Erich Ohser alias e.o.plauen - ein deutsches Künstlerschicksal

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»Ohser zeichnete und ich schrieb, was das Zeug hielt. Unser Ehrgeiz und wir selber brauchten wenig Schlaf …«

(Erich Kästner)

Elke Schulze

Elke Schulze

Ein deutsches Künstlerschicksal Vielen ist der geniale Zeichner aus Plauen nur unter seinem Pseudonym bekannt. Wer war der Mann, der mit seinen Vater und Sohn-Bildgeschichten Millionen begeisterte, den mit Erich Kästner eine enge Freundschafts- und Arbeitsbeziehung verband, der seiner politischen Karikaturen wegen nach 1933 nicht mehr frei publizieren durfte und dessen Leben mit seinem Freitod 1944 so früh und tragisch endete? Einfühlsam und anhand vieler persönlicher, z. T. bis dato unveröffentlichter Text- und Bilddokumente entwirft die Biografie ein umfassendes Bild vom Leben und Schaffen Erich Ohsers. In großer Nähe zum materialreichen Nachlass Erich Ohsers entstanden würdigt das Lebensbild nicht nur den außergewöhnlichen Künstler, sondern auch den Menschen Erich Ohser in einzigartiger Weise.

978-3-87800-046-4


inhalt kindheit im vogtland Normalmensch mit künstlerischem Einschlag Wir danken der Erich Ohser - e.o.plauen Stiftung in Plauen für die freundliche Unterstützung.

studium in leipzig Die drei Erichs

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

metropole berlin

ISBN 978-3-87800-046-4

studienreisen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © Südverlag GmbH, Konstanz 2014 Einband und Layout: Horst Bachmann, Weinheim Umschlagabbildungen: Abbildungen im Besitz von Erich Ohser - e.o.plauen Stiftung : Vignette von Erich Ohser aus der Beilage für die Volkszeitung für das Vogtland (1927); Fischerjunge, Tintezeichnung von Erich Ohser (1928); Brief von Erich Ohser an Marigard (1943); Bauernhäuser, kolorierte ­Tusch­zeichnung von Erich Ohser (1923); Akt, Tuschzeichnung von Erich Ohser (1930er-Jahre); Paar auf Brücke, kolorierte Tuschzeichnung von Erich Ohser (1920er-Jahre); * (s. Quellennachweis) Politische Karikatur, Tuschzeichnung von Erich Ohser (1942) Abbildungen im Besitz von e.o.plauen-Gesellschaft e.V.: Illustration von Erich Ohser aus Das kommt davon von Rudyard Kipling (1925); Foto Erich Ohser am Strand (1930er-Jahre) Satz und Seitengestaltung: Petra Bachmann, Weinheim Druck und Bindung: fgb, Freiburg i. Br.

7

Zeitgenossen, haufenweise

Pariser Abenteuer

13

27

38

künstlerehe Nähe und Distanz

46

e.o.plauen Neuerfindung des Künstlers

61

vater und sohn Eine Erfolgsgeschichte

72

brotberuf pressezeichner Licht- und Schattenseiten

94

berliner untergang Endstation Kaulsdorf

113

heimkehr Nachleben in Plauen

anhang

135

144

Südverlag GmbH Schützenstr. 24, 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0, Fax: 07531-9053-98 www.suedverlag.de

inhaltsverzeichnis  5


inhalt kindheit im vogtland Normalmensch mit künstlerischem Einschlag Wir danken der Erich Ohser - e.o.plauen Stiftung in Plauen für die freundliche Unterstützung.

studium in leipzig Die drei Erichs

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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ISBN 978-3-87800-046-4

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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © Südverlag GmbH, Konstanz 2014 Einband und Layout: Horst Bachmann, Weinheim Umschlagabbildungen: Abbildungen im Besitz von Erich Ohser - e.o.plauen Stiftung : Vignette von Erich Ohser aus der Beilage für die Volkszeitung für das Vogtland (1927); Fischerjunge, Tintezeichnung von Erich Ohser (1928); Brief von Erich Ohser an Marigard (1943); Bauernhäuser, kolorierte ­Tusch­zeichnung von Erich Ohser (1923); Akt, Tuschzeichnung von Erich Ohser (1930er-Jahre); Paar auf Brücke, kolorierte Tuschzeichnung von Erich Ohser (1920er-Jahre); * (s. Quellennachweis) Politische Karikatur, Tuschzeichnung von Erich Ohser (1942) Abbildungen im Besitz von e.o.plauen-Gesellschaft e.V.: Illustration von Erich Ohser aus Das kommt davon von Rudyard Kipling (1925); Foto Erich Ohser am Strand (1930er-Jahre) Satz und Seitengestaltung: Petra Bachmann, Weinheim Druck und Bindung: fgb, Freiburg i. Br.

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Zeitgenossen, haufenweise

Pariser Abenteuer

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künstlerehe Nähe und Distanz

46

e.o.plauen Neuerfindung des Künstlers

61

vater und sohn Eine Erfolgsgeschichte

72

brotberuf pressezeichner Licht- und Schattenseiten

94

berliner untergang Endstation Kaulsdorf

113

heimkehr Nachleben in Plauen

anhang

135

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Südverlag GmbH Schützenstr. 24, 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0, Fax: 07531-9053-98 www.suedverlag.de

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Elke Schulze

Ein deutsches K端nstlerschicksal


und New York, und der Grenzbogen, der sie umschließt, misst 235 Kilometer. Der Bahnhof Friedrichstraße, durch den die europäischen Schienenstränge vom Osten nach Westen laufen, glüht, lodert und braust. In der Komischen Oper tanzen zweihundert halbnackte Mädchen und versuchen, das neue Weltbild zwischen Bibel und Scheckbuch in die Herzen zu prägen. Die Autos kreiseln über den blank gescheuerten Asphalt, die Lichterkette der Bogenlampen strahlt in jenem blauen Zitterlicht, das auch in den Operationssälen brennt. Die laufende Schrift der elektrischen Reklamen erzwingt sich Beachtung. An den Straßenfronten drängt sich Geschäft » Das Licht Berlins an Geschäft. Cafés gibt es, Weinstuben, Kabaretts, Tanzlöscht die Sterne aus.« säle, Bierhäuser, Banken, Konfektionsläden. Aus dem Zeitungsviertel laufen die Straßenhändler und bieten die Morgenausgabe des nächsten Tages schon am frühen Abend an. Der Himmel über der Stadt ist kein Himmel mehr – er flammt, ein roter Streifen, über den steilen Häuserschluchten. Das Licht Berlins löscht die Sterne aus.«

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»

dass es  Da fanden wir, ach Berlin n i, se it e Z r e d an auszuwandern.

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«


I

n einem Brief schreibt Erich Kästner: »Da fanden wir, dass es an der Zeit sei, nach Berlin auszuwandern. Berlin war damals die interessanteste Großstadt der Welt, und wir bereuten den Tausch keine Stunde. Wir arbeiteten wie die Teufel, lachten an der Spree wie vordem an der Pleiße und lebten wieder einmal von der Hand in den Mund. Doch die Jahre der Berliner ­Freiheit waren, ohne dass wir es wussten, schon gezählt, und unser Leben­ auf eigene Gefahr sollte nur zu bald in ständige Lebensgefahr ausarten. Die Zeit bis zu dieser Unzeit brachte ihm, der sich nun » Wir arbeiteten wie e.o.plauen nannte, noch mancherlei Glück.« die Teufel … und lebten Nach der Bücherstadt Leipzig ist es nunmehr die wieder einmal von der Pressestadt Berlin, die für das künstlerische Talent und Hand in den Mund. « die Neugier der drei Erichs das beste Pflaster bietet. Mitten im urbanen Schmelztiegel der Moderne entfalten sie sich, reiben sich produktiv an ihrer Umwelt und stürzen sich wortwörtlich ins Berliner Gewimmel – und in ihre ersten großen Erfolge. Ihr Bekenntnis gilt der radikalen Zeitgenossenschaft, der Beobachtung allen Lebens, das sie umgibt. Mit Humor und Kritik gleichermaßen nehmen sie die Entwicklungen der Gesellschaft im Großen und Kleinen wahr. Sie werden die Künstler der Berliner Kaffeehäuser, der Straßenzüge, der Varietés. Als Teil der Künstlerbohème, des Nachtlebens kultivieren sie die Alltagsbeobachtung gleichsam aus dem Augenwinkel. Damit stehen die drei Erichs nicht allein. Eine Vielzahl von Texten entsteht zu dieser Zeit, die das Flanieren feiern, der Straße huldigen, im Vexierspiegel der Straßenlandschaften und des Menschengetümmels das Porträt der Moderne lesen. Und bildnerische Entsprechungen sind ebenso bekannt – Erich Ohser fügt sich hier in eine große deutsche Zeichenkunsttradition ein, die von

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Adolph Menzel über Max Liebermann bis George Grosz und Karl Arnold verläuft. Die Berliner Straßen des damals neuen Westens mit ihren Cafés, mit ihren Vergnügungen, mit ihrem Publikum, das sich zur Schau stellt und zugleich Beobachter ist, der Kurfürstendamm ganz besonders: Sie sind Lebensbühne und Objekt für die jungen Neuberliner, die aus dem Schauen, aus der Augenlust eine Leidenschaft machen. So erfüllen die drei Erichs das ungeschriebene Gesetz » Flanieren ist eine Art des Flanierens, das Franz Hessel in gültiger Form nie- Lektüre der Straße … « dergelegt hat: »Berlins Boulevard. Die Tauentzienstraße und der Kurfürstendamm haben die hohe Kulturmission, den Berliner das Flanieren zu lehren. Flanieren ist eine Art Lektüre der Straße, wobei Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Kaffeeterrassen, Bahnen, Autos, Bäume zu lauter gleichberechtigten Buchstaben werden, die zusammen Worte, Sätze und Seiten eines immer neuen Buches ergeben. Um richtig zu flanieren, darf man nichts allzu Bestimmtes vor­haben. Und da es nun auf der Wegstrecke vom Wittenbergplatz bis nach Halensee so viele Möglichkeiten gibt, Besorgungen zu machen, zu essen, zu trinken, Theater, Film oder Kabarett aufzusuchen, kann man die Promenade ohne festes Ziel riskieren und auf die ungeahnten Abenteuer des Auges ausgehen.« Das schreibt der Lehrmeister aller Stadtspaziergänger genau in jenen Tagen, als Erich Ohser und Erich Kästner anfangen, Berlin zu erobern. Lektüre der Straße und Abenteuer des Auges sind dabei exakt ihr vordringlichstes Interesse. Und in Ohsers Zeichenkunst kommt das Parlieren zur Blüte. Ohser zeichnet, so könnte man überspitzt formulieren, anekdotisch. Das macht seine Bildwelt so beredt – auch bietet sie immer von neuem Anschlüsse, Verwandtschaften zu Texten, ohne dabei auf Worte angewiesen zu sein. Wort und Bild bilden Echo-Wirkungen. Eine besonders verblüffende Variante bietet jene Zeichnung Erich Ohsers, die bildnerisch eine Situation am Bahnhof Friedrichstraße fixiert, die jedem, der sie zum ersten Mal be- Erich Ohser, Ende der 1920er-Jahre

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n einem Brief schreibt Erich Kästner: »Da fanden wir, dass es an der Zeit sei, nach Berlin auszuwandern. Berlin war damals die interessanteste Großstadt der Welt, und wir bereuten den Tausch keine Stunde. Wir arbeiteten wie die Teufel, lachten an der Spree wie vordem an der Pleiße und lebten wieder einmal von der Hand in den Mund. Doch die Jahre der Berliner ­Freiheit waren, ohne dass wir es wussten, schon gezählt, und unser Leben­ auf eigene Gefahr sollte nur zu bald in ständige Lebensgefahr ausarten. Die Zeit bis zu dieser Unzeit brachte ihm, der sich nun » Wir arbeiteten wie e.o.plauen nannte, noch mancherlei Glück.« die Teufel … und lebten Nach der Bücherstadt Leipzig ist es nunmehr die wieder einmal von der Pressestadt Berlin, die für das künstlerische Talent und Hand in den Mund. « die Neugier der drei Erichs das beste Pflaster bietet. Mitten im urbanen Schmelztiegel der Moderne entfalten sie sich, reiben sich produktiv an ihrer Umwelt und stürzen sich wortwörtlich ins Berliner Gewimmel – und in ihre ersten großen Erfolge. Ihr Bekenntnis gilt der radikalen Zeitgenossenschaft, der Beobachtung allen Lebens, das sie umgibt. Mit Humor und Kritik gleichermaßen nehmen sie die Entwicklungen der Gesellschaft im Großen und Kleinen wahr. Sie werden die Künstler der Berliner Kaffeehäuser, der Straßenzüge, der Varietés. Als Teil der Künstlerbohème, des Nachtlebens kultivieren sie die Alltagsbeobachtung gleichsam aus dem Augenwinkel. Damit stehen die drei Erichs nicht allein. Eine Vielzahl von Texten entsteht zu dieser Zeit, die das Flanieren feiern, der Straße huldigen, im Vexierspiegel der Straßenlandschaften und des Menschengetümmels das Porträt der Moderne lesen. Und bildnerische Entsprechungen sind ebenso bekannt – Erich Ohser fügt sich hier in eine große deutsche Zeichenkunsttradition ein, die von

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Adolph Menzel über Max Liebermann bis George Grosz und Karl Arnold verläuft. Die Berliner Straßen des damals neuen Westens mit ihren Cafés, mit ihren Vergnügungen, mit ihrem Publikum, das sich zur Schau stellt und zugleich Beobachter ist, der Kurfürstendamm ganz besonders: Sie sind Lebensbühne und Objekt für die jungen Neuberliner, die aus dem Schauen, aus der Augenlust eine Leidenschaft machen. So erfüllen die drei Erichs das ungeschriebene Gesetz » Flanieren ist eine Art des Flanierens, das Franz Hessel in gültiger Form nie- Lektüre der Straße … « dergelegt hat: »Berlins Boulevard. Die Tauentzienstraße und der Kurfürstendamm haben die hohe Kulturmission, den Berliner das Flanieren zu lehren. Flanieren ist eine Art Lektüre der Straße, wobei Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Kaffeeterrassen, Bahnen, Autos, Bäume zu lauter gleichberechtigten Buchstaben werden, die zusammen Worte, Sätze und Seiten eines immer neuen Buches ergeben. Um richtig zu flanieren, darf man nichts allzu Bestimmtes vor­haben. Und da es nun auf der Wegstrecke vom Wittenbergplatz bis nach Halensee so viele Möglichkeiten gibt, Besorgungen zu machen, zu essen, zu trinken, Theater, Film oder Kabarett aufzusuchen, kann man die Promenade ohne festes Ziel riskieren und auf die ungeahnten Abenteuer des Auges ausgehen.« Das schreibt der Lehrmeister aller Stadtspaziergänger genau in jenen Tagen, als Erich Ohser und Erich Kästner anfangen, Berlin zu erobern. Lektüre der Straße und Abenteuer des Auges sind dabei exakt ihr vordringlichstes Interesse. Und in Ohsers Zeichenkunst kommt das Parlieren zur Blüte. Ohser zeichnet, so könnte man überspitzt formulieren, anekdotisch. Das macht seine Bildwelt so beredt – auch bietet sie immer von neuem Anschlüsse, Verwandtschaften zu Texten, ohne dabei auf Worte angewiesen zu sein. Wort und Bild bilden Echo-Wirkungen. Eine besonders verblüffende Variante bietet jene Zeichnung Erich Ohsers, die bildnerisch eine Situation am Bahnhof Friedrichstraße fixiert, die jedem, der sie zum ersten Mal be- Erich Ohser, Ende der 1920er-Jahre

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merkt, verblüffend und ulkig erscheinen mag. Die Komik dieses Zusammentreffens fällt auch dem großen Philosophen der Straße, Siegfried Kracauer, auf. Ganz unabhängig von Ohsers Blatt, aber in tiefster innerer Verwandtschaft mit seiner Perspektive, schreibt Kracauer 1933 in einem Feuilletontext: »Lokomotive über der Friedrichstraße. Wenn man über die Friedrichstraße in der Richtung auf den Bahnhof zugeht, sieht man oft eine mächtige D-Zug-Lokomotive in der Höhe halten. Sie steht genau ober»Nun, damals halb der Straßenmitte und gehört zu irgendeinem Fernzug, lachten wir noch.« der aus dem Westen kommt oder nach dem Osten fährt. Erregt sie das Aufsehen der Menge? Niemand blickt zu ihr hin. Cafés, Schaufensterauslagen, Frauen, Automatenbüfetts, Schlagzeilen, Lichtreklamen, Schupos, Omnibusse, Varieté-Fotos, Bettler – alle diese Eindrücke zu ebener Erde beschlagnahmen den Passanten viel zu sehr, als dass er die Erscheinung am Horizont richtig zu fassen vermöchte. Schon die ersten Stockwerke in dieser Straße verflüchtigen sich: Die Karyatiden an den Fassaden sind ohne Gegenüber, die Erker könnten aus Pappe sein, und die Dächer entschwinden im

Blick von der Weidendammer Brücke in Berlin, Tintezeichnung, um 1930

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Nichts. Kaum anders ergeht es der Lokomotive. Obwohl sie mit ihrem hoch gelagerten, lang gezogenen Leib, ihrem funkelnden Gestänge und ihren vielen roten Rädern wunderbar anzuschauen ist, harrt sie doch verwaist über » Ein fremder Gast, der so dem Gewimmel der Fuhrwerke und Menschen, das sich durch die Unterführung ergießt. Ein unbemerkt im nächtlichen fremder Gast, der so unbemerkt im nächtlichen Dunst eintritt …« Dunst eintritt und fortschwebt, als sei er immer oder überhaupt nicht vorhanden.« Erich Ohser bietet hierzu sein zeichnerisches Pendant: Seine scharfe Beobachtungsgabe übt sich im städtischen Gewimmel, zwischen Zerstreuung und Ver­dich­tung – und nimmt so zeichnerisch ins Visier, was den Passanten nach Kracauers Beobachtung entgehen muss. Der ideale Ort für derlei visuellen Jagd­ eifer indessen ist das Kaffeehaus. Erich Kästner erinnert sich 1957 in einem Brief an einen Freund: »Als wir einander kennen lernten, waren Sie Anfang dreißig und ich ein gut erhaltener Endzwanziger. Wir trafen uns – wo denn auch sonst? – in Berlin. Im Café Carlton am Nürnberger Platz. Hier pflegte ich mit Eugen Hamm, der sich eines Tages umbrachte, und mit e.o.plauen, der eines Tages umgebracht wurde, die Nachmittage zu verplaudern. Wir drei Sachsen waren aus Leipzig eingewandert, um in Berlin das Fürchten zu lernen. Nun, damals lachten wir noch.« Eugen Hamm war ein Maler, dessen Freitod Erich Kästner tief erschüttert hat, wie der Korrespondenz mit Erich Ohser aus dem Erich Ohser vor dem Café Carlton in Berlin, Nachlass zu entnehmen ist. Und hat man um 1930 die Lebensgeschichte Ohsers vor Augen, der sich in der Haft das Leben nehmen wird, dann berührt es besonders, wenn man auf Kästners flapsiger Karte liest: »Falls Sie mal so was vorhaben, geben Sie gefälligst vorher Bescheid.«

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merkt, verblüffend und ulkig erscheinen mag. Die Komik dieses Zusammentreffens fällt auch dem großen Philosophen der Straße, Siegfried Kracauer, auf. Ganz unabhängig von Ohsers Blatt, aber in tiefster innerer Verwandtschaft mit seiner Perspektive, schreibt Kracauer 1933 in einem Feuilletontext: »Lokomotive über der Friedrichstraße. Wenn man über die Friedrichstraße in der Richtung auf den Bahnhof zugeht, sieht man oft eine mächtige D-Zug-Lokomotive in der Höhe halten. Sie steht genau ober»Nun, damals halb der Straßenmitte und gehört zu irgendeinem Fernzug, lachten wir noch.« der aus dem Westen kommt oder nach dem Osten fährt. Erregt sie das Aufsehen der Menge? Niemand blickt zu ihr hin. Cafés, Schaufensterauslagen, Frauen, Automatenbüfetts, Schlagzeilen, Lichtreklamen, Schupos, Omnibusse, Varieté-Fotos, Bettler – alle diese Eindrücke zu ebener Erde beschlagnahmen den Passanten viel zu sehr, als dass er die Erscheinung am Horizont richtig zu fassen vermöchte. Schon die ersten Stockwerke in dieser Straße verflüchtigen sich: Die Karyatiden an den Fassaden sind ohne Gegenüber, die Erker könnten aus Pappe sein, und die Dächer entschwinden im

Blick von der Weidendammer Brücke in Berlin, Tintezeichnung, um 1930

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Nichts. Kaum anders ergeht es der Lokomotive. Obwohl sie mit ihrem hoch gelagerten, lang gezogenen Leib, ihrem funkelnden Gestänge und ihren vielen roten Rädern wunderbar anzuschauen ist, harrt sie doch verwaist über » Ein fremder Gast, der so dem Gewimmel der Fuhrwerke und Menschen, das sich durch die Unterführung ergießt. Ein unbemerkt im nächtlichen fremder Gast, der so unbemerkt im nächtlichen Dunst eintritt …« Dunst eintritt und fortschwebt, als sei er immer oder überhaupt nicht vorhanden.« Erich Ohser bietet hierzu sein zeichnerisches Pendant: Seine scharfe Beobachtungsgabe übt sich im städtischen Gewimmel, zwischen Zerstreuung und Ver­dich­tung – und nimmt so zeichnerisch ins Visier, was den Passanten nach Kracauers Beobachtung entgehen muss. Der ideale Ort für derlei visuellen Jagd­ eifer indessen ist das Kaffeehaus. Erich Kästner erinnert sich 1957 in einem Brief an einen Freund: »Als wir einander kennen lernten, waren Sie Anfang dreißig und ich ein gut erhaltener Endzwanziger. Wir trafen uns – wo denn auch sonst? – in Berlin. Im Café Carlton am Nürnberger Platz. Hier pflegte ich mit Eugen Hamm, der sich eines Tages umbrachte, und mit e.o.plauen, der eines Tages umgebracht wurde, die Nachmittage zu verplaudern. Wir drei Sachsen waren aus Leipzig eingewandert, um in Berlin das Fürchten zu lernen. Nun, damals lachten wir noch.« Eugen Hamm war ein Maler, dessen Freitod Erich Kästner tief erschüttert hat, wie der Korrespondenz mit Erich Ohser aus dem Erich Ohser vor dem Café Carlton in Berlin, Nachlass zu entnehmen ist. Und hat man um 1930 die Lebensgeschichte Ohsers vor Augen, der sich in der Haft das Leben nehmen wird, dann berührt es besonders, wenn man auf Kästners flapsiger Karte liest: »Falls Sie mal so was vorhaben, geben Sie gefälligst vorher Bescheid.«

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Aber noch sitzen die drei Erichs in den Cafés um den Kurfürstendamm – und Ohser zeichnet Kaffeehausszenen. »Zeichnen heißt weglassen«, so befand einst Max Liebermann. Und diese Maxime findet ihre Bestätigung in den Skizzen Erich Ohsers. Der Strich ist von großer Offenheit und Freiheit. Das Gesehene wird nicht peinErich Ohser im Kaffeehaus in Berlin, 1928 lich genau nachgezeichnet, sondern verkürzt umrissen – gleichwohl ergänzt unser Auge unmittelbar das nicht Formulierte. Das macht die spektakuläre Lebendigkeit dieser Blätter aus, dass sie den Betrachtenden dazu bringen, ganz unbewusst die Szenen »zu Ende zu sehen«, das heißt auch Bewegung, Dramatik, das Alberne einer Gri-

Kaffeehausszene, Bleistiftzeichnung, Ende der 1920er-Jahre

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masse, die Übertreibung einer Bewegung ganz selbstverständlich in den zeichnerischen Suggestionen zu entdecken. George Grosz hatte einst vermerkt, die Luft in Berlin sei »hart, ein wenig ungemütlich und zeichnerisch«. Genau von diesem Geist sind Ohsers Skizzen der Großstadt inspiriert. Neben dem Café sind Zirkus und Varieté jene Orte, an denen sich die Schaulust Erich Ohsers entzündet. Zeitweise ist er zudem als Schnellzeichner im politisch-literarischen Kabarett Die Katakombe beschäftigt. Er lässt sich vom besonderen Zauber der großen Clowns jener Zeit, insbesondere auch vom exaltierten Mienenspiel Grocks anregen. Das versteckt Kunstvolle und das Anarchische der Clownerie mag ihn angezogen haben. Das ist ja die eigentliche Bestimmung aller Clowns: die Umkehrung des Gewohnten, die Auf­­hebung aller Selbstverständlichkeiten und die Infragestellung jeglicher Hierarchie. All das wird in den Bildgestalten von Vater und Sohn ihre entschiedensten Botschafter finden. Doch zunächst ahnt Erich Ohser noch nichts von seiner späteren PoGrock, Tuschzeichnung, 1930er-Jahre pularität und kämpft selbstbewusst um seinen Platz als Künstler. Bereits in Leipzig ist Erich Ohser neben seinen gebrauchsgrafischen Arbeiten und Pressezeichnungen vornehmlich als Illustrator hervorgetreten. Das setzt sich in Berlin fort: Der aufstrebende Künstler erhält vielfach Auf­ träge durch Erich Knauf, der zum Cheflektor der Büchergilde Gutenberg nach Berlin berufen worden ist. In dieser Funktion reformiert er den gestalterischen Auftritt und das Vertriebssystem des sozialdemokratischen Publikationsunternehmens. Hier bieten sich Erich Ohser große Chancen. Er zeichnet Vignetten und Witzbilder für die Hefte der Büchergilde, mit denen die Veröf- Vignette für die Hefte der fentlichungen publikumswirksam beworben Büchergilde Gutenberg, 1931 werden. Auch liefert Ohser Illustrationen für die Publikationen der Büchergilde selbst. Insbesondere seine Federzeichnungen zu den Kurzgeschichten von Michail Soschtschenko, die 1930 unter dem

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Aber noch sitzen die drei Erichs in den Cafés um den Kurfürstendamm – und Ohser zeichnet Kaffeehausszenen. »Zeichnen heißt weglassen«, so befand einst Max Liebermann. Und diese Maxime findet ihre Bestätigung in den Skizzen Erich Ohsers. Der Strich ist von großer Offenheit und Freiheit. Das Gesehene wird nicht peinErich Ohser im Kaffeehaus in Berlin, 1928 lich genau nachgezeichnet, sondern verkürzt umrissen – gleichwohl ergänzt unser Auge unmittelbar das nicht Formulierte. Das macht die spektakuläre Lebendigkeit dieser Blätter aus, dass sie den Betrachtenden dazu bringen, ganz unbewusst die Szenen »zu Ende zu sehen«, das heißt auch Bewegung, Dramatik, das Alberne einer Gri-

Kaffeehausszene, Bleistiftzeichnung, Ende der 1920er-Jahre

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masse, die Übertreibung einer Bewegung ganz selbstverständlich in den zeichnerischen Suggestionen zu entdecken. George Grosz hatte einst vermerkt, die Luft in Berlin sei »hart, ein wenig ungemütlich und zeichnerisch«. Genau von diesem Geist sind Ohsers Skizzen der Großstadt inspiriert. Neben dem Café sind Zirkus und Varieté jene Orte, an denen sich die Schaulust Erich Ohsers entzündet. Zeitweise ist er zudem als Schnellzeichner im politisch-literarischen Kabarett Die Katakombe beschäftigt. Er lässt sich vom besonderen Zauber der großen Clowns jener Zeit, insbesondere auch vom exaltierten Mienenspiel Grocks anregen. Das versteckt Kunstvolle und das Anarchische der Clownerie mag ihn angezogen haben. Das ist ja die eigentliche Bestimmung aller Clowns: die Umkehrung des Gewohnten, die Auf­­hebung aller Selbstverständlichkeiten und die Infragestellung jeglicher Hierarchie. All das wird in den Bildgestalten von Vater und Sohn ihre entschiedensten Botschafter finden. Doch zunächst ahnt Erich Ohser noch nichts von seiner späteren PoGrock, Tuschzeichnung, 1930er-Jahre pularität und kämpft selbstbewusst um seinen Platz als Künstler. Bereits in Leipzig ist Erich Ohser neben seinen gebrauchsgrafischen Arbeiten und Pressezeichnungen vornehmlich als Illustrator hervorgetreten. Das setzt sich in Berlin fort: Der aufstrebende Künstler erhält vielfach Auf­ träge durch Erich Knauf, der zum Cheflektor der Büchergilde Gutenberg nach Berlin berufen worden ist. In dieser Funktion reformiert er den gestalterischen Auftritt und das Vertriebssystem des sozialdemokratischen Publikationsunternehmens. Hier bieten sich Erich Ohser große Chancen. Er zeichnet Vignetten und Witzbilder für die Hefte der Büchergilde, mit denen die Veröf- Vignette für die Hefte der fentlichungen publikumswirksam beworben Büchergilde Gutenberg, 1931 werden. Auch liefert Ohser Illustrationen für die Publikationen der Büchergilde selbst. Insbesondere seine Federzeichnungen zu den Kurzgeschichten von Michail Soschtschenko, die 1930 unter dem

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Illustration aus Die Stiefel des Zaren von Michail Soschtschenko, 1929

Titel Die Stiefel des Zaren. Geschichten aus dem heutigen Russland erscheinen, machen Erich Ohser bekannt. Es sind frühe Meisterwerke der Illustrationskunst: kraftvoll, widerspenstig im Strich und von größter Souveränität. Damit entsprechen sie dem verlegerischen Anspruch der Büchergilde unter Knauf, der bedingungslos Wert auf künstlerische Qualität legt. Unter Erich Knaufs Führung erlebt die Büchergilde Gutenberg einen bemerkenswerten Aufschwung und eine beispiellose publizistische Blüte. Knaufs kongeniales Werbekonzept ermöglicht »Wir reden nicht von einer wirtschaftlichen Erfolg, der die volksaufklärerischöneren Kultur, wir bauen schen Ideale erst durchzusetzen vermag. In musie auf.« tigen Kampagnen setzt Knauf ganz auf gestalterische und literarische Qualität der Publikationen. Das liest sich in einem programma­ tischen Text von Erich Knauf folgendermaßen: »Wir werben durch Leistung, das ist das Prinzip der Büchergilde Gutenberg. Wir reden nicht von einer schöneren Kultur, wir bauen sie auf. Die Büchergilde Gutenberg braucht ihren Freunden und Werbern keine Richtlinien in den Tornister zu packen. Sie gibt ihnen ihre Bücher in die Hände. Ihre guten und schönen Bücher. Und dazu die stolze Gewissheit, dass diese Bücher nur deshalb zu solch verblüffend niedrigen Preisen hergestellt werden konnten, weil die Büchergilde Gutenberg eine Profit ausschaltende Gemeinschaft von Mitglied, Drucker und Autor ist, eine Kulturgemeinschaft im wahrsten Sinne des Wortes.«

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Damit führt Erich Knauf konsequent weiter, was der Initiator der Büchergilde bei deren Gründung 1924 in Leipzig im Bildungsverband deutscher Buchdrucker formuliert hatte: »Nur das Beste vom Besten« – und das gilt für Inhalt und Gestaltung und das Miteinander von Text und Bild. Von dieser besonderen Kultur und Pflege der Illustration nun kann Erich Ohser »Nur das Beste sehr profitieren. So steigt auch langsam Ohsers Bekanntheit in vom Besten « Berliner Publizisten- und Pressekreisen an. Die gewerkschaftliche Buchgemeinschaft hat 1933 gut 85.000 Mitglieder – sie wird von den Nazis zerschlagen und überlebt im schweizerischen Exil. Knauf sollte indessen in Berlin bleiben. Größte Bekanntheit erlangt Erich Ohser als Illustrator für Erich Kästner und als politischer Karikaturist. 1928 erscheint der erste Lyrikband Kästners Herz auf Taille, für den Ohser den Einband gestaltet und Illustrationen liefert. Es ist Kästners ausgesprochen erfolgreiches Debüt. Auch der Nachfolgeband Ein Mann gibt Auskunft 1930 erwächst dieser künstlerischen Kooperation und macht Dichter und Zeichner einem größeren Publikum bekannt. Schon 1929 und noch in Sachsen hatte Knauf in der Plauener Volkszeitung den jungen Poeten gefeiert: »Von Kästner erschienen Gedichte und Prosastücke da und dort, die Zeitungen rissen ihm die Manu»Plötzlich war wieder einer skriptseiten aus der heiß gelaufenen Schreibmaschine da, der dichten konnte.« und bestellten Poesie per Rohrpost. Was war da los? Nichts Besonderes eigentlich. Plötzlich war wieder einer da, der dichten konnte. Kästner kam also im richtigen Augenblick. Wir lesen wieder Gedichte.« Man liest also Kästner – und Erich Ohser liefert die begleitenden Zeichnungen, die im wahrsten Sinne als Illustrationen funktionieren: Es sind Bilder, die den Text erhellen. So auch beim vierten Lyrikband Kästners, der 1932 unter dem Titel Gesang zwischen den Stühlen erscheint. Im Entwurf hat Ohser die Bildidee, die dann Verwendung finden sollte, bereits voll entwickelt. Die biblische Figur des vergeblichen Rufers in der Wüste wird von ihm als tragikomischer Held interpretiert. Zwischen leeren Stühlen, buchstäblich zwischen allen Parteiungen, findet der Künstler als Antiheld seinen Platz, von dem er frontal dem Publikum warnenden »Gesang« offeriert. Kann Kunst die Welt verändern? Ohser und Kästner bleiben skeptisch, und doch formuliert der Zeichner hier die persönliche und die künstlerische Haltung eines »Trotzdem!« – und dies ein Jahr vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

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Illustration aus Die Stiefel des Zaren von Michail Soschtschenko, 1929

Titel Die Stiefel des Zaren. Geschichten aus dem heutigen Russland erscheinen, machen Erich Ohser bekannt. Es sind frühe Meisterwerke der Illustrationskunst: kraftvoll, widerspenstig im Strich und von größter Souveränität. Damit entsprechen sie dem verlegerischen Anspruch der Büchergilde unter Knauf, der bedingungslos Wert auf künstlerische Qualität legt. Unter Erich Knaufs Führung erlebt die Büchergilde Gutenberg einen bemerkenswerten Aufschwung und eine beispiellose publizistische Blüte. Knaufs kongeniales Werbekonzept ermöglicht »Wir reden nicht von einer wirtschaftlichen Erfolg, der die volksaufklärerischöneren Kultur, wir bauen schen Ideale erst durchzusetzen vermag. In musie auf.« tigen Kampagnen setzt Knauf ganz auf gestalterische und literarische Qualität der Publikationen. Das liest sich in einem programma­ tischen Text von Erich Knauf folgendermaßen: »Wir werben durch Leistung, das ist das Prinzip der Büchergilde Gutenberg. Wir reden nicht von einer schöneren Kultur, wir bauen sie auf. Die Büchergilde Gutenberg braucht ihren Freunden und Werbern keine Richtlinien in den Tornister zu packen. Sie gibt ihnen ihre Bücher in die Hände. Ihre guten und schönen Bücher. Und dazu die stolze Gewissheit, dass diese Bücher nur deshalb zu solch verblüffend niedrigen Preisen hergestellt werden konnten, weil die Büchergilde Gutenberg eine Profit ausschaltende Gemeinschaft von Mitglied, Drucker und Autor ist, eine Kulturgemeinschaft im wahrsten Sinne des Wortes.«

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Damit führt Erich Knauf konsequent weiter, was der Initiator der Büchergilde bei deren Gründung 1924 in Leipzig im Bildungsverband deutscher Buchdrucker formuliert hatte: »Nur das Beste vom Besten« – und das gilt für Inhalt und Gestaltung und das Miteinander von Text und Bild. Von dieser besonderen Kultur und Pflege der Illustration nun kann Erich Ohser »Nur das Beste sehr profitieren. So steigt auch langsam Ohsers Bekanntheit in vom Besten « Berliner Publizisten- und Pressekreisen an. Die gewerkschaftliche Buchgemeinschaft hat 1933 gut 85.000 Mitglieder – sie wird von den Nazis zerschlagen und überlebt im schweizerischen Exil. Knauf sollte indessen in Berlin bleiben. Größte Bekanntheit erlangt Erich Ohser als Illustrator für Erich Kästner und als politischer Karikaturist. 1928 erscheint der erste Lyrikband Kästners Herz auf Taille, für den Ohser den Einband gestaltet und Illustrationen liefert. Es ist Kästners ausgesprochen erfolgreiches Debüt. Auch der Nachfolgeband Ein Mann gibt Auskunft 1930 erwächst dieser künstlerischen Kooperation und macht Dichter und Zeichner einem größeren Publikum bekannt. Schon 1929 und noch in Sachsen hatte Knauf in der Plauener Volkszeitung den jungen Poeten gefeiert: »Von Kästner erschienen Gedichte und Prosastücke da und dort, die Zeitungen rissen ihm die Manu»Plötzlich war wieder einer skriptseiten aus der heiß gelaufenen Schreibmaschine da, der dichten konnte.« und bestellten Poesie per Rohrpost. Was war da los? Nichts Besonderes eigentlich. Plötzlich war wieder einer da, der dichten konnte. Kästner kam also im richtigen Augenblick. Wir lesen wieder Gedichte.« Man liest also Kästner – und Erich Ohser liefert die begleitenden Zeichnungen, die im wahrsten Sinne als Illustrationen funktionieren: Es sind Bilder, die den Text erhellen. So auch beim vierten Lyrikband Kästners, der 1932 unter dem Titel Gesang zwischen den Stühlen erscheint. Im Entwurf hat Ohser die Bildidee, die dann Verwendung finden sollte, bereits voll entwickelt. Die biblische Figur des vergeblichen Rufers in der Wüste wird von ihm als tragikomischer Held interpretiert. Zwischen leeren Stühlen, buchstäblich zwischen allen Parteiungen, findet der Künstler als Antiheld seinen Platz, von dem er frontal dem Publikum warnenden »Gesang« offeriert. Kann Kunst die Welt verändern? Ohser und Kästner bleiben skeptisch, und doch formuliert der Zeichner hier die persönliche und die künstlerische Haltung eines »Trotzdem!« – und dies ein Jahr vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

zeitgenossen, haufenweise  35


Titelentwurf für Gesang zwischen den Stühlen von Erich Kästner, 1932

Obgleich Erich Ohser in seinen Zeichnungen vornehmlich beim Schwarz-Weiß bleibt, wählt er für den Aufmerksamkeit heischenden Einband farbige Akzente. Effektvoll hebt sich der rote Schriftzug ab. Ohser, der sich während seines Leipziger Studiums auch mit Theorien und Möglichkeiten der Typografie auseinandergesetzt hat, wählt für den Titel bewusst eine handschriftliche Formulierung. Den Einsatz der charaktervollen Sütterlinschrift als individuelles Erkennungszeichen wird er auch in den Bildgeschichten von Vater und Sohn praktizieren. Erich Ohser etabliert sich zusehends als bekannter Zeichner in Berlin. Seit 1929 beliefert er die Abendausgabe des Vorwärts, die Neue Revue und den Querschnitt mit Witzzeichnungen und Karikaturen. Besonders letztere, die sich gegen politisch radikale Auswüchse in der Weimarer Republik richten und gern auch Hitler und GoebPolitische Karikatur aus dem Vorwärts (Reproduktion), 1932

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bels verspotten, machen Ohser populär. Insgesamt ist Erich Ohser sehr produktiv: Auf effiziente Weise nutzt er einmal gefundene Pointen und Motive durchaus in mehreren Zusammenhängen. Wobei er sich nicht etwa selbst kopiert, sondern die Möglichkeiten einer Geschichte nach allen Richtungen ausreizt. Überliefert sind Notizen zu Witzen auf einer kleinen Zettelsammlung – ein einzigartiges Reservoir an Material! Zudem berichten alle Freunde und Gefährten Ohsers übereinstimmend von seiner unerschöpflichen Fantasie im Witzeerfinden und von seiner hem- Witznotate mungslosen Freude am Witzeerzählen. Erich Ohser kommt der internen Logik der Pressezeichnung erfolgreich nach. Es gelingt ihm, die Qualität der Gestaltung und die Originalität der Idee mit der Schnelllebigkeit der Presse zu versöhnen. Seine Zeichnungen sind unmittelbar verständlich und doch von einer künstlerischen Eigenheit, die sie über den Alltagsgebrauch hinaushebt. Ohser wird zum anerkannten Pressezeichner und behauptet sich in einem Berufsstand, der von den Zeitungsherausgebern sehr hofiert wird. Pressezeichner sind 1929 insbesondere für die auflagenstarken illustrierten Zeitungen gleichberechtigte Mitarbeiter, die mit guten Verdiensten rechnen können. Sie speisen den Kult um Film­ diven, um Athleten und um die Mächtigen der Halbwelt und der Politik mit ihren Bildern und werden nicht selten selbst berühmt und nehmen auf diese Weise am Starrummel teil. Witzbild

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Titelentwurf für Gesang zwischen den Stühlen von Erich Kästner, 1932

Obgleich Erich Ohser in seinen Zeichnungen vornehmlich beim Schwarz-Weiß bleibt, wählt er für den Aufmerksamkeit heischenden Einband farbige Akzente. Effektvoll hebt sich der rote Schriftzug ab. Ohser, der sich während seines Leipziger Studiums auch mit Theorien und Möglichkeiten der Typografie auseinandergesetzt hat, wählt für den Titel bewusst eine handschriftliche Formulierung. Den Einsatz der charaktervollen Sütterlinschrift als individuelles Erkennungszeichen wird er auch in den Bildgeschichten von Vater und Sohn praktizieren. Erich Ohser etabliert sich zusehends als bekannter Zeichner in Berlin. Seit 1929 beliefert er die Abendausgabe des Vorwärts, die Neue Revue und den Querschnitt mit Witzzeichnungen und Karikaturen. Besonders letztere, die sich gegen politisch radikale Auswüchse in der Weimarer Republik richten und gern auch Hitler und GoebPolitische Karikatur aus dem Vorwärts (Reproduktion), 1932

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bels verspotten, machen Ohser populär. Insgesamt ist Erich Ohser sehr produktiv: Auf effiziente Weise nutzt er einmal gefundene Pointen und Motive durchaus in mehreren Zusammenhängen. Wobei er sich nicht etwa selbst kopiert, sondern die Möglichkeiten einer Geschichte nach allen Richtungen ausreizt. Überliefert sind Notizen zu Witzen auf einer kleinen Zettelsammlung – ein einzigartiges Reservoir an Material! Zudem berichten alle Freunde und Gefährten Ohsers übereinstimmend von seiner unerschöpflichen Fantasie im Witzeerfinden und von seiner hem- Witznotate mungslosen Freude am Witzeerzählen. Erich Ohser kommt der internen Logik der Pressezeichnung erfolgreich nach. Es gelingt ihm, die Qualität der Gestaltung und die Originalität der Idee mit der Schnelllebigkeit der Presse zu versöhnen. Seine Zeichnungen sind unmittelbar verständlich und doch von einer künstlerischen Eigenheit, die sie über den Alltagsgebrauch hinaushebt. Ohser wird zum anerkannten Pressezeichner und behauptet sich in einem Berufsstand, der von den Zeitungsherausgebern sehr hofiert wird. Pressezeichner sind 1929 insbesondere für die auflagenstarken illustrierten Zeitungen gleichberechtigte Mitarbeiter, die mit guten Verdiensten rechnen können. Sie speisen den Kult um Film­ diven, um Athleten und um die Mächtigen der Halbwelt und der Politik mit ihren Bildern und werden nicht selten selbst berühmt und nehmen auf diese Weise am Starrummel teil. Witzbild

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Elke Schulze

Ein deutsches K端nstlerschicksal


sehr, dass Du jetzt im Wald und am Wasser spielen kannst. Bring dem Vati später auch so ein paar schöne Muscheln mit. Sei schön artig und lieb. Vati freut sich sehr, wenn er hört, dass Du der Tante gut folgst. Nun sei geküsst von Deinem Vati und von Deiner Mutti.« »Mein lieber Christian! Ob es wohl da oben auf der Insel, auf der Du jetzt bist, auch einen Osterhasen gibt? Der kann doch da höchstens mit dem Schiff herüber gefahren sein. Aber Osterhasen können ja auch schwimmen. Ich bin ja neugierig, ob Du auch Ostereier gefunden hast. Ich habe hier welche gefunden. Sogar in Deinem Zimmer habe ich welche gefunden. In Deinen Helm hat er eines hineingelegt und unter das Schaukelpferd auch. Im Garten musste ich leider eine neue Schandtat von Dir entdecken. Du hast doch in das Erdbeerbeet ein großes Loch gegraben und all die kleinen Pflanzen verschüttet. Hoffentlich wachsen da überhaupt für Dich noch Erdbeeren im Sommer. Der Onkel Doktor hat mir geschrieben, dass Du Dich immer schön gerade halten sollst und dass Du viel turnen sollst. Machst Du doch auch? Ich freue mich, wenn ich von Tante Heydchen höre, dass Du lieb und brav bist. Hoffentlich stimmt es auch? Es küsst Dich Dein Vati.« Die Beschäftigung mit seinem Sohn ruft bei Ohser Erinnerungen an seine Kindheit hervor – er erkennt sich als Kind wieder und erlebt sich neu als Vater. Beide Erfahrungen sollten grundlegend werden für die Bildgestalten von Erich Ohsers Eltern mit Christian, 1931 Vater und Sohn. Folgerichtig fasst der Künstler in Bezug auf die Bildergeschichten zusammen: »Ich bin als Sohn geboren und habe mich im Laufe der Jahre zum Vater emporgearbeitet – habe sozusagen von der Pike auf gedient. Meine ersten Jahre verlebte ich in einem einsamen Grenzhaus mitten im Walde, im oberen Vogtlande. Mein Vater war Grenzbeamter und außerdem ein glücklicher und guter Mensch. Die Vater und Sohn-Zeichnungen sind Erinnerungen an meine Kindheit, ausgelöst durch die Freude am eigenen Sohn.«

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e.o.plauen

urt Ohser K ch ri E r e n h ic e Dem Z ss er den a d t, ig in e h sc e b wird hiermit lauen führt. .P .O E n e m a rn Künstle

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M

it den Bildgestalten von Vater und Sohn wird Erich Ohser als e.o.plauen in der ganzen Welt berühmt. Unter Pseudonym zu arbeiten, ist unter den Künstlern der Moderne durchaus geläufig. Kurt Tucholsky publiziert gleich unter fünf verschiedenen Namen – eine dieser künst­lichen Identitäten ist Peter Panther. Und Tucholsky ist es auch, der darauf verweist, dass diese erfundenen Namen oftmals Gestalt annehmen und ein Eigenleben führen. »Pseudonyme sind wie kleine Menschen; es ist gefährlich, Namen zu erfinden, sich für jemand anders auszugeben, Namen anzulegen – ein Name lebt. Und was als Spielerei begonnen, endet als heitere Schizophrenie.« Und es gibt andere Beispiele unter bildendenden Künstlern. So erweitert einer der populärsten Zeichner des Ullstein-Verlages unter Bezug auf seine ­Heimatstadt seinen Geburtsnamen zum Künstlernamen: Fritz Koch-Gotha. Und auch Erich Ohser signiert seine Zeichnungen gelegentlich mit Pseudonymen, etwa Ärisch oder unter Nutzung des Kosenamens für den Sohn Krischan. Der konkrete Auslöser für Ohsers neue Identität als Künstler liegt aber » Pseudonyme sind wie in den Zeitumständen nach 1933 begründet. Doch wird, was zunächst als »Notlösung« fungiert, zum Gewinn für kleine Menschen … ein den Künstler und macht Erich Ohser als e.o.plauen unName lebt.« sterblich. Und was als Auftragsarbeit für eine Zeitschrift des Ullstein-Verlages beginnt, ist auch nach dem Tod von dessen Erfinder bis heute eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Die Berliner Illustrirte Zeitung, kurz BIZ, ist zu Ohsers Zeiten eine viel ­gelesene Zeitschrift in Deutschland. Sie erscheint mit großer Auflagen­höhe und bringt eine breite Themenvielfalt von Politik, Mode, Sport, Reisen, Film und Zeitgeschehen. Wie ihr Titel mit der eigenwilligen Schreibweise bereits verrät, erscheint die Zeitschrift reich illustriert. Sie wird vom Ullstein-Verlag publiziert – auch nach der zwangsweisen Enteignung durch die neuen

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Titelblatt der Berliner Illustrirten Zeitung (BIZ), 1905

Machthaber. Die Nationalsozialisten treiben die Inhaber des Verlags politisch und wirtschaftlich in die Enge und erzwingen einen Verkauf an die neuen Herrscher. Aus dem einst legendär liberalen Ullstein-Verlag wird schrittweise der Deutsche Verlag. In den Anfangsjahren der Diktatur hofft man im Haus noch, dass es sich bei dieser Entwicklung nur um eine kurze Übergangszeit handelt und man danach wieder nahtlos – auch gemeinsam mit den ins Exil getriebenen einstigen Eigentümern – an die Arbeitsformen vor 1933 und an den guten Geist des Hauses Ullstein anknüpfen kann. Dass dies eine Illusion

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it den Bildgestalten von Vater und Sohn wird Erich Ohser als e.o.plauen in der ganzen Welt berühmt. Unter Pseudonym zu arbeiten, ist unter den Künstlern der Moderne durchaus geläufig. Kurt Tucholsky publiziert gleich unter fünf verschiedenen Namen – eine dieser künst­lichen Identitäten ist Peter Panther. Und Tucholsky ist es auch, der darauf verweist, dass diese erfundenen Namen oftmals Gestalt annehmen und ein Eigenleben führen. »Pseudonyme sind wie kleine Menschen; es ist gefährlich, Namen zu erfinden, sich für jemand anders auszugeben, Namen anzulegen – ein Name lebt. Und was als Spielerei begonnen, endet als heitere Schizophrenie.« Und es gibt andere Beispiele unter bildendenden Künstlern. So erweitert einer der populärsten Zeichner des Ullstein-Verlages unter Bezug auf seine ­Heimatstadt seinen Geburtsnamen zum Künstlernamen: Fritz Koch-Gotha. Und auch Erich Ohser signiert seine Zeichnungen gelegentlich mit Pseudonymen, etwa Ärisch oder unter Nutzung des Kosenamens für den Sohn Krischan. Der konkrete Auslöser für Ohsers neue Identität als Künstler liegt aber » Pseudonyme sind wie in den Zeitumständen nach 1933 begründet. Doch wird, was zunächst als »Notlösung« fungiert, zum Gewinn für kleine Menschen … ein den Künstler und macht Erich Ohser als e.o.plauen unName lebt.« sterblich. Und was als Auftragsarbeit für eine Zeitschrift des Ullstein-Verlages beginnt, ist auch nach dem Tod von dessen Erfinder bis heute eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Die Berliner Illustrirte Zeitung, kurz BIZ, ist zu Ohsers Zeiten eine viel ­gelesene Zeitschrift in Deutschland. Sie erscheint mit großer Auflagen­höhe und bringt eine breite Themenvielfalt von Politik, Mode, Sport, Reisen, Film und Zeitgeschehen. Wie ihr Titel mit der eigenwilligen Schreibweise bereits verrät, erscheint die Zeitschrift reich illustriert. Sie wird vom Ullstein-Verlag publiziert – auch nach der zwangsweisen Enteignung durch die neuen

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Titelblatt der Berliner Illustrirten Zeitung (BIZ), 1905

Machthaber. Die Nationalsozialisten treiben die Inhaber des Verlags politisch und wirtschaftlich in die Enge und erzwingen einen Verkauf an die neuen Herrscher. Aus dem einst legendär liberalen Ullstein-Verlag wird schrittweise der Deutsche Verlag. In den Anfangsjahren der Diktatur hofft man im Haus noch, dass es sich bei dieser Entwicklung nur um eine kurze Übergangszeit handelt und man danach wieder nahtlos – auch gemeinsam mit den ins Exil getriebenen einstigen Eigentümern – an die Arbeitsformen vor 1933 und an den guten Geist des Hauses Ullstein anknüpfen kann. Dass dies eine Illusion

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bleiben sollte, wissen die verbliebenen Mitarbeiter noch nicht, als sie sich mit schlauem Taktieren und Kompromissen zu arrangieren suchen. Mit besonderem Geschick erwirken sie Ohsers Zulassung als Pressezeichner. Der Verlag ist auf den publizistischen Erfolg insbesondere der BIZ angewiesen. Und so entwickelt Johannes Weyl, der das Zeitschriften-Zentralbüro im Ullstein-Verlag leitet, die Idee einer sogenannten »stehenden Figur«. Amerikanische Zeitungen haben mit fortlaufenden Bildgeschichten ein Erfolgsmodell entwickelt – die Geburtsstunde des Comic. Auch in Deutschland gibt es hin und wieder kleine Witzgeschichten mit wiederkehrendem Personal – sie sorgen für eine neue Form der Leserbindung. So beauftragt der umsichtige Journalist und Publizist Johannes Weyl seinen Redakteur Kurt Kusenberg, sich auf die Suche nach einem fähigen Künstler zu machen. Die Aufgabe ist nicht leicht zu lösen, wie Kusenberg berichtet. Er kontaktiert eine Vielzahl von Zeichnern, und erst nach längeren fruchtlosen Versuchen trifft er auf Erich Ohser. »Stehende Figuren lassen sich eben nicht künstlich zusammenbrauen wie Homunculi in der Retorte. Sie müssen mit Witz, mit Liebe erschaffen werden und bedürfen durchaus der öffentlichen Gegenliebe, um sich zu behaupten. Sind sie erst einmal aufgenommen, so fließt ihnen Kraft zu; sie werden immer selbständiger, immer leibhaftiger und leben dann so lange, wie sie es verdienen – Monate oder gar Jahre. Je menschlicher solche Figuren sind, je allgemeingültiger, desto mehr dürfen sie erwarten, » Stehende Figuren … Freunde und Anhänger zu gewinnen, die sich in müssen mit Witz, mit Liebe ihnen wiedererkennen und sich von ihnen angeerschaffen werden und rührt fühlen; eben das muss die Eigenschaft jeder bedürfen durchaus der Erfindung sein, die sich an viele wendet. Diesen Kontakt herzustellen aber war bislang keinem öffentlichen Gegenliebe, deutschen Zeichner gelungen. Mit 35 Zeichnern um sich zu behaupten.« hatte ich es mittlerweile versucht, 35-mal denselben kleinen Vortrag gehalten und ebenso oft gehofft, der rechte Mann sei gefunden – vergebens. Ein einziger Name stand noch auf meiner Liste, und über ihn ärgerte ich mich seit Wochen. Denn ob ich auch täglich zwei- oder dreimal die Rufnummer wählte, unter der Erich Ohser angeblich zu erreichen sei: Niemand meldete sich. Es kam dahin, dass ich an der Existenz dieses Zeichners zu zweifeln begann. Tags darauf erschien ein großer, rund­licher

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Herr, der im Gespräch lauschend die Hand ans Ohr hielt, schlau nickte und sich bald wieder empfahl. Er war der einzige, der mir nicht versicherte, er habe die Aufgabe begriffen – und der einzige, der sie löste. Sehr rasch wurden wir uns darüber einig, dass aus dem schlichten Thema von Vater und Sohn das Meiste herauszuholen sei. Der Grundstein war gelegt. In der Weihnachtszeit 1934 traten die beiden Gestalten vor die Öffentlichkeit. Die frühen Blätter der Bildfolge kennt man leicht unter den übrigen heraus. Noch haben die beiden Figuren nicht ihre endgültige Prägung, » Sehr rasch wurden wir noch ist der Kopf des Vaters nicht jene wohl beuns darüber einig, dass aus kannte, pralle, liegende Melone. Doch schon das dem schlichten Thema von fünfte oder sechste Abenteuer legte die Gesichter, die Körper, die Mimik und die Bewegung Vater und Sohn das Meiste der drolligen Helden ein für allemal fest. Sie leb- herauszuholen sei.« ten, sie standen – wie man es von stehenden Figuren füglich erwarten darf.« Doch zuvor muss Erich Ohser, dessen politische Karikaturen gegen die Nationalsozialisten bekannt und dessen Kästner-Illustrationen auf dem Scheiterhaufen der Bücherverbrennung gelandet waren, bei der zuständigen Stelle im Propagandaministerium durchgesetzt werden. Mit trickreicher Rhetorik gelingt dies Kurt Kusenberg, Johannes Weyl und Alfred Gerigk vom Ullstein-Verlag. Goebbels persönlich erteilt die Erlaubnis, Erich Ohser als Pressezeichner zuzulassen. Die Zulassung erfolgt allerdings unter strengen Auflagen: Ohser darf nur unpolitisch zeichnen und ausschließlich unter Künstlernamen veröffentlichen. So erfindet sich Erich Ohser neu und verbirgt seinen eigentlichen Namen kunstvoll unter Hinzufügung seiner Heimatstadt: Erich Ohser aus Plauen wird e.o.plauen. Der Künstler lässt sich das 1936 amtlich bestätigen. »21. 11. 1936, Polizeipräsident Berlin. Polizeiamt Schöneberg-Wilmers­ dorf: Dem Zeichner Erich Kurt Ohser, geboren 18. 3. 1903 zu Untergettengrün im Vogtland, wohnhaft in Berlin-Wilmersdorf, Hoffmann-von-Fallersleben-Platz 2, wird hiermit bescheinigt, dass er im Privatleben neben seinem Familiennamen Ohser noch den Künstlernamen E.O.Plauen führt.« Im selben Jahr erfolgt die amtliche Bestätigung vom Präsident der Reichskammer der bildenden Künste per Ausweis: »Dieser Ausweis berechtigt zur Berufsausübung als Maler und Grafiker und ist jederzeit der Polizei oder den von mir bestellten Kontrollorganen auf Erfordern vorzuzeigen.« Wie seine Kunst­

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bleiben sollte, wissen die verbliebenen Mitarbeiter noch nicht, als sie sich mit schlauem Taktieren und Kompromissen zu arrangieren suchen. Mit besonderem Geschick erwirken sie Ohsers Zulassung als Pressezeichner. Der Verlag ist auf den publizistischen Erfolg insbesondere der BIZ angewiesen. Und so entwickelt Johannes Weyl, der das Zeitschriften-Zentralbüro im Ullstein-Verlag leitet, die Idee einer sogenannten »stehenden Figur«. Amerikanische Zeitungen haben mit fortlaufenden Bildgeschichten ein Erfolgsmodell entwickelt – die Geburtsstunde des Comic. Auch in Deutschland gibt es hin und wieder kleine Witzgeschichten mit wiederkehrendem Personal – sie sorgen für eine neue Form der Leserbindung. So beauftragt der umsichtige Journalist und Publizist Johannes Weyl seinen Redakteur Kurt Kusenberg, sich auf die Suche nach einem fähigen Künstler zu machen. Die Aufgabe ist nicht leicht zu lösen, wie Kusenberg berichtet. Er kontaktiert eine Vielzahl von Zeichnern, und erst nach längeren fruchtlosen Versuchen trifft er auf Erich Ohser. »Stehende Figuren lassen sich eben nicht künstlich zusammenbrauen wie Homunculi in der Retorte. Sie müssen mit Witz, mit Liebe erschaffen werden und bedürfen durchaus der öffentlichen Gegenliebe, um sich zu behaupten. Sind sie erst einmal aufgenommen, so fließt ihnen Kraft zu; sie werden immer selbständiger, immer leibhaftiger und leben dann so lange, wie sie es verdienen – Monate oder gar Jahre. Je menschlicher solche Figuren sind, je allgemeingültiger, desto mehr dürfen sie erwarten, » Stehende Figuren … Freunde und Anhänger zu gewinnen, die sich in müssen mit Witz, mit Liebe ihnen wiedererkennen und sich von ihnen angeerschaffen werden und rührt fühlen; eben das muss die Eigenschaft jeder bedürfen durchaus der Erfindung sein, die sich an viele wendet. Diesen Kontakt herzustellen aber war bislang keinem öffentlichen Gegenliebe, deutschen Zeichner gelungen. Mit 35 Zeichnern um sich zu behaupten.« hatte ich es mittlerweile versucht, 35-mal denselben kleinen Vortrag gehalten und ebenso oft gehofft, der rechte Mann sei gefunden – vergebens. Ein einziger Name stand noch auf meiner Liste, und über ihn ärgerte ich mich seit Wochen. Denn ob ich auch täglich zwei- oder dreimal die Rufnummer wählte, unter der Erich Ohser angeblich zu erreichen sei: Niemand meldete sich. Es kam dahin, dass ich an der Existenz dieses Zeichners zu zweifeln begann. Tags darauf erschien ein großer, rund­licher

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Herr, der im Gespräch lauschend die Hand ans Ohr hielt, schlau nickte und sich bald wieder empfahl. Er war der einzige, der mir nicht versicherte, er habe die Aufgabe begriffen – und der einzige, der sie löste. Sehr rasch wurden wir uns darüber einig, dass aus dem schlichten Thema von Vater und Sohn das Meiste herauszuholen sei. Der Grundstein war gelegt. In der Weihnachtszeit 1934 traten die beiden Gestalten vor die Öffentlichkeit. Die frühen Blätter der Bildfolge kennt man leicht unter den übrigen heraus. Noch haben die beiden Figuren nicht ihre endgültige Prägung, » Sehr rasch wurden wir noch ist der Kopf des Vaters nicht jene wohl beuns darüber einig, dass aus kannte, pralle, liegende Melone. Doch schon das dem schlichten Thema von fünfte oder sechste Abenteuer legte die Gesichter, die Körper, die Mimik und die Bewegung Vater und Sohn das Meiste der drolligen Helden ein für allemal fest. Sie leb- herauszuholen sei.« ten, sie standen – wie man es von stehenden Figuren füglich erwarten darf.« Doch zuvor muss Erich Ohser, dessen politische Karikaturen gegen die Nationalsozialisten bekannt und dessen Kästner-Illustrationen auf dem Scheiterhaufen der Bücherverbrennung gelandet waren, bei der zuständigen Stelle im Propagandaministerium durchgesetzt werden. Mit trickreicher Rhetorik gelingt dies Kurt Kusenberg, Johannes Weyl und Alfred Gerigk vom Ullstein-Verlag. Goebbels persönlich erteilt die Erlaubnis, Erich Ohser als Pressezeichner zuzulassen. Die Zulassung erfolgt allerdings unter strengen Auflagen: Ohser darf nur unpolitisch zeichnen und ausschließlich unter Künstlernamen veröffentlichen. So erfindet sich Erich Ohser neu und verbirgt seinen eigentlichen Namen kunstvoll unter Hinzufügung seiner Heimatstadt: Erich Ohser aus Plauen wird e.o.plauen. Der Künstler lässt sich das 1936 amtlich bestätigen. »21. 11. 1936, Polizeipräsident Berlin. Polizeiamt Schöneberg-Wilmers­ dorf: Dem Zeichner Erich Kurt Ohser, geboren 18. 3. 1903 zu Untergettengrün im Vogtland, wohnhaft in Berlin-Wilmersdorf, Hoffmann-von-Fallersleben-Platz 2, wird hiermit bescheinigt, dass er im Privatleben neben seinem Familiennamen Ohser noch den Künstlernamen E.O.Plauen führt.« Im selben Jahr erfolgt die amtliche Bestätigung vom Präsident der Reichskammer der bildenden Künste per Ausweis: »Dieser Ausweis berechtigt zur Berufsausübung als Maler und Grafiker und ist jederzeit der Polizei oder den von mir bestellten Kontrollorganen auf Erfordern vorzuzeigen.« Wie seine Kunst­

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Ausweis für Erich Ohser, 1936

figur, der Vater, trägt Ohser auf dem dazugehörigen Passfoto eine Fliege, er unterschreibt als e.o.plauen und Erich Ohser. Damit geht für den Künstler eine lange Zeit der Unsicherheit zu Ende. Er hat, so wird überliefert, gemeinsam mit seinem Freund Erich Knauf nach der Machtergreifung die Originale seiner Karikaturen verbrannt und sich aus Berlin nach Marburg zurückgezogen. Dieser hilflose Versuch, eventuellen Repressalien zu entgehen, zeugt zugleich von der starken Verunsicherung Ohsers. Tatsächlich gelingt es ihm zunächst nicht, eine Arbeitserlaubnis als Pressezeichner zu erwirken. Und auch seine Zulassung für die Vater und SohnGeschichten wird wiederholt hinterfragt. In diesen verwickelten Vorgängen zeigt sich die ganze Unberechenbarkeit und Willkür, der Erich Ohser – wie so viele – ausgesetzt ist. Ohne Erlaubnis durch das Propagandaministerium ist ihm faktisch das künstlerische Arbeiten untersagt, worüber er sich in einem Brief an seinen Schwiegervater bitter beklagt. »Lieber Schwiegervater! Also, Du möchtest gern einen ausführlichen Bericht. Der Reichskammer der bildenden Künste gehöre ich an. Das hat den Vorteil, dass man da sieben Mark bezahlen durfte. Irgendwelche Rechte, dass man seine Zeichnungen damit in der Presse veröffentlichen darf, hat man nicht.

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Erich Kästner vor Berliner Zeitungskiosk, um 1935

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Ausweis für Erich Ohser, 1936

figur, der Vater, trägt Ohser auf dem dazugehörigen Passfoto eine Fliege, er unterschreibt als e.o.plauen und Erich Ohser. Damit geht für den Künstler eine lange Zeit der Unsicherheit zu Ende. Er hat, so wird überliefert, gemeinsam mit seinem Freund Erich Knauf nach der Machtergreifung die Originale seiner Karikaturen verbrannt und sich aus Berlin nach Marburg zurückgezogen. Dieser hilflose Versuch, eventuellen Repressalien zu entgehen, zeugt zugleich von der starken Verunsicherung Ohsers. Tatsächlich gelingt es ihm zunächst nicht, eine Arbeitserlaubnis als Pressezeichner zu erwirken. Und auch seine Zulassung für die Vater und SohnGeschichten wird wiederholt hinterfragt. In diesen verwickelten Vorgängen zeigt sich die ganze Unberechenbarkeit und Willkür, der Erich Ohser – wie so viele – ausgesetzt ist. Ohne Erlaubnis durch das Propagandaministerium ist ihm faktisch das künstlerische Arbeiten untersagt, worüber er sich in einem Brief an seinen Schwiegervater bitter beklagt. »Lieber Schwiegervater! Also, Du möchtest gern einen ausführlichen Bericht. Der Reichskammer der bildenden Künste gehöre ich an. Das hat den Vorteil, dass man da sieben Mark bezahlen durfte. Irgendwelche Rechte, dass man seine Zeichnungen damit in der Presse veröffentlichen darf, hat man nicht.

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Erich Kästner vor Berliner Zeitungskiosk, um 1935

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Das darf man nur, wenn man dem Reichsverband der deutschen Presse angehört. Das Unsinnige an der Angelegenheit ist, dass die Pressezeichner nicht etwa bei den bildenden Künstlern organisiert, sondern dass sie der Presse angegliedert sind und unter das Schriftleitergesetz fallen. Die verärgerten, zum Teil im März übergelaufenen Zeichner haben erst mal schnell alle Zeichner, die politisch gezeichnet haben, denunziert und aus dem Verband ausschließen lassen. In der nächst höheren Instanz sitzen Leute, die von künstlerischen Dingen keine Ahnung haben. Zum Beispiel fragt man mich: ›Warum haben Sie nicht sachlich gezeichnet?‹ Ich habe aber überhaupt noch keinen sachlichen Karikaturisten erlebt. Man will die Simplizissimus-Zeichner Arnold und Schilling auch noch ausschließen. Karl Holtz hat man bereits vor Monaten ausgeschlossen. Ein Mensch mit einigermaßen Res»Zum Beispiel fragt man pekt vor künstlerischen Leistungen kann so etwas mich: Warum haben Sie nicht tun. Woher sollen diese Menschen den Respekt nicht sachlich gezeichnet? nehmen? Man erzählt ihnen ja jeden Tag, was sie für ausgesuchte Menschen seien. Ich sehe keinen Weg, Ich habe aber überhaupt daran etwas zu ändern. Das sind alles Menschen, die noch keinen sachlichen um ihren lächerlichen Posten zittern. Selbst wenn es Karikaturisten erlebt.« der eine oder andere von ihnen einsieht, so wagen sie nichts zu sagen. Das haben wir im Fall Knauf zu dutzenden Malen erlebt. Sie sagen ganz offen: ›Ich werde mir die Finger nicht verbrennen!‹ Der Leiter des Landesverbandes, dem ich geschrieben hatte, dass ich für meine dazumal zur Zeit kranke Frau und ein Kind zu sorgen hätte, empfing mich mit den Worten: ›Nun sind Sie in der Zwischenzeit nicht verhungert?‹ Er nahm an, er hätte mich schon vor Wochen ausgeschlossen, meinte er freundlich lächelnd. Der einzige Weg wäre der, dass man die Pressezeichner aus dem Verband der Presse herausnimmt und bei den bildenden Künsten organisiert. Vielleicht sitzen dort ein paar Menschen, die Verständnis haben. Aber ich sehe da sehr schwarz. Einem Zeichner seinen Beruf zu nehmen, für eine Sache, die ›zur Zeit der Tat‹ nicht strafbar war, ist so das Teuflischste, was man sich ausdenken konnte. Das ist fast, als ob man ihm die Hand abhackt. Wenn man es für eine beschränkte Zeit täte, ließe sich das noch als ›Strafe‹ ansehen. So aber kann man kaum eine Bezeichnung dafür finden. Ich werde versuchen, mich mit Gebrauchsgrafik einigermaßen durchzuschlagen. Ich glaube, dass in nicht allzu ferner Zeit sich doch einige personelle Änderungen in der Regierung

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nicht vermeiden lassen werden. Dann wird auch unsere Zeit wieder gekommen sein. Die Luft ist voll davon. Ich glaube fast, warten ist zur Zeit das einzige, was man tun kann. Wir werden uns nicht gleich unterkriegen lassen. Ich wünsche Dir für Willingshausen gutes Erholungs- und Malerwetter. Mit herzlichstem Gruß, Dein Schwiegersohn Erich.« Ohsers Bedenken und seine Sorgen sind be- » Einem Zeichner seinen rechtigt, weniger jedoch seine Hoffnungen. Noch Beruf zu nehmen, für eine im Januar 1934 wird Erich Ohsers Aufnahme Sache, die zur Zeit der Tat in den Reichsverband von der Überprüfungskom- nicht strafbar war, ist so das mission abschlägig beschieden und die Rückgabe Teuflischste, was man sich des provisorischen Ausweises verlangt. In einem ausdenken konnte.« Schreiben vom 27. 1. 1934 wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass Erich Ohser künstlerisch und politisch untragbar geworden ist. »Der Ordnung halber bestätigen wir durch diese eingeschriebene Mitteilung die bereits erfolgte formlose Verständigung. Die Kommission des Landesverbandes Berlin der deutschen Presse hat aufgrund Ihrer früheren exponierten publizistischen Tätigkeit im marxistischen Sinne Ihr Gesuch um Aufnahme in den Fachausschuss der Pressezeichner im R.D.P. und die Eintragung in die Berufsliste abschlägig beschieden. Mit deutschem Gruß!« Nachdem Erich Ohser dann als Autor von Vater und Sohn doch als Pressezeichner bestätigt wird, gibt es 1936 abermals eine Auseinandersetzung um Ohsers Stellung. Und wieder wird ihm bescheinigt, nicht akzeptabel zu sein. Der Landesverband Berlin im Reichsverband der deutschen Presse erklärt am 19. Februar 1936 in einem Schreiben mit Zustellungsurkunde: »Ihre seinerzeit auf Widerruf erfolgte Eintragung in die Berufsliste der Schriftleiter habe ich gelöscht, nachdem die Ermittlungen ergeben haben, dass Sie nicht die Eigenschaften haben, die die Aufgabe der geistigen Einwirkung auf die Öffentlichkeit erfordert (§5 Ziff.7 SchriGes). Sie waren als Pressezeichner von 1930 bis zur nationalen Erhebung für den Vorwärts tätig. Während dieser Zeit haben Sie unerhörte Zeichnungen gegen die nationalsozialistische Bewegung angefertigt und sie im Vorwärts veröffentlichen lassen. Durch die von Ihnen gezeichneten gehässigen Angriffe gegen den Nationalsozialismus und seine Führer, Ihre Darstellung des Führers und Reichskanzlers und des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, haben Sie deutlich gezeigt, dass Sie nicht die geistigen Voraussetzungen für den heutigen Schriftleiterberuf

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Das darf man nur, wenn man dem Reichsverband der deutschen Presse angehört. Das Unsinnige an der Angelegenheit ist, dass die Pressezeichner nicht etwa bei den bildenden Künstlern organisiert, sondern dass sie der Presse angegliedert sind und unter das Schriftleitergesetz fallen. Die verärgerten, zum Teil im März übergelaufenen Zeichner haben erst mal schnell alle Zeichner, die politisch gezeichnet haben, denunziert und aus dem Verband ausschließen lassen. In der nächst höheren Instanz sitzen Leute, die von künstlerischen Dingen keine Ahnung haben. Zum Beispiel fragt man mich: ›Warum haben Sie nicht sachlich gezeichnet?‹ Ich habe aber überhaupt noch keinen sachlichen Karikaturisten erlebt. Man will die Simplizissimus-Zeichner Arnold und Schilling auch noch ausschließen. Karl Holtz hat man bereits vor Monaten ausgeschlossen. Ein Mensch mit einigermaßen Res»Zum Beispiel fragt man pekt vor künstlerischen Leistungen kann so etwas mich: Warum haben Sie nicht tun. Woher sollen diese Menschen den Respekt nicht sachlich gezeichnet? nehmen? Man erzählt ihnen ja jeden Tag, was sie für ausgesuchte Menschen seien. Ich sehe keinen Weg, Ich habe aber überhaupt daran etwas zu ändern. Das sind alles Menschen, die noch keinen sachlichen um ihren lächerlichen Posten zittern. Selbst wenn es Karikaturisten erlebt.« der eine oder andere von ihnen einsieht, so wagen sie nichts zu sagen. Das haben wir im Fall Knauf zu dutzenden Malen erlebt. Sie sagen ganz offen: ›Ich werde mir die Finger nicht verbrennen!‹ Der Leiter des Landesverbandes, dem ich geschrieben hatte, dass ich für meine dazumal zur Zeit kranke Frau und ein Kind zu sorgen hätte, empfing mich mit den Worten: ›Nun sind Sie in der Zwischenzeit nicht verhungert?‹ Er nahm an, er hätte mich schon vor Wochen ausgeschlossen, meinte er freundlich lächelnd. Der einzige Weg wäre der, dass man die Pressezeichner aus dem Verband der Presse herausnimmt und bei den bildenden Künsten organisiert. Vielleicht sitzen dort ein paar Menschen, die Verständnis haben. Aber ich sehe da sehr schwarz. Einem Zeichner seinen Beruf zu nehmen, für eine Sache, die ›zur Zeit der Tat‹ nicht strafbar war, ist so das Teuflischste, was man sich ausdenken konnte. Das ist fast, als ob man ihm die Hand abhackt. Wenn man es für eine beschränkte Zeit täte, ließe sich das noch als ›Strafe‹ ansehen. So aber kann man kaum eine Bezeichnung dafür finden. Ich werde versuchen, mich mit Gebrauchsgrafik einigermaßen durchzuschlagen. Ich glaube, dass in nicht allzu ferner Zeit sich doch einige personelle Änderungen in der Regierung

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nicht vermeiden lassen werden. Dann wird auch unsere Zeit wieder gekommen sein. Die Luft ist voll davon. Ich glaube fast, warten ist zur Zeit das einzige, was man tun kann. Wir werden uns nicht gleich unterkriegen lassen. Ich wünsche Dir für Willingshausen gutes Erholungs- und Malerwetter. Mit herzlichstem Gruß, Dein Schwiegersohn Erich.« Ohsers Bedenken und seine Sorgen sind be- » Einem Zeichner seinen rechtigt, weniger jedoch seine Hoffnungen. Noch Beruf zu nehmen, für eine im Januar 1934 wird Erich Ohsers Aufnahme Sache, die zur Zeit der Tat in den Reichsverband von der Überprüfungskom- nicht strafbar war, ist so das mission abschlägig beschieden und die Rückgabe Teuflischste, was man sich des provisorischen Ausweises verlangt. In einem ausdenken konnte.« Schreiben vom 27. 1. 1934 wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass Erich Ohser künstlerisch und politisch untragbar geworden ist. »Der Ordnung halber bestätigen wir durch diese eingeschriebene Mitteilung die bereits erfolgte formlose Verständigung. Die Kommission des Landesverbandes Berlin der deutschen Presse hat aufgrund Ihrer früheren exponierten publizistischen Tätigkeit im marxistischen Sinne Ihr Gesuch um Aufnahme in den Fachausschuss der Pressezeichner im R.D.P. und die Eintragung in die Berufsliste abschlägig beschieden. Mit deutschem Gruß!« Nachdem Erich Ohser dann als Autor von Vater und Sohn doch als Pressezeichner bestätigt wird, gibt es 1936 abermals eine Auseinandersetzung um Ohsers Stellung. Und wieder wird ihm bescheinigt, nicht akzeptabel zu sein. Der Landesverband Berlin im Reichsverband der deutschen Presse erklärt am 19. Februar 1936 in einem Schreiben mit Zustellungsurkunde: »Ihre seinerzeit auf Widerruf erfolgte Eintragung in die Berufsliste der Schriftleiter habe ich gelöscht, nachdem die Ermittlungen ergeben haben, dass Sie nicht die Eigenschaften haben, die die Aufgabe der geistigen Einwirkung auf die Öffentlichkeit erfordert (§5 Ziff.7 SchriGes). Sie waren als Pressezeichner von 1930 bis zur nationalen Erhebung für den Vorwärts tätig. Während dieser Zeit haben Sie unerhörte Zeichnungen gegen die nationalsozialistische Bewegung angefertigt und sie im Vorwärts veröffentlichen lassen. Durch die von Ihnen gezeichneten gehässigen Angriffe gegen den Nationalsozialismus und seine Führer, Ihre Darstellung des Führers und Reichskanzlers und des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, haben Sie deutlich gezeigt, dass Sie nicht die geistigen Voraussetzungen für den heutigen Schriftleiterberuf

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erfüllen. Ihre Eintragung in die Berufsliste der Schriftleiter kann nicht verantwortet werden. Aus diesem Grunde lehne ich auch Ihre endgültige Eintragung in die Berufsliste der Schriftleiter ab. Mit Erhalt dieses Bescheides haben Sie unverzüglich jede schriftleiterische Tätigkeit, auch als Pressezeichner, einzustellen, wobei ich Sie ausdrücklich auf die Strafbestimmung des § 36 SchriGes aufmerksam mache. Gegen diesen Bescheid können Sie binnen vier Wochen Einspruch einlegen, der bei mir mit Begründung einzureichen ist.« Unterzeichnet ist dieser Bescheid vom Lei» … haben Sie deutlich gezeigt, ter des Landesverbandes, der weitere Ablauf der dass Sie nicht die geistigen Auseinandersetzung ist nicht rekonstruierbar. Voraussetzungen für den heuti- Zu vermuten sind hier Kompetenzgerangel und gen Schrift­leiterberuf erfüllen.« Machtkämpfe zwischen Behörden und dem Ministerium, wie es so typisch ist für den Alltag im Dritten Reich. Nachweislich erfolgt dann eine erneute Bescheinigung: »Wir teilen Ihnen mit, dass Sie am 27. April 1936 endgültig in die Schriftleiter-Berufsliste aufgenommen worden sind unter Beschränkung Ihrer Tätigkeit als unpolitischer Pressezeichner.« Diese lapidare Benachrichtigung wird flankiert durch ein Schreiben vom folgenden Tag, das über die Hintergründe aufklärt: »Der Herr Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda hat meine Entscheidung vom 19. Februar 1936 aufgehoben. Ich habe Sie unter dem heutigen Tage in die Berufsliste B der Schriftleiter eingetragen und überreiche Ihnen in der Anlage die weiße Aufnahmekarte. Ich bitte Sie, den Nachweis Ihrer arischen Abstammung zu erbringen durch Einreichung amtlich beglaubigter Abschriften der Taufscheine von Ihnen, Ihren Eltern und Großeltern sowie in gleicher Weise für Ihre Ehefrau. Diese Abschriften müssen bei unseren Akten bleiben. Heil Hitler!« Selbst die Gestapo ist mit dem Vorgang befasst, der erst durch ein Machtwort von Goebbels selbst beendet wird. Die Unterabteilung II 2 der Gestapo wird am 3. 9. 1936 unter »Betr. Pressezeichner Erich Ohser (E.O.Plauen)« und »Bezug: 1 AktenZulassung als Pressezeichner für Erich Ohser, 1936

70 e.o.plauen

heft, 1 Buch« unterrichtet: »Der Landesverband Berlin im Reichsverband der deutschen Presse teilt mir am 25. 8. 36 – Rechtsabteilung LV 1093/MM/Schü. – mit, dass der Herr Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda nunmehr endgültig entschieden hat, dass Ohser in die Be» Ohser darf sich allerdings rufsliste der Schriftleiter eingetragen wird. Ohser nur als unpolitischer Pressedarf sich allerdings nur als unpolitischer Pressezeichner betätigen.« zeichner betätigen. Der dortige Vorgang und ein Exemplar der Karikaturensammlung Vater und Sohn sind beigefügt.« Erst jetzt, im Herbst 1936, kann sich Erich Ohser einigermaßen sicher sein: Seine Vater und Sohn-Geschichten laufen erfolgreich, und von Anfeindungen bleibt er verschont – vorerst. Der Erfolg von Vater und Sohn bietet ihrem Erfinder begrenzten Schutz. Die Redakteure vom Ullstein-Verlag können sich bestätigt sehen, und so wird die Zusammenarbeit mit Ohser bereits im Mai 1935 fest vertraglich geregelt. Aus den Vereinbarungen geht hervor, dass schon frühzeitig geplant ist, die Figuren auch anderweitig zu vermarkten. »Sie verpflichten sich, allein und ausschließlich für unseren Verlag Bilderserien wie die bisher in unserer Berliner Illustrirten Zeitung veröffentlichte Vater und Sohn oder ähnliche zu zeichnen. An den von uns angenommenen Bilderserien erwerben wir mit der Annahme das uneingeschränkte Urheberrecht, einschließlich des Urheberrechtes der figürlichen und handlungsmäßigen Idee. Wir sind demnach allein berechtigt, die Bilder in den Zeitschriften und Zeitungen, den Buchausgaben oder übrigen Veröffentlichungen unseres Verlages zu reproduzieren, die Reproduktionsrechte anderweitig zu vergeben sowie das Material in jeder sonstigen Weise auszuwerten. Sie erhalten als Pauschalhonorar für jede von uns für die Berliner Illustrirte Zeitung angenommene Bildserie M: 180,--. Sie sind verpflichtet, uns so viele Serien zu liefern, dass außer den 13 Bildserien, die vierteljährlich zur Veröffentlichung kommen sollen, immer ca. 12 darüber hinaus von uns angenommene Bildserien vorrätig sind.« Der Künstler wird verpflichtet, alle Zeichnungen zuerst dem Verlag anzubieten. Auch die Umstände und die Gewinnbeteiligung der geplanten Buchveröffentlichungen von Vater und Sohn 1935, 1936 und 1938 (geplante Auflagenhöhe 10.000 Exemplare, Verkaufspreis 2 Mark pro Exemplar) werden vertraglich geregelt. Man rechnet von vornherein mit mehreren Auflagen, und tatsächlich spielen diese Buchpublikationen eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung der Vater und Sohn-Geschichten.

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erfüllen. Ihre Eintragung in die Berufsliste der Schriftleiter kann nicht verantwortet werden. Aus diesem Grunde lehne ich auch Ihre endgültige Eintragung in die Berufsliste der Schriftleiter ab. Mit Erhalt dieses Bescheides haben Sie unverzüglich jede schriftleiterische Tätigkeit, auch als Pressezeichner, einzustellen, wobei ich Sie ausdrücklich auf die Strafbestimmung des § 36 SchriGes aufmerksam mache. Gegen diesen Bescheid können Sie binnen vier Wochen Einspruch einlegen, der bei mir mit Begründung einzureichen ist.« Unterzeichnet ist dieser Bescheid vom Lei» … haben Sie deutlich gezeigt, ter des Landesverbandes, der weitere Ablauf der dass Sie nicht die geistigen Auseinandersetzung ist nicht rekonstruierbar. Voraussetzungen für den heuti- Zu vermuten sind hier Kompetenzgerangel und gen Schrift­leiterberuf erfüllen.« Machtkämpfe zwischen Behörden und dem Ministerium, wie es so typisch ist für den Alltag im Dritten Reich. Nachweislich erfolgt dann eine erneute Bescheinigung: »Wir teilen Ihnen mit, dass Sie am 27. April 1936 endgültig in die Schriftleiter-Berufsliste aufgenommen worden sind unter Beschränkung Ihrer Tätigkeit als unpolitischer Pressezeichner.« Diese lapidare Benachrichtigung wird flankiert durch ein Schreiben vom folgenden Tag, das über die Hintergründe aufklärt: »Der Herr Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda hat meine Entscheidung vom 19. Februar 1936 aufgehoben. Ich habe Sie unter dem heutigen Tage in die Berufsliste B der Schriftleiter eingetragen und überreiche Ihnen in der Anlage die weiße Aufnahmekarte. Ich bitte Sie, den Nachweis Ihrer arischen Abstammung zu erbringen durch Einreichung amtlich beglaubigter Abschriften der Taufscheine von Ihnen, Ihren Eltern und Großeltern sowie in gleicher Weise für Ihre Ehefrau. Diese Abschriften müssen bei unseren Akten bleiben. Heil Hitler!« Selbst die Gestapo ist mit dem Vorgang befasst, der erst durch ein Machtwort von Goebbels selbst beendet wird. Die Unterabteilung II 2 der Gestapo wird am 3. 9. 1936 unter »Betr. Pressezeichner Erich Ohser (E.O.Plauen)« und »Bezug: 1 AktenZulassung als Pressezeichner für Erich Ohser, 1936

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heft, 1 Buch« unterrichtet: »Der Landesverband Berlin im Reichsverband der deutschen Presse teilt mir am 25. 8. 36 – Rechtsabteilung LV 1093/MM/Schü. – mit, dass der Herr Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda nunmehr endgültig entschieden hat, dass Ohser in die Be» Ohser darf sich allerdings rufsliste der Schriftleiter eingetragen wird. Ohser nur als unpolitischer Pressedarf sich allerdings nur als unpolitischer Pressezeichner betätigen.« zeichner betätigen. Der dortige Vorgang und ein Exemplar der Karikaturensammlung Vater und Sohn sind beigefügt.« Erst jetzt, im Herbst 1936, kann sich Erich Ohser einigermaßen sicher sein: Seine Vater und Sohn-Geschichten laufen erfolgreich, und von Anfeindungen bleibt er verschont – vorerst. Der Erfolg von Vater und Sohn bietet ihrem Erfinder begrenzten Schutz. Die Redakteure vom Ullstein-Verlag können sich bestätigt sehen, und so wird die Zusammenarbeit mit Ohser bereits im Mai 1935 fest vertraglich geregelt. Aus den Vereinbarungen geht hervor, dass schon frühzeitig geplant ist, die Figuren auch anderweitig zu vermarkten. »Sie verpflichten sich, allein und ausschließlich für unseren Verlag Bilderserien wie die bisher in unserer Berliner Illustrirten Zeitung veröffentlichte Vater und Sohn oder ähnliche zu zeichnen. An den von uns angenommenen Bilderserien erwerben wir mit der Annahme das uneingeschränkte Urheberrecht, einschließlich des Urheberrechtes der figürlichen und handlungsmäßigen Idee. Wir sind demnach allein berechtigt, die Bilder in den Zeitschriften und Zeitungen, den Buchausgaben oder übrigen Veröffentlichungen unseres Verlages zu reproduzieren, die Reproduktionsrechte anderweitig zu vergeben sowie das Material in jeder sonstigen Weise auszuwerten. Sie erhalten als Pauschalhonorar für jede von uns für die Berliner Illustrirte Zeitung angenommene Bildserie M: 180,--. Sie sind verpflichtet, uns so viele Serien zu liefern, dass außer den 13 Bildserien, die vierteljährlich zur Veröffentlichung kommen sollen, immer ca. 12 darüber hinaus von uns angenommene Bildserien vorrätig sind.« Der Künstler wird verpflichtet, alle Zeichnungen zuerst dem Verlag anzubieten. Auch die Umstände und die Gewinnbeteiligung der geplanten Buchveröffentlichungen von Vater und Sohn 1935, 1936 und 1938 (geplante Auflagenhöhe 10.000 Exemplare, Verkaufspreis 2 Mark pro Exemplar) werden vertraglich geregelt. Man rechnet von vornherein mit mehreren Auflagen, und tatsächlich spielen diese Buchpublikationen eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung der Vater und Sohn-Geschichten.

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vater und sohn

W

»

n ist uns Vater und Soh ein Buch, ja viel mehr als chen kann, über das man la nschauung. a lt e W e in e t is s e

«

orauf gründet sich nun die enorme Beliebtheit der Vater und SohnBildgeschichten von Erich Ohser? Diese Geschichten formulieren auf herzenswarme und humorvolle Weise eine humane Utopie, die jedoch im Alltag wurzelt und sich auch dort bewähren muss – ein zeitgenössischer Kritiker nennt Vater und Sohn trefflich »Parterre-Akrobaten des Lebens«. Das Grundmotiv aller Abenteuer der beiden Bildgestalten ist ihre wechselseitige Solidarität und ihr zärtliches Miteinander, das oft genug in Reibung mit den Hierarchien und Ordnungsgesetzen der Gesellschaft gerät. » Parterre-Akrobaten Wobei Vater und Sohn keine eigentlich absichtsvollen Redes Lebens « bellen aus Passion sind; sie sind auch keine Superhelden, wie sie die Comics bevölkern. Vater und Sohn leben in ihrer eigenen Welt, in der Menschenliebe, Pfiffigkeit, Spielfreude und das scheinbar Schwache obsiegen. Und so sehen die Bildgestalten auch aus: Weit entfernt von soldatischen Männlichkeitsentwürfen sind Vater und Sohn fröhliche Figuren – der Vater rund und gemütlich, der Sohn verstrubbelt und flink. Dass ihre Welt somit zur Gegenwelt einer auf Unterordnung und Disziplinierung festgelegten Umwelt werden muss, erfahren die beiden Bildgestalten wiederholt auf höchst körperliche Weise. Und doch sind es immer wieder diese beiden, die schließlich triumphieren. Ihre Botschaft bewährt sich in den Herausforderungen des Lebens. Gleich die erste Geschichte Der schlechte Hausaufsatz, die im Dezember 1934 in der BIZ erscheint, hat den unvermeidlichen Konflikt zwischen Vater und Sohn einerseits und den gesellschaftlichen Autoritäten andererseits zum Thema. Der Vater beobachtet seinen Sohn, der sich mit der Erledigung der Schulaufgaben quält. Die Arme und Beine verknotet vor Anstrengung, versucht

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vater und sohn

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n ist uns Vater und Soh ein Buch, ja viel mehr als chen kann, über das man la nschauung. a lt e W e in e t is s e

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orauf gründet sich nun die enorme Beliebtheit der Vater und SohnBildgeschichten von Erich Ohser? Diese Geschichten formulieren auf herzenswarme und humorvolle Weise eine humane Utopie, die jedoch im Alltag wurzelt und sich auch dort bewähren muss – ein zeitgenössischer Kritiker nennt Vater und Sohn trefflich »Parterre-Akrobaten des Lebens«. Das Grundmotiv aller Abenteuer der beiden Bildgestalten ist ihre wechselseitige Solidarität und ihr zärtliches Miteinander, das oft genug in Reibung mit den Hierarchien und Ordnungsgesetzen der Gesellschaft gerät. » Parterre-Akrobaten Wobei Vater und Sohn keine eigentlich absichtsvollen Redes Lebens « bellen aus Passion sind; sie sind auch keine Superhelden, wie sie die Comics bevölkern. Vater und Sohn leben in ihrer eigenen Welt, in der Menschenliebe, Pfiffigkeit, Spielfreude und das scheinbar Schwache obsiegen. Und so sehen die Bildgestalten auch aus: Weit entfernt von soldatischen Männlichkeitsentwürfen sind Vater und Sohn fröhliche Figuren – der Vater rund und gemütlich, der Sohn verstrubbelt und flink. Dass ihre Welt somit zur Gegenwelt einer auf Unterordnung und Disziplinierung festgelegten Umwelt werden muss, erfahren die beiden Bildgestalten wiederholt auf höchst körperliche Weise. Und doch sind es immer wieder diese beiden, die schließlich triumphieren. Ihre Botschaft bewährt sich in den Herausforderungen des Lebens. Gleich die erste Geschichte Der schlechte Hausaufsatz, die im Dezember 1934 in der BIZ erscheint, hat den unvermeidlichen Konflikt zwischen Vater und Sohn einerseits und den gesellschaftlichen Autoritäten andererseits zum Thema. Der Vater beobachtet seinen Sohn, der sich mit der Erledigung der Schulaufgaben quält. Die Arme und Beine verknotet vor Anstrengung, versucht

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Vater und Sohn – Der schlechte Hausaufsatz, 1934

sich dieser den Aufsatz wortwörtlich »aus den Fingern zu saugen«. Anstatt sein Kind nun zu ermahnen und anzutreiben, verwandelt der Vater die unangenehme Pflicht in ein gemeinsames Erlebnis. Beide Figuren verschmelzen regelrecht und bilden eine Einheit, während sie im beseelten Miteinander den geforderten Text schreiben. Ihre Innigkeit zeigt sich auch in den runden Formen, wie überhaupt das Runde und Weiche zum Charakteristikum des Vaters gehört. Dem kontrastiert das Spitze und Zacki» Für den Zeichner gibt ge, in dem Ohser die Vertreter des gesellschaftlichen es keine Fremdsprachen. Ordnungsgefüges a­ nlegt. So auch hier: Der gestrenEr schreibt in der Mutter­ ge Lehrer ist vom Bart bis zu den Schuhspitzen sprache aller Völker.« durchgedrückte Autorität und als solche höchst unzufrieden mit der gelieferten Hausaufgabe des Vater und Sohn-Duos. Folgerichtig erleidet der Vater die Züchtigung. Das alles ist mit wenigen Details erzählt, formal unmittelbar verständlich und von klarer Schlüssigkeit. Gekonnt nutzt Ohser das Grundvokabular von Bildgeschichten wie Bewegungslinien und Striche, die von den Betrachtern als Schreie entschlüsselt werden. Zudem spielt Ohser mit den Bildgrenzen, indem er etwa einen Schüler über den linken Panelschluss hinausreichen lässt. Diese Formen ­stilistischer Experimente wird Ohser in den Bildfolgen immer wieder aufgreifen.

74  vater und sohn

Es ist neben der universellen Botschaft auch ganz wesentlich die gestalterische Qualität der Bildgeschichten selbst, die Vater und Sohn bis heute so generationsübergreifend und international beliebt macht. Die Geschichten erzählen sich fast ohne Worte – das ermöglicht einen unmittelbaren Zugang. In der Zeitung werden sie unter der Rubrik Eine Bilderreihe von E.O.Plauen publiziert. Diese Verwandtschaft von Zeichnen und Schreiben beschäftigt auch den Schriftstellerfreund Erich Kästner, der mit Blick auf den Zeichner Paul Flora später bemerken sollte: »Der Zeichner und der Schriftsteller sind Zwillinge. Der Zeichner und der Schriftsteller, diese Zwillinge, sind Erzähler. Sie fabulieren, berichten, träumen, klagen an, spotten, lachen und schwärmen. Beide schreiben, was sie zu erzählen haben, auf Papier. Der eine bedient sich der Buchstaben. Der andere schreibt in Bilderschrift. Und er hat den beneidenswerten Vorteil, dass seine Geschichten, Anekdoten, Pamphlete, Hymnen und Humoresken nicht übersetzt zu werden brauchen. Für den Zeichner gibt es keine Fremdsprachen. Er schreibt in der Muttersprache aller Völker.« Mithilfe dieser Weltsprache artikuliert der Zeichner Erich Ohser nunmehr seinen zeitenthobenen Traum von Menschenliebe. Natürlich wird vom begeisterten Publikum sehr schnell nach den Vorbildern der Figuren und dem Wahrheitsgehalt der Episoden gefragt. Es ist nahe liegend, hier den Künstlervater und seinen Sohn als Modelle anzunehmen – und flugs identifiziert man das Bildpersonal und dessen Schöpfer. Bedenkt man, dass der 1931 geborene Christian beim Erscheinen der ersten Geschichten gerade drei Jahre alt geworden ist, wird augenfällig, dass Vater und Sohn – Spiel am Strand, 1935

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Vater und Sohn – Der schlechte Hausaufsatz, 1934

sich dieser den Aufsatz wortwörtlich »aus den Fingern zu saugen«. Anstatt sein Kind nun zu ermahnen und anzutreiben, verwandelt der Vater die unangenehme Pflicht in ein gemeinsames Erlebnis. Beide Figuren verschmelzen regelrecht und bilden eine Einheit, während sie im beseelten Miteinander den geforderten Text schreiben. Ihre Innigkeit zeigt sich auch in den runden Formen, wie überhaupt das Runde und Weiche zum Charakteristikum des Vaters gehört. Dem kontrastiert das Spitze und Zacki» Für den Zeichner gibt ge, in dem Ohser die Vertreter des gesellschaftlichen es keine Fremdsprachen. Ordnungsgefüges a­ nlegt. So auch hier: Der gestrenEr schreibt in der Mutter­ ge Lehrer ist vom Bart bis zu den Schuhspitzen sprache aller Völker.« durchgedrückte Autorität und als solche höchst unzufrieden mit der gelieferten Hausaufgabe des Vater und Sohn-Duos. Folgerichtig erleidet der Vater die Züchtigung. Das alles ist mit wenigen Details erzählt, formal unmittelbar verständlich und von klarer Schlüssigkeit. Gekonnt nutzt Ohser das Grundvokabular von Bildgeschichten wie Bewegungslinien und Striche, die von den Betrachtern als Schreie entschlüsselt werden. Zudem spielt Ohser mit den Bildgrenzen, indem er etwa einen Schüler über den linken Panelschluss hinausreichen lässt. Diese Formen ­stilistischer Experimente wird Ohser in den Bildfolgen immer wieder aufgreifen.

74  vater und sohn

Es ist neben der universellen Botschaft auch ganz wesentlich die gestalterische Qualität der Bildgeschichten selbst, die Vater und Sohn bis heute so generationsübergreifend und international beliebt macht. Die Geschichten erzählen sich fast ohne Worte – das ermöglicht einen unmittelbaren Zugang. In der Zeitung werden sie unter der Rubrik Eine Bilderreihe von E.O.Plauen publiziert. Diese Verwandtschaft von Zeichnen und Schreiben beschäftigt auch den Schriftstellerfreund Erich Kästner, der mit Blick auf den Zeichner Paul Flora später bemerken sollte: »Der Zeichner und der Schriftsteller sind Zwillinge. Der Zeichner und der Schriftsteller, diese Zwillinge, sind Erzähler. Sie fabulieren, berichten, träumen, klagen an, spotten, lachen und schwärmen. Beide schreiben, was sie zu erzählen haben, auf Papier. Der eine bedient sich der Buchstaben. Der andere schreibt in Bilderschrift. Und er hat den beneidenswerten Vorteil, dass seine Geschichten, Anekdoten, Pamphlete, Hymnen und Humoresken nicht übersetzt zu werden brauchen. Für den Zeichner gibt es keine Fremdsprachen. Er schreibt in der Muttersprache aller Völker.« Mithilfe dieser Weltsprache artikuliert der Zeichner Erich Ohser nunmehr seinen zeitenthobenen Traum von Menschenliebe. Natürlich wird vom begeisterten Publikum sehr schnell nach den Vorbildern der Figuren und dem Wahrheitsgehalt der Episoden gefragt. Es ist nahe liegend, hier den Künstlervater und seinen Sohn als Modelle anzunehmen – und flugs identifiziert man das Bildpersonal und dessen Schöpfer. Bedenkt man, dass der 1931 geborene Christian beim Erscheinen der ersten Geschichten gerade drei Jahre alt geworden ist, wird augenfällig, dass Vater und Sohn – Spiel am Strand, 1935

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sich die Abenteuer von Vater und Sohn hauptsächlich der Fantasie des Künstlers verdanken. Für eine bestimmte Geschichte jedoch ist durch den Künstlersohn überliefert, dass sie wahrhaft Erlebtes verarbeitet. In Spiel am Strand vertreiben sich Vater und Sohn lustvoll die Stunden: Sie werfen Steine ins Wasser. Dieses Spiel ist reiner Vollzug, essenzielles Ereignis. Daher kann es auch kein Ziel außerhalb des Tuns selbst geben und folgerichtig auch kein Ende des Spiels. Den vorläufigen Schluss für Vater und Sohn setzen dann die Umstände: Der Tag geht zur Neige, und der Strand ist geleert. Um das Spiel anderntags wieder zu ermög­lichen, karrt der Gute, wie er im Titel auch genannt wird, über Nacht und im Schweiße seines Angesichts einen Berg Kiesel herbei. Die Überraschung des Sohnes ist dann der eigentliche Lohn für alle Mühen des Vaters, und ihrer beider Spiel findet seine Fortsetzung.

ne. Dem Vater bleibt, um der sicheren Strafe zu entgehen, nichts anderes übrig, als sich als Kind auszugeben. Zum Vergnügen des Sohnes geht der Vater in die Knie und verbirgt seinen Bart hinter dem Strohhut. Im Watschelgang an der Hand des Sohnes verlässt er unter den skeptischen Blicken des Wächters das Geschehen. Die Gutmütigkeit des Vaters und seine unkonventionellen Erziehungsmethoden sind aber durchaus auch Anlass für Kritik. Wie befreiend es sein kann, gelegentlich nicht auf Prinzipien zu beharren, zeigt Erziehung mit ange­ brannten Bohnen. Der Vater, dem das Essen angebrannt ist, verlangt gleichwohl, dass das Ungenießbare gegessen wird. Er zwingt sich selbst dazu, jedoch erst der Sohn und schließlich der Hund widersetzen sich. Der Vater, ersichtlich selbst unglücklich mit dem Ergebnis seiner Kochkünste, versucht, dem Sohn mit väterlicher Macht seinen Willen aufzuzwingen. Erst die drastische Geste des Hundes, die das Fressen gleich ganz aus dem Bild befördert, stoppt den Furor des Vaters, der nunmehr die Größe hat, die Situation aufzulösen. Es

Vater und Sohn – Täuschende Nachahmung eines Kindes, 1936

Es ist oft bemerkt worden, dass der Vater ganz offenkundig genauso viel Lust zum Spielen hat wie der Sohn, ja, dass dieser es jenem ermöglicht, noch einmal Kind zu sein. Täuschende Nachahmung eines Kindes umspielt genau dieses Motiv. In der Bildgeschichte wippen beide, Vater und Sohn, mit großem Spaß auf einem Spielplatz, der Kindern vorbehalten ist. Und wieder betritt mit eckig-spitzen Formen die Ordnungsmacht in Form des Parkwächters die Sze-

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Vater und Sohn – Erziehung mit angebrannten Bohnen, 1936

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sich die Abenteuer von Vater und Sohn hauptsächlich der Fantasie des Künstlers verdanken. Für eine bestimmte Geschichte jedoch ist durch den Künstlersohn überliefert, dass sie wahrhaft Erlebtes verarbeitet. In Spiel am Strand vertreiben sich Vater und Sohn lustvoll die Stunden: Sie werfen Steine ins Wasser. Dieses Spiel ist reiner Vollzug, essenzielles Ereignis. Daher kann es auch kein Ziel außerhalb des Tuns selbst geben und folgerichtig auch kein Ende des Spiels. Den vorläufigen Schluss für Vater und Sohn setzen dann die Umstände: Der Tag geht zur Neige, und der Strand ist geleert. Um das Spiel anderntags wieder zu ermög­lichen, karrt der Gute, wie er im Titel auch genannt wird, über Nacht und im Schweiße seines Angesichts einen Berg Kiesel herbei. Die Überraschung des Sohnes ist dann der eigentliche Lohn für alle Mühen des Vaters, und ihrer beider Spiel findet seine Fortsetzung.

ne. Dem Vater bleibt, um der sicheren Strafe zu entgehen, nichts anderes übrig, als sich als Kind auszugeben. Zum Vergnügen des Sohnes geht der Vater in die Knie und verbirgt seinen Bart hinter dem Strohhut. Im Watschelgang an der Hand des Sohnes verlässt er unter den skeptischen Blicken des Wächters das Geschehen. Die Gutmütigkeit des Vaters und seine unkonventionellen Erziehungsmethoden sind aber durchaus auch Anlass für Kritik. Wie befreiend es sein kann, gelegentlich nicht auf Prinzipien zu beharren, zeigt Erziehung mit ange­ brannten Bohnen. Der Vater, dem das Essen angebrannt ist, verlangt gleichwohl, dass das Ungenießbare gegessen wird. Er zwingt sich selbst dazu, jedoch erst der Sohn und schließlich der Hund widersetzen sich. Der Vater, ersichtlich selbst unglücklich mit dem Ergebnis seiner Kochkünste, versucht, dem Sohn mit väterlicher Macht seinen Willen aufzuzwingen. Erst die drastische Geste des Hundes, die das Fressen gleich ganz aus dem Bild befördert, stoppt den Furor des Vaters, der nunmehr die Größe hat, die Situation aufzulösen. Es

Vater und Sohn – Täuschende Nachahmung eines Kindes, 1936

Es ist oft bemerkt worden, dass der Vater ganz offenkundig genauso viel Lust zum Spielen hat wie der Sohn, ja, dass dieser es jenem ermöglicht, noch einmal Kind zu sein. Täuschende Nachahmung eines Kindes umspielt genau dieses Motiv. In der Bildgeschichte wippen beide, Vater und Sohn, mit großem Spaß auf einem Spielplatz, der Kindern vorbehalten ist. Und wieder betritt mit eckig-spitzen Formen die Ordnungsmacht in Form des Parkwächters die Sze-

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Vater und Sohn – Erziehung mit angebrannten Bohnen, 1936

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nimmt nicht Wunder, dass dann im letzten Panel nicht nur Vater und Sohn, sondern auch der Hund in der Konditorei gemeinsam speisen – ein jeder nach seinem Gusto. Erich Ohser wird für die laschen Erziehungsmethoden seines Vaters wiederholt gerügt. Mit einer Bildgeschichte antwortet er auf die Vorwürfe mangelnder Konsequenz und führt den Beweis, dass selbst aus einem Malheur und dem festen Vorsatz rigider Strafe ein beglückendes Erlebnis werden kann. Der Sohn verschüttet stolpernd das Tintenfass auf dem Teppich – und während er Tränen über sein Unglück vergießt, geht der Vater erbost und holt die Rute. Bei seiner Rückkehr muss er jedoch sehen, dass der Sohn mittlerweile in dem Tintenfleck eine Tierfigur entdeckt hat, die er nun zum Löwen vervollständigt. Der Vater, von Neugier getrieben, betrachtet das kreative Treiben seines

Zum Kanon erhobene Kunst wie die antike Plastik wird gemeinhin in Museen ehrfurchtsvoll betrachtet. Nicht selten ist das ein hohles Ritual ohne inneres Erleben, bei dem sich namentlich Kinder langweilen. Und Kinder stellen Fragen, die als frech und unangemessen abgewiesen werden, etwa wenn sie sich über die Nacktheit des Dargestellten wundern. So auch hier. Aber der Vater entwickelt eine spielerische Antwort, indem er die Plastik unter dem Jubel des Kindes bekleidet. Folgerichtig wird der Vater dabei immer nackter, was im Feuereifer der Aktion vorerst unbemerkt bleibt, dann aber just zu großer Betretenheit bei Vater und Sohn führt, als eine Gruppe durch die Ausstellung geführt wird. Die gut bürgerlichen Museumsgäste blicken mit strafenden Blicken auf das anarchische Treiben von Vater und Sohn, wohingegen der Führer zwar zur Ehrfurcht mahnend den Finger hebt und auf die große Kunst verweist, ganz offenkundig aber selbst nichts vom Geschehen um die Skulptur realisiert. Der Museumsführer spult routiniert sein Programm ab, er läuft »blind« an der Kunst vorbei. Im Kontrast zu den missmutigen Kunstbesuchern haben Vater und Sohn tatsächlich Spaß im Museum. Vater und Sohn – Spaß im Museum, 1935

Vater und Sohn – Kunst bringt Gunst , 1935

Sprösslings, der gänzlich in sein Schöpfertum vertieft ist. Der Funke springt über — und auch der Vater beteiligt sich am künstlerischen Verschönern des Teppichs. Die Rute ist vergessen, ja, sie ist nicht einmal mehr zu sehen. Stattdessen betrachten Vater und Sohn voller Stolz ihr gemeinsames Werk. Kunst lässt Alternativen zu starren Vorstellungen von Erziehung und Strafe zu. Doch wenn Kunst selbst als Autorität verehrt werden soll, machen sich Vater und Sohn erst Recht lustig, wie die Bildgeschichte Spaß im Museum vorführt.

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nimmt nicht Wunder, dass dann im letzten Panel nicht nur Vater und Sohn, sondern auch der Hund in der Konditorei gemeinsam speisen – ein jeder nach seinem Gusto. Erich Ohser wird für die laschen Erziehungsmethoden seines Vaters wiederholt gerügt. Mit einer Bildgeschichte antwortet er auf die Vorwürfe mangelnder Konsequenz und führt den Beweis, dass selbst aus einem Malheur und dem festen Vorsatz rigider Strafe ein beglückendes Erlebnis werden kann. Der Sohn verschüttet stolpernd das Tintenfass auf dem Teppich – und während er Tränen über sein Unglück vergießt, geht der Vater erbost und holt die Rute. Bei seiner Rückkehr muss er jedoch sehen, dass der Sohn mittlerweile in dem Tintenfleck eine Tierfigur entdeckt hat, die er nun zum Löwen vervollständigt. Der Vater, von Neugier getrieben, betrachtet das kreative Treiben seines

Zum Kanon erhobene Kunst wie die antike Plastik wird gemeinhin in Museen ehrfurchtsvoll betrachtet. Nicht selten ist das ein hohles Ritual ohne inneres Erleben, bei dem sich namentlich Kinder langweilen. Und Kinder stellen Fragen, die als frech und unangemessen abgewiesen werden, etwa wenn sie sich über die Nacktheit des Dargestellten wundern. So auch hier. Aber der Vater entwickelt eine spielerische Antwort, indem er die Plastik unter dem Jubel des Kindes bekleidet. Folgerichtig wird der Vater dabei immer nackter, was im Feuereifer der Aktion vorerst unbemerkt bleibt, dann aber just zu großer Betretenheit bei Vater und Sohn führt, als eine Gruppe durch die Ausstellung geführt wird. Die gut bürgerlichen Museumsgäste blicken mit strafenden Blicken auf das anarchische Treiben von Vater und Sohn, wohingegen der Führer zwar zur Ehrfurcht mahnend den Finger hebt und auf die große Kunst verweist, ganz offenkundig aber selbst nichts vom Geschehen um die Skulptur realisiert. Der Museumsführer spult routiniert sein Programm ab, er läuft »blind« an der Kunst vorbei. Im Kontrast zu den missmutigen Kunstbesuchern haben Vater und Sohn tatsächlich Spaß im Museum. Vater und Sohn – Spaß im Museum, 1935

Vater und Sohn – Kunst bringt Gunst , 1935

Sprösslings, der gänzlich in sein Schöpfertum vertieft ist. Der Funke springt über — und auch der Vater beteiligt sich am künstlerischen Verschönern des Teppichs. Die Rute ist vergessen, ja, sie ist nicht einmal mehr zu sehen. Stattdessen betrachten Vater und Sohn voller Stolz ihr gemeinsames Werk. Kunst lässt Alternativen zu starren Vorstellungen von Erziehung und Strafe zu. Doch wenn Kunst selbst als Autorität verehrt werden soll, machen sich Vater und Sohn erst Recht lustig, wie die Bildgeschichte Spaß im Museum vorführt.

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Ohsers Publikum fühlt sich erkannt, ertappt, ermutigt – es begegnet den Figuren von Vater und Sohn und ihrem Schöpfer mit offenherziger Liebe. Davon zeugen eine Vielzahl von Briefen, die an e.o.plauen oder gleich direkt an Vater und Sohn gerichtet sind. Zum großen Erfolg der Figuren tragen auch die Buchausgaben bei, die zu beliebten Geschenken werden und nicht selten die Kindheitserinnerung einer ganzen Generation prägen sollten. Der erste Band erscheint 1935 – und dies ist Anlass für die folgende Postkarte, die beispielhaft für die amüsante Korrespondenz steht: »Lieber Onkel e.o.p. Mein Vater hat sich zu Weihnachten Dein schönes Buch geschenkt, und nun sitzen wir, es regnet draußen in Strömen, mit innerem Behagen vor Deinen ulkigen Bildchen. Auf der zweiten Seite schreit der Vater nach seinem Sohn und nun fraVater und Sohn-Buchausgabe, 1935 ge ich mich: ›Wie heißt der Bengel?‹ Ich tippe auf Heini und bei dem Vater auf Emil oder Gustav. Was meinst Du dazu? Wenn du Zeit und Lust hast, dann schreibst du mir mal Deine Ansicht. Was mögen Vater und Sohn wohl diese Weihnacht gemacht haben? Herzliche Weihnachtsgrüße!« Die vielen Briefe artikulieren Dankbarkeit und Freude – so ein Brief im Sommer 1935: »Lieber Herr Plauen, Ihre Zeichnungen Vater und Sohn sind meiner Familie stets eine große Freude. Mein Junge freut sich an den lustigen Streichen seines Alters­genossen; der Vater fühlt sich bis in den tiefsten Seelengrund erkannt im Guten und Bösen. Ich füge als kleines Zeichen unserer Dankbarkeit zwei Bildchen bei. Sie sind ohne Bezug auf Ihre Zeichnungen

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Dankesbrief an Erich Ohser, 1935

entstanden; die Beziehung ging uns erst später auf. Mutti lässt Sie auch schön grüßen. Hoffentlich bescheren Sie uns noch manches Schöne; feiner, tiefer Humor ist ein rarer Artikel, der uns jetzt besonders Not tut.« Beigefügt sind diesen Briefen häufig kleine Zeichnungen, Fotos von Vätern und Söhnen, gelegentlich Kritik wie etwa die an einer falsch gezeichneten Pendeluhr aus der Feder eines Uhrmachers. Vorschläge für neue Abenteuer von Vater und Sohn werden gleichermaßen eingesandt, wie folgendes Beispiel veranschaulicht: »Geehrter Herr Plauen! Ich möchte Ihnen als Arbeitsloser einen Tipp geben für Vater und Sohn. Die Bilder dazu kann ich nicht zeichnen. Der » … feiner, tiefer Humor Streich soll folgendermaßen vor sich gehen: Es ist ist ein rarer Artikel, der uns ein Lokal, darüber steht Bierhalle und Konzerthaus. jetzt besonders Not tut.« Es strömen viele Leute dort hinein. Vater und Sohn wollen auch herein, werden aber herausgeschmissen, weil sie kein Geld haben. Vater und Sohn holen sich einen Farbtopf und streichen bei Bierhalle und bei Konzerthaus das h weg – nun heißt es Bier alle und Konzert aus. Die Gäste, die das Lokal besuchen wollen, lesen das und kehren alle um. Vater und Sohn stehen in der Nähe und lachen über ihren Streich.«

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Ohsers Publikum fühlt sich erkannt, ertappt, ermutigt – es begegnet den Figuren von Vater und Sohn und ihrem Schöpfer mit offenherziger Liebe. Davon zeugen eine Vielzahl von Briefen, die an e.o.plauen oder gleich direkt an Vater und Sohn gerichtet sind. Zum großen Erfolg der Figuren tragen auch die Buchausgaben bei, die zu beliebten Geschenken werden und nicht selten die Kindheitserinnerung einer ganzen Generation prägen sollten. Der erste Band erscheint 1935 – und dies ist Anlass für die folgende Postkarte, die beispielhaft für die amüsante Korrespondenz steht: »Lieber Onkel e.o.p. Mein Vater hat sich zu Weihnachten Dein schönes Buch geschenkt, und nun sitzen wir, es regnet draußen in Strömen, mit innerem Behagen vor Deinen ulkigen Bildchen. Auf der zweiten Seite schreit der Vater nach seinem Sohn und nun fraVater und Sohn-Buchausgabe, 1935 ge ich mich: ›Wie heißt der Bengel?‹ Ich tippe auf Heini und bei dem Vater auf Emil oder Gustav. Was meinst Du dazu? Wenn du Zeit und Lust hast, dann schreibst du mir mal Deine Ansicht. Was mögen Vater und Sohn wohl diese Weihnacht gemacht haben? Herzliche Weihnachtsgrüße!« Die vielen Briefe artikulieren Dankbarkeit und Freude – so ein Brief im Sommer 1935: »Lieber Herr Plauen, Ihre Zeichnungen Vater und Sohn sind meiner Familie stets eine große Freude. Mein Junge freut sich an den lustigen Streichen seines Alters­genossen; der Vater fühlt sich bis in den tiefsten Seelengrund erkannt im Guten und Bösen. Ich füge als kleines Zeichen unserer Dankbarkeit zwei Bildchen bei. Sie sind ohne Bezug auf Ihre Zeichnungen

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Dankesbrief an Erich Ohser, 1935

entstanden; die Beziehung ging uns erst später auf. Mutti lässt Sie auch schön grüßen. Hoffentlich bescheren Sie uns noch manches Schöne; feiner, tiefer Humor ist ein rarer Artikel, der uns jetzt besonders Not tut.« Beigefügt sind diesen Briefen häufig kleine Zeichnungen, Fotos von Vätern und Söhnen, gelegentlich Kritik wie etwa die an einer falsch gezeichneten Pendeluhr aus der Feder eines Uhrmachers. Vorschläge für neue Abenteuer von Vater und Sohn werden gleichermaßen eingesandt, wie folgendes Beispiel veranschaulicht: »Geehrter Herr Plauen! Ich möchte Ihnen als Arbeitsloser einen Tipp geben für Vater und Sohn. Die Bilder dazu kann ich nicht zeichnen. Der » … feiner, tiefer Humor Streich soll folgendermaßen vor sich gehen: Es ist ist ein rarer Artikel, der uns ein Lokal, darüber steht Bierhalle und Konzerthaus. jetzt besonders Not tut.« Es strömen viele Leute dort hinein. Vater und Sohn wollen auch herein, werden aber herausgeschmissen, weil sie kein Geld haben. Vater und Sohn holen sich einen Farbtopf und streichen bei Bierhalle und bei Konzerthaus das h weg – nun heißt es Bier alle und Konzert aus. Die Gäste, die das Lokal besuchen wollen, lesen das und kehren alle um. Vater und Sohn stehen in der Nähe und lachen über ihren Streich.«

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Der arbeitslose Absender erhofft sich ein kleines Honorar für seinen Beitrag. Fraglich bleibt, ob Ohser zahlte – die Vorschläge bewahrte er auf. Andere Einsender bieten großzügig und augenzwinkernd ihre Unterstützung an, wobei sich der Bezug zum Alltag unter den Bedingungen des Nationalsozialismus im Jahr 1937 auf erschütternd lapidare Weise manifestiert. »Herrn E.O.Plauen, Berlin. Sollten Vater und Sohn dem Zuge der Zeit folgen und ihre arische Abstammung nachweisen müssen, so bin ich in der Lage, Ihnen einige Ahnenbilder von Großvater und Urgroßvater, letzterer mit Orden beladen in Großaufnahme, zur Verfügung stellen zu können. Dieselben beweisen eindeutig, dass die Familie vor mehr als 100 Jahren schon bei der Christenheit hoch geschätzt war. Besonders alle Kinder haben sie sogar jetzt noch geradezu zum Fressen gerne. Mit den besten Weihnachtsgrüßen.« Ein herausgehobener Bestand dieser weitläufigen Korrespondenz, die vom Künstler bewahrt wird, ist ein Konvolut an Briefen einer Augsburger Schulklasse von 1936. Die Jungs sammeln unter der Obhut einer überaus freigeistigen Lehrerin die Vater und Sohn-Episoden aus der BIZ und schreiben dem Schöpfer kleine Briefe. Die tolerante Lehrerin fördert das Unternehmen und lässt den Kindern beim Verfassen ihrer Schreiben vollkommen freien Raum. Auf diese Weise entstehen zauberhafte Zeugnisse kindlicher Individualität und Originalität. Im Folgenden ist eine Auswahl dieser Briefe versammelt, wobei die Rechtschreibung zur besseren Lesbarkeit behutsam verbessert ist, ohne jedoch den mitunter eigenwilligen Charakter der Schreiben zu verfremden. »Sehr geehrter Herr Plauen. Ich freue mich, Ihnen ein kleines Briefchen zu schreiben. Die Vater und Sohn-Bilder sammelt die gan» Wie machen Sie denn ze Klasse fleißig. Am liebsten möchten wir alle Wände die netten Sachen, haben damit tapezieren. Wären Sie nicht so liebenswürdig und Sie da Vorlagen?« malen uns ein Vater und Sohn-Bild, dass Sie uns es dann schicken? Sie werden doch schon über hundert solche Bilder gemalt haben? Herr Plauen, jetzt stelle ich Ihnen noch eine Frage: Wie machen Sie denn die netten Sachen, haben Sie da Vorlagen? Der Vater, wie ich sehe, muss doch pensioniert sein. Der lässt dem Sohn alles durchgehen. Herr Plauen, können Sie nicht auch einmal ›Mutter und Tochter‹ oder ›Großvater und Enkel‹ oder ›Tante und Zwilling‹, das wäre doch auch sehr lustig, wenn man das zeichnen wollte. Ich schließe jetzt den Brief.«

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»Sehr geehrter Herr Plauen! Ihre Zeichnungen von Vater und Sohn gefallen mir und unserer Klasse so gut, dass wir in diesem kleinen Brief unser Lob und unsere Bewunderung aussprechen. Ganz neidisch bin ich, wenn ich immer sehe, dass der Sohn nie zur Schule zu gehen braucht. Er darf den ganzen Tag Streiche mit seinem ebenso lustigen Vater machen. Kaum hat der ihn geschlagen, trägt er ihn schon wieder auf dem Arm. Bitte! Zeichnen Sie doch auch einmal etwas von Sohns Streichen in der Schule! Aber nicht zu viel, sonst machen wir es alle noch nach. Gelungen ist es auch, wenn Vater sich umschaut, dann schaut der Kopf zum Rücken. Wenn er freudig ist, dann steht sein Schnurrbart nach oben, ist er böse (denn trau- Kinderbrief an Erich Ohser, 1936 rig gibt es ja bei ihm nicht) nach unten. Ich wünsche Ihnen weiteren Erfolg im Zeichnen und Gesundheit.« »Sehr geehrter Herr Plauen! Mir gefallen die Bilder von Vater und Sohn sehr gut. Wenn man sie liest, gibt es eine Gaudi. Sehr nett wäre es, wenn die Leute dumm wären und die Streiche nicht merken würden. » Eine gute Lachunter­ Wenn ich nachts aufstehe und Honig schlecke, so merkt stützung ist Vater und man es gleich. Hoffentlich fallen Ihnen viele Vater und Sohn schon.« Sohn ein, dass es mehr Gaudi gibt. In Augsburg muss man viel zu wenig lachen. Wenn man lacht, wie ich mir wünsche, muss man sich den ganzen Tag kaputt lachen. Eine gute Lachunterstützung ist Vater und Sohn schon.« Ohser erhält diese Briefe der 4. Klasse und entschließt sich daraufhin zum Überraschungsbesuch in Augsburg. Begleitet von seinem Zeichnerkollegen Barlog fährt Ohser in die Schule nach Augsburg, gibt sich zeichnend als

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Der arbeitslose Absender erhofft sich ein kleines Honorar für seinen Beitrag. Fraglich bleibt, ob Ohser zahlte – die Vorschläge bewahrte er auf. Andere Einsender bieten großzügig und augenzwinkernd ihre Unterstützung an, wobei sich der Bezug zum Alltag unter den Bedingungen des Nationalsozialismus im Jahr 1937 auf erschütternd lapidare Weise manifestiert. »Herrn E.O.Plauen, Berlin. Sollten Vater und Sohn dem Zuge der Zeit folgen und ihre arische Abstammung nachweisen müssen, so bin ich in der Lage, Ihnen einige Ahnenbilder von Großvater und Urgroßvater, letzterer mit Orden beladen in Großaufnahme, zur Verfügung stellen zu können. Dieselben beweisen eindeutig, dass die Familie vor mehr als 100 Jahren schon bei der Christenheit hoch geschätzt war. Besonders alle Kinder haben sie sogar jetzt noch geradezu zum Fressen gerne. Mit den besten Weihnachtsgrüßen.« Ein herausgehobener Bestand dieser weitläufigen Korrespondenz, die vom Künstler bewahrt wird, ist ein Konvolut an Briefen einer Augsburger Schulklasse von 1936. Die Jungs sammeln unter der Obhut einer überaus freigeistigen Lehrerin die Vater und Sohn-Episoden aus der BIZ und schreiben dem Schöpfer kleine Briefe. Die tolerante Lehrerin fördert das Unternehmen und lässt den Kindern beim Verfassen ihrer Schreiben vollkommen freien Raum. Auf diese Weise entstehen zauberhafte Zeugnisse kindlicher Individualität und Originalität. Im Folgenden ist eine Auswahl dieser Briefe versammelt, wobei die Rechtschreibung zur besseren Lesbarkeit behutsam verbessert ist, ohne jedoch den mitunter eigenwilligen Charakter der Schreiben zu verfremden. »Sehr geehrter Herr Plauen. Ich freue mich, Ihnen ein kleines Briefchen zu schreiben. Die Vater und Sohn-Bilder sammelt die gan» Wie machen Sie denn ze Klasse fleißig. Am liebsten möchten wir alle Wände die netten Sachen, haben damit tapezieren. Wären Sie nicht so liebenswürdig und Sie da Vorlagen?« malen uns ein Vater und Sohn-Bild, dass Sie uns es dann schicken? Sie werden doch schon über hundert solche Bilder gemalt haben? Herr Plauen, jetzt stelle ich Ihnen noch eine Frage: Wie machen Sie denn die netten Sachen, haben Sie da Vorlagen? Der Vater, wie ich sehe, muss doch pensioniert sein. Der lässt dem Sohn alles durchgehen. Herr Plauen, können Sie nicht auch einmal ›Mutter und Tochter‹ oder ›Großvater und Enkel‹ oder ›Tante und Zwilling‹, das wäre doch auch sehr lustig, wenn man das zeichnen wollte. Ich schließe jetzt den Brief.«

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»Sehr geehrter Herr Plauen! Ihre Zeichnungen von Vater und Sohn gefallen mir und unserer Klasse so gut, dass wir in diesem kleinen Brief unser Lob und unsere Bewunderung aussprechen. Ganz neidisch bin ich, wenn ich immer sehe, dass der Sohn nie zur Schule zu gehen braucht. Er darf den ganzen Tag Streiche mit seinem ebenso lustigen Vater machen. Kaum hat der ihn geschlagen, trägt er ihn schon wieder auf dem Arm. Bitte! Zeichnen Sie doch auch einmal etwas von Sohns Streichen in der Schule! Aber nicht zu viel, sonst machen wir es alle noch nach. Gelungen ist es auch, wenn Vater sich umschaut, dann schaut der Kopf zum Rücken. Wenn er freudig ist, dann steht sein Schnurrbart nach oben, ist er böse (denn trau- Kinderbrief an Erich Ohser, 1936 rig gibt es ja bei ihm nicht) nach unten. Ich wünsche Ihnen weiteren Erfolg im Zeichnen und Gesundheit.« »Sehr geehrter Herr Plauen! Mir gefallen die Bilder von Vater und Sohn sehr gut. Wenn man sie liest, gibt es eine Gaudi. Sehr nett wäre es, wenn die Leute dumm wären und die Streiche nicht merken würden. » Eine gute Lachunter­ Wenn ich nachts aufstehe und Honig schlecke, so merkt stützung ist Vater und man es gleich. Hoffentlich fallen Ihnen viele Vater und Sohn schon.« Sohn ein, dass es mehr Gaudi gibt. In Augsburg muss man viel zu wenig lachen. Wenn man lacht, wie ich mir wünsche, muss man sich den ganzen Tag kaputt lachen. Eine gute Lachunterstützung ist Vater und Sohn schon.« Ohser erhält diese Briefe der 4. Klasse und entschließt sich daraufhin zum Überraschungsbesuch in Augsburg. Begleitet von seinem Zeichnerkollegen Barlog fährt Ohser in die Schule nach Augsburg, gibt sich zeichnend als

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Barlog, Erfüllte Bitte, e.o.plauen zu Besuch in Augsburg, BIZ, 1936

e.o.plauen zu erkennen und beschenkt alle Kinder mit einer Buchausgabe von Vater und Sohn. Geschickt wird das Ereignis von der BIZ genutzt, um Bekanntheit und Popularität der Geschichten noch zu steigern. Unversehens wird der Künstler selbst zum Star, über dessen Auftritt vor den Kindern und den Briefwechsel groß Bericht erstattet wird. Die Kinder » Herr Plauen, das wär reagieren abermals mit Dankesschreiben, die sowohl an fein, wenn Sie unser den Zeichner als auch an dessen Sohn gerichtet sind. Lehrer wären. « »Lieber Herr Plauen. Mit Ihrem Besuch haben Sie uns sehr überrascht. Als Sie das erste Bild von Vater und Sohn gemalt hatten, wussten wir gleich, dass Sie der Herr Plauen sind. Ich danke Ihnen sehr für das Vater und Sohn-Buch. Ich freue mich sehr, wenn Sie wieder einmal kommen und Ihren Sohn mitbringen. Jetzt muss ich dumm fragen: Schimpft denn da die Mutter nicht, wenn der Sohn so viele Streiche macht? Und haben Sie eigentlich eine Mutter? Müssen Sie die Tusche selber kaufen oder bekommen Sie die von der Firma?« »Lieber Herr Plauen! Noch einmal innigsten Dank für das lustige Buch. Kommt noch ein dritter Band heraus? Ich träume fast jede Nacht vom Vater und Sohn. So einen guten Vater hat niemand in unserer Klasse. Mein Vater ist

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schon 2 1/2 Jahre tot, er war auch sehr gut, aber nicht wie der Vater. Herr Plauen, das wär fein, wenn Sie unser Lehrer wären.« »Lieber Herr Malermeister! Haben Sie denn keine Frau? Wenn Sie eine Frau hätten, was würde sie über eure Streiche sagen? Ich danke auch für das Buch. Es sind auch einige sehr nette Witze darinnen. Es ist ein sehr, sehr nettes Weihnachtsgeschenk, auch für unsere Eltern, die es sehr bewundern. Die Arbeit, die Sie sich gemacht haben, uns diese Bücher alle zu drucken.« Die Kinder bestürmen Ohser, er möge seinen Sohn mitbringen, und sie geben sogar sehr konkrete Hinweise, wie Christian den bevorstehenden Schulalltag meistern kann. Dabei stehen die körperlichen Züchtigungen mit ihren vielen Spitznamen Tatzen und Hosenspanner im Zentrum der kindlichen »Überlebenshilfe«. Den Schulkindern erscheint die Bild­figur des Sohnes als Verkörperung des Künstlersohns. Ihre pragmatische Solidarität richtet sich folgerichtig an beide. »Lieber Christian! Du hast es noch schön: Du brauchst nicht in die Schule zu gehen, Du kannst viele schöne Sachen machen, zum Beispiel auf Deinem Vater kannst Du reiten. Aber nun nur noch ein Jahr, dann geht es in die Schule zum Lernen. Es gibt dann keine so große Gaudi mehr, dann wirst Du manchmal mit tränenden Augen heimkommen. Christian, komm mit Herrn Plauen zu uns später einmal. Viele Grüße!« »Lieber Sohn. Ich möchte Dir Ratschläge machen, wie Du die Tatzen nicht spürst: Wenn Du vom Lehrer eine Tatze bekommst, dann musst Du den Schnaufer anhalten. Oder musst Deine Hand mit Zwiebel einreiben, dann bekommst eine ganz geschwollene Hand, und der Kinderbrief an Christian Ohser, 1936 Lehrer meint, er hat Dich so fest

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Barlog, Erfüllte Bitte, e.o.plauen zu Besuch in Augsburg, BIZ, 1936

e.o.plauen zu erkennen und beschenkt alle Kinder mit einer Buchausgabe von Vater und Sohn. Geschickt wird das Ereignis von der BIZ genutzt, um Bekanntheit und Popularität der Geschichten noch zu steigern. Unversehens wird der Künstler selbst zum Star, über dessen Auftritt vor den Kindern und den Briefwechsel groß Bericht erstattet wird. Die Kinder » Herr Plauen, das wär reagieren abermals mit Dankesschreiben, die sowohl an fein, wenn Sie unser den Zeichner als auch an dessen Sohn gerichtet sind. Lehrer wären. « »Lieber Herr Plauen. Mit Ihrem Besuch haben Sie uns sehr überrascht. Als Sie das erste Bild von Vater und Sohn gemalt hatten, wussten wir gleich, dass Sie der Herr Plauen sind. Ich danke Ihnen sehr für das Vater und Sohn-Buch. Ich freue mich sehr, wenn Sie wieder einmal kommen und Ihren Sohn mitbringen. Jetzt muss ich dumm fragen: Schimpft denn da die Mutter nicht, wenn der Sohn so viele Streiche macht? Und haben Sie eigentlich eine Mutter? Müssen Sie die Tusche selber kaufen oder bekommen Sie die von der Firma?« »Lieber Herr Plauen! Noch einmal innigsten Dank für das lustige Buch. Kommt noch ein dritter Band heraus? Ich träume fast jede Nacht vom Vater und Sohn. So einen guten Vater hat niemand in unserer Klasse. Mein Vater ist

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schon 2 1/2 Jahre tot, er war auch sehr gut, aber nicht wie der Vater. Herr Plauen, das wär fein, wenn Sie unser Lehrer wären.« »Lieber Herr Malermeister! Haben Sie denn keine Frau? Wenn Sie eine Frau hätten, was würde sie über eure Streiche sagen? Ich danke auch für das Buch. Es sind auch einige sehr nette Witze darinnen. Es ist ein sehr, sehr nettes Weihnachtsgeschenk, auch für unsere Eltern, die es sehr bewundern. Die Arbeit, die Sie sich gemacht haben, uns diese Bücher alle zu drucken.« Die Kinder bestürmen Ohser, er möge seinen Sohn mitbringen, und sie geben sogar sehr konkrete Hinweise, wie Christian den bevorstehenden Schulalltag meistern kann. Dabei stehen die körperlichen Züchtigungen mit ihren vielen Spitznamen Tatzen und Hosenspanner im Zentrum der kindlichen »Überlebenshilfe«. Den Schulkindern erscheint die Bild­figur des Sohnes als Verkörperung des Künstlersohns. Ihre pragmatische Solidarität richtet sich folgerichtig an beide. »Lieber Christian! Du hast es noch schön: Du brauchst nicht in die Schule zu gehen, Du kannst viele schöne Sachen machen, zum Beispiel auf Deinem Vater kannst Du reiten. Aber nun nur noch ein Jahr, dann geht es in die Schule zum Lernen. Es gibt dann keine so große Gaudi mehr, dann wirst Du manchmal mit tränenden Augen heimkommen. Christian, komm mit Herrn Plauen zu uns später einmal. Viele Grüße!« »Lieber Sohn. Ich möchte Dir Ratschläge machen, wie Du die Tatzen nicht spürst: Wenn Du vom Lehrer eine Tatze bekommst, dann musst Du den Schnaufer anhalten. Oder musst Deine Hand mit Zwiebel einreiben, dann bekommst eine ganz geschwollene Hand, und der Kinderbrief an Christian Ohser, 1936 Lehrer meint, er hat Dich so fest

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hinaufgehauen, dass Du eine geschwollene Hand hast. Aber wenn Du Hosenspanner bekommst, dann musst Du Dich recht dick anziehen, dann tun sie nicht weh. Traust Du Dich zu uns in die Schule zu » Ich bin genauso ein kommen? Ich bin genauso ein Lausbub wie Du.« Lausbub wie Du.« »Lieber Christian! Du kommst jetzt bald in das Alter, wo man in die Schule kommt. Ich geb Dir einige Ratschläge: Wenn Du einmal ein schlechtes Gewissen hast, und Du siehst die Schläge voraus, musst Du Dir Dein Rechenbuch in die Hose stecken. Wenn Du ein anderes Buch hineinsteckst, klappert es recht. Der zweite: Wenn es Hosenspanner gibt, musst du recht schreien, dann lässt er nach, und dann tut’s nicht so weh. Und wenn der Lehrer schimpft, recht ein beleidigtes Gesicht machen und den Kopf recht hängen lassen, dann meint er, Du nimmst es arg und lässt Dich gehen. Der dritte: Wenn Du zu spät kommst, sagst Du einfach, ich hab keine Uhr. Und wenn es auf eine Probe zugeht, kaufst Du ein Einmaleinsbuch.« Die enorme Beliebtheit der Vater und Sohn-Bildgeschichten führt zu einer breiten Vermarktung der Figuren. Neben den drei Buchausgaben gibt es Vater und Sohn als Spielzeug, als Vorlagen für Nippes, als Aufdrucke auf Tassen und Servietten. Auch in der Reklame finden die beiden Bildgestalten vielfach VerChristian mit Vater und Sohn -Puppe im Rucksack, Mitte der 1930er-Jahre wendung, sogar in der Werbung für Zigaretten. Vater und Sohn werben auch für eine Lotterie – als sichere Sympathieträger eignen sie sich scheinbar für jeden zu vermarktenden Gegenstand, und selbst die Politik vereinnahmt sie kurzzeitig.

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Vater und Sohn besuchen die Athleten im Olympischen Dorf; sie haben gar einen Auftritt im Wahlkampf der NSDAP, in dem sie die vermeintlich sozialen Verbesserungen für die Bevölkerung herausstellen; und sie werben für das Winterhilfswerk. Ganz in diesem Kontext steht die Vater und Sohn-Geschichte Brav, mein Sohn: In ihren Bildern dominiert die vordergründige Absicht, ja, die Bilder wirken bemüht und sind bar des geistvollen Humors und der munteren Leichtigkeit der anderen Vater und Sohn-Geschichten. Erfolg und Vermarktung führen zwar zu Wohlstand und Prominenz Erich Ohsers. Doch der daraus resultierende Druck und die Vater und Sohn – Brav, mein Sohn, 1936 politische Vereinnahmung setzen dem Künstler sehr zu. Schon längst hat er seine souveräne Stellung als eigenständiger Bilderfinder eingebüßt: Er ist als Produzent zum Teil einer Maschinerie geworden, deren Takt sein Leben bis ins Private bestimmt. Vater und Sohn haben sich verselbständigt und führen ihr eigenes Dasein – unabhängig von ihrem Schöpfer, der sich von den Doppelgängern in Reklame und Alltagsgebrauch zunehmend erdrückt fühlt. Ohser entschließt sich 1937, die Serie zu beenden. Und er liefert mit der Bildgeschichte Kehrseite des Ruhms die Begründung für seine Entscheidung. Vater und Sohn ziehen durch die Stadt und sind dabei überall konfrontiert mit ihren Abbildern. Schaufenster und Straßen sind mit Vater und Sohn-Attrappen gefüllt, die Bildhelden werden auf gespenstische Weise um­zingelt von ihren Wieder-

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hinaufgehauen, dass Du eine geschwollene Hand hast. Aber wenn Du Hosenspanner bekommst, dann musst Du Dich recht dick anziehen, dann tun sie nicht weh. Traust Du Dich zu uns in die Schule zu » Ich bin genauso ein kommen? Ich bin genauso ein Lausbub wie Du.« Lausbub wie Du.« »Lieber Christian! Du kommst jetzt bald in das Alter, wo man in die Schule kommt. Ich geb Dir einige Ratschläge: Wenn Du einmal ein schlechtes Gewissen hast, und Du siehst die Schläge voraus, musst Du Dir Dein Rechenbuch in die Hose stecken. Wenn Du ein anderes Buch hineinsteckst, klappert es recht. Der zweite: Wenn es Hosenspanner gibt, musst du recht schreien, dann lässt er nach, und dann tut’s nicht so weh. Und wenn der Lehrer schimpft, recht ein beleidigtes Gesicht machen und den Kopf recht hängen lassen, dann meint er, Du nimmst es arg und lässt Dich gehen. Der dritte: Wenn Du zu spät kommst, sagst Du einfach, ich hab keine Uhr. Und wenn es auf eine Probe zugeht, kaufst Du ein Einmaleinsbuch.« Die enorme Beliebtheit der Vater und Sohn-Bildgeschichten führt zu einer breiten Vermarktung der Figuren. Neben den drei Buchausgaben gibt es Vater und Sohn als Spielzeug, als Vorlagen für Nippes, als Aufdrucke auf Tassen und Servietten. Auch in der Reklame finden die beiden Bildgestalten vielfach VerChristian mit Vater und Sohn -Puppe im Rucksack, Mitte der 1930er-Jahre wendung, sogar in der Werbung für Zigaretten. Vater und Sohn werben auch für eine Lotterie – als sichere Sympathieträger eignen sie sich scheinbar für jeden zu vermarktenden Gegenstand, und selbst die Politik vereinnahmt sie kurzzeitig.

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Vater und Sohn besuchen die Athleten im Olympischen Dorf; sie haben gar einen Auftritt im Wahlkampf der NSDAP, in dem sie die vermeintlich sozialen Verbesserungen für die Bevölkerung herausstellen; und sie werben für das Winterhilfswerk. Ganz in diesem Kontext steht die Vater und Sohn-Geschichte Brav, mein Sohn: In ihren Bildern dominiert die vordergründige Absicht, ja, die Bilder wirken bemüht und sind bar des geistvollen Humors und der munteren Leichtigkeit der anderen Vater und Sohn-Geschichten. Erfolg und Vermarktung führen zwar zu Wohlstand und Prominenz Erich Ohsers. Doch der daraus resultierende Druck und die Vater und Sohn – Brav, mein Sohn, 1936 politische Vereinnahmung setzen dem Künstler sehr zu. Schon längst hat er seine souveräne Stellung als eigenständiger Bilderfinder eingebüßt: Er ist als Produzent zum Teil einer Maschinerie geworden, deren Takt sein Leben bis ins Private bestimmt. Vater und Sohn haben sich verselbständigt und führen ihr eigenes Dasein – unabhängig von ihrem Schöpfer, der sich von den Doppelgängern in Reklame und Alltagsgebrauch zunehmend erdrückt fühlt. Ohser entschließt sich 1937, die Serie zu beenden. Und er liefert mit der Bildgeschichte Kehrseite des Ruhms die Begründung für seine Entscheidung. Vater und Sohn ziehen durch die Stadt und sind dabei überall konfrontiert mit ihren Abbildern. Schaufenster und Straßen sind mit Vater und Sohn-Attrappen gefüllt, die Bildhelden werden auf gespenstische Weise um­zingelt von ihren Wieder-

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Vater und Sohn – Kehrseite des Ruhms, 1937

gängern. Kurzzeitige Rettung finden die beiden Verzweifelten auf einer abgelegenen Bank unter einem Baum. Und genau dieser Baum ist es, an den sie ihre Abschiedsbotschaft hängen werden zu Beginn jener Bildgeschichte, mit der Ohser sich von seinem Publikum verabschiedet. Comicfiguren und Helden von Bildgeschichten altern gemeinhin nicht. Das ist die Voraussetzung für die stete Wiederkehr ihrer Abenteuer. So auch bei Vater und Sohn, womit sich das Problem stellt, wie deren Abschied plausibel gestaltet werden kann. Ohser findet dafür eine kongeniale Lösung. Nachdem sich seine Helden von ihrem Publikum verabschiedet haben, gehen sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, ihrem Horizont entgegen. Und nachdem sie einen weiten Weg zurückgelegt haben, treten sie in den innerbild­ » Plauen … hat nicht nur ein lichen Himmel ein und finden sich als Vollmond gutes Herz, das fühlt, sondern und Abendstern verewigt wieder. Von diesem Posten im Kunstkosmos Ohsers lächeln sie heiter er hat auch die Hand, die das und gütig auf ihre friedliche Welt hernieder: So Herz im Bilde sprechen lässt. sind sie entrückt und präsent zugleich, freund­ Und das ist viel.« liche Gefährten für jedermann – nach wie vor. Der außergewöhnliche Reiz der Bildgeschichten Erich Ohsers beschäftigt auch die zeitgenössische Kritik. Der Künstler sammelt die Rezensionen

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Vater und Sohn – Abschied, oder: Das größte Abenteuer, 1937

und Berichte der Presse und stellt sie zu einer Kladde zusammen. Die Kritiker erkennen das Kunstvolle im vermeintlich Einfachen der Gestaltung bei Ohser, die präzise Ökonomie und die grandiose Beobachtungsgabe des Zeichners. Sie würdigen in der Verbindung von Genauigkeit, technischer Finesse und zärtlichem Humor ein besonderes Talent, das in der deutschen Kunstgeschichte in dieser Weise einzig ist. Zwei Beispiele aus den Jahren 1935 und 1936: »Und noch eine winzige Kleinigkeit: Plauen ist ein vorzüglicher Beobachter: was er zeichnet, hat er gesehen, es stimmt! Die Bewegungen sind immer richtig. Und das ist ein gutes Zeichen für Plauen: er hat nicht nur ein gutes Herz, das fühlt, sondern er hat auch die Hand, die das Herz im Bilde sprechen lässt. Und das ist viel.«

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Vater und Sohn – Kehrseite des Ruhms, 1937

gängern. Kurzzeitige Rettung finden die beiden Verzweifelten auf einer abgelegenen Bank unter einem Baum. Und genau dieser Baum ist es, an den sie ihre Abschiedsbotschaft hängen werden zu Beginn jener Bildgeschichte, mit der Ohser sich von seinem Publikum verabschiedet. Comicfiguren und Helden von Bildgeschichten altern gemeinhin nicht. Das ist die Voraussetzung für die stete Wiederkehr ihrer Abenteuer. So auch bei Vater und Sohn, womit sich das Problem stellt, wie deren Abschied plausibel gestaltet werden kann. Ohser findet dafür eine kongeniale Lösung. Nachdem sich seine Helden von ihrem Publikum verabschiedet haben, gehen sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, ihrem Horizont entgegen. Und nachdem sie einen weiten Weg zurückgelegt haben, treten sie in den innerbild­ » Plauen … hat nicht nur ein lichen Himmel ein und finden sich als Vollmond gutes Herz, das fühlt, sondern und Abendstern verewigt wieder. Von diesem Posten im Kunstkosmos Ohsers lächeln sie heiter er hat auch die Hand, die das und gütig auf ihre friedliche Welt hernieder: So Herz im Bilde sprechen lässt. sind sie entrückt und präsent zugleich, freund­ Und das ist viel.« liche Gefährten für jedermann – nach wie vor. Der außergewöhnliche Reiz der Bildgeschichten Erich Ohsers beschäftigt auch die zeitgenössische Kritik. Der Künstler sammelt die Rezensionen

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Vater und Sohn – Abschied, oder: Das größte Abenteuer, 1937

und Berichte der Presse und stellt sie zu einer Kladde zusammen. Die Kritiker erkennen das Kunstvolle im vermeintlich Einfachen der Gestaltung bei Ohser, die präzise Ökonomie und die grandiose Beobachtungsgabe des Zeichners. Sie würdigen in der Verbindung von Genauigkeit, technischer Finesse und zärtlichem Humor ein besonderes Talent, das in der deutschen Kunstgeschichte in dieser Weise einzig ist. Zwei Beispiele aus den Jahren 1935 und 1936: »Und noch eine winzige Kleinigkeit: Plauen ist ein vorzüglicher Beobachter: was er zeichnet, hat er gesehen, es stimmt! Die Bewegungen sind immer richtig. Und das ist ein gutes Zeichen für Plauen: er hat nicht nur ein gutes Herz, das fühlt, sondern er hat auch die Hand, die das Herz im Bilde sprechen lässt. Und das ist viel.«

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»Dann geht es nebeneinander her: man merkt allmählich, in dieser gewollten Einfachheit steckt so viel geschultes zeichnerisches Können, dass viele Einzelheiten einer Bewegung oder Haltung geradezu hinreißend mit knappsten Mitteln gemeistert sind. Und man wird gleichzeitig immer mehr gefangen von der ganz besonderen Art dieser Heiterkeit, die so viel Nachdenklichkeit enthält, dass man fast ›Herz‹ sagen darf.« Ein Kritiker, Paul Rilla, formuliert anlässlich des Erscheinens des dritten Bandes von Vater und Sohn seine Rezension als offenen Brief an Vater und Sohn-Buchausgabe, 1938 einen zeichnenden Humoristen unter der Überschrift »Die Handschrift von Vater und Sohn«. Umfassend würdigt er die künstlerische Leistung des großen Menschenfreundes, den er rückhaltlos bewundert. »Ich weiß natürlich, dass die Gestalten von Vater und Sohn keine Handge» Nun halte ich die Hand­ lenksübung sind. Aber Sie waren menschenfreundlich genug, so zu tun, als seien sie es. Vater und Sohn, schrift, die Vater und Sohn diese gemütvollen Parterre-Akrobaten des Lebens, in die Welt gesetzt hat, … halten auf gar nichts, sie spazieren mitten unter uns für meisterlich.« und haben nicht einmal was dagegen, dass man sie für gut gelaunte Handgelenksübungen hält. Nun halte ich allerdings die Handschrift, die Vater und Sohn in die Welt gesetzt hat, nicht nur für unverwechselbar, sondern auch für meisterlich. An den gezeichneten Geschichten von Vater und Sohn entzückt (außer dem immer wieder bezaubernden Einfall) dreierlei: erstens die einzelne Zeichnung, die mit großartiger Treffsicherheit

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aus ein paar Grundtypen stets neue physiognomische und Bewegungsreize herausholt; zweitens die dramatische Kurve der Bildfolge, wirklich eine Katastrophenkurve des Lebens, wo, hart am Idyll der Schrecken, das Abenteuer und panisches Entsetzen hausen – nebst dem heiter bewegten oder zur Salzsäule erstarrten Staunen, dass es das alles gibt; drittens die Kunst der grafischen Formulierung, die diese durch Bild und Bildfolge laufende, stolpernde, stürzende Bewegung auffängt und zu kostbarem Verweilen einlädt. Es ist ein Verweilen von flüchtigsten zeichnerischen Momenten, wir können sie in Ruhe anschauen und feststellen, dass eine fast typografisch strenge, künstlerisch anspruchsvolle Stilisierung selten so ungezwungen den Anschein lustigster Beiläufigkeit sich zu geben gewusst hat. Was sich unter Ihrem eckig-raschen, geradezu impertinent den grafischen Schwarz-Weiß-Charakter betonenden Strich an lebendigen Gelenken, an federnder Körperlichkeit regt, wird dem Beschauer nur als der heitere Überschuss einer künstlerischen Laune bewusst. Das soll mich nicht hindern, in der Sparsamkeit den Beziehungsreichtum, in der Verkürzung die listig-weite Perspektive Ihrer Eingebungen neidvoll zu bewundern. Dahinter steht: ein meisterlicher Zeichner – und ein Humorist von seltenen Graden.« Von Dezember 1934 bis Dezember 1937 erscheinen die Geschichten von Vater und Sohn in der Berliner Illustrirten Zeitung. Anschließend nehmen Ohser und der Verlag hier und da mit Reminiszensen Bezug auf die Erfolgs­ geschichte. Der Künstler, der als e.o.plauen so berühmt wird, behält auch nach dem Ende der Bildgeschichten-Serie sein Pseudonym bei und veröffentlicht nunmehr seine Witzbilder, Zeichnungen und Karikaturen mit der Signatur e.o.plauen. Nach seinem tragischen Tod bittet die Witwe Ohsers verschiedene Freunde um einen Brief an den plötzlich halbwaisen Christian. Auch der ehemalige Leiter des Zeitschriften-Zentralbüros im Ullstein-Verlag, Johannes Weyl, kommt der Bitte Marigards nach und schreibt seine Erinnerung an den Schöpfer von Vater und Sohn 1947 nieder. »Lieber Christian Ohser, ich lernte Ihren Vater kennen als den Künstler, der einen lange von mir gehegten Wunsch erfüllte. Ich hatte gewünscht, dass man den Lesern der Berliner Illustrirten Zeitung, auf die ich damals einigen Einfluss besaß, Gestalten schenke, wie sie, in der angelsächsischen Presse immer wiederkehrend, großen Erfolg hatten und die Leser beglückten. Ich beauftragte einen sehr fähigen Redakteur, Dr. Kurt Kusenberg, den Künstler zu

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»Dann geht es nebeneinander her: man merkt allmählich, in dieser gewollten Einfachheit steckt so viel geschultes zeichnerisches Können, dass viele Einzelheiten einer Bewegung oder Haltung geradezu hinreißend mit knappsten Mitteln gemeistert sind. Und man wird gleichzeitig immer mehr gefangen von der ganz besonderen Art dieser Heiterkeit, die so viel Nachdenklichkeit enthält, dass man fast ›Herz‹ sagen darf.« Ein Kritiker, Paul Rilla, formuliert anlässlich des Erscheinens des dritten Bandes von Vater und Sohn seine Rezension als offenen Brief an Vater und Sohn-Buchausgabe, 1938 einen zeichnenden Humoristen unter der Überschrift »Die Handschrift von Vater und Sohn«. Umfassend würdigt er die künstlerische Leistung des großen Menschenfreundes, den er rückhaltlos bewundert. »Ich weiß natürlich, dass die Gestalten von Vater und Sohn keine Handge» Nun halte ich die Hand­ lenksübung sind. Aber Sie waren menschenfreundlich genug, so zu tun, als seien sie es. Vater und Sohn, schrift, die Vater und Sohn diese gemütvollen Parterre-Akrobaten des Lebens, in die Welt gesetzt hat, … halten auf gar nichts, sie spazieren mitten unter uns für meisterlich.« und haben nicht einmal was dagegen, dass man sie für gut gelaunte Handgelenksübungen hält. Nun halte ich allerdings die Handschrift, die Vater und Sohn in die Welt gesetzt hat, nicht nur für unverwechselbar, sondern auch für meisterlich. An den gezeichneten Geschichten von Vater und Sohn entzückt (außer dem immer wieder bezaubernden Einfall) dreierlei: erstens die einzelne Zeichnung, die mit großartiger Treffsicherheit

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aus ein paar Grundtypen stets neue physiognomische und Bewegungsreize herausholt; zweitens die dramatische Kurve der Bildfolge, wirklich eine Katastrophenkurve des Lebens, wo, hart am Idyll der Schrecken, das Abenteuer und panisches Entsetzen hausen – nebst dem heiter bewegten oder zur Salzsäule erstarrten Staunen, dass es das alles gibt; drittens die Kunst der grafischen Formulierung, die diese durch Bild und Bildfolge laufende, stolpernde, stürzende Bewegung auffängt und zu kostbarem Verweilen einlädt. Es ist ein Verweilen von flüchtigsten zeichnerischen Momenten, wir können sie in Ruhe anschauen und feststellen, dass eine fast typografisch strenge, künstlerisch anspruchsvolle Stilisierung selten so ungezwungen den Anschein lustigster Beiläufigkeit sich zu geben gewusst hat. Was sich unter Ihrem eckig-raschen, geradezu impertinent den grafischen Schwarz-Weiß-Charakter betonenden Strich an lebendigen Gelenken, an federnder Körperlichkeit regt, wird dem Beschauer nur als der heitere Überschuss einer künstlerischen Laune bewusst. Das soll mich nicht hindern, in der Sparsamkeit den Beziehungsreichtum, in der Verkürzung die listig-weite Perspektive Ihrer Eingebungen neidvoll zu bewundern. Dahinter steht: ein meisterlicher Zeichner – und ein Humorist von seltenen Graden.« Von Dezember 1934 bis Dezember 1937 erscheinen die Geschichten von Vater und Sohn in der Berliner Illustrirten Zeitung. Anschließend nehmen Ohser und der Verlag hier und da mit Reminiszensen Bezug auf die Erfolgs­ geschichte. Der Künstler, der als e.o.plauen so berühmt wird, behält auch nach dem Ende der Bildgeschichten-Serie sein Pseudonym bei und veröffentlicht nunmehr seine Witzbilder, Zeichnungen und Karikaturen mit der Signatur e.o.plauen. Nach seinem tragischen Tod bittet die Witwe Ohsers verschiedene Freunde um einen Brief an den plötzlich halbwaisen Christian. Auch der ehemalige Leiter des Zeitschriften-Zentralbüros im Ullstein-Verlag, Johannes Weyl, kommt der Bitte Marigards nach und schreibt seine Erinnerung an den Schöpfer von Vater und Sohn 1947 nieder. »Lieber Christian Ohser, ich lernte Ihren Vater kennen als den Künstler, der einen lange von mir gehegten Wunsch erfüllte. Ich hatte gewünscht, dass man den Lesern der Berliner Illustrirten Zeitung, auf die ich damals einigen Einfluss besaß, Gestalten schenke, wie sie, in der angelsächsischen Presse immer wiederkehrend, großen Erfolg hatten und die Leser beglückten. Ich beauftragte einen sehr fähigen Redakteur, Dr. Kurt Kusenberg, den Künstler zu

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suchen, der solche Gestalten schaffen könne. Durch Monate suchte er, sprach und verhandelte mit vielen Zeichnern und Malern – ohne ein befriedigendes Resultat, alles war dünn, läppisch, gesucht, krampfhaft, und Dr. Kusenberg wollte die Arbeit einstellen. Auf Wegen, die ich nicht mehr weiß, fand er dann schließlich zu Ihrem Vater. Und da war » … und in allem das, was plötzlich alles da – Können und Einsicht, Herz den werdenden Arbeiten ihre und Fantasie, Hintergründigkeit und ungezwuneigentliche Kraft und Größe gene Heiterkeit, Überlegenheit und Erlebnis, im verlieh: die Liebe.« Einzelnen das Allgemeingültige und in allem das, was den werdenden Arbeiten ihre eigentliche Kraft und Größe verlieh: die Liebe. Es sind Millionen Menschen gewesen, die sich über den Vater und seinen Sohn gefreut haben. Und Sie wissen sicher, dass diese Zeichnungen bis in chinesische Zeitungen vordrangen. Zugleich erlebte Ihr Vater, dass mit dem Erfolg der Neid aufstand, er sollte nicht mehr zeichnen dürfen, weil er es früher in der freiheitlichen deutschen Presse getan hatte. Wir konnten den Angriff schließlich abwehren.« Es war jene mutige Unterstützung Ohsers durch den Ullstein-Verlag, die Marigard nach dem Krieg bewog, die Rechte von Vater und Sohn an Johannes Weyl zu geben. Dieser baute nach 1945 in Konstanz mit Erlaubnis der französischen Alliierten zwei publizistische Unternehmen auf: die Tageszeitung Südkurier und den Südverlag. In diesem Zusammenhang legte er die beliebten Bildgeschichten wieder auf, und von hier aus begannen sie abermals ihren Siegeszug um die Welt. » Zugleich erlebte ihr Vater, Und diese Erfolgsgeschichte geht weiter: dass mit dem Erfolg der Neid Bis heute erobern die beiden fröhlichen Antiaufstand …« Helden die Herzen in aller Welt. Vater und Sohn als Botschafter des Humanen sind Anleitungen zum Glücklichsein, und in dunklen Zeiten, aber nicht nur in jenen, kann Lebensfreude Widerstand gegen die Herrschaft des Bösen, der Dummheit, der Fantasie- und der Mutlosigkeit sein. Dies hat bereits die Augsburger Lehrerin so verstanden, als sie dem verehrten Zeichner die Briefe ihrer Klasse zusendet. Im begleitenden Anschreiben formuliert sie ihr Verständnis von der Bedeutung von Vater und Sohn: »Sehr geehrter Vater von Vater und Sohn! Seit zwei Jahren ist mir und wohl vielen anderen der Donnerstag zum Festtag geworden – wie könnte man Ihnen dafür danken? Immer wieder freut man sich an dem Geist, aus

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Reklame für den zweiten Band Vater und Sohn im Südverlag, 1951

dem heraus die beiden Figuren leben. Dieser Geist der Güte, des Verstehenwollens, des Verzeihens. Dass dieser Geist noch lebt, wenn er im großen Weltgeschehen auch scheinbar verschwunden ist, das beweist Ihnen am besten die Freude über Ihre Arbeit, die aus beiliegenden Briefen spricht. Ganz besonders muss ich Ihnen noch sagen, wie reich wir durch » Vater und Sohn ist uns Sie geworden sind. Vater und Sohn ist uns ja viel ja viel mehr als ein Buch, über mehr als ein Buch, über das man lachen kann, das man lachen kann, mehr mehr als eine Donnerstagsfreude – es ist eine als eine Donnerstagsfreude – Weltanschauung.« Und jene Weltanschauung hat bis heute es ist eine Weltanschauung. « ihre Gültigkeit bewahrt. Der Zeitenthobenheit von Vater und Sohn kontrastiert das extrem Zeitgebundene der Existenz Ohsers als Pressezeichner, besonders da, wo die politische Karikatur berührt ist. Haben Vater und Sohn ihren Erfinder unsterblich gemacht, so steht sein Wirken als Pressezeichner gelegentlich unter der Signatur der Sterblichkeit, klingen Akzente der tragischen Zerrissenheit des Künstlers und Menschenfreundes an, der an kleinlicher Bosheit scheitern wird.

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suchen, der solche Gestalten schaffen könne. Durch Monate suchte er, sprach und verhandelte mit vielen Zeichnern und Malern – ohne ein befriedigendes Resultat, alles war dünn, läppisch, gesucht, krampfhaft, und Dr. Kusenberg wollte die Arbeit einstellen. Auf Wegen, die ich nicht mehr weiß, fand er dann schließlich zu Ihrem Vater. Und da war » … und in allem das, was plötzlich alles da – Können und Einsicht, Herz den werdenden Arbeiten ihre und Fantasie, Hintergründigkeit und ungezwuneigentliche Kraft und Größe gene Heiterkeit, Überlegenheit und Erlebnis, im verlieh: die Liebe.« Einzelnen das Allgemeingültige und in allem das, was den werdenden Arbeiten ihre eigentliche Kraft und Größe verlieh: die Liebe. Es sind Millionen Menschen gewesen, die sich über den Vater und seinen Sohn gefreut haben. Und Sie wissen sicher, dass diese Zeichnungen bis in chinesische Zeitungen vordrangen. Zugleich erlebte Ihr Vater, dass mit dem Erfolg der Neid aufstand, er sollte nicht mehr zeichnen dürfen, weil er es früher in der freiheitlichen deutschen Presse getan hatte. Wir konnten den Angriff schließlich abwehren.« Es war jene mutige Unterstützung Ohsers durch den Ullstein-Verlag, die Marigard nach dem Krieg bewog, die Rechte von Vater und Sohn an Johannes Weyl zu geben. Dieser baute nach 1945 in Konstanz mit Erlaubnis der französischen Alliierten zwei publizistische Unternehmen auf: die Tageszeitung Südkurier und den Südverlag. In diesem Zusammenhang legte er die beliebten Bildgeschichten wieder auf, und von hier aus begannen sie abermals ihren Siegeszug um die Welt. » Zugleich erlebte ihr Vater, Und diese Erfolgsgeschichte geht weiter: dass mit dem Erfolg der Neid Bis heute erobern die beiden fröhlichen Antiaufstand …« Helden die Herzen in aller Welt. Vater und Sohn als Botschafter des Humanen sind Anleitungen zum Glücklichsein, und in dunklen Zeiten, aber nicht nur in jenen, kann Lebensfreude Widerstand gegen die Herrschaft des Bösen, der Dummheit, der Fantasie- und der Mutlosigkeit sein. Dies hat bereits die Augsburger Lehrerin so verstanden, als sie dem verehrten Zeichner die Briefe ihrer Klasse zusendet. Im begleitenden Anschreiben formuliert sie ihr Verständnis von der Bedeutung von Vater und Sohn: »Sehr geehrter Vater von Vater und Sohn! Seit zwei Jahren ist mir und wohl vielen anderen der Donnerstag zum Festtag geworden – wie könnte man Ihnen dafür danken? Immer wieder freut man sich an dem Geist, aus

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Reklame für den zweiten Band Vater und Sohn im Südverlag, 1951

dem heraus die beiden Figuren leben. Dieser Geist der Güte, des Verstehenwollens, des Verzeihens. Dass dieser Geist noch lebt, wenn er im großen Weltgeschehen auch scheinbar verschwunden ist, das beweist Ihnen am besten die Freude über Ihre Arbeit, die aus beiliegenden Briefen spricht. Ganz besonders muss ich Ihnen noch sagen, wie reich wir durch » Vater und Sohn ist uns Sie geworden sind. Vater und Sohn ist uns ja viel ja viel mehr als ein Buch, über mehr als ein Buch, über das man lachen kann, das man lachen kann, mehr mehr als eine Donnerstagsfreude – es ist eine als eine Donnerstagsfreude – Weltanschauung.« Und jene Weltanschauung hat bis heute es ist eine Weltanschauung. « ihre Gültigkeit bewahrt. Der Zeitenthobenheit von Vater und Sohn kontrastiert das extrem Zeitgebundene der Existenz Ohsers als Pressezeichner, besonders da, wo die politische Karikatur berührt ist. Haben Vater und Sohn ihren Erfinder unsterblich gemacht, so steht sein Wirken als Pressezeichner gelegentlich unter der Signatur der Sterblichkeit, klingen Akzente der tragischen Zerrissenheit des Künstlers und Menschenfreundes an, der an kleinlicher Bosheit scheitern wird.

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»Ohser zeichnete und ich schrieb, was das Zeug hielt. Unser Ehrgeiz und wir selber brauchten wenig Schlaf …«

(Erich Kästner)

Elke Schulze

Elke Schulze

Ein deutsches Künstlerschicksal Vielen ist der geniale Zeichner aus Plauen nur unter seinem Pseudonym bekannt. Wer war der Mann, der mit seinen Vater und Sohn-Bildgeschichten Millionen begeisterte, den mit Erich Kästner eine enge Freundschafts- und Arbeitsbeziehung verband, der seiner politischen Karikaturen wegen nach 1933 nicht mehr frei publizieren durfte und dessen Leben mit seinem Freitod 1944 so früh und tragisch endete? Einfühlsam und anhand vieler persönlicher, z. T. bis dato unveröffentlichter Text- und Bilddokumente entwirft die Biografie ein umfassendes Bild vom Leben und Schaffen Erich Ohsers. In großer Nähe zum materialreichen Nachlass Erich Ohsers entstanden würdigt das Lebensbild nicht nur den außergewöhnlichen Künstler, sondern auch den Menschen Erich Ohser in einzigartiger Weise.

978-3-87800-046-4


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