UP #703: Durchsicht (Jänner 2021)

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UNI:PRESS EDITORIAL TL A H N I STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT DER UNIVERSITÄT SALZBURG —

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Hannah Wahl

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DAS Riesenthema der Uni Salzburg im Dezember - der Antrag auf Abwahl des Rektors - darf natürlich nicht fehlen. Wie das ÖH-Vorsitzteam schreibt: Wir haben 2020 MUSSERPso Mschön I echt alles erlebt. Die erhobenen Vorwürfe haben wir für euch zusammengefasst. Passend reddazu na tfahaben hcsrelüwir hcshuns coHauch dnu -Gedanken nennirelühcdarüber shcoH :ngemacht, irebahnineiwie deMdenn unsere Universität in 10 0205 ,82 essagiaK ,)grubzlaS HÖ( grubzlaS tätisrevinU nordoL siraP Jahren ausschauen könnte. Werden die Reformen des Rektors Wirkung zeigen? / ta.grubzlas-heo@tairaterkes ,ta.grubzlas-heo.www ,grubzlaS aniloraC :nitnereferesserP / tfahcsnennIrelühcshcoH :rebegsuareH Nach & nkurzen namuaBAusflügen hpotsirhC :tin ardie otkeNachhaltigkeitsinitiative L / kcaH ajoS :tuoyaL / rentsder roF Uni und die beschissene ream ntsrSalzburger oF aniloraC :b eirtreV dnu negiezn A /no itkschließlich adeR eiD Situation Wohnungsmarkt geht es aber doch positiv weiter. Im

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— #703 DEZEMBER 2020 4 2 3


© Cengiz Karahan

EDITORIAL

Carolina Forstner

Hannah Wahl

Carlos Reinelt

Christoph Würflinger

Liebe*r Leser* in 50% Tickets für Student*-innen im Vorverkauf!

www.argekultur.at

IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Carolina Forstner / Layout: Soja Hack / Lektorat: Christoph Baumann & Die Redaktion/ Anzeigen und Vertrieb: Carolina Forstner Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Carolina Forstner, Hannah Wahl, Christoph Würflinger, Carlos P. Reinelt. Autor*innen: Hande Armagan, Keya Baier, Corona Förster, Sara Gerner, Manuel Gruber, Bernhard Landkammer, Victoria Lunz, Raphaela Maier, David Mehlhart, Lisa Rachbauer, Maryam Ramazani, Carlos Pjotr Reinelt, Sebastian Riedel, Elisabeth Simm-Herzog, Hannah Wahl, Christoph Würflinger Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 4.500 Stück. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors/der Autorin und nicht immer die Sichtweise der Redaktion wieder.

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In unserer schnelllebigen Zeit verliert man schnell den Überblick. Zahlreiche persönliche und berufliche Verpflichtungen lenken Studierende ab. Sie können sich deshalb nicht mit den schönen Dingen des Lebens befassen - etwa mit den Strukturreformen des Rektors, dem Entwicklungsplan der Universität oder der Novelle des Universitätsgesetzes. Wie gut, dass es die uni:press gibt! Sie hat all diese schönen Texte für euch durchgesehen und kritisch gewürdigt. Außerdem haben wir exklusiv für euch die wenigen transparenten Teile der Universität aufgespürt und das Gefundene fotografisch dokumentiert. Einer unserer Undercover-Agenten hat sich zudem unters rechtsextreme Volk gemischt und eine Durchsicht der Salzburger Reaktionären geliefert. DAS Riesenthema der Uni Salzburg im Dezember - der Antrag auf Abwahl des Rektors darf natürlich nicht fehlen. Wie das ÖH-Vorsitzteam so schön schreibt: Wir haben 2020 echt alles erlebt. Die erhobenen Vorwürfe haben wir für euch zusammengefasst. Passend dazu haben wir uns auch Gedanken darüber gemacht, wie denn unsere Universität in 10 Jahren ausschauen könnte. Werden die Reformen des Rektors Wirkung zeigen? Nach kurzen Ausflügen in die Nachhaltigkeitsinitiative der Uni und die beschissene Situation am Salzburger Wohnungsmarkt geht es schließlich aber doch positiv weiter. Im letzten Drittel der Ausgabe bringen wir Information und Entertainment vom Feinsten, von einem wichtigen Jubiläum über die traditionellen Filmschmankerl (Thema: Mafia) bis zu literarischen Texten ist alle dabei. Abschließendes Highlight: Statt des Beisltests, der leider entfallen musste, erzählt euch unser Spezialist für grindige Erlebnisse in seiner Beisl-Hommage von einem Abend im legendären „Denkmal“ (RIP) Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen! Eure Redaktion

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INHALT

INHALT

INHALT INHALT INHALT

UNI & LEBEN 22

Nicht den Durchblick verlieren

24 Kinderzimmer Universität 27 Farid Hafez: Rechter Verschwörungs­ theoretiker an der Uni Salzburg? 28 Demokratieabbau 30 Aufstand gegen den Rektor 34 Plus 2030 38 Uniperversitas 38 Die Unis müssen wieder brennen 40 Spät noch einmal Uni geht das?

POLITIK & GESELLSCHAFT 42 Belastete Psyche Was wir jetzt ändern müssen 44 Und woher kommst du?

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46 Praktisch: Kastanien waschen unser Gewissen rein! 48 Der beschissene salzburger Wohnungsmarkt 50 Ein (fast) vergessenes Jubiläum

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KULTUR & MENSCHEN

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Wo soll die plus hin?

11 Gehören Studierende eigentlich zur Uni? 14

Die transparentesten Teile der Uni

16 Salzburgs Reaktion: zwischen kryptisch verschworen und offen rechtsextrem 20 Durchsicht

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Film­schmankerl

54 Perspektivenwechsel Auf der Suche nach den wahren Bildern 56 Mein Gang 60 Marcuse und das Neinsagen 64 Silvanus 66 Zeitmaschine: Beisl-Hommage Denkmal

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WO SOLL DIE PLUS HIN? Seit dem Frühjahr 2020 werden die Reformpläne des Rektorats kontrovers diskutiert. Nachdem aufgrund der schwachen Kommunikationsleistung des Rektors monatelang unklar war, was sich überhaupt ändern soll, liegen mittlerweile die zwei zentralen Dokumente vor, die die Zukunft der Uni Salzburg definieren sollen. Wir haben den Entwicklungsplan 2022-2027 und das Konzept zur Strukturreform für euch durchgesehen. Text: Christoph Würflinger

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rst Mitte August hat Rektor Lehnert sein Konzept für die Umstrukturierungen an der Uni Salzburg vorgelegt, deren Vorboten schon seit Juni für Aufregung gesorgt hatten. Sein Befund: Salzburg habe im österreichweiten Vergleich zu wenig Studierende pro Studium. Ein Drittel der 30 Bachelorstudien hat weniger als 120 Studierende. Bedenkt man, dass für jedes Studium ein volles Lehrangebot zu administrieren und entsprechende Lehrveranstaltungen anzubieten sind, müsse man laut Konzept die Organisationsstruktur der Uni überdenken. Zudem verfüge die PLUS über zu wenig Drittmittel (eigentlich nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass sie zum überwiegenden Teil aus Theologie, Geistes- und Rechtswissenschaften besteht). Viele WissenschaftlerInnen würden zwar individuell exzellente Forschung betreiben, an Forschungsverbünden und kooperativen Projekten seien sie aber kaum beteiligt. Schließlich sei auch die Positionierung in den diversen Hochschulrankings nicht gut genug. Mit der Umstrukturierung der Uni soll sich das alles verbessern. Eine klare Definition von Fakultäten, Fachbereichen und Zentren soll das Profil der Universität besser nach außen vermitteln. Die Neustrukturierung der Organisationseinheiten soll eine Steigerung der Synergien und damit der wissen-

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schaftlichen Produktivität bringen. Redundante und damit nicht notwendige Strukturen will das Rektorat abbauen. Vor diesem Hintergrund sollen nun neue Fakultäten entstehen und Fachbereiche zusammengelegt werden. Überhaupt sollen die Fakultäten als Organisationseinheiten gestärkt werden und mehr Aufgaben wahrnehmen als bisher: Die Fachbereiche sollen sich als „Fakultätsfamilie“ begreifen, wo Diskussionen über Ausrichtung und Studienangebote als gemeinsame Profilbildung verstanden werden. Konkret soll es an der Universität Salzburg künftig sechs Fakultäten geben. Bestehen bleiben - mit geringfügigen internen Änderungen - die Theologische und Juridische Fakultät. Die Kultur- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät wird - gegen den Willen vieler - aufgespalten Die Zusammenlegung in Kulturwissenschaften (Altertumswissenschaften, Anglistik/ von Fachbereichen Amerikanistik, Germanistik/Linfolgt keiner erkennbaguistik), Kunst-, Musik- und ren Logik. Tanzwissenschaft sowie Romanistik/Slawistik) und Gesellschaftswissenschaften (Erziehungswissenschaft, Geschichte, Kommunikationswissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft, Soziologie/Sozial- und Wirtschaftsgeografie). Befürwortet wird das vor allem von den

WAS DIE KOMMUNIKATION SEINER PLÄNE BETRIFFT, HAT REKTOR LEHNERT VÖLLIG VERSAGT.

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Angehörigen der Gesellschaftswissenschaften, wobei man auch von dort hört, dass nicht gerade Einigkeit herrschen dürfte. Die Lebens- und Naturwissenschaftliche Fakultät soll in Zukunft Biowissenschaften und Medizinische Biologie, Chemie und Physik der Materialien, Gerichtsmedizin und Forensische Psychiatrie, Psychologie, Sportund Bewegungswissenschaft sowie Umweltwissenschaft und Biodiversität umfassen. Neu geschaffen wird eine Fakultät für Digitale und Analytische Wissenschaften (Computerwissenschaften, Geoinformatik, Intelligent Analytics and Human Interfaces, Mathematik). Während die Aufteilung der Nawi kaum Widerstand verursacht, ist die KGW in hellem Aufruhr. Vor allem die Zusammenlegung von Fachbereichen an der zukünftigen Kulturwissenschaft-

lichen Fakultät, die keiner erkennbaren Logik folgt, sorgt für Unmut. Dort sieht man sich insgesamt als Reformverlierer; die Fachbereiche Geschichte und Philosophie, die man auf den ersten Blick nicht an einer sozialwissenschaftlich orientierten Fakultät vermuten würde, haben sich auf die „Gewinnerseite“ gerettet und sind wohl mit dafür verantwortlich, dass diese nicht (wie ursprünglich angedacht) Sozial-, sondern Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät heißen wird. Die Vermutung, dass die Kulturwissenschaften die Verlierer sein werden, ist nicht ganz unbegründet: Die einzige Latinistik-Professur der Uni wird nicht wieder besetzt, eine vakante Romanistik-Professur frühestens in fünf Jahren (Skeptiker befürchten: gar nicht). Wird auf diese Weise bereits die Schließung kleiner Fachbe-

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FAKULTÄTSGLIEDERUNG IM VERGLEICH

GEHÖREN STUDIERENDE EIGENTLICH ZUR UNI? Das Thema Lehre nimmt im Entwicklungsplan nur eine untergeordnete Rolle ein. Deutlich kürzer als etwa das Kapitel zur Forschung und lieblos ausgestaltet mutet es an, als sei es noch schnell am Abend des 6. November, als der Plan an den Senat ging, verfasst worden. Ein super Zeichen für den Stellenwert, den Studierende für dieses Rektorat haben. Auch inhaltlich lässt dieser Teil deutlich zu wünschen übrig und zeigt auf, wie maximal neoliberal Bildung verstanden werden kann. Eine Kritik von Keya Baier und Manuel Gruber

Quelle: Strukturreform PLUS 2030, Seite 30

reiche vorbereitet? Dem im Entwicklungsplan postulierten „Bekenntnis zu einer breit gefächerten Universität“ wird das jedenfalls nicht ganz gerecht. Abzuwarten bleibt auch, wie erfolgreich eine eigene Fakultät für Digitale und Analytische Wissenschaften sein wird, wenn man bedenkt, dass in den kommenden Jahren in Linz eine ganze (Technische) Universität mit dem selben Schwerpunkt aus dem Boden gestampft werden soll. Ob der Andrang an Studierenden so groß sein wird, dass gleich zwei neue Institutionen damit gefüllt werden können, ist fraglich. Zumindest aber soll es dafür finanzielle Zuwendungen vom Land Salzburg geben. Nicht alle Ideen, die der Rektor hat, sind schlecht. So ist beispielsweise die angedachte fächerübergreifende Methodenausbildung in den Gesellschaftswissenschaften eine reizvolle Idee, mit der die vielbeschworenen Synergien besser genutzt werden

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können. Auch die Teilung der Nawi ergibt durchaus Sinn. Andere Maßnahmen wiederum, etwa die Zusammenlegung von Romanistik und Slawistik („Sind ja beides Sprachen“), sind völlig jenseitig. Was die Kommunikation seiner Pläne betrifft, hat Rektor Lehnert völlig versagt. Es hat Monate gedauert, bis überhaupt ein Konzept vorgelegt wurde und dem Senat wie auch den Fachbereichen werden (angeblich) bis heute Dokumente und Daten vorenthalten. Lehnert hat den Anschein erweckt, als wolle er Pandemie und Urlaubszeit nutzen, um die Universitätsangehörigen einfach vor vollendete Tatsachen stellen. Sein im Entwicklungsplan formuliertes Ziel, die Universität Salzburg „weiterhin als bedeutendste Bildungs- und Forschungseinrichtung der Region zu verankern“, ist nicht sehr hoch gesteckt. Als Begründung für derart tiefgreifende Umstrukturierungen ist das eher mager.

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ass die ÖH sich mit Rektoratsplänen unzufrieden zeigt ist nicht neu und liegt gewissermaßen in der Natur der Sache. Auch scharfe Kritik mit harscher Wortwahl kommt vor – und wirkt sowieso noch handzahm im Vergleich zu den Aktionen, die ÖHs vor Generationen gebracht haben (wir erinnern an das Vorsitzteam um Stefan Veigl, das 2001 über Nacht die Haupteingänge der GesWi zugemauert hat). Daher ist es besonders verwunderlich, dass das aktuelle Rektorat jedes Mal wieder überrascht ist, wenn es die ÖH wagt, sich kritisch zu äußern. Nach der Presseaussendung zum Entwicklungsplan erklärte sich Rektor Lehnert als „zutiefst erschüttert“. Zutiefst erschüttert waren wir auch – davon, wie schlecht die Pläne letztendlich waren. Die Studierenden wurden aus dem „Diskussionsprozess“, der der Erstellung des EP vorausging, systematisch ausgeschlossen. Nach allem was wir hören, wurde zuvor auch eher den Fachbereichen eine Vorstellung aufgedrückt als dass mit ihnen „diskutiert“ wurde. Ohne, dass diese Gegenvorschläge hätten bringen können. Studierende aber wurden nicht einmal informiert, es sei denn die ÖH konnte über Umwege Informationen erhalten,

die dann selbst an die Studierenden weitergegeben wurden. Erst nach vielen Aussendungen, Interviews und einer Menge hitziger Gespräche kam die Erleuchtung: Man erklärte, von nun an auch die Studierenden mitzunehmen. Abgesehen von einem einzigen Treffen mit den StVen zur Umstrukturierung passierte jedoch nichts. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Entwicklungsplan sich liest, als seien Studierende kein Teil dieser Universität. Geht es etwa um Personalentwicklung und wissenschaftlichen Nachwuchs werden Studienassistent_innen und Tutor_innen mit keinem Wort erwähnt, auch Doktorand_innen kommen höchstens marginal vor. Dafür seitenweise Schwadronierungen über „Opportunity Hiring“, Fortbildungen für Führungskräfte und immer so weiter. Die größte Gruppe der Universitätsangehörigen wird – wieder einmal – einfach vergessen. Noch schlimmer kommt es im Bereich der Lehre. Dieses Kapitel ist mit nur 5 Seiten deutlich kürzer als etwa das Kapitel zur Forschung – ein guter Indikator für den Stellenwert der Studierenden insgesamt. Das Kapitel spricht über die geplante Di-

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gitalisierung (ohne konkrete Schritte zu nennen). Es spricht auch über die Verbesserungen der Studierbarkeit und des Betreuungsverhältnisses. Das wäre ja ein grundsätzlich sinnvolles Unterfangen, wenn nicht einerseits kein einziger konkreter Vorschlag zur Umsetzung gemacht werden würde und andererseits als Grund für diese Maßnahmen immer nur die Prüfungsaktivität angeführt würde. Exkurs zur Prüfungsaktivität: Als „prüfungsaktiv“ gilt eine Studierende, wenn sie mindestens 16 ECTS im Studienjahr absolviert. Das klingt machbar, kann aber schnell zu viel werden: Wenn sie neben dem Studium arbeitet (so wie 2/3 aller Studierender). Wenn sie Betreuungspflichten hat. Wenn sie ein Fach wie Jus studiert, in dem einzelne Prüfungen zum Teil zwischen 10 und 15 ECTS haben. Wenn ihre Lehrenden nicht schnell genug korrigieren und die Noten zu spät eintragen oder die Prüfungen so legen, dass sie nicht in den Berechnungszeitraum hineinfallen. Wenn ihre Prüfungen während der Anmeldephase auf einmal abgesagt und um Monate verschoben werden. Oder wenn sie einfach nur so langsam studiert, weil sie sich Zeit lassen und das Studium in ihrem eigenen Tempo machen will. Die Prüfungsaktivität wird als Indikator für das Universitätsbudget herangezogen, für jede prüfungsaktive Studentin bekommt die Uni also Geld. Das erklärt die vielen verzweifelten Mails von VR Lehre im Sommer, in denen alle gebeten wurden, doch bitte bitte noch ein paar ECTS zu machen. Es erklärt auch, warum die Prüfungsaktivität im Kapitel zur Lehre wie die heilige Kuh umworben wird. Eine Universität sollte aber gegen dieses ungerechte System aufbegehren und sich für eine faire Finanzierung einsetzen. Dazu gehört es, auch von sich aus Studierende nicht wie Waren zu behandeln und sich dem neoliberalen Leistungsgedanken zu entziehen. Exkurs over.

ABGESEHEN VON EINEM EINZIGEN TREFFEN MIT DEN STVEN ZUR UMSTRUKTURIERUNG PASSIERTE JEDOCH NICHTS. UND SO IST ES NICHT VERWUNDERLICH, DASS DER ENTWICKLUNGSPLAN SICH LIEST, ALS SEIEN STUDIERENDE KEIN TEIL DIESER UNIVERSITÄT. 12

könnten es ja sein, diese Studiengänge aktiv zu bewerben und für tolle Lehrende und gute Betreuung zu sorgen. Spoiler Alert: Das ist hier leider nicht gemeint. Das Bekenntnis zum Lehramt, zur School of Education und zur „führenden Rolle“ der Universität im Cluster Mitte schmeckt besonders bitter, wenn wir bedenken, wie schlecht das Lehramtsstudium in Salzburg wirklich ist und wie viele Peinlichkeiten sich die School of Education schon geleistet hat (die uni:press berichtete). Von vielen Seiten hat es Vorschläge gegeben, wie dieser Teil des universitären Angebots besser gestaltet werden könnte und müsste. Anstatt das anzunehmen, hält man aber anscheinend lieber die Hand über die wirklich großen Probleme und tut so, als könnte man sie mit netten Worthülsen wegschweigen.

Und wer leidet? Die Studierenden. Wie immer.

Dieser Entwicklungsplan wäre die Chance für das neue Rektorat gewesen, sich auf ganzer Linie toll zu präsentieren. Sie hätten umfassend über die Studierenden und ihre Realtäten schreiben können, wichtige Maßnahmen vorbereiten und auf den Weg bringen können. Sie hätten, wie an anderen Universitäten gängige Praxis, die jeweiligen Stellen den Plan mitschreiben lassen können anstatt eine „fertige“ Version von lächerlicher Qualität vorzulegen. Leider ist das alles nicht passiert. Und wer leidet? Die Studierenden. Wie immer.

Das Kapitel zur Lehre schlägt also vor, die Prüfungsaktivität zu verbessern, ohne auf irgendwelche sozialen Dimensionen einzugehen (abgesehen von kryptischen Andeutungen über einen Maßnahmenkatalog zu sozialen Dimensionen, der aber natürlich auch nur die Steigerung der Prüfungsaktivität zum Ziel hat). Um die hinteren Teile, die sich mit der Struktur der Uni befassen, gewissermaßen vorzubereiten wird sehr random argumentiert, kleine Studiengänge hätten oft kein ausreichendes Angebot an Lehrveranstaltungen und man müsste daher die nötigen Konsequenzen ziehen. Nötige Konsequenzen

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Durchsehen:

SALZBURGS UNIFENSTER

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klungen versamm klungen versammelt.

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klungen versa klungen versamme

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Salzburgs Reaktion:

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ZWISCHEN KRYPTISCH VERSCHWOREN UND OFFEN RECHTSEXTREM Salzburg mag zwar in vielerlei Hinsicht provinziell sein. Doch was verschwörungstheoretisch-obskure, rechtsextreme Umtriebe angeht, zeigte sich die Stadt in der jüngsten Vergangenheit von ihrer avantgardistischen Seite. Deshalb soll an dieser Stelle ein kurzer Situationsbericht erfolgen, der die aktuellen Entwicklungen versammelt. So grundverschieden und unvereinbar diese Bewegungen, Strömungen, Akteure, usw. – vor allem von außen gesehen – anmuten mögen, so wenig passt oftmals ein Blatt Papier zwischen deren ideologischen Standpunkte. Eine Durchsicht. Text: David Mehlhart

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Corona-Rebellen: Das Tragen eines MNS kann mitunter sehr nerven. Ebenso, dass man nach der letzten Vorlesung nicht noch schnell auf ein Bier gehen kann, oder dass der Kontakt – das kann man jetzt sehen wie man will – zu anderen Menschen massiv reduziert werden muss. Alles nicht lustig und auf Dauer auch sehr belastend, aber probate Mittel, wenn man einer Pandemie Herr werden will. Es liegt auch in der Natur der Sache, dass Entscheidungen einer Bundesregierung wie etwa die Erwähnten Maßnahmen nicht nur breite Zustimmung erfahren, sondern auch kritisch gesehen und hinterfragt werden. Beinahe flächendeckend konnte man mitansehen, welch kuriose Blüten die Diskussion um die verordneten Hygiene-Maßnahmen treiben können. Dazu beitragen tun vor allem die sogenannten Querdenker oder Corona-Rebellen. Zu diesem Behuf gründete sich dieses Jahr der Verein „Heimat, Kultur und Friedensbewegung Salzburg“. Dieser stellt eine zentrale Koordinationsstelle für die Aktivitäten der Salzburger Corona-Rebellen dar, die sonst naturgemäß sehr verstreut auf den diversen Social-Media-Kanälen ihren Unmut äußern. Laut Selbstbeschreibung auf der Webseite, ist das Vorrangige Ziele dieses Vereins, „dass jeder Mensch eine körperliche, seelische und geistige Heimat finden und in Frieden die eigene Kultur leben kann - Menschenkreise statt Machtpyramiden!“ Diese Kurzbeschreibung spiegelt auch sehr schön wider, aus welchen Milieus und Szenen sich die Mitglieder speisen. So schafft man es nicht nur Menschen, die sich der Esoterik, dem New Age Spiritualismus usw. (seelische Heimat, Menschenkreise) verbunden fühlen zu mobilisieren, sondern ebenso jene aus dem bürgerlich-konservativen bzw. rechtsextremen Lager (Heimat). Komplementiert wird diese Melange von Menschen, denen irgendwann im Verlauf ihres Lebens eine linke Sozialisation (Machtpyramiden) im weitesten Sinne zuteilwurde. Möglicherweise will man zukünftig auch Kräfte aus dem autonomen Spektrum mit ins Boot holen. Denn die nächste Kundgebung ist für den 13.12 anberaumt, was ja durchaus als verklausulierte Einladung aufgefasst werden kann. Live in Action konnte man das Wirken aber vor allem die „Buntheit“ des Vereins zum ersten Mal am 18. Oktober am Residenzplatz erleben. Bei einer beinahe 5 Stunden dauernden Kundgeben wurde ein buntes Potpourri an Redebeiträgen, Musikstü-

cken und Performancekunst (?) den interessierten Zuschauer_innen geboten. Ähnlich wie man es aus einschlägigen Facebook- oder Telegramgruppen kennt, waren die Themen breitgefächert. Darüber hinaus waren diese weder inhaltlich sonderlich konzise noch in ihrem Verhältnis zu den restlichen Beiträgen. Es sprachen Lehrer, die sich Sorgen um das psychische Wohlbefinden ihrer Schüler_innen machten vor Gastronomen, die kurz vor dem Bankrott stehen. Wie so oft in diesen Kontexten, stellte das Ausmachen der Probleme und Missstände kein Problem dar. Wurde jedoch der Versuch einer Analyse oder das Formulieren von Lösungsansätzen unternommen, glitt man schnell in radikal-egoistische, verschwörungstheoretische oder eugeniknahe Erklärmuster ab. Auch konnte man Zeuge werden, wie ein sorgsam gehegtes Argument liberaler Kommentator_innen, wonach Bildung der Anfälligkeit für Verschwörungstheorien entgegensteuert, live widerlegt wurde. Nämlich als Frau Dr. Christa Grabner, die auf der Webseite der Uni Salzburg als Lehrbeauftragte am Fachbereich Anglistik angeführt ist, eine Analyse der hiesigen Medienlandschaft vortrug, die zwischen der Forderung nach mehr Liebe und legitimer Kritik am Facebook Contentmanagement oszillierte. (Abgewürgt wurde die Rede dann von einer mutmaßlichen Scientology Anhängerin, die sich von Grabners sektenkritischen Ausführungen angegriffen fühlte.) Weiters wurde auf dem Flyer auch mit einem sogenannten Wirschaftsökonomen“ geworben.

Live in Action konnte man das Wirken, aber vor allem die „Buntheit“ des Vereins, zum ersten Mal am 18. Oktober am Residenzplatz erleben

Daneben ist man äußerst unempfindlich im Umgang mit rechtsextremer Ideologie. Es befand sich etwa der rechtsaußen FPÖler Reinahrd Rebhandl im Publikum. Auch Menschen, die eine Binde mit Davidsstern trugen, waren auf Fotos zu sehen. Damit soll impliziert werden, dass man unter den CoronaMaßnahmen gleichsam leide, wie Juden und Jüdinnen während der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Analogsetzung ist klar antisemitisch, da sie die Schrecken der Nazi-Barbarei relativiert werden. Auf der Bühne selbst zog der erste Redner und Obmann des Vereins, Merlin Eilers, parallelen zwischen der Bücherverbrennung am Residenzplatz 1938 und der Kundgebung und stilisierte sich so

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richterstattung auf seinem Kanal eine gewisse Integrationsleistung für die Corona-Rebellen. Dem geneigten Zuschauer, der geneigten Zuschauerin wird dort eine breite Palette an Content geboten. Dieser reicht von Ufologie und „Grenzwisschenschaften“ über Pendel-Tutorials bis hin zu Vorträgen über Permakultur. Beiträge zu TTIP stehen neben fahrlässigen Analysen der „Identitären Bewegung“ und diese wiederum neben Mitschnitten von Meditationsrunden im Furtwängler Park. Es gibt getreu nach dem Motto „man muss ja mit jedem reden“ sprichwörtlich alles. Alles außer eine klare Linie eben. Da kann es dann schon einmal vorkommen, dass das meistgeklickte Video (knapp 70.000 Aufrufe) der Vortrag eines Herren ist, der sich selbst Harvey Friedman nennt, in dem dieser vorgeblich über Banken und Finanzkrisen reden will, aber eigentlich in ein 75-minütiges antisemitisches Gezeter verfällt. Bei aller gebotener Kritik an politischen Maßnahmen, insbesondere denen einer rechtskonservativen Partei wie der ÖVP, muss man sich im Klaren sein, welche Klammern es sind, die die Corona-Rebellen zusammenhalten. Und auch wenn die vermeintliche Kritik nicht selten den richtigen Nerv trifft, harmlos und friedfertig daherkommt, sind es oft antisemitische Narrative oder Verschwörungstheorien, die herangezogen werden, um aktuelle Geschehnisse einzuordnen oder zu bewerten.

zum Widerstandskämpfer, der um Leib und Leben fürchten muss, wenn er seine Meinung äußert. Dieses Problem, dass Begriffe wie Diktatur, Faschismus o.ä. oftmals sehr unbedarft und losgelöst von ihrem spezifischen historischen Gehalt verwendet werden, sieht man bei den Corona-Rebellen an mehreren Stellen. Der Infotext der Telegramgruppe „Salzburg wacht auf“ (rund 320 Mitglieder) spricht ebenfalls von „Widerstand“, der gegen „diktatorische Maßnahmen“ geleistet werde muss und die kommende Kundgebung firmiert unter dem Titel „Wehret den Anfängen“. Videos von dieser Kundgebung, aber auch von ähnlichen Events aus der Region, kann man auf dem Youtube Kanal „Krypto TV“ (2260 Abonnenten) nachschauen. Betrieben wird dieser von Roman Michael Tippler. Dieser erfüllt mithilfe dieser Be-

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Rechtsextremismus in Salzburg: Traditionellerweise passieren zwei Dinge bei innenpolitischen Machteinbußen der FPÖ, wie sie sich im Zuge der Ibiza-Affäre ereigneten. Zum einen wagen Mandatar_innen Ausritte in rechtsextreme Gefilde, bei denen sie jegliche Berührungsängste über Bord werfen. Zum andern kommt es zu einer Intensivierung der Tätigkeiten rechtsextremer Kräfte jenseits der Parteien. In Österreich sind diese recht überschaubar und bestehen im Grunde aus den deutschnationalen Burschenschaften und der sogenannten „Identitären Bewegung“ (IB) bzw. der Gruppe die „Die Österreicher“. Bei letzterer handelt es sich um einen Versuch des Rebrandings „IB“ aus dem Jänner 2020, wobei Personal und Inhalte en gros gleichblieben (es ist die Webseite der IB nach wie vor abrufbar). Lediglich im Auftreten gibt man sich etwas zahmer und bürgerlicher. Grund hierfür war vor allem eine Welle der Distanzierung seitens der FPÖ, die damals auch von Norbert Hofer selbst kam. Kernpunkt der Ideologie bleibt jedoch die Bestrebung einen weißen „Ethno-

staat“ zu errichten. Vor allem die Abgrenzung der FPÖ von der IB bedingte diesen Schritt. Aber bei allen Lippenbekenntnissen der Freiheitlichen lässt sich dieses Knäuel an personellen, ideologischen und logistischen Überschneidungen zwischen der Partei, „IB“ und den Burschenschaften nicht so einfach auflösen. Blickt man nach Salzburg sieht man schön wie sich diese Vernetzungen darstellen und die Partei sich und ihre Linie am Ende ad absurdum führt. Zum einen war es in der Vergangenheit schon immer wieder zu verschiedensten Kollaborationen zwischen der hiesigen Burschenschaft „Gothia“ aus Mülln, die in Salzburg wohl die aktivste ist, und der IB gekommen. Das kann man anhand von Fotos auf deren Webseite sehen, als man 2016 gemeinsam beim Grenzübergang in Freilassing demonstrierte. Mit von der der Partie war damals auch der FPÖ Politiker Reinhard Rebhandl. Dieser war auch bei oben erwähnten „Corona-Demo“ vor Ort. Seit Ende August bespielt die Gothia auch wieder ihre Social Media Kanäle intensiver. Die Inhalte bleiben aber gleichsam geschichtsrevisionistisch und reaktionär. Und wirft man einen Blick auf die Followerlisten sieht man dort das Who is Who des deutschnationalen Milieus sowie der Neuen Rechten. Kurios anmutend ist auch ein Foto aus dem Jahr 2005 auf deren Webseite, dass die „Gothen“ bei einer Reise zeigen soll. Soll deswegen, weil die Bildunterschrift - gehalten in Fraktur – als Ort „Deutsch-Südwest“ angibt. Nun lässt sich ein solches Land aber auf keiner Karte und keinem Globus finden. (Sachdienliche Hinweise bitte an die Redaktion mailen!) Daneben veranstaltete man Mitte November eine Vernissage des „Künstlers“ Odin Wiesinger. Seines Zeichens Lieblingsmaler des FPÖ Parteichefs Norbert Hofer. Dieser zeichnet vornehmlich männliche Männer bei sehr männlichen Tätigkeiten, wie beispielsweise Fechten. Jüngst wurde diese Verstrickunsgsposse um eine neue Episode erweitert und strafte die offizielle Parteidiktion Lügen, hinsichtlich dem Verhältnis der FPÖ zur „IB“ und ihren Protagonisten. Ende November wurde Roman Mösender in den Vorstand der Parteijugend der Salzburger FPÖ, dem „Ring freiheitlicher Jugend“ (RFJ), bestellt. Möseneder ist ob seines junges Alters eine fixe Größe der österreichischen Rechten und mit einem sehr gut sortierten Adressbuch, das sich von der AfD über den rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek, Musiker der Neuen Rechten bis hin zur Landesobfrau der

FPÖ Marlene Svazek, erstreckt ausgestattet. Fotos die das belegen, existieren im Internet zuhauf. So etwa von einem Infostand im August diesen Jahren auf dem er mit Martin Sellner posiert. Oder vom ersten Treffen des Salzburg Ablegers von „Die Österreicher“ Ende Oktober mit Edwin Hintersteiner, ehemaliger Chef das „IB“ in Salzburg. Kurz danach tauchten auch vereinzelt Flyer dieser Organisation in Salzburg auf. Angedeutet hatte sich dies aber schon länger, als auf etwa der Twitter-Account des RFJ mit Sujets bespielt wurde, die inhaltlich sowie ästhetisch von einer Nähe zu „Die Österreicher“ bzw. der „IB“ zeugten. Diese Änderungen im Vorstand des RFJ wurden in Salzburg parteiübergreifend verurteilt. Auf der Seite der FPÖ, wo nun alle Hemmungen gefallen zu sein scheinen (böse Zungen würden wohl behaupten, diese habe es sowieso nie gegeben), führte das zu pubertär anmutenden Trotzreaktionen. Sowohl Svazek selbst als auch vom Stadtparteichef Andreas Schöppel gaben via Social Media und Parteiaussendung Rückendeckung. Das Statement von Schöppel war generell etwas kurios. In diesem gab er Auskunft, dass er kein Problem hinsichtlich der Vorstandswahl erkennen könne, da diese ja demokratisch abgelaufen sei. Weitere prominente Unterstützung kam auch vom Generalsekretär der FPÖ, Michael Schnedlitz, via Instagram. Dieser gab darüber hinaus in einem Videointerview mit dem rechtsextremen Medium „info-Direkt“ (online seit 28.11.2020) an, dass man die Distanzierung der FPÖ gegenüber der „IB“ für nichtig erklären solle und die Grenzen der Zusammenarbeit einzig und allein das Strafrecht darstelle. Was auf den ersten Blick wie ein risikoreiches Unterfangen aussieht, das sich zu einer Belastungsprobe für die Partie entwickeln könnte, dürfte wohl zu keinen größeren Verwerfungen führen. Denn am Ende kommt nur zusammen, was zusammengehört oder vielmehr nie wirklich getrennt war.

Denn am Ende kommt nur zusammen, was zusammengehört oder vielmehr nie wirklich getrennt war.

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Durchsicht, die Substantiv feminin; Synonyme: Kontrolle, Prüfung, Inspektion. Text: Sebastian Riedel

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o lautet auszugsweise der Eintrag im Duden zum aktuellen Heftthema. Dabei wären meine ersten Assoziationen in eine völlig andere Richtung gegangen. Ich hätte Durchblick wohl mit Durchsicht verwechselt, die Begriffe also falsch synonym verwendet. Insofern „Sprache Wirklichkeit schafft“ (Pseudo-Wittgenstein) sollte man gerade in der heutigen Zeit vorsichtig

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sein, in der Verwendung von Begriffen. Zumal es wohl niemandem entgangen sein dürfte, dass wir in einer Zeit leben, in der der Wahrheits-Begriff massiven Anfragen ausgesetzt ist. Anders ist es nicht zu erklären, dass Anglizismen à la fake news omnipräsent sind. Oder liegt hier doch kein Widerspruch vor? Schließlich scheinen die Begriffe Wahrheit und Neuigkeit(en)/news auf verschiede-

nen Ebenen zu liegen. Auch wenn die Begriffe austauschbar sind, Neuigkeiten können wahr und Wahrheiten umgekehrt neu sein, lässt sich über den Begriff der Wahrheit in viel grundsätzlicherer Art und Weise nachdenken als über Neuigkeiten/ news. Für den griechischen Philosophen Aristoteles († 322 v. Chr.) etwa bedeutete Wahrheit nur eine »Übereinstimmung möglichst vieler Meinungen oder Annahmen«. So gesehen wären die zahlrei-

Im politischen Geschäft geht es oft weniger um Wahrheit, als uns das wohl lieb ist. chen, seine Amtszeit charakterisierenden Vorwürfe an den scheidenden US-Präsidenten Donald Trump zweifelsfrei unberechtigt, er verbiege die Wahrheit, indem er »alternative Wahrheiten« und fake news verbreite, schließlich hat gerade die unmittelbar-zurückliegende »Wahlschlacht« in den USA gezeigt, dass auch nach 4 Jahren Präsidentschaft Millionen von Amerikaner*innen den Zugeständnissen und Versprechen, Aussagen und Statements Donald Trumps zumindest einen gewissen Wahrheitsgehalt beimessen. Die zahlreichen Zensierungsversuche seines bevorzugten (sozialen) Kommunikationsmediums Twitter wären von daher eine Zumutung und zutiefst antidemokratisch1. Die Problematik des aristotelischen Wahrheitsbegriffs leuchtet auch dann schnell ein, wenn man die Frage anschließt, wie viele Meinungen es bräuchte, um von Wahrheit sprechen zu können. In Deutschland glauben etwa 16 Prozent der Bevölkerung nicht an den Klimawandel2, genauer: Sie behaupten, es sei umstritten, dass der Mensch hauptverantwortlich sei, für den – wissenschaftlich klar belegten, von daher eigentlich unleugbaren und schon Jahrzehnte stattfindenden – Klimawandel. Offensichtlich reichen 16 Prozent also nicht aus, um von Wahrheit sprechen zu können. Einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge3, glauben 30 Prozent der Deutschen auch daran, dass geheime Mächte die Welt steuerten. Unter den Wähler*innen der AfD seien es sogar 56 Prozent. Reicht das aus, um von Wahrheit zu spre-

chen? Einer Wahrheit, die dann wohlgemerkt völlig losgelöst wäre von dem »unzweifelbar Augenscheinlichen«, das wir Evidenz nennen und das diejenige Behauptung als wahr klassifiziert, deren Inhalt mit der Realität übereinstimmt. Es wird aber noch komplizierter, denn selbst wenn man die Menge an Überzeugungen, die es bräuchte, um von Wahrheit zu sprechen, quantifizieren könnte, wäre das Problem der fake news und unwahren Behauptungen nicht aus der (politischen) Welt geschafft. Stefan Rahmstorf, Klimatologe am Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam, bringt das Problem treffend auf den Punkt: „Den Eindruck zu erwecken, dass ein Thema umstritten ist, dazu brauchen sie nicht viele Leute.“4 Hier zeigt sich, dass die Themen Wahrheit und fake news praktisch-politisch von höchster Relevanz sind und dass die eingangs erwähnten Termini Durchsicht und Durchblick zwar zweifelsfrei zu trennen sind, aber auch miteinander zu tun haben. Es zeigt das Dilemma, in dem sich viele Menschen, die an Wahrheit und evidenz-basierten Neuigkeiten interessiert sind, befinden. Im politischen Geschäft geht es oft weniger um Wahrheit, als uns das wohl lieb ist. Durch Praktiken, wie sie Populist*innen à la Trump bedienen, wird uns oftmals der Durchblick verunmöglicht, uns die Wahrheit vorenthalten und ganz bewusst verstellt. Dann braucht es Durchsicht im – eingangs zitierten – Sinne von Kontrolle, Prüfung und Inspektion. Und zwar einerseits durch Medien, die sich einem Medienethos verpflichtet sehen, aber mindestens so sehr durch mündige, in Kant’schem Sinn5 aufgeklärte, Bürger*innen. Interessanterweise (aus der Sicht des Theologen) empfiehlt der Kommunikationswissenschaftler Rüdiger Funiok6 die – Zitat – „medienethisch anregende Lektüre“ der „Gemeinsame[n] Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (1997) mit dem Titel 'Chancen und Risiken der Mediengesellschaft'“. Dort findet sich zwar weder der Begriff der Wahrheit noch der Evidenz, vielmehr spricht die Erklärung von der „Würde des Menschen“, auf die jegliche ethische Orientierung „im Prozeß der medialen Kommunikation“ zielen müsse. Diese Empfehlung ist nicht nur im medialen Diskurs ratsam. Sie sollte vielmehr Grundhaltung jeglicher zwischenmenschlichen Kommunikation und Interaktion sein.

1 Der Autor zweifelt daran, dass in einer funktionierenden und lebendigen Demokratie Medien- und Meinungszensur probate Mittel sein sollten, um offensichtlichen Unwahrheiten entgegenzuwirken. Die Frage, ob man die Vereinigten Staaten von Amerika am Beginn der 20er Jahre des 21. Jahrhunderts als »funktionierende und lebendige Demokratie« ansieht, sei an dieser Stelle bewusst offengehalten. 2 Zitiert nach aus dem Podcast „Mission Energiewende | Die Deutschen und der Klimawandel“ – Folge „Die Bürger wollen, dass was getan wird!“. Es spricht: Ortwin Renn, Direktor am Institut für Advanced Sustainability Studies in Potsdam über eine ländervergleichende Studie zur Klima- und Energiepolitik in Europa. Abzurufen unter: https:// detektor.fm/gesellschaft/ mission-energiewendedie-deutschen-und-derklimawandel 3 Abzurufen unter: https:// www.focus.de/politik/ deutschland/nicht-nurbei-corona-studie-beweist-wie-viele-buergeran-verschwoerungstheorien-glauben_id_12404871. html 4 Zitiert nach aus dem Podcast „Mission Energiewende | Die Deutschen und der Klimawandel“ – Folge „Die Bürger wollen, dass was getan wird!“. Es spricht: Ortwin Renn, Direktor am Institut für Advanced Sustainability Studies in Potsdam über eine ländervergleichende Studie zur Klima- und Energiepolitik in Europa. Abzurufen unter: https:// detektor.fm/gesellschaft/ mission-energiewendedie-deutschen-und-derklimawandel 5 Aufklärung verstanden als Befreiung des Subjekts aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit. 6 In einem Beitrag über „Medienpolitik“ in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (B4142/2000), online abzurufen unter: https://www. bpb.de/apuz/25396/medienethik?p=all

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VORSITZ

NICHT DEN DURCHBLICK VERLIEREN

VORSITZ

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m Vorsitz scherzen wir manchmal, dass in unserer Funktionsperiode wirklich alles passiert ist. Ibiza, neuer Rektor, neuer Senat, Corona und immer so weiter. Und trotzdem passiert es ständig, dass irgendetwas neues kommt und wir vor eine ganz neue Herausforderung gestellt werden. Im Sommer waren das die Umstrukturierungen – nicht, dass die schon vorbei wären. Nun ist es der Entwicklungsplan, die Novelle des Universitätsgesetzes und der zweite Lockdown. Alle drei sind zugegebenermaßen Themen, die wir hätten kommen sehen müssen. Das haben wir auch, doch die Vorbereitung auf eine große Unbekannte am Horizont ist trotzdem nicht einfach. Das Rektorat hat die ÖH und alle Studierenden aus der Erstellung des Entwicklungsplans so systematisch ausgeschlossen, dass wir tatsächlich ehrlich überrascht waren, als wir gesehen haben, wie schlecht die Pläne letztendlich geworden sind. Wären wir eingebunden gewesen, hätten wir das wohl vorher schon mitbekommen. So aber blieb nur ein Aufschrei, als die Entwürfe dann kamen, gefolgt von unserem typischen Programm: Presseaussendung, Social Media, viele, viele Gespräche. Im Rektorat stößt unser Unmut auf Unverständnis, was schon fast an Zynismus grenzt – aber was haben wir schließlich erwartet. Immerhin können wir unter Androhung weiterer böser Aussendungen erreichen, dass es im weiteren Prozess eine Einbindung der Studierenden geben soll.

Das Wintersemester bringt alte und neue Herausforderungen mit sich. Die To Dos stapeln sich nur so vor uns, aber alles ist machbar. Nett wäre nur ein bisschen weniger Unfähigkeit im Rektorat, dann würden wir uns einiges an leeren Metern und Ärger sparen – aber das ist wohl zu viel verlangt. Nur den Durchblick dürfen wir nie verlieren.

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Die UG Novelle fühlt sich ein bisschen an, wie ein zweites UniBrennt – nur dass es, als wir diesen Artikel schreiben, noch immer keinen Entwurf gibt und damit auch kein Momentum, wie es UniBrennt hatte. Wir planen Demos, Aktionen, Pressekonferenzen und allerlei anderes in Vorbereitung auf die Novelle. Was aber letztendlich darin steht und wie schlimm oder nicht schlimm es wird, wissen wir nicht. Wir können nun entweder hoffen, dass all die Planungen nicht ganz umsonst waren. Oder wir denken einen Schritt weiter, denn wenn sie umsonst waren heißt das, dass die Novelle viel weniger schlimm für uns Studierende ist, als erwartet. Unsere Forderungen sind deponiert, unsere Presseaussendungen fertig – wir sind vorbereitet. Und doch bleibt die Ungewissheit. Hoffen wir auf das Beste.

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diesen hätte man sich vorbereiten können. Das haben wir den ganzen Sommer über so oft in allen möglichen Sitzungen angesprochen, dass wir es fast selbst nicht mehr hören konnten. Und was ist passiert? Nichts. Die Bibliotheken werden mangels ausreichender Konzepte geschlossen, als das Ministerium die erste Andeutung einer Empfehlung zur Schließung macht. Das liegt nicht an den Mitarbeiter_innen, die sich größte Mühe geben und tollen Einsatz zeigen, sondern an der Leitung, die einfach nur unser Konzept vom Sommer hätte nehmen und umsetzen müssen – aber lieber mal „abgewartet“ hat. Die Distanzlehre läuft, bis auf Ausnahmen, immerhin ganz gut. Die Bereitschaft, Lehrende auch mal abzustrafen, wenn sie schlechte Arbeit machen, ist aber noch immer nicht da, genau so wenig wie die Fähigkeit, klare Anweisungen zu geben. Die endlosen, unübersichtlichen und meist redundanten Mails von VR Lehre sind auch geblieben – schön, diese Konstanten inmitten des Chaos. Und ein Chaos ist es in der Tat: Wenige Tage nach der Verkündung des harten Lockdowns wir die Prüfungswoche am Juridicum verschoben. Anstatt diese über den Sommer krisensicher zu planen wurde wieder einmal an „so haben wir das immer schon gemacht“ festgehalten und dann der Kopf in den Sand gesteckt, als es schwierig wurde. So wenig Weitsicht ist nicht nur frustrierend, sondern vor allem fahrlässig. Wer leidet darunter? Wir, die Studierenden. Nach alldem fehlt eigentlich nur noch die Abwahl des Rektors oder so etwas, damit wir in unserer Funktionsperiode wirklich alles erlebt haben. Mal sehen, was die nächste Zeit so bringt.

Und dann kam da noch der Lockdown. Ja, auch diesen hat man kommen sehen und ja, auch auf

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KINDERZIMMER

Universität

Mitten in der Corona-Pandemie mit all ihren Herausforderungen für die bis Mitte März 2020 digitalisierungswidrigen und beratungsresistenten Hochschulen, will die türkis-grüne Bundesregierung das Universitätswesen nun wie ein Zimmer nach ihren Farben neu streichen. Sie vergisst dabei aber die, die sich in diesem Zimmer am meisten aufhalten: die Studierenden und ihre Situation. Eine kritische Analyse zur angekündigten Mindeststudienleistung in der Novelle des Universitätsgesetzes. Text: Keya Baier und Manuel Gruber

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asst uns österreichische Universitäten mit einem Kinderzimmer vergleichen, in dem verschiedene Akteur*innen miteinander agieren und sich bewegen. In einem Kinderzimmer sind bekanntlich Kinder die Hauptprotagonist*innen und an einer Universität sind es die Studierenden. Damit sie sich in diesem Zimmer wohlfühlen und gut heranwachsen können braucht es verschiedene Rahmenbedingungen: Eltern, die sich um die Kinder sorgen und auch das ganze Umfeld außerhalb des Kinderzimmers ist aus dem Leben des Kindes nicht wegzudenken und prägt Gegenwart und Zukunft. So ist es auch mit den Universitäten in Österreich: Nach ihrer Matura kommen Studierende in dieses Zimmer, treffen dort auf andere Studierende und werden sich in diesem Zimmer entwickeln - in Bezug auf ihre Persönlichkeit, aber auch ihre Fähigkeiten. Dabei ist dieses Kinderzimmer eingebettet in ein Haus, in eine ganze Gesellschaft – es ist niemals eine Blackbox, sondern die anderen Räume im Haus als andere Gesellschaftsbereiche wirken in dieses hinein und umgekehrt. Es geht in diesem Zimmer vordergründig nicht um eine Ausbildung zu einem bestimmten verwertbaren Berufsfeld, sondern um Bildung im weiteren Sinne. Wie Kinder im Kinderzimmer sich hin zu Jugendlichen entwickeln, geht es an einer Universität darum, dass sich Individuen

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weiterentwickeln können zu kritisch denkenden, Systeme und Strukturen hinterfragenden, neugierigen und verantwortungsvollen Akteur*innen. Damit das gelingen kann braucht es einiges: etwa die Offenheit und die Freiheit, sich entfalten und entwickeln zu können; die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen, die dies ermöglichen und nicht einengen; die Vereinbarkeit mit dem persönlichen und gesellschaftlichen Umfeld; die didaktischen-pädagogischen, technischen, rechtlichen, inhaltlichen und organisationalen Fähigkeiten der Lehrenden, diesen Prozess des Lernens und Entwickelns zu unterstützen und schließlich auch ein von Transparenz, Mitbestimmung und Demokratie bestimmtes Klima in diesem Kinderzimmer Universität, das Beste für die Entwicklung und die Bildung der zentralen Bezugsgruppe herauszuholen. Doch ist das selten der Fall wie die universitäre Realität zeigt. Hinzu kommt, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten Akteur*innen in dieses Kinderzimmer gedrängt haben, die zwar den rechtlichen und finanziellen Rahmen vorgeben, sich aber ansonsten aus diesem Kinderzimmer Universität möglichst heraushalten sollten: die politischen Parteien, die in diesem Kinderzimmer versuchen, ihre Ideologie zunehmend umzusetzen.

Engere Stellschrauben Mit der Novelle des Universitätsgesetzes wird dieser Drang von außen in das Kinderzimmer Universität einmal mehr größer. Es drängen sich Akteur*innen hinein, nämlich vor allem die türkis/ schwarz geprägte Bundespolitik mitsamt ihrem Wähler*innenklientel aus gut bürgerlichen, sich auf der Seite der Wirtschaft befindenden Hause. Es geht ihnen nicht um die Freiheit und die Offenheit

Studierendensozialerhebung 2019 hätte dem Wissenschaftsministerium und der Bundesregierung wohl nicht geschadet. Egal ob Betreuungspflichten, Berufstätigkeiten, ein bestimmter ökonomischer, kultureller, sozialer und gesellschaftlicher, physischer und psychischer Background, bestimmte individuelle Bedürfnisse, Notwendigkeiten und Verpflichtungen, aber auch strukturelle Probleme (wie etwa zu wenige Prüfungstermine,

der Entwicklung hin zu kritisch denkenden Individuen, sondern um die Ausrichtung von Universitäten als Ausbildungsproduktionsstätten für den Arbeitsmarkt. Die Universitäten sollen immer mehr wie auf einem Fließband junge Menschen nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes produzieren. Junge Menschen, die am liebsten niemals nach recht oder nach links schauen und möglichst schnell auf den Studienabschluss hinsteuern und mit einem möglichst verwertbaren Studium direkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Damit dort Ein- und Unterordnung in eine vollständig auf Wirtschaft ausgerichtete Gesellschaft und die dafür notwendige Disziplin, ja nicht gegen dieses System zu revoltieren, gelingen kann, müssen bei der Ausbildung im Kinderzimmer Universität engere Stellschrauben eingezogen werden.

ein zu geringes Lehrveranstaltungsangebot, zu viele Voraussetzungsketten oder eine zu schlechte Betreuungslage), etc: all das führt legitimerweise zu weniger Studienleistung. 24 ECTS in zwei Jahren klingen auf den ersten Blick nach nicht besonders viel - wenn man ein weißer, männlicher, am besten christlicher Vollzeitstudent ohne psychische Probleme mit reichen Eltern und einem gut organisierten Studienplan ist. Auch die Reduktion der anzubietenden Prüfungstermine pro Semester bei Lehrveranstaltungen mit Prüfungen in einem Prüfungsvorgang (VO-Prüfungen, etc.) von drei auf zumindest zwei klingt erstmals möglicherweise für nicht alle so beschränkend. Aber die quasi-Verpflichtung, beim ersten oder zwei Prüfungstermin anzutreten und auch keinen dritten Prüfungstermin im jeweiligen zur Verfügung zu haben, um die Prüfung erstmals zu belegen oder zu wiederholen, ist doch als Einschränkung individueller Studienverläufe und Planungen zu sehen. Insbesondere relevant für Lehrveranstaltungen, die nicht jedes Semester angeboten werden. Damit wird auch hier der Druck auf Studierende stark erhöht.

Mit der Einführung einer Mindeststudienleistung passiert jetzt genau das. Hatte man im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung am Wiener Minoritenplatz zunächst noch 16 ECTS pro Studium und Studienjahr als Mindeststudienleistung vorsehen wollen wie im Oktober bekannt wurde, so ruderte die Bundespolitiker unter dem Druck von Studierendenvertreter*innen, Senaten und einzelnen Universitätsrektoraten etwas zurück. So sollen künftig in zwei Studienjahren 24 ECTS erreicht werden, damit das jeweilige Studium weiter studiert werden kann. Argumentiert wird dabei damit, dass es hierdurch gelingt, sogenannte „Karteileichen“, Studierende, die gar keine oder wenige ECTS-Punkte erreichen, ausdem System zu bekommen beziehungsweise zu einem zügigeren Studieren zu bewegen damit sie nicht über Jahre die Finanzen des Hochschulsystems zu belasten. Komplett außer Acht gelassen wird dabei aber, warum Studierende aktuell keine oder nur wenige ECTS erreichen – ein Blick in die

24 ECTS in zwei Jahren klingen auf den ersten Blick nach nicht besonders viel – wenn man ein weißer, männlicher, am besten christlicher Vollzeitstudent ohne psychische Probleme mit reichen Eltern und einem gut organisierten Studienplan ist.

Blackbox für den Markt Aber dies scheint die türkis-grüne Bundesregierung wohl nicht verstehen zu wollen. Sie verblenden die Augen vor dem, was außerhalb des Kinderzimmers Universität passiert und was viel eher notwendig wäre, um ein gutes Studium zu ermöglichen: das stärkere Berücksichtigen der studenti-

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Farid Hafez

RECHTER VERSCHWÖRUNGS­ THEORETIKER AN DER UNI SALZBURG? Österreichs Regierung ein Handlanger Israels? ReichskristallnachtVergleiche? Sympathisieren mit extremistischen Vereinen? Anschließend in Opfernarrative verfallen und sich als Ziel einer gezielten Verschwörung sehen? Was man aus rechtsnationalen Kreisen gewohnt ist, hat sich mit Farid Hafez auch an der Universität Salzburg etabliert. Kommentar von Carlos P. Reinelt

W schen Realität im Studienrecht, den Rechtsschutz bei Prüfungen zu verbessern, eine bessere und transparente Qualitätssicherung in der Lehre mit den notwendigen Konsequenzen voranzutreiben, die Digitalisierung der Lehre flächendeckend anzustreben, die Mitbestimmung von Studierenden als größte und zentrale Gruppe im Kinderzimmer Universität auszubauen oder als Ministerium die Rechtsaufsicht über die Universitäten tatsächlich wahrzunehmen. Das wird alles aber nicht gemacht, das reine Neustreichen des Kinderzimmers Universität in den Farben der eigenen Ideologie, sprich die einzuführende Mindeststudienleistung, soll das mit den „besseren“ Studienbedingungen richten. Selbst Eltern wissen, dass die Probleme im Kinderzimmer und im Heranwachsen der Kinder nicht dadurch gelöst werden, indem sie das Zimmer neu streichen. In Wien scheint man jedoch überzeugt, damit das „Studieren auf österrei-

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chisch“, wie es von hochrangigen Beamt*innen im Wissenschaftsministerium immer wieder bezeichnet wird, zu beenden. Doch wird das nicht gelingen. Vielmehr trübt man die Durchsicht aus dem Kinderzimmer Universität heraus und in dieses hinein immer mehr. Mit welchen Bedingungen und Situationen Individuen im Kinderzimmer zu kämpfen haben wird noch weniger gesehen als bisher. Damit wird das Kinderzimmer Universität auch immer mehr zu einer Blackbox, die nur mehr fertige, auf den Arbeitsmarkt ausgerichtete Arbeitskräfte hervorbringt. Jene, die aufgrund der Rahmenbedingungen außerhalb des Kinderzimmers Universität im Wettbewerb nicht mithalten können, werden durch Maßnahmen wie die Mindeststudienleistung aus dem Kinderzimmer rausgeworfen oder kommen gar erst nicht hinein. Dystopie? Nein, bald Realität.

er über Farid Hafez schreibt, muss vorsichtig sein. Er und sein Umfeld klagen gern. Als ich 2016 in der uni:press den Artikel „Allah muss sterben“ veröffentlichte, bekam ich neben Morddrohungen auch eine Klageandrohung von Haimour H. (Unterstützer der Petition „Verbot der Terrorpartei PKK“; verlautbarte 2015 nach den Charlie-Hebdo-Attentaten öffentlich: „Wir verurteilen die Karikaturen gegen unseren Propheten“), der in dem dubiosen Islamophobie-Berichts Hafez’ zitiert wird. Ob Farid Hafez, ehemaliges Mitglied der Muslimischen Jugend Österreichs (MJÖ) nun Mitglied der Muslimbruderschaft ist, ist umstritten. Dass er immer wieder öffentlich die von der Bundeszentrale für Politische Bildung als extremistisch charakterisierte Organisation verteidigt, nicht. Da wundert es nicht, dass seine Position an der Uni Salzburg über eine Schweizer Stiftung u. a. aus Saudi-Arabien finanziert wird. Houellebecq hat in seiner – durchaus dubiosen – Satire Unterwerfung 2015 bereits eine Dystopie entworfen, in dem v. a. der Krawatten-Islamismus gesellschaftlichen und politischen Einfluss über die Universitäten sucht. Die

Muslimbruderschaft wird von der Bundeszentralle für Bildung ähnlich eingeschätzt, wenn diese schreibt, „dass ihre Einbindung in demokratische Prozesse sie moderater machen könnte, ein Mythos ist, der von Islamisten wie der MB selbst geschürt wird. Bislang hat dies nur dazu geführt, dass ihr extremistischer Charakter umso stärker zutage tritt.“ Inwiefern nun Farid Hafez in solchen Bestrebungen miteingebunden ist, wissen wir nicht. Wir wissen aber, was er auf sozialen Medien und seinen wissenschaftlichen Arbeiten verbreitet. Da heißt es u. a. „Österreichs Regierung nichts als Handlangerin Israels und Ägyptens? Kreisky würde sich im Grab umdrehen…“ und spielt damit – ähnlich wie der ideologisch nahestehende HC – auf die antisemitischen Verfehlungen Kreiskys an, die Hafez naturgemäß zu befürworten scheint. Dass die Juden – hier in Form von Israel – die europäischen Regierungen steuern würden, ist ein altes Narra-

tiv, das heutzutage v. a. von Orban und Co. am Leben erhalten wird. An anderer Stelle vergleicht er die Untersuchungen gegen ihn mit der dem Novemberpogrom 1938 und schreibt „like Xingjang, Austria is on a dangerous path towards repeating history“, womit er Österreich mit den Chinesischen Konzentrationslagern vergleicht, in der muslimische Frauen u. a. zwangssterilisiert werden. Doch wie aus dem Lehrbuch der FPÖ-Krisenkommunikation, hat er ja eh alles nicht so gemeint, wenn er später beteuert „Ebensowenig habe ich die Situation in Xinjang mit jener in Österreich gleichgesetzt.“ Wie die Uni Wien ihren Lothar Höbelt, hat nun die Uni Salzburg mit Farid Hafez nun auch ihren hauseigenen Reaktionären, der immer wieder mit faschistischen Gedanken liebäugelt. Dass sich die Uni Salzburg von ihm distanziert, ist vernünftig. Es wird abzuwarten sein, ob das genug war.

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In der Debatte um die Novellierung des Universitätsgesetzes geht es vor allem darum, wie man „Bummelstudenten“ am besten schikanieren kann. Daneben beinhaltet der Vorschlag des Wissenschaftsministers aber auch weitere, bemerkenswerte Punkte. Diese könnten vor allem Brechstangenreformern wie Rektor Lehnert zugute kommen. Text: Christoph Würflinger

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as ECTS-Minimum, das von der Wirtschaftspartei™ und ihrem grünen Sidekick (der gerade alles daran setzt, wieder aus dem Parlament zu fliegen, weil er ausgerechnet seine Kernklientel verschreckt) beschlossen werden soll, ist eine unnötige Verschärfung des Hochschulrechts. Unnötig deshalb, weil man sich dadurch nicht nur keinen Cent erspart, sondern ganz im Gegenteil den Unis noch Geld wegnimmt, weil man gebührenzahlende Langzeitstudierende hinausschmeißt. Zudem sollte man gerade während einer pandemiebedingten Wirtschaftskrise mit steigenden Arbeitslosenzahlen Bildungswillige unterstützen und ihnen das Leben nicht unnötig schwer machen. Letztendlich ist das Punkteminimum aber nur eine Nebelgranate, die das wahre Problem der Reform verschleiern soll: Demokratieabbau. Bereits jetzt ist beispielsweise die Wahl des Rektors eine recht undemokratische Angelegenheit: Die sogenannte Findungskommission, bestehend aus den Vorsitzenden des Senats und des Universitätsrats, erstellt basierend auf den vorliegenden Bewerbungen einen Dreiervorschlag. Der Senat, in dem die 145 ProfessorInnen als kleinste Gruppe an der Universität 13 der 26 Mitglieder stellen, akademischer Mittelbau (750) und Studierende (18.000) hingegen jeweils nur 6 und das allgemeine Uni-

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versitätspersonal (650) überhaupt nur eines, muss sich dann an diesem Vorschlag orientieren und seinen eigenen Dreiervorschlag an den Universitätsrat schicken. Der siebenköpfige Universitätsrat, der aus drei von der Bundesregierung und drei vom Senat nominierten Mitgliedern plus einem von den ersten sechs hinzugezogenen Mitglied besteht, wählt aus diesem Dreiervorschlag den/die neue*n Rektor*in.

ABBAU

DEMOKRATIE

Diese aus demokratiepolitisch Sicht problematische Vorgehensweise bleibt unangetastet. Stattdessen soll auch bei der Wiederwahl Mitspracherechte abgebaut werden. Bisher war es so, dass sich Senat und Universitätsrat mit einer Zweidrittelmehrheit dazu entschließen konnten, die Der Chef der Firma amtierende Person für Universität soll mit eine weitere Periode zur einem bisher ungekannUniversitätsleitung zu ten Ausmaß an Macht bestellen. Zukünftig soll ausgestattet werden. der Senat nur mehr eine Stellungnahme abgeben dürfen, anstatt selbst zu wählen. Die Entscheidung fiele gänzlich an den Universitätsrat. „Mutige ReformrektorInnen„, die sich mit dem Senat (und damit den Universitätsangehörigen) anlegen, sollen dadurch - so heißt es - geschützt werden. In Wirklichkeit öffnet es Tür und Tor für rücksichts-

lose DiktatorInnen. Apropos Diktatur: Das Rektorat soll in Zukunft auch Richtlinien zur strukturellen Gestaltung von Studienplänen erlassen dürfen. Das würde einen tiefen Eingriff in die autonomen Gestaltungsrechte des Senats bedeuten.

werden. Bei der Rektorswahl galt: Aus einem Dreiervorschlag des Senats wählte die sogenannte Universitätsversammlung - ein bis zu 600 Mitglieder umfassendes, paritätisch zusammengesetztes Organ - den Rektor.

Dass das alles auch anders gehen könnte, zeigt der Blick in die Vergangenheit: Unter Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg traten in den 1970ern Kollegialorgane, d.h Arbeitsgruppen und Gremien, in denen Studierende, akademischer Mittelbau und ProfessorInnen auf Augenhöhe Entscheidungen trafen, an die Stelle allmächtiger und autoritärer Professoren. Dabei verfügte jede Gruppe über ein Drittel der Stimmen (Drittelparität). Überbleibsel davon finden sich heute beispielsweise noch in den den Curricularkommissionen, in denen die Studienpläne erarbeitet

Dreißig Jahre später entmachtete die schwarzblaue Regierung die demokratischen Gremien, verband neoliberale Management-Strukturen mit konservativen Hierarchien und installierte „Universitätsräte“ als Aufsichtsorgane mit enormer Machtfülle. Weitere zwanzig Jahre darauf setzt die schwarz-grüne Regierung diese Politik fort: Der Rektor soll - als Chef der „Firma Universität“ und nicht als Leiter der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden (universitas) - mit einem bisher ungekannten Ausmaß an Macht ausgestattet werden.

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AUFSTAND

gegen den Rektor

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Im Dezember herrschte Aufruhr an der Universität Salzburg: Rektor Lehnert sollte seines Amtes enthoben werden. Ein entsprechender Antrag wurde am 15. Dezember 2020 im Senat vorgelegt und diskutiert. Lehnert hatte mit seinem Kommunikationsstil uni-intern bereits das ganze Jahr über für großen Unmut gesorgt. Hier ging es aber gar nicht vorrangig um die geplanten Struktur­ änderungen oder den Entwicklungsplan; im Raum standen vielmehr gravierende Verfehlungen, die ihm vorgeworfen wurden. Text: Christoph Würflinger

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Sechs „gravierende Verfehlungen“ auf 38 Seiten.

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ass sich RektorInnen, insbesondere dann, wenn sie einschneidende Reformen planen, bei den Uni-Angehörigen unbeliebt machen, ist nicht ungewöhnlich. Dass sie ihre MitarbeiterInnen aber so sehr gegen sich aufbringen, dass diese einen Umsturz nicht nur frustriert planen, sondern diesen auch tatsächlich wagen, passiert äußerst selten. Seit Einführung des Universitätsgesetzes (2002) wurde erst einmal ein Rektor erfolgreich des Amtes enthoben: Clemens Sorg wurde 2008 als Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck abberufen. Hinzu kommt die ehemalige BOKU-Rektorin Ingela Bruner, die mit ihrem Rücktritt einem Amtsenthebungsverfahren zuvor kam. Ermöglicht wird eine solche Amtsenthebung durch das Universitätsgesetz (§ 23 Abs. 5): Der/die RektorIn kann vom Universitätsrat wegen einer schweren Pflichtverletzung, einer strafgerichtlichen Verurteilung, wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung oder wegen eines begründeten Vertrauensverlusts von der Funktion abberufen werden. Geschieht das auf Antrag des Senats, so werden einfache Mehrheiten in Senat und Uni-Rat benötigt; wird der Uni-Rat von Amts wegen aktiv, so braucht es dort eine Zweidrittelmehrheit, wobei der Senat anzuhören ist. Im Antrag auf Abberufung und eine Woche vor der Senatssitzung seinen Weg anonymerweise mittels USB-Stick auch zur ÖH gefunden hat, wurden Lehnert auf 38 Seiten sechs „gravierende Verfehlungen“ vorgeworfen: Behinderung der Zusammenarbeit Die von Lehnert geplanten Umstrukturierungen an der Uni Salzburg, insbesondere die Zusammenlegung verschiedener Fachbereiche, werden seit dem Frühjahr 2020 hitzig debattiert (die uni:press hat berichtet). Vor allem sein Kommunikationsstil wurde in diesem Zusammenhang mehrfach scharf kritisiert, denn konkrete Pläne liegen erst seit dem 11. November 2020 vor. Bis dahin wurde die Universitätsöffentlichkeit mehrfach vertröstet und erfuhr von den Reformen hauptsächlich aus den Medien. Lehnerts Ankündigung, über den Sommer

solle ein intensiver Diskussionsprozess stattfinden, wurde daher von vielen als reine Provokation empfunden. Im Antrag auf Abberufung wird zudem gezeigt, dass den betroffenen Fachbereichen und auch dem Senat mehrmals und langfristig relevante Unterlagen vorenthalten wurden. Bist heute hat das Rektorat nicht alle angefragten Unterlagen vorgelegt. Die Vorgangsweise des Rektorats untergrabe damit die gesetzlich vorgesehene Kooperation zwischen den Leitungsorganen, so der Antrag. Die „zermürbende Verschiebung von angekündigten Entwürfen“ mache substanzielle Diskussionen in Senat und Uni-Rat unmöglich. Zudem sei eine seriöse Beurteilung der Finanzierbarkeit der Reformen nicht möglich, wenn nicht vorher die Studienarchitektur (die für die Finanzierung ausschlaggebend ist) geplant wird. Im Antrag wird daher eine massive Behinderung der Arbeit des Senats und Uni-Rats und eine schwere Störung der Kommunikation konstatiert. Falsche Verdächtigung einer Straftat Aber es kommt noch dicker: In einem Mail an den Uni-Rat hat Lehnert am 19. September 2020 von einem Revisionsbericht über den interfakultären Fachbereich Gerichtsmedizin und Neuropsychiatrie berichtet, der seine Vermutung bestätigt habe, dass es zu einem „nachhaltigen Mittelabfluss aus der PLUS“ zugunsten zweier Gesellschaften und deren Geschäftsführer (gleichzeitig Leiter des Fachbereichs) gekommen sei. Eine Privatstiftung, über deren Errichtung die Universität nicht informiert und deren Vorstand bis Ende 2019 der Vorsitzende des Uni-Rats gewesen sei, unterhalte Anlagevermögen, das vom Fachbereich verwendet und entgeltlich an die GmbH vermietet werde. Hier stellte Lehnert gegenüber einem größeren Personenkreis den Verdacht des Betrugs und der Untreue gegen den Geschäftsführer und indirekt gegen den Vorsitzenden des Uni-Rats in den Raum. Im Antrag wird festgehalten, dass den „strafrechtlich relevanten Verdachtsmomenten nachvollziehbares Substrat [fehlt]“.

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Falschinformation über das Budget Dabei hat es Lehnert selbst mit den Zahlen offenbar nicht genau genug genommen, wie der angesprochen Antrag minutiös rekonstruiert: Lehnert hat sich gegenüber den Medien mehrmals über die „dramatische Budgetlage“ der Uni Salzburg geäußert. Etwa 10-12 Millionen Euro betrage demnach das „geerbte“ Defizit. Altrektor Schmidinger hatte diese Angaben in zwei E-Mails an Senat und UniRat richtig gestellt und auf den Rechnungsabschluss für 2019 verwiesen, der einen Verlust von 6,6 Millionen Euro ausweist. Dieser Verlust war deswegen zustande gekommen, weil neue Rechen- und Bewertungsansätze bei den Personalausgaben angewendet wurden. Nach der alten Berechnungsmethode hätte der Verlust nur 1,5 Millionen Euro betragen. Im universitätsinternen „PLUS-Talk“ wurde Lehnert um Aufklärung der widersprüchlichen Zahlen gebeten, die er aber nach fast zweimonatigem Hin und Her - verweigerte, da „die betreffenden Zahlen und sensiblen Dokumente nichts [sind], was in einem öffentlichen Forum publiziert werden kann“. Dem Antrag zufolge sei die Verbreitung von falschen, und zwar unzutreffend schlechten Budgetzahlen geeignet, das Vertrauen der Universitätsöffentlichkeit in die „wirtschaftliche Leistungskraft der Universität und den Wahrheitsgehalt der Angaben des Rektors zu erschüttern“. Rechtswidrige Ausschreibungen Auch wenn die bisher vorgetragenen Punkte allein schon klar gegen eine weitere Belassung Lehnerts an der Spitze der Universität Salzburg sprächen, ist es damit nicht genug. Lehnert hat auch an anderer Stelle gepfuscht: An öffentlichen österreichischen Universitäten gibt es mehrere Arten von Professuren, vereinfacht dargestellt jene nach § 98 UG (gewöhnliche, „ordentliche“ Professuren inkl. Berufungsverfahren) und solche nach § 99 UG. § 99-Professuren müssen (je nach Stellentyp) besonders begründet oder offen ausgeschrieben und einem Verfahren zur Qualitätssicherung un-

terzogen werden. Laut Antrag war keine der fünf Besetzungen von § 99-Professuren seit Lehnerts Amtsantritt rechtmäßig. Die „mehrfache Verletzung des Gesetzes und der Satzung der Universität“ sei demnach eine schwere Pflichtverletzung. Unsachliche Auswahlentscheidung Bei den oben genannten §-98-Professuren erstellt eine Berufungskommission, in der ProfessorInnen, Angehörige des akademischen Mittelbaus und Studierende vertreten sind, einen Vorschlag aus den drei am besten geeigneten KandidatInnen und leitet diesen an den Rektor weiter, der dann Verhandlungen mit den BewerberInnen aufnimmt. Im Fall der Professur für Strategisches Management und Organisation überging Lehnert einfach den Erstgereihten (einen Kandidaten, der bereits an der Uni Salzburg arbeitet) und lud den Zweitgereihten zu Gesprächen ein - ein Vorgang, der zwar nicht verboten, aber doch eher unüblich ist. Der Mediziner Lehnert berief sich dabei auf eine „präzise (eigene) Analyse der Leistungen der Bewerber“ (= die Zahl der besonders hochwertigen Publikationen und die Höhe der eingeworbenen Drittmittel) und behauptete später, bei allen Berufungskommissionen so vorzugehen. Laut Antrag sei das nachweislich falsch. Zudem desavouiere es die Berufungskommission, wenn der Rektor ihren Vorschlag übergehe, ohne (als Fachfremder) ein zusätzliches Gutachten eingeholt zu haben. Vereitelung einer Rufannahme In einem weiteren Berufungsverfahren, in dem einem Bewerber bereits ein konkretes Angebot unterbreitet worden war, kontaktierte Lehnert ohne Wissen und daher ohne Einwilligung durch den Bewerber dessen aktuelle Vorgesetzte, die bis dahin nicht von der Bewerbung wusste, und informierte sie über das Berufungsangebot. Angesichts des eingetretenen Vertrauensverlusts zog der Kandidat seine Bewerbung zurück. Dem Antrag zufolge habe Lehnert der Universität damit in

Keine der fünf Besetzungen von § 99-Professuren seit Lehnerts Amtsantritt war rechtmäßig. 32

doppelter Weise Schaden zugefügt: Einerseits verhinderte Lehnert so die Besetzung gemäß der Reihung der Berufungskommission, andererseits nahm er in Kauf, dass sich in der scientific community verbreitet (und anscheinend auch tatsächlich verbreitet hat), dass man sich in Berufungsverhandlungen an der Uni Salzburg nicht auf die Vertraulichkeit verlassen kann. Der Universität sei durch das Verhalten des Rektors damit großer Schaden zugefügt worden. Die Berichterstattung in den Salzburger Nachrichten und anderen Medien sorgte im Vorfeld der Sitzung für einigen Wirbel. Bemerkenswert war der Sinneswandel der SN - von anfänglicher Unterstützung für den Antrag zu entschiedener Ablehnung. Kritisiert wurde vor allem die angebliche Anonymität des Antragstellers (anonym war nur die Datei, die der ÖH zugespielt worden war). Interessant war auch das Framing der Debatte über die geplanten Reformen: Auf der einen Seite ein „modernes Rektorat“, auf der anderen Seite die „Blockierer“ und das „Uni-Establishment“, das um seine Pfründe fürchte. Dass Lehnerts Visionen hauptsächlich aus Buzzwords bestehen, fand in der medialen Diskussion kaum Berücksichtigung. Sogar eine Petition wurde für Lehnert gestartet, anhand der recht deutlich wurde, wo derzeit an der PLUS die Konfliktlinien verlaufen: Hier die Reformgewinner (Naturwissenschaften, Digitale und Analytische Wissenschaften, Gesellschaftswissenschaften), dort die „Verlierer“ (Kulturwissenschaften, Theologie). Der Antrag wurde nicht anonym und auch nicht, wie angesichts der fundierten Vorwürfe gemutmaßt worden war, von einem Juristen eingebracht. Die darin formulierten Vorwürfe konnte der Rektor nicht entkräften. Dennoch endete die geheime Abstimmung unentschieden (13:13), d.h. der Antrag wurde abgelehnt. Doch auch wenn sich Lehnert gerade noch einmal retten konnte, muss ihm klar sein, dass er diesen Warnschuss nicht einfach ignorieren kann. Er muss jetzt seine Vorgangsweise überdenken und einsehen, dass man derart tiefgreifende Reformen nicht einfach in einer Husch-Pfusch-Aktion ohne universitätsweit geführte Debatte durchboxen kann. Vor allem an seiner schwachen Kommunikationsleistung muss er arbeiten, sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Aufstand kommt.

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UNI & LEBEN

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PLUS 2030 1

Rektor Lehnert hat es sich zum Ziel gemacht, die Uni Salzburg grundlegend zu reformieren. Nicht alle sind mit seinen Vorschlägen einverstanden, kritisiert wird vor allem sein Kommunikationsstil. Aber wie könnte die Uni Salzburg in 10 Jahren eigentlich ausschauen? Wir haben uns darüber Gedanken gemacht.

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FORSCHUNGSPARADIES

TU SALZBURG

POSTAPOKALYPTISCHE WÜSTE

ANARCHISTISCHES UTOPIA

Lehnerts Reformen haben ihren Segen entfaltet! Seit die Uni Salzburg im Jahr 1 n. Lehnert beschlossen hatte, MINT-Fächer besonders zu fördern, haben auch die trägen Geisteswissenschaften nachgezogen. Die PLUS wurde so zum Forschungsparadies, das scharenweise Geldgeber, die Crème de la Crème der ProfessorInnen und die talentiertesten Studierenden anlockt. So fließen im Juwel Salzburg nicht nur Salzach, Milch und Honig, sondern auch Kies, Schotter und Moos. Zum zehnjährigen Regentschaft des Rektors wurde eine goldene Statue Lehnerts auf dem Universitätsplatz enthüllt.

Willensstark und entscheidungsfreudig - im Streit um die Uni-Reform hat Rektor Lehnert die aufmüpfigen Fakultäten einfach abgeschafft und die PLUS in die Technische Universität Salzburg (TUS) umgewandelt. Dank der Hinwendung zu seriösen digitalen, analytischen und Naturwissenschaften wird jetzt endlich auch in Salzburg ausschließlich echte Forschung betrieben. Die Taxifahrer-Ausbildung (KGW) wurde mit den dazugehörigen vordigitalen USB-Sticks („Büchern“) gewinnbringend an einen externen Anbieter in Puch/Urstein ausgelagert. Die Stadt Salzburg übernimmt jetzt eine Vorreiterrolle im Technik-Sektor: Autos fahren nicht mehr auf der Straße, sondern schweben zwischen Festung und Dom durch die Lüfte, am Boden wimmelt es vor Robotern statt Menschen und das Denken haben Börsenkurs-Apps übernommen. Der Rektor ist dank Eigen-Operationen zum Cyborg mutiert und führt die TUS als RI (Rectorial Intelligence) in eine strahlende Zukunft.

Lehnerts Reformen haben die PLUS ins Chaos gestürzt. Die Fronten hatten sich derart verhärtet, dass es schließlich zum Krieg der Fakultäten gekommen ist. Nach mehrjährigen Grabenkämpfen hat sich das Ministerium zur humanitären Intervention durchgerungen und den Selbstzerstörungsmodus aktiviert. Die Explosion sämtlicher Gebäude der Uni Salzburg verwandelte Teile der Mozartstadt in eine lebensleere Wüstenlandschaft. Bemerkt hat das außerhalb Salzburgs kaum jemand; die Salzburg Werbung sendet weiter auf allen Kanälen die farbenfrohen Bilder des intakten Barock. In Kellern tief unter der Oberfläche, munkelt man, quälen sich versprengte Gruppen von Geisteswissenschafter*innen und Naturwissenschafter*innen gegenseitig mit Lesekreisen bzw. Wurzelrechnungen.

2020 war das Jahr der Befreiung in Salzburg. Lehrende und Studierende hatten sich zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen Hierarchien, neoliberale Vorhaben und die Pläne des Rektors aufzustehen. Nachdem sie Lehnert aus der Stadt gejagt hatten, wurde kein neuer Rektor mehr gewählt. Seither haben sich die Fachbereiche zu autonome Zellen gewandelt, die über die Geschicke der Michail-Bakunin-Universität Salzburg basisdemokratisch entscheiden. Den verstaubten katholischen Hochschulwochen wurden unter dem Titel „Salzburger Universitäts-Chaostage“ neues Leben eingehaucht. Wissenschaft und Lehre florieren. Das Leben ist schön.

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UNI & LEBEN

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UNIPERVERSITAS Eine Lateinstudentin

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or ein paar Semestern wurde ich, an der Salzach auf einer Bank in der Sonne sitzend, von einem pausierenden Radfahrer angesprochen. Nach einer kurzen Runde Smalltalk wusste er, was ich studiere, nämlich Latein. Dies bemüßigte den Gesprächspartner, eine Brandrede gegen mein Studienfach auf mich loszulassen – schlechte Erfahrungen mit Latein als Schulfach bildeten die Basis seines hochqualifizierten Monologs. Offenbar hielt er diesen für dermaßen anregend - zentrale Themen waren Modernisierung, Effizienz, Zukunft und Technologisierung -, dass er mir anbot, sich meine Handynummer zu notieren, für weiteren Austausch. Meinem antiquierten

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Dasein entsprechend beteuerte ich, nicht über einen solchen Mobilfunkempfänger zu verfügen. So stieg der Lateinexperte eben auf sein computerisiertes Sportbike und radelte davon, um seiner Zukunft nachzujagen. Ich wandte mich etwas irritiert in die Salzburger Altstadt, wo lateinische Inschriften uns daran erinnern, dass man die Vergangenheit von der Zukunft nicht trennen kann, weil das eine das andere bedingt. Unser Fach formt gerade durch die Beschäftigung mit Vergangenem unsere Zukunft, das wissen viele: Der Fachbereich Altertumswissenschaften gilt universitätsintern als durch und durch da-

Und doch sehen wir Studierende uns nun genötigt, eine Petition und eine Infowebsite zu betreiben, deren Ziel vordergründig der Erhalt unserer einzigen vollwertigen Professur, letztendlich aber die Rettung unserer Philologie in Salzburg ist. 3802 Menschen aus 59 Ländern haben uns bisher ihre Unterstützung mitgeteilt und so die Überzeugung kundgetan, dass unsere Salzburger Latinistik international Unverzichtbares leistet. 3802 Menschen sind der Ansicht, dass eine Streichung unserer einzigen vollwertigen Professur mehr Schaden anrichtet, als man an Geld dadurch sparen könnte. Es sind unter diesen Personen unter anderem Universitätsprofessor*innen, Lehrer*innen, Student*innen, Schüler*innen, Kfz-Mechaniker*innen, Jurist*innen, Bildungspolitiker*innen, Künstler*innen, Mathematiker*innen, IT-Techniker*innen, Manager*innen und Mediziner*innen gelistet. Warum also müssen wir nun um unsere Zukunft fürchten? Die Frage ist freilich eine rhetorische, denn die Antwort ist längst bekannt. Wer noch rätselt: Fragen Sie unsere Romanist*innen, die fünf Jahre mit einer Professur weniger auskommen müssen, oder unsere Slawist*innen, die mit der Romanistik zu einem kruden Amalgam verschmolzen werden sollen, als hätten sie keine eigenständige Daseinsberechtigung! Oder unsere Linguist*innen, die dasselbe Schicksal mit der Germanistik ereilen soll! Fragen Sie jene Personen, die unsere Petition gerne unterschrieben hätten, aber aus Furcht, deshalb ihren Job an der Uni Salzburg zu verlieren, davon Abstand genommen haben! Die Antwort lautet: Ein neuer Rektor hat sich auf der metaphorischen Salzachbank der Uni Salzburg

Der Fachbereich Altertumswissenschaften gilt universitätsintern als durch und durch daseinsberechtigt.

niedergelassen und monologisiert nun über unsere Fächer, als kenne er allein deren Wertigkeit und Wichtigkeit. Um sein Insiderwissen über die Latinität kundzutun, verschickt Lehnert übrigens nett gemeinte (?), aber inhaltsbefreite lateinische Briefe an unsere Unterstützer*innen und dekliniert dabei universitas falsch. Er spricht über Modernisierung, Effizienz, Zukunft und Technologisierung und findet, dass er und wir in einem super Dialog miteinander stehen. Doch unseren mittlerweile verzweifelten Aufforderungen, endlich auch nur einen einzigen konkreten Grund für die Streichung ausgerechnet unserer Professur zu nennen, wird er nicht nachkommen. Denn Lehnert ist in Richtung seiner Zukunft unterwegs, und dort gibt es geisteswissenschaftliche Fächer bestenfalls in amputierter Form. Über die Reputation unserer Universität in dieser Zukunft scheint sich Lehnert wenig Gedanken zu machen. Dass internationale Stimmen sein Vorgehen als geradezu peinlich für die PLUS bezeichnen, lässt Lehnert kalt.

Es ist pervers, dass es diesmal nicht ein schultraumatisierter Lateinhasser mit schlechten Manieren ist, der mein Fach als lästiges, kostenaufwendiges und ineffizientes Beiwerk zu echter Forschung betrachtet, sondern die Magnifizenz selbst. Das neue Rektorat ist im Begriff, etwas hochzuziehen, das ich nur mit einem Neolatinismus treffend betiteln kann: uniperversitas. Rückmeldungen bitte via Fax an 0815 753-1453

INFOS ZUR PETITION

seinsberechtigt. Freilich gibt es Leute, die sich über uns wundern. Unsere für den universitären Tag der offenen Tür in Tunica und Toga gewandeten Kolleg*innen wurden vor einigen Jahren von einem Kamerateam gefilmt und erst neulich kramte der ORF diese Aufnahmen wieder aus der Lade, um das Konzept „Orchideenfächer“ aussagekräftig zu bebildern. Doch die universitätsinterne Haltung der klassischen Philologie gegenüber ist geprägt von einer eigentlich simplen Erkenntnis: Latein und die klassische Bildung sind die Basis fast aller unserer Wissenschaften. Latinisten und Latinistinnen kümmern sich um das sprachliche Fundament unserer westlichen Kulturen.

Petition: https://www.petitions.net/ securing_the_long-term_future_of_ latin_and_the_csel Status: eingereicht bei Senat, Uni-Rat und Rektorat am 02.11.2020 mit 3226 Unterschriften. Die Petition läuft auch nach der ersten Einreichung weiter. Weiterführende Informationen: https://petitionlatinistik.org/

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DIE UNIS MÜSSEN WIEDER BRENNEN Kaum jemand hat vermutlich gerade die Energie dazu, doch es ist notwendiger denn je: Wir müssen uns nicht nur gegen die neuen studifeindlichen Offensiven wehren, sondern auch bereits bestehende Missstände wirksam bekämpfen. Text: Hannah Wahl

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ine ewige Pandemie, Ausgangsbeschränkungen, ein Terror-Anschlag in Wien, das Jahr 2020 ist wohl das, was man nett ausgedrückt als „zach“ beschreiben würde. Es verlangt uns so einiges ab und wir sind angestrengt bemüht, das Jahr gut herumzubringen. Trotzdem knabbern Social Distancing, die steigenden Covid-19-Infektionszahlen, Fernlehre und/oder Homeoffice, um nur paar Sachen zu nennen, an der emotionalen und psychischen Verfassung. Viele Studierende haben zudem ihren Nebenjob verloren und kämpfen mit Zukunftsängsten.

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Leistung oder Rausschmiss! Eigentlich sollte man besonders jetzt ein Auge für die Probleme von Studierenden haben und sich überlegen, welche Form von Unterstützung geleistet werden kann. Zum Beispiel, indem man auf sie hört, ihnen endlich zwei neutrale Semester zugesteht und sie damit zumindest während der Pandemie vom Leistungsdruck und vom Druck, genügend Geld für allfällige Studiengebühren aufzubringen, befreit. Stattdessen müssen sich Studierende auch jetzt vor Angriffen durch neoliberale Politik und kapitalistische Marktwirtschaft

schützen. So sieht der Entwurf für das neue Universitätsgesetz (neben anderen Schnapsideen) vor, in den ersten beiden Studienjahren 24 ECTSPunkte zu liefern; ansonsten wird man rausgeschmissen. Und das, obwohl ein leitender Grundsatz der Unis doch angeblich soziale Chancengleichheit ist. Blöd für uns Studierende, wenn das ignoriert wird und man stattdessen einen Kurs der sozialen Selektion verfolgt, der dafür sorgt, dass wir noch ein paar Ängste mehr haben. „Nur“ 24 ECTS... „Wo ist das Problem, sind ja nur 24 ECTS“, schrieb mir neulich eine Jus-Studentin auf Instagram, nachdem ich mich über die geplante UG-Novelle mokiert hab. Wunderbar, es gibt glücklicherweise Studierende, die es ohne Probleme schaffen, ihre Fächer planmäßig zu schaukeln. Nicht jede*r ist so privilegiert und kann, mit ausreichend finanzieller Unterstützung, sein Studium Vollzeit und ohne Ablenkungen verfolgen. Aber was ist mit Studierenden, die Vollzeit oder Teilzeit arbeiten müssen, Betreuungspflichten haben oder aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen nun mal nicht so schnell studieren können? Was ist mir all jenen, die, Gott bewahre, nur „nebenbei“ studieren und nicht wissen, wie viel sie jedes Semester schaffen? All jene, die wegen Mehrfachbelastungen nicht innerhalb der Mindeststudienzeit abschließen können, erhalten dann als nettes Geschenk auch noch Studiengebühren, damit sie sich noch schwerer tun. Wer denkt sich was aus? Auch Uniko-Chefin Sabine Seidler ist vorne mit dabei, wenn´s darum geht, den Leistungsdruck auf Studierende zu verschärfen. Das machte sie im Standard-Interview, das sie während der CoronaPandemie gab, deutlich, indem sie betonte, Studierende hätten die „Verpflichtung, auch irgendwann einmal zum Abschluss zu kommen“. Was Frau Präsidentin nicht sieht, sind unsere individuellen Lebensrealitäten, die besonders während der Corona-Zeit enorm herausfordernd sein können. Würde sie die kennen, wäre ihr klar, dass noch mehr Leistungsdruck nicht zum Anstieg der Absolvent*innenzahlen führt, sondern nur die DropOut-Quote erhöht.

Für ein neutrales Studienjahr für alle - jetzt! Reden wir doch einmal über ein neutrales Studienjahr! Ein Studienjahr, in dem man sich über andere Dinge Sorgen machen kann, als über seine Studienleistung. Eines, in dem man macht, was man schafft und keine Begründung liefern muss, wenn man weniger Leistung bringt. 2020 ist Grund genug. Das österreichische Universitätssystem wird davon nun wirklich nicht zusammenbrechen. Außerdem wäre ein neutrales Studienjahr ein gutes Zeichen, um zu zeigen, dass der Regierung nicht nur die Wirtschaft am Herzen liegt, sondern auch die Hochschulbildung. Da das sehr unwahrscheinlich passieren wird, Wissenschaftsminister Faßmann hat bereits verkündet, der Staat könne jetzt nicht für alles einspringen, sind die Rektor*innen nun gefragt, ihren Studierenden entgegenzukommen. Die Unis müssen wieder brennen Der unfaire Entwurf zum neuen Universitätsgesetz ist nur der jüngste Angriff auf Studierende. Schon lange gibt es Grund genug für eine neue unibrennt-Bewegung, die sich für die ersatzlose Abschaffung von Studiengebühren und allen möglichen Zugangsbeschränkungen einsetzt und damit den freien Hochschulzugang verteidigt, für die Aufstockung und Erweiterung des Stipendiensystems kämpft und auf die Unterstützung in allen studierendenrelevanten Lebensbereichen (Wohnen, Mobilität, Gesundheit, etc.) besteht. Darüber hinaus muss es eine neu aufflammende Studierendenbewegung mit der fortschreitenden Ökonomisierung und Entdemokratisierung der Universitäten aufnehmen und ihre Ausfinanzierung einfordern. Anstatt Studierenden ein neutrales Studienjahr zuzugestehen, bestehen offensichtlich keine Skrupel, auch während der Corona-Pandemie neue Barrieren für Studierende zu errichten. Wir müssen uns nicht nur dagegen mit verfügbaren Kräften wehren, sondern auch den Kampf gegen die bereits manifesten Missstände wieder aufnehmen. Die Unis müssen wieder brennen!

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SPÄT NOCH EINMAL UNI

geht das?

Text: Elisabeth Simm-Herzog

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s ist November, ich bin 50, und österreichweit hat ein Lockdown begonnen. Ich sitze im Lesesaal der Universitätsbibliothek, was dankenswerterweise auch jetzt möglich ist. Es sind Jahrzehnte vergangen, seit hier das letzte Mal mein Lese- und Lernplatz war. In dieser konzentrierten Ruhe studiere ich jetzt gerade – wieder. An meinem 50. Geburtstag stellte ich fest, dass ich nun 21 Jahre lang im selben Beruf erwerbstätig war. Ich hatte mein regelmäßiges Einkommen verdient und auch etwas gegeben, das gebraucht wurde. Dabei stellte sich zuletzt auch eine gewisse Unzufriedenheit ein – irgendetwas fehlte. Ich bewegte mich immer in denselben Kreisen, die ich schon kenne, und die mich schon kennen. Nach so viel zweckdienlichem Arbeitsleben (dem bis zur Pension wohl noch 15 weitere Jahre folgen dürfen) setzte sich immer hartnäckiger der Wunsch fest, eine erfüllende Auszeit zu nehmen – noch einmal zu studieren, in einer die Sinne und den Intellekt ansprechenden Art und Weise. Da sind so viele Dinge, in die ich mich gern noch einmal vertiefen möchte – auch im regelmäßigen Austausch mit anderen Studierenden, jüngeren und älteren. Und da sind so viele wichtige Themen und Fächer mit Bedeutung für unser jetziges Leben – nicht nur für die Wirtschaft, sondern vor allem auch für das

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geistige, gesellschaftliche Leben. In den 90er Jahren hatte ich schon einmal ein geisteswissenschaftliches Studium in Salzburg absolviert, um dann einen Beruf zu ergreifen, der mich in ein anderes, sehr praxisbezogenes Themen- und Tätigkeitsfeld führte. Dementsprechend musste ich mir unter nicht ganz einfachen Bedingungen zwar viel Neues aneignen, hatte aber über mein Studium auch Kenntnisse im Sinne einer umfassenderen Bildung mitgenommen, die sich erst auf den zweiten Blick als wertvoll erwiesen. Ich war froh über meine „Festanstellung“, und nichts erschien mir wichtiger, als etwas zu leisten, das in der Gesellschaft unmittelbar benötigt wird und mir ein regelmäßiges und gutes Einkommen sicherte. Mit der Zeit verlor ich aber über die Arbeit im immer gleichen Feld etwas von meiner alten Lebendigkeit und inneren Beweglichkeit. Dem wollte ich entgegensteuern. Es fing an mit einem Vortrag vor etwa zwei Jahren, der in einem Raum der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät stattfand und öffentlich war. Die Neuerscheinung einer wissenschaftlichen Publikation wurde vorgestellt, es gab viele interessierte Fragen und eine rege Diskussion. Erinnerungen an mein früheres Studium kamen auf, zusammen mit

dem Bedürfnis, mein Wissen noch einmal weiterzuentwickeln und mit Kenntnissen über die Vergangenheit zu bereichern - die Dinge im Austausch mit anderen unter die Lupe zu nehmen, um daraus neue Blickwinkel auf das Leben zu gewinnen und zu geben. Damals dachte ich noch gar nicht an Bildungskarenz, sondern schaute mir erst einmal das Lehrveranstaltungsverzeichnis an, um festzustellen, ob Vorlesungen, die meinen Interessen entgegenkämen, auch ab 17 Uhr stattfinden würden – also nach meinem Büroschluss. Eine kleine Internetrecherche führte mich zum Angebot der Uni 55PLUS. „In sechs Jahren bin ich 55, da kann ich das also auch machen“, dachte ich mir. Und: „Ob ich mich bis dahin wohl einfach so hineinsetzen/irgendwie mitmachen kann?“ Am nächsten Tag telefonierte ich mit dem Büro der Uni 55-PLUS und erfuhr, dass ich mich auch schon ab 50 einschreiben könnte und nur ein Unterschied bei der Semestergebühr bestünde. Das war eine wunderbare Nachricht. Und so setzte ich mich im Sommersemester dann zweimal die Woche nach Büroschluss in die Vorlesung. Ich war jetzt also eine von diesen …Oldies?..Späties? oder ganz hipp: senior students??, die da drinnen saßen und schaute erst einmal, ob die Jüngeren so eine Anwesenheit akzeptieren würden. Es schien so und fühlte sich gut an. Ich nahm niemandem den Platz weg, weil die Lehrveranstaltungen der 55-PLUS diesbezüglich schon vorselektiert sind. Unter den interessierten und interessanten Anwesenden, die sich geschätzt zwischen 18 und sogar 80 Jahren bewegten, fühlte ich mich nicht falsch, sondern im guten Mittelfeld. Nach diesem gelungenen Anfang kam der erste Lockdown. Ich blieb weiter inskribiert, hatte aber neben meiner „systemrelevanten“ Arbeit nicht mehr die Zeit und Energie, mich mit der onlineLehre auseinanderzusetzen. Das „richtige“ Studium zusammen mit dem örtlichen Sphärenwechsel fehlte mir. Und ich merkte auch, dass die Zeit neben meinem Beruf nicht genügte, um mich weiter zu vertiefen in diese anderen Perspektiven, um das Leben mit seinen kulturellen, geschichtlichen, künstlerischen Erscheinungs- und Verstehensweisen zu untersuchen, und um vielleicht sogar eine Prüfung mitzumachen. Also handelte ich für das Wintersemester bei meiner Geschäftsführung eine fünfmonatige Bildungskarenz aus, die ich nun seit Oktober genieße – mit einer Mischung aus Online- und Präsenzlehre zu Beginn, die jetzt

im November-Lockdown schließlich zu einem vollständigen Distance-Learning wurde. Die Teilnehmenden schalten sich über die Videokonferenz der Gruppe zu - Köpfe tauchen auf vor Bücherregalen, auf Sofas, vor Wandgitarren; MitbewohnerInnen von WGs und Angehörige laufen im Hintergrund durchs Bild, Mikrofone werden versehentlich nicht abgeschaltet, und irgendeine Zip-Datei lässt sich nicht öffnen, weil der Zielpfad zu lang ist. Aber auch so geht es irgendwie, teilweise lustig und immer sehr kooperativ, weiter. Die Bibliotheken sind weiterhin tatsächlich aufsuchbare Orte. Ich habe sogar alte Bekannte aus meinen ersten Salzburger Semestern in den 90er Jahren wiedergetroffen. Den Kaffee nehmen wir momentan – solange die Mensa und andere Lokalitäten geschlossen haben – konspirativ aus einer Thermosflasche im Furtwänglergarten ein. Und vor zwei Wochen habe ich stolz eine erste Probeklausur mitgemacht.

Ich war jetzt also eine von diesen … Oldies?..Späties? oder ganz hipp: senior students??

Mein Mann hat im Alter von 57 Jahren gleichzeitig mit mir eine Bildungskarenz begonnen und „55PLUS“ inskribiert. Sein Schwerpunkt liegt auf Geschichte und Politik, meiner auf Kunstgeschichte und Archäologie. Wir sitzen nun während der ersten Wochen dieses Semesters manchmal gemeinsam am Tisch, exzerpieren empfohlene Lektüre, lesen, tauschen uns aus und haben aus unseren Erfahrungen auch wiederum vieles mitzuteilen – uns und anderen. Ich fühle mich – lernend, lesend, mit den Studierenden gemeinsam überlegend und manchmal Fragen stellend – sehr erfüllt. Und ich freue mich auf die Zeit, in der ich manchen wieder in einem der Unigebäude begegnen kann, mit der ganzen Atmosphäre von Lust am Austausch und vielfältigen wissenschaftlichen Interessen. Denn irgendwann im Leben kommen vielleicht manche – so wie ich – an den Punkt, nicht mehr alles unmittelbar auf einen Erwerb, auf Versorgung und Lebensunterhalt ausrichten zu wollen (und zu müssen), sondern das Leben mit ihrer gewonnen Erfahrung und gleichzeitig mit anderen lernend wieder anders bereichern zu wollen.

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POLITIK & GESELLSCHAFT

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BELASTETE PSYCHE

Was wir jetzt ändern müssen

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er spezielle körperliche Beschwerden hat, sucht im Normalfall einen Facharzt auf. Ist jedoch unsere Psyche betroffen, fällt vielen dieser Weg um einiges schwerer: Anhaltende Tabuisierung und Stigmatisierung stellen oft enorme Hindernisse dar. Selbst wenn diese überwunden sind, erhält nicht jede*r sofort die Unterstützung, die benötigt wird. Denn Psychotherapie ist für viele kaum leistbarer Luxus. Ohne Zweifel eine Blamage für den angeblich entwickelten Sozialstaat. Mehrfachbelastung Oft als Ziel formuliert, aber im kapitalistischen System logischerweise nie erreicht: Chancengleichheit. Mehrfachbelastete Menschen stehen nicht nur ökonomisch und gesellschaftlich oft auf der Verliererseite, sondern haben folglich auch kaum Zugang zur psychosozialen Versorgung. Denn die kassenfinanzierte Plätze für Psychotherapie sind rar und das verfügbare Kontingent schnell aufgebraucht. Laut des österreichischen Bundesverband für Psychotherapie1 gibt es aktuell nur für 1% der Österreicher*innen Psychotherapie auf Krankenschein. Anstatt das zum Anlass zu nehmen, mehr Therapieplätze zu schaffen, hat man die Möglichkeit, selbst nach Unterstützung zu suchen und einen kleinen Teil von seiner Krankenkasse zurückzufordern. Dieser organisatorische und finanzielle Aufwand ist für manche Menschen nicht machbar. Liest man solche Beschreibungen des Status-Quo, darf nie vergessen werden, dass es sich dabei u. a. um Menschen mit akuten psychischen Krisen handelt, die sofort Unterstützung erhalten müssten - ein Missstand, der sofort behoben werden muss.

Gerade in Krisenzeiten verschlechtert sich bei vielen Menschen die psychischemotionale Verfassung. Grund dafür sind pandemiebedingte Stressfaktoren wie Zukunftsängste und Isolation. Doch die psychosoziale Versorgung in Österreich war schon vor der Pandemie unterfinanziert, ihr Ausbau ist längst überfällig. Ein Versäumnis, das mitunter fatale Folgen mit sich bringt. Text: Hannah Wahl

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Corona-Krise verschärft Situation Social Distancing, Lockdown, Verlust des Arbeitsplatzes, Home Schooling und die Angst um sich und sein soziales Umfeld sind nur einige Stressfaktoren, mit denen viele Menschen zu kämpfen haben - und zwar nicht erst seit heuer. Bestehende Probleme werden verschärft und neue gesellen sich hinzu. Die Corona-Krise hat schwerwiegende Folgen für die psychische Gesundheit, wie auch eine Studie der Donau-Universität-Krems2 zeigt. Depressive Symptome und Angstsymptome sind demnach massiv angestiegen, viele Personen leiden zudem unter einer Schlafstörung. Seit Beginn der Pandemie haben rund acht Prozent eine schwere depressive Symptomatik, wohingegen es 2014 nur ein Prozent war. Besonders betroffen

sind Erwachsene unter 35 Jahren, Frauen, Alleinstehende und Menschen ohne Arbeit. „Es ist besorgniserregend, dass ein so großer Teil der Bevölkerung psychisch dermaßen stark und lange belastet ist. Denn leider zeigt sich auch ein halbes Jahr nach dem Ausbruch von COVID-19 keine relevante Verbesserung“, so der Studienautor Christoph Pieh der das Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit leitet. Auch der Bedarf der Psychotherapie ist deutlich gestiegen, wie der Österreichische Berufsverband für Psychotherapie bekannt gibt.

1 https://www.mehrpsychotherapiejetzt.at/die-kampagne/ 2 https://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_ id=3707580

Aktion #mehrpsychotherapiejetzt pocht auf Veränderungen Ein Ende der beschränkten Kontingente für Therapieplätze fordert auch die vom Berufsverband für Psychotherapie initiierte Kampagne #mehrpsychotherapiejetzt. Eine angemessene Behandlung dürfe keine Frage des Einkommens, des Wohnortes oder der jeweiligen Krankenversicherung sein. Mehr Informationen zur Psychotherapie und zur Kampagne unter: mehrpsychotherapiejetzt.at Was besser gemacht werden muss Wir benötigen nicht nur ausreichende und kostenfreie psychosoziale Versorgung für alle Menschen, sondern müssen auch ein wirtschaftliches System abschaffen, das krank macht. Denn oft verschärfen sich in Ausnahmezuständen wie der CoronaPandemie bereits vorhandene Krisen, die ihren Auslöser in manifesten Missständen haben. Wer schon vor der Pandemie auf der Verliererseite stand, steht auch danach dort. Selbstverständlich sind nicht alle psychosozialen Probleme auf ein unmenschliches System zurückzuführen und Menschen jeder gesellschaftliche Klassen können psychosoziale Unterstützung benötigen, jedoch ist eines klar: Privilegierte Menschen können sich Psychotherapie leisten, andere selten. Das ist kein hinnehmbarer Zustand in einem Sozialstaat.

„Stell dir vor, du gehst mit einer Grippe zu deiner Hausärztin und dort erfährst du, dass du nicht behandelt werden kannst, weil es nur ein Kontingent für zehn Grippepatient_innen gibt und das sei bereits ausgeschöpft. Undenkbar? Für Menschen mit psychischen Erkrankungen steht genau das an der Tagesordnung.“ Beatrice Frasl (Podcasterin & Erfahrungsexpertin)

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„ Und woher kommst du?“ „Aus Deutschland.“ Fragender Blick.

„Aus München.“

Und woher kommst du? Text: Maryam Ramazani

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Panik in den Augen der mir gegenüberstehenden Person. Das typische Stottern beim Versuch die Frage anders zu formulieren, um die Antwort zu kriegen, die ich mich weigere zu geben. „Und woher kommst du wirklich?“ Da ist sie. Die Frage. Nicht irgendeine Frage, nein, für mich DIE Frage. Und ihre Antwort? Ich weiß es nicht. Hier die Deutsche, dort die Ausländerin und drüben die Europäerin. Und wann kann ich die sein, die ich bin? Damit stellt sich mir automatisch die Frage: Wer bin ich? Warum stören mich diese Fragen? Ich bin nicht die Deutsche, die Ausländerin, die Studentin, die Schwester, die Tochter, die Ehefrau, die mit den kulturellen Zusatzqualifikationen, weil ich ALLES bin. Warum lassen wir uns Labels zuschreiben? Warum lassen wir uns so sehr von Nationalitäten definieren und beeinflussen? Geht es wirklich nur darum? Dann bin ich mit zwei Staatsbürgerschaften immer noch eine Hybridin. Warum muss ich überhaupt in eine Schublade? Warum kann ich nicht einfach ich sein? Warum kann ich nicht meine Werte, Haltungen, Gedanken, Gefühle, Interessen und Leidenschaften sein? Wann haben wir angefangen Menschen auf das Land zu beschränken, in dem sie oder ihre Eltern geboren wurden? Macht es uns besser? Nein. Macht es das Urteilen über andere leichter? Ja. Ist das Urteil mit einer hohen Wahrscheinlichkeit richtig? Definitiv nicht. Also lassen wir uns von Leichtigkeit leiten und verschließen uns damit die Möglichkeit einen Menschen und keinen Pass kennenzulernen. Gewohnheiten zu brechen ist nicht einfach. Heuristiken zu vermeiden ist eine hohe kognitive Leistung und etwas, dass nicht in unserer Natur liegt. Es erfordert bewusste Entscheidungen und Mut.

Und warum sollten wir es dann tun? Warum sollten wir dann diese Anstrengung und Mühe reinlegen? Weil hier Wachstum entsteht, weil hier Diversität entsteht, weil hier das entsteht was uns einzigartig und außergewöhnlich macht: Menschlichkeit. Um gegen diese Diskriminierung anzukämpfen und zu sensibilisieren beschäftigen wir uns im Referat für Internationales und Diversity unter anderem mit diesem Thema. Wir möchte aufräumen mit Vorurteilen, Hass und Ausgrenzung und für ein gemeinsames, offenes und vielseitiges Uni-Leben. Sollten Diskriminierung und Belästigung aufgrund der ethischen Zugehörigkeit, der Hautfarbe, der Religionszugehörigkeit, das Geschlecht oder des Alters dennoch auftreten sind wir für euch da! Wir haben ein offenes Ohr, beraten und begleiten euch so gut wir können. Zudem bieten wir regelmäßig Vorträge und Workshops zu Themen wie Vielfalt und Diskriminierung an und freuen uns auf eure Teilnahme. Im Sommersemester ist ein online Training zu Themen wie Polizeigewalt, Rassismus, Vorurteile, Diskriminierung und Vielfalt bearbeitet. Das Training ist für alle ausgelegt, welche selbst mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert wurden bzw. werden, aber auch für diejenigen, die Vorurteile ablegen möchten, Privilegien hinterfragen und sich mit verschiedenen Kulturen und Menschengruppen auseinandersetzen möchten. Ziel dieses Trainings ist die Schaffung eines Fundaments für diskriminierungsfreies Denken, Handeln und Zusammenleben. Wir stehen für Zusammenhalt und eine Gesellschaft gegen Rassismus und Diskriminierung. Sei du auch ein Teil davon!

ÖH UNI SALZBURG REFERAT FÜR INTERNATIONALES UND DIVERSITY Kaigasse 28, 5020 Salzburg, diversity@oeh-salzburg.at https://www.oeh-salzburg.at/oeh-salzburg/referate/ internationales-referat/ Hijabis Fight Back – Ein Statement der ÖH Uni Salzburg von Maryam Ramazani, findet ihr im ÖH Podcast unter soundcloud.com/oeh-unisalzburg

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Praktisch:

KASTANIEN WASCHEN UNSER GEWISSEN REIN! Aus Kastanien lässt sich, lernt man als eifrige/r Follower*in der Nachhaltigkeitsinitiative des PLUS Green Campus, Waschmittel produzieren. Eh cool und nachhaltig, oder? Eine kritische Betrachtung von Carolina Forstner

„Die Macht von Konsumenten kann die Welt verändern“, oder „jeder kleine Beitrag hilft, das Klima und damit unser Umwelt nachhaltig zu schützen“, so jedenfalls schreiben es unzählige Zeitungskolumnen, Buchautor*innen oder die fleischgewordenen Lebensratgeber*innen auf Social Media Plattformen wie Instagram. Doch was hilft „bewusster Konsum“? Die Rede von „nachhaltigem Konsum“ und der „Verantwortung von Konsument*innen“ ist natürlich nicht neu, doch anscheinend wirkmächtig, schließlich scheint es eine einfache und gewissensbereinigende Lösung für das globale Klimadisaster zu sein und - Wunder oh Wunder – große Konzerne freuts auch! Bewegungen wie „Friday’s for Future“ und immer drängendere Fragen vom individuellen CO2-Abdruck, oder ob wir noch tierische Produkte konsumieren sollten, sind ein wichtiger Ausdruck des wachsenden Problembewusstseins. Und ja, die Zukunft unseres Planeten liegt in unserer Hand, aber Konsumkritik ist keine wirksame Strategie, um ihn vor dem Klimakollaps zu bewahren. Wie die Autorin Kathrin Hartmann in ihrem Buch Die Grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell richtig beschreibt: „Klimaschutz ist kein persönlicher Ablasshandel“. Der Appell an die Einzelnen klammert soziale Fragen aus. Statt LifeHacks um zwischen klimafreundlichen Produkten versus Klimasündern zu unterscheiden, sollte viel eher die Frage nach dem Warum in den Fokus gerückt werden, denn: Warum ist es legal, dass so produziert wird?

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Konsumkritik, eine neoliberale Heilsbotschaft Nun könnte man entgegnen, ja schön und gut, natürlich müssen große Konzerne reguliert werden, aber eigentlich sind wir es doch, die durch ihren Einkauf „dem Markt“ sagen was verkauft werden soll. Heißt das im logischen Umkehrschluss nicht, dass wir alle durch bewussten Konsum Veränderungen schaffen können? Haben wir Konsument*innen nicht die Macht was und wieviel produziert wird? Konsumenten(un)macht Wenn es doch nur so einfach wäre. In einem kapitalistischen System orientiert sich die Produktion nicht an den Bedürfnissen der Menschen, also der Konsument*innen, sondern an denen der Kapitalist*innen. Bestes Beispiel fernab der Debatte um nachhaltige Konsumartikel ist der Wohnbau. Dringend benötigter und bezahlbarer Wohnraum ist ein (Grund)Bedürfnis, das wohl viele Menschen miteinander teilen, ergo müsste es, wo definitiv Nachfrage herrscht, auch Angebote geben? Falsch gedacht. Gerade am Beispiel von Salzburg weiß man sehr schnell, was wichtiger ist: Luxusapartments aus dem Boden zu stampfen und Leerstand, der potentiellen Wohnraum bietet, verkommen lassen, während Normalverdiener*innen kämpfen müssen, um irgendwie eine bezahlbare Einbis Zweizimmerwohnung zu finden. Eines von vielen Beispielen, das zeigt, dass es mitnichten um Bedürfnisbefriedigung geht, sondern schlicht und ergreifend um Gewinnerwartungen, die im Kapitalismus bestimmen, was und wieviel davon produziert wird.

Konsumkritik will uns vorgaukeln, dass wir alle im selben Boot sitzen. Natürlich ist der Klimawandel ein menschgemachtes Desaster. Zu behaupten, dass „alle“ die Schuld tragen, ist nicht nur faktisch falsch, sondern negiert auch soziale Fragen, die eigentlich immer mit Lösungskonzepten zum Klimawandel verknüpft werden müssen. Die Klimafrage ist eine soziale Frage. Das zeigt sich im Kleinen an der Supermarktkette – Wer kann sich die Bio-Lebensmittel leisten, wem ist es schlicht „nicht wert zu investieren“ und noch viel fataler im globalen Süden, der weiterhin in guter alter Kolonialismusmanier ausgebeutet und täglich die Lebensgrundlage von Menschen durch verheerende ökologische Missstände bedroht und zerstört wird. Aber wirklich gut, dass wir unsere Flugreise nach Bali jetzt mit einem kleinen Klima-Obolus kompensieren können, eine wahre Wohltat fürs geplagte Gewissen.

wird uns hier keine große Hilfe sein. Wer den Klimakollaps aufhalten will, muss letzten Endes die bestehenden Wirtschaftsmechanismen in Frage stellen und für ein gerechtes und demokratisches Wirtschaftssystem kämpfen. Wie Kathrin Hartmann in einem Interview mit Moment auf den Punkt brachte, ist es wichtig sich folgende Fragen zu stellen: „Wer verhindert die Alternative? Wer hat ein Interesse daran, dass es so bleibt? Wer verdient Geld damit? Die müssen wir bekämpfen. Gegen deren Vorteile müssen wir kämpfen. Es ist eine Frage der Machtverhältnisse von denen, die sich Privilegien sichern wollen.“

Weg von der Verantwortungsverschiebung Der Kauf von nachhaltigen Produkten ist genauso wie die Herstellung von Kastanie-Waschmittel in Wirklichkeit kein Beitrag zur Lösung von Umweltproblemen, sondern eine Lifestyle-Entscheidung. Und zwar eine, die privilegierte Einkäufer*innen in den Fokus stellt und die ach so bösen Wenigverdiener*innen mit ihrem Discounter-Einkauf in das Klimasündereck rückt. Dabei müssten wir doch alle vereint wissen: Es geht um politisches Handeln und nicht um private Konsumentscheidungen! Das soll mitnichten heißen, dass es uns nun allen egal sein ist soll, oder wir die nachhaltigen Umwelttipps des Plus GreenCampus als „Ökohirngespinste“ abfrühstücken sollen. Wir können natürlich weiterhin unsere Nudeln im „Unverpackt Laden“ um die Ecke kaufen und Haushaltsmittel selbst herstellen, wenn wir das nötige Kleingeld besitzen und wir Zeit und Freude an der Eigenproduktion unserer Putzmittel haben. Doch damit darf unser Bewusstsein für klimapolitische Fragen nicht aufhören. Die Mär vom individuellen Impact und bewussten Konsum wird keine „nachhaltige“ politische Strategie aus dem Hut zaubern, sondern die Verursacher*innen der Krise weiter in die Karten spielen. Doch was tun? Am besten auf eine der drängendsten Botschaften der Friday’s for Future Bewegung hören: System Change, not Climate Change. Der „grüne Kapitalismus“, der sich aus vermeintlich „ethischem Konsum“ nährt,

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DER BESCHISSENE SALZBURGER WOHNUNGSMARKT Die Festung, die Altstadt, die Salzach, die Stadtberge … ach Soizburg du Perle! Außer man sucht gerade eine halbwegs bezahlbare Wohnung. Carolina Forstner hat mit Dany gesprochen, sein Instagram-Account „fck.sbg“ zeigt die schiachen Seiten unserer malerischen Mozartstadt.

u:p Wie ist es eigentlich um den Wohnungsmarkt in Salzburg bestellt? Dany: Der Wohnungsmarkt in Salzburg ist, kurz gesagt, beschissen. Es gibt einfach zu wenig geförderte bzw. leistbare Wohnungen. Spekulation, Zweitwohnsitze und Zersiedelung spielen da bestimmt ihre Rollen. Die Stadtregierung bekommt das seit vielen Jahren nicht auf die Reihe. Was sind deine persönlichen Erfahrungen? Dass zum Beispiel besonders die kleinen Wohnungen absurd überteuert sind – also günstig alleine Wohnen geht meist nur mit einer Gemeindewohnung. Aber auch Wohngemeinschafts-Modelle mit Zimmer um die 500 Euro sind ja schon Normalfall. Ich kenne Viele die aus diesem Grund weggezogen sind. Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, dass mehr SalzburgerInnen sich in Salzburg eine erschwingliche Unterkunft leisten können? Man mehr wirklich leistbaren Wohnraum schaffen. Die letzten Siedlungsprojekte waren eher teuer und teilweise Mietkauf – nichts für, zum Beispiel Studierende oder junge Erwerbstätige. Im privaten Bereich muss wohl ein Mietendeckel wie in Berlin eingeführt werden – ohne einen derartigen Eingriff wird der Markt die Preise weiterhin nach oben treiben.

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Wie kamst du auf die Idee dich mit Leerstand in der Stadt Salzburg zu beschäftigen? Eine Mischung aus meiner Hass-Liebe zu Salzburg und Langeweile bzw. Begeisterung für verlassene Gebäude.

„Ok ich gebs zu. Ich hätt mir den Spruch mit dem „Wohnhaus – so scheiß groß, dass es nicht mal mehr auf meine verfickten Fotos passt“ besser hierfür aufsparen sollen. Ein riesen Block, sieben versperrte Eingänge zu je neun Wohnungen. Also 63 leere, sich selbst überlassene Immobilien direkt beim Bahnhof. Frechheit? Skandal? Verarschung? Hintergründe? Sagt es mir“ vom 20.11.20

Was möchtest du mit deinem Instagram-Account erreichen? Am Anfang eigentlich nur mit ein paar skurrilen Schnappschüssen einen „anti-Salzburg-like“ Insta Account machen. Ein kleines Gegenstück zu den tollen TouristInnen Bildern sozusagen. Doch dann hat es sich irgendwie schnell angeboten tiefgreifenderen Inhalt zu bringen – wie eben leere Gebäuden vs. hohe Mieten und der Frust darüber. Also einfach Sammeln, Aufzeigen und mit Leuten connecten die das auch interessiert beziehungsweise ankotzt. Wie würde dein persönliches Modell für soziale Stadtplanung aussehen? Definitiv ohne Mönchsberggaragen-Erweiterung – über 30 Mio. Euro an Steuergeld für ein derartig rückständiges Vorhaben ausgeben ist absolut inakzeptabel. Dieses Geld muss in den ebenfalls maroden Öffentlichen Verkehr und/oder in den kommunalen Wohnbau fließen. Auch von weiteren Hotels und Bürogebäuden, die dann zur Hälfte leer bleiben, hat die Bevölkerung nichts. Darüber hinaus sollte es auch mehr Möglichkeiten für Events geben. Also im Grunde einfach das Gegenteil von dem was unsere Stadtregierung so macht.

„Leeres, verlassenes Gebäude mitten in Salzburg Stadt. Unbeachtet vegetiert es langsam vor sich hin – ohne weiteren Nutzen für uns Menschen. Hintergründe unbekannt, Zustand dennoch inakzeptabel. Verschwendeter Raum = verschwendetes Potential.“ vom 23.07.20 „Wer hat noch nicht, wer will nochmal? Brüchige Villa direkt beim Neutor – Bauzäune lassen vermuten, dass sie jemanden nicht komplett egal ist. Vielleicht wird ja bald umgebaut. In ein Bürogebäude beispielsweise. Oder auch ein Hotel wäre doch was, davon gibt’s wohl noch nicht genug in SBG.“ vom 11.12.20

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erade hat die Welt die Spanischen Grippe überstanden. Die Pandemie hat weltweit 20-50 Millionen Menschenleben gefordert. Auch ein Krieg liegt hinter den Menschen, der die gesamte Weltordnung nachhaltig verändert hat. Anfang des Jahres traten die Friedensverträge von Versailles in Kraft. In Europa erstarken populistische und faschistische Parteien, im benachbarten Deutschland spricht auf der ersten Parteiversammlung der neugegründeten NSDAP ein gewisser Adolf Hitler. In den USA wurde gerade eine Präsidentenwahl geschlagen, aus der der Republikaner Warren G. Harding als Sieger hervorgeht.

EIN (FAST) VERGESSENES JUBILÄUM 1920/2020 – die Welt von heute und vor 100 Jahren, verbunden durch zwei der wichtigsten Einrichtungen unserer Republik – Verfassung (B-VG) und Verfassungsgerichtshof (VfGH) Von Victoria Lunz

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Das Jahr 1920 ist auch die Geburtsstunde der Republik Österreich und zum ersten Mal durften im Februar Frauen und Männer wählen. Die Unsicherheit und Beschwerlichkeit der vergangenen Jahre haben die Menschen fest im Griff. Trotzdem, vielleicht genau deswegen schaffen es in Österreich die Politiker des Landes sich auf ein Regelwerk zu einigen, das in Zukunft die Spielregeln für staatliches Handeln enthalten wird. Die österreichische Bundesverfassung (B-VG) wurde am 01. Oktober beschlossen und tritt am heutigen Tage in Kraft. Damit hat die junge Republik auch etwas Historisches und bisher Einzigartiges geschaffen, den Verfassungsgerichtshof. Der VfGH ist das erste selbstständige Gericht, das für die Verfassungsgerichtsbarkeit gegründet wurde. Der VfGH ist auch das Nachfolgeorgan des früheren Reichsgerichts und erfüllt dieselben Kompetenzen wie dieses. Beispielsweise die Klärung, ob ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde für eine Rechtssache überhaupt zuständig ist (Kompetenzgerichtsbarkeit). Auch für vermögensrechtliche Ansprüche gegen Gebietskörperschaften, wie Länder und Gemeinden (Kausalgerichtbarkeit) ist der VfGH Nachfolger des Reichsgerichts. Allerdings ist der VfGH mit zu-

sätzlichen Kompetenzen ausgestattet. Die wohl wichtigste ist die Gesetzesprüfungskompetenz. Erstmals erhält ein Gericht die Aufgabe die Gesetzmäßigkeit von erlassenen Gesetzen zu prüfen. Somit schafft das B-VG eine Kontrollinstanz des Nationalrates als gesetzgebendes Organ. Im Gegensatz zu früheren Verfassungen sieht das B-VG auch die Möglichkeit vor, dass Staatsbürger wegen der Verletzung der ihnen durch die Verfassung gewährleisteten Rechte Beschwerde erheben können. 10. November 2020 Wir diskutieren über Schulschließungen – nur die Volksschüler weiter vor Ort unterrichten oder doch die Unterstufen auch? Keiner kann Worte wie „CoronaAmpel“, „Lockdown“ oder „Contact Tracing“ mehr hören. Die Regierenden auf der ganzen Welt stehen vor Entscheidungen, inwieweit das Leben der Einzelnen zum Schutz der Gesundheit eingeschränkt werden kann. Auch im österreichischen Nationalrat wird über den richtigen Umgang mit einem Virus gestritten – wir befinden uns mitten in einer Pandemie! Die Menschen haben das Gefühl, die Welt bricht auseinander. Es herrscht eine politische Unzufriedenheit und die Gesellschaft wird zusehends polarisierter. Die Menschen fühlen sich in vielen Bereichen bevormundet und eingeschränkt. Nicht nur in dieser Zeit ist es beruhigend zu wissen, dass Österreich eine krisenerprobte Verfassung und einen unabhängigen Verfassungsgerichtshof hat. Beide Institutionen wurden in den letzten Jahren gefordert wie lange nicht. Nicht nur für eine Regierungskrise nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos war unsere Verfassung gerüstet. Der VfGH kommt wie ein Fels in der Brandung auch bei kritischen Entscheidungen seinen Aufgaben nach. Als eines der wichtigsten Beispiele ist hier wohl die Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl 2016 genannt.

Institutionen mit Bestand und Relevanz Das Gremium aus 14 RichterInnen, darunter eine PräsidentIn (aktuell: Christian Grabenwarter) und eine VizepräsidentIn (aktuell: Verena Madner) trifft üblicherweise in vier Sessionen pro Jahr zusammen, um über die vielfältigsten Anträge zu entscheiden. Auch in der Corona-Krise lässt der VfGH keine Schlampereien beim Erlass von Verordnungen und Gesetzen zu, und hebt diese, wenn nötig, wegen Gesetzwidrigkeit auf. Die Beratungen werden hinter verschlossenen Türen geführt. Ausgangspunkt der Debatte ist ein Entscheidungsentwurf, das von einem Mitglied (Referent*in) erstellt wurde. Die Erkenntnisse zur Adoption von gleichgeschlechtlichen Paaren oder die Gleichstellung von Ehe und eingetragener Partnerschaft sind nicht nur juristisch wegweisend. Schon 1974 entschied der VfGH zugunsten der Fristenlösung (bei Schwangerschaftsabbrüchen) und damit in einer aufgeheizten emotionalen Debatte. Ende November 2020 trifft das Gremium zur finalen Session des Corona-Jahres zusammen. In naher Zukunft wird neben Covid-19 Thematiken auch eine Entscheidung zur Sterbehilfe erwartet. Trotz aller Ängste und Ungewissheiten, die wir gerade meistern müssen, auf unsere Verfassung und der Verfassungsgerichtshof ist weiterhin Verlass, und das seit 100 Jahren! Blicken wir also mit Stolz auf das Jubiläum dieser beiden Einrichtungen!

QUELLEN: Kurt Heller, Der Verfassungsgerichtshof, 2010 Andreas Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts, 3. Auflage 2014 Orf.at, Erzählungen aus dem Präsidentenamt https://orf.at/stories/3169648/ Wikipedia, 1920 https://de.wikipedia.org/wiki/1920

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KULTUR & MENSCHEN

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misse entwickelt sich ein mehrfach in sich verdrehter Double Cross; alle werden gegen alle ausgespielt und auch der am Ende triumphierende Charakter bleibt mit nichts zurück außer seinem Hut. Gnadenloses Overacting verbindet sich hier mit einer fast schon surreal anmutenden Kameraführung, brutale Gewaltausbrüche treffen auf alberne und ganz bewusst mit der vierten Wand brechende Momente. Gerade in dieser Diversität sticht „Miller’s Crossing“ aus der Masse an guten Mafiafilmen als besonders heraus.

FILM­ SCHMANKERL Mafia

Text: Bernhard Landkammer

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enige Genres besitzen eine derartige Langlebigkeit durch alle Filmepochen, wie der Mafiafilm. Dabei sind die Strukturen meist gleich: Alte, mächtige Männer (meist italienischer oder irischer Herkunft) bekriegen sich (meist an der Ostküste der USA) mit anderen mächtigen alten Männern, während jüngere Männer versuchen, in diesen Strukturen aufzusteigen und meistens daran scheitern. Mit Ausnahme des Kriegsfilms gibt es vermutlich keine weitere filmische Spielart, die die Gewalt und Sinnlosigkeit, die patriarchalen Strukturen innewohnt, entlang von Stereotypen toxischer Männlichkeit so schonungslos darstellt und kritisiert. Die scheinbare Idealisierung einiger Figuren wie Tony Montana in „Scarface“ oder Vito Corleone in „The Godfather“ wird durch die Darstellung ihres gebrochenen Charakters und – meistens gewalttätigen – Sterbens von diesen Filmen selbst ver-

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neint. In dieser Ausgabe der Filmschmankerl haben wir bewusst weniger bekannter Filme ausgewählt, um die Vielfalt des Genres, in regionaler wie zeitlicher Hinsicht, zu beleuchten.

Miller’s Crossing (USA 1990) Joel und Ethan Coen sind bekannt für ihren ganz eigenen Stil und Filme, die das oft tragikomische Schicksal ihrer Protagonist*innen darstellen. Insofern verwundert es nicht, dass nahezu alle Charaktere in „Miller’s Crossing“ bis zur Karikatur überzeichnet sind. Der Ort ist eine Stadt im Osten der USA, die Zeit während der Prohibition: Tommy ist die zweite Hand des irischen Mafiabosses Leo, hat allerdings gleichzeitig eine Affäre mit dessen Geliebter Verna. Deren Bruder Bernie wird beschuldigt, den italienischen Mafiaboss Johnny betrogen zu haben. Aus dieser simplen Grundprä-

Hexenkessel – Mean Streets (USA, 1973) Gibt es einen weiteren Regisseur, der so sehr über die Darstellung tragischer Schicksale bekannt geworden ist wie Martin Scorsese? In „Mean Streets“, einem seiner ersten Spielfilme, legte er dafür den Grundstein. Während die mächtigen Figuren nur am Rande vorkommen und eher von den Protagonisten belauscht werden, stehen in diesem Film die Schmalspurganoven im Vordergrund. Der Kleinganove Charlie (gespielt von Harvey Keitel) versucht, in der Gang seines Onkels Fuß zu fassen, seinen chaotischen Freund Johnny Boy (gespielt von einem jungen Robert DeNiro) zu beschützen und sich seiner Gefühle für dessen Schwester Teresa klar zu werden. Bereits das Setting zeigt, dass hier keine Helden oder mächtigen Figuren dargestellt werden: eine schummrige, rot beleuchtete Kneipe, winzige Wohnungen, die Summen von einigen tausend Dollar, die hier schon tödlich enden können. Obwohl die Kameraeinstellungen intensiv sind, bleibt die Identifikation mit allen Figuren nahezu bei null. Untermalt von Szenen italienischer Gesänge wirken manche Schnitte, vor allem zur zarten Liebesgeschichte zwischen Charlie und Teresa, fast wie Fieberträume. Hier zeigt sich die verletzte Männlichkeit, der persönliche Kampf gegen Stereotype und die Gefahr patriarchalischer Strukturen, die blutig endet, ja: enden muss.

Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra [ital. Original: Gomorra] (Italien, 2008) Seit Roberto Salviano 2006 das Buch „Gomorrha“ veröffentlicht hat, kann er sein Leben nicht mehr ohne Personenschutz leben. Dennoch setzt er sich dafür ein, die schrecklichen Taten der süditalienischen Mafia weiter bekannt zu machen. Die Verfilmung des Buches von 2008 trägt ihren Teil dazu bei. Einzelne Schicksale in und um Neapel, die sich

um einen heruntergekommenen Häuserblock herum abspielen, werden dabei geschickt ineinander verwoben. Da ist der kleine Junge, der dazugehören will, in einen blutigen Bandenkrieg gerät und sein Schicksal besiegelt, aber auch der alternde Geldkurier, der nach einem brutalen Angriff nicht mehr ohne kugelsichere Weste aus dem Haus gehen kann. Zwei Kleinganoven legen sich mit Mafiabossen an, stehlen deren Waffen und brechen bei einer gewalttätigen Konfrontation weinend zusammen. Die Lagerung von krebserregendem Giftmüll auf privaten Grundstücken sorgt für Gewissensbisse bei einem aufstrebenden jungen Mann, während ansonsten kaltes Business gelebt wird. Der Dreck, das Blut und die Angst in den Gesichtern der Protagonist*innen wird mit verwackelten, unscharfen und teilweise übertrieben nahen Close-Ups eingefangen. Ein bedrückendes Meisterwerk, das die brutale Realität des Mafialebens von jeglicher Romantisierung befreit.

Dead Or Alive [jap. Original: Dead or Alive: Hanzaisha] (1999) In seiner mittlerweile schon mehr als 100 Filme umfassenden Regiekarriere hat sich Takashi Miike viele Male an die Darstellung des Reichs der Yakuza gewagt. Wie es sich für das japanische Enfant terrible gehört, bricht er dabei mit Konventionen und scheut auch nicht vor gewalttätigen und obszönen Bildern zurück. Seine „Dead Or Alive“-Trilogie bildet hier das Herzstück, wobei der erste – und beste – Teil der Reihe weitestgehend in für das Genre normalen Bahnen stattfindet. Angesiedelt in Shibuya, Tokios Night-Life-District, stellt der Film den Bandenkrieg zwischen der Gang um den chinesisch-stämmigen Ryuichi mit den Yakuza sowie die Jagd auf die Verbrecher durch den verbitterten Polizisten Jojima dar. Beide Charaktere versuchen tragische Schicksale in ihrer Familie durch Gewalt zu verarbeiten. Neonlicht, nackte Haut, Sodomie, Sex, Drogen und Gewalt dominieren die Szenerie, alles in körnig-gelbliches Licht getaucht. Doch auch wenn die Handlung nicht mit surrealen Absurditäten geizt, hat sich „Dead Or Alive“ das Highlight für die letzten Minuten aufgehoben. Hier bricht der Film mit allen Regeln der Realität, mutiert zu einer surrealen Groteske und bringt die Selbstzerstörung seiner Protagonisten am Ende metaphorisch auf den Punkt – die Zerstörung der Welt durch den sprichwörtlichen großen Knall inklusive.

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PERSPEKTIVEN­ WECHSEL

“It’s an illusion that photos are made with the camera... they are made with the eye, heart and head.“​ Henri Cartier-Bresson

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MY NAME IS JONAS ...

Auf der Suche nach den wahren Bildern

... and i’m 35. I’m an educator, and part time student of psychotherapy. Photography became a passion of mine about 3 years ago; me and my now-girlfriend began dating and she got me hooked on walking around with a camera trying to catch an interesting moment. What inspires me most is the Human Soul. To capture the essence of a person with my camera is my ultimate goal, i try my best everytime. Most of the time it doesn't work out – at least not the way i was planning. This journey to coming closer and closer to what i want to express is essentially the point of it all. When i look back at my pictures i See the imperfections and flaws, but that's photography,and that's life. Ultimately, what drives me is my beautiful girlfriend and the masters of photography, especially Cartier-Bresson and Garry Winogrand, but also some modern, more abstract guys like Oliver Takac, you may look them up if you’re interested. You can check out my Instagram, I got all my work there. www.instagram.com/weltenphotography If you like my work you can order prints of my pictures; i’m open for doing collabs or for shooting requests.Just drop me a dm on Instagram or via Mail: ​weltenphotography@gmail.com

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MEIN GANG Kein Geld, keine Zeit zum Lernen, dafür einen gereizten Darm und eine Klobürste. Eine Geschichte über Prüfungsangst, und wie wir sie besser nicht bekämpfen. Kurzgeschichte von Sara Gerner

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nd dann, ganz langsam, so schleichend wie die Lähmung selbst, konzentriere ich mich wieder darauf, wo ich bin, was ich tue und fokussiere mich nur auf die Gegenwart und stopfe sie so wild in mich hinein wie die Paprika-Chips, die ich mir immer mit meinen Schwestern teilen musste. Ich muss die Toilette säubern, sie ist verstopft, sodass der Klobesen nicht hilft und ich wieder einmal nicht weiß, wo die Saugglocke ist. Ich ziehe den Handschuh lang, nehme alle Armketten und Haargummis ab, um tief in die Toilette hineinzufahren. Und dann spüre ich es schon, die weiche Konsistenz zwischen meinen Fingern und ich grabe sie immer tiefer in die Scheiße hinein, sodass ich schon kurz Angst habe, dass sie stecken bleiben, doch das ist noch nicht der Ursprung, das ist nicht die Verstopfung. Ich würde meiner Mama gerne erzählen, was ich hier tue. Meine Mutter investierte alle ihre Hoffnungen, viele Nachmittage und später, als sie im Magistrat anfangen konnte, auch ein bisschen Geld in meine Klugheit. Sie war allein mit ihren zwei Jobs und ihren drei Töchtern, die sich ein Zimmer und all ihre Kleidungsstücke mit ihren Cousinen und Cousins teilten. Meine Mama lernte mit uns die deutsche Sprache, sie arbeitete lange als Kassiererin in einem Supermarkt und setzte uns immer in die Bibliothek gegenüber und weil sie so angespornt war, zu lernen, lernten wir mit ihr. Wenn wir uns über den wenigen Platz stritten, zog sie ein Schulbuch heraus: „Genug Lernen, genug Geld.“ Geld fehlte, es fehlte immer, und deswegen war es immer interessant, kostbar und wertvoll. Meine Volksschullehrerin war ganz begeistert von meiner Rechenkunst, fast einmal die Woche wurde ich zur Ein-Mal-Eins-Königin gekürt. Und bei Lern-

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zielkontrollen stoppte sie ständig die Zeit – nicht nur keine Fehler zu machen war wesentlich, sondern auch schnell zu denken, schnell zu leisten, schnell richtig zu rechnen. Im Gymnasium hatte ich eine Freundin, die knirschte immer mit den Zähnen. Sie bekam kein Taschengeld, das Kindergeld wurde als eine Art Miete behalten, doch sie konnte am Wochenende nicht arbeiten gehen, weil ihr Kopf so schon nicht arbeiten konnte, sie war immer zuhause, wechselte zwischen Serien und Lernbüchern. Bei einer Mathematikschularbeit fetzte sie das Heft vom Tisch, schleuderte ihre Stifte durch den Raum und rannte hinaus. Sie fehlte einen Tag, doch dann kam sie wieder, knirschte mit ihren Zähnen, schrieb bis zu dem Punkt mit, wo sie dann aufgab, und dann zeichnete sie ihre Hefte voll mit Mangafiguren und Häusern und Tieren – doch sie wählte damals nicht Bildnerische Erziehung als Wahlfach, sondern Englisch. Lehrkräfte peitschten uns wie eine Herde durch Persönlichkeitstests, sie hetzten uns Berge hinauf und auf den Gipfel warteten stets Menschen auf uns, aber nicht einfach nur Menschen, sondern kluge Personen von der Fachhochschule, einer Universität, einer Privatuniversität und auch ein Dozent. Wir durften unsere Auswertungen über dem Abgrund betrachten, natürlich wollte niemand springen, alle wollten den Gipfel weiter hinauf. Denn du willst die kluge Scheiße fabrizieren, die andere wegwischen. Du willst nicht wischen! Du willst studieren! Und wenn doch jemand zögerte, in den Abgrund schielte, wurden wir präpariert, denn wir können ja so viel mehr, wir können klug sein und dann hieß es: „Warum schlecht bezahlte Kinderkrankenschwester und nicht gleich Kinderärztin? Warum schmut-

zige Mechanikerin und nicht gleich Managerin der Autofirma? Warum Putzfrau und nicht gleich ein Bachelorstudium für korrekte Sauberkeit, wobei in jeder Lehrveranstaltung die 12 Schritte behandelt werden, wie Scheiße effektiv weggewischt werden kann, um kurz vor dem Ende des Studiums darauf zu kommen, dass einen niemand theoretisch auf die Praxis vorbereiten kann? Tja, dann könnte man aber eigentlich auch Lehrerin werden und zumindest besser verdienen. Und nicht vergessen, niemals daran denken, Künstlerin zu werden, denn Kunst lässt sich auch nebenbei fabrizieren!“ Diese Sätze werden in die Ohren geklatscht, selbst wenn die Peitsche nur durch die Luft tönte, einen selbst gar nicht berührte, bohrte sich der Schall so tief hinein, durch die Muscheln, in das Gehirn, das alles Vernetzte und Innere ignorierte, bis die Finger wie von selbst schrieben, Ärztin werden zu wollen, bis die Zunge alle Worte zuckte und für ein fragendes Familienmitglied, was man denn nun nach der Matura vorhätte, automatisch die Gleichung um die Zukunft löste, ohne noch lange nachzudenken. X nahm die zwei Lösungen „erfolgreich“ und „Geld“ ein und war somit korrekt. Nur einmal habe ich es bei einem persönlichen Gespräch gewagt zu sagen, was ich wirklich wollte: „Ich möchte einmal Schauspielerin werden, am liebsten Musicals.“ Die Frau betrachtete mich lange, richtete sich ihre Hornbrille – ihre Mundwinkel zuckten nicht einmal, ihr roter Lippenstift hob sich von ihrer blassen Haut. „Wollen Sie einmal Kinder haben?“ „Eh … ja, vielleicht?“ „Wie werden Sie die Kinder dann einmal finanzieren? Glauben Sie, es wird einfacher, Schauspieljobs zu bekommen, wenn Sie älter sind? Sie machen Matura, es gibt genügend Laienschauspielkurse, an der Uni gibt es Theatergruppen, bei denen Sie mitmachen können. Doch ich rate Ihnen davon ab, Schauspielerin zu werden. Das werden zu wenige, das ist keine Option für ein erfolgreiches, sicheres Leben. Und das wollen Sie doch, oder? Ein sicheres Leben.“ Ich habe mich für Medizin entschieden, obwohl ich meine Heimatstadt nicht verlassen wollte. Ich bin in eine Stadt gezogen, die ich immer schon gehasst habe. Immer wieder

tippten mich meine Finger zu Theaterseiten, zeigten mir die Anmeldungen und Aufnahmeprüfungen und dann begann die Uhr zu ticken und mir wurde geraten, mich jetzt zu bewerben, die Schulen können mich sonst nicht mehr formen, denn dann bin ich schon zu alt. Die Uhr brannte hinter meinen Augen, ich konnte sie nicht wegblinzeln. Ich drückte das Curriculum durch. Noch einfach am Anfang, da hatte ich Energie, dass es mich nicht kümmerte, eine Stunde durch die gesamte Stadt zu pendeln, um tanzen zu können. Ich flutschte durch das erste Jahr und plötzlich ging es nicht mehr, ich bekam keinen Platz in einem Kurs, der nur im Wintersemester angeboten wurde und alles zögerte sich hinaus, ich zögerte mich hinaus, nahm mir für Prüfungen doch nicht so viel Zeit, weil mich die Musik nach draußen verführte. Ich fiel zurück, ich blieb zuhause, fokussierte den Lernstoff. Doch mir fehlte die Zeit, also begann ich, die restliche einzusammeln, um das Studium irgendwie zu biegen, irgendwie in Richtung Ziel zu renken. Die Aufnahmeprüfungen auf den Theaterseiten beruhigten mich nicht mehr, sie stressten mich, die Uhr brannte, bald war ich über dem empfohlenen Alter, tick. Tack. Bald. Einfach vorbei. Meine Mutter betete für mich, sie wurde schon gefragt, wann ich denn vorhatte, endlich arbeiten zu gehen und wie würde ich das dann nur mit den Kindern lösen? Wollte ich etwa erst nach meinem 30iger Mutter werden? Bald knirschte ich nur noch mit den Zähnen.

Bald knirschte ich nur noch mit den Zähnen.

Und dann war da plötzlich das erste Klassentreffen. Kollegen und Kolleginnen, die schon Titel hinter ihren Namen angesammelt hatten, und man schenkte Lächeln aus, man schenkte sich gegenseitig Grinser und weitaufgerissene Augen, steife Gesichter tauschten Gespräche miteinander, stets bemüht, sich nicht gegenseitig auszulachen, stets bemüht, nicht zu viel Mitleid auszuschütten.

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Ihre, entschuldigen Sie, Scheiße interessiert? Warum sich niemand mehr nach Ihrem Stuhlgang erkundigt? Wissen Sie eigentlich, was passiert, wenn Sie ihre Scheiße für sich behalten und nicht rauslassen?“

Sein rundes, glatt rasiertes Gesicht zog sich kurz nachdenklich zusammen, bevor ein heftiger Schmerz seine Züge kontrollierte. „Oh, ja, ja…“ Ich wollte gerade etwas fragen, als ich spürte, wie mein Speichel explodierte und meinen Mund überschwemmte, ich nahm einen Schritt Abstand und plötzlich stach mein Bauch so heftig, dass ich wegknickte.

zufallen, denn er sagte: „Ist das Ihr Blinddarm? Bei mir ist es auch der Blinddarm!“ Ich schüttelte den Kopf, bekam nur noch schwer Luft, krümmte mich weiter zusammen, tastete mich ab. „Mein Darm, das ist …“ „Das war eine Darmentzündung.“ Es ist der Arzt aus der Vorlesung, der Darmarzt. „Wir haben ihn gespült und Sie hatten Glück, er hätte fast für einen Ileus gesorgt. Sie werden noch längere Zeit Diät machen müssen und erm ... ich empfehle Ihnen, sich regelmäßig kontrollieren zu lassen, damit wir sicher sein können. Und das sage ich Ihnen gerade, weil Sie Medizinerin sind.“ „Ich bin keine Medizinerin“, krächzte ich. „Ach, wegen der einen Prüfung ist das auch nicht mehr so genau.“ Er lächelte mich schief an. „Aber ich hätte noch ein paar Fragen an Sie.“ Ich nickte. „Hatten Sie gar keine Bauchschmerzen in letzter Zeit?“ Doch. Doch. Ich hatte eigentlich ganz üble Bauschmerzen. Als ich aus dem Krankenhaus draußen war, fühlte ich mich, als hätte mir jemand das Gesicht gewaschen, als hätte mir jemand meine gesamte Haut abgerieben und ich mich gehäutet, ich fühlte es ganz klar, ich musste mit meiner Mutter über Scheiße reden. Ich musste endlich in den Abgrund. Ich hatte ihr gesagt, was ich wollte und alles, was sie erwiderte, war: „Du wirst kurz vor Ende nicht Studium schmeißen, sei nicht dumm.“ Also drehte ich mich wieder Richtung Gipfel, doch für einen Turnusplatz bewarb ich mich nie. Stattdessen suchte ich mir irgendeinen Nebenjob und begann wieder, mich wirklich auf das vorzubereiten, womit ich meine Zukunft ausfüllen wollte. Und jeden Abend spiele ich mir die Stimme heiß, die Haut so feucht, jeden Abend arbeite ich bis in die Nacht. Ich finanziere mich in all meinen Facetten, um das sein zu können, was ich will, mir und meinem Darm einen freien, wenn auch harten Gang zu ermöglichen.

„Geht es Ihnen nicht gut? Ist alles in Ordnung?“ Der Schauspieler rutschte von der Liege herab und führte einen kleinen, unsicheren Tanz vor mir auf. Ich stöhnte, hielt mir die Seite, es schien ihm auf-

Der Kübel neben mir ist nur gering mit Scheiße gefüllt, ich ziehe ein Tampon aus der Toilette, werfe es in einen Müllsack und dann entleere ich den Kübel. Ich spüle, dann ist die Toilette wieder frei.

Mein Kopf schaukelte wild, kalter Schweiß schwemmte meine Hände, mein Herz hatte so wild begonnen, auf meiner inneren Bühne rumzuspringen, dass nun mein gesamter Körper bebte. „Ihr Darm platzt und dann sterben Sie, vermutlich nur, weil sie nicht auf die Toilette gehen wollten, um alles immer und immer wieder einmal rauszulassen. Viele schämen sich dafür, das auf einer öffentlichen Toilette zu tun. Dabei ist es nicht einfach nur wichtig für unseren Körper, sondern es bedeutet deutlich mehr. Wir sind uns alle einig, dass Scheiße eine private Angelegenheit ist, eine, die den anderen sogar unangenehm sein könnte, wenn Sie darüber sprechen. Sie können noch mehr Sachen privat halten – Ihre Konfession, Ihren Lohn, Ihr Kreuz bei der Wahl. Wir sind reich, wir sind arm. Wir wählen, wir wählen nicht. Wir glauben oder wir glauben nicht. Aber wissen Sie was, ganz egal, was Sie davon haben oder nicht haben, tun oder nicht tun, kacken müssen wir alle.“

Und eine in unserer Klasse, Isa, die wurde nicht viel gefragt, doch dann erzählte sie, dass sie etwas Geisteswissenschaftliches studierte und alle stürzten sich wie ein Rudel Wölfe auf sie, denn was will sie denn danach machen? Was hat sie da für eine Perspektive? Sie war trotz Studium in den Abgrund gesprungen. Und Isa zuckte nur mit den Schultern. Ihr Studium interessierte sie. Sie würde schon etwas finden. „Ja, für viele heißt es: Klugheit ist Geld, ist Status. Aber nicht für mich, ich mach´ Geschichte, weil es mich interessiert.“ Und die, die etwas studierten, das sie nie wollten, wo das Interesse gar keinen Platz hatte, die warfen sich auf Isa, rissen sie auseinander, versteckten das Lachen nicht mehr, zerhackten sie mit Verachtung und warfen Mitleidgas auf sie. Und neben mir stand ein alter Kollege, der schüttelte den Kopf und sagte: „Ich versteh das nicht. Hat sie sich halt nicht für Geld entschieden, ja und? Jeder hat einen Grund, warum er studiert, und das ist okay. Geld oder kein Geld – ich verstehe ihre Fragen nicht.“ Mein Magen begann zuerst sehr still zu grummeln, das Lernen kotzte mich an, der Blick der Bücher bohrte sich tief in mich hinein, die Strenge, die fragenden Augen

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meiner Familie, der umstehenden Personen und ehemaligen Klassenkameraden, die tickende Uhr, Isa. Und plötzlich verharrte ich, rührte mich nicht mehr, holte mir meine Bücher ins Bett und sie blieben kalt in der Nacht, ich verließ die Wohnung nur mehr zum Einkaufen, kesselte mich fest, ignorierte die Anrufe von den Kreisen, zu denen ich durch die Kunst gekommen war. Die Kunst starb. Ich wusste, dass sie starb. Aber es gab Wichtigeres als das, ich brach mit der Kunst, verriegelte mich, stopfte alle Stimmen aus und schob sie tief in mich hinab, wo sie mich in Träumen jagten, aber nie wieder körperlich berühren konnten. Ich opferte diese Jahre an den Geldschrein, dass er mir in Zukunft ermöglichen soll, mein Leben zu gestalten. Etwa ein Jahr vor meinem gekrümmten Ziel kam ein Professor in den Hörsaal, der den Darm liebte. Er erzählte von seiner Tochter, die gerade frisch entbunden hatte und nur mehr die Themen Fäkalien und Schlaf kannte. Er setzte sich auf den großen Tisch in der Mitte, seine Stimme hallte im Saal, ganz ohne Mikrofone. „Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum sich heute niemand mehr für

Am Tag meiner wichtigsten Prüfung zerrte mich mein Bauch nach unten, weil ich ein Prüfungsschisser war. Sorgen blähten in meinem Bauch, irgendwo schwoll die Hoffnung, dass es bald, bald vorbei sein würde. Schweiß trieb mir über meinen gesamten Körper, mein Puls donnerte durch mich hindurch, da ging ich durch die erste Tür, um einen – vermutlich – Schauspieler zu untersuchen, der so tat, als hätte er irgendeine Krankheit, die ich möglichst korrekt diagnostizieren musste. Er klagte über furchtbare Bauchschmerzen, ich tastete seinen dicklichen Bauch ab. „Tut es hier weh?“

Wissen Sie eigentlich, was passiert, wenn Sie ihre Scheiße für sich behalten und nicht rauslassen?

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Marcuse & das

NEINSAGEN Ein wirrer Infektiologe hier, eine Verschwörungstheoretikerin mit antisemitischen Wahnvorstellungen dort. Als wäre es nicht schon schlimm genug, unablässig von solchen Menschen – digital als auch analog – behelligt zu werden, beschwört ein nicht unerheblicher Teil der Öffentlichkeit das stete Mantra vom toleranzgetriebenen gegen­ seitigen Zuhören. Herbert Marcuse erteilt dem eine Absage und hilft beim Neinsagen. Text: David Mehlhart

Im Gegensatz zu seinen Kollegen Adorno und Horkheimer war Herbert Marcuse ein Theoretiker mit einem gehörigen Zug hin zur Praxis. Nicht nur unterstützte er die ersten aufflammenden Studierendenproteste im Kalifornien der 6oer Jahre, ergriff etwa Partei für Angela Davis und sprach sich gegen den Krieg in Vietnam aus, sondern auch seine theoretischen Arbeiten zeugen vom Versuch, die Schreibmaschine mit der Straße zu verbinden. Wo Adorno vor nackten Brüsten zurückschreckt, fängt Marcuse erst an. Diese Prämissen sind es auch, die den Aufsatz mit dem Titel „Repressive Toleranz“1 durchziehen. Marcuse unterzog den Toleranzbegriff in diesem im Jahr 1965, quasi am Vorabend der 68er-Bewegung, erschienen Text einer radikalen Kritik. Dabei legte er den dialektischen Charakter der Toleranz offen, der sich auf der einen Seite darin begründet, die bestehenden Verhältnisse einer Gesellschaft zu zementieren und noch weiter einzuschleifen - dies bezeichnet er als repressive Toleranz. Dem gegenüber steht aber eine Toleranz, die emanzipatorische Sprengkraft besitzen kann. Dazu muss sie aber, so Marcuse, als ein parteiliches Ziel, ein subversiver, befreiender Begriff und als ebensolche Praxis gedacht werden, und verweist damit auf die Rolle, die die Toleranz während der Aufklärung spielte. Konkret heißt das für den ersten Fall etwa, dass ein Staat etwa so lange Demonstrationen (aber auch Presse, Wahlen, usw.) und Kritik zulässt, sprich mit Toleranz bedenkt, als diese nicht sein Fortbestehen gefährden. Vorhandene Opposition kann vermittels

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der repressiven Toleranz effektiv eingemeindet werden. Dadurch wird Toleranz sogar zu einem herrschaftsstabilisierenden Instrument und stärkt die Tyrannei der Mehrheit wie Marcuse es ausdrückt. Dieser passive Zustand der Erduldung, der in Regression umschlagen kann, kann nur überwunden werden, wenn Toleranz diese scheinbare ideologische Indifferenz der zu wählenden Alternativen hinter sich lässt. Salopp gesagt muss sich die Toleranz auf eine Seite schlagen, Partei ergreifen und sich intolerant gegenüber den Wortführern des unterdrückenden Status quo verhalten. Denn in einer durchbürokratisierten Welt toleriert das Volk die etablierte Politik nicht - es erleidet sie. Wie kann man nun aber möglichst zweifelsfrei feststellen, gegen wen oder was man Intoleranz aufbringen sollte? Dies beantwortet Marcuse etwas kryptisch, indem er sagt: Das Telos der Toleranz ist Wahrheit. Wahr ist bei Marcuse all das, kurz gesagt, was den Menschen dazu verhilft, daß erfahren und begriffen wird, was ist, sein kann und zur Verbesserung des Loses der Menschheit getan werden sollte. Das ist nun wohl der richtige Zeitpunkt, um den Schritt raus aus der bloßen Theorie, rein in die Praxis des öffentlichen Diskurses zu machen, um Verwirrung vorzubeugen, aber vor allem um zu illustrieren, wie schnell, selbst in bester Absicht, entgegengebrachte Toleranz ihre destruktive Wirkung entfalten kann und gleichsam ins Gegenteil umschlägt. Und an Beispielen mangelt es wie eingangs beschrieben nun wirklich nicht.

Linke nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Es gab etwa Zeiten, in denen war es das banalste der Welt, dass Männer und Frauen, die sich als Sozialist*innen oder gar Kommunist*innen verstanden, Religionen im vollen Umfang und radikal ablehnten. Religionen in ihren sämtlichen Ausformungen waren tabu und die Massen dieser Welt galt es vor diesem Grundübel zu bewahren. Wahlweise handelte es sich um Opium fürs Volk, wie Karl Marx es ausdrückte, oder um einen Verblendungszusammenhang, wie es etwa die Theoretiker*innen der Frankfurter Schule bezeichneten. Die Sache schien glasklar, zumal auch im wohl zentralsten Lied der globalen Linken, der Internationalen, kämpferisch gesungen wurde: Es rettet uns kein höh'res Wesen /kein Gott, kein Kaiser noch Tribun / Uns aus dem Elend zu erlösen / können wir nur selber tun! Die Linke wusste also wo der Feind steht, doch 2020 wäre nicht 2020, wenn nicht sogar solche unumstößlich anmutenden Gewissheiten nichts mehr gelten würden. Nachdem ein islamistischer Attentäter in Wien vier Menschen im Namen seiner faschistischen Ideologie abknallte, kam es zu einer öffentlichen Debatte, die so oder so ähnlich schon etliche Male – wenn auch leider bis jetzt nicht mit äußerster Konsequenz – geführt wurde. Rechtsaußen, aber auch bis weit in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hinein, begann man eilfertig die hinlänglich bekannten Schmalspuranalysen abzuspulen, die spätestens dann scheitern, wenn man einsehen muss, dass man der Ideologie des Attentäters eigentlich nähersteht als einem lieb ist. Und das im Grunde doch sehr bürgerliche linksliberale Milieu tappte hingegen umgehend in die Verständnis- und Toleranzfalle und brachte Argumente hervor, wie etwa Ausgrenzungserfahrungen durch die Mehrheitsgesellschaft usw. Zu groß wiegt die Angst, man mache sich dadurch mit Neonazis und Faschisten gemein (Diese Dynamik legt Pascal Bruckner in seinem jüngst erschienen Buch „Der eingebildete Rassismus“ ausführlich dar2). Auch hier kam man dem eigentlichen Kern dieser ab-

scheulichen Tat nicht wirklich näher, wenn man sich nicht mit Argumenten a la „ein mehr an Bildung könnte dies verhindern“ abspeisen lassen will. War man nun auf der Suche nach einer radikalen und zufriedenstellenden Kritik musste der Blick weiter hoffnungsvoll nach links wandern. Dorthin, wo man es mit der Kritik an Staat und Kapital noch ernst meint: zur Sozialistischen Jugend (SJ) Österreich etwa. Dort schien man

Denn so sehr sich die Menschen auf diesen Demos als Avantgarde oder Stachel im Fleisch der Mächtigen begreifen, so konform ist ihre Kritik, dass sie stromlinienförmiger nicht sein könnte.

demokratischen Gesellschaft sein müssen. Doch diese Objektivität neigt in der spätkapitalistischen Gesellschaft dazu, den Unterschied zwischen wahr und falsch, Information und Propaganda, Recht und Unrecht zu verwischen. Für das angeführte Beispiel, den Post der SJ Österreichs, heißt das konkret, dass Ereignisse enthistorisiert und ihrer spezifischen Qualitäten entkernt werden. […] die Entscheidung zwischen gegensätzlichen Ansichten [ist] schon vollzogen, ehe es dazu kommt, sie vorzutragen und zu erörtern […] schreibt Marcuse weiter. Die SJ geht diesen Weg, der konträr zur radikal linken Verteidigung universalistischer Werte bzw. Religionskritik verläuft, in der Hoffnung den fragilen Zustand einer Gesellschaft, in der es bisweilen Usus ist, jeder noch so totalitären Ideologie freies Spiel zu lassen und jeder noch so abstrusen religiösen Befindlichkeit Toleranz entgegenzubringen, auszubalancieren, damit allen Seiten Genüge getan wird und somit in Gottes Willen endlich Ruhe einkehrt. Das Ergebnis dieser vorgegaukelten Fairness, so Marcuse weiter im Text, ist eine Neutralisierung der Gegensätze. Ist dann der Schaden erst einmal passiert, ist guter Rat plötzlich teuer.

aber ein gewagtes Crossover-Unterfangen zu betreiben. Auf diversen Social Media Kanälen postete man fromm eine Präsentation, die der Frage nachging, ob Religionen denn nun wirklich zu Gewalt aufrufen (Spoiler: in 2000 Jahre alten Schriften, die man generell nicht so bierernst nehmen sollte, kommt Gewalt in mannigfacher Ausführung vor). Die sozialistische Bibel- bzw. Koranexegese war

Links, Rechts, Oben und Unten: Mittlerweile alles egal Ein Ort, an dem man dieses konsequente Ignorieren des Gehaltes von Aussagen und Standpunkten respektive des Inhalts im Allgemeinen zur Hauptaufgabe gemacht hat, ist der Salzburger Fernsehsender Servus TV. Alles zählt solange es nur im Entferntesten eine Meinung ist und je abwegiger, desto besser. Wo dieser Sender bzw. sein Eigentümer politisch steht ist ausreichend dokumentiert. Dennoch lohnt es sich mit Marcuse im Augenwinkel einen Blick auf die Einladungspolitik des Senders zu werfen. Dort fühlt man

damit geboren, könnte man nun unken, wenn es nicht gar so tragisch wäre. Marcuse stellte fest, um auf die eingangs gestellte Frage nach einem fassbaren Wahrheitsbegriff zurückzukommen, dass Objektivität und Unvoreingenommenheit grundlegende Prämissen einer

sich nämlich seit jeher bemüßigt mit allen zu sprechen, koste es was es wolle. Negativ denkwürdig waren die zwei Abenden, an denen man mit Martin Sellner einen Rechtsextremen einlud. Dieser ließ sich nicht zweimal bitten und nütze die ihm offerierte Bühne selbstredend aus, um

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sich schamlos als Opfer zu gerieren. Der Sender, und man kann ihm an dieser Stelle durchaus eiskaltes Kalkül attestieren, verfestigt damit einen Irrglauben, der in weiten Teilen der Gesellschaft als Tatsache gilt: Rechtsextreme sind lediglich Linksextreme mit anderen Vorzeichen. Landläufig nennt man diese Auffassung des politischen Spektrums „Hufeisen-Theorie“. Dabei wird davon ausgegangen, dass es so etwas wie eine neutrale politische Mitte gibt, die in der Regel auch positiv konnotiert ist. Diese bildet gleichsam den Scheitelpunkt des imaginierten Hufeisens. Die beiden sich annähernden Enden symbolisieren sowohl den Rechts- als auch Linksextremismus. Der große Schwachpunkt des Modells besteht darin, dass es nahezu vollständig vom Inhalt der jeweiligen Standpunkte abstrahiert wird und es so zu einer folgenreichen Gleichsetzung kommt. Marcuse greift diesen Punkt ebenfalls auf, indem er festhält, dass schon auf der Ebene der Sprache bzw. wie über etwas gesprochen wird, vorbestimmt ist, wohin die Reise geht, wobei die Destination meist der schnöde Erhalt des Status Quo ist. Dies geschieht durch eine Vorab-Bewertung des Gesagten. Der Sinn der Wörter wird streng stabilisiert (Links und Rechts sind zwei Seiten derselben Medaille) und [d] amit endet der Prozess der Reflexion dort, wo er anfing: in den gegebenen Bedingungen und Verhältnissen, heißt es bei Marcuse. Dass eine rechtsextreme Ideologie, wie sie etwa von Sellner vertreten wird, in letzter Konsequenz Mord und Barbarei an Menschen bedeutet, die nicht dem eigenen Weltbild entsprechen, wird dabei stillschweigend unter den Tisch fallen gelassen. Und als wäre das nicht schon Skandal genug, werden im selben Aufwische linke Positionen mit denen gleichgesetzt, die im Zweifel den Tod hunderttausender Menschen in Kauf nehmen. Ähnliches lässt sich in nahezu jeder Sphäre der Gesellschaft feststellen. In der Schule etwa, führt Adorno in seiner Soziologie-Vorlesung von 19683 aus, wird den Schüler*innen nur auf sehr einer sehr formalen und oberflächlichen Ebene das politische System nähergebracht, ohne dabei auf die strukturellen Faktoren intensiver einzugehen. Es gäbe linke wie rechte Parteien, Arbeitnehmerverbände und Gewerkschaften, usw. usf., die halt irgendwie auf- und gegeneinander wirken. Dass aber etwa die Frage, wer wie in welchem Umfang über Ressourcen und Produktionsmittel verfügen darf, der eigentliche Antrieb und Konfliktherd einer antagonistischen Gesellschaft ist, wird tunlichst versucht auszusparen. Auch dieses bockige Verhal-

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ten, heiße Eisen nicht anzufassen, wie Adorno es nennt, mündet in der vollumfänglichen Duldung des Bestehenden. Rebellion des Konformismus Servus TV ist aber dermaßen überzeugt von diesem Modus Operandi, dass man ihn kurzerhand auf die Berichterstattung und Kommentierung der CovidPandemie übertragen hat. Man heuerte den Wirrologen (sorry an dieser Stelle) Sucharit „Es-gabnie-eine-Pandemie“ Bhakdi an und ließ das Format „Corona-Quartett“ vom Stapel. Erklärtes Ziel dieser Sendung ist es, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die in großen Schlagzeilen ansonsten leicht einmal untergehen. Was dabei rauskommt sind im besten Fall Waldund-Wiesen-Einschätzungen und Allgemeinplätze à la „ich bin kein Mediziner, aber…“ und im Grunde sind diese auch keiner eingehenden Betrachtung wert. Spannender hingegen ist es, die Empfängerseite genauer unter die Lupe zu nehmen, die ausgestattet mit dieser verklausulierten Wohlfühl-Eugenik in der freien Wildbahn als Multiplikator*innen fungieren.

Wie soll man in diesem Dschungel und Gewusel an Standpunkten und Meinungen noch durchblicken?

Gerade spannend ist diese Formation– deren Teilnehmer*innen an dieser Stelle schlicht als „Corona-Rebellen“ bezeichnet werden sollen (die Ironie dahinter wird hoffentlich bald klar werden) – deswegen, weil sie schon fast als kitschige Verwirklichung von Marcuses Essay darstellen, indem sie zeigen, dass ein Staat und seine Exekutive sehr genau weiß, von welchen Kräften reale Gefahr für etwa die Eigentumsverhältnisse ausgeht und von wem eben nicht und dementsprechend Toleranz walten lässt bzw. sie rigoros entzieht. Vor diesem Hintergrund sind auch die unzähligen Demonstrationen gegen etwaige Corona-Maßnahmen zu sehen, die sowohl in Millionenstädten wie Berlin abgehalten wurden, aber auch in der entlegensten Provinz ihre Entsprechungen fanden. Soweit diese Orte auseinander liegen mögen, so sehr glichen sich die Anliegen der Teilnehmer*innen, aber auch die Reaktionen seitens der Polizei. Denn so sehr sich die Menschen auf diesen Demos als Avantgarde oder Stachel im Fleisch der Mächtigen begreifen, so konform ist ihre Kritik, dass sie

stromlinienförmiger nicht sein könnte. Grausige Beispiele sind etwa die unzähligen den Holocaust relativierenden Analogien, wonach man Widerstand leiste, wie einst etwa Sophie Scholl. Marcuse räumt zwar in seinem Text ein, daß es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein »Naturrecht« auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben. Doch zum einen sind die Teilnehmer*innen dieser Kundgebungen weder eine Minderheit. Vielmehr sind es Personen aus soliden und durchschnittlichen Verhältnissen, die sich hier einer massiven, z.B. durch das Tragen eines MNS oder Kontaktbeschränkungen indizierten, Diskriminierung ausgesetzt sehen. Zum anderen sind die „Analysen“ und „Kritiken“, die geäußert werden quasi Staatsräson. Gefordert wird etwa nicht zu Gunsten der Gesundheit von Mitmenschen Einschränkungen der wirtschaftlichen Produktion hinzunehmen, sondern geradezu das Gegenteil. Vollkommen willfährig und im Sinne einer neoliberalen Ideologie werden Werte wie Solidarität über Bord geworfen und durch bedingungslose Survival-OfThe-Fittest-Egomanie ersetzt, die einer steten Entfremdung im marxistischen Sinne reibungslos in die Hände spielt. Georg Seeßlen brachte dies Anfang August mit der Wendung „darwinistischer Turbokapitalismus und neonationalistischer Populismus“ auf den Punkt.4 Nahtlos in dieses Bild fügen sich die Bilder aus Berlin ein, wo ein wildes Sammelsurium von Esoteriker, Hippies und Neonazis nahezu ungehindert auf die Treppen des deutschen Reichstages stürmten; ein paar Monate später hingegen über 1500 Polizisten herbei beordert werden, wenn es um die Räumung eines besetzten, aka dem Markt entzogenen Hauses geht. Die Scheinproteste der CoronaRebellen bestätigen Marcuses Aussage, wonach Toleranz noch dort geübt wird, wo der ökonomische und politische Prozeß einer allseitigen und wirksamen Verwaltung im Einklang mit den herrschenden Interessen unterworfen wird. Die zeitloseste aller Fragen Was tun lautet nun die Frage frei nach einem großen russischen Philosophen. Wie soll man in diesem Dschungel und Gewusel an Standpunkten und Meinungen noch durchblicken? Wem muss ich tolerant gegenüber sein und wo sage ich klar und deutlich nein? Wie kann man die Toleranz wieder zurückführen, zu ihrem emanzipatorischen Moment? Aber vor allem, welche praktischen Handlungsoptionen bleiben, um der Regression Einhalt zu gebieten und sich gleichzeitig den alten wie mögli-

chen neuen Herren zu entledigen, um zu verhindern, dass sich abermals die Henker mit ihren Opfern […] versöhnen? Marcuse zeigt sich diesbezüglich nicht sonderlicher wortkarg und wird, gemessen am Maßstab der Frankfurter Schule, mitunter sehr explizit. Die Bedingungen, unter denen Toleranz wieder eine befreiende und humanisierende Kraft werden kann, sind erst herzustellen, gibt Marcuse zu bedenken und meint damit, dass die bestehenden und eingeschliffenen Verhältnisse aufgebrochen werden müssen, um wieder so etwas wie wirkliche Opposition zu ermöglichen. Dazu muss versucht werden über scheinbare Grenzen hinweg zu denken und denjenigen, die vom Ende der Geschichte und einer Welt frei von Ideologie fabulieren, um den Druck aus dem Kessel zu nehmen, strikt widersprochen werden. Dieser lähmende Zustand, dass Alternativen, die einen Fortschritt der Zivilisation, ein Mehr an Menschlichkeit und Verringerung von Gewalt und Elend nur innerhalb der gegebenen Umstände gesucht werden, gehört überwunden. Wenn Marcuse also langwierig schreibt, dass den kleinen und ohnmächtigen Gruppen, die gegen das falsche Bewußtsein kämpfen, muß geholfen werden: ihr Fortbestehen ist wichtiger als die Erhaltung mißbrauchter Rechte und Freiheiten, die jenen verfassungsmäßige Gewalt zukommen lassen, die diese Minderheiten unterdrücken, meint er damit, dass all jenen, die kein Interesse daran haben den z.B. sexistischen, rassistischen oder religiös-fundamentalistischen Status Quo einer radikalen Kritik oder gar einer Veränderung zu unterziehen, eine Absage erteilt werden muss. Auch wenn diese Kräfte noch so gut versuchen mit ihrem toleranten Gebaren ihre wahren Absichten zu verschleiern. Mit anderen Worten: Es muss auch einmal Nein gesagt werden.

1 Herbert Marcuse: Repressive Toleranz, Frankfurt a. M., 1965. (Online unter: https:// www.marcuse.org/herbert/ pubs/60spubs/1965MarcuseRepressiveToleranzDtOcr.pdf) 2 Pascal Bruckner: Der eingebildete Rassismus, Berlin, 2020. 3 Theodor W. Adorno: Einleitung in die Soziologie (1968), Frankfurt a. M., 2003. 4 Georg Seeßlen: Paranoia, Taktik und Spektakel, 2020. (Online unter: https://www. neues-deutschland. de/artikel/1140754.corona-rebellen-paranoiataktik-und-spektakel. html)

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SILVANUS

Text: Lisa Rachbauer

L

eises Plätschern erfüllte die kühle Luft, gelegentlich untermalt vom Zwitschern der Vögel oder Knacken im Dickicht. Wie hypnotisiert beobachtete der Mann, wie sich Tropfen um Tropfen der glänzenden Flüssigkeit in der Schale sammelte. Gut gelaunt summte er dabei vor sich hin, wandte den Blick ab und sah den Windspielen beim Tanzen zu. Währenddessen dachte er eifrig nach, wie er die neuen Materialien am besten verwerten konnte. Er hatte schon lange vor, sich eine neue Panflöte zu schnitzen – die alte war zu spröde geworden. Wenn er es sich vernünftig einteilte, würde er möglicherweise sogar noch ausreichend Fragmente für ein paar Ketten oder Windspiele haben. Zufrieden mit seinem Plan richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf sein erstes Ziel. Die Schüssel war mittlerweile randvoll und die Quelle versiegt. Als er sie zur benachbarten Wand trug, fiel der Blick des Mannes auf seine Hände. Das Rot war seit dem letzten Mal eingetrocknet und hatte sich zu einem hässlichen Kupferbraun verfärbt. Bei der Wand angelangt, tauchte er bedächtig die Hand in die Schale und drückte sie schließlich fest gegen den rauen Fels. Ein prächtiger roter Abdruck blieb zurück. Der Anblick erfüllte ihn jedes Mal erneut mit Stolz. Das alles war sein Werk, er hatte es aus dem Nichts geschaffen. Und doch bohrte sich wie ein Dorn ein Hauch von Wehmut in sein Herz. Hätte er doch nur jemanden, mit dem er seine Leidenschaft teilen und dem er sein tiefstes Innerstes offenbaren- Nein, das war unmöglich. Sie würden es nicht verstehen, würden versuchen ihn aufzuhalten. Das konnte er nicht zulassen. Kur-

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zerhand schüttelte er diesen Anflug von Emotion ab und straffte die Schultern. Es gab noch viel zu tun. Bald würde sie aufwachen. Beschwingt stellte er die Schüssel ab und ging vor seiner jüngsten Beute in die Knie. Die Augen noch immer fest geschlossen, ging ihr Atem ruhig und regelmäßig, obgleich sie einiges an Blut verloren hatte. Zärtlich strich er ihr über den Hals, fühlte ihren Herzschlag. Seine Finger hinterließen dabei hellrote Spuren. Wie schön sie war, dachte er. Beinahe tat es ihm leid, sie zu töten.

Wen hättest du denn sonst hier draußen erwartet, wenn nicht mich? Endlich begannen ihre Augenlider zu flattern. Als sich ihre Augen öffneten, erinnerte ihn der Ausdruck an den eines scheuen Rehs. Ihr Blick wanderte einen Moment hektisch, bis er an ihm hängen blieb. Nachdem sie realisiert hatte, wo sie sich befand, verfiel sie in Panik. Eine Weile beobachtete er, wie sie mit ihren Fesseln kämpfte, dann setzte er sein breitestes Lächeln auf. „Hab keine Angst vor mir“, säuselte er. „Mach mich los! Wer bist du und was willst du von mir?“, presste sie mit zitternder Stimme hervor. „Ich will dich. Du solltest dich geehrt fühlen. Heute Nacht wirst du Teil eines unglaublichen Spektakels sein. Eine Sa-

che, viel größer als wir selbst.“ Sprachlos sah sie zu, wie er aufstand und mit einer feierlichen Geste nach einer Fackel griff. Der warme Schein erleuchtete den Rest der Höhle, wobei seinem hübschen Fang ein markerschütternder Schrei entkam, als sie in dem leblosen Körper in der Ecke ihren Freund erkannte. „Er?“, deutete er auf die blutleere Leiche. „Mach dir um ihn keine Sorgen, schon in Kürze wirst du ihn wiedertreffen.„Er genoss das kalte Blitzen der Angst in ihren Augen, während er sprach. „Und du hast das Beste noch gar nicht gesehen. Sieh mal da rüber“, wies er sie an. Er konnte förmlich dabei zusehen, wie ihr das Blut in den Adern gefror, als sie die unzähligen Handabdrücke an der Wand entdeckte. „Einen für jeden, der sich in meinen Wald wagt“, erklärte er stolz. „Oh Gott, bitte nicht. Lass mich gehen“, flehte sie ihn an. Gespieltes Mitleid mischte sich in seinen Blick, als er sich über sie beugte und sein Messer zückte. „Ganz ruhig“, flüsterte er leise. „Es wird nicht lange wehtun.“ Ein weiteres jämmerliches Schluchzen war die Antwort. Langsam wurde er ihrem Betteln überdrüssig. Die heißen Tränen ließen ihr Gesicht anschwellen und ihre Schönheit schwinden. Angewidert packte er sie mit eisernem Griff am Haarschopf und brachte sie in Position. „Du Monster“, flüsterte sie tränenerstickt. „Wen hättest du denn sonst hier draußen erwartet, wenn nicht mich?“, war das letzte, das sie hörte, bevor ein scharfer Schmerz an ihrem Hals und der damit verbundene Blutverlust ihr die Sinne raubten.

BEISL-HOMMAGE

DENKMAL In den Zeiten Coronas bleiben die Beisltüren leider geschlossen. Neben Prokrastinieren bleibt also nur noch die Nostalgie: 2016 schloss mit dem „Denkmal“ ein legendärer Zufluchtsort für Nachtschwärmer für immer seine Toren. Die letzten Tage des „Denkmal“ waren nicht ruhmreich, aber immer noch besser als alles, was die Mozartstadt heute zu bieten hat.

ZEITZEUGENBERICHT aus dem Jahre 2015

von Carlos P. Reinelt

Nachdem mir neben dem üblichen Zigarettenrauch immer wieder Zigarrenrauch in den Augen brennt, frage ich mich langsam wirklich, was ich hier noch mache. Aber gut, meistens wird es erst ab zehn Uhr spannend. Und ich habe seit fast einem Monat nicht mehr gejammt. Vor der verwahrlosten Bühne sitzt wieder die eine mit ihrem MandalaPoncho und dieser Goa-Hose, die zwischen den Beinen fast den Boden berührt, wie diese Kotsäcke an den Kutschen, in die die Pferde hineinscheißen. Und sie strickt. Natürlich. Hippiemädchen, ranzige Leute … und Bokasch stimmt seine Gitarre. Er heißt Bokasch. Wahrscheinlich. Nachdem ich ihn drei Wochen hintereinander gefragt habe, wie er denn hieße, habe ich mir eine Eselsbrücke mit „Pocahontas“ gebaut. Ich weiß nicht genau, wo die Verbindung liegt, aber es funktioniert. Als Nepalese ist er von den amerikanischen Ureinwohnern wahrscheinlich noch weiter entfernt als ich, aber wie gesagt, es funktioniert. Dabei bin ich mir nicht einmal

sicher, ob er wirklich Bokasch heißt. Im „Denkmal“ ist es immer laut und er spricht undeutlich. Der Ablauf ist immer derselbe. Wir geben uns die Hand, wir sagen „Guten Tag“ und „schön dich zu sehen“ und fragen nach unserem Befinden. Darauf versichert er mir unter dreifachem Nicken „Gut! Gut! Gut!“. Dann switchen wir auf Englisch, und ab da wird es richtig happig. Ich drücke meine Ohren an seine Lippen und verstehe trotzdem nur jedes dritte Wort. Aber das tut nichts zur Sache. Einmal waren wir die beiden letzten im „Denkmal“ und zum Leiden der Barkeeperin haben wir uns zwei Stunden lang bis Ladenschluss unterhalten. Prächtig unterhalten. Dabei hatte ich über weiteste Strecken keine Ahnung, wovon er redete. Normalerweise sehen wir uns nur Montag abends, bei der wöchentlichen Jam Session. Ein Konglomerat gescheiterter Musiker, die gemeinsam im Rausch nach den letzten Fetzen ihrer Kreativität tasten. Daneben ein paar Kandidaten, die man grinsend lieblich mit

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ftig n vor der Tür krä Während wir drauße ich gle wir darüber, was ziehen, scherzen ben sel die Es sind immer gespielt wird. e ein ist Er h runterfidelt. Riffs, die Bokasc los -So yer Sla ge, spielt Maschine, keine Fra Null. Improvisation? r abe u, punktgena von her sic en iel esp Gitarr Nada. Er hat das Varider Mit t. ern gel Youtube-Tutorials n, nur n er nicht umgehe kan sch Men e abl in der ühl, kein Rhythmus, Technik, kein Gef gut her sic wäre er klassischen Musik

hier sie im Allgemeinen Die Nepalesen, wie beheimatet. Sie da. on sch sind auch genannt werden, r h kla eingene Truppe, die sic als wir wieder hin sind eine homoge Und tatsächlich, liegt ls in rma Das . abe ebt ank abh est ten eng tal und mir der Zigarr von den anderen Ges hen en. annich ich schon die bek tfarbe oder dergle Nase beißt, höre nicht an der Hau die al“ ada! nkm Dad Besucher im „De domdadudum! Da Da Aber die üblichen ten Akkorde, dum ich lie an und dar i nzt. Das mag Da Dadada! Tob sind einfach abgera Dumdomdadudum! Da h sic vor r ode ei, d, dab rbieten uns klich arm sin gen, dass sie wir lachen nur und übe Er sge . and elt lst spi Woh es als nächst renzung zur als bewusste Abg herzusagen, was er er, ren. Das Ergebnis tie sische Volkslied sen ale prä nep so auf t sellschaf wechselt den das Bei ern el. att ind erg Ges els h i-Kump Einfac ist das gleiche. seine Schicki-Mick fall Ver ere inn ser t die Nepalesen schein Mikro und singen. n: Piktgeschritten zu sei for so ht nic h noc und Schluck bere Hosen, Hemden ade als ich einen feine Schuhe, sau Und plötzlich, ger nehme, mir siker-Biers zu bunte Schals. meines Gratis-Mu kommen der Pupillen. Bil öffnen sich meine ser die die sie von wie der einzige, die Töne, Bokasch ist da der herein. Ich spüre t ht, ich Lic Ges n das Sei . rn, ist angen aufklette Eitelkeit nicht bef Dur-Tonleiter hin d die Wan ai, der Kas i an i iak ffit Nor jungen das seltsame Gra auf erinnert an den das e en, ein Aug die über r die Stirn in die Eine nackte Mumie, lt. Haare hängen übe fäl ?“ ten mit Sai du hübsch. „Willst gekrümmt an den nicht besonders winzige Gitarre und zeigt er ult Sch der an Tobi stupst mich

zupft. Blut fließt unt er meiner Haut und ein süßer Nebel umsäuselt meinen Kopf. Und die Nepalesen... Angeführt vom melodietragenden Bokasch wippen sie hin und her und singen sich aus voller Innbrunst eine Heimat herbei. Die Musik wir d zum Zahnrad, welche s die kantige Oberfläche ihrer Körper füllt. Ich spüre das Ziehen in ihrer Brust und ich kann mir nicht glaube n, als ich mich zu Tob i lehne und sage, „Verda mmt, das hat mich berührt“, und er in ein brüllendes Lachen ver fällt, mir eine Hand auf die Rippen legt und die andere auf den Rüc ken klopft und sagt: „Mich auch! Mich auc h.“ Der Wind des Him alaya zieht durchs „De nkmal“, durch den dicken stehenden Rauch. Auf der Bank haben die zwei Mädchen ihre Sma rtphones weggelegt und eine spricht stumm mit ihren Lippen den Liedtext mit. Schein bar unbemerkt schlüp fen sie aus ihren verkal kten Schalen. Wie es mich entzückt, diese arroganten Gel Nägel-tragenden Mäd els grinsen zu sehen. Die Pubertät kriecht ihnen aus allen Poren, aber das Lachen, und die eine singt jetzt sogar halblaut mit, lässt sie den selbst auferlegten Fremdzwan g des Desinteresses ablegen.

spüre nicht mehr nur das Blut unter meiner Haut, sondern die Ade r auf meiner Stirn. Oasch. Er wuchtelt so heftig hin und her, dass ihm die Zigarr e aus der Hand fällt. Beim Versuch sie auf zuheben, fliegt er fas t hin. Geladen rutsch e ich vom Barhocker , fasse ihn am Arm und stelle ihn zur Rede. Er löst sich schwankend, redet zum Publikum. „Seht ihr denn nich? Die spielen faschistisch Lieder. Das sind nationalistisch Texte! Dagegen hab ich zehn Jahr gekämp f! Pfui!“ Es wird leise. Ich ziehe ihn weg. Auf die Seite zur Couch. „Sie nennen mich der Kommunist,“ speichelt es leise in mein Ohr „sie haben Angst vor mir.“ Er sackt fast in sich hinein, ich bin ratlos, hat er? Ich sehe in Tobis Handin nenfläche und gehe hin aus. In der eisigen Kälte ziehen wir sch nell, gehen wieder hinein, in den stehenden Rauch, schließen an der Bar die Augen und lassen uns vom Wind des Himalaya weit, wei t weg tragen.

Und der Traubensaft füllt meine Mundhöhle und heizt weiter ein . Das hiesige Gesind el tanzt und lacht und freut sich, will tei lhaben an dem Gefühl , dem bittersüßen Gefühl, die verlassene Heimat für einen kur zen Augenblick auf erstehen zu lassen . Manuel unterbricht seinen Gesprächspar tner, um zuzuhören, und der Inder tanzt vor der Bühne mit einem vol len Bierglas auf dem Kopf. Kein Schluck geh t verloren. Und wie ein Elefant in den Elektronikladen platzt er hinein. Hat ten wir so lange seine unangenehmen Zwischenr ufe verdrängt, welche die Nepalesen nur mit unsicheren Blicken kommentierten, steht er jetzt lederjacken vor der Bühne und macht Radau. Ich

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N KULTUR EHCSNE &M MENSCHEN & R UTL U K

KULT

DURCH BLICK DURCH BLICK DURCH BLICL DURCH

Inversteckt in seiner mir den Joint, der en verbau n“ ade sen Sch ale en Nep ein r hat d liegt.„Mhm.“ Die han dem Kommentar „de nen ter hin nervt mich. die man flüsternd Equipment auf. Es ihr Herren sieht, und jene,nicht sein könnte.ben gerade ten di- 1 Herbert stromlinienförmiger Grausige chen neuen zu entledigen, Wor ich zu sel , wennum ener Hand mit den eise kiffe ich nur ve Toler malerw vorgehalt Nor s zus mus Beispiele sind etwa die unzähligen den Holocaust verhindern, dass sich abermals die Henker mit ihren mus Man 1965. (O Warnung. Man e spielen kann. arr Git ach dan tempelt. Wie zur t abs rek […] versöhnen? Marcuse zeigt sich www.m rg sehr Opfern relativierenden Analogien,Ort wonach man Widerwenn die zbu r diesbeSal Abe in . e zen nut che aus pubs/60 en, dass sol erste High gebleiste, das nicht der uokk em n, ein stand wie einst etwa Sophie Scholl. Marcuse züglich sonderlicher wortkarg und wird, geele d seRepre sind, währen ngen haben zu spi efa ang l tma spärlich gesät Ocr.pdf ers er e jed ein s an ten en räumt zwar in seinem Text ein, daß es für untermessen am Maßstab der Frankfurter Schule, mitdes ich ne für min ner Wahrze Wahnsinn als Wie pieren sie die Büh Gesicht unter ins drückte und überwältigte Minderheiten ein »Natursehr explizit.niemand traut sich was zu sa- 2 Pascal on ati -St ahn U-B gebilde größeren Stunde. Und und das recht« auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel lin, 202 e kein Gras dabei springt. gen. Aber ich hab 3 Theodo te. heu nce Cha anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzuDie Bedingungen, unter denen Toleranz wieder eine zte let ne leitung ist vielleicht mei (der tfpuz Manuel gie (196 tulB .kann, en einen ßeiflwerden s neb länglich herausgestellt haben. Doch zum sind befreiende und humanisierende r, das m retnu tKraft e i n che e r H nli a u t tau u n d ers e i o n Ums üpset) n erred hci s g 2003. eßüfti rhehm t bst N rkrä n sic e u b r Tür e sel l d a u s m s B der ä l u u s t e l u vor t n mit t die Teilnehmer*innen dieser Kundgebungen weder sind erst herzustellen, gibt Marcuse zu bedenken und m e n e r i n m ie der Bar gerade oK nedrauße renan U .dfpwir dnren aH ne eidWäh ,tusei os gt dnträ peNich 4 Georg d n.re iist elagle seingewas A rees .ne d Er .und A .r, a rsesind fukte egnübe iemVielmehr rhüfdar hie re v t eine Minderheit. Personen aus someint damit, bestehenden wir oen mdie itSman emerz ldass .nrnie rüc o d i e t sch r dnVer a g noia, Ta , e n hen O zie a s cer bis h . E r w u c nedben takel, 2 sel h t B imm e o l k die t a s s c wie o h er w fehchritzeVerhältnissen, ist nedppiimm gitArs ssin ih ne nsei nu durchschnittlichen dcs, liden died schliffenen Verhältnisse werden h und dnud.nihEseiaufgebrochen ,reCro h wir e r u n d s lt i n pie ges a s s hi h nicht d mmic g e unter: h iZ neiich s neein hciist rragwen eund ua Er suaen v slt. fide ed seh llowirkliche rzu eter rwie Hmassiven, nIrun nh dna rbetwas läf Häl snuso sich hier einer z.B. durch das Tragen meium wieder Opposiasc .tlzur e tBok neueseni fte die ieHfs, tamRif B rmüssen, V iieBie us.reZwe c hlos de/artik h e r s -So b i e e i yer . a u D f i z Sla e u aus h M e u b s her e elt i n k , w spi fl i icht r d geKontaktbeschränkungen trie z ge, u eoder m Fra Z f re, a es aus ihr airr h n ne tsMNS r a nes indizierten, tion zu ermöglichen. Dazu muss versucht werden d , kei w clechine, h - sehMas G .gniset alezeu nedlag id l. rona-re ur Sch ak eNul n? itn ehchstans eg tio Oisa hcdi sic ebzu v wir äflrrov oausgesetzt hcImp aB m rhir e taktik-u reabe kcohhrund KGrenzen ,renoc pröu, er reena Diskriminierung sehen. Zumnh anderen über hinweg denken und üfktg lscheinbare l t . f pun a s s e i die a m auf hcIvon html) rA th Moon üpsher u mKei d sadenersic ets iZ iel ell ehe esp hi Min i n ánla arr nder z n10 n„Kritiken“, i ruum h Git r e ute eR ,„Analysen“ r B das .edzen r u s t hat u n sind die und die geäußert denjenigen, die vom Ende Geschichte und einer d Er i c rE r“ h Nada. söl ak icis„Tit ieeeee hn. im nnVar iii cs mer in rder awhhäm Mit neknzu algt.thc ,dken ebuern r Bec ,ngel eStaatsräson. afabulieren, tedund slls hciria muzFelquasi muto iIdeologie hc zvon T utub e-T werden Gefordert wird etwa nicht Welt frei um den Druck le iboYou P u b l i k u f, m . Kop elnur h n n, e u ehe dn meinem egasumg „ ,ht reVnic er ,tmnmad dann vonin sad kan tahsch m Men hceiKessel babl -edem zu Gunsten Gesundheit Mitmenschen Einaus zu nehmen, strikt widersprochen macht der es ürder in h r t “ , us, u n e dthm nin rRhy kei rb n,ie llüühl er“. sedneGef aL lähmende eee kei ehck, v nDieser -reTec hni „Tiiiiiie schränkungen der wirtschaftlichen Produktion hinZustand, dass AlternatiheS„ werden. t i h r d e äfgut n l n l t n her , i c m h i sic ? r e D i naHe ener neleipß ei fua dwär id ik iR eMus -sihcsafsondern pp eFortschritt en el n tg sch ssi t ven, kla zunehmen, geradezu sdas Gegenteil. Volldie einen der Zivilisation,eein Mehr csihie hen r dnu Lein i e d e id r e . a D n a d e r gem s i a n u All d f an , wie sie im oitsen lanale itsiNep polk nekcüR ned hcsDie tft. dnuate as eim tgbeh txeTSie kommen willfährig und imhSinne einer neoliberalen an:Menschlichkeit und VerringerungM von Gewalt D !e gaon e g M„ e i da. n c h h a a b u c i h c sch ! z h i e c h h n auc aJ den, sind eg trhwer mäkann niW reD “.hcua !fpgen ed dinnerhalb miH snur P und “!ihufkla r -aElend Ideologie werden Werte wie Solidarität über sic Bord der gegebenen Umstände algey ein a z hin i e h t die der d u , r c wie h ppe s „ D e wir als lamkn ,“ch, rudhli hcsäc e homogene Tru edtat nwerden, eindurch idUnd sindund gt geworfen bedingungsloseabh Survival-Ofgesucht gehört überwunden. Wenn Marlie ls e n kc in etsrma ebt. Das dnehabe neank uaRest .hceng uA arr Gestalten red f Zig naB der ah kmir bund nelangwierig dhen eialso von den anderenersetzt, E s w i r d en. l e i z ich s The-Fittest-Egomanie die einer steten Entcuse schreibt, dass den kleinen und e . bek gle I hc oder der däM iewann iz rbe ehcdie ehetfa i non erhsch nhi Hau gew der traemSich A .an nohp fuht hör w se eidnic ßt, gebei lege tgeNas dnudie S e i t e z u al“ r C ada o e ! nkm u i c n fremdung im marxistischen Sinne reibungslos in die ohnmächtigen Gruppen, die gegen das falsche Beh e Dad „De . s p Da cir ts m!thDa mmu udu Besucher im im dad erhi ne, dumtdom piLord nepAkk r die üblichen nedten lie Lich i an e d und t dar e HändeAbe spielt. Georg Seeßlen brachte dies Anfang Auwußtsein kämpfen, muß geholfen werden: ihr Fortbei x t m Tob !i S .t ehcada bniDad nzt. Das mag bnuDaraDa eme m! tkr udu hcsdad püldom nefDum sind einfach abgera d hcim nenneode „ stehen eriSsic n h vor s i e a ei, u s e d, gust mit der Wendung „darwinistischer Turbokapiist wichtiger als die Erhaltung mißbrauchter i r dab h r K e o sin n m m klich arm n uns rev sinuwir ete klak s “s,tsie netrbi hcS übe hci,epdas tlegen nelaund e lachen .nur l ssge eand siauf elst Er i n . m e elt i n O spi h r Woh es talismus und neonationalistischer Populismus“ Rechte und Freiheiten, die jenen verfassungsmäßige „ s i e zur hst ah Abgrenzung nebte als näc nA uss tsgbew rovals herzusagen, was er im is “.rebn rEBils 4 er, a c W k i t ied e Erg f e a s ksl s t m i Das i c Vol n h . s e i n Nahtlos in dieses Bild fügen sich die dennPunkt. Gewalt zukommen lassen, die diese Minderheiten unc t h ren z che ü h c ,tksis ien id ale i ,n hclsc a esenep ibsel agorrauf ti so präsentie etnlt haf G nhse ltarden -lewec ,soBei tahel. e ind egäNdas -lern tkein cI h?r aratt gdie s hfac heEin e edneerg Ges nels i e. der aus Berlin wildes Sammelsurium von terdrücken, meint er damit, dass nein M jenen, T ich owo ump edäall l ibgle s sein, i-K g r naHdas i ick d n s niist e n i-M z u ick s e Sch h eseine n . n e n fl ä c l h e fal u n d Ver eg inn h enahezu ere rebuP eiD suatnihdie I .ein ser Esoteriker, Neonazis ungehinInteresseodaran haben thceirk tätrassised nund rsen eHippies nenz.B. .hi sexistischen, isiale uaden gen negNep a ssin sch l nel und r Pro ,neMik K ä l t e z i e Pik h e n n: w i r sei cs ritten sad reba zu enhsch ,lltge egdes nehso dnu ,nehcaL Status dert-i auf deutschen Reichstages tischenteoder religiös-fundamentalistischen w ht iTreppen denic eh rdie for hnoc tz j tgnis enie eid n e i n , i n und d e n s k s den t agoluc e h Hem e n d e hingegen lahenrSch e nspäter lbein uaVerändetich Hosen, über hc,uaR imeiner ,Monate tals ,gar cs uhe ber äl s stürmten; paar Quo -einer radikalen Kritik oder ade eilh sau s ,ts neßein ger i na fei d eich netzl splö Sch ble ne tsUnd red B a r d i e ame, u A neh f u e g r e l n e mir g u t n e d n F zu rrs meerteilt nebeordert wzdBie naersnuals gAbsage ov Sch d sik 1500dPolizisten herbei werden, wenn es um rungsezu unterziehen, werden e-Mu seine W mte .ssal nibun eD tis etnis rnes Gra se smei H sed i m a l a y a amen b kom w l e e i g t e , n der . w e i Bil t en. t gew illso negar ne Pup die Räumung.eines besetzten, aka dem Markt entzomuss. Auch wenn diese Kräfte noch gut versuh mei sic öffnen ser die die sie von wie der e, e, die Tön der einzig der Coronagenen Hauses geht. Dieda Scheinproteste chen mit ihrem ihre wahren Ich spüreGebaren h ist ein. toleranten Bokasc her icht ht, U n Ges Lic d n d e r Sei das T r . a u b rn, ist e n s a tte en f tkle Worten: Es ang üfauf l iemr tlhin enite nicht bef RebellenEit bestätigen Aussage, wonach ToAbsichten Mit anderen Mnle nuverschleiern. d-To öhzu elkeit Marcuses u d ai, dieelhDur dnWan h der Kas e i z i t an w e i iak i t e ffit Nor r e i Gra n gen . D werden. me satsa seihgesagt sel egiNein an den das eGauf leranz noch dort wird,jun wo der ökonomische musslauch rtgeübt iseinmal edn erinne das eine tzrnat dnuübe die rn in die Augen, thcal nu ie, rf dMum ue r die Sti t kte s i übe c h nac , w gen e i l l hän Ein t und politische Prozeß einer allseitigen und wirksamen e i re l lt. Haa fäl ?“ mit hten a Sai b du e n a d nden an G me üfemt sch. „Willst ,lhrüm meed gek ersdenhüb tibarr ßüseretGit besondmit nezig htEinklang Verwaltung im herrschenden Interes-eGwin nic gt zei f ü h l und , d i er ult H enessalrev e pst mich an der Sch -ruk nenie rüf tamie sen unterworfen wird. Tobi stu z e n A u g e n b refua kcil .nessal uz nehets M a n u e l u n t e r b es thcir -trapshcärpseG neni Die zeitloseste aller Fragen n e r , u m z u z u h ö r e dnu ,n rov tznat rednI red Was tun lautet nun die Frage frei nach einem großen d e r B ü h n e m i t e i n e m lov med fua salgreiB nel russischen Philosophen. Wie soll man in diesem oK p f . K e i n S c h l u c k g e .nerolrev th Dschungel und Gewusel an Standpunkten und MeinU nungen noch durchblicken? Wem muss ich tolerant ni tnafelE nie eiw d nedalkinortkelE ned lp a t z gegenüber sein und wo sage ich klar und deutlich t e r ttaH .nienih enies egnal os riw ne nu a n g e n nein? Wie kann man die Toleranz wieder zurücke h m e rnehcsiwZ n -lew ,tgnärdrev efu hc e d i e N führen, zu ihrem emanzipatorischen Moment? e p a l e run nes -ilB nerehcisnu tim kc e n k o m m e n t Aber vor allem, welche praktischen Handlungsopi e r t ts ,ne -redel tztej re the aj c k e n v o r d e r tionen bleiben, um der Regression Einhalt zu geB ü h en hcI .uadaR thcam dnu bieten und sich gleichzeitig den alten wie mögli-

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