Saisonvorschau Semperoper Dresden 2014/15

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Rolf Seelmann-Eggebert ist Journalist beim Norddeutschen Rundfunk und berichtet seit Ende der 1970er-Jahre über europäischen Adel und Königshäuser. Die Gepflogenheiten in einem Haus wie dem des Grafen Almaviva in Mozarts »Le nozze di Figaro« sind ihm wohl bekannt. Ein Experten-Gespräch.

Mozarts »Le nozze di Figaro« ist eine Komödie, die sich aus dem komplizierten Verwirrspiel zwischen Adeligen und ihren Bediensteten speist. Welche Angestellten findet man heute noch in Königshaushalten? Seelmann-Eggebert Obwohl die Ade­

ligen gerne schimpfen, es gäbe zu wenig Personal, erleichtern ihnen immer noch zahlreiche Angestell­ te das Leben. Dazu gehören auch so seltsame Berufe wie der des Uhrenmeisters, der den ganzen Tag nichts anderes tut, als durch die Räume zu wandeln und zu überprüfen, ob alle Uhren richtig gestellt sind. Sie müssen sich vor­ stellen: In einem Schloss wie dem Buckingham Palace gibt es 365 Zimmer und mindestens in jedem zweiten Raum steht eine Uhr. Was wäre das den ganzen Tag für ein Geklingel, würden die Uhren nicht zur selben Zeit schlagen! Prinz Charles wird außerdem gerne vor­ geworfen, er würde mit zu vielen Kammerdienern reisen. Böse Zun­ gen behaupten, er hätte Leute um sich, deren einzige Aufgabe es ist, die Zahnpasta auf seine Zahnbürs­ te zu streichen. Das scheint mir al­ lerdings etwas übertrieben. Und steigt auch in der Wirklichkeit ein Graf Almaviva einer Zofe Susanna nach?

Seelmann-Eggebert Sicherlich ent­ wickeln sich auch heute noch amouröse Verbindungen zwischen Adeligen und ihren Bediensteten. Aber diese werden streng geheim gehalten. Alle königlichen Fami­ lien wissen schließlich, wie sehr sie hinsichtlich derartiger Klatsch­ geschichten gefragt sind. Deshalb ähneln die Arbeitsverträge ihrer Bediensteten in Sachen Geheimhal­ tung auch der CIA. Man hat keine Chance, ohne entsprechende Frei­ gabe der Regenten aus dem Näh­ kästchen zu plaudern, und natür­ lich erfolgt diese nie. Selbst über ganz alltägliche Dinge wie Früh­ stücksgepflogenheiten darf nicht gesprochen werden: Hat die Queen nun, wenn sie Cornflakes isst, eine Plastikdose auf dem Tisch wie jede normale englische Hausfrau oder hat sie nicht? Die Queen muss ih­ ren Glanz bewahren. Wenn sie all­ täglich geworden ist, will niemand mehr etwas von ihr wissen.

Dürfte denn heutzutage ein Adeliger seine bürgerliche Angestellte problemlos heiraten? Das hat sich innerhalb von zwei Generationen enorm verändert. Ich erinnere mich noch, wie der norwegische König Harald fast neun Jahre lang bei seinem Vater Olav kämpfen muss­ te, um eine bürgerliche Frau, die gegenwärtige Königin, heiraten zu

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dürfen. Eine Generation später war es dann sein Sohn, Kronprinz Haa­ kon, der wiederum den Vater unter entsprechenden Druck setzte. Er hatte sich nicht nur für eine Bür­ gerliche entschieden, sondern auch noch für eine alleinerziehende Mut­ ter: Mette-Marit. Mittlerweile gibt es an allen sieben europäischen Königshäusern nur noch einen ein­ zigen König, der nicht bürgerlich geheiratet hat. Das ist der König von Belgien – seine Frau ist eine belgische Gräfin. In Mozarts Oper schlüpft schon einmal eine Gräfin in das Gewand ihrer Dienerin und wird ein Junge zum Mädchen umfunktioniert. Verspüren Monarchen auch heutzutage noch das Bedürfnis, sich als »Bürger« zu verkleiden? Es gibt eine schöne Geschichte über die jetzige Queen von England: Als der Krieg 1945 zu Ende war – die beiden Kö­ nigstöchter Elizabeth und Margaret waren 19 und 14 Jahre alt –, wollten sie unbedingt mit dem Volk, das sie vom Balkon aus sahen, feiern. Sie verkleideten sich deshalb, zogen sich die Mützen tief ins Gesicht, liefen unerkannt durch London und tranken Champagner im Ritz. Das ist allerdings auch die einzige Geschichte, in der sich ein jetziges Mitglied des Königshauses unters

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