Rektor weniger Entscheidungskompetenz besitzen und dafür die Fachbereiche mehr Mitspracherecht haben.


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LISTE UNABHÄNGIGER UND KRITISCHER STUDIERENDER (LUKS) 1. Warum sollen Studis gerade euch wählen? Wir sind in der Universitätsvertretung die unabhängige und kritische Stimme, mit dem Ziel, Chancengerechtigkeit für alle Studierenden an der Uni Salzburg herzustellen und die Studiensituation für alle zu verbessern. Wir sind keine Hobbypolitiker*innen, welche die ÖH als Sprungbrett in die Bundespolitik nutzen wollen, sondern fokussieren uns als Mitglieder aus den verschiedensten StVen darauf, was wir mit unserer Erfahrung für Studierende an unserer Uni erreichen können - unabhängig, erfahren und kritisch. 2. Wer ist euer politisches Vorbild? Als unabhängige Liste brauchen wir keine Vorbilder aus der Berufspolitik. Vorbilder sind für uns jene Menschen, die sich in Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft gegen Ungerechtigkeit und mit vollem Engagement für ihre Umwelt und Mitmenschen eingesetzt haben, einsetzen und einsetzen werden. 3. Studiengebühren: ja, wenn… Feuer gefriert. Wir sind ganz klar gegen Studiengebühren, welche häufig auf unsolidarischen Modellen fußen und treten für einen offenen Hochschulzugang, welcher Chancengerechtigkeit bis zum Abschluss beinhalten muss, ein. 4. Hendrik Lehnert sollte lieber mal... in die Gestaltung von Lern- und Aufenthaltsräumen investieren und die Einbindung von Studierenden in Wissenschaft und Forschung fördern, als sich zu sehr von Exzellenz-Bewertungen treiben zu lassen. 5. 3 Adjektive die zu Eurer Liste passen? unabhängig, erfahren, kritisch 6. Was soll die ÖH sein? Eine starke Stimme von Studierenden für Studierende, die sich gemeinsam,

konstruktiv und im Dialog für alle Studierenden einsetzt, und durch ihre Arbeit Hürden im Studium auf allen Ebenen abbaut. Wir müssen uns in den nächsten Jahren komplexen Herausforderungen stellen - eine ÖH muss diesen auch inhaltlich gewachsen sein. 7. Die UG-Novelle ist gut, weil… sie notwendige Themen wie eine bessere ECTS-Verteilung und eine leichtere Anerkennung von Leistungen aufgreift. Gleichzeitig hinterlässt sie weiterhin sehr viele Baustellen für ein besseres Studium. Alles in Allem: keine große positive Veränderung, viel unberücksichtigtes Potential. Hier gilt es die Probleme anzupacken und zum Besseren zu wenden. 8. Lieblings-Strömung im Feminismus? Wir können keine Lieblings-Strömung benennen, stehen aber für einen kritischen intersektionalen Feminismus und kämpfen für die Abschaffung von struktureller Ungleichbehandlung, insbesondere im Hochschulwesen. 9. Wenn kurz keine*r schauen würde, wie würdet ihr ÖH-Mittel am liebsten veruntreuen? Auf keinen Fall! Die ÖH kann sich finanzieren, weil wir als Studierende von unserem Geld einen Beitrag leisten. Die ÖH hat auf allen Ebenen die Verpflichtung, wirtschaftlich, sparsam und transparent die Mittel so zu verwenden, dass sie allen Studierenden optimal zugutekommen. . 10. Am Zenit der Weihnachtsfeier läuft welcher Song? Weihnachtslieder sind zu dem Zeitpunkt der Party bestimmt kein Bestandteil der Playlist mehr. Wenn nicht gerade zum dritten Mal Don't Stop Believin' von Journey läuft, irgendwas zwischen Slash und Sookee..

Welche Kompetenzen bräuchte die ÖH dringendst? Noch viel mehr als bisher das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, persönliche Karrierewünsche und parteipolitische Spielereien keinen Platz zu bieten und statt gegeneinander miteinander für die Studierenden und bessere Studien­ bedingungen zu arbeiten. 11. Die Mozartstatue am Mozartplatz sollte man ersetzen durch? Auf dem Mozartplatz ist neben der Mozartstatue noch einiges an Platz etwa für eine Open-Mic-Stage für Künstler*innen mit Sitzmöglichkeiten und Begrünung - Hauptsache etwas, was Salzburg mehr zur Studierendenstadt macht. 12. Dieser Lehrstuhl fehlt an der Uni Salzburg? Eine Uni kann sich nur weiterentwickeln, wenn Ressourcen für neue Forschungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dazu zählen natürlich auch neue Professuren an ausdrücklich allen Fakultäten. Allerdings müssen die bestehenden Lehrstühle dringend die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft wie Nachhaltigkeit und die Digitalisierung in Zusammenhang mit moralischethischen, sozialen und politischen Herausforderungen und Chancen noch mehr interdisziplinär erforschen und diskutieren. 13. Man könnte die Uni demokratischer machen durch? Einführung Drittelparität in allen Gremien, transparente Evaluierungs- und Feedbackschleifen mit klaren Konsequenzen und vor allem: Indem jede*r ein Stück weniger den eigenen Profit im Blick hat, sondern die Bedürfnisse und Wünsche des*der anderen an der Uni sieht und ernst nimmt.

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ENTWEDER ...

JUNGE LIBERALE STUDIERENDE (JUNOS) 1. Warum sollen Studis gerade euch wählen? Weil wir überzeugt sind, dass wir durch Sachlichkeit und Konstruktivität mehr für Studierende erreichen können als durch Symbolpolitik und einen destruktiven Kommunikationsstil. 2. Wer ist euer politisches Vorbild? Matthias Strolz, weil durch ihn klar geworden ist, dass man mit Leidenschaft etwas in der Politik bewegen kann. 3. Studiengebühren: ja, wenn… sie erst nach dem Studium bei einem entsprechenden finanziellen Einkommen fällig werden. 4. Hendrik Lehnert sollte lieber mal... mit uns auf einen Kaffee gehen, um die Studienbedingungen an der PLUS zu verbessern. 5. 3 Adjektive die zu Eurer Liste passen? Mutig, konstruktiv und pragmatisch. 6. Was soll die ÖH sein? Ein effizienter Dienstleister für die Studierenden. 7. Die UG-Novelle ist gut, weil… Das sei jedem Studierenden selbst überlassen, ob er/sie die UG-Novelle für gut hält. Für uns als Junos ist sie nicht mutig genug.

8. Lieblings-Strömung im Feminismus? Der Individualfeminismus, welcher die Emanzipation der Frau als Individuum anstrebt und ihre persönliche Autonomie betont. 9. Wenn kurz keine*r schauen würde, wie würdet ihr ÖH-Mittel am liebsten veruntreuen? Von Studierende erhobene Zwangsbeiträge zu veruntreuen wäre moralisch falsch und strafrechtlich wohl relevant und ist daher strikt abzulehnen. 10. Am Zenit der Weihnachtsfeier läuft welcher Song? Narcotic von Liquido. 11. Welche Kompetenzen bräuchte die ÖH dringendst? Transparenz und Leistung. 12. Die Mozartstatue am Mozartplatz sollte man ersetzen durch? Gar nichts, weil Mozart ein wichtiger Teil der Salzburger Kultur ist. 13. Dieser Lehrstuhl fehlt an der Uni Salzburg? Lehrstuhl für Extremismusforschung, weil wir es für eine gute Ergänzung im Bereich der Politologie halten. 14. Man könnte die Uni demokratischer machen durch? Mehr Einbindung von Studierenden in Entscheidungsprozesse.

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... ODER

RING FREIHEITLICHER STUDENTEN (RFS) 1. Wer ist euer politisches Vorbild? Haile Selassie und Gustav Stresemann. 2. Warum sollen Studis gerade euch wählen? Weil wir uns für eine geöffnete Universität einsetzen. Das Ende des Homeoffice Desasters fordern, sowie eine verbesserte IT-Infrastruktur verlangen. (Bei Plus Online sollte man nicht an Denkmalschutz denken müssen) 3. Studiengebühren: ja, wenn… dadurch die Qualität der Universitäten erhöht wird und österreichische Studenten nicht davon betroffen sind. 4. Hendrik Lehnert sollte lieber mal... über seinen Pensionsanspruch nachdenken. 5. 3 Adjektive die zu Eurer Liste passen? Rational, konservativ, humorvoll. 6. Was soll die ÖH sein? Eine Interessensvertretung der Studenten, die sich wie bei den anderen Zwangsmitgliedschaften darauf konzentrieren sollte, ihre Mitglieder bestmöglich zu vertreten, anstatt sich politisch zum Affen zu machen. 7. Die UG-Novelle ist gut, weil… ist sie nicht. Bis auf die Änderungen bei Plagiaten und Ghostwriting (Lex Aschbacher) sehen wir nicht wie man die Novelle mit dem Adjektiv „gut“ in Verbindung setzen kann.

8. Lieblings-Strömung im Feminismus? Als Freunde des Kabaretts finden wir mehrere unterhaltsam. 9. Wenn kurz keine*r schauen würde, wie würdet ihr ÖH-Mittel am liebsten veruntreuen? Mit 663.000 € in Rücklagen würde uns schon viel Schindluder einfallen. (9 Eurofighter Flugstunden wären drinnen) 10. Am Zenit der Weihnachtsfeier läuft welcher Song? Baby It's Cold Outside. 11. Welche Kompetenzen bräuchte die ÖH dringendst? Ein Auge für echte Probleme, anstatt für erfundene. 12. Die Mozartstatue am Mozartplatz sollte man ersetzen durch? Wir sind nicht der Meinung, dass man anfangen sollte Statuen abzureißen 13. Dieser Lehrstuhl fehlt an der Uni Salzburg? Angewandte Verschwörungslehre und Conspiracy Studies . 14. Man könnte die Uni demokratischer machen durch? Eine Entmachtung des Rektorats zugunsten der jeweiligen Fachbereiche.

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ENTWEDER ...

HILF GERNOT BEIM FRÜHJAHRSPUTZ

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... ODER

© BMF/WILKE

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UNI & LEBEN

Neues aus dem Vorsitzbüro ÖH Wahlen, Corona und abgesagte Kurse – die Arbeit im Vorsitz wird nie langweilig. Bald schon beginnt die neue Funktionsperiode und wir übergeben die Schlüssel zu unserem Büro. Was nehmen wir mit, was bleibt für uns offen? Eine Rückschau und ein Blick in die Zukunft.

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as letzte Semester unserer Vorsitzzeit bricht an. Wir haben die vergangenen drei Semester mit einer ganzen Menge spannenden Projekten und Aufgaben verbracht. Es gab Situationen, in denen wir an unsere Grenzen gestoßen sind und nicht wussten, wie es weiter gehen soll. Es gab aber noch viel mehr tolle Situationen und schöne Momente, die wir weit über die Amtszeit hinaus mitnehmen werden. Das wohl definierendste an unserer Zeit im Vorsitz war die Pandemie. Mit der Hilfe von vielen engagierten Personen konnten wir das Distance Learning bei uns an der Uni verbessert und Probleme mit Lehrenden klären. Wir haben die Rückerstattung von Studiengebühren erwirkt und einen Härtefonds eingerichtet, um Studierenden auch in finanziell schwierigen Lagen zu helfen. Viele Vorhaben sind aber auch gescheitert: Es gab keinen Erlass von Mieten und keine Rückerstattung der Studitickets in den letzten beiden Semestern. Manche Profs haben sich partout geweigert, vernünftige Online Lehre zu machen. Das ist frustrierend und hart, wir sind aber an diesen Rückschlägen auch gewachsen.

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Neben Corona haben wir in unserer Funktionsperiode noch diverse andere Herausforderungen erlebt. Die Uni wurde vom neuen Rektor einmal komplett umgekrempelt, was in einem großen Streit und einer beinahe Abwahl des Rektors endete. Mit der UG Novelle kam die größte Gesetzesänderung für Studierende seit 2002 – und diese ist an vielen Stellen nicht tragbar. Mit der starken Stimme aller Studierenden an unserer Uni haben wir protestiert und zumindest einige Verbesserungen noch erreicht. Langweilig waren diese zwei Jahre ganz sicher nicht. Wenn wir zurückblicken, sind wir froh über viele große Projekte, die wir im Interesse der Studierenden umsetzen konnte. Offen bleibt trotzdem einiges. Die Vision, aus Salzburg eine Studierendenstadt zu machen, ist eines dieser Projekte, die wohl auch den nächsten Vorsitz noch stark beschäftigen werden. Genauso verhält es sich mit Anliegen wie dem leistbaren Wohnen in Salzburg, der Begrünung unserer Uni und all den weiteren Zielen, die nicht in zwei Jahren umsetzbar sind. Wir freuen uns jetzt schon zu sehen, wie unsere Nachfolger_innen diese weiter verfolgen werden.


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HANDE ARMAGAN ist 22 ist Studentin der Rechtswissenschaft und seit Sommer 2019 1 stv. Vorsitzende der ÖH Uni Salzburg.

KEYA BAIER ist 21 und studiert Politik­ wissenschaft im 6. Semester. Sie ist seit Sommer 2019 Vorsitzende der ÖH Uni Salzburg. Außerdem sitzt sie im Senat und ist Mandatarin in der ÖH Bundesvertretung.

RAPHAELA MAIER ist 25 und studiert Psychologie und Soziologie. Sie ist 1. StV. Vorsitzende der StV Psycholo­ gie, Mandatarin in der FV NaWi und seit 2019 2. StV Vorsitzende der ÖH Uni Salzburg

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VORSITZ

REVUE

Keya Baier, Hande Armagan und Raphaela Maier – so heißt das Vorsitzteam, das die letzten zwei Jahre die Geschicke der ÖH Salzburg lenkte. Im Gespräch mit Carolina Forstner ziehen die drei Bilanz über eine durchaus turbulente Zeit in der Kaigasse 28.

uni:press: Wie waren die ersten Monate an der ÖH für euch? Keya: Eine ziemliche Herausforderung! Es war viel ganz neu und ganz unbekannt, wir mussten ziemlich schnell uns in alle möglichen Strukturen und Bereiche einarbeiten. Das war nicht einfach. Hinzu kam, dass auch die meisten anderen Personen auf der ÖH neu waren und das Rektorat im Oktober neu besetzt wurde. Wir haben das aber gut gemeistert und sind schnell reingekommen denke ich. Und trotz der Herausforderungen war das auch eine wirklich coole und spannende Phase! Hande: Ich kann hier Keya nur zustimmen, ich war ziemlich froh, dass wir über den Sommer Zeit hatten, uns einzuarbeiten und einen ersten Plan für unsere Funktionsperiode zu erstellen. Es waren sehr aufregende, aber auch anstrengende Tage. Aber das war es auf jeden Fall wert, ich denke, dass wir alles ganz gut gemeistert haben und einen tollen Start in die neue Funktionsperiode hatten! Raphaela: Wir haben die drei Monate nicht nur genutzt, um uns intensiv einzuarbeiten, sondern haben einige Antrittsbesuche absolviert, eine neue Büroleitung eingelernt und das erste Mal unseren Beitrag sowie die Erstisackerl für die WelcomeDays organisiert. Es ging also direkt los mit der täglichen ÖH-Arbeit. Das Einlernen musste parallel mitlaufen.

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Die ÖH ist für viele ein eher unbekanntes Terrain – könnt ihr uns durch einen typischen Tag als Mitglied des Vorsitzteams begleiten? Keya: Einen “typischen” Tag gibt es fast nicht, weil die Tätigkeit so vielfältig ist und immer etwas anderes ansteht. Was zumindest meistens passiert: Wir stehen morgens auf und das erste ToDo ist immer, die Mails und Chats zu checken. Dann haben wir oft alle möglichen Termine, sowohl intern als auch extern. Die sind unglaublich unterschiedlich, das geht von unseren eigenen Mitarbeiter*innen bis zum Landeshauptmann. Dazwischen muss eine Menge passieren, wir schreiben währenddessen Mails, machen Pressearbeit, telefonieren herum, kümmern uns um das ein oder andere Problem usw. So ein Tag kann ganz schnell auch mal 12 Stunden lang werden, ohne dass man es merkt. Raphaela: Dem kann ich nicht mehr viel hinzufügen. Bei der Arbeit ist es wichtig, immer ein offenes Ohr für Anliegen zu haben und sich immer wieder zu reflektieren. Dazu zählt auch, im Auge zu behalten, dass wir im Interesse aller Studierenden handeln müssen. Je näher die Universitätsvertretung auch an den FVen, StVen und Studierenden dran ist, desto bekannter ist das Terrain für alle.


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Habt ihr das Gefühl, dass Studierende wissen, was eine ÖH tut? Hande: Ich bin der Meinung, dass es eine Bubble gibt. Alle Studierende, die sich in dieser Bubble befinden, wissen über die Arbeit Bescheid und die außerhalb kennen uns zwar, aber wissen nicht, welche Angebote wir haben und welch wichtige Arbeit die ÖH eigentlich leistet. Immerhin sind wir österreichweit die drittgrößte Interessenvertretung, dementsprechend setzen wir uns für die Rechte und Interessen der Studierenden ein. Somit verdient die ÖH weitaus mehr Aufmerksamkeit! Ich hoffe, dass wir zumindest durch die Verbesserung unseres medialen Auftritts Studierenden der Uni Salzburg einen Einblick in unsere Arbeit geben konnten und auch zeigen konnten, wie wertvoll ihre Stimme bei den ÖH Wahlen für uns ist.

Studierende und Studieren während einer weltweiten Pandemie waren gefühlt nie ein Thema für die Schlagzeilen. Wie hat Corona eure Amtszeit beeinflusst und wie würdet ihr die Qualität der Lehre in diesem „außergewöhnlichen“ Jahr bewerten? Keya: Dass die Studierenden wirklich so sehr vergessen werden, hätte ich nie gedacht. Die Pandemie kam und damit waren die Studierenden für die Bundesregierung und vor allem den Wissenschaftsminister auf einmal nicht mehr existent. Dadurch ist ganz viel nötige Unterstützung nicht gekommen und die Studierenden haben sich zu Recht allein gelassen gefühlt. Die ÖH hat dann viel davon übernommen, zum Beispiel haben wir einen Härtefonds eingerichtet, Verhandlungen über die Studiengebühren mit der Uni geführt, bei groben Distance-Learning Problemen eingegriffen und so weiter. All das hätte aber ein Wissenschaftsminister, der seinen Amtsnamen verdient, von staatlicher Seite aus machen müssen. Raphaela: Die mediale Darstellung von Studierenden in der Pandemie war in meiner Wahrnehmung zum Teil hanebüchen. Studierende gehören zu der Bevölkerungsgruppe, die mit am meisten von Jobverlusten betroffen sind. Wir sind in einem Alter, wo man konkret an der beruflichen Zukunft arbeiten und Praktika absolvieren muss. Einige mussten sich entscheiden, ob sie ihre WG-Zimmer kündigen oder nicht. Die psychische Belastung ist enorm hoch. Außer von der ÖH angetrieben gab es keine hilfreichen finanziellen Fördertöpfe für Studierende. Und dazu kommt dann eine uneinheitli-

che Online-Lehre mit den unterschiedlichsten Prüfungsformen, kurzfristigen Änderungen oder Absagen usw. Barrierefreiheit wurden vielfach ignoriert. Einige Lehrende waren von Anfang an extrem motiviert, andere dachten vor allem letzten Sommer, dass sie die Pandemie aussitzen können. Es wird besser und viele bemühen sich sehr, aber es muss noch viel Arbeit investiert werden, um von exzellenter digitaler Lehre sprechen zu können.

Eure Amtsperiode neigt sich dem Ende zu – wie geht es euch damit? Hande: Ich bin traurig, aber auch froh drum, dass diese zwei Jahre endlich zu Ende gehen. Wir haben unser Bestes gegeben und trotz einiger Ereignisse, die unseren Arbeitsalltag erschwert haben sehr viele Projekte und Ideen, die wir hatten umsetzen können. Es war eine echt tolle Zeit, wir haben viel gelernt, ich persönlich kann mir wertvolles Wissen mitnehmen, dennoch waren das bisher meine stressigsten und arbeitsintensivsten Jahre meines noch jungen Lebens. Dementsprechend freue ich mich auf Urlaub! Keya: Ich sehe das mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Wir konnten unglaublich viel umsetzen und haben sehr produktiv gearbeitet. Trotzdem gibt es immer Projekte, die nicht fertig werden oder einfach länger dauern als 2 Jahre. Die Zeit im Vorsitz ist aber auch unglaublich anstrengend und ich bin froh, wenn ich wieder eine stressfreiere Phase habe. Raphaela: Mit dem Ende der Amtsperiode ist die Tätigkeit in der ÖH nicht automatisch vorbei. Wir haben auch die Verantwortung, unser Amt so zu übergeben, dass die Nachfolger*innen damit arbeiten können. Ich plane fest damit, auch nach dem offiziellen Amtsende für Nachfragen zur Verfügung zu stehen. Und da ich weiterhin in der StV Psychologie aktiv bleiben werde, nimmt die Verantwortung bestimmt merklich ab, aber engagieren möchte ich mich weiterhin.

Sind zwei Jahre zu kurz? Raphaela: Ja und nein. Ja, weil es wegen des Beginns des Amtes in der vorlesungsfreien Zeit bestimmt 4 Monate dauert, bis man sich bei allen beteiligten Akteur*innen wenigstens einmal vorgestellt hat. Diese Kennenlernphase braucht es, um eine gute Arbeitsbasis zu etablieren. Die

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WIR HATTEN WIE JEDES TEAM AUCH UNSERE DIFFERENZEN, ABER ICH KANN GANZ KLAR SAGEN, DASS WIR DREI IMMER GESCHAFFT HABEN, KONSTRUKTIV UND LÖSUNGSORIENTIERT ZU ARBEITEN

meisten unserer Partner*innen z. B. an der Uni oder in Beratungsstellen müssen sich dementsprechend alle 2 Jahre an neue Gesichter und Menschen gewöhnen. Konsistenz und Verlässlichkeit ist aber wichtig, um ausreichend Vertrauen für gemeinsame Projekte zu schaffen. Da muss man bis zu ein gewisses Maß geschickt an die Vorgänger*innen anknüpfen. Nein, weil 2 Jahre 4 Semester umfassen und damit zwei Drittel eines Bachelor-Studiums. Das ist im Kontext vom Studium ein erheblicher Zeit- und Arbeitsaufwand.

Wie lief die Arbeit zwischen euch dreien? Keya: Ich hätte mir kein besseres Team wünschen können. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und

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die jeweiligen Schwerpunkte und Fähigkeiten super nutzen können. Es gab selten Streit, und wenn, dann konnte er immer konstruktiv gelöst werden. Auch Fraktionsstreitigkeiten hatten wir kaum. Hande: Wir hatten wie jedes Team auch unsere Differenzen, aber ich kann ganz klar sagen, dass wir drei immer geschafft haben, konstruktiv und lösungsorientiert zu arbeiten. Ich bin wirklich sehr stolz auf uns - wir ergänzen uns tatsächlich sehr gut und schätzen einander. So sollte es eigentlich immer in der ÖH sein! Genau aus diesen Gründen hat unsere Koalition so gut funktioniert, die Arbeit für Studierende war für uns immer im Vordergrund, persönliche Differenzen haben das auch nicht beeinflusst.


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Raphaela: Ich kann mich meinen Vorrednerinnen nur aus voller Überzeugung anschließen. Die Arbeit kann manchmal trocken und anstrengend sein, ohne dass es irgendjemand mitbekommt. Dann auch gemeinsam mal Witze machen können oder sich gegenseitig den Rücken zu stärken und Rücksicht zu nehmen, ist absolutes Gold wert.

scheidungen zu Corona: Wir haben die Möglichkeit geschaffen, Studieninteressen direkt einzubringen. Aktuell setzen wir einige Projekte im Disability Referat um, wie z. B. eine anonyme Beschwerde-Plattform für Studierende auf unserer Website oder unsere Repräsentation in der Arbeitsgruppe Bildung des Landes Salzburg.

Welche Ziele konntet ihr erreichen? Keya: Wir sind mit einem umfassenden Programm in die Koalition gestartet und haben zu jedem der Bereiche viel gemacht. Besonders toll lief das Menstruationsprojekt, aber auch im bildungspolitischen Bereich konnten wir viel umsetzen. Gleich zu Beginn haben wir ein Referat für Ökologie und Umwelt gegründet und dort eine ganze Menge erreicht - nun wird zum Beispiel die Juridische begrünt. Wir konnten außerdem die technische Ausstattung in allen StVen erneuern - das war lange überfällig. Durch die Pandemie sind viele Projekte sollen in den Hintergrund gerückt und die Arbeit zur Krisenbewältigung wurde wichtiger. Das ist auch okay und richtig so, aber wir hoffen, dass der neue Vorsitz vielleicht einige von unseren Projekten weiterführt.

Was hätte besser laufen können und wo seid ihr gescheitert? Hande: Im Nachhinein gibt es immer eine Menge Sachen, die hätten besser laufen können. Das ist auch das Spannende an der ÖH: Die Aufgaben und die Dinge, die man angehen und umsetzen kann, hören nie auf. Rückblickend hätten wir vielleicht noch enger mit der Stadt und dem Land zusammenarbeiten können, da wären sicher noch sehr coole Projekte entstanden. Durch die Pandemie sind leider auch geplante Projekte liegen geblieben, wie das ÖH Völkerballturnier. Wirklich gescheitert sind wir nur daran, dass wir uns noch sehr viel mehr vorgenommen hatten als wir umsetzen konnten – zwei Jahre kommen einem am Anfang sehr viel länger vor, als sie es letztendlich sind. Ich kann es kaum fassen, dass unsere Periode bald zu Ende ist.

Hande: Auf unseren Härtefallfonds und das Antidiskriminierungstraining bin ich besonders stolz. Die Pandemie hat so viel von Studierenden genommen und sie wurden einfach von unserer „wundervollen“ Regierung vergessen. Uns war es deshalb besonders wichtig, schnell ein Fonds einzurichten, um sie in dieser Zeit etwas zu entlasten. Durch die Umbenennung und die Ausweitung Referates für Internationales konnten auch Veranstaltungen/ Beratungen zu Diversität und Rassismus stattfinden. Dort ist auch die Idee zu einem Antidiskriminierungstraining entstanden, welches von den Studis sehr begrüßt wurde und mich als Initiatorin besonders freut. Weiters haben wir eine Werkstatt - Verleihservice organisiert, welches bald online geht, somit können Studis auch außerhalb unserer Werkstatt werkeln. Raphaela: Gleich zum Beginn unserer Amtsperiode ist es uns gelungen, die Technik im Beratungszentrum zu erneuern – in der Pandemie sehr hilfreich. Wir haben die ÖH-Arbeit transparenter gestaltet, nicht nur durch verstärkte Social Media Arbeit, sondern auch durch Maßnahmen wie Anträge der Sitzung auf die Website stellen. Außerdem haben wir es geschafft, dass die ÖH in allen Arbeitsgruppen betreffend des Studiums an der Uni aktiv mitentscheidet. Egal ob Website, Lernräume, wie es sie inzwischen an der NaWi oder GesWi gibt, oder Ent-

Was wünscht ihr euch für die Zukunft der ÖH Salzburg? Keya: Ich hoffe, dass es auch in der nächsten Periode ein so großartiges Team mit so motivierten Leuten gibt. Das trifft auch nicht nur auf die Exekutive zu, auch die StVen haben wirklich tolle Arbeit geleistet. Ich hoffe, dass sich daran nichts ändert. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wäre das ein barrierefreies Büro mit Fahrstuhl. Hande: Ich wünsche mir, dass die ÖH endlich die Aufmerksamkeit bekommt, welche sie auch verdient. Die Vertretungsarbeit ist wirklich essentiell für uns Studierende. Egal ob in der StV, FV oder der Exekutive, so viele Studierende leisten so gute ehrenamtliche Arbeit, damit Studierende der Uni Salzburg faire Prüfungen und bessere Studienbedingungen genießen können. Das sollte auch gesehen und anerkannt werden.

Wie sollte sich das Studium an der Uni Salzburg verändern? Raphaela: Die Universität ist noch immer kein Ort der Inklusion. Manche behandeln die PLUS wie ein Unternehmen. Das ist aber der falsche Ansatz.

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ICH FINDE ES ETWAS AMÜSANT, DASS UNSERE UNIVERSITÄT ERST DURCH DIE CORONA PANDEMIE EINEN ZUGANG ZUR ONLINE-LEHRE GESCHAFFEN HAT.

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Studierende müssen früher die Möglichkeit bekommen, sich aktiv in Wissenschaft und Forschung einbinden zu können. Die Uni muss ein Ort sein, wo Ideen zu Büchern, Erfindungen oder Start-ups führen können und das muss sie fördern. Sozioökonomische Faktoren, Gender, (psycho-soziale) Behinderungen oder Herkunft dürfen dabei keine Rolle spielen. Auch Interdisziplinarität und Modernisierung gehören stärker in den Fokus gerückt. Die Uni hat zumindest zu den letzten beiden Punkten Konzepte. Das sind auch Aufgaben der Bildungspolitik, sich breit strukturell zu sanieren - die UG-Novelle schafft hier keine ausreichenden Lösungen. Hande: Die Uni muss - das unterstreiche ich - moderner und zeitgerechter werden. Ich finde es etwas amüsant, dass unsere Universität erst durch die Corona Pandemie einen Zugang zur OnlineLehre geschaffen hat. Wir haben schon vor der Pandemie die technische Ausstattung in gewissen Hörsälen gehabt, um Vorlesungen aufzunehmen. Da gibt es auch Best Practice Professor*innen, welche dieses System genutzt haben, aber das waren nur ein paar von vielen. Natürlich sollten Studierende auch im Hörsaal sitzen und in der Vorlesung mitdiskutieren, aber wenn man sich die Sozialerhebung anschaut, wird einem klar, wie viele Studierende eigentlich arbeiten, um sich das Studium leisten zu können oder ein Kind haben. Insbesondere für diese Personengruppen müssen endlich mehr Angebote geschaffen werden. Was würdet ihr anders machen, wenn ihr noch einmal zwei Jahre Vorsitz wärt? Keya: ich würde am Anfang eine große Teambuilding Klausur machen. Wir haben nur eine Strategieklausur zur inhaltlichen Gestaltung gemacht, aber der Team-Aspekt war nicht wirklich dabei. So kannten sich die Leute nicht sehr gut und es hat länger gedauert, bis ein wirklich gutes Arbeitsumfeld entstanden ist. Außerdem würde ich beim nächsten Mal deutlich mehr mit den Studienvertretungen machen, ihre Veranstaltungen besuchen, sie in die tägliche Arbeit einbinden usw. Das haben wir zwar versucht, aber ich glaube, mehr ist immer möglich und sinnvoll.

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Raphaela: Die beiden Punkte sind extrem wichtig. Wir sind in die Amtsperiode gegangen mit einem Plan, der physischen Kontakt zu Anderen einbezogen hat. Wir mussten uns sehr schnell umstrukturieren und vor allem was den sozialen Faktor betrifft, umdenken. Das hat einige geplante Projekte erschwert oder unmöglich gemacht. Ich denke, dass wir hier noch sehr viele Projekte in der Schublade hätten, mit denen wir locker weitere zwei Jahre füllen könnten.

Und: Wie soll es mit Rektor Hendrik Lehnert weitergehen? Keya: Wir haben zum Abschluss ein gutes Verhältnis wiedergefunden. Noch immer bestehen große Differenzen in einigen Punkten, aber zumindest können wir wieder miteinander arbeiten. Hande: Die Kooperation mit der Universität bzw. mit dem Rektorat finde ich äußerst wichtig. In den letzten zwei Jahren haben wir versucht, eine gute Gesprächsbasis mit dem Rektorat zu schaffen. In der vorherigen Funktionsperiode war diese Basis nicht wirklich existent, obwohl es für Umsetzung von Projekten, für die allgemeine Gremienarbeit und auch für Verhandlungen zwischen uns und der Uni wesentlich ist. Es gab mit Rektor Lehnert, aber auch mit dem sonstigen Rektorat einige Differenzen, jedoch haben wir durch ein klärendes Gespräch einiges lösen können, somit hoffen wir, dass die wiederhergestellte Zusammenarbeit weiterhin mit dem neuen Vorsitzteam bestehen bleibt. Raphaela: Der Austausch zwischen dem gesamten Rektorat und der ÖH muss konstruktiv, kritisch und wertschätzend sein. Je konkreter man an Projekten arbeitet und auf die Expertisen Aller eingeht, desto besser kann man Erfolge erzielen. Auch das neue Vorsitzteam muss in alle eingerichteten Arbeitsgruppen der Universität eingebunden werden: Von Digitalisierung über Lernräume bis hin zu den Bibliotheken laufen gerade aktive Prozesse, an denen wir intensiv mitarbeiten. Das nächste Vorsitzteam muss das auch, um die Interessen der Studierenden dort zu vertreten, wo es besonders wichtig ist.


HENNI GOOGELT

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Verräter wie bestrafen? Hochverrat Straftatbestand Dolchstoßlegende Erklärung Corona-Impfung selber mischen FFP2-Masken 2 pro Mitarbeiter ausreichend? Solidarität Etymologie Cool english names for Fakultäten gibt es noch Majestätsbeleidigung in Österreich BDS gut oder schlecht? unklare haltung bei antisemitimus schlecht für diversity? rectors column lieber zentral oder sehr zentral auf der homepage? jedermann handlung zusammenfassung jedermann allegorie für uni wie tauglich welchem haslauer bin ich was schuldig mit auftritt in lederhosen wogen glätten? Was ist cancel culture?

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DIGITALES & ANALOGES GEMEINSAM DENKEN Von Manuel Gruber

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ber Jahre wurde sie gefordert, von anderen Seiten zwar hochgelobt, aber wenig vorangetrieben und die Corona-Pandemie hat dann alle von heute auf morgen doch dazu gezwungen: die verstärkte Digitalisierung des Hochschulbetriebes in Studium und Lehre. Entsprechend waren auch die Reaktionen und auch nach wie vor läuft nicht alles so rund, wie es sollte. Etwa zeig(t)en sich folgende Beobachtungen: (Große) Zeitverzögerungen beim zur Verfügung stellen der Unterlagen (Aufnahmen, Slides, usw.) auf der eLearningPlattform, nur zeitlich begrenztes Hochladen oder gar kein zur Verfügung stellen der Unterlagen auf digitalem Wege. Lehrende, die sich über Wochen nicht bzw. nur spärlich bei ihren Studierenden melden, weil sie keine digitale Lehre halten möchten oder einfach damit überfordert waren/sind. Ein erhöhter Aufwand für Studierende und Lehrende in der digitalen Fernlehre. Die fehlende technische Ausstattung von Lehrenden, Lehrveranstaltungsräumen und Studierenden. Der teilweise schon zum Wettbewerb zwischen den Lehrenden erhobene Versuch, die eigene Prüfung möglichst spicksicher zu machen - und das allenfalls auch auf Kosten der Privatsphäre der Studierenden. Webex, das wieder mal abstürzt, keinen Ton zulässt oder sonst Probleme macht und noch vieles mehr.

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Auch wenn sich seit März 2020 in der digitalen Lehre viel verbessert hat, läuft an der Uni Salzburg noch nicht alles rund in der digitalen Lehre, wie es für ein gutes Lernumfeld sein sollte. Doch muss auch bereits jetzt klar sein: Ohne Digitalisierung wird auch in der Post-Corona-Zeit Uni nicht mehr denkbar sein. Oder positiver ausgedrückt: Digitale Elemente gehören ganz einfach zum Studium und zur Uni dazu wie analoge Elemente. Im besten Sinne sollen sie sich gegenseitig ergänzen und damit ein gutes Lern- und Diskussionsumfeld für Studierende, Wissenschaftler*innen und Mitarbeiter*innen ermöglichen. Ein ruck-zuck-Zurück zu reinem Präsenzbetrieb wäre deshalb in meinen Augen die gleiche Dystopie, wie wenn wir zu einer bloßen Fernuni rein digital werden würden. Denn ein Studium ist viel mehr als Webex, Blackboard und Zoom und das zeigt sich nicht nur in diversen Umfragen, sondern auch in zahlreichen Gesprächen in diesen Wochen nach über einem Jahr Pandemie. So kam eine vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Auftrag gegebene Studie zum Ergebnis, dass für 60 Prozent der befragten österreichischen Studierenden die Corona-Pandemie im universitären Alltag zumindest eher belastend ist. Die größten Probleme dabei unter anderem: die geringe Motivation durch Online-Unterricht, der


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Auch wenn sich seit März 2020 in der digitalen Lehre viel verbessert hat, läuft an der Uni Salzburg noch nicht alles rund in der digitalen Lehre, wie es für ein gutes Lern Umfeld sein sollte.

Lernen nachhaltig ist es mehr um das Anwenden und Diskutieren statt um das stupide Auswendiglernen von Zahlen, Daten und Fakten wie in der Schule geht. Mit der Digitalisierung ergibt sich somit die Chance und gewissermaßen die Notwendigkeit, Bildung, Universität und Studium ganz neu zu denken. Und dies mit all den neuen Verantwortungen und Herausforderungen für Lehrende, Studierende und Mitarbeiter*innen, aber auch Chancen und Möglichkeiten, die damit einhergehen.

fehlende Kontakt zu anderen Studierenden. Es geht also um mehr in der Studienzeit: etwa sich mit Studienkolleg*innen und Lehrenden vor, in und nach Lehrveranstaltungen in Austausch zu kommen, zum Lernen in die Bibliothek zu gehen, neue Menschen kennenzulernen oder sich auf ein kühles Getränk an lauen Sommerabenden zu treffen. Dass dies in der digitalen Welt entsprechend erschwert ist und der soziale Aspekt vielfach zu kurz kommt, haben die letzten Monate vielfach gezeigt.

Zentren von Wissenschaft, Forschung und der Diskussion bleiben und dafür wird es notwendig sein, die analoge und die digitale Welt in Verbindung zueinander zu bringen und das beste aus beiden Welten im Sinne eines positiven Studienumfelds herauszuholen.

Wir stehen wohl erst am Anfang der „digitalen Revolution“ unseres Unisystems, doch eines ist klar: Unis werden und sollen weiterhin pulsierende

Doch bietet die Digitalisierung auch Chancen, etwa was die erhöhte Vereinbarkeit des Studiums mit Job, mit Betreuungspflichten oder der physischen und psychischen Situation von Studierenden betrifft. Ebenso wie es digitale Elemente Studierenden ermöglichen können, flexibler und nach den eigenen Bedürfnissen sich mit Inhalten zu beschäftigen sowie sich dadurch zudem möglicherweise einfacher über den Tellerrand des eigenen Faches hinausbewegen zu können, wenn Lehrveranstaltungen auch digitale Elemente aufweisen. Auch im Zusammenhang mit der Internationalisierung ergeben sich mit der Digitalisierung neue Chancen, wenn es um Chancengleichheit beim Zugang zu Mobilitätsprogrammen geht: Etwa indem es die Digitalisierung möglich macht, an einer ausländischen Hochschule zu studieren und Lehrveranstaltungen zu besuchen, auch wenn es aufgrund von Betreuungspflichten oder der finanziellen Situation nicht möglich ist, in das Ausland zu gehen. Gleichzeitig lässt eine sinnvolle Verknüpfung von digitalen und analogen Lernelementen in vielen Bereichen des Studienangebots ganz neue Möglichkeiten des Lehrens und nachhaltigen Lernens zu, auch wenn klar ist, dass nicht überall Digitalisierung möglich und sinnvoll ist. Die Utopie dabei: Wir überwinden die „Hürde“, dass es nur um das Auswendiglernen für die Prüfung geht, sondern

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EIN LAND KANN NICHT FREI SEIN, WENN DIE FRAUEN NICHT FREI SIND Im Schatten des Arabischen Frühling wurde im Norden Syrien die multiethnische autonome Selbstverwaltung Rojava gegründet. Das revolutionäre Projekt ist Akteuren wie der Türkei oder radikalen Islamisten ein Dorn im Auge. Denn es wird an neuen Formen des Zusammenlebens gearbeitet, die es im Nahen Osten so noch nie gegeben hat. Eine zentrale Rolle spielen dabei die kurdischen Frauen. Von Ariya Azadi

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ei der Überschrift des Artikels handelt es sich um ein Zitat von Abdullah Öcalan, dem Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die kurdische Frauenbewegung findet nämlich ihren Ursprung in der PKK. Die PKK wurde im Jahr 1978 gegründet, jedoch nahm sie den bewaffneten Kampf erst 1984 auf. Schon bei der Gründung der PKK waren Frauen dabei, die später zu Symbolfiguren der kurdischen Frauenbewegung wurden. Das Ziel der PKK war damals in erster Linie die Befreiung der KurdInnen, die seit Jahrzehnten einer Zwangsassimilation ausgesetzt waren. Die KurdInnen verleugneten ihre Herkunft und schämten sich für ihre Identität. Das waren die Auswirkungen der systematischen Unterdrückung, der wiederholten Massaker und der Assimilationspolitik seitens der Besatzer.

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Schon im ersten Programm der PKK von 1978 wurde die Geschlechterfrage thematisiert. Die ersten Ansätze für die Gleichberechtigung der Frau waren schon bei der Gründung der PKK da. Viele Quellen belegen, dass Frauen sich damals neben der Unterdrückung der KurdInnen auch mit der Unterdrückung der Frau befasst haben. Die aktive Bekämpfung des Patriarchats begann aber erst Anfang der 1990er Jahre. Fraueneinheit – Frauenkongress – Frauenpartei Im November 1993 hat die PKK begonnen, militärische Fraueneinheiten aufzubauen. Der Aufbau hat in Nordkurdistan das kurdische Gebiet, dass von der Türkei besetzt ist, mit ca. 2300 Kämpferinnen begonnen. Im Jahr 1992 fand der erste Frauenkongress statt. Dieser wurde jedoch von den Frauen innerhalb der PKK

nicht anerkannt, da die männlichen Teilnehmer die Kontrolle über die Diskussion hatten. Der erste offiziell anerkannte Frauenkongress fand dann 1995 statt und darauf folgte die Bewegung der Freiheit der Frauen Kurdistans (TAJK). Eine Organisation, die ihren Schwerpunkt auf die Förderung der politischen und kulturellen Weiterentwicklung der kurdischen Frauen legte. Unter dem Befehl von Abdullah Öcalan wurde im gleichen Jahr der Verband freier Frauen Kurdistans (YAJK) gegründet. Nach dem Abdullah Öcalan 1999 von den türkischen Behörden verhaftet wurde, sprach die PKK einen einseitigen Waffenstillstand aus. Es folgte auch eine offizielle ideologische Neuausrichtung, die jedoch schon lange intern diskutiert wurde. Im Zuge dieser Neuausrichtung und der Reformen wurde die Frauenpartei „Partei der werktätigen Frauen Kurdistans“ (PJKK) gegründet.


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Seit dem 5. Frauenkongress 2002 organisieren sich die Frauen unter dem Namen „Partei der Freiheit der Frauen Kurdistans“. Die Union der freien Frau (YJA) ist die politische Organisation der Frauen und der militärische Arm ist die Einheit der freien Frau (YJA Star). Der hohe Frauenrat (KJB) ist der Dachverband dieser beiden Organisationen. Seit 1993 können Frauen entscheiden, ob sie der Frauenarmee beitreten oder jenem Teil der Armee, bei der Frauen und Männer gemischt sind. Diese ganzen Organisationen, Kongresse und Einheiten sind für die kurdische Frauenbewegung sehr wichtig gewesen. Mit der Geschlechterfrage haben sich zuerst einmal nur die PKK-Mitglieder beschäftigt, jedoch gewann die PKK immer mehr Zuspruch in der kurdischen Gesellschaft. Die Sympathie für die PKK führte dazu, dass man sich mit ihrer Ideologie befasste und somit auch mit der Geschlechterfrage. Der Freiheitskampf der Frauen in Rojava Mit dem Beginn des Arabischen Frühlings lenkt sich die internationale Aufmerksamkeit auch auf die KurdInnen in diesem Gebiet. Eine Revolution stand für den ganzen Nahen Osten vor der Tür. Man hat begonnen, sich auf den drohenden Krieg und die Revolution vorzubereiten. Die KurdInnen kooperieren weder mit dem Assad-Regime noch mit der Opposition. Ein Verhalten, das sehr viel Erfolg mit sich bringen wird, denn das kurdische Gebiet wird dadurch unabhängiger. Anfang 2011 wird TEV-DEM (Bewegung für eine demokratische Gesellschaft) in Rojava gegründet. Diese hat es sich zum Ziel gemacht, den Demokratischen Konföderalismus, also das Gesellschaftsmodell von Abdullah Öcalan, in die Praxis umzusetzen. Man beginnt mit dem Aufbau der Sprachschulen, Organisationen und der Verfestigung des Rätesystems. In den Kommunen gründen Frauen Komitees und Frauenräte, die für verschiedene Bereiche wie Bildung, Freiheit und Familienzusammenhalt zuständig sind. Mit einem Anteil von mindestens 40% sind sie auch in den allgemeinen Räten prä-

sent. An der Spitze jeder Kommune stehen jeweils eine Frau und ein Mann. Das Co-Vorsitzenden-System und die 40 Prozent-Quote zeigt, dass die Rolle der Frauen in Rojava sehr bedeutsam ist. Eine große und positive Entwickelung, die Frauen in Rojava hart erkämpft haben. Im März 2016 wird das Gebiet Rojava offiziell von kurdischen, arabischen, turkmenischen und assyrisch-aramäischen Delegierten als de facto autonome Föderation ausgerufen. Sie orientiert sich an dem schweizerischen kantonalen Modell. Im Jahr 2011 wurde in Rojava die bewaffnete kurdische Miliz unter dem Namen „Volksverteidigungseinheit“ (YPG) gegründet. Die Nachfrage auf eine rein weibliche Verteidigungseinheit war sehr groß, weshalb im April 2013 die Fraueneinheit unter dem Namen „Frauenverteidigungseinheit“ (YPJ) gegründet wurde. Die YPJ-Kämpferinnen wurden von den Soldatinnen aus der PKK ausgebildet. Sie sehen sich jedoch selbst als von der PKK unabhängig an. Die mediale Aufmerksamkeit erlangten die Frauen durch ihren Kampf gegen den Islamischen Staat. Die Terrormiliz Islamischer Staat wurde 2003 gegründet und hat Mitte 2014 ein Kalifat (Gottesstaat) in Gebieten in Syrien und dem Irak ausgerufen. Ab 2014 ist diese Terrormiliz mit ihrer Brutalität offen aufgetreten. Der Islamische Staat veröffentlichte Bilder von enthaupteten Zivilisten auf ihren Webseiten und Social-Media-Kanälen. Der Islamische Staat ist mit Anschlägen und Attentaten primär im Nahen Osten, später jedoch auch in Europa und den USA aktiv gewesen. Am 15. September 2014 hat der Islamische Staat den Kanton Kobanê, ein Teil Rojavas im Nordwesten Syriens, angegriffen. Kobanê wurde innerhalb der ersten drei Wochen eingekesselt. In den türkischen Medien wurde bereits von einer Niederlage der kurdischen Kräfte gesprochen, und auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war davon überzeugt, dass Kobanê kurz vor dem Fall ist. Die Einheiten YPG und YPJ kämpften Seite an Seite um den Kanton

Kobanê. Schließlich wurde seitens der kurdischen Gruppen am 26. Jänner 2015 auf sozialen Medien bekannt gegeben, dass der Kampf um Kobanê beendet sei. Die kurdischen Einheiten YPG und YPJ sind als Sieger hervorgegangen. Der Kampf um Kobanê spielt in der Frauenbewegung eine sehr wichtige Rolle. Die Mitglieder des Islamischen Staates glauben, wenn sie von einer Frau getötet werden, nicht ins Paradies zu kommen. Wenn sie die Kämpferinnen der YPJ und YPG gesehen haben, sind sie oft davongerannt. Während den Kämpfe war die Angst vor den Frauen war viel größer als die Angst vor den Männern. Durch die vielen internationalen, aber auch nationalen Medienberichte über Kobanê, sind die Frauen verstärkt sichtbar gewesen. Im Nahen Osten wurde ein Tabu gebrochen. Das Auge der patriarchalischen Gesellschaften hat sich an eine kämpfende Frau gewöhnt, ein großer Schritt gegen das Patriarchat. Man wollte das Bewusstsein der Frauen für den Geschlechterkampf fördern. Eine bewaffnete Frau war für die feudale Gesellschaft ein neues Bild, denn die Waffe galt für sie als das Symbol eines starken Mannes. In Rojava wurden immer mehr Frauenzentren und Selbstverteidigungsakademien für Frauen gegründet. Der Kampf der Frauen in Rojava spielt eine sehr wichtige Rolle in der kurdischen Gesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt gaben die Kämpferinnen in Rojava sehr viele Interviews und sprachen in diesen die kurdischen Frauen direkt an. Sie forderten sie auf, sich in jeder Hinsicht weiterzubilden und bewusst gegen die Unterdrückung der Frauen vorzugehen. Man diskutierte in den privaten Kreisen vermehrt über Frauen und die Entwickelung ihrer gesellschaftlichen Position. Das Thema Gleichberechtigung von Frau und Mann wird seitdem in der kurdischen Gesellschaft mehr als je zuvor diskutiert. Die kurdische Gesellschaft nähert sich der Befreiung der Frauen an und fördert dazu parallel gesellschaftliche Reformen und bildet Strukturen aus, die es in derart im Nahen Osten noch nie gegeben hat.

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NINA MARON


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CORONA & HOCHSCHULEN

Zwischen Krise und Aufbruch

Seit über einem Jahr prägt die Corona-Pandemie Hochschulen weltweit. Zeit, sich über diese herausfordernde Zeit zwischen der Verschärfung von Abhängigkeiten und Herausforderungen für Lehre, Wissenschaft und Forschung und den Chancen in der Krise, Gedanken zu machen. Eine Analyse von Manuel Gruber

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und 17.000 Stellen, die im vergangenen Jahr an Universitäten in Australien infolge der Corona-Pandemie abgebaut wurden. Diese Stellenkürzungen waren notwendig geworden, weil die Unis 2020 Verluste in der Höhe von 5,5 Prozent im Vergleich zu 2019 gemacht hatten. Das japanische Bildungsforschungsinstitut Kawaijuku, das feststellte, dass die Drop-Out-Rate bei Prüfungen bei japanischen Studierenden im vergangenen Jahr um 12 Prozent angestiegen ist. Die wichtigsten Gründe hierfür waren finanzielle Schwierigkeiten sowie die soziale Isolation infolge der Schließungen des Hochschulcampus durch die Corona-Pandemie. Gleichzeitig führt das Agieren der Politik in Zusammenhang mit Covid-19 im Hochschulbereich in Deutschland kürzlich zu Protesten von Studierenden. Das Ziel dabei: Die Hochschulen dürften in den öffentlichen Diskussionen nicht weiter vergessen werden. So sagte Johannes Hofmann von der Initiative „Nicht Nur Online“ gegenüber Spiegel Online: „Wir verstehen nicht, warum es kein Konzept gibt, warum mit uns nicht gesprochen wird und wir in der öffentlichen Debatte so wenig gesehen werden.“ Und auch hierzulande zehrt die pandemische Situation immer mehr an der psychischen Situation, wie eine Ende

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Februar präsentierte Studie des Hayek-Forschungsinstituts zeigt. Demnach sagten 60 Prozent der befragten österreichischen Studierenden, dass die Corona-Pandemie im universitären Alltag eher belastend ist. Welches Bild von Hochschulen? Diese Beispiele aus mehreren Ländern zeigen exemplarisch, welche Folgen die Corona-Pandemie für den Hochschulbereich hat. Egal ob Australien, Japan, Deutschland oder Österreich: Überall stellt diese Pandemie Wissenschaft, Forschung und Studium vor große Herausforderungen verändert diese wohl langfristig, legt aber auch bestehende Strukturen, Prozesse und Abhängigkeiten offen. Hier möchte ich insbesondere auf drei Punkte eingehen: Zum einen betrifft dies das Bild, das Hochschulen und das universitäre Studium in der Öffentlichkeit haben und das sich auch nicht selten in den Erwartungen von Studienanfänger*innen zeigt. Das Bild einer Hochschule als Ausbildungsstätte, als Vorbereitung auf die berufliche Tätigkeit. Auch das Bild von Hochschulen als „Elfenbeintürme“ und Hochschulangehörigen, die den ganzen Tag auf des Staates Kosten über Gott und die Welt sowie diverse mögliche Zusammenhänge


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Gedanken machen, darf nicht vergessen werden. Das, was verlangt wird und in der Konkurrenz um Auf- und Abstieg am Arbeitsmarkt gefragt ist, ist der Abschlusstitel eines Studiums. Wie Studierende dort hinkommen, scheint die Öffentlichkeit und die Politik vielfach nicht zu interessieren. Wichtig ist nur, dass diese Menschen möglichst bald dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Während Schulen noch zentral mit Bildung verbunden werden, die jeder und jedem zugänglich sein muss und das ganz klar legitim ist, scheint der öffentliche Diskurs bei Hochschulen doch zentral davon auszugehen, dass Hochschulbildung nicht mehr Teil dieser Bildung ist, es sich dabei ja um erwachsene Menschen handelt und sich diese ja selbst durch diese Krise kommen können. Doch dass der Altersunterschied zwischen den ältesten Schüler*innen und den jüngsten Studierenden oft nicht mal ein halbes Jahr beträgt, scheint dabei nicht zu interessieren. Hochschulen im Wettstreit Dieses Bild kann verständlicherweise auch als Produkt, aber auch wieder als Ausgangspunkt, davon gesehen werden, dass sich Hochschulen in Zusammenhang mit ihrem Studienangebot zunehmend rein an der Verwertbarkeit von diesem auf dem Arbeitsmarkt orientiert haben bzw. orientieren. Durch den zunehmenden internationalen Wettbewerb um Studierende, der sich durch das exponentiell wachsende Angebot im Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsbereich ergibt, waren und sind Spezialisierung, Internationalisierung und Exzellenz drei zentrale Schlagworte. Es geht nicht um die Bildung im Allgemeinen und wie man mit den großen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft umgehen kann und soll, sondern möglichst spezialisierte, output- und kompetenzorientierte Angebote anzubieten, um sich als

Hochschulen im internationalen Markt sichtbar zu machen. Und diese werden verpackt mit möglichst vielversprechenden Statistiken in Zusammenhang mit Studienabschlüssen, den Übertrittsquoten in den Arbeitsmarkt oder mit der Publikations- und Forschungstätigkeit der Lehrenden. Entsprechend auch die Kommunikation der Hochschulen: Wenn du das machst, dann wirst du genau das - ob dieses Versprechen aus der Werbung um Studierende eingehalten werden kann, ist unklar.

Bleibt der Geldhahn zu, dann können die Hochschulen die eigene Position im internationalen Wettbewerb wohl vergessen. Drittens haben sich Hochschulen dabei von privaten Drittmittelgebern abhängig gemacht und machen sich weiter abhängig, um diese spezialisierten, für genau ein spezifisches Berufsfeld hin ausbildendenden Angebote finanzieren und anbieten zu können. Denn zum einen besteht für hochspezialisierte Studienangebote die laufende Abhängigkeit der jeweiligen Hochschule von der inhaltlichen Expertise des betreffenden Wirtschaftsbereichs, der dadurch aber auch Lehr- und Forschungsinhalte an der Hochschule mitgestalten und mitsteuern kann. Zum anderen ergibt sich auch eine finanzielle Abhängigkeit: Ressourcen in einem Staat sind knapp und um die spezialisierten Angebote anzubieten, holt man sich für Forschungs- und Studienprojekte das Geld von Unternehmen und macht sich dadurch aber wiede-

rum von diesen abhängig. Bleibt der Geldhahn zu, dann können die Hochschulen die eigene Position im internationalen Wettbewerb wohl vergessen. Pandemie legt Abhängigkeiten offen In welche Reihenfolge einer UrsacheWirkungs-Kette diese drei Punkte nun auch gebracht werden, die Corona-Pandemie greift wohl an allen drei Punkten an. Denn stellt Covid-19 nicht nur eine gesundheitliche Herausforderung dar, sondern trifft auch die Wirtschaft in vielen Bereichen. Wie viele Unternehmen aufgrund der Pandemie letztlich schließen müssen und wie viele Menschen ihren Job verlieren werden, ist noch nicht wirklich absehbar. Durch die große Abhängigkeit von Hochschulen von privaten Drittmittelgebern in Lehre (z. B. bei Stiftungsprofessuren, die von Unternehmen finanziert werden) und Forschung, hat die wirtschaftliche Krise auch erheblichen Einfluss auf die Hochschulen: Sind die Unternehmen nicht mehr finanziell liquide, dann bleibt auch das Geld Richtung Hochschulen aus. Die Folge: Forschungsprojekte können nicht abgeschlossen/begonnen werden, Projektstellen sind gefährdet, Lehrverpflichtungen, die mit den Kooperationen einhergegangen sind, können nicht mehr finanziert werden. Dass dies eintreten kann, zeigt etwa das Beispiel Australien. Damit verbunden sind entsprechend auch Folgen für die Studierenden, indem etwa weniger Studienangebot zur Verfügung steht, sich dadurch Studienzeitverzögerungen ergeben oder gar begonnene Lehrveranstaltungen und Studien nicht mit den intendierten Zielen zu Ende geführt werden können. Auch stellt sich die Frage, ob die Jobaussichten die mit den spezialisierten Hochschulangeboten verbunden beworben und in Aussicht gestellt werden, in Zeiten und als Folge der Corona-Pandemie ein-

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gehalten werden können. Ebenso ob der schnelle Berufseinstieg tatsächlich gelingt oder Absolvent*innen gerade jetzt auch die Herausforderung vorfinden werden, nicht unmittelbar eine Arbeitsstelle finden zu können, die zum (spezialisierten) Hochschulstudium passt. Aber was tun, wenn das Studium so spezialisiert auf eine bestimmte Tätigkeit hin ausgerichtet war/ist, dass es auch schwierig ist in anderen Bereichen eine Beschäftigung zu finden? Oder wenn mit dem Studium ein Praktikum verbunden ist, das aber in der aktuellen Pandemie nicht gemacht werden kann, weil die Unternehmen sich aufgrund der finanziellen Ausfälle keine Anstellungen von Praktikant*innen leisten können. Fragen über Fragen, die sich aufgrund der aktuellen Pandemie ergeben für Studierende, die im Kern aber auch wieder die engen Abhängigkeiten des Hochschulsystems von der Wirtschaft und privaten Kapitalgeber*innen und wie eng beide Systeme verflochten sind, sichtbar werden lassen. Neue Chancen, neue Herausforderungen In jeder Krise liegt aber auch wieder eine Chance, heißt es. So kann die Krise eine Zeit sein, sich an neuen Maßstäben, statt internationalen Rankings und reinen quantitativen Statistiken zu messen. Auch hier macht es Australien vor, das aufgrund der Pandemie von anderen Staaten komplett abgeschottet war und den dortigen Hochschulen die Rankingpositionen in den internationalen Rankings nichts brachten, weil internationale Studierende und Forscher*innen erst gar nicht an die Hochschulen kommen könnten. So sagte Alan Tudge, der australische Bildungsminister Ende Februar 2021: „COVID presents us with an opportunity to reassess the impact our universities can have, and to refocus on the main purpose of public universities: to educate Australians and produce knowledge that contributes to our country and humanity.” Gerade was die reine Orientierung auf den internationalen Wettbewerb angeht, scheint die Krise also eine Möglichkeit darzustellen, die aktuelle Rolle von Hochschulen neu zu denken. Auch sollte es dabei darum gehen, welche Aufgaben eine Hochschule in einer Gesellschaft und in einem Staat haben sollte. Soll sie rein marktorientiert und spezifiziert auf den Arbeitsmarkt „ausbilden“? Dies eben mit dem Risiko, wie es jetzt die aktuelle Pandemie aufzeigt, dass Absolvent*innen dann mit der Prekarität, die mit dieser Gangart ein-

hergeht, versuchen müssen, umzugehen. Oder im Sinne eines allgemeinen und humanistischen Bildungsbegriffs Hochschulen wieder stärker als Bildungsstätten aufzufassen, die zur Beschäftigung mit den großen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft anleiten? Genug Herausforderungen gibt es auf jeden Fall, die einer interdisziplinären Beschäftigung bedürfen würden: der Klimawandel, die weltweite Migration, die Digitalisierung, der Niedergang der liberalen Demokratie, die Frage nach Gerechtigkeit bei knapper werdenden Ressourcen und noch viele Fragen mehr. Aber nicht nur im Zusammenhang mit der Orientierung von Hochschulen an internationalen Rankings und am internationalen Wettbewerb kann die aktuelle Krise auch eine Chance darstellen, sondern auch wenn es um das Bild von Hochschulen in der Öffentlichkeit angeht. Denn die gesundheitliche Pandemie war gerade im ersten Lockdown einmal mehr eine Sternstunde für die Wissenschaft, gerade die Virolog*innen, die sowohl bei den politischen Entscheidungen als auch medial wichtige Akteur*innen sind und waren. Die Krise kann also für die Wissenschaft eine Möglichkeit sein, aus dem vielfach öffentlich attestierten Elfenbeinturm rauszukommen und für uns Studierende eine Möglichkeit sein, zu zeigen, was Studieren im Jahr 2021 bedeutet – nämlich mehr als Netflix und Chillen. Möglicherweise kann dies auch eine Chance sein, dass sich das Bild von Hochschulen in der Öffentlichkeit langfristig wandelt und damit auch der Stellenwert von Hochschulen, Wissenschaftler*innen und Studierenden in der Politik. Die Krise bietet also auch die Chancen, die Rolle und die Funktion von wissenschaftlicher Forschung und Lehre an Hochschule, ihr Verhältnis zu Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Beziehungen von Akteur*innen innerhalb von Hochschulen und von Hochschulen zueinander neu zu denken.

Die Krise kann also für die Wissenschaft eine Möglichkeit sein, aus dem vielfach öffentlich attestierten Elfenbeinturm rauszukommen und für uns Studierende eine Möglichkeit sein, zu zeigen, was Studieren im Jahr 2021 bedeutet – nämlich mehr als Netflix und Chillen.

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EIN NEUES KLEID FÜR DIE UNI und was jetzt? Eine Rückschau und ein Ausblick auf den Umstrukturierungsprozess. Von Keya Baier und Manuel Gruber

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ie zukünftige Struktur der Universität Salzburg: Bereits ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt des neuen Rektorats hat dieses eine intensive Diskussion und viel Kritik an Fakultäten, Fachbereichen, bei den Studierenden und der ÖH losgetreten. Um die Uni Salzburg “zukunftsfit” zu machen, sollte die Struktur maßgeblich geändert werden, die Einrichtung von zwei neuen Fakultäten und der Fusion von Fachbereichen inkludiert. Unzählige Sitzungen in den diversen Gremien und eine Vielzahl an Stellungnahmen von internen und externen Akteur_innen später ist der neue Organisationsplan und damit die künftige Struktur mittlerweile genehmigt worden. Wirksam werden die Änderungen am 1. Jänner 2022. Künftig sechs statt vier Fakultäten Dann wird es an der Universität Salzburg statt den bisher vier Fakultäten (Kultur- und Gesellschaftliche Fakultät, Naturwissenschaftliche Fakultät, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Katholisch-Theologische Fakultät) insgesamt sechs Fakultäten geben. Die größten Änderungen betreffen dabei die heutige Kultur- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät sowie die Naturwissenschaftliche Fakultät. Erstere wird geteilt in eine Kulturwissenschaftliche Fakultät und eine Gesell­ schafts­ wissenschaftliche Fakultät. Aus der heutigen NaWi-Fakultät entsteht die Fakultät für Digitale und Analytische Wissenschaften und die Natur- und Lebenswissenschaftliche Fakultät. In der Fakultätsbezeichnung geändert werden soll die Rechtswissenschaftliche Fakultät, sie heißt künftig Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät.

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Mehrere Änderungen gibt es auch bei den Fachbereichen, die diesen Fakultäten zugeordnet werden sollen. So gehen die Fachbereiche Politikwissenschaft, Soziologie und Sozialgeographie, Kommunikationswissenschaft, Erziehungswissenschaft und Philosophie an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät in der neuen Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät auf. Der bisherige Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie wird also aufgeteilt in zwei separate Fachbereiche, die Sozialgeographie wird dem neuen Fachbereich Soziologie eingegliedert. An der Kulturwissenschaftlichen Fakultät bleiben die weiteren Fachbereiche der heutigen Kulturund Gesellschaftlichen Fakultät erhalten - auch die Fachbereiche Linguistik, Germanistik, Slawistik und Romanistik bleiben aufgrund der großen Kritik von vielen Seiten, zumindest vorerst, als eigenständige Fachbereiche bestehen. Neu eingerichtet bzw. neu strukturiert werden sollen auch mehrere Fachbereiche an der neuen Natur- und Lebenswissenschaftlichen Fakultät: die bisher interfakultären Fachbereiche, die Sport- und Bewegungswissenschaft sowie Gerichtsmedizin und Forensische Psychiatrie, werden eingegliedert und zwei Fachbereiche werden umbenannt (Biowissenschaften und Medizinische Biologie, bisher Biowissenschaften genannt, sowie der Fachbereich Umwelt und Biodiversität, bisher Geographie und Geologie genannt). Die Fachbereiche Mathematik und Informatik wechseln dagegen die gemeinsame Fakultät und werden künftig mit den neuen Fachbereichen Artifical Intelligence and Human Interfaces und


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Geoinformatik die neue Fakultät für Digitale und Analytische Wissenschaften bilden. Vergrößert wird auch die Zahl an Fachbereichen an der Rechts- und Wirtschaftswirtschaftlichen Fakultät: Der Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften wird geteilt in einen Fachbereich Volkswirtschaftslehre und einen Fachbereich Betriebswirtschaftslehre. Das Völker- und Europarecht wird aus dem gemeinsamen Fachbereich mit dem Öffentlichkeitsrecht herausgelöst und in einen Fachbereich Völkerrecht, Europarecht und Grundlagen des Rechts eingegliedert. Alles beim Alten bleibt es dafür an der Katholisch-Theologischen Fakultät. Entscheidend für universitäres Miteinander Mit all diesen skizzierten Änderungen in der Struktur wird die Universität Salzburg nach dem 31. Dezember 2021 nicht mehr dieselbe sein wie heute. Die Erwartungen und Ziele des Rektorates daran sind bekanntlich groß: homogene und kohärente Strukturen sollen nicht nur der Außendarstellung dienen, sondern es sollen sich dadurch die Ziele der Uni Salzburg in Forschung und Lehre besser abbilden lassen. Dies passiert klarerweise immer unter der Maßgabe der Budgetneutralität. Das war - obwohl der gesamten Universitätsöffentlichkeit entsprechende Zahlen und Fakten bisher weiter unbekannt sind - wohl einer der ommnipräsentesten Sätze des Rektorates in der Diskussion. Und auch wenn einmal die Bedeutung der Struktur für das Studienangebot heruntergespielt wurde und ein anderes Mal dann die Struktur wieder entscheidend für das Studienangebot war in den Argumenten des Rektorates, so ist zumindest mittel- und langfristig anzunehmen, dass die neue Struktur auch das Studienangebot an der Uni verändern wird. Wie das dann aussehen wird, ist zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht abschätzen, denn bekannt ist mit dem ebenfalls Anfang Februar genehmigten Entwicklungsplan nur, was unmittelbar in den nächsten Jahren im Studienangebot passieren soll. Nun aber zurück zur neuen Struktur an sich: Begleitet werden soll insbesondere die Einrichtung der neuen Fakultät für Digitale und Analytische Wissenschaften und die Konzeptionierung der Kulturwissenschaftlichen Fakultät von einem Evaluationsprozess. Auch die anderen Fakultäten sollen bis 2027 von einem unabhängigen externen Evaluierungsgremium unter die Lupe genommen wer-

den. Dieses soll untersuchen, inwiefern mit der jeweiligen Struktur Ziele in Lehre, Forschung und Administratives erreicht werden können oder eben nicht. Damit diese Evaluierung aber nicht nur zum Mittel zum Zweck wird, eigentlich zunächst intendiertes (wie, die Fusionierung der Fachbereiche Romanistik und Slawistik sowie Linguistik und Germanistik) doch zu verwirklichen, sondern durch die neue Struktur tatsächlich Verbesserungen für die Lehre und die Studienbedingungen erreicht werden, braucht es eine umfassende Einbeziehung der Studierenden in den gesamten Prozess der ReOrganisation, Begleitung und Evaluierung. Denn Struktur ist immer sinngebend und steuernd für das Handeln und das Agieren innerhalb einer Institution und damit prägend dafür, wie die Uni Salzburg nach außen und innen in ihren Inhalten und Abläufen aussehen wird, welches Lehrangebot da ist und wozu geforscht wird. Ob wir eine Universität mit einem breiten Studien- und Forschungsangebot bleiben oder einzelne “exzellente” Bereiche letztlich übrig bleiben werden, wird wesentlich von der Struktur bestimmt und deshalb sind gerade wir Studierende von solchen Umstrukturierungsprozessen zentral betroffen. Deshalb wird es notwendig sein, dass auf allen Ebenen, in den einzelnen Fachbereichen, in den Fakultäten und auch auf Uniebene die Studierenden einbezogen, gehört und ernst genommen werden. Denn das Schlimmste, was aus diesem ganzen Umstrukturierungsprozess resultieren kann, ist doch, dass am Ende das eintritt, wovor etwa von der ÖH, aber auch anderen Akteur_innen ab Beginn der Diskussion immer wieder gewarnt wurde: Eine Scheinstruktur, eine Struktur, bei der nur die Schilder an den Bürotüren ausgetauscht wurden, diese Strukturen aber nicht förderlich sind im Sinne eines guten Studiums und guter Studienbedingungen für alle Studierenden, die Interdisziplinarität und Freiheit fördern. Deshalb werden gerade die kommenden Jahre sicherlich eine intensive und fordernde Zeit für alle, in der alle stets auch mit am Tisch sitzen müssen, viel wechselseitiger Dialog notwendig ist und niemand zurückgelassen werden darf - egal ob Studierende, Lehrende oder die Mitarbeiter_innen. Was bedeutet das für die ÖH? Eine neue Struktur der Universität bedeutet, dass sich auch die ÖH neu strukturieren muss. Es gibt an der ÖH Uni Salzburg eine studentische Vertretung für jede Fakultät, die sogenannten

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Fakultätsvertretung. Außerdem gibt es Studienvertretungen, die sich in ihrer Struktur grob nach der Struktur der Fachbereiche richten. Mit der Einrichtung zweier neuer Fakultäten und der damit einhergehenden neuen Aufteilung der Fachbereiche müssen also auch die dazugehörigen ÖHOrgane eingerichtet werden. Die vom Rektorat neu geplanten Studiengänge müssen, sobald sie existieren, einer bestehenden Studienvertretung zugeordnet werden, oder es wird für sie eine neue Studienvertretung eingerichtet. All das klingt sehr technisch - und das ist es auch. In der Praxis der Vertretungsarbeit bedeutet es aber vor allem, dass wir uns von den bisher gekannten und sehr gut eingespielten Strukturen lösen müssen, um den Umstrukturierungen an der Uni gerecht zu werden. Die Einrichtung von neuen Organen bedeutet immer auch, Personen zu finden die diese mit Leben füllen können. Es bedeutet, ganz neue Organe aufzubauen, die an ganz neuen universitären Einrichtungen agieren. Es bedeutet die Umschichtung von ohnehin bereits knappem Budget, damit die neuen Organe auch genügend finanzielle Mittel für ihre Arbeit haben. Das wird nicht einfach. Was muss konkret passieren? » Einrichtung einer Fakultätsvertretung an der Fakultät für Digitale und Analytische Wissenschaften, der Fakultät für Natur- und Lebenswissenschaften, der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften und der Fakultät für Kulturwissenschaften » Auflösung der bestehenden Fakultäts­ vertretungen an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät und an der Naturwissenschaftlichen Fakultät » Einrichtung von neuen StVen anhand der neuen Fachbereichsstruktur Das zentrale Problem ist dabei der Zeitpunkt der Umstrukturierungen. Die ÖH und ihre Organe werden alle zwei Jahre demokratisch gewählt. Die nächste Wahl findet vom 18.-20. Mai statt und steht damit kurz bevor. Die Funktionsperiode der nächsten Teams beginnt ab dem 01. Juli 2021 und läuft dann wieder zwei Jahre. Die neue Struktur der Uni tritt aber schon mit dem 01. Jänner 2022 in Kraft. Eigentlich bräuchten wir also die neuen Vertretungsorgane schon ab diesem Zeitpunkt. Bei der jetzigen Wahl können wir diese aber noch

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nicht wählen lassen, weil die Struktur der Uni bei der Wahl noch nicht geändert ist. Das bedeutet, dass bei Einrichtung der neuen Struktur keine studentische Vertretung besteht. Es werden Übergangslösungen gefunden werden müssen, die aber regulär demokratisch gewählte Organe kaum ersetzen können. Dem Rektorat wurde diese ungünstige zeitliche Lage mitgeteilt - das war den Entscheidungsträger_innen aber egal. Pessimistischer gedacht: vielleicht freut man sich auch auf eineinhalb Jahre ohne wirkliche studentische Vertretung. Das Fehlen dieser macht das Schalten und Walten nach eigenem Gutdünken schließlich um einiges einfacher. Das jetzige Team in der ÖH wird die Einrichtung der neuen Organe und die Möglichkeiten für sinnvolle Übergangslösungen so weit es geht vorbereiten und dem neuen Team vorschlagen, damit die Vertretungsarbeit trotz aller Widrigkeiten möglichst gut funktioniert. Und was jetzt? Als ÖH haben wir die Umstrukturierung an jeder möglichen Stelle kritisch begleitet und zum Teil größeren Protest gegen Vorhaben eingelegt, die für die Studierenden nachteilig gewesen wären. Damit hatten wir, obwohl versucht wurde, die studentische Perspektive möglichst allumfassend zu ignorieren, zumindest zum Teil Erfolg. Aus der Verschmelzung von Fachbereichen wurde nun eine Evaluierung der bestehenden Struktur mit Aussicht auf Entwicklungsperspektiven. Aus der Einrichtung von Fakultäten nur auf dem Papier wurde nun ebenfalls eine Evaluierung, die sicherstellen soll, dass es sich um gut funktionierende und sinnvolle Einrichtungen handelt. Bei diesen Evaluierungen darf aber nicht wieder der Fehler gemacht werden, die Studierenden auszuschließen. Wir sind die größte Gruppe an dieser Institution, ohne die es den ganzen Laden nicht gäbe. Uns betreffen diese Einrichtungen die dort tätigen Personen und die dort gefassten Entscheidungen ganz direkt. Wenn also evaluiert wird und auf dieser Grundlage neue Veränderungen kommen, dann darf das nur mit Zustimmung der Studierenden passieren. Der Rektor spricht immer wieder von einer Uni, an der sich alle “zuhause fühlen”. Diesem plakativen Geschwafel müssen auch Taten folgen.


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Studierende in Salzburg amWort Wie geht es Studierenden aktuell und wie studiert es sich während der Corona-Pandemie? Fünf Studierende haben sich bereit erklärt, darüber zu sprechen und teilen ihre Gedanken.

Lisa, Soziologie Ich fühle mich absolut nicht mehr gut. Zu Beginn der Pandemie habe ich das SocialDistancing noch relativ gut weggesteckt, während andere bereits massiv darunter litten. Jetzt leide ich auch. Besonders als Single vermisse ich eine Umarmung meiner Freunde, wenn es mir schlecht geht. Doch das mache ich derzeit nur mit meiner besten Freundin. Meine Chefin hat mir angekündigt, dass sie meinen Arbeitsvertrag nicht mehr verlängern wird, daher spare ich schon mal für die Zeit, in der ich dann keinen Job mehr hab. Ich verstehe einfach nicht, wieso Studierende nicht mehr Verständnis für ihre Situation bekommen. Es fühlt sich an, als würde die Welt gerade unter gehen und wir sollen trotzdem Studiengebühren bezahlen. Für ein Semester, mit dem offensichtlich alle überfordert sind. Auch die Lehrenden. Trotzdem kommt mir vor, als tun alle so, als wäre alles wie immer. Ich bin am Limit. Ich habe noch keine einzige Prüfung geschrieben und bin am Limit. Martin, Lehramt Deutsch und Geschichte Dauernd bekomme ich Nachrichten von Kollegen und Kolleginnen in unserer Chatgruppe. Fragen über Vorlesungsprüfungen, ob jemand weiß, wie diese und jene Lehrveranstaltung abgeschlossen wird und wann Abgabefrist ist. Ich schaue

sie mir oft gar nicht an, es macht mir einfach zu viel Stress. Während Corona fällt mir studieren wirklich schwer. Ich bin oft abgelenkt. Obwohl ich kein Fan der Online-Lehre bin, finde ich die Entscheidung gut, grundsätzlich keine PräsenzLVs durchzuführen. Ich müsste täglich eine längere Strecke pendeln und versuche gerade die Öffis so gut wie es geht zu meiden. Meine Schwester hat 2020 im Oktober angefangen zu studieren. Für Erstsemestrige ist das Studieren von zu Hause aus natürlich ziemlich blöd. Man lernt ja niemanden persönlich kennen und findet schwer Anschluss. Anonym, Kunst Seit der Corona Pandemie haben mir die ständigen Veränderungen und Unsicherheiten in der Umgebung extrem zu schaffen gemacht, auch hatte ich lange Zeit mit sehr starken Ängsten zu kämpfen. Die psychische Situation hat sich durch Corona verschlechtert, eine Zeit lang konnte ich gar nichts mehr bewältigen. Zumindest das Studieren an sich ist für mich leichter geworden, denn durch die digitale Lehre kann ich mehrere Kurse ohne Stress belegen und auch abschließen. Das ist mir in Präsenzlehre so nicht möglich gewesen und daher hoffe ich sehr, dass Hybridlehre standardmäßig auch nach der Pandemie bestehen bleibt und die Universitäten langfristig indivi-

duelle Möglichkeiten des Lernens und Lehrens anbieten werden. Manuel, Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft Das was ich vor allem seit Herbst, aber auch im Frühjahr vergangenen Jahres doch als Belastung wahrnehme, ist die große soziale Distanz zu anderen Menschen aufgrund der Corona-Pandemie. In Vor-Corona-Zeiten war ich retrospektiv gesehen, im Allgemeinen doch zeitlich nur wenig zu Hause im Studierendenwohnheim oder über mehrere Jahre auch in der WG. Vielmehr war ich (meistens) gerne an der Uni, bei uns in der KoWi im StV-Kammerl, in der ÖH, gerade in der Prüfungsphase in der Bib und doch häufig auch unterwegs und im Kontakt mit anderen, egal ob im Studium, in der Studierendenvertretungsarbeit und privat. Mit der Corona-Pandemie hat sich das doch sehr geändert und abgesehen von den Lockerungen im späten Frühjahr und im Sommer war und ist es doch eine Zeit, in der ich viel Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht habe. Stundenlanges Verbringen vor dem Laptop an mehreren Tagen die Woche ist da keine Seltenheit mehr und da bin ich schon mal froh - und ich glaube, es geht vielen ähnlich –wenn ich einfach mal den Laptop zufallen lassen und raus aus meinem Wohnheimzimmer kann. Und dann vielleicht spon-

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Sondern ich möchte etwa im Hörsaal und im Seminarraum sitzen und mit Studienkolleg*innen und Lehrenden diskutieren, mich in der Prüfungszeit mich in der Bib zurückziehen, mich mit anderen im Foyer vor dem Hörsaal, in der StV auf einen Kaffee oder vor der Uni treffen und bei den diversen Veranstaltungen und Gelegenheiten - vom an der Salzach sitzen bis zum Semesterfest am Uniparkdach - eine unvergessliche Studienzeit verbringen können. Das gehört zu einem Studium einfach dazu. Und das geht mir doch sehr ab und ich freue mich schon auf den 1. Tag, an dem das alles wieder möglich ist. Gerade auch, weil jegliche Perspektive und Unterstützung durch die Öffent-

tan Menschen zu treffen, die eins kennt, auch mit Masken, Abstand und zeitlich begrenzt, etwas Nähe und Emotionen zu spüren, tut einfach gut. Wir kommunizieren seit Beginn der Corona-Pandemie zwar wohl so viel wie selten zu vor und haben in den letzten Monaten gelernt, mit diesen digitalen Tools irgendwie umzugehen. Und ich bin froh, dass mir diese digitalen Tools zumindest zum Teil helfen, im Studium, in der Studierendenvertretungsarbeit und im Privaten mit anderen in Kontakt zu bleiben. Doch muss ich auch sagen: Ersetzen können sie das, was gerade auch im Studium zählt, nicht. Im Großen und Ganzen hatte ich das Glück, dass ich fast alle gewählten Lehrveranstaltungen in den letzten zwei Semestern gut abschließen konnte. Das aber wohl auch, weil ich ohnehin nicht mehr so viele Lehrveranstaltungen zu belegen hatte. Nichtsdestotrotz fällt das Studium seit Corona nicht mehr immer so leicht wie vorher, ich lasse mich leichter ablenken, kann mich schwieriger konzentrieren, ist das sich Motivieren im ständigen Bildschirm-Schauen doch schwieriger geworden. Denn ein Teil, von dem, was vor Corona so ganz selbstverständlich für mich zum Studium gehört hat, ist seit März 2020 weggebrochen. Ich hab nicht ein Studium begonnen, um nur von zu Hause am Laptop aus an Lehrveranstaltungen und Prüfungen teilzunehmen. Die Digitalisierung kann zwar viel beizutragen, um ein Studium flexibler zu gestalten und an die studentische Lebensrealität anzupassen, aber kann auch nicht alles sein, wie ich nach über einem Jahr Fernlehre feststellen muss.

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lichkeit und die Politik für Unis und Studierenden während der gesamten Pandemie gefehlt haben. „Die sind über 18 Jahre, also sind die alt genug für sie, sich selbst zu sorgen“, so der sprichwörtliche Tenor. Viele Studierende haben ihre Jobs in der Krise verloren, wenn sich auch vieles in den zwei Semestern in der Corona-Lehre verbessert hat, gibt es immer noch viele Probleme in der OnlineLehre, Studiengebühren müssen im gleichen Ausmaß weiterbezahlt werden usw. So zu tun, als wäre alles wie vorher, erscheint mich doch sehr fraglich und ich freue mich, wenn die ganze Pandemie endlich vorbei ist. Caroline, Geschichte Leider hab ich mich bereits an die außergewöhnliche Situation gewöhnt. Vergangenes Jahr ging es mir damit gar nicht gut, meine Studienkollegen und Freunde nicht mehr in der Uni zu treffen. Mittlerweile haben wir uns damit arrangiert. Und auch die Online-Lehre ist besser geworden, wenn man mich fragt. Lehrende wissen mittlerweile wie man Webex steuert und Mitstudierende haben verstanden, dass man Mikrofone muten kann. Viele Lehrende haben sich auch sehr kulant bei Abgabefristen gezeigt, was ich sehr fair finde. Mich beunruhigt aber sehr, dass die Uni eine Mail ausgesendet hat, indem steht, dass es vermutlich im Herbst wieder Präsenzunterricht geben wird. Denn dann will vermutlich niemand mehr Online-Lehre anbieten, obwohl das für viele Studierende inklusive mir eine enorme Erleichterung darstellt. Ich wünsche mir wieder mehr Normalität, aber auch mehr gesundheitliche Sicherheit und vor allem die Gewissheit, dass die Uni im Herbst ihren Präsenzplan nach dem Fortschritt der Impfungen richtet. Corona ist mir und meiner Familie sehr nahegekommene wir haben einen schweren Corona-Fall im Bekanntenkreis und die Lage ist kritisch.


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ÖH FÜHRT DISABILITYREFERAT (WIEDER) EIN Das neue Referat will Inklusion und Chancengleichheit auf universitärer und gesellschaftspolitischer Ebene forcieren und Barrieren abbauen. Wir haben uns mit der neuen Referentin Delaja Oblak getroffen und mit ihr über die Pläne für das kommende Semester und die Situation von Studierenden mit Behinderungen während der Covid-19-Pandemie gesprochen. Die Fragen stellte Hannah Wahl

uni:press: Welche Barrieren existieren für Menschen mit Behinderungen an der Uni Salzburg? Der Hochschulzugang bleibt vielen Personen verwehrt und ist an sich schon eine gewaltige Barriere. Sehr viele Studierende an der Universität Salzburg sind von psychosozialen, unsichtbaren Behinderungen betroffen. Daraus ergeben sich gewaltige Barrieren, weil psychische Erkrankungen immer noch auch gesellschaftlich gesehen stigmatisiert werden. Betroffene haben oft Ängste und Befürchtungen und verstecken sich eher als Unterstützung einzufordern. Da muss sich wirklich die Umgebung endlich verändern, denn es kann nicht sein, dass die größte Gruppe nicht zu Wort kommen darf und nicht existieren darf im System Universität. Generell kann alles zur Barriere werden. Zum Beispiel sich zu Lehrveranstaltungen anzumelden, ein Formular auszufüllen, das richtige Gebäude zu finden, die Präsenzlehre und re-

gelmäßige Anwesenheit, Zeitvorgaben einzuhalten, sich vor oder in einem Raum zu befinden, der nicht barrierefrei ist (auch digitale Räume sind oft nicht barrierefrei gestaltet) verbale Präsentationen zu halten, die Planung des Studiums (z. B. für jede Lehrveranstaltung extra Nachteilsausgleich beantragen). Soziale und zwischenmenschliche Anforderungen können ebenso zur Barriere werden wie bauliche oder ökonomische Barrieren. Ich persönlich denke, dass die größten Barrieren immer noch aufgrund von Unwissen oder mangelnder Bereitschaft andere zu akzeptieren, die nicht in das eigene kleine Kästchen passen, entstehen. Und in der Gesellschaft generell? Auf Barrieren stoßen Menschen mit Erkrankungen und Menschen mit Behinderungen tagtäglich. Sie müssen um alles kämpfen, das ist kräftezehrend. Noch dazu gibt es viel Unwissen und immer noch

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UNI & LEBEN

Du bist jetzt seit Februar 2021 zuständig für das neue Disability-Referat. Verrätst du uns, welche Pläne du für das kommende Semester hast? Ich möchte Studierende mit Erkrankungen/Behinderungen einladen, sich aktiv im Referat mit ihren Ideen, Anliegen und Wünschen einzubringen. Es soll eine langfristige, aktivistische „Empowerment-Plattform“ verankert werden. Jedes Semester soll mindestens eine barrierefreie Veranstaltung angeboten werden. Ich möchte dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen endlich als psychosoziale, unsichtbare Behinderungen anerkannt werden. Wann sollen sich Studierende an das Disability-Referat wenden? Es sollen sich alle Studierenden mit Erkrankungen und Behinderungen melden, wenn sie auf Barrieren stoßen. Studierende, für die es nicht machbar ist, von offizieller Seite Unterstützung zu beantragen, können sich auch vorerst (anonym) an mich wenden. Generell steht das Referat für alle, die sich angesprochen fühlen offen und bietet einen geschützten studentischen Raum an. Wir befinden uns immer noch in einer Pandemie und im zweiten Semester Fernlehre. Welche Auswirkungen hat das für Studierende mit Behinderungen? Die Auswirkungen der Pandemie sind gravierend, gerade psychische Erkrankungen nehmen bei jungen Menschen zu. Die Barrieren vor Ort verlagern sich in den digitalen Raum. Mitunter kann die Fern-

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lehre jedoch auch große Erleichterungen bringen. So lässt sich der Alltag leichter mit dem Studium verbinden und es sind dadurch mehr Möglichkeiten zur individuellen Teilhabe entstanden. Wichtig wäre es für Studierende mit Erkrankungen und Behinderungen, dass die Möglichkeit zur digitalen Teilnahme auch nach der Pandemie bestehen bleibt, denn für einige Studierende ist erst dadurch ein Studium überhaupt möglich geworden. Wie kann das Disability-Referat Inklusion auch auf gesellschaftspolitischer Ebene forcieren? Das ist eine große Aufgabe, da wir noch sehr weit von Inklusion entfernt sind. Hier ist es wichtig, mit bestehenden Menschenrechtsorganisationen zusammenzuarbeiten, sich zu vernetzen und Kooperationen anzustreben, um gemeinsam Veränderungen zu bewirken und auf Missstände hinzuweisen. Es gibt an der Uni Salzburg eine Abteilung für Disability&Diversity, ein Beratungszentrum und jetzt auch ein Disability-Referat. Kannst du uns kurz erklären, bei welchen Fragen und Problemen sich Studierende an die verschiedenen Stellen wenden sollen? Das Beratungszentrum berät Studierende zu allen Fragen, die aufkommen. Die Abteilung Disability & Diversity ist speziell für Studierende mit Erkrankungen/Behinderungen zuständig. Hierhin kann man sich jederzeit wenden, um Unterstützung zu erhalten. Das Disability-Referat der ÖH ist dafür da, die Sichtweisen der Studierenden zu vertreten, einen geschützten Raum anzubieten und dazu beizutragen, dass Barrieren, die Studierende erleben, abgebaut werden.

KONTAKT

Vorurteile, einstellungsbedingte Barrieren in der Gesellschaft. In Heimen und Werkstätten werden Menschen ausgebeutet und von der Gesellschaft ausgesperrt. Personen mit psychischen Erkrankungen fallen aus der Gesellschaft heraus und dürfen auch nicht selbst zu Wort kommen, denn es sind immer noch sogenannte „Expert*innen“, die über Menschen mit psychischen Erkrankungen sprechen, anstatt dass die Betroffenen endlich selbst über sich selbst sprechen dürfen. Viele Personen haben in unserem System überhaupt keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben.

E-Mail: disability@oeh-salzburg.at Sprechzeiten: online Individuelle Termine nach Vereinbarung Auf der Webseite gibt es zudem ein anonymes Kontaktformular.


POLITIK & GESELLSCHAFT

DIE HÄUSER DENEN, DIE SIE BRAUCHEN! Letzten November haben Menschen, die von Obdachlosigkeit und Wohnungsnot betroffen sind, ein Haus in der Habersaathstraße, Berlin Mitte besetzt, welches seit Jahren leer steht. Die Gruppe die sich zur „Leerstand hab ich Saath“ Initiative verbündet hat, entschied beziehungsweise wurde in die Lage gedrängt, aktiv zu werden und wollte Ihre Notlage selbstbestimmt beenden, einen selbstverwalteten Wohnraum und ein soziales Zentrum für Menschen in ähnlich prekären Lagen schaffen. Ein Text des Referat für Gesellschaftspolitik und Menschenrechte der ÖH Salzburg

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as Kredo „stay at home“ der Corona Pandemie lässt sich nur schwer einhalten ohne ein Zuhause. Probleme wie steigende Mieten, Luxussanierungen, Immobilienspekulation, Warteschlangen bei Besichtigungen, immer weniger verfügbarer Wohnraum sind jedoch nicht neu und stehen bereits vor der Pandemie den Wohnbedürfnissen vieler Menschen im Weg. Wer beim kapitalistischen Hauen und Stechen weniger gut davonkommt, der*die hat mit Verdrängung zu rechnen und ist scheinbar dazu angehalten, diese auch stillschweigend zu ertragen. Die eingeforderte Eigeninitiative die in neoliberalen Verhältnissen besonders prominent ist, wird im Fall der „Leerstand hab ich Saath“ Initiative noch am selben Abend mit einem Polizeieinsatz beantwortet, bei dem das Haus geräumt wurde und die Besetzer*innen zur Identitätsfeststellung abgeführt wurden.1

„Die selbstbestimmte Beendigung von Obdachlosigkeit wird bestraft, die jahrelange Zweckentfremdung von Wohnraum wird hingegen mit teuren Polizeieinsätzen gewährleistet“ – Sprecherin „Leerstand hab ich Saath“ In der sogenannten Corona Krise offenbart sich ein zentraler Widerspruch im Kapitalismus nur umso deutlicher, dass das Grundbedürfnis nach wohnen den Kapital- und Vermieter*inneninter-

essen untergeordnet wird. Wohnraum wird nach Marktprinzipien und den größten Profitversprechen gehandelt. Diese Verwertungslogik macht natürlich auch vor Salzburg nicht halt oder lässt sogar noch tiefer in die Tasche greifen. Laut einer Erhebung von 2015 besteht in der Stadt Salzburg ein Leerstand von ca. 4800 Wohnungen. Abzüglich von Wohnungen, die saniert oder in Vorbereitung zur Grunderneuerung sind, gibt es immer noch 3.500 mobilisierbare Wohnungen, die nicht genutzt werden.2 Gleichzeitig kann das klerikale Vorzeigestädtchen mit knapp 30 Delogierungsterminen in den nächsten Wochen punkten. Das heißt, Menschen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können bzw. Mietstundungen nicht zurückzahlen können, müssen nun „freiwillig“ ihre Wohnung räumen oder die Räumung wird als Zwangsmaßnahme durchgesetzt. Durchgesetzt von Justiz und Exekutive werden nun diejenigen gestraft und vor die Tür gesetzt, die im Prozess wirtschaftlicher Dynamiken vorsätzlich in Armut gedrängt werden. Dieser Zynismus zeigt das strukturelle Verhältnis umso konkreter, dass wirtschaftlicher Profit über den Bedürfnissen von Menschen steht, jedes Mittel recht ist, diesen Zustand aufrecht zu erhalten und Wohnungslosigkeit billigend in Kauf genommen wird.

QUELLEN: 1) https://twitter.com/hab_ ich_saath 2) Erhebung des Salzburger Instituts für Raumordenung & wohnen: https:// www.salzburg.gv.at/bauenwohnen_ /Documents/ endbericht_wohnungsleerstand_final.pdf

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AM 8. MÄRZ HEISST ES JEDES JAHR:

RAUS AUF DIE STRASSE Jeden Tag kämpfen weltweit Frauen, Lesben, intergeschlechtliche nicht-binäre und trans Personen (FLINT*) für ihre Sichtbarkeit und Freiheit. Am 8. März, dem feministischen Kampftag, kommen weltweit feministische Gruppen auf der Straße zusammen und tragen ihre Forderungen in die Welt hinaus und in die Köpfe hinein. Ein Text des Feministischen Referats der ÖH Salzburg

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uch in Österreich ist das immer noch notwendig, wenngleich häufig von uns verlangt wird, endlich mit unserer Situation zufrieden zu sein. Doch zufrieden sind wir noch lange nicht! Die alten Unterdrückungsverhältnisse wirken heute mitunter verdeckter und subtiler. Grund genug, sie aufzuzeigen und anzugreifen! Wir sind betroffen von körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt, von unfairer Arbeitsteilung und Mehrfachbelastung durch Lohn- und Reproduktionsarbeit, von Einschränkungen unserer Selbstbestimmung in Bezug auf Schwangerschaft und Sexualität, von der Tabuisierung unserer Körper. Und immer noch kämpfen wir gegen erdrückend enge Normen und sogenannte Schönheitsideale, gegen Zwangsoperationen bei Be_hinderung, Inter- und Trans-Geschlechtlichkeit. Die Pandemie verstärkt die bestehenden Ungleichheiten noch weiter: So ist beispielsweise der Anteil von FLINT* Personen in den sogenannten systemrelevanten (sprich: in einer Pandemie gefähr-

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licheren) Berufen sehr hoch. Gleichzeitig sind FLINT* noch stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Zusätzlich zur beruflichen und finanziellen Belastung kommt noch ein Mehr an reproduktiver Arbeit hinzu: So sind es vor allem FLINT* Personen, von denen Aufgaben wie Kinderbetreuung und Unterstützung von Angehörigen erwartet werden. Ausgangsbeschränkungen und Isolation sind zwar nicht die Auslöser von Gewalt in Familien und Beziehungen, doch sie verstärken diese – auch davon sind hauptsächlich FLINT* betroffen. Das nur als Auszug aus all den Ungerechtigkeiten, mit denen wir Bücher füllen könnten. Und solange diese Ungerechtigkeiten noch existieren, sehen wir tausend Gründe, gemeinsam auf die Straße zu gehen. Außerdem bietet der 8. März die Möglichkeit, uns gleichzeitig und in aller Öffentlichkeit mit den unterschiedlichen Kämpfen von FLINT* weltweit zu solidarisieren und unsere Stärke zu feiern.


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LASST UNS WEITERHIN BANDEN BILDEN UND GEMEINSAM DAS PATRIARCHAT ANGREIFEN – DENN JEDER TAG, JEDE NACHT IST 8. MÄRZ! ALERTA FEMINISTA!

Auch in Salzburg fand eine Demo zum weltweiten feministischen Kampftag statt. Wie jedes Jahr machten wir uns hier für feministische Selbstorganisation stark – so war die Demo nur für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht binäre und trans Personen offen. Zwischen 200 und 300 Teilnehmer_innen versammelten sich bei der Neuen Mitte Lehen und zogen in feministischer Manier lautstark und raumeinnehmend durch das abendlich-nächtliche Salzburg. Es gab spannende Redebeiträge die verschiedene Themen behandelten, dabei unter anderem die Situation der Salzburger Frauenhäuser, Sexarbeit in der Pandemie und allgemein, Women and Singing – die Situation von singenden Frauen im Iran, Transfeindlichkeit, medizinische Versorgung für trans Personen, ein Beitrag der ÖH zu Sexismus auf der Uni und außerdem live Musik und eine Drag Show.

Dieses Jahr sind uns die Übergriffe von (Cis-) Männern als besonders penetrant und aggressiv aufgefallen: Sie mischten sich zum Teil unter den Demozug, beschimpften uns und griffen uns körperlich an, entblößten sich am Rande der Demo. Dazu kam gegen Ende eine aufdringliche Störung durch Corona Leugner_innen. Auf die gemeinsame feministische Gegenwehr waren sie aber allesamt nicht vorbereitet. Diese Angriffe zeigen uns: Es gibt immer noch unzählige Gründe, auf die Straße zu gehen! Wir sind viele und lassen uns nicht einschüchtern. Lasst uns weiterhin Banden bilden und gemeinsam das Patriarchat angreifen – denn jeder Tag, jede Nacht ist 8. März! Alerta feminista!

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l e i p S y r o m e M GEGEN NAZISTRASSENNAMEN 50


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it einem riesigen Memory-Spiel am Residenzplatz forderten der Verein für aktive Gedenk- und Erinnerungskultur APC (Alpine Peace Crossing) und die ÖH Salzburg im Dezember 2020 ein Umdenken in der Salzburger Erinnerungskultur. 128 große Memory-Karten machten auf einer Spielfläche von über 60 Quadratmetern das Ausmaß des Problems greifbar. Denn nach wie vor sind 64 Straßen, Wege und Plätze in der Stadt Salzburg nach Personen benannt, deren NS-Vergangenheit zwischen bedenklich und grauenhaft oszilliert. Vorbeikommende Passant*innen waren eingeladen, zu den Fotos der jeweiligen Straßenschilder die dazugehörigen Memorykarten mit den historischen Informationen zu den jeweiligen Namensgeber*innen aufzudecken. Und so manch ein*e Salzburger*in staunte nicht schlecht, hier offenbar zum ersten Mal von der NS-Vergangenheit der honorigen Namensgeber*innen im öffentlichen Raum zu erfahren. Die Aktion war allerdings nicht rein zur Information der Salzburger Bevölkerung gedacht, sondern richtete sich auch konkret an die Salzburger Lo-

kalpolitik, die in der Frage der problematischen Straßennamen seit Jahrzehnten herumeiert. Der öffentliche Druck, der mit der Memory-Aktion aufgebaut wurde, zwang die Stadtverantwortlichen dann auch zum zähneknirschenden Eingeständnis, dass die seit langem erwartete Veröffentlichung des Berichts der von der Stadt Salzburg beauftragten Historiker*innenkommission zu den Straßennamen wieder einmal nach hinten verschoben werden „müsse“. Angeblich soll der Bericht im Sommer 2021 veröffentlicht werden, wohl auch mit der Hoffnung, dass die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit im Sommerloch nur gering ausfällt. Die Forderung der Initiator*innen der MemoryAktion bleibt nach wie vor: Die Stadtpolitik muss ihre Verantwortung wahrnehmen und nach jahrzehntelang verschleppten Debatten die überfälligen Schritte setzen! Das ist die Stadt den Opfern und ihren Nachkommen schuldig, aber auch den Bewohner*innen, die nicht gerne in NS-belasteten Straßen wohnen.

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IMPFPATENTE:

GELD ODER LEBEN? Impf-Patente gegen das Corona-Virus sollten zum öffentlichen Gut erklärt werden und frei von Lizenz-Einschränkungen produziert werden können: Das forderten in Salzburg Aktivist*innen der Plattform „Solidarisches Salzburg“ und der ÖH Salzburg mit einer Banner-Aktion am Marko-Feingold-Steg. Von Kay-Michael Dankl

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Aktivist*innen setzen ein Zeichen für die Freigabe von Patenten. Quelle: Solidarisches Salzburg

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ine Freigabe der Impfstoff-Patente könne helfen, die Engpässe in der Produktion zu überwinden und Impfstoffe schnell und weltweit bereitzustellen. „Österreich impft im Schneckentempo. Das liegt neben dem PlanungsChaos auch an den Lieferengpässen. Dadurch sind wir von der knappen Produktion einiger weniger Pharma-Firmen abhängig“, sagt Peter Ruhmannseder, Sprecher von Solidarisches Salzburg: „Die Impfstoff-Patente aus schwerwiegendem öffentlichen Interesse freizugeben, ist ein Weg aus der Krise. Wenn viele Produzenten den Impfstoff frei erzeugen können, steigt die Menge und die Preise sinken.“ Kosten für den Staat, Profite privat? Gegen die Freigabe der Patente wird oft eingewandt, dass Pharma-Unternehmen dann den finanziellen Anreiz verlieren würden, in Forschung zu investieren. Aber stimmt das? Das Beispiel der Corona-Impfstoffe zeigt: Der Löwenanteil der Forschungsgelder stammen aus öffentlichen Kassen. Erstens ist die biologische Grundlagenforschung z.B. für die neuen mRNA-Impfstoffe durch jahrzehntelange Forschung an öffentlich finanzierten Einrichtungen geschaffen worden. Firmen wie Moderna und Biontech/Pfizer stiegen erst viel später ein. Sie konnten die Durchbrüche der öffentlichen Forschung einfach übernehmen und zu Gewinn machen. Zweitens haben die Pharma-Unternehmen im Jahr 2020 direkt Milliarden an öffentlichen Geldern bekommen. Laut kontrast.at hat Biontech/ Pfizer in den USA und Deutschland 1,9 Milliarden US-Dollar an öffentlichen Geldern kassiert – und selbst nur 1,5 Milliarden für die Impfstoff-Entwicklung beigetragen. Moderna hatte 2020 überhaupt keine eigenen Kosten zu tragen, bekam aber

vom US-amerikanischen Gesundheitsministerium rund 3 Milliarden Dollar. Drittens haben die Firmen Abnahme-Garantien bekommen, als noch unklar war, wie und ob die Impfstoffe wirken. Viele Verträge sehen auch vor, dass die öffentliche Hand die Kosten bei etwaigen Impf-Schäden trägt. Für die Pharma-Unternehmen sind die Impfstoffe ein bombensicheres Geschäft. Sie haben kaum Risiken, Absatz-Garantien und eine fast Monopolartige Machtstellung. Aktuelle Schätzungen von Banken prognostizieren allein für Pfizer, Biontech und Moderna Einnahmen von je 10 bis 20 Milliarden Dollar. Das freut die Unternehmen und Aktionäre, aber die öffentliche Hand zahlt dreifach drauf: Indem sie die Profite der Pharma-Konzerne zahlt, die sie zuvor direkt subventionierte und weil öffentlich gewonnenes Wissen durch die Patentierungen privatisiert wird. Patentfreigabe für globale Versorgung Eine Freigabe von Impf-Patenten würde auch die Preise für die begehrten Vakzine senken. Aktuell sind weniger reiche Länder stark benachteiligt. Sieben von zehn Impfdosen haben sich reiche Länder mit Exklusiv-Verträgen gesichert – die aber nur ein Sechstel der Weltbevölkerung darstellen. Das zeigt eine Auswertung der MedizinFachzeitschrift „The Lancet“. Die Afrikanische Union hat bereits auf die bittere Ironie hingewiesen, dass in Afrika zwar klinische Test-Studien

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Globale Lösung hilft allen Eine Patent-Freigabe zur schnellen weltweiten Versorgung hilft nicht nur ärmeren Ländern, sondern nutzt allen: Denn wenn das Corona-Virus nicht weltweit überwunden wird, entstehen in einzelnen Ländern mit vielen Infizierten regelmäßig neue Mutationen, die auch für bereits Geimpfte gefährlich sein können. „Das Corona-Virus können wir nur global besiegen. Deshalb braucht es statt teurer Patente auf Kosten der Allgemeinheit günstige, frei zugängliche Impfstoffe“, sagt Ruhmannseder. Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie und nach acht WTO-Diskussionsrunden gibt es immer noch keine internationale Lösung. Über hundert Länder wollen Impf-Patente freigeben (gelb/grün) – die reichen Staaten blockieren (rot). Quelle: Ärzte ohne Grenzen

durchgeführt wurden, sie aber jetzt auf den fertigen Impfstoff warten müssen. Außerhalb Europas und der USA könnte es noch Jahre dauern, bis flächendeckend geimpft wird, teilweise bis 2024. Reiche Länder blockieren Schon im Oktober haben die Ärzte ohne Grenzen einen Brief mit 375 zivilgesellschaftlichen Organisationen veröffentlicht, der die Patent-Freigabe fordert. Auch Staaten wie Indien, China und Südafrika wollen die Regeln des internationalen Abkommens zum „Schutz geistigen Eigentums“ (TRIPS) anzupassen. Über 100 Länder unterstützen einen Vorstoß in der Welthandelsorganisation (WTO), während der Pandemie den Patentschutz für Corona-Impfstoffe und -Medikamente auszusetzen. Damit der Notfall-Antrag bei der Weltorganisation angenommen wird, müssen aber alle 164 Mitgliedstaaten zustimmen. Aber Europa und die USA blockieren – mit verheerenden Folgen. Erinnerungen an HIV/AIDS Wie Pharma-Patente Menschenleben kosten, hat schon HIV/AIDS gezeigt. Weniger reiche Länder hatten jahrelang nicht das Geld, um die teuren Medikamente für erkrankte Bürger*innen zu kaufen. Erst als günstige Imitationen dieser Medikamente auf den Markt kamen, sogenannte Generika, gingen die Preise zurück. Es sind Jahre vergangen – und unzählige Menschen gestorben –, bis die bereits vorhandenen lebensrettenden Medikamente zugänglich gemacht wurden. Der Unterschied zu Corona: Aktuell ist nicht eine bestimmte Patientengruppe betroffen, sondern die gesamte Weltbevölkerung.

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Gesundheitswesen demokratisieren Die Impf-Misere in der Corona-Krise zeigt tieferliegende Probleme der Pharma-Industrie auf. Die sind nicht neu. Noch immer sterben Jahr für Jahr Millionen Menschen an Krankheiten wie Tuberkulose, Diabetes oder Malaria, weil die Medikamente zur Heilung oder Behandlung nicht verfügbar sind. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass ein Drittel aller Patient*innen weltweit wegen teurer Preise und struktureller Hürden keinen Zugang zu dringend benötigten Medikamenten hat. Pharma-Firmen entwickeln vor allem Medikamente, mit denen sich große Gewinne in profitablen Märkten machen lassen. Wer nicht zur zahlungskräftigen Klientel zählt oder an einer seltenen Krankheit leidet, hat Pech. Den vielen Verlierern stehen wenige Gewinner gegenüber – der Pharma-Sektor zählt zu den profitabelsten Branchen überhaupt. Dort wo überteuerte Preise gesunken sind – wie im Fall von HIV/AIDS –, war das meist nur durch öffentlichen Protest, politischen Druck und Konkurrenz durch Generika abseits der Patente-Systems möglich. Die Freigabe der Patente für Corona-Impfstoffe und -Patente kann ein erster Schritt sein, um die Pharma-Industrie stärker der öffentlichen, demokratischen Kontrolle unterzuordnen. Denn Gesundheit ist zu wichtig, um sie zu privatisieren und Profite über Leben oder Tod entscheiden zu lassen.

WEITERE INFORMATIONEN: https://www.patents-kill.org/


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: s o l s g n u b i e R e t t i B

DIE UNI SALZBURG UND IHR SCHWIERIGES VERHÄLTNIS ZUM ANTISEMITISMUS Dieses Semester war an der Kultur- und Geisteswissenschaftlichen Fakultät (KGW) eine Lehrveranstaltung zur antisemitischen BDS-Bewegung (Boycott – Divestment – Sanctions) geplant. Diese setzt sich ein, Israel politisch und kulturell zu isolieren. Als jüdische Studierenden das Rektorat daraufhin aufmerksam machten, dass der Leiter selbst BDS Unterstützer ist. Zwar sagte man das Seminar ab, die Uni zeigt aber erneut, wie ignorant und unbeholfen sie im Umgang mit Antisemitismus ist: Von David Mehlhart

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enn man den Umgang der Uni Salzburg mit Antisemitismus kurz zusammenfassen müsste, würde man wohl kaum ohne die Worte aussitzen, herumdrücken und inkonsequent auskommen. Als im Sommer 2020, im Andenken an Marko Feingold eine Professur eingerichtet wurde, ließ es sich Rektor Hendrik Lehnert nicht nehmen, beim Pressetermin in der ersten Reihe zu posieren. Die Salzburger Nachrichten schrieben, dass der Lehrstuhl zur „wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Ursachenforschung von Antisemitismus“ errichtet worden sei. Den Geldgebern (Bundeskanzleramt, Land Salzburg, Erzdiözese Salzburg und Erzabtei St. Peter) ist es geschuldet, dass dieser Lehrstuhl im wahrsten Sinne des Wortes öffentlichkeitsunwirksam bei den Bibelwissenschaften versteckt wurde, statt ihn etwa am Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte anzusiedeln.

Als dann Ende vorigen Jahres ein Lehrender des Als dann Ende vorigen Jahres ein Lehrender des Fachbereichs Politikwissenschaft eine Hausdurchsuchung mit den Novemberpogromen 1938 parallelisierte, zeigte man sich nicht mehr ganz so entschlossen. Persönlich habe Lehnert, so kann man auf der Webseite des ORF nachlesen, dem Betroffenen klargemacht, dass sich die Universität von solchen Aussagen distanziere – wohlgemerkt aufs Schärfste. Von dieser ganzen Schärfe war aber schnell nichts mehr zu spüren, denn Konsequenzen blieben bis dato aus. Reuig beschwichtigen und dann aussitzen lautet die Devise. Diese Taktik, bei der man sich die Finger nur minimal dreckig macht, mag für die Uni durchaus bequem und hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit auch effektiv sein. Es gibt nur einen Haken: Häufen sich Vorfälle dieser Art, verkommt diese Kommunikationsstrategie schnell zum Eiertanz.

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Doch die Uni Salzburg wär‘ nicht die Uni Salzburg, wenn sie wohlgemut denselben Fehler nicht auch noch ein weiteres Mal machen würde. Schlecht abgestimmte Statements, fehlende Transparenz und rhetorische Verwindungen, bei denen man erst mal die Augen reiben muss, inklusive. Aber alles der Reihe nach. Dieses Sommersemester sollte an der KGW ein Seminar mit dem Titel „Ethische Interventionen: Boykott-Strategien – Pro und Contra“ angeboten werden. Darin wollte man sich eingehender mit der internationalen BDS-Bewegung (Boycott – Divestment – Sanctions) beschäftigen. Bei BDS handelt es sich um einen seit 2005 existierenden losen Zusammenschluss verschiedensten Akteuren, von NGOs, über Gewerkschaften bis hin zu Wissenschaftler*innen. Koordiniert wird BDS vom 2007 gegründeten „Palestinian BDS National Committee“. Teil dieses Komitees sind z.B. Sympathieträger wie die radikalislamische Terrororganisation Hamas, die seit 2006 den Gazastreifen regiert. Einzusehen kann man das ganz einfach auf der offiziellen Webseite von BDS. Laut BDS handelt es sich bei Israel um ein Land, das seine Gründung einer kolonialen Landnahme zu verdanken hat und sich in weiterer Folge zu ei-

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nem „Apartheidstaat“, gleich Südafrika bis 1994, entwickelte. Darüber hinaus wird auch das Existenzrecht Israels als solches in Frage gestellt. Um auf diese Missstände aufmerksam zu machen, müsse Israel laut BDS international isoliert und boykottiert werden. Beliebte Mittel sind dabei akademische und kulturelle Boykotte, in Folge derer Veranstalter*innen dazu gedrängt werden, israelische Künstler*innen auszuladen bzw. ihnen von vornherein keine Bühne zu bieten. Es ist vor allem der Vorwurf des Kolonialismus, der die Kampagne für linke Organisationen bzw. das linksliberale Milieu sehr anschlussfähig macht. Bis weit in die akademische Linke hinein findet BDS Unterstützer*inne. Bekannteste Beispiel hierfür dürfte wohl die Feminismustheoretikerin Judith Butler sein, die 2003 in einem Essay u.a. die Hamas als Teil einer progressiven Bewegung im globalen Kampf gegen Rassismus bezeichnete und sich für einen Boykott Israels starkmachte. Wenn BDS bei einer oberflächlichen Betrachtung den Anschein eines zivilgesellschaftlichen Mittels erweckt, mithilfe dessen man auf vermeintliche Ungerechtigkeiten aufmerksam machen will, offenbart sich bei genauerem Hinschauen die anti-


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semitische Stoßrichtung der Kampagne. Durch den sogenannten 3D-Test (Dämonisierung, Doppelstandard, Delegitimierung), der dabei helfen soll, legitime Kritik an Israel von Antisemitismus zu unterscheiden, lässt sich dies verdeutlichen. Wenn, wie oben erwähnt, Israel als Kolonialstaat bezeichnet wird, versucht man damit, die Gründung als illegitimes Unterfangen darzustellen. Diese Geschichtsdarstellung, die etwa den UNTeilungsplan von 1947 ausspart, dem zufolge auf einem Gebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg unter britischem Mandat stand (davor, war es Teil des Osmanischen Reiches), sowohl ein jüdischer als auch arabischer Staat entstehen soll, ist ein Versuch, die Existenz Israels zu delegitimieren. Ähnlich verhält es sich, wenn Israel vorgeworfen wird, ein „Apartheidstaat“ zu sein, in dem eine strikte Rassentrennung herrsche. Zeitgleich sind aber 20 Prozent der israelischen Staatsbürger Araber*innen, die uneingeschränkt an Wahlen teilnehmen können, Parteien gründen und Universitäten besuchen. Israel wird in diesem Fall dämonisiert. Das hatte die Konsequenz, dass mehrere Städte, darunter Wien, Graz und München, aber auch Parlamente, so geschehen in Deutschland und Österreich, BDS als antisemitisch verurteilen und eine Zusammenarbeit oder Geldflüsse dorthin kategorisch ausschließen. Auch die NEOS reichten im Mai 2020 einen entsprechenden Antrag im Salzburger Gemeinderat ein. Die Pointe dabei ist nun, um den Bogen wieder zurück zur Uni zu spannen, dass der Lehrveranstaltungsleiter selbst ein Unterstützer der Boykott-Bewegung ist. Er unterzeichnete im Jahr 2011 einen Aufruf („Etwas ist faul im Apartheidstaate Israel – Offener Brief an die Schaubühne Keine Inszenierung für den Apartheidstaat!“), in dem die Berliner Schaubühne aufgefordert wurde, nicht zu einem Theaterfestival nach Jerusalem zu reisen, um so ein Zeichen gegen den israelischen Kolonialismus zu setzten.

Jüdische Studierende aus Salzburg und die Jüdische Hochschüler*innenschaft aus Wien sowie die Salzburger ÖH, wendeten sich daher am 1. März in einer Mail (dieses liegt der Redaktion vor) an die betreffenden Stellen - Rektorat, Dekan, Fachbereichsleiter - und brachte ihre Besorgnis ob der geplanten Lehrveranstaltung zum Ausdruck. Nachvollziehbar wurde dargestellt, warum das Seminar untragbar sei. Neben der Erwähnung der SchaubühnenCausa und dem Verweis auf die weithin

Probleme werden gelöst, wie man sie österreichischer nicht lösen könnte. Unter den Teppich kehren, aussitzen, Gras drüber wachsen lassen, aber ja nie klare Position beziehen oder Schuld eingestehen. anerkannte Antisemitismusdefinition der „International Holocaust Rememberance Alliance“ (IHRA) zog man Andreas Peham, Rechtsextremismusforscher und Mitarbeiter des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes, zurate. Dieser sieht in dem Seminar „den Versuch einer Legitimation kontemporärer antisemitischer Politiken auf akademischer Ebene.“ Die Mail schloss mit der Aufforderung, das Seminar abzusagen und eine klare Haltung gegenüber Antisemitismus zu zeigen. Um es an dieser Stelle kurz zu machen: Die Uni erfüllte den ersten Teil der Forderung. Aber statt sich wie gefordert zu distanzieren und

den Fehler einzuräumen, begegnete man den Vorwürfen mit einer äußerst faulen Argumentation. Daraufhin kam der Stein sprichwörtlich ins Rollen und es entspannte sich ein Netz aus Reaktionen und Wortmeldungen der beteiligten Partien. Der Co-Leiter verfasste mehrere Mails an die Seminarteilnehmer, es gab die besagte Aussendung der Uni selbst und einen offenen Brief von Studierenden der KGW. Und gerade, weil der Vorwurf des Antisemitismus ein schwerer ist und auch vonseiten der Uni mit der Freiheit der Wissenschaft argumentiert wird, muss genau hingeschaut werden. Um das Gewirr aufzudröseln, sollen nun alle Beteiligten, so wie es die Uni in bester liberalistischer Manier immer wieder betont, zu Wort kommen. Und man wird sehen, dass der Teufel im Detail steckt, wenn es darum geht, wie sich Antisemitismus im akademischen Bereich seinen Weg bahnt. I. Der Lehrveranstaltungsleiter und sein Co-Referent bzw. das Seminar selbst Dass die Themenwahl auf BDS fiel, stellt nur eine logische Konsequenz dar. Bereits vor einem Jahr hielt der besagte Philosoph ein Seminar in Salzburg, dass sich aus der Perspektive der analytischen Philosophie dem Wesen des Antisemitismus annähern wollte. Die Conclusio lautete damals kurz und knapp, so wie man es von einem analytischen Philosophen erwarten darf, dass Antisemitismus gleich der Diskriminierung von Jüd*innen sei. Nur nicht lange fackeln und sich mit begrifflichen Spitzfindigkeiten oder gar historischen Zusammenhängen aufhalten. Auch außerhalb der Universitätsmauern scheint ihn dieses Thema sehr umzutreiben. Auf dem Onlineportal Telepolis veröffentlichte er seit 2004 38 Artikel, von denen sich schlanke 16 mit Israel bzw. Antisemitismus auseinandersetzten. Dass man sich nun für ein Thema näher interessiert, kann man einem Menschen wohl nicht zum Vorwürfe machen, eher ist es eine Tugend. Genauer hinschauen sollte man trotzdem.

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Das Vorgehen ist dabei, egal ob in seinen Artikeln oder an der Uni, immer das Gleiche. Politische, gesellschaftliche und geschichtliche Phänomene werden kurzerhand zu Fragen der Semantik degradiert. In einem autobiografischen Text, der seinen Weg hin zur analytischen Philosophie nachzeichnet, ist immer wieder von Klarheit die Rede, deren Suche er als zentrales Moment seiner Arbeit benennt. Und das mag durchaus Vorteile haben. Zu oft, jede*r kennt es aus dem eigenen Unialltag, machen es Wissenschaftler*innen oft unnötig kompliziert. Zu gerne hätte man ein klares Ja oder Nein, ein Oben oder Unten und ein Schwarz oder Weiß. (Dass die meisten seiner Artikel dann am Ende ellenlang sind und mehr verwirren als klären, geschenkt) Diese Stärke der analytischen Philosophie wird aber genau dann zum Problem, wenn sie in die wirkliche Welt heraustritt und sich Dingen annimmt, die widersprüchlich sind, deren Bearbeitung Sensibilität verlangt, dort, wo das Konstatieren von Gewissheiten schlicht eine Chuzpe darstellt. Dieses bewusste Negieren von Zwischentönen und das Hinwegsehen über die Qualität von Ereignissen ist immer wieder Wesensmerkmal seiner Thesen zu Israel und Antisemitismus. Zum einen wird der spezielle Charakter von Antisemitismus geflissentlich übergangen, indem man ihn in den größeren Kontext von Diskriminierung/Rassismus einreiht und ihn dadurch nivelliert und historisch entkernt. Antisemiten unterscheidet von „gewöhnlichen“ Rassisten, dass sie sich einer jüdischen Verschwörung ausgesetzt sehen, also sie selbst die eigentlichen Opfer wären. Bei Rassismus hingegen steht die vermeintliche Unterlegenheit des anderen im Zentrum. Zum anderen wird jede Gelegenheit dazu genutzt, Israel in bester deutscher Tradition einen Strick aus der Shoah zu drehen. Dieses Kunststück schaffte er etwa in einem Artikel aus dem Jänner 2020, der den Titel: „Nie wieder Auschwitz?“ trägt, zu vollbringen. Jahrzehntelanger rabiater Antisemitismus in Deutschland?

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Jahr an sorgfältigster Planen der vollständigen Vernichtung der europäischen Juden und schließlich die Umsetzung? Eine hervorragend geölte Propagandamaschine, die die passende Ideologie den Deutschen auf Schritt und Tritt einbläute, und diesen Massenmord einzigartig macht? Alles nicht so wichtig, wenn man es auch so ausdrücken kann: „Ethisch rechtfertigbar ist ein Singularitätsanspruch auf die Opferrolle jedenfalls nicht.“ Garniert wird der Artikel mit dem Appell, auch Israel möge sich, um ein erneutes Auschwitz zu verhindern, doch bitte an die Menschenrechte halten. Vor diesem Hintergrund mutet es nahezu wahnwitzig an, wenn Andreas Schütz von der Uni Salzburg und Co-Referent in einer Mail vom 16. März festhält, dass man sich im Rahmen des Seminars objektiv mit BDS auseinandersetzen will („[…] inwiefern BDS antisemitisch ist oder nicht.“) und das „Antisemitismus selbstverständlich keinen Platz [hat].“ Diese ungünstigen Startbedingungen hätten durch eine ausgewogene und kritische Leseliste behoben werden können. Aber auch hier weit gefehlt. Als Lektüre dienen Texte der beiden Vortragenden selbst und Bücher, die schon im Titel Israel als „Apartheidstaat“ bezeichnen oder jene vom notorischen BDS Unterstützer Noam Chomsky. Den einzigen Gegenpol dazu bildet eine Handreichung des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten. II. Der offene Brief der Studierenden der KGW Diesen Ball nahmen Studierende der KGW auf und verfassten einen offenen Brief, der am 26. März veröffentlicht wurde. Diese stellten sich klar auf die Seite des Philosophen und erweiterten das Diskussionsfeld um den Faktor Redefreiheit. Gleich zu Beginn wird in die Vollen gegangen und gesagt, dass „die Vorwürfe inhaltlich nicht zutreffend [sind]“ und man dem Professor eine „einseitige Sicht oder gar Beeinflussung“ nicht zuschreiben könne. Weiters scheint die Behauptung, ob der Leiter nun BDS-Unterstützer ist

oder nicht, so die Studierenden, „kaum begründet“. Hier muss man erwidern, dass eine einfache Googlesuche ausgereicht hätte, um feststellen zu können, welche Positionen der Leiter vertritt. Allerdings wird in dem offenen Brief ein wichtiger Punkt aufgezeigt, der vor allem die Kommunikation der Uni betrifft. Die Verfasser*innen sehen sich von der Universität nur schlecht informiert, wenn sie schreiben, dass bisher „nicht nachvollziehbar argumentiert [wurde]“, warum man das Seminar nicht stattfinden ließ. Richtig ins Schwarze trifft der offene Brief aber dann, wenn die ganze Posse in ihrer schlichtesten Form auf den Punkt gebracht wird: „Ein weiterer Hinweis darauf, dass solche Gründe [Anm.: solche zur Absage] nicht vorliegen können, zeigt sich auch darin, dass das Seminar nicht von vornherein von der Universität abgesagt wurde.“ Das bloße Stattfinden eines Seminars ist noch lange kein Garant dafür, dass es auch frei von antisemitischen Inhalten ist, es zeigt aber, wie die Qualitätssicherung der Uni im Trüben fischt. Völlig zu Recht wird der Uni von den Verfasser*innen ein „Transparenzproblem“ attestiert. III. Stellungnahme der Universität Die unrühmlichste Rolle wird zu guter Letzt der Uni selbst zuteil. Als der Schaden passiert war (Artikel in der Salzburger Kronen Zeitung), ersann man eine Strategie, mit der man die Quadratur des Kreises bewerkstelligen wollte. Gesicht wahren, Konsens finden, Stellung gegen Antisemitismus beziehen, eine Lösung anbieten und das wichtigste, ja keine Schuld eingestehen – und das auf einer Din A4 Seite. Am besten wird die Misere ersichtlich, wenn die Uni versucht zu erklären, warum sie sich nun zu einer Absage des Seminars durchgerungen hat: „Uns erschien aufgrund der Diskussion über die Lehrveranstaltung ein reibungsfreier Ablauf des Seminars nicht gewährleistet.“ Das muss man sich erst auf der Zunge zergehen lassen. Es sind nicht die antisemitischen Inhalte, die die Uni zu einer Absage des Seminars brachte, sondern es war das Bahö


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Dieses bewusste Negieren von Zwischentönen und das Hinwegsehen über die Qualität von Ereignissen ist immer wieder Kern seiner Thesen und negative Medienecho rund um das Seminar. Es war nicht der Leiter des Seminars, der in Israel einen „Apartheidstaat“ sieht, das die Uni zu einer Absage bewogen hat, sondern es waren jüdische Studierende mit ihrem engagierten Auftreten, die einen reibungsfreien Ablauf im harmoniebedürftigen Salzburg verhindert haben. Doch es wird noch bunter, Stichwort Quadratur. Um den unschönen Fleck des Antisemitismusvorwurfes am sonst so sauberen Hemd der Uni möglichst schnell auszuwaschen, beschloss man im kommenden Herbst eine Ringvorlesung abzuhalten. Unter dem Titel „Die Grenzen der akademischen Redefreiheit“ sollen die hier Beteiligte (der Leiter und die jÖh), Studierende und externe Expert*innen eingeladen werden, um auszuloten, was man denn nun sagen dürfe (z.B. „Jüdische Studierende stören das Semester“) und was nicht (z.B. „Es tut uns leid und wir distanzieren uns von jeglichem Antisemitismus“). Schließlich „bekennt sich [Anm.: die Uni] zu ihrer Rolle in der demokratischen Gesellschaft, zur Gewährleistung und Gestaltung von Diversität und zum Kampf für Menschenrechte und gegen Diskriminierung.“ Das in

letzter Zeit viel bemühte Schlagwort Diversität heißt an der Uni Salzburg, und da müssen Juden und Jüdinnen halt in den sauren Apfel beißen, notfalls auch mal mit denjenigen zu diskutieren, für die offener und demokratischer Diskurs nur bedeutet, besser als ein Stammtischpolterer zu wissen, wie man Antisemitismus so verpackt, dass man jahrelang von Lehrauftrag zu Lehrauftrag tingeln kann. Wenigstens über eines kann man sich bei dieser ganzen Dialog-Besoffenheit freuen. Der Rektor scheint nun endgültig in Österreich angekommen zu sein. Hatte dieser zu Beginn noch gewisse Probleme mit der kulturellen Akklimatisation, dürften diese mittlerweile verflogen sein. Probleme werden gelöst, wie man sie österreichischer nicht lösen könnte. Unter den Teppich kehren, aussitzen, Gras drüber wachsen lassen, aber ja nie klare Position beziehen oder Schuld eingestehen. Oder, um es mit Georg Kreisler zu sagen: „Meine Sendung wurde nie abgesetzt, sie wurde nach bewährtem österreichischen Muster immer seltener und seltener und seltener ausgestrahlt.“

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LÄSST SICH ARMUT TEILEN? Schilderung eines Projektes, welches genau das versucht. Von Anne Marie Gómez Neumann

Das Telefon klingelt. Ein permanentes Geräusch im Berufsalltag von Thomas Neureiter – ein klingelndes Telefon. An sich nichts Dramatisches: hier aber wird Bedürftigkeit sichtbar – die Bedürftigkeit nach Beratung, Geld und allgemeiner Unterstützung. Thomas Neureiter – als Leiter des Projektes „ArMut Teilen“ entlastet Menschen in Salzburg, mit finanziellen, aber auch anderweitigen Problemen. Hier finden Salzburger*innen neben sozialer Beratung und Betreuung auch finanzielle Hilfe. Salzburg und Armut – nicht unbedingt der Begriff, welchen man mit der reichen Mozartstadt assoziiert. Aber dennoch existiert Armut: und sie ist näher, als viele vermuten. Alleine im Bundesland Salzburg lebten 2019 etwa 82.000 Menschen unter der Armutsgrenze. Jede*r siebte Salzburger*in galt demnach als armutsgefährdet. Doch was genau bedeutet Armutsgefährdung? Als armutsgefährdet gilt jemand, welcher mit 1.286 € monatlich oder weniger auskommen muss. Eine Summe, mit der man – besonders bei Salzburger Mietpreisen – finanziell eher schwierig auskommt. Die Armutsgefährdeten, bzw. armen Menschen sind hier nicht nur eine Zahl: hier bekommt die abstrakte Zahl von 82.000 armutsgefährdeten Salzburger*innen einen Namen, eine Geschichte und auch einen Hintergrund. Alleinerziehende, mit teilweise mehreren Kindern, welche sich fragen, wie sie sich den nächsten Schulausflug leisten sollen. Menschen, mit körperlichen Einschränkungen, die Hilfe selbst beim Einkaufen benötigen und nicht wissen, wie sie diese finanzieren können. Ältere Menschen, mit den finanziellen Problemen einer kleinen Pension, steigenden Mietkosten und auch dem Problem der Einsamkeit.

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Es sind alles Menschen, mit Geschichten, Eindrücken, Emotionen und Wünschen. Genau das ist auch das Besondere an der Organisation von „ArMut Teilen“: die Zeit wird sich genommen, sich mit jedem Einzelschicksal zu beschäftigen, jede Geschichte zu hören und den Menschen nicht nur finanzielle Hilfe anzubieten, sondern auch sozialen Beistand. Über die breite Vernetzung mit anderen sozialen Projekten und Hilfsorganisationen in der Region, ist es hier möglich, andere Stellen weiterzuempfehlen und im besten Falle Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Besonders durch die Corona Pandemie werden eben jene Personen getroffen, welche auch schon davor armutsgefährdet oder bereits in der Armut waren. Bereits vor dieser Krise, galten etwa 17 % der Einwohner*innen Österreichs als armutsgefährdet; die Corona Pandemie hat diese Zahl nicht unbedingt in eine positive Richtung beeinflusst. Kurzarbeit, Kündigungen oder auch den finanziellen Mehraufwand durch die Betreuung der Kinder zuhause – all das sind Faktoren, welche besonders Menschen in schwierigen finanziellen Situationen stark belasten. In der ersten Hochphase der Corona Pandemie im ersten Halbjahr 2020, wurden die Menschen bei ArMut Teilen zusätzlich mit Lebensmittelpaketen und anderen kleinen Sachspenden unterstützt. Auch jetzt – in den folgenden Wochen – werden wieder Lebensmittel ausgegeben. Gerade in der Hochphase der Pandemie sind solche Aktionen wichtig: sie entlasten die Haushalte bei dem Punkt, wo meist nicht gespart werden kann und sollte. Über das ganze Jahr gibt es – neben der Beratung und Unterstützung – verschiedene Veranstaltungen, um noch mehr auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Der „Umverteilungstag“ im November beispielsweise dient dazu, auch mal größere finanzielle Beträge an Menschen zu spenden, um Träume wie eine Schulfahrt, ein Fahrrad oder auch andere Anschaffungen wahr werden zu lassen. Aktuell gilt besonders die Weihnachtsaktion als ein wichtiger Bestandteil des Projektes: hier können Kinder ihre Wünsche mit selbstgemalten Wunschbriefen an das Christkind ausdrücken. Durch eine Kooperation mit verschiedenen regionalen Geschäften und einigen spendenwilligen Privatpersonen, können diese Wünsche dann tatsächlich erfüllt werden.

Allgemein finanziert sich das Projekt durch Spenden, größtenteils durch Spender*innen, welche schon jahrelang diese wichtige Arbeit unterstützen. Auch die Universitätsbibliothek Salzburg förderte das regionale Hilfsprojekt mit den Einnahmen von 4.485 € aus dem Bücherflohmarkt im Jänner 2020. Die Basiskosten, wie etwa die Räumlichkeiten und die Arbeit des Projektleiters Thomas Neureiter, werden von der Erzdiözese Salzburg übernommen. Die alltägliche Arbeit ist es, für die Menschen da zu sein, auf ihre Bedürfnisse einzugehen und sie da abzuholen, wo sie Hilfe benötigen. Denn das ist das Basisziel der Organisation: dass das klingelnde Handy irgendwann mal nicht mehr klingelt.

Quellen: https://salzburg.orf.at/stories/3020728/ (14.12.2020) https://www.salzburg24.at/news/salzburg/salzburgs-arme-werden-immer-aermer-69653902 (14.12.2020) https://www.salzburg24.at/news/salzburg/corona-pandemiesorgt-fuer-mehr-armut-in-salzburg-89307115 (14.12.2020) https://www.armut-teilen.at/home/ (14.12.2020)

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KULTUR & MENSCHEN

Die Wiener Künstlerin Nina Maron.

KUNST IST FÜR MICH ERST KUNST, WENN SIE POLITISCH IST Da wir aktuell viel zu wenig Kunst & Kultur live erleben können, bringt sie dir uni:press nach Hause. Die Wienerin Nina Maron hat uns dafür eines ihrer wundervollen Werke zur Verfügung gestellt, dass ihr in der Heftmitte als Poster findet. Im Gespräch spricht sie mit uns über ihren persönlichen Zugang zu Kunst und darüber, warum die politisch sein muss. Die Fragen stellte Hannah Wahl

uni:press: Vielen Dank, liebe Nina, dass du dir für dieses Interview Zeit genommen hast! Kannst du uns verraten, wie du zur Kunst gekommen bist? Nina: Schon als Kind war Malen und Zeichnen eine große Leidenschaft, meine Eltern waren meiner Leidenschaft gegenüber immer aufgeschlossen und haben mich gefördert. Mein Vater, der selbst Liedermacher war, kannte auch den Weg als "ÜberlebenskünstlerIn", so wurde ich schon von klein an auf die Schwierigkeiten, die dieser Beruf mit sich bringt, vorbereitet. Wie würdest du deinen Stil beschreiben? Expressive Malerei, mit Popart-Einflüssen. Die Wiederholung spielt in meiner Malerei eine wichtige Rolle. Du machst ja auch Bilder-Serien... Genau, Bilder-Serien ermöglichen, eine Thematik zu vertiefen, ein Einzelbild schafft diese Bandbreite nicht. Wiederholung funktioniert wie ein Ohrwurm in der Musik, je öfter man eine Thematik zeigt, umso länger und intensiver wirkt sie auf die BetrachterInnen.

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Du hast bereits auch eine umfangreiche Serie mit Rebellinnen gemacht: Ulrike Meinhof, Josephine Baker waren da unter anderen dabei. Würdest du sagen, du machst explizit politische Kunst? So würde ich es nicht formulieren: Politische Kunst ist sehr breit gefächert, geht auch vor allem in die Kontextkunst. Ich hatte durch meine Familiengeschichte und durch meine Liebe zur Malerei immer den Anspruch, die Ästhetik der Malerei mit Inhalten und politischen Statements zu verbinden. (Lasso) Anfangs waren meine GaleristInnen nicht begeistert ob der Tatsache, dass es zu meinen Bildern immer Titel und Geschichten gibt, weil sie der Ansicht waren, es würde den Verkauf der Bilder massiv einschränken. Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass genau diese Tatsache den Verkauf meiner Bilder erhöht und meine SammlerInnen immer neugierig auf die Geschichten der Bilder sind. Die Rebellinnen waren ein Anfang, endlich Frauen, die Großartiges geleistet haben, in den Vordergrund zu stellen und ihnen den Platz zu geben, der ihnen zusteht.

Was hat Kunst mit Politik zu tun? Kunst ist für mich erst Kunst, wenn sie politisch ist, wenn sie aussagekräftig ist. Für mich ist das Einfache vor sich hinarbeiten nur rund um die Ästhetik keine Kunst. Das heißt nicht, dass ich nicht finde, dass es wunderbare tolle Bilder ohne Aussage gibt, aber ich würde diese nicht der Kategorie “Kunst” zuordnen. Kunst zeigt viele Zwischenräume. KünstlerInnen haben oft die Gabe, durch ihre Kreativität viele Seiten zu sehen, den Horizont zu erweitern und hinter die Kulissen zu blicken. Eines deiner bekanntesten Bilder zeigt die unheimlich liebenswerte und ebenso rebellische Pippi Langstrumpf. Pippi ist und bleibt einfach die Heldin für Mädchen, das beste Vorbild aller Zeiten, weil sie allem diametral entgegenwirkt was „Mädchen sein sollen“. Du hast auch eine Serie mit dem Namen “Femme fatale” geschaffen, kannst du uns dazu etwas erzählen? “Femme fatale” ist ein schwieriger Begriff, weil er versucht, Stereotype festzu-


KULTUR & MENSCHEN

schreiben, so wie wir Frauen immer in Kategorien unterteilt werden. Ich versuche die Titel immer mit Bildern zu kombinieren, die dieser Festschreibung entfliehen. Woher nimmst du die Inspiration für deine Arbeit? Es gibt so unendlich viel Inspiration durch die tägliche Wut, die in mir ist, wenn ich die Zeitungen durchlese und wieder bemerke, dass Frauen noch immer nicht auf dem Platz sind, den sie verdienen, beziehungsweise wieder alles in die verkehrte Richtung geht. Femizide, Gewalt, untergriffige Texte,... all dies fordert mich zur Recherche heraus und ich finde Lebensläufe von Frauen, die kaum jemand kennt und deren Leben ich dann auf die Leinwand bannen will. Verrätst du uns, woran du gerade arbeitest? Im Moment arbeite ich an Zeichensetzen, mehr kann ich noch nicht verraten! Hast du auch manchmal Phasen, in denen du einfach nicht kreativ genug bist, um etwas Neues schaffen? Ja, sehr oft leider, das letzte Jahr war eine Katastrophe. Wenn ich emotional und psychisch sehr gestresst bin, geht gar nix, dann ist der Fluss nicht da. Da hat man immer wieder, auch nach langjähriger Erfahrung das Gefühl, jetzt ist er weg. Aber er kommt dann doch immer wieder. Wir befinden uns gerade mitten in einer Pandemie, das öffentliche Leben wurde extrem eingeschränkt und auch die Kunstszene leidet massiv. Wie erlebst du als Künstlerin die Situation gerade? Schwer zu beantworten, sehr unterschiedlich. Ich versuche mich jeden Tag aufs Neue zu entscheiden, welche Standpunkte ich einnehme. Auch wenn ein Ende noch nicht wirklich in Sicht ist: Hast du schon Pläne für die Zeit nach Corona? Vielleicht sogar eine weitere Ausstellung? Leider ist alles verschoben und schon sehr viel abgesagt. Aktuell lebe ich mehr im Moment. Ich habe auch eine kleine Tochter, um die ich mich kümmere, das heißt, Pläne schmieden ist gerade nicht drin, der ganz normale tägliche Wahnsinn reicht.

NINA MARON Nina Maron ist die Tochter des sozialkritischen Liedermachers Sigi Maron, der unter anderem für seine Ballade von ana hoatn Wochn bekannt ist. Das Poster in der Heftmitte trägt den Titel „we dont need another hero“ Mehr Informationen findet ihr unter: www.maron.at

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KULTUR & MENSCHEN

FILM­ SCHMANKERL Science Fiction

Von Bernhard Landkammer und Hannah Wahl.

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cience Fiction – für die meisten bedeutet das vermutlich Abenteuer im Weltraum, Raumschiffe, Aliens und eine Handlung, die weit in der Zukunft spielt. Gemäß dem Wortsinn und den unterschiedlichen Definitionen des Genres sind diese Aspekte allerdings zweitrangig. Im Zentrum von Science Fiction steht die Verarbeitung fiktionaler wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfindungen. Raumschiffe können somit eine Grundlage sein, auf der sich eine Handlung abspielt, die auch in der Zukunft angesiedelt sein kann. Wenn allerdings übernatürliche Elemente die Handlung dominieren, entspricht vieles, was populär als SciFi wahrgenommen wird, im Grunde Fantasy. Wir haben ein wenig in der Geschichte des Science-Fiction-Films gegraben und dabei vier Beispiele aus unterschiedlichen Ländern und Zeiten herausgepickt, um die Vielfalt dieses Genres zumindest anzureißen. Dabei haben wir bewusst

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(zurecht!) bekannte Filme wie Blade Runner, Die unheimliche Begegnung der dritten Art, Metropolis oder Arrival ausgespart und möchten euch vier Beispiele vorstellen, die eher unter dem Radar stattgefunden haben, – um diesen passenden technischen Begriff zu nutzen. Primer (USA, 2004) Zeitreisen nehmen in der Science-Fiction-Literatur auch in Filmen dieses Genres einen großen Stellenwert ein. Wenige Filme haben den wissenschaftlichen Aspekt dieser Thematik bisher allerdings so ernst genommen wie PRIMER, das Debüt des Regisseurs Shane Carruth. In grobkörnigen Bildern, mit einer teilweise unangenehm nahen Kamera und dramaturgisch bruchstückhaft gehalten, erzählt der Film die Geschichte von zwei jungen Männern, die in ihrer Freizeit ihren Erfinderdrang aus und einen Apparat konstruieren, in dem


KULTUR & MENSCHEN

die Masse von Objekten abnimmt und deren Status uneindeutig wird. Sie denken ihre Erfindung weiter, wodurch es ihnen gelingt, einige Stunden in der Zeit zurückzureisen. Hier schlägt das Technische ins Philosophische um: Ist es in Ordnung, sich hierdurch zu bereichern, welche psychischen Probleme können ethische Dilemma verursachen, und darf dieses Wissen der Welt gezeigt werden? So viel Dialog wie in PRIMER, der von mathematischen und physikalischen Begriffen dominiert ist, gibt es vermutlich in wenigen Science-FictionFilmen. Um den Film zu genießen und zum Nachdenken angeregt zu werden, ist es nicht notwendig, alle Details genau zu verstehen. Die eigentliche Handlung bleibt zwar etwas banal und bruchstückhaft und wird dem wissenschaftlichen Fundament nur bedingt gerecht – letztlich ist PRIMER aber die durchdachte und stärkere Variante des leider unterwältigenden „Tenet“. Barbarella (USA, 1968) Wer Lust auf etwas Schräges hat, kann sich mit dieser soften “Porno-Science-Fiction” auseinandersetzen. Hauptdarstellerin Jane Fonda, im Kontext dieses Films vor allem durch ihren WeltraumStrip in der Anfangsszene in Erinnerungen vieler geblieben, macht sich auf eine galaktische Reise voller erotischer und sexueller Abenteuer. Zugegeben, das klingt eher nach einem trashigen Pornofilm auf einer verstaubten Videokassette als nach einer gelungenen Comic-Verfilmung. BARBARELLA ist aber durchaus sehenswert: Regisseur Roger Vadim hat ein Stück Filmgeschichte der 1970er Jahre geschaffen, das als solches - kritisch - betrachtet werden sollte. Manche Kritiken fallen vernichtend aus: Der Film strotzt nur so vor seichten Dialogen, die Kulisse wirkt billig und die Handlung ist relativ platt und wird beim Filmkonsum schnell zur Nebensache. Zugegeben, technisch gesehen war die bildnerische Umsetzung auch damals keine Meisterleistung, doch das scheint auch nicht der Anspruch gewesen zu sein. Die Inszenierung bietet mit ihren Pop-Art-Elementen und der überzeichneten märchenhaften Kulisse einen wirklich durchgeknallten Science-Fiction-Film, bei dem das Zusammenspiel aus Albernheit und Erotik eine ganz spezielle Poetik entfaltet. Wer wissen will, wie es dazu kommt, dass dieser spezielle interstellare Trip bis heute unsere Popkultur beeinflusst, der muss sich den Film selbst antun.

The Host [ 괴물; Gwoemul] (2006) Wörtlich übersetzt bedeutet der südkoreanische Originaltitel von THE HOST "Monster" - und steht als Paradebeispiel für das Science-Fiction-Element in Monsterfilmen. Seit 2019 ist Bong Joonho durch seinen Oscarsieg für das Meisterwerk „Parasite" auch einer großen Öffentlichkeit bekannt. 13 Jahre zuvor veröffentlichte er mit THE HOST bereits einen riesigen Hit in seiner Heimat. Die Grundprämisse ist relativ einfach: Eine chemische Substanz wird sorglos im Abwasser von Seoul entsorgt; ein wissenschaftlicher Fauxpas, der zur Mutation einer Kaulquappe führt, die einige Zeit später als mutierte, riesige Variante die südkoreanische Hauptstadt heimsucht. Was diesen Film besonders macht, ist allerdings sein wilder, dennoch immer stimmiger Genremix: Die Story springt über zwei Stunden zwischen Action, Familiendrama, Horror und Comedy hin und her, ohne seine Science-Fiction-Wurzeln zu vernachlässigen. Die CGI-Gestaltung des Monsters ist furchterregend, die Bezüge auf Godzilla unübersehbar, die Skurrilität der Situation jederzeit auch in der Handlung widergespiegelt. Chemie und Liebe (Deutschland 1948) Der DEFA-Film in schwarz-weiß gehört wohl zu den aktuell am wenigsten bekannten Filmdokumenten. Schade, wenn ihr uns fragt, denn Kapitalismuskritik zusammen mit komödiantischer Science-Fiction finden wir grundsätzlich sehenswert. Am Anfang der Geschichte steht der Nahrungsmittelmangel nach dem Krieg und ein Chemiker, der es durch eine bahnbrechende Erfindung schafft, aus Pflanzen wie Gras oder Moos ohne Umwege Butter herzustellen. Daraufhin versuchen attraktive Frauen im Auftrag ihrer Konzerne diese vielversprechende Erfindung zu erobern. Hier wird bereits deutlich, welche stereotypen Frauenrollen der über 70 Jahre alte Film vermittelt - auch hier ist also kritische Betrachtung obligat. CHEMIE UND LIEBE ist ein sehenswertes und offenkundiges Lehrstück, bei dem bereits im Setting sichergestellt wurde, dass Moral und Kapitalismuskritik ankommen (das fiktive Land, in dem die Geschichte spielt, lässt kaum Interpretationsspielraum Kapitalia). Und das macht CHEMIE UND LIEBE für alle spannend, die sich fragen: Wie wird Kapitalismuskritik im ersten DEFA-Science-Film vermittelt?

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KULTUR & MENSCHEN

DER ULTIMATIVE UNI:PRESSBEISLTEST

Worldwide Edition

Beisl-Impressionen aus der Stadt die immer schläft. Von Carlos Peter Reinelt

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okio ist im Ausnahmezustand. Und zwar immer. Bars und Clubs haben offen, es wird weiterhin gesoffen wie eh und je: Bis an die Grenzen des physisch erträglichen und weit darüber hinaus. Der Sicherheit sei dank kann man da auch mal in der Öffentlichkeit kollabieren und in sich zusammenstürzen. Das passiert. Täglich. Stündlich. Überall. Während in Österreich die Bars geschlossen sind, fließt der Alkohol hier weiterhin in Strömen. Und trinken geht hier anders. Man schnalzt nicht laut Gläser aneinander und schwappt Bier zu engeFotzen-fette-Titten-Schlagersongs. Auch gibt es kein Marihuana, und selbst auf den Toiletten der größten Disco Asiens hört man niemanden Pülverchen ziehen.

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Stattdessen wirft man mitten in der 60-Stunden Arbeitswoche aggressiv einen Whisky-Soda (sogenannte „Haibо̄ru“) nach dem anderen in sich hinein, bis man das Gefühl hat, seinen Kopf fünf Mal heftig gegen die Wand geschlagen zu haben. Eine Stadt wie geschaffen für mich. Dass wir uns nicht wie Österreich in einem Dauerlockdown befinden, hängt wohl auch damit zusammen, dass alle seit Beginn der Pandemie Maske tragen. Und zwar immer. Auch wenn man richtig abkackt. Was hier abgeht, ist schwer in Worte zu fassen – ich kann mich schlicht an die meisten Nächte nicht erinnern. Deshalb gibt es statt Worte Fotos. Die, kein Scherz, alle in dem kurzen Zeitraum zwischen 18. März und 7. April 2021 (heute in der Früh) geschossen wurden.


KULTUR & MENSCHEN

FOTOS GESCHOSSEN UND GESAMMELT VON CARLOS PETER REINELT

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ODER

UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT DER UNIVERSITÄT SALZBURG —

— #704 APRIL 2021


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