100 YEARS OF HEADLINES EN VOGUE

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100 YEARS OF HEADLINES EN VOGUE

Masterarbeit von Sebastian Hilgetag



100 YEARS OF HEADLINES EN VOGUE

Masterarbeit von Sebastian Hilgetag


Inhalt


1. Einleitung

7. 1960 bis 1969

1.1 Kontext – 7 1.2 Subtext – 7 1.3 Headlines –8 1.4 Einleitung Mode, Zeitgeist, Lifestyle –8 1.5 Einleitung Magazine – 10 1.6 Semiotik –10

7.1 Einleitung Politik, Frauen – 70 7.2 Mode – 72 7.3 Interior – 74 7.4 Headlines – 74

2. 1910 bis 1919 2.1 Einleitung, Politik, Frauen – 12 2.2 Mode – 14 2.3 Mode im ersten Weltkrieg – 15 2.4 Herrenmode – 16 2.5 Headlines – 17

3. 1920 bis 1929 3.1 Einleitung, Politik, Frauen – 26 3.2 Mode – 28 3.3 Interior – 30 3.4 Headlines – 31 3.5 Art déco – 36

8. 1970 bis 1979 8.1 Einleitung Politik, Frauen – 80 8.2 Mode – 80 8.3 Headlines – 83

9. 1980 bis 1989 9.1 Einleitung Politik, Frauen – 88 9.2 Mode – 89 9.3 Interior – 90 9.4 Headlines – 90

10. 1990 bis 1999 10.1 Einleitung Politik, Frauen – 98 10.2 Mode – 100 10.3 Headlines – 100

4. 1930 bis 1939

11. 2000 bis heute

4.1 Einleitung Politik, Frauen – 42 4.2 Interior – 45 4.3 Tschichold, Bauhaus, Elementare Typografie – 46

11.1 Einleitung Politik, Frauen – 106 11.2 Mode – 108 11.3 Headlines – 110

5. 1940 bis 1949

12. Fazit

5.1 Einleitung Politik, Frauen – 54 5.2 Mode – 56 5.3 Headlines – 56

12.1 Resumé – 118 12.2 Einflüsse – 120 12.3 Trend – 122 12.4 Vogue und Bodoni – 122 Quellen – 124

6. 1950 bis 1959 6.1 Einleitung Politik, Frauen – 60 6.2 Mode – 62 6.3 Interior – 64 6.4 Headlines – 65


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Einleitun Einleitung

Seit Jahrhunderten spielt Schrift eine bedeutende Rolle in der Kommunikation zwischen Menschen. Sie übermittelt Wissen, erzählt Legenden und Geschichten, treibt den Konsum an und kommuniziert Trends. Diese Rolle hat sich fortwährend einem starken Wandel unterzogen, sodass die Aufgabenfelder der Schrift und ihrer Zeichen heute eine deutlich andere ist als noch vor 500 Jahren. Wer hätte vor 300 Jahren damit gerechnet, dass Schrift eines Tages so wichtig ist, dass allein der gute Satz eines Tages ein gut bezahltes Aufgabengebiet ist, für welches ein Studium von Vorteil ist. Schrift und ihr Satz sind zu heutigen Zeiten im ästhetischen Sinne Ausdruck von Modernität oder Altertümlichkeit. Im alten Ägypten wurde Schrift in Form von Hieroglyphen benutzt, die in Ihrer Ikonizität einen

vollkommen anderen Grad des Verwandtschaftsgrades zur Natur hatte, als heute eine Überschrift in einem Magazin. Heute illustriert man einen Vogel beispielsweise nicht in einem Satz, sondern schreibt das Wort »Vogel«. Das Schriftsystem der westlichen Welt ähnelt sich in seinen Variationen sehr, wohingegen beispielsweise in Japan und China andere Zeichen und Zeichenfolgen für die gleichen Inhalte benutzt werden. Eines jedoch haben alle Schriftsysteme gemein. Sie können nur von denen verstanden werden, die sie gelernt haben. Ähnlich ist dies bei der Gestaltung für unterschiedliche Zielgruppen. Elegante Gestaltung unterscheidet sich wesentlich in Ihrer Anmutung als eine Gestaltung, die kommunizieren soll, dass etwas günstig ist. Die Wahrnehmung durch den Menschen ist dabei das maßgebende Kri-

Schrift übermittelt Wissen, erzählt Legenden und treibt den Konsum an


g terium für die Wirkung einer Gestaltung und auch diese Wahrnehmung ist wiederum eine Größe, die durch gelernte Normen ausgebildet und gewissermaßen gelernt und weitergegeben wurde. So wurde über die Jahre zum Beispiel die schmale Form immer mehr zu einem Stilmittel, die für Eleganz steht.1

Kontext

Weiter gefasst kann behauptet werden, dass Schrift inhaltlich nur verständlich ist, wenn der Leser einen Bezug zum Thema aufbauen kann. Ohne Einführung in das Thema würde ein jugendlicher heute ein Gedicht der Exilliteratur aus den 40er Jahren beispielsweise nicht verstehen, obwohl er mit der Schriftform und Textart sogar vertraut ist. Dies bedeutet, dass Schrift in jeder Form nur für bestimmte Gruppen von Menschen, die einen bestimmten Bildungsstand haben, Herkunft besitzen oder Hintergrundwissen erlangt haben, informativ sein kann.

Subtext

Doch nicht nur inhaltlich ist das Geschriebene durch seine Zeit beeinflusst. Der Lifestyle und historische Ereignisse färben ebenso auf Schrift und ihren Satz ab. Selbst rückwirkend kann dieser Prozess vollzogen und noch heu-


Einleitung zur Bedeutung von Schrift, Headlines und Magazinen im Kontext der Mode

Einleitung

– Seite 8 –

te erkannt werden. Bis heute wird Fraktur in bestimmten Gebieten als altdeutsche Schrift mit Nazicharakter verstanden. Dies liegt einerseits daran, dass Fraktur zunächst seine Renaissance auf Propagandaplakaten Ende der 30er Jahre erlebte. Auf der anderen Seite findet diese Wahrnehmung seine Begründung darin, dass Fraktur im öffentlichen Stadtbild und in Zeitschriften nie wieder so häufig und geballt aufkam wie zu den Propagandazeiten des zweiten Weltkrieges. Auch wenn die Nazis diese Art der Schrift nicht entwickelt haben wird dies heutzutage deshalb so empfunden. Dies eröffnet vielen Gestaltern heutzutage die Möglichkeit mit dieser bedeutungsvollen Schriftform zu experimentieren und ihre Bedeutung bewusst mit gewissen Mitteln außer Kraft zu setzen. So tat es auch Judith Schalansky in ihrem Buch »Fraktur mon Amour« aus dem Jahre 2006 tat (Abb. 01). Mit ihrer pinken Gestaltung, die sich durch das gesamte Buch zieht, versucht sie den Charakter von Frakturschriften neu zu interpretieren und in der Gesellschaft zu verändern. Sie sagte selbst zu dem Thema Fraktur im Jahr 2006: »Gebrochene Schriften sind immer mit einer Botschaft, einem Image verknüpft … Ob sie zeitgemäß wirken, hängt davon ab, wie man mit ihnen umgeht.« Es ist also möglich den Charakter einer Schrift mit diversen Mitteln zu verändern. Das Beispiel der Frakturschrift zeigt jedoch im Umkehrschluss auch, das die Gegebenheiten einer Zeit auf gewisse Gestaltungsformen abfärben können und so einen eigenständigen Charakter entwickeln können. Auf den folgenden Seiten gilt es zu untersuchen, wie sehr diese Konventionen der Zeit auf das konkrete Medium Modemagazin zutreffen. Es werden europäische Ausgaben der Vogue auf Headlines untersucht, die einerseits Strömungen ihrer Zeit aufgreifen oder andererseits ganz eige-

nen Konventionen folgen.

Headlines

Speziell Überschriften übernehmen eine besondere Aufgabe. Sie sollen nicht nur inhaltlich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen, sondern müssen auch optisch herausragen um Interesse zu wecken. Eine überzeugende Überschrift ist Grundlage für Konsum und Gewinn. Für Print- und Bewegtbildkampagnen werden horrende Summen gezahlt, die durch eine gute Gestaltung und somit auch durch eine herausragenden Überschrift überzeugen müssen. Wenn die Überschrift keine Aufmerksamkeit erregt, geht unter Umständen die gesamte Kampagne nicht auf und fährt Verluste für die Marke ein. Gestaltung und Inhalt gehen Hand in Hand und beeinflussen sich in guten Beispielen gegenseitig. Schlecht gestaltete Kampagnen erzeugen weniger Aufmerksamkeit und sind so unter Umständen ihre Kosten nicht wert. Wer heute ein Budget für Werbung aufstellt, berechnet also im besten Fall einen Gestalter, dessen Aufgabe unter anderem Auswahl und Satz von Schrift ist. Da die Konkurrenz groß ist und jeden Tag neue Kampagnen auf potentielle Kunden abgestimmt werden und um ihre Aufmerksamkeit buhlen, wird der Druck stetig größer diese Aufmerksam zu erzeugen. In Magazinen ist dies im Grunde, wie im öffentlichen Stadtbild. Überschriften sollten den Leser dazu verleiten sich mit einem Artikel auseinanderzusetzen, ihn zu lesen oder sich die Fotografie anzuschauen. Wenn ein Magazin langweilige Überschriften bietet, weckt es unter Umständen kein Interesse beim Leser und wird weniger verkauft.

Headlines sollen in erster Linie Aufmerksamkeit erregen oder Interesse wecken

Einleitung Mode, Zeitgeist, Lifestyle

Schon für die Lizenzierung von Schriften werden immer wieder hohe Beträge bezahlt. Es werden Güter jeglicher Art in großen Head-


lines auf Plakaten angepriesen. Schrift ist gewisser Maßen neben dem Bild eines der stärksten Werkzeuge des Kapitalismus geworden und ihre Bedeutung wächst stetig. Wer im Stadtbild mit Plakaten oder in Zeitschriften mit Anzeigen werben möchte, muss dafür hohe Budgets einplanen. Somit wird die Prägnanz und vor allem die Erfolgschance der Anzeige sehr wichtig. Oft bildet Schrift dabei den zentralen Mittelpunkt. Dabei geht es, wie auch sonst in der Werbung, bei vielen Kampagnen darum ein frisches und modernes Schriftbild oder dem Produkt angepasste Typografie zu zeigen. Dieses zeigt einerseits den Zeitgeist des Moments und ist andererseits Indiz für die Zielsicherheit oder das Versagen der Marke, welche die Anzeige geschaltet hat. Schrift kommuniziert im öffentlichen Raum also nicht nur Botschaften, sondern über das Erscheinungsbild, den Satz und die Form ebenso Geschmack und spricht darüber hinaus gewisse Zielgruppen an. Neben Gestaltungen, die dem Betrachter lediglich »teuer« oder »billig« kommunizieren sollen, werden so gleichermaßen Subkulturen und verschiedene Interessensgebiete angesprochen. Bereits zu diesem Zeitpunkt kann erkannt werden, wie viel aus einer Headline eines Plakates ablesbar ist, auch wenn der größte Teil der Auseinandersetzung unterbewusst im Kopf des Betrachters abläuft. Speziell im Mode- und Lifestylebereich wird eine Frage in der Gestaltung von Headlines extrem wichtig: » Wie modern ist die Gestaltung?«. Kaum eine Branche ist so kurzlebig und von Veränderung angetrieben, wie die Modebranche. Für die führenden Marken und Designer gibt es nichts schlimmeres als »out« zu sein oder als altmodisch zu wirken (es sei denn, dies ist Teil der Kommunikation und wird wirkungsvoll umgesetzt). Somit muss jede Saison ein neues und frisches Erscheinungsbild geschaffen werden. Es werden für diesen Zweck große Agenturen beauftragt, die sich wiederum darum kümmern, dass die Gestaltung auffällt und neu wirkt. Die Fotografie geht in diesem Prozess der Neuerfindung jedes mal Hand in Hand mit der Typografie. Der Kapitalismus wird vom Fortschritt und der Veränderung angetrieben. Ohne Veränderung sind die Chancen auf die Erwirtschaftung von Kapital bedeutend geringer. Erst die stetige Veränderung von Werten und Normen führt dazu, dass ein Markt am Ende immer wieder mit neuen Konsumgütern beliefert werden kann. Veränderung ist sozusagen der treibende Puls des Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen. Mode und Lifestyle sind zwei der besten Indikatoren für den stetigen Wandel des gesellschaftlichen Lebens. Noch vor 90 Jahren, in den 20er Jahren sahen nicht nur Haushaltgeräte und Gegenstände des täglichen Gebrauches vollkommen anders aus als heute, sondern auch die Kleidung der Menschen war eine andere. Dominiert wird eine jede Zeit von einem Lebensgefühl, dass von dem Großteil der Menschen wahrgenommen wird. Es gibt es auch immer wieder kleinere Strömungen, die sich vom sogenannten Mainstream bewusst abwenden. Die Aufmachung von Werbung und Zeitschriften orientiert sich am Zeitgeist und Lebensgefühl einer gewissen Zeit und ist somit Zeugnis seiner Zeit.

Einleitung Magazine

Wer sich für die Themen Lifestyle und Mode interessiert

Abb. 1 Fraktur mon Amour von Judith Schalansky


findet eine große Auswahl an Fachzeitschriften. Dieser Markt ist weltweit vorhanden und beinahe zu groß um wirklich komplett überblickt werden zu können. Neben bewährten und anerkannten Magazinen wie »Vogue«, »Harper’s Bazaar«, »Donna« und »Elle«, die schon seit Jahrzehnten in regelmäßigen Abständen im Zeitschriftenregal mit einer neuen Ausgabe vertreten sind, entstehen auch immer wieder neue, unabhängigere Magazine. Diese »independent Magazine« zeigen oft eine andere fotografische Sprache, als es die erfahreneren High Fashion Magazine tun. Dies bringt immer wieder frischen Wind in die Szene und wirbelt den Markt immer wieder auf. Manchen Ideen werden am Ende angenommen und fortgeführt und andere wiederum nicht. Das selbe gilt für den typografischen Umgang mit der Gestaltung. Egal ob Überschrift oder Fließtext, wer sich ein Fashionmagazin kauft hat andere Erwartungen, an die Gestaltung dieses Magazins, als an die Gestaltung eines Romans. Eines haben bewährte und neue Magazine dennoch gemeinsam: sie kämpfen mit kreativen und immer wieder neuen Gestaltungen um ihr bestehen und müssen sich von Zeit zu Zeit neu erfinden, damit ihre Käufer nicht gelangweilt werden und sich abwenden. Nie zuvor galt es so sehr Neuerung und Geschmack stilvoll miteinander zu verknüpfen, wie heute. Jeder Dekade wird ein ganz spezieller Zeitgeist und ein ganz spezielles Lebensgefühl zugesprochen. Ausdruck findet dies in der Mode, in der Fotografie und in den Zeitschriften. Schon der Stand der Frau in einer gewissen Zeit ist besonders an Modefotografie ablesbar. Dies sagt wiederum sehr viel über politische und soziologische Verhältnisse aus und lässt somit einen ungefilterten Blick auf eine Zeit zu. In der

folgenden Arbeit wird der typografischen Wandel der Magazinlandschaft in den letzten 100 Jahren analysiert und nach Einflüssen untersucht, die diesen Wandel inspiriert und vielleicht sogar in die Wege geleitet haben. Dabei sind zum einen politische Ereignisse interessant und zum anderen Strömungen, die die Unterhaltungsindustrie charak ter isieren. Was hat die Menschen interessiert, welche Filme haben sie geschaut und war um hat die Mode der jeweiligen Zeit den Geschmack der Bevölkerung so sehr getroffen, dass sie zu einem so charakterisierendem Element ihrer Zeit geworden ist, dass sie noch heute für die Dekade steht. Dabei beziehe ich mich besonders auf den westlichen Mainstream. Als Medium der Analyse wurde die Vogue aus dem westlichen Raum gewählt. Ausgaben dieses Magazins sollen helfen einen umfangreichen Überblick über das Zeitgeschehen und die Gestaltung zu bekommen, so dass am Ende eine Analyse möglich ist, an der eine Entwicklung in der typografischen Gestaltung der Headlines zu erkennen ablesbar wird. Der stetige Wandel in der Mode verglichen mit der Gestaltung von Headlines ist dabei Hauptaugenmerk der Analyse.

Einleitung zur Bedeutung von Schrift, Headlines und Magazinen im Kontext der Mode

Einleitung

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Magazine müssen mit ihrer Gestaltung auf dem Übersättigten Markt um ihr Bestehen kämpfen

Semiotik

In den folgenden Betrachtungen wird der Zusammenhang zwischen Headlining und dem Zeitgeist des jeweiligen Jahrzehntes an ausgewählten Headlines der Vogue analysiert und interpretiert. Eines der wichtigsten Mittel, mit denen diese Untersuchungen durchgeführt werden ist die Semiotik. Semiotik oder auch »Zeichentheorie« ist eine Form der Wissenschaft, die sich mit Zeichensystem auseinandersetzt und dabei die allgemeine Theorie vom Wesen, der Entstehung und dem Gebrauch der Zeichen betrachtet.


Die Semiotik ist als ein Teilgebiet verschiedener Wissenschaften zu verstehen, zu denen die philosophische Erkenntnistheorie, die Wissenschaftstheorie, die Sprachphilosophie sowie die Sprachwissenschaften gehören. Da der Semiotik das Konzept der Ästhetik unterliegt, welches der Prager Jan Mukarovsky in Bezug auf die Semiotik eingeführt hat, erhoffe ich mir durch die vergleichenden Untersuchungen aus Zeichen (Headlines) und der Trends der Dekaden, sowie deren Erscheinungen in Form von Objekten, Architektur und Mode erkenntnisreiche Ergebnisse gewinnen zu können. Hans Wollschläger beschreibt ästhetische Objekte als Zeichensysteme, die sich eines anderen Zeichensystems als Form bedienen, was sie untereinander vergleichbar macht.2 3


1910 19

– Seite 12 –

bis

1910 bis 1919 – Einleitung, Politik, Frauen

Die Zeit ab 1910 war von Umbruch und von der Vorkriegsstimmung geprägt. Die politischen Ereignisse warfen ihre Schatten voraus. Beim Attentat von Sarajevo im Juni 1914 kamen Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau ums Leben. Diese Ereignisse leiteten nicht nur den ersten Weltkrieg ein, sondern brachten auch die Monarchie in Deutschland, Österreich-Ungarn und im Osmanischen Reich zu Fall 1. Der erste Weltkrieg war mit einer Dauer von 3 Jahren prägend für die Dekade. Der militärische Geist breitete sich auf das öffentliche Leben genauso sehr wie auf die Diplomatie aus. Der deutsche Außenhandel, der seit 1870 um das vierfache gewachsen war, strebte zunehmend nach internationaler Aufmerksamkeit 2. Dies war jedoch nur durch die Gewinnung neuer Absatzmärkte und

Rohstoffquellen möglich, was den direkten Konflikt mit England und anderen europäischen Ländern forderte. In seinem bestreben nach neuen Kolonien trat Deutschland nun in Konkurrenz zu den anderen Staaten. Der Konflikt spitzte sich durch ein Wettrüsten bis hin zum Krieg zu, welcher 1913 begann. Nachdem der Kaiser Wilhelm II. aufgefordert wurde abzudanken und dem nachgab wurde in Deutschland die Republik ausgerufen. Die geforderten Reparationszahlungen sollten Deutschland die Chance auf eine Weltmachtsstellung endgültig nehmen. Auch die Stellung der Frau war seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stark umkämpft. Während Frauen in sozialen Berufen anerkannt waren mussten Frauenvereinigungen um die ein Ansehen der Frau in anderen Berufen noch immer kämp-

Der erste Weltkrieg war aufgrund seiner Dauer prägend für die 1910er Jahre


19 fen. Diese Frauenvereine kämpften zunehmend gegen die weitverbreieten Ansichten, dass Frauen sich nur für den Haushalt und die Küche zu interessieren hätten. Im Jahr 1912 fand in Berlin der »Deutsche Frauenkongress« statt, welcher für die Frauenbewegung jener Zeit einen Höhepunkt darstellte. Die Redakteurin von »Mode für alle« schrieb in diesem Jahr: »Die Schwierigkeiten, die der praktisch-technischen Ausbildung der Frau entgegenstehen, sind durchaus überwindlich und beruhen zum größeren Teil auf Vorurteilen.« 3 Die Kritik an der Frauenbewegung war trotz allem laut. Es wurde geringschätzig über vieles geredet, was mit dem Hausfrauenberuf in Verbindung gebracht werden konnte. So strebten die meisten Mädchen nach der Schule eine möglichst schnelle Anstellung an – egal in welchem Beruf – damit der Beruf des Dienstmädchens von vornherein ausgeschlossen werden konnte. Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg schuf den Frauen nun auch die Möglichkeit sich in dieser Ausnahmesituation zu bewähren. Frauen mussten die gleichen Arbeiten wie Männer verrichten, auch wenn diese arbeiten ihnen eigentlich nicht vorstrebten. Viele Frauen mussten lernen ohne ihren im Krieg gefallenen Mann auszukommen. Auch nach dem Krieg änderte sich diese neugewonnene


Stellung der Frau nicht. Viele wollten nicht zurück in den Aufgabenbereich der Hausfrau fallen und behielten ihre Stellung in der Industrie, dem Handel und in privaten Unternehmen. Auch politisch wurde der Frau ab 1918 durch das neu-erlangte Wahlrecht eine größere Einflussnahme auf das politische Geschehen in der Weimarer Republik zugestanden.

Mode und Zeitschriften der 1910er Jahre – von Paul Poiret zu den Wiener Werkstätten

1910 bis 1919

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1910 bis 1919 – Mode

Das 20. Jahrhundert begann mit den Auseinandersetzungen um das Korsett. Als Paul Poiret, einer der führenden Pariser Couturierer sich 1906 dazu entschied, auf das Korsett zu verzichten wurden damit nicht nur die Stimmen der Befürworter der Frauenemanzipation erhört, sondern auch eine neue modische Ära eingeleitet. Das Einschnüren des Bauches und der Hüften waren somit passé und die Frauenzeitschriften, die damals bereits eines der bedeutendsten Medien für Mode und Lebensstil waren, triumphierten: »Poiret hat in Paris eine ungeschnürte Frauenkleidung eingeführt.« Ausgezeichnete Mode kreierte unter anderem die 1903 gegründete Wiener Werkstätte, die Geschäfte in Wien, Zürich und New York eröffnete. Unter der Leitung von Eduard Josef Wimmer-Wisgris wurden sie besonders durch ihre Fusion des strengen, geometrischen Stil und der allgemeinen Modelinie bekannt. Ab 1907 wurde der Glockenrock von dem geraden, engen Rock abgelöst. Dieser Umbruch in der Grundform der Mode verbreitete sich rasant und so verschwanden die weiten Röcke und mit ihnen auch die mit Rüschen besetzten Unterröcke. Alltagstauglich wurde der enge Rock durch eingelegte Faltenplissees und Seitenschlitze. Dieser Rock kam der Forderung der Emanzipati-

onsbewegungen nach sachlicher Kleidung ohne betonte weibliche Formen entgegen. Somit wurde der enge Rock zum Bindeglied zwischen den weiten, langen Röcken des 19. Jahrhunderts und den kurzen, engen Röcken des 20. Jahrhunderts. Poiret schrieb 1910: »Ich habe die Büste aus der Gefangenschaft befreit, den Beinen jedoch Fesseln angelegt«, als er wegen seines sogenannten »Humpelrockes« in die Kritik gerat. Dieser war um den Saum herum so eng, dass die Frauen, die ihn trugen nur noch kleine »Tippelschritte« machen konnten. An diesem extremen Beispiel kann man sehr gut die neue, langgezogene Form in der Mode erkennen. Als Konsequenz aus dem im öffentlichen Leben untragbaren »Humpelrock« kam im Winter 1911/12 der Hosenrock auf den Markt, der die Silhouette und Enge des »Humpelrockes« wahrte, aber den Kunden die nötige Beinfreiheit zum Tragen des Modestückes gab. Im Gegenteil zur strengen Rockmode brachte Poiret frei nach »1001 Nacht« weite, orientalische Pumphosen mit Tuniken heraus. Der Saum der Hosen stand durch einen Draht befestigt wippend ab. Mit dem Urteil von Moderedakteurinnen musste Poiret in diesen Jahren erkennen, dass die Haut Couture in ihrer freien Verspieltheit alles zulässt, aber der Erfolg auf dem Laufsteg eine andere Domain als das tägliche Leb e n i s t. D ie Modezeitschriften lehnten den Hosenrock ab. Sie schrieben, wie sich eine anständigen Frau zu kleiden habe und der Hosenrock zieme sich nicht. Schon damals hatten diese Zeitschriften einen großen Einfluss auf die Meinung der Frauen im täglichen Leben. Just bevor der erste Weltkrieg ausbrechen sollte kam der Tango in Mode. Die Frauen trugen zu diesem Anlass engdrapierte Röcke und golde-

Schon in den 1910er Jahren hatten die Modezeitschriften großen Einfluss auf die Meinung der Frauen im täglichen Leben


ne Tuniken, eine Weiterführung der orientalischen Modekreationen Poirets. Der Tango versinnbildlichte die neuentstandene und immer stärker emanzipierte Rolle der Frau zu jener Zeit. Sein mondäner und von Strenge durchzogener Charakter repräsentiert das Bild der Frau am Anfang der 1910er Jahre. Er zeigt eine Frau, die weiß was sie will und durchaus in der Lage ist zu führen. Der gerade Rock wurde insbesondere durch die darüber getragenen, andersfarbigen Tuniken abwechslungsreich variiert. Die Tunika war nicht nur von anderer Farbe als der Rock, sondern war auch aus anderem Material gefertigt um so den Kontrast zu erhöhen (Abb. 1). Durch diese Kombination wirkte die Silhouette der Dame um die Hüften breiter und verjüngte sich zum Saum des Rockes. Durch die weite Tunika um den Oberkörper wurde die weibliche Form weitestgehend überzeichnet und eine völlig neue Silhouette geschaffen. Neben der Tunika gehörte die Bluse ebenso zur adrett gekleideten Frau. Diese konnte mit Rüschen, Bändern, Stickereien und anderen Verzierungen verfeinert werden und bediente somit den Hang zum Verspielten. Elegante Blusen besaßen große Spitzenkragen, was das Verspielte weiter auszeichnete. Die Abendkleider bildeten eine ähnliche Silhouette wie die Kombination aus Tunika und engem Rock und bestanden aus kostbaren Materialien. Die Mäntel in moderner Cutawayform waren eng und lang geschnitten und bildeten eine wenig körperbetonte elegante Silhouette. Im Kontrast wiederum dazu standen pompöse Kopfbedeckungen. Eine Verkäuferin klagte scherzend: »Vor drei Jahren noch habe ich 14 Damenhüte im Schaufenster gehabt, vorheriges Jahr nur noch 3 und heuer bringe ich knapp den einen hinein.« 5 Ab 1913 wurde die Cutawayform mit ihren nach unten abstehenden Ecken im Schoßbereich modern. In den Modenschauen um 1913 wurden farbenfrohe Gestaltungen vorgestellt, die die gedeckten Farben Braun, Grau und Dunkelblau der Vorjahre ablösen sollten. Auch hier wurde die Masse besonders durch die Modezeitschriften auf den neuen Trend aufmerksam, da diese immer wieder von den Modeschauen berichteten. Ab diesem Zeitpunkt waren knallige Farben wie Rot, Gelb, Rosa und Grün modern. Hinzu kam eine aufblühende Leidenschaft für starke Kontraste. In der Schuhmode dominierten nach vorn zugespitzte Designs und mittelhohe Absätze um 5cm aus dunklem Leder und eventuell hellen Verzierungen. Als Accessoires durften Handschuhe selten bei einer Dame fehlen, ebenso ein Schirm, der unabhängig vom Wetter oft mitgeführt wurde.

1910 bis 1919 – Mode im ersten Weltkrieg

Im ersten Weltkrieg verschwanden die verspielten Outfits und Accessoires ebenso wie die überdimensionierten Hüte. Die Alltagskleidung der Frau wurde zu diesen Zeiten zweckmäßiger und einfacher. Die Schnitte nahmen zunehmend militärische Formen an. So bekam der Mantel einen Schnitt, der dem Militärmantel ähnlich war. 6 Dominiert wurde die Kleidung zunehmend durch Zweckmäßigkeit und Einfachheit. Die Frauen banden ihre Haare tagsüber zu einem Knoten zusammen, da dieser sie nicht bei der Arbeit störte. Vom Krieg unbeeinflusst blieb die Mode auf den Moden-

Abb. 1


Mode zu Kriegszeiten, Herrenmode und Interior Design

1910 bis 1919

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schauen. Zwar sank die Qualität der Stoffe, doch die verbrauchten Mengen stiegen eher an. Im öffentlichen Leben fanden die neuen Gestaltungen trotz alledem keine große Beachtung, was vor allem daran lag, dass es sich empfahl während der Zeit des Krieges nicht allzu verschwenderisch auf der Straße zu wirken. Daher zeigten sich die meisten Frauen eher bedeckt und weniger prunkvoll als noch in den Jahren zuvor. Die Stadt München erließ sogar den »amtlichen Rat«: »…deutsche Frauen und Jungfrauen möchten in diesen schweren Zeiten das Tragen auffälliger Toiletten, insbesondere auffallender Hüte, vermeiden. Ein solches Verhalten ist nicht nur durch den Ernst der Lage, in dem sich unser teures Vaterland befin-

sich die Mode wieder den geraden, engeren Schnitten zu, welche schon zu Beginn der 10er Jahre beliebt waren. 8

1910 bis 1919 – Herrenmode

Die Herrenmode war in den 1910er Jahren sehr elegant gehalten. Klassiker war noch immer, wie schon seit längerer Zeit der sogenannte Sakkoanzug. Der Sakko war besonders durch seinen geraden Schnitt alltagstauglich und der Standart für den gut gekleideten Geschäftsmann. 1910 hatte das Sakko einen kleinen Ausschnitt am Hals und ein sehr kleines Revers. So waren nur die Kragenecken des Hemdes zu sehen. Die Weste darunter blieb jedoch verborgen. Ab 1913 änderte sich dann die Sakkofassung und passte sich

gedeckte Farben und wenig Kontrastelemente zeichneten die Kleidung der Herren aus det, geboten, es ist auch im Interesse der persönlichen Sicherheit der Damen dringend zu empfehlen, denn bei der Aufregung, die leider einen Teil unserer Bevölkerung ergriffen hat, sind solche auffällig gekleideten Damen vor Insulten nicht sicher, trotz dem die Polizeibehörde ihr möglichstes tut, sie vor solchen zu schützen.« 7 Die Mode wurde zunehmend patriotischer. So sah der »Ausschuss für Mode-Industrie« es als Hauptaufgabe eine »deutsche Mode voll würde, Sitte und Anmut« hervorzubringen. Berlin sollte später die Stelle von Paris in Modefragen der Zukunft übernehmen. Da der Einfluss der Frauenbewegungen zu Kriegszeiten zunehmend schwand wurden die Röcke in ihrer Form wieder weiblicher und erinnerten mit ihren Unterröcken zunehmend an die vergangenen Jahre. Die Form der Röcke wurde wieder weit und schwingend; darunter befanden sich hochhackige Schnürstiefel – ein weiteres Accessoire, das sehr an die Kleidung des Militärs erinnerte. Zum Ende der 10er Jahre wandte

den schmalen Schnitten der Damenmode an, indem das Revers langgestreckter wurde und oft bis zur Taille reichte. Farblich blieb die Herrenmode sehr dezent und gedeckte Farben dominierten. Meistens war der weiße Kragen das einzige kontrastbildende Element im Outfit des Mannes. Auch in der Herrenmode setzte sich der Cutaway durch. Die Krawatte war ein schmales, eintöniges Element, das zum Anzug getragen wurde, aber keine Sonderrolle oder Aufmerksamkeit bekommen sollte. Während des ersten Weltkrieges veränderte sich die Herrenmode im Gegensatz zur Damenmode kaum. Viele Schneider mussten ihre Boutiquen mangels Aufträgen schließen. Das Modeinteresse war zu dieser Zeit beim Mann zur Nebensache geworden. 9

1910 bis 1919 – Interior

Die Gestaltung im Innenbereich war in den 10er Jahren besonders von der Arts and Crafts Bewegung inspiriert (Abb. 3). Die Bevölkerungsschichten, die


Abb. 2

es sich leisten konnten bevorzugten massive Holzmöbel mit Handverzierungen sowie orientalische Teppiche oder Teppiche mit anderen Mustern. In diesem Jahrzehnt waren Ausschmückungen in fast allen Bereichen der Wohnraumgestaltung sehr wichtig. Tapeten waren mit Ornamenten verziert oder bunt gestrichen. Überall in den Häusern konnten viktorianische Verzierungen mit ihren markanten Schwüngen gefunden werden (Abb. 4). Wer keine bunten oder ornamentalische Tapeten mochte ließ seine Wände rein verputzt, was zu den massiven Holzmöbeln und zum Holzfußboden sehr gut passte. An die Wände wurden gerne Bilder zur Ausschmückung gehangen. Ein weiteres Mittel zur Ausschmückung war der Kontrast zwischen schwarz und weiß, der insbesondere im Innenraum immer wieder gesucht wurde.

1910 bis 1919 – Headlines

Der Umgang mit Überschriften war zwischen 1910 und 1919 aus heutiger Sicht betrachtet noch relativ zurückhaltend. Dominiert wurde die kreative Leistung hier durch diverse Schriftmischungen. Dahingegen weniger zu sehen sind ausgefallene Schriften und extreme Größen- und Größenunterschiede. Abb. 1 Im Beispiel Abb. 2 ist eine Überschrift aus der englischen Vogue von 1917 zu sehen. Die Headline »THE CIVILIZATION of WOMAN« ist in Versalien gesetzt, auffallend ist das Wort »of«, welches nicht versal, sondern in Minuskeln gesetzt ist. Ein weiterer Kontrast wird über den verwendeten Schriftschnitt erzielt. Während die auffälligen Versalien in dem »regular« Schnitt der »Caslon« gesetzt sind, ist »of« im kursiven Schriftschnitt der »Caslon« gehalten und und auf einer horizontalen Mittellinie zentriert zum Rest angeordnet. Die »Caslon« ist eine Barock-Antiqua, die im Jahr 1722 vom Engländer William »Caslon« entworfen wurde. Sie wurde lange Zeit als »die Schrift der Könige« bezeichnet. Die Amerikaner benutzten sie 1776 in ihrer Unabhängigkeitserklärung von Großbritannien. 11 Die »Caslon« wird insgesamt als eine sehr seriöse, elegante und lineare Schrift wahrgenommen, was ihren Einsatz in der Vogue begründet. Im zweiten Beispiel aus der englischen Vogue vom August 1919 ist eine weitere Überschrift abgebildet, die ebenfalls in der »Caslon« in ihrem regular Schnitt gesetzt ist (Abb. 5). Es fallen jedoch zwei grobe Unterschiede ins Auge. Im zweiten Beispiel fehlt die Schriftmischung mit der eigenen Kursiven und das Spacing ist in diesem Beispiel anders, als bei Abb. 1. Dieser Unterschied erzeugt ein völlig neues Schriftbild und eine andere Anmutung. Die beiden betrachteten Überschriften stehen exemplarisch für die Gestaltung der Überschriften in der englischen Vogue von 1910 bis 1919, da diese das Standartformat zeigen, welches kaum variiert wurde. Dies mag zum einen an

Abb. 3

Abb. 4


Headlines

1910 bis 1919

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Abb. 5

den technischen Mitteln liegen, die den Herausgebern zur Verfügung standen, zum anderen jedoch auch am Mangel an neuen Schriften. Das Spacing im ersten Beispiel ist sehr weit. Dies erzeugt zum einen ein sehr offenes und luftiges Schriftbild. Zum anderen erzeugt es aber auch das Gefühl von Luxuriösität. Es wird mehr Platz gebraucht, als eigentlich nötig ist: es wird Platz und somit auch Papier verschenkt. Dieser Luxus ist besonders zu den Zeiten des Krieges etwas besonderes, da die Versorgung mit Gütern, wie Papier nicht mehr so einfach verlief, wie vor dem Krieg. Somit stellten Magazine im Allgemeinen zu Kriegszeiten einen großen Luxus dar, da sie über die Grundbedürfnisse der Menschen hinausgehen. Weiterhin erzeugt dieses erhöhte Spacing Eleganz im Schriftbild. Diese Art des Satzes ist ungewöhnlich und ab einer bestimmten Stärke des Effektes auch nur für Überschriften geeignet. Die

»Caslon« gilt als eine sehr traditionelle und elegante Schrift, die selbst heute für Modezeitschriften noch immer gerne benutzt wird. Die Mischung mit der eigenen Kursiven erzeugt ein spannungsreiches Schriftbild und erinnert im Ansatz an das handwerkliche Handlettering, was damals eine beliebte Technik war um Werbeanzeigen zu kreieren. Die »Caslon« schafft es mit ihrem klassischen Erscheinungsbild den Geist der Zeit aufzunehmen. Ihre Anmutung erinnert aber dennoch eher an die Mode, die 10 Jahre zuvor auf den Straßen und in den Parks zu sehen war. Klassische Gewänder sowie die weit ausgestellten Kleider waren nun nicht mehr modern. In der »Caslon« sind zwar auch die strengen geraden Linien zu finden, die die Silhouetten der Frauen in den 10er Jahren bildeten, aber diese Formen sind nicht unbedingt das Merkmal, das für die »Caslon« stilgebend ist.


Abb. 6

Setzt man sich jedoch mit der Fotografie auf der zweiten Doppelseite auseinandersetzt (Abb. 6), so kann festgestellt werden, dass auch ohne die pompöse Kleidung ein klassisch-eleganter Eindruck entsteht. Im Fokus steht eine selbstbewusste und emanzipierte Frau. Sie ist dezent geschminkt, aber teuer gekleidet. Hier wird das emanzipierte Frauenbild der Zeit selbst in der Fotografie deutlich. Der feste Blick dieser Frau zeigt, dass sie ihr eigener Herr ist, vielleicht sogar großen Einfluss hat. Sie präsentiert sich hier nicht als Anhang eines Mannes, sondern drückt Selbstständigkeit und Kraft aus. Auch in der nächsten Abbildung aus der Vogue vom Juli 1917 (Abb. 7) ist eine Frau in einer sehr dominanten Haltung zu sehen. Sie strahlt Kraft und Souveränität aus. Bis auf den Taillengürtel ist sie so gekleidet, wie die Frauenbewegungen es für angemessen gehalten haben. Der lange gerade Rock verdeckt die Beine und lässt keine Rückschlüsse auf deren Form zu. Die in die Hüfte gelegte Hand zeigt Stärke und komplettiert die erhabene und sehr aufrechte Haltung der abgebildeten Frau. Beide Frauen zeigen in ihrer Haltung die gleichen Formen auf, die die »Caslon« als Überschrift in der Versalschreibweise auch bildet. Sie sind sehr aufrecht, standhaft und selbstbewusst. Die Verzierungen der »Caslon« in Form von Serifen sind auch im öffentlichen Leben an den Frauen und Männern in Form von

Abb. 7


Headlines

1910 bis 1919

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Abb. 8

Accessoires wiederzufinden. Beide Geschlechter tragen in den Jahren von 1910 bis 1919 fast immer Hüte. Die Frauen galten ohne Schirm als nicht fertig gekleidet und auch generell war Verzierung ein gern gesehenes Mittel der Individualisierung von Kleidung. In einer Anzeige von 1917 (Abb. 8) wird ein Korsett beworben. Die Headline »The SANDOW CORSET« ist – wie auch schon die beiden Überschriften aus der Vogue in Versalien gesetzt. Eine Ausnahme bildet das »The« am Anfang. Im Mittelpunkt steht der Name der Marke. Es fällt auf, dass die Headline insgesamt sehr an die Strichstärke und den Duk-

tus der dazugehörigen Illustration angelehnt ist. Die geschwungenen Formen in den Buchstaben »S«, »C« und »W« zeigen den spielerischen Umgang mit der Schrift und greifen gleichzeitig die Haltung der abgebildeten Dame auf. Das »S« und das »C« greifen auf Grund ihrer übertriebenen Größe gekonnt ineinander. Die benutzte Schrift zeigt die gleichen Strichstärkenkontraste auf, wie die »Caslon« und ist dieser generell sehr ähnlich. Die Serifen weisen deutliche Unterschiede auf – die Schrift läuft insgesamt etwas breiter und wirkt geometrischer als die »Caslon«. Das Geometrische fand sich auch in der Mode wieder, repräsentiert durch die

Es fällt auf, dass die Headlines insgesamt sehr an die Strichstärke und den Duktus der dazugehörigen Illustration angelehnt sind


Abb. 9

Wiener Werkstätten, die mit ihren geometrischen Schnitten große Erfolge erzielten. Die Illustration der leichtgekleideten Dame zeigt wiederum ein völlig anderes Bild der Frau, als die zwei vorherigen fotografischen Abbildungen. Es ist zu erkennen, dass man zu diesem Thema keine einheitliche Position zu jener Zeit beziehen wollte. Befürworter und Kritiker des neuen emanzipierten Frauenbildes wechselten sich ab. Das hier gezeigte Mädchen ist weniger damenhaft und elegant als die Fotografien. Sie wirkt jünger, unbedarfter und mädchenhafter. Ihre Haltung ist aufreizend, aber auch unsicher. Ihr Gesichtsausdruck wirkt nachdenklich, vielleicht sogar traurig. Ob dies nun an den Fähigkeiten des Illustrators liegt oder gewollt ist, bleibt offen. Die Überschrift greift das Verspielte und Mädchenhafte mit seinen weiten geschwungen Formen sehr gekonnt auf und unterstützt die Illustration auf diesem Wege. Sie bildet einen stabilen Gegenpol zu der Haltung der Frau und wirkt trotz seiner Serifen und des Strichstärkenkontrastes leicht und offen. Das durchscheinende Mieder der jungen Frau erfüllt die gleichen Attribute, wobei die Schrift die Anzeige trotz aller Verspieltheit aufwertet und ihr eine gewisse Klasse verleiht. In einem weiteren Beispiel aus der Vogue von 1917 (Abb. 9) ist die militärisch anmutende Frauenkleidung aus der Zeit des ersten Weltkrieges erkennbar. Unverändert bleibt die Headline, die das Kriegsthema inhaltlich aufnimmt, in ihre


Headlines

1910 bis 1919

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Abb. 10

Form dennoch. Wieder ist eine »Caslon« in Versalien gemischt mit einer kleiner gesetzten kursiven »Caslon« zu sehen. Die Nebenwörter »of the« sind wieder horizontal zentriert und variieren die strenge Überschrift sehr. Sie lockern sie auf und nehmen ihr ein Stückweit die Geradlinigkeit. Trotz großer Wortzwischenräume ist das Spacing hier nicht so eng, wie im ersten Beispiel. Dies lässt darauf schließen, dass mit diesem Wert sehr frei umgegangen wurde und es offenbar keine festgelegte Designrichtlinie für das Spacing von Überschriften gab. Die Überschrift ist ebenso, wie die ersten Beispiele einzeilig und schließt bündig mit dem Text ab. Es verwundert, dass der Text in interessanten Formen gesetzt wurde und die Überschrift verhältnismäßig wenig Beachtung bekommen hat. Der enge Satz der Headline wirkt im Vergleich mit der Headline aus dem ersten Beispiel weniger elegant, enger und ernster. Vielleicht zeigt dies schon den thematischen Bezug zum Krieg und zur militärisch angelehnten Kleidung. Die Haltung der illustrierten Frauen rechts ist passend zum Thema und zur Headline aufrecht, streng und dominant. Die Hände in den Hüf-

ten zeigen Stärke und Sicherheit. Beide Frauen haben die Hüte bis zu den Augen ins Gesicht gezogen. Dies lässt sie geheimnisvoll erscheinen und gibt ihnen die Macht ihre Identität preis zu geben oder nicht, wenn sie dies nicht wünschen. Die Frau ganz links im Bild wirkt hingegen weniger damenhaft und streng, sondern vielmehr verschüchtert und zurückhaltend. Ihr Blick ist leicht ängstlich und nicht so dominant wie bei den anderen. Ihre Hände hält sie versteckt in ihrem Mantel. Im Gegensatz zu den anderen beiden Illustrationen wirkt die abgebildete Frau links als wäre sie hilfsbedürftig und würde Dinge nicht selbstständig regeln können. Hier greift Vogue die beiden existierenden Frauenbilder der Zeit auf einer Seite auf und präsentiert eben jene in der Kleidung des selben Designers: Lanvin. Eines haben jedoch alle Outfits gemein – sie verstecken die weibliche Figur förmlich unter den geraden Schnitten. Man sieht keine Taillierung und auch keine Taillengürtel oder dergleichen. Die Versalien nehmen diese Form in gewisser Weise auf und stehen fest und gerade da.


Abb. 10 b

Diese Ambivalenz zeigt auch die Überschrift mit ihrer Mischung aus verspielten Kursiven und den strengen Versalien auf. Die strenge Vertikale ist gerade und ohne jegliche Einschnürung. Im Gegensatz dazu zeigt ein anderes Beispiel einer Werbeanzeige von 1917 (Abb. 10) zwar gleichwohl durchgehende Versalschreibweise, benutzt jedoch zwei Schriftarten mit einer ganz anderen Anmutung als die zuvor betrachteten Beispiele. Der Schriftzug »ORIGINAL GOWNS WRAPS AND MILLINERY« ist in der 1911 entworfenen »Forum Title« gesetzt. Diese macht durch ihre Rundungen einen handgemachten Eindruck. Die von Frederic Goudy entworfene Schrift war eigentlich für Headlines in Büchern gedacht. Sie hält sich an die traditionellen römischen Schriften und besteht nur aus Versalien. 12 Trotz ihrer traditionellen Form, der Serifen und der Versalien wirkt diese Schrift in der Anzeige leger und überhaupt nicht streng. Dies liegt zum einen an den unterschiedlichen Serifen, die alle einen gewissen Schwung aufzeigen und zum anderen an den inkonsistenten Strichstärken und Strickstärkenkontrasten. Wenn man zum Beispiel im »R« den Abstrich betrachtet, fällt auf, dass dieser nicht wie gewöhnlich eine Stärke besitzt um dann in eine feinere Kurve nach oben überzugehen, sondern hier fängt der Strich mit mittlerer Stärke an, wird fetter und erreicht seine maximale Dicke kurz vor dem Bogen (Abb. 10 c ). Das Versal »I« besteht nicht aus einem geraden Strich, sondern variiert in der Strichstärke sehr, genauso ist es in den Vertikalen des »N«, »M« und »L«. (Abb. 10 d). Die Serifen im »A« unterscheiden sich untereinander (Abb. 10 e). Während die linke Serife in der Mitte eine Kerbe hat, besitzt die rechte Serife eine konkave Form. All diese Kleinigkeiten führen bei der »Forum Title« zu einem unruhigen Schriftbild mit einer handwerklichen Anmutung.

Abb. 10 c

Abb. 10 d

Abb. 10 e


Headlines

1910 bis 1919

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Wie fügt sich eine solche Schrift nun in die Werbeanzeige für Mode ein? Es fällt auf, dass die gesamte Anzeige eine eher traditionelle Anmutung besitzt. Es wird bereits oben von »HER MAJESTY THE QUEEN« geschrieben. Die Umrandungen im unteren Drittel der Anzeige erinnern an die Gestaltungen aus Jugendstil-Zeiten über 10 Jahre zuvor. Der Einsatz von floralen Mustern, Ornamenten und Verzierungen war selbst für die damalige Zeit ein traditionelles Mittel. Auch in der betrachteten Überschrift fällt das Wort »ORIGINAL« ins Auge. »ORIGINAL« steht wieder für das Traditionelle, das Bewährte und nicht für das Moderne. Man kann also bereits an dieser Anzeige erkennen, dass nicht nur 1917 schon unterschiedliche Strömungen in der Mode zu finden waren. Dies waren einerseits die modernen Strömungen, aber andererseits auch die Traditionsbewussten. Was jedoch in der Betrachtung der Headline und der Gestaltung auffällt ist noch gravierender. Es wurde versucht mit einfachen – und eher subtilen – Mitteln ein Gefühl von zeitlicher Einordnung und so auch ein Gefühl für einen speziellen Stil zu vermitteln. Die eher rundlich-wirkende »Forum Title« steht viel mehr für die Form der älteren, ausschweifenden Gewänder, als dies eine kantigere »Caslon« zum Beispiel könnte. Gleichermaßen zeigt die Gestaltung mit ihren Elementen des Jugendstils die Rückwendung zu älteren Zeiten und versucht nicht mit moderneren, modischen Mitteln etwas zu bewerben, was eigentlich Tradition besitzt. Auch wenn diese Unterschiede nur sehr subtil zu erkennen sind, sagen sie etwas über die Arbeitsweise der Gestalter in den 1910er Zeiten aus und zeigen, dass schon damals Schrift als ein Werkzeug verstanden,und nicht nur als modisches Accessoire in der Anwendung denunziert wurde.



1920 19

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bis

1920 bis 1929 – Einleitung, Politik, Frauen

Die zwanziger Jahre sind eine Zeit der Gegensätze. Der erste Weltkrieg war beendet und viele Familien trauerten um ihre verstorbenen Angehörigen. Städte waren zerstört, die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern war gestört. Die Deutschen hatten einen Krieg verloren und es herrschte Inflation. Ersparnisse waren plötzlich nichts mehr Wert. Trotz der Verluste und der Trauer versuchte die Bevölkerung positiv in die Zukunft zu blicken, die Verluste sollten vergessen und hinter sich gelassen werden. Es herrschte ein enormer Fortschrittswille. Die Menschen feierten, dass sie am Leben waren. All dies fand seinen Höhepunkt in den sogenannten goldenen zwanziger Jahren. So werden die Jahre von 1924 bis 1929 bezeichnet in denen sehr viel auf Amüsement und Freude gesetzt wurde. Egal welcher Schicht und welchen Alters man angehörte, die

zwanziger Jahre boten jedem die Möglichkeit sich zu amüsieren: Nachtbars, Theater, Varieté, Freizügikeiten, Tanz und Film. 1 Diese Zeit stand stark im Zeichen des Umbruchs. Die Demokratie als Regierungsform hilt in Europa vermehrt Einzug und auch in Deutschland wurde im Zuge der Novemberrevolution 1918 der demokratische Grundgedanke in der Konstitution verankert. So viel Entscheidungsgewalt hatte das Volk zuvor noch nie. All dies stellte eine völlig neue Situation für die Bevölkerung dar, die nach dem Krieg nun wieder daran interessiert war Entscheidungen zu treffen und sich politisch zu engagieren. Die Vielzahl der neu gegründeten Parteien zeigt die politische Zerrissenheit des Landes und ebenso die Mannigfaltigkeit der vorhanden Meinungen im Land. Die Rolle der Frau hat sich auch zu diesen Zeiten wieder stark geändert.

Die zwanziger Jahre waren eine Zeit der Gegensätze


29 Es war für die Frau nun einfacher Arbeit zu finden, was dazu führte, dass die Frau an Selbstständigkeit gewann. Dies war für sie einfacher, da sie weniger entlohnt wurden als die Männer. 2

Abb. 1  Marlene Dietrich in » Der blaue Engel«, 1929


Mode und Nachtleben der goldenen Zwanziger

1920 bis 1929

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Frauen machten um 1925 etwa 36% der arbeitenden Bevölkerung aus, während die Männer zu Hause blieben. Da die Zukunft und die politische Lage sehr unsicher war, wurde davon abgeraten viele Kinder in die Welt zu setzen, was dazu führte, dass die Rolle der Frau als Hausfrau überholt war. Hinzu kam, dass insbesondere nach dem Krieg Freiheit und Unabhängigkeit höher geschätzt wurde als eheliches Glück. So gewannen die Frauen nicht nur im öffentlichen Leben an Autonomie und Mündigkeit, sondern auch ihr Auftreten veränderte sich. Der Fokus rutschte weiter herab – vom Busen auf die Beine. »Nach meine Beene is ja janz Berlin varrickt« von Claire Walldoff beschreibt diese Tatsache musikalisch. Blauäugigkeit und Leichtsinn waren schon lange nicht mehr gefragt. Männer wurden mit kühler Sachlichkeit und Sarkasmus von den modernen Frauen verführt. Die Frauen eiferten dem Bild des »Vamps« nach. Diesen Typus kannten sie aus diversen Filmen. Es war angesagt nachtschwarz und talentiert frivol zu sein. Eine völlig neue Form der Freizügigkeit machte sich breit und wurde von den Frauen ausgelebt, da nun viele Tabus gebrochen waren. Die Bars und Nachtlokale waren jeden Abend voll und in den Revues durfte eine Parade von unbekleideten Frauen nicht fehlen. Ebenso hielten Nacktbilder Einzug in die Lifestylemagazine. Das Lebensgefühl der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre war ein freizügiges und beschwingtes. Ebenso zerrissen und von Gegensätzen wie die Zeit selbst geprägt, war auch die Kunst. Die »Neue Sachlichkeit« verstand sich als beobachtende und noch vielmehr kritische Kunst, die die Triebhaftigkeit und das Elend des Bürgertums aufzeigte, wohingegen der 1924 in Paris gegründete Surrealismus das Traumhafte und Unterbewusste mit dem Reellen verband. Als dritte Komponente kam das Bauhaus ins Spiel,

das Klarheit, Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit in der Gestaltung forderte.

1920 bis 1929 – Mode

Der Film wurde die neue Werbefläche für Modedesigner. Hier stellten sie ihre neuen und extravaganten Kreationen vor. Eine Vielzahl an Modezeitschriften stürmten auf den Markt, darunter »Die Dame«, »Elegante Welt« und »Styl«. In diesen Zeitschriften wurden nicht nur Modezeichnungen und Rezensionen veröffentlicht, sondern teilweise auch Gedichte, Neuigkeiten aus der Kunst und Themen rund ums Reisen. Es wurde immer mehr der Lebensstil in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt. Modefotografien wurden ausschließlich mit Kleidung gezeigt, die von bekannten Persönlichkeiten getragen wurde. Paris wurde kurz nach Ende des ersten Weltkrieges relativ schnell wieder zur Modemetropole. 3 Der Krieg hatte die Frauen für eine bequemere und nüchternere Kleidung empfänglich gemacht, was dazu führte, dass Designer wie Poiret als überholt und altmodisch galten. Der Stil der 20er Jahre war neu und einfach. Der Geheimtipp der Zeit war Gabrielle Chanel geworden. Die bequemen Kostüme von Chanel strahlten eine ruhige Eleganz aus und wurden gerne von modernen Frauen getragen. Chanel war zunächst von den elitären Uniformen der Marinesoldaten inspiriert, die sie in Deauville gesehen hatte. Sie änderte diese Designs ein wenig um, färbte sie ein und entwarf bequeme Röcke. Sie kaufte weiterhin qualitativ hochwertige Stoffe, die von den Damen der besseren Gesellschaft getragen werden sollten. Die höheren Schichten trugen schlichte Kostüme von Chanel und graue, schwarze oder beigefarbene Pullover mit weißen Manschetten. Es wurde auf einen starken Kontrast in der Farbigkeit gesetzt. Chanel achtete darauf, dass ihre

Der Fokus rutschte weiter herab – vom Busen auf die Beine. » Nach meine Beene is ja janz Berlin varrickt »


Kreationen nicht nur den wohlhabenden Schichten vorbehalten blieben, sondern auch einfache Schneider diese günstig kopieren konnten. Ihre bequemen Kostüme komplettierte Chanel mit flachen Schuhen, die gleichermaßen bequem waren. Chanels oberstes Gebot war die Natürlichkeit. Sie verstand natürliches Aussehen als Basis für den Erfolg. Schmuck war für Chanel stilgebender als teure Stickereien und ein teurer Aufputz. Sie selbst trug opulente Perlenketten zu einem dunklen Pullover, begann aber auch Imitationsschmuck herstellen zu lassen, um den Besitz auch weniger Wohlhabenden zu ermöglichen. Ebenso wie Chanel legte auch Patou viel Wert auf die klare Linienführung und die schlichte Eleganz. Der Stellenwert der Mode war mitte der zwanziger wieder enorm gestiegen. So fand 1922 im Berliner Metropoltheater die »Mode-Revue« statt. Der Verband der deutschen Modeindustrie hatte zu diesem Event geladen um neue Modekreationen der Berliner Couturiers von Stars vorstellen zu lassen. Schon damals gehörte es zum guten Ton der Damen des öffentlichen Interesses kein Kleid zweimal zu tragen. Abwechslung spielte also eine ebenso wichtige Rolle wie heute. Eine wichtige Frage der Zeit lautete »kurz oder lang?«. Während die Modezeitschriften die Meinung vertraten, dass das weibliche Geschlecht wieder ein damenhafteres Aussehen bekommen solle und die Röcke daher nicht mehr so kurz getragen werden sollten, entwarfen die Designer erst 1923 längere Röcke um sie ein Jahr später wieder um 20 cm zu kürzen. Die Bequemlichkeit war den Frauen in diesem Fall also wichtiger als die Meinung der Zeitschriften. 4 1927 waren die Röcke so kurz wie nie zuvor – 5 cm oberhalb der Knie. Dies ist ein Indiz dafür wie wichtig die Beine für die Weiblichkeit geworden waren, wie gerne die Frauen mit ihren Reizen spielten und wie selbstbewusst sie dies taten. Das einteilige Kleid feierte in den zwanziger Jahren einen großen Erfolg und ersetzte die Kombination aus Rock und Bluse. Später wurde wieder Rock und Pullover getragen, was wieder der Bequemlichkeit zuzutragen ist. Die weit und lose geschnittenen Tageskleider der zwanziger Jahre gaben wenig Auskunft über den Körper, den sie verhüllten. Der gesamte Schnitt fiel übergroß aus und der obere Teil war oft pulloverartig gebauscht. Gerne wurde als Blickfang ein modischer Gürtel oder eine Schleife um die tief gesetzte Taille gesetzt. Schon Anfang der 20er Jahre setzte die Tendenz ein die Beine optisch mit allen möglichen Mitteln zu verlängern um den Frauen ein damenhafteres Aussehen zu geben. So wie die Beine lang und schlank sein sollten, wurde von der gesamten weiblichen Silhouette eine insgesamt schlanke Erscheinung gefordert: »Die Mode verlangt jetzt, dass die Frau wie ein Lineal aussieht«. 5 Dies führte soweit, dass die Damen, die nicht über die geforderte Figur verfügten, einen Leibgürtel trugen um ihre Form zu beherrschen. Da die Form der Tageskleider schlicht und elegant zu sein hatte wurden die Ärmel zur Projektionsfläche der Kreativität der Designer. Die Ärmel waren nun im Gegensatz zu früher mit plissierten Manschetten geschmückt, konnten eine ganz eigene Form haben, wurden mit Spitze garniert oder sogar zu Gänze in schmale Röhrenfalten gelegt sein. Zudem wurden die Kleider durch die Schleifen, Gürtel, Blenden und sogar Krawatten sowie von Schmuck belebt. Die weib-

Abb. 2  Elegante Kleider, Zeichnung von Dory aus »Très ?arisien«, 1926

Abb. 3  Extravaganter Abendmantel aus »Styl«, 1923


Mode und Nachtleben der goldenen Zwanziger

1920 bis 1929

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lichen Rundungen wurden unter den Kleidern versteckt gehalten. Im Nachtleben der zwanziger Jahre wollte die Frau jedoch zum Vamp werden (Abb. 4). Die Dame drapierte sich mit dem Mantel, der nur mit einem Knopf oder einer Scherpe seitlich geschlossen wurde. Als besonders mondän galten Mäntel, bei denen der Schoß in Bahnen gerafft war, was eine erneute Betonung der Beinpartie zuließ, auch wenn jene in diesem Fall nicht zu sehen war. Die Frisur der zwanziger Jahre war unumstritten der Bubikopf. Durch alle Schichten hinweg trugen Frauen, die etwas auf Mode gaben kurzes, glatt gekämmtes Haar. Der Bubikopf stieß jedoch nicht ausschließlich auf Zustimmung. Die Männerwelt protestierte gegen den neuen Haarschnitt der Frau und ebenso taten es Staat,

Der Bubikopf galt zunächst als Ausdruck und Symbol der Emanzipation des weiblichen Geschlechtes Kirche und Presse. Zunächst galt der Bubikopf als Ausdruck und Symbol der Emanzipation der Frau. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass Frauen sich den gleichen kurzen Haarschnitt wie Männer aneigneten. Jahrhunderte lang wurde das Abschneiden der Haare der Frau nur als gerichtlich angeordnete Bestrafung durchgeführt. Bis 1928 wurden in manchen Ländern sogar Steuern auf den Bubikopf erhoben, Schauspielerinnen mit dieser Frisur entlassen, und die evangelische Kirche propagierte, dass der Bubikopf »undeutsch« sei. Auch die Kopfbedeckung veränderte sich in den zwanziger Jahren stark. Waren bis 1923 noch große Hüte en vogue, so wurden in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre auch Topfund Glockenhüte sowie Turbane modern. Die

Abb. 4 Vogue, late Jan. 1927

Hüte wurden bis tief ins Gesicht gezogen. Auch beim Make Up wurde der Kontrast zwischen Schwarz und Weiß gefordert. Das Gesicht wurde blass geschminkt und durch die tiefschwarzen Wimpern stark kontrastiert. Der Lidstrich wurde zart aus den Augen herausgezogen. Ebenso dünn waren die Augenbrauen gehalten, die ausgezupft und dann mit einem dünnen dunklen strich nachgezeichnet wurden.

1920 bis 1929 – Interior

Die 20er Jahre waren nicht nur das Jahrzehnt der schillernden Parties, sondern gleichzeitig auch das Jahrzehnt der schönen Innenraumgestaltung. Das Arbeitsfeld blühte förmlich auf, da sich besonders die reichen Teile der Bevölkerung schöne Gestaltung für ihre Cocktailparties wünschten. Die verspielte Gestaltung mit ihren Verzierun-


Abb. 5 Vogue, early Feb. 1927

gen der 10er Jahre zog aus und machte nun Platz für einen strengeren und vor allem reduzierteren Look. Das Bauhaus Design zog auch am Innenbereich nicht vorbei. Designer entwarfen dekorative Inneneinrichtung wie Radios, Kaffee-Sets, Lampen und sogar ganze Gebäude. Das Design musste anspruchsvoll und glamourös sein. Besonders beliebt waren geometrische Formen und der exotische Hauch aus dem Orient. Die Möbel bestachen durch starke und schlanke Formen (Abb. 5). Einzelstücke waren beliebter als Suiten und auch in der Kunst wurde mehr auf Ikonizität als auf die Menge gesetzt. Markante Gemälde oder Statuen galten als Bestandteil moderner Wohnungen der 20er Jahre. Zu den größten EInflüssen der Zeit gehört nicht nur die Art déco Bewegung, sondern auch die Filme des frühen Hollywoods. Blumenmuster waren besonders an den Wänden beliebt (Abb 6.) 6

1920 bis 1929 – Headlines

Das erste Beispiel der Headlines stammt aus der britischen Vogue vom April 1924 und kommuniziert »VOGUE‘S HOUSE & GARDEN SUPPLEMENT«. (Abb. 7) Auf den ersten Blick ist festzustellen, dass sich im Gegensatz zu den Überschriften aus den 1910er Jahren einiges verändert hat. Es handelt sich hier um eine kursive Schrift mit Sonderzeichen zur Verzierung. Es sind ungewöhnliche Buchstabenformen und extravagante Sonderzeichen zu sehen. Die Headline ist relativ ungewöhnlich zentriert in der Mitte des Satzspiegels positioniert und jede Zeile besteht aus einem Wort. Umrandet ist die Überschrift von einer ornamentischen Verzierung aus Schleifen und Kreiseln. Auffällig in dem Schriftzug, der komplett versal gesetzt ist, sind zum einen das versale »V«, sowie das versale »R«.

Abb. 6


Headlines der goldenen Zwanziger

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1920 bis 1929

Abb. 7  Vogue, early Apr. 1924

Beide greifen die Kreiselform der umrandenden Verzierung auf und enden mit einer Kreiselform, was für diese Buchstaben einer klassizistischen Antiqua ungewöhnlich ist. Ihr hoher Strichstärkenkontrast, der an den Kontrast einer Spitzfeder erinnert, strahlt Eleganz aus, welche von der kursiven Form jedoch verspielt aufgefangen und abgeschwächt wird. Weiterhin auffällig ist das ausladende Zeichen für »und« in der dritten Zeile. Dieses Schmucksonderzei-

chen greift wiederum die Kreiselform der umgebenden Verzierung auf. Weiterhin fällt auf, dass das Spacing des Schriftzuges in sich inkonsistent ist und von oben nach unten abnimmt. Während das erste Wort »Vogue’s« auf Grund der Zeichenabstände auseinanderzufallen droht, hat man beim letzten Wort »Supplement« das Gefühl, dass es etwas zu eng steht und sich manche Buchstaben beinahe berühren. Dieser experimentelle Umgang mit dem


Spacing könnte auf das behandelte Thema zurückzuführen sein. Wenn man berücksichtigt, dass diese Überschrift in das Thema Garten und Interior einleitet relativiert sich die Verspieltheit derselben wieder. Zu Zeiten des Jugendstils wäre das Ornament um die Headline herum sicher mit prachtvollen Blumen und Ranken geschmückt gewesen. Im Vergleich dazu ist diese Überschrift sehr viel nüchterner und zurückhaltender. Wie schon die Schnitte von Chanel in der Mode wurde hier ebenfalls reduziert um ein möglichst elegantes Gesamtwerk zu kreieren. Die zurückhaltende Verzierung um die Headline herum greift federleicht die dünnste Strichstärke der Schrift auf und bildet einen eleganten Rahmen. Mehrere Indizien in der Headline lassen darauf schließen, dass diese handgezeichnet ist (Abb. 8). So sind nicht nur die zwei versalen »E« in dem Wort »SUPPLEMENT« unterschiedlich breit, sondern auch die linke obere Serife des »N« im Wort »GARDEN« unterscheidet sich von der selben Serife des »N« im Wort »SUPPLEMENT«. Dies fügt sich sehr gut in die ebenso handgezeichnete Illustration über der Headline ein und verleiht dem Thema Garten eine angenehme Natürlichkeit. Das nächste Beispiel zeigt auch wieder eine klassizistische Antiqua, welche dieses Mal mit einer handgeschriebenen Skript kombiniert wurde (Abb. 9). »The IMPORTANCE of BEING BEAUTIFUL« ist eine Headline, wie sie für die goldenen 20er Jahre typisch ist.. Es ist ein eleganter Schriftzug in Versalien und Kapitälchen mit kleineren Verzierungen, die den Geist des Nachtlebens der Zeit gekonnt aufgreift. Der Schriftzug wirkt leicht und unbeschwingt, was zum großen Teil daran liegt, dass die dicken Strichstärken nur durch Outlines dargestellt

Abb. 8  Vogue, early Apr. 1924

Abb. 9  Vogue, early Jun. 1924


Headlines der goldenen Zwanziger

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und keine wirklich schweren vertikalen Linien vorhanden sind. Die Nebenworte »The« und »of« sind in einer extrem dünnen Strichstärke gezeichnet und rahmen das Wort »IMPORTANCE« ein. Wenn man die klassizistische Antiqua mit dem Bild der Frau der damaligen Zeit vergleicht, fällt auf, dass sehr viele Gemeinsamkeiten zu finden sind. Zum einen ist die Antiqua ebenso wie die Dame der Zeit groß und schlank. Das Versale »I« erinnert an den Ausspruch »Die Mode verlangt jetzt, dass die Frau wie ein Lineal aussieht« aus dem Moden-Spiegel vom Herbst 1923. Zum anderen sind die Schrift und die Frau gleichermaßen höchst elegant und grazil ohne dabei zu zurückhaltend zu wirken. Die kleinen Verzierungen, die immer wieder zu finden sind, stellen eine weitere stilgebende Gemeinsamkeit dar, die zeigt, wie einheitlich Gestaltung in der Mode und im Print auf verschiedenen Ebenen in einer Zeit funktionieren können. Im »L« des Wortes »BEAUTIFUL« fühlt man sich bei der horizontalen Linie, die in einem Kringel endet an die Wasserwelle

Abb. 9  Vogue, Jan. 1929

der Damen im Nachtleben erinnert. Die gesamte Form dieser handgezeichneten Antiqua wirkt sehr feminin und graziös. Das dritte Beispiel für Headlines der zwanziger Jahre zeigt einen noch verspielteren und experimentelleren Umgang mit Typografie. (Abb. 9) Diese Headline ist aus der Januar Ausgabe der Vogue von 1929. Die Überschrift »THE SLIM SILHOUETTE Ventures a Gracefull ASIDE« zeigt zwei sehr verschiedene Schriften in Kombination. Die Schrift, in der »THE SLIM SILHOUETTE« und »ASIDE« geschrieben sind, wirkt kantig, hat einen großen Kontrast zwischen der dünnsten und der dicksten Linienstärke und ist nur in Versalien gesetzt. Durch den hohen Kontrast wirkt die Schrift in ihrer Gesamterscheinung sehr schwarz und dunkel. Hinzu kommt, dass das Wort »SILHOUETTE« insgesamt aus der Reihe fällt, da es auf einer gedachten Kreislinie steht und somit einen Bogen macht. Die andere Schrift hingegen ist in vielerlei Hinsicht das


Gegenteil. »Ventures a graceful« ist in einer sehr dünnen und geschwungenen Schrift geschrieben und wirkt auf Grund seiner Feinheit insgesamt auch nicht so dunkel wie der Rest der Headline. Darüber hinaus besteht diese Headlines nicht gänzlich aus Versalien, sondern ist gemischt geschrieben. Im Gegensatz zu der fetteren Schrift fallen hier ein paar spezielle Formen in den Buchstaben auf, die dem Schriftzug einen ganz besonders handgemachten Charakter geben. So beginnt das versale »V« mit einem großen Schnörkel und das versale »G« in der Form eines »g« in Minuskelform. Die feinere Schrift ist zudem sehr kopflastig, was durch die geringe x-Höhe begründet ist. Wenn man sich dagegen in der fetteren Schrift Buchstaben wie »H« und »E« betrachtet fällt auf, dass die x-Höhe größer und das Verhältnis somit gängiger wirkt. Die feine Schrift besitzt in sich gar keinen Strichstärkenkontrast und stellt sich somit selbst in Kontrast zur fetteren ersten Schrift. Dieser Kontrast erinnert an den farblichen Kontrast, den die Frauen der zwanziger Jahre in ihrem Auftreten erzeugten, wenn sie mit ihren schwarzen Abendkleidern und ihren dünnen Lidstrichen im tobende Nachtleben unterwegs waren. Dieser Art des Kontrastes schafft eine schlichte Eleganz, was besonders bei der grafischen Reduktion in der Schrift zum Beispiel auffällt. Das Wort »Silhoutte« erinnert mit seinem kreisförmigen Schwung an handgemachte Werbetafeln von Signpaintern und vollendet die künstlerische Form der Überschrift, als auflockerndes Element, welches zusammen mit dem »ASIDE« die dünne Schrift umrahmt. Der Schwung in der dünnen Schrift (besonders am »f« und »l« in »graceful« zu erkennen) greift die fliegenden Kleider der Damen auf. Es entsteht ein leichter und eleganter Schwung. Beim näheren hinsehen fällt weiterhin auf, dass der gesamte Schriftzug gezeichnet und nicht mit Lettern gesetzt ist. Ein gutes Beispiel hierfür stellt das »T« von »THE« dar, dessen linke obere Ecke etwas ausläuft oder am »I« in »SLIM«. Hier sieht man, dass der fette Strich nach unten etwas dünner wird und sich leicht nach rechts biegt, was nicht zum Duktus der Schrift gehört. Dennoch muss diese Überschrift von einem sehr fähigen Grafiker entworfen und gezeichnet worden sein, was die Exaktheit ihrer Umsetzung zeigt. Es fällt zuerst gar nicht auf, dass diese Überschrift von Hand gezeichnet wurde und sich somit sehr gut in die Gestaltung der Doppelseite einfügt. Diese Headline ist das perfekte Beispiel dafür, wie wichtig Abwechslung und Unterhaltung in den zwanziger Jahren war. Die Bevölkerung, die sich immer wieder ins Nachtleben stürzte, war von Eintönigkeit schnell gelangweilt und wollte Neues erleben. Die Abwechslung in den Schriften und das gebogene Element in dieser Gestaltung greifen den Drang nach Veränderung und Vielfältigkeit auf und setzen dieses Verlangen typografisch um.


Art déco

Headlines der goldenen Zwanziger

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Ein ähnliches Beispiel, mit zwei völlig anderen Schriften aus einer Vogue vom Januar 1929, zeigt einen ähnlichen Ansatz. Auch in dieser Headline fällt sofort die Kombination zweier Schriften ins Auge, die komplett unterschiedlich sind. Wieder wird eine sehr fette Antiqua mit hohem Strichstärkenkontrast mit einer schwungvollen, dünnen Skript kombiniert. Bei

was die Plakativität der Gestaltung verstärkt. Weiterhin steht Art déco typografisch für eine nach oben oder unten verschobene Mittellinie. Dies ist im gerade betrachteten Beispiel ebenso auffällig, wird aber im Beispiel (Abb. 10) noch deutlicher. Diese Headline erlaubt den Blick auf eine weitere wichtige Eigenart dieses Stils zu richten: Die Buchstabenbreite der Versalien

Abb. 10  Vogue, Jan. 1929

der Antiqua fällt sofort ins Auge, dass sie in vielen der vertikalen, fetten Linien links noch eine zweite dünnere Linie besitzt, an die die Serifen anschließen. Dies ist eine Gestaltung, die man in den goldenen Zwanzigern besonders an Bars häufiger gesehen hat. Diese Headline zählt ebenso wie die vorherigen Headlines aus den 20er Jahren zu einem Stil, den man als Art déco bezeichnet. Die Grundlage für die typografische Gestaltung im Art déco ist eine geometrisch konstruierte Formensprache. Diese wird mit einer dekorativen Gestaltung zu Gunsten der Eleganz abgerundet. So basieren viele Schriften zu der Zeit auf geometrischen Formen und Abstraktionen, werden jedoch zeichnerisch korrigiert. Es wird auch gesagt, dass dem Art déco ein eindeutiges verbindes Stilmerkmal fehle und es vielmehr um die Verschmelzung von Eleganz der Form und Sinnlichkeit der Thematik gehe. Klassizistische Alphabete, wie die bereits besprochenen, sind für diesen Stil typisch. Der Kontrast von fetten und dünnen Strichstärken ist eines der wichtigsten Umgangsformen mit Schrift im Art déco. Der Einsatz der Schrift ist oft sehr plakativ und wird zusätzlich, wie im besprochenen Beispiel, um eine räumliche Ebene ergänzt. Es entstanden viele Alphabete, die ausschließlich aus Versalien bestanden,

variiert sehr stark innerhalb des Alphabetes. »P«, »R«, »T« und »E« fallen hier besonders schmal aus, wohingegen »M«, »C«, »A« und »O« im Verhältnis sehr breit sind, was für einen zusätzlichen Kontrast in der Schrift sorgt. All diese Merkmale können im Art déco auftreten, sind aber keine verpflichtenden Stilelemente. Es geht viel mehr um das Gefühl von schillernder Eleganz und mondänem Luxus, was mithilfe dieser Gestaltungen gezeigt werden soll. 7 Zentrum des Art déco war die Metropole Paris. Dies kann man besonders in den Illustrationen der Modeschöpfer erkennen. Auf den Covern der Modezeitschriften wurden regelrechte Kunstwerke im Stil des Art déco präsentiert. Diese Kunstwerke zeigen nicht nur typische Gestaltungsformen dieses Stils auf, sondern sind gleichzeitig ein überspitzter Indikator dafür, wie eine Frau in den zwanziger Jahren im Idealfall aussehen sollte. Auf dem Cover der Vogue vom Januar 1926 sieht man eine große, sehr schlanke Frau (Abb. 11). Ihren Körper hat sie in ein langes schlichtes Kleid gehüllt. Man vermutet unter ihrer roten Kopfbedeckung einen kurzen Haarschnitt. Zu dem eleganten Kleid trägt sie eine Perlenkette, weiße runde Ohrringe und einen sehr langen roten Schal. Diese Accessoires sollen das Kleid aufwerten und geben ihr einen zeitgemä-


Abb. 11  Vogue, Jan. 1926

Abb. 12  Vogue, 1926

ßen Look. Ihre Körperform ist wenig tailliert unter dem anscheinend sehr bequemen Kleid. Ein zweites Werk von 1926 zeigt eine ebenso elegante Frau der Zeit, die einen schweren schwarzen Mantel trägt, der mit einem Blumenmuster bedruckt ist. (Abb. 12) Auch sie trägt eine Kopfbedeckung, die ihr Haar versteckt. Unter dieser sieht man eine einzige kurze Strähne, die auf einen Kurzhaarschnitt schließen lässt. Die langen dünnen Hände der Frau lassen vermutungen auf ihre Figur zu. Die Frau präsentiert ihren Perlenring an den langen Fingern und trägt eine Kopfbedeckung, die mit roten Edelsteinen verziert ist. Auffällig ist, dass beide Illustrationen geometrisch anmuten. Dies lässt auf eine Beeinflussung des Art déco durch den Kubismus schließen. Weiterhin strahlen beide Titelseiten Glamour und Klasse aus. Es sind Titelseiten, die die Frauen auf der Strasse zu Stil und Mondänität inspirieren sollten. Besonders auffällig ist, dass auf beiden Cover die Wortmarke der Vogue verändert und mit typischen typografischen Eigenschaften der Zeit aufgeladen wurde. In Abb. 12 wurde der Schriftzug farblich dem Cover angepasst. Der Kontrast der Schrift ist groß und wird von einem kontrastlosen dünnen »O« unterbrochen. Die Versalschreibweise der Wortmarke wurde zwar beibehalten, trotzdem ragt das »V« sehr über den Rest hinaus und teilt sogar das »O«. Die Anmutung ist sehr geometrisch und konstruiert. Im Gegensatz dazu ist die


Headlines der goldenen Zwanziger

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Wortmarke im Januar des selben Jahre ebenso typisch Art déco, aber dennoch ganz anders. Dieser Schriftzug ist kontrastlos mit dünnen Linien gezeichnet. Er wirkt ebenso konstruiert und geometrisch. Es werden zwei Schriftzüge der gleichen Zeit betrachtet, die auf den ersten Blick komplett unterschiedlich sind und doch typische Gestaltungsmethoden der Zeit aufgreifen. Es steht für eine Besonderheit der Marke, das eigene Logo in dieser Geschwindigkeit zu verändern, trotz jahrelanger Beständigkeit

Der Einfluss des Art déco zieht sich sogar bis in die Modezeichnungen und verleiht ihnen durch klare geometrische Formen eine klassische Eleganz desselben Logos. Besonders Vogue hat in seiner Wortmarke zwar öfter Formen der jeweiligen Zeit aufgegriffen, aber dennoch selten in so starkem Ausmaß in diesem Beispiel. In den betrachteten Beispielen wird deutlich, wie wichtig Abwechslung und das Neue in den zwanziger Jahren war. Sie zeigen eine rasante Zeit der schnellen Veränderung, in der sich nicht nur die Frauen neu entdeckten sondern durch die Mode auch die Zeitschriften, die von den mondänen und souveränen Frauen gelesen wurden. Der Einfluss des Art déco zieht sich sogar bis in die Modezeichnungen und verleiht ihnen durch klare geometrische Formen eine klassische Eleganz. In Abb. 13 sind diese Attribute wiederzufinden. Diese Zeichnung stammt aus der Juni-Ausgabe der Vogue von 1924. Die darauf abgebildete Frau lehnt elegant an einem Kamin. Ihr Gesicht zeigt einen sehr harten und entschlossenen Gesichtsausdruck, der durch die Kantigkeit des Art déco und der Ähnlich-

keit zu geometrischen Formen verstärkt wird. Die Proportionen auf dieser Zeichnung sind idealisiert und somit sehr verschoben. Verglichen mit Abb. 16 aus der selben Ausgabe der Vogue wird dies noch deutlicher. Die Modezeichnung zeigt das Idealbild der Frau aus den 20er Jahren, so wie es von Modedesignern erschaffen wurde. Das Foto dagegen zeigt die Realität am Beispiel einer Frau, die verglichen mit der Gesellschaft noch immer sehr schlank ist. Die Modezeichnung kreiert in ihrer Unwirklichkeit also ein Idealbild, welches fernab der Realität war. Selbst die Models der Zeit können diese Körperform nicht besitzen. Der Stil des Art déco überspitzt die vertikalen Linien so sehr, dass die weibliche Figur Rundungen verliert und die Frau dünner ist, als sie eigentlich sein könnte. Die Haltung und die Kleidung in beiden Beispielen ist ähnlich. Das Model hat ihre Hand sehr dominant in die Hüfte gestellt und schaut mit festem Blick in die Kamera. Sie verkörpert das Frauenbild der Zeit auf allen Ebenen, wirkt streng und selbstbewusst. Sie trägt ihren kurzen Haarschnitt mit der für die Zeit typischen Wasserwelle und hat ihr Outfit mit Accessoires komplettiert. Dennoch kann man an der illustrierten Frau all diese Attribute auf Grund der gnadenlosen Überspitzung deutlicher ablesen und so auch besser mit anderen gestalterischen Disziplinen vergleichen. Der Kontrast in der Zeichnung, der durch die dünnen Striche und das tiefe schwarz im Kleid der Dame entsteht, ist dem Kontrast in den klassizistischen Schriften der Headlines sehr ähnlich. Das langgezogene Becken, verhüllt von dem langen Kleid und das feine schmale Gesicht bilden eine reduzierte und entschlossene Eleganz in der Zeichnung. Die schmalen Schriften – die bereits früher in dieser Arbeit analysiert werden – greifen diese Idealform auf und übertragen sie auf das Layout der Modemagazine. es ist ein erstes Indiz dafür, dass gestalterische Disziplinen sich gegenseitig beeinflussen und inspirieren. Ein weiteres Indiz ist die Ausschmückung der Kleider, wie in Abb. 15 zu sehen ist. Ähnliche


Abb. 13  Vogue, Jun.1924

Abb. 14  Vogue, Jun.1924


Headlines der goldenen Zwanziger

1920 bis 1929

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Schmuckelemente sind in der unten stehenden Überschrift » A Graceful evening Gown« zu finden: florale Verzierungen am ersten Buchstaben dieser Überschrift beispielsweise , sowie die Schnörkel am »L« von »Graceful«. Diese Elemente greifen die Accessories der Dame im Foto auf und übertragen ihre Ausschmückung mit Ketten und Ohrringen auf typografischer Ebene in das Layout um so eine einheitliche Gestaltung zu zeigen und so das Schönheitsideal auf allen nur möglichen Ebenen zu kommunizieren und somit auch zu verkaufen. In einer Proportionsstudie kann eine verblüffende Entdeckungen gemacht werden: wenn die Proportionen des Versalen »E« aus der Headline »A Graceful Evening Gown« mit den Proportionen der idealisierten Frau verglichen werden, kann festgestellt werden, dass die künstlich gestreckten Beine und somit auch die Hüfte auf einer Linie mit der mittleren Horizontalen des »E« sind (Abb. 16). Diese Proportionen sind im Gesicht der Frau wiederzufinden. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass sich einerseits Headlines an gewissen Idealen der Zeit orientiert haben und dass das Ästhetikempfinden einer Zeit sich durch mehrere Disziplinen und Themen ziehen kann.


Abb. 15

Abb. 16


1930 19

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bis

1930 bis 1939 – Einleitung, Politik, Frauen

Die dreißiger Jahre waren geprägt von einem Menschen: Adolf Hitler. Sein Streben nach Macht und Führung, Getrieben von Größenwahn spaltete die Republik. Die einen bewunderten an ihm, dass er ein Mann der Tat und des Handelns war und nicht diskutierte. Andere Teile der Bevölkerung waren jedoch verunsichert. Auf der einen Seite stärkte Hitler Deutschland und brachte dem Volk Patriotismus und Pflichtgefühl bei. Außerdem versprach er Taten, die zur Verbesserung der Lage führen sollten. Die Dreißigerjahre waren eine Zeit, die von Propaganda geprägt war. Kein anderer Verstand es so gut wie Hitler das Volk für sich zu begeistern und die Massen für sich zu begeistern. Er schaffte Arbeitsmöglichkeiten und subventioniert Unternehmungen durch unbekannte Geldquellen großzügig. Seine Reden wurden zu förmlichen Massenveranstaltungen und

Events. Das Volk jubelte ihm dabei zu. Die primitiven Parolen Hitlers kamen beim Volk an. Die Gebildeten und Intellektuellen bemerkten zwar die Primitivität der Reden, blieben ihnen jedoch einfach nur fern, anstatt sich gegen den Führer aufzulehnen. Hitler kam unter anderem deswegen so gut an, weil 6 Millionen arbeitslose Menschen in Deutschland auf eine Besserung hofften. Ihr einziges Ziel war es endlich aus ihrem persönlichen Elend herauszukommen und Ihren Familien ein besseres Leben bieten zu können. Sie mochten es vom neuen Führer bevormundet zu werden und sich somit selbst das Denken ersparen zu können. Die abwartende Haltung der Gegner, die sich selbst nach dem Regierungsantritt Hitlers nicht veränderte, gab ihm den nötigen Freiraum seinen Plan in die Tat umzusetzen. An der Spitze der Republik führte er als Diktator Deutschland in den Krieg. Selbst die öffentlichen Medien, Kunst

6 Millionen Arbeitslose hofften in Deutschland auf Besserung


39 und Erziehung wurden der Reichspressekammer und der Reichskulturkammer unterstellt.3 Die Überwachung der Presse Stand dabei in vorderster Reihe. Die Frankfurter Zeitung war als einziges freies Nachrichtenblatt erlaubt, da die NSDAP sie als Aushängeschild gegenüber dem Ausland benötigte. Die Ideale von Ehe und Liebe klangen nun mit den zwanziger Jahren aus. Die Zeiten der Vamps auf den nächtlichen Straßen der Metropolen waren plötzlich vergessen und vorüber. Die Damen wollte zwar Ihre Berufe weiterhin ausüben, jedoch strebten sind nun wieder mehr nach einer weiblicheren Erscheinungsform. Die Männer der Nation verstanden sich nun wieder mehr als Ernährer und Beschützer Ihrer Familie. Dieses »altmodische« Bild der Familie prägte das Verhältnis zwischen Mann und Frau und war Grund dafür, dass mehr Kinder gezeugt wurden. Besonders Hitler versuchte das Bild der Frau wieder mehr in Richtung Familie und Mutterschaft zu treiben, da er die Familien stärken und Nachwuchs für seine Truppen fördern wollte.1 Ziel der Kunst sollte es sein, die Prinzipien des Nationalsozialismus zu behandeln und somit dem Staat zu dienen. Dies führte später sogar dazu, dass die ideologischen Absichten des dargestellten in einem Kunstwerk wichtiger war, als der eigentliche künstlerische Gehalt des Bildes. So entstandene Darstellun-

Abb. 1  Berlin, Hallesches Tor 1931


Mode und Interior Design

1930 bis 1939

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Abb. 2  Berlin, Olympia Stadium - 1936

gen von Familienglück, sowie des Bauern-, Handwerker- und Soldatenlebens. In der plastischen Kunst konnten die Forderungen des Nationalsozialismus noch besser zum Ausdruck gebracht werden. Es entstanden athletische Männerakte in aggressiven Posen und wohlgerundete Frauenakte. Diese sollten das Ideal der gebärfreudigen fraulichen Körperlichkeit zeigen. Die Architektur wurde pompös. Sie sollte die Staatsgewalt verkörpern und durch ihre Größe und Monumentalität für Macht und Stärke stehen (Abb. 2). Hitler plante den Bau von riesigen Versammlungs- Gebäuden und Hallen, setzte davon jedoch nur wenige um. Für die Olympischen Spiele 1936 ließ er das Berliner Olympiastadion errichten, um so der gesamten Welt die Größe und den Prunk Deutschlands in den Übertragungen zeigen zu können. Ein Bereich der weitestgehend vom Nationalsozialismus verschont blieb war die Mode. Das einzige was Hitler hierbei interessierte, waren die Uniformen. Die Braunhemden der Nationalsozialisten wurden weniger als Uniform, sondern mehr als Zugehörigkeitssymbol der Partei verstanden. Auch wenn Hitler diese nicht bezweckte hatten besonders bei der Jugend die Uniformen großen Einfluss auf ihren sonstigen Kleidung. In den Parteizeitungen konnte

man lesen, was als »ästhetisch schön und gesund« galt. Die anspruchsvollen Modezeitschriften jedoch schafften es ihren internationalen Charakter während der gesamten dreißiger Jahre aufrechtzuerhalten, indem sie wenig vom neuen patriotischen Geist der Zeit zeigten. Einzig der Herausgeber der Deutschen Modezeitschrift »Die Dame« fühlte sich im Jahr der Machtübernahme dazu verpflichtet darauf hinzuweisen, dass die deutsche Frau es nicht nötig habe, ins Ausland zu blicken. Weiterhin schrieb er, dass die deutschen Modeschöpfer international bedeutsam seien. Diese patriotische Feststellungen jedoch, blieb ohne weitere Konsequenzen. Es wurden weiterhin die neuesten Pariser Modelle in Deutschland gezeigt, sowie die Schöpfungen der inländischen Designer. Die Modezeitschriften warben sogar weiterhin für Reisen ins ferne Ausland. Wie bereits in den zwanziger Jahren beeinflussten prominente Menschen von der Bühne und vom Film den Frauentyp der Zeit. Das große Idol der dreißiger Jahre hieß Greta Garbo. Das weibliche Publikum war fasziniert von ihrer Eleganz, ihrer Unnahbarkeit, ihrer immer makellosen Schönheit und ihrer scheinbaren Weltentrücktheit. Die Modezeitschrift »Vogue« sprach sogar von einem »Garborismus« und stellte diverse Filmstars, wie zum Beispiel Marlene Dietrich, vor


und nach ihrer Verwandlung zum Garbotyp vor (Abb. 3). Im Zuge der Weltwirtschaftskrise sank der direkte französische Modeexport immer mehr. Die dreißiger Jahre sollten modisch im Zeichen der fraulichen Eleganz stehen. Die Kleider waren bereits am Ende der zwanziger Jahre etwas länger geworden. Die Taille wurde stärker betont, was den geraden Schnitt ablöste. Besonders in Mode war das figurbetonte wadenlange Kleid. Diese Linie wurde von einem Gürtel in der Taille unterbrochen. Der Ausschnitt wurde reduziert gehalten und die Kragen erinnerten an die Mode früherer Zeiten. Sie waren mit Pelz, Spitze oder Schleifen besetzt. Ab 1933 änderte sich die Silhouette leicht. Der Oberkörper sollte nun stärker betont werden. Diese Betonung fand vor allem im Schulterbereich durch große Puffärmel statt. Als besonders schick galt weiterhin eine asymmetrische Drapierung des Oberteils, was besonders durch die Mode von Madame Grès inspiriert wurde. Die Mode machte wegen der breiten, männlichen Schultern, die extrem betont wurden, keinen besonders jugendlichen oder beschwingten Eindruck. Insgesamt war das weibliche Erscheinungsbild trotzdem kein Stück männlich. 1938 wurden die Röcke wieder kürzer, was dies noch mehr unterstützte. Weiterhin herrschten Streif- und Punktmuster vor, die besonders 1938 den Herbst dominierten. Diese Modelinie sollte dem zweiten Weltkrieg geschuldet die nächsten 10 Jahre vorherrschen.4 Im Gegensatz zur hochgeschlossenen Mode für den Tag wurde das Abendkleid aufreizender. Das Dekolleté war zwar tiefer, jedoch nie aufdringlich. Tiefe Rückendekolletés in V und U-Form, sowie schulterfreie Kleider wurden abends gerne zum ausgehen getragen. Oft waren die Abendkleider bodenlang und insgesamt sehr schmal. Eine Nixenschleppe lies die Damen schlanker, aber vor allem größer erscheinen. Die leichte Taillierung zog sich auch durch die Abendkleider (Abb. 4). Jacken waren ebenso tailliert und Röcke um die Hüften herum schmal. Ab 1938 zeigte sich der militärische Einfluss auch in den eleganten Kostümen und Mänteln. Das Gesicht der Dame verschwand je nach Status in einem Kragen aus Pelz oder einer kleineren Pelzborte. Wie schon in vorherigen Jahrzehnten war die Wahl der Kopfbedeckung – meistens Hüte – Ausdruck für Geschmack, Mondänität und Extravaganz. So wurde der Hut immer wieder mit der neusten Mode getauscht.5 Die Lippen wurden Ende der Dreißigerjahre dunkelrot geschminkt. Dunkle und schwarze Wimpernfarbe ließ die Augen tieflegend und ausdrucksvoll erscheinen. Augenbrauen wurden zu einer hauchdünnen Linie gezupft oder sogar gänzlich wegrasiert, mm dann mit einem braunen Stift hauchdünn nachgezogen zu werden. Frauen stachen besonders durch ihren kühlen Charm und dies wollten sie auch optisch so sehr wie möglich unterstreichen.6

1930 bis 1939 – Interior

Die Innenraumgestaltung der 30er Jahre setzte, wie auch schon in den 20er Jahren, auf geradliniges Design. Zu den größten Einflüssen gehörte noch immer die Art déco Bewegung sowie der aufkommende Modernismus. Geometrische und rechteckige Formen sowie schlichtes Design aus Skandinavien waren der letzte Schrei (Abb. 5). Noch immer galten vor allem

Abb. 3  Greta Garbo, 30er

Abb. 4  Ann-Mari Fürstin von Bismarck in Abendrobe


Tschichold, Bauhaus und Elementare Typografie

1930 bis 1939

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die Filme aus dem Kino als größte Inspiration für die Gestaltung. Das moderne Produktdesign war sehr von der Bauhausbewegung geprägt.7

Abb. 5  Badezimmer im Stil der 30er Jahre

1930 bis 1939 – Headlines: Tschichold, Bauhaus, Elementare Typografie Typografisch sind die 30er Jahre abwechslungsreich und durchwachsen. Neben den Gestaltungen, die der Strömung des Art déco verschrieben sind findet man nun in den Modemagazinen eine weitere Strömung: die »Elementare Typografie«. Am Beispiel von drei Covern der Vogue sieht man, wie wichtig nun plötzlich die typografische Rückbesinnung auf einfache geometrische Formen und Flächen geworden ist (Abb. 6, Abb.  8, Abb. 9). Wenn selbst eine so bekannte etablierte Modezeitschrift wie Vogue ihre Wortmarke für einen Trend ändert, kann man daran bereits erkennen wie tiefgreifend diese neue Strömung sein muss. In der Strömung der »Elementaren Typografie« werden die traditionellen Schriften, wie die Fraktur und die Antiqua nicht mehr als modern empfunden und durch andere Formern ersetzt. Besonders am Beispiel Abb. 6 kann man erkennen, wie nun Kreis, Quadrat, und Dreieck als elementare Form für die Gestaltung benutzt

und als zeitgemäßer empfunden wird. In dem gezeigten Beispiel kann man dies in extremer Form einer Bauhausschrift sehr deutlich erkennen. Die Bauhausschriften zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur noch aus den elementaren Formen bestehen und die Buchstaben zu Unterscheidung oftmals durchtrennt wurden. Die Bauhausschriften werden auch als Schablonenschriften bezeichnet, da die Kombination aus geometrischen Formen und der Durchtrennung der einzelnen Buchstaben die perfekte Grundlage bilden um daraus Schablonen zu erstellen, ohne dass dabei Punzen herausfallen können. Im Beispiel der Vogue-Wortmarke wurde nun in die Buchstaben »G« und »E« ein starker Kontrast der Strichstärke geschaffen, der den gesamten Schriftzug eleganter erscheinen lässt. Dieses Prinzip ist im Produktdesign der Bauhausschule wiederzufinden. Die Formen und Details des Bauhausproduktdesigns sind in der Headline wiederzufinden. Beide Gestaltungsdisziplinen sprechen eine ähnliche Sprache. Im Beispiel Abb. 8 sieht man ein Cover der Vogue, in dem sich die typografische Gestaltung an der Schule Jan Tschicholds orientiert und eine serifenlose Grotesk für die Wortmarke benutzt wird. Genauer ist es hier die Futura, eine Schrift, die im zweiten Weltkrieg oft von den Nazis benutzt wurde, da es angeblich Hitlers Lieblingsschrift war.8 Der klare Einsatz der Futura auf dem Vogue-Cover gibt dem Magazin äußerlich eine völlig neue Erscheinung. Ebenso die Variante des Covers mit der Bauhausschrift. Erstaunlich ist dabei, dass zwischen den beiden Covern gerade einmal 11 Monate liegen. Das heißt Vogue hat seine Wortmarke innerhalb eines Jahres mindestens zweimal für einen typografischen Trend verändert und somit vor der »Elementarischen Typografie« den Knicks gemacht. Da diese Gestaltungsform noch sehr jung war begannen Schriftgestalter nun geometrische Schriften nach dem Vorbild des Konstruktivismus zu entwerfen. Eine weitere neue Form waren die sogenannte Universalalphabete, aus


Abb. 7

der Überzeugung heraus, dass ein Alphabet ausreichend sei und die Unterscheidung zwischen Versalien und Minuskeln unnötig wäre. So wurden diese Universalalphabete auf der Grundlage der Minuskeln entwickelt. Nicht selten schienen den Gestaltern die Versalformen der Buchstaben doch charakteristischer, was zu hybriden Formen in den Alphabeten wie in Abb. 9 führte. Die Wortmarke besteht hier aus einer Universalschrift, was daran zu erkennen ist, dass »VOGU« in Versalien gesetzt ist und das eigentlich versale »E« die Form der Minuskel besitzt. Für Überschriften eignen sich diese Alphabete hervorragend. Für den Mengensatz konnten sich diese Alphabete jedoch auf Grund der weniger guten Lesbarkeit jedoch nicht durchsetzen.9 Die besser lesbaren Groteskschriften jener Zeit wirken zwar, wie mit dem Zirkel konstruiert, wurden aber für eine bessere Lesbarkeit zeichnerisch korrigiert. Die Futura ist hierfür ein bedeutender Vertreter der hinsichtlich optischer Gesetzmäßigkeiten korrigiert wurde. Das Beispiel Abb. 10 aus der Vogue vom April 1931 ist ein typischer, aber eher zurückhaltender Vertreter der elementaren Typografie, an dem man trotzdem sehr gut Gesetzmäßigkeiten ablesen kann. Die Headline »VOGUE IN THE NEXT ISSUE« soll betrachtet werden. Es ist einerseits auffällig, dass nur serifenlose Schriften verwendet werden, die andererseits in ganz unterschiedlichen Schnitten ihre Verwendung finden. Im Beispiel sehen wir eine Kombination aus einem sehr dünnen und einem recht fetten Schnitt. Weiterhin hat sich der Satz

Abb. 6 Vogue, Jan. 1931


Headlines und Architektur

1930 bis 1939

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Abb. 10  Vogue, April 1931

vom Mittelsatz zum Flattersatz geändert, was dem Setzer Zeit sparte und als natürlich angesehen wurde. Man kann trotz der Einfachheit der Überschrift eine schlichte Eleganz feststellen, die durch den Einsatz von Versalien und dem großzügigen Spacing im Wort » VOGUE« erzeugt wird. Weiterhin entsteht durch die Mischung der beiden unterschiedlichen Schnitte ein spannungsreicher Kontrast in der Headline, der die Überschrift gleichzeitig auch inhaltlich gliedert. Die gerade vertikale Form der elementaren Typografie geht Hand in Hand mit der neuen Architektur der 30er Jahre. Bauten wie das Empire State Building, Rockefeller Center oder sogar das Chrysler Building wurden Anfang der 30er

Abb. 11  Andreas Feininger, Lower Manhattan

Jahre erbaut und geben New York seine heute typische Skyline (Abb. 11). Diese Skyline wiederum ist mit seinen betonten vertikalen Linien und breiten geometrischen Formen nah an dem Schriftbild, welches Vertreter der elementaren Typografie wie Jan Tschichold forderten. Ein weiteres typisches Merkmal für die elementare Typografie ist, dass auf Ornamente und historische Verzierungen nun ganz verzichtet wird, was der Klarheit des Schriftbildes zu Gute kommt. Gestaltungselemente, die dennoch zum Einsatz kommen sind nun sehr geometrisch, wie Kreise, Linien, Quadrate und Dreiecke. Selbst im Juni 1932 gestaltet Vogue sehr ähnliche Headlines – verglichen mit dem vorherigen Jahr (Abb.  12). Doch schon an diesem Beispiel kann man sehen, dass sich die Modeindustrie auf die elementarische Typografie nie gänzlich eingelassen hat. Sie strebt nach einem anderen Ausdruck und einer anderen typografischen Sprache. In dem Beispiel »SKIRTING THE BEACH or rivalling the pyjama« vermischt Vogue bereits wieder Versalien im ersten Teil der Überschrift mit Minuskeln im zweiten Teil. Der erste Teil »SKIRTING THE BEACH« ist für sich betrachtet sehr einfach und geradlinig gestaltet. Die extrem dünne Type verzichtet auf auffällige Eigenarten und erfährt auch keine


Ausschmückung. Der zweite Teil »or rivalling the pyjama« dagegen erinnert eher an eine sehr fette Bodoni ohne ihre Serifen. Ihr extremer Kontrast nimmt der Schrift das Elementare und gibt ihr einen für Modezeitschriften typischen Kontrast. Man sieht also schon hier im Ansatz ein Bestreben nach dem experimentelleren Umgang mit der Typografie. Ein Indiz dafür, dass sich Mode- und Lifestyle-Industrie gerne von Trends inspirieren lassen haben, aber sich keineswegs derer verpflichtet fühlten und ihre eigene Gestaltung aus mehreren Faktoren entwickelten. Sie nehmen somit eine Vorreiterrolle ein und setzen damit selbst wichtige Trends. Dies gilt natürlich nicht uneingeschränkt für alle Magazine, aber für diejenigen, die sich selbst die Rolle des Vorreiters zuschreiben und nicht nur der Masse folgen um die Kopie der Kopie zu werden. So begann Vogue beispielsweise im Laufe der 30er Jahre Art déco und die Elementare Typografie innerhalb eines Magazins zu mischen, was ihnen typografisch sehr viel Freiheit gab. Trotz der beiden vorherrschenden Strömungen lies sich die Modeindustrie von diesen nicht dominieren und passte seine Gestaltung nicht bedingungslos an.Das folgende Beispiel kann auf Grund seiner geometrischen Headlinegestal-

Abb. 8  Vogue, Feb. 1930

Abb. 9  Vogue, Jan. 1931

Abb. 12  Vogue, Jun. 1932


Headlines und Architektur

1930 bis 1939

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tung am ehesten noch der elementaren Typografie zugeordnet werden, ist aber eher eine eigenständige Gestaltung (Abb. 13). Die sehr kantigen und dünnen Linien des Schriftzuges »BLACK AND WHITE BEAUTY« wirken weniger elegant als andere Gestaltungen, die bereits betrachtet wurden. Diese Art Headline kam nicht ein zweites mal zum Einsatz in den 30er Jahren. Dies beweist die Sonderstellung dieser Gestaltung. Da sie aus der Vogue vom Januar 1936 entnommen ist liegt die Vermutung nahe, dass diese Headline in seiner Kantigkeit von der militärischen Kleidung und der Härte des Zeit inspiriert wurde, aber der Versuch unternommen wurde eine Grätsche zur Eleganz zu schaffen. Auch zu den fließenden Stoffen der fotografischen Strecke passt diese Überschrift am ehesten als Gegenelement. Die beiden, auf dieser Doppelseite abgebildeten Frauen, tragen Abendgarderobe. Sie präsentieren die modischen Trends der Zeit. Die getragene Kleidung stellt alles zu Schau, wofür diese Zeit stand. Der Ausschnitt des schwarzen Abendkleides, das gepunktete Muster des anderen Kleides und bei beiden der leicht weiter

Abb. 13  Vogue, Jan 1936

werdende Schnitt nach unten hin, der die Frauen größer wirken lässt. Ihr Ausdruck im Gesicht jedoch geht weniger mit der entschlossenen und klaren elementaren Typografie einher. Ihr Ausdruck und Erscheinungsbild geht eher mit der Gestaltung des Art déco Hand in Hand. Die Mimik wirkt nicht mehr so sicher und entschlossen, wie es noch in den 20er Jahren der Fall war. Die Frauen wirken weiblicher, femininer aber vor allem auch weniger dominant. Ihre Gesichter sind zurückhaltend und beinahe unentschlossen. Die Frau in dem gepunkteten Kleid zeigt einen festeren Ausdruck, als das andere Model, ist aber mit diesem auch kein typischer Vertreter der 30er Jahre. Im Beispiel Abb. 14 werden Kopfbedeckungen für die Dame vorgestellt. Anhand der Illustration in diesem Beispiel kann man erkennen, dass die Frau der 30er Jahre nicht mehr die verruchten Vamps waren, sondern das mädchenhafte – schon fast unschuldige Wesen – die Frauen beschrieb. Der Blick dieser Frau ist offen und leicht neugierig. Ihre Augen sind nicht mehr von dunkler Schminke kaschiert. Sie wirkt zurückhaltend. Im Kontrast dazu steht nicht nur in


diesem Beispiel die harte, kantige Typografie der Überschrift »KNIT YOUR OWN«. In diesem Beispiel aus der selben Ausgabe der Vogue, wie bereits die vorhergehende Headline, zeigt eine sehr schmale klassizistische Antiqua. Es ist das erste Mal, dass in einer Modezeitschrift eine Überschrift erscheint, die aus einer so schmalen Type gesetzt ist. Auch diese Beispiel kann wieder nicht in Art déco oder elementare Typografie eingeordnet werden und doch trifft sie, ebenso wie Headlines mit anderer Typografie den Geist der Zeit. Die schmalen vertikalen Linien in der Type greifen einmal mehr den Geist der Architektur der großen Metropolen der 30er Jahre auf. Weiterhin ist die Figur der Frau mit ihrer Größe und Schlankheit auch in in dieser engen Schrift wiederzufinden. Es ist passend, dass gerade zu jeder Zeit, in der die Mode mit optischen Mitteln – wie dem Kleid das nach unten weiter wird – versucht die Frau schlanker erscheinen zu lassen. Zum ersten mal sind in der Vogue extreme Schriften zu sehen, die schmal sind, wie man es zuvor noch nicht gesehen hat. Die feinen Serifen dieses Schriftzuges geben der schmalen Schrift ihren nötigen Halt. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass die Schrift in dieser Form strenger und eleganter daherkommt, als die Frau dieser Zeit es vermag. Man kann an dieser Headline ablesen, dass die Überschriften der 30er Jahre sich zwar nicht mehr so sehr auf das Frauenbild beziehen, aber die Quellen der Inspiration für Headlines noch ganz andere sein können als Mode und das Frauenbild. Besonders die Rolle der Architektur steht hier im Mittelpunkt. Dies zeigt, dass ein allgemeines Gefühl für Klasse, Prunk und Wohlstand viele – wenn nicht sogar alle – künstlerischen Disziplinen inspiriert und daher auch immer wiederzufinden ist. Weiterhin zeigen all diese Beispiele wie vielseitig die 30er Jahre typografisch bereits waren. Zwar gab es Regeln, die von bestimmten Gruppen jedoch gerne gebrochen wurden um daraus am Ende etwas Neues zu schaffen und vor allem

Abb. 15 Vergleich Skyline Manhatten mit der Headline

Abb. 14 Vogue, Jan 1936


Headlines

1930 bis 1939

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um dem potentiellen Kunden auch immer wieder eine neue Form von »Schön« präsentieren zu können. Am Ende sollte dies den Absatz ankurbeln. Im Beautysegment der 30er Jahre kann man vermehrt eine spezielle Art von Überschriften finden. Immer wieder findet man hier sehr dünne Schriften, wie im Beispiel Abb. 16. Dieses Beispiel aus der britischen Vogue vom November 1932 zeigt sehr eindrucksvoll, wie sehr sich Typografie einem Thema anpassen und so dem Thema dienen kann. »A GALLERY of BEAUTY« zeigt eine Headline mit großem Einfluss aus der Art déco Bewegung – ihrer ungewöhnlichen x-Höhe und der schillernden Erscheinung. Kombiniert wird diese Gestaltung mit einer handgeschriebenen Komponente. Trotz seines Schnittes fällt das »of« jedoch nicht wirklich aus der Headline heraus und wirkt eher zurückhaltend. Dies liegt zum einen daran, dass bei der Überschrift auf eine konsistente Strichstärke geachtet wurde und andererseits, dass die Handgeschriebene Type – wie auch der Rest der Headline – viele konstruierte Elemente besitzt. Ein Beispiel dafür ist das fast kreisrunde »o«. Auch an diesem Beispiel ist einmal mehr interessant zu beobachten, wie sich die Editoren der Vogue aller möglichen Stile bedienen und diese am Ende in ihrer Ausgabe vereinen. Die Headline beugt sich dabei ganz dem Thema und steht nicht einfach als modische Komponente ohne jeglichen Bezug da. In dem Beauty-Beispiel sind die Themen Schönheit, Make-Up und wie man das Beste aus sich machen kann. Was assoziiert man mit diesem Thema? Es entstehen Gedankenketten wie: reine Haut, zarte Lippen, perfekter Teint, schöne klare Augen, Eleganz, Natürlichkeit, Make-Up. All diese Assoziationen wurden schon damals auf Frauen umgesetzt, die (wie man in Abb. 16 erkennen kann) sehr zurückhaltend, aber dennoch schön und herausgeputzt aussehen. Ihre Schönheit wird auf eine feine und fast schon zerbrechliche Weise dargestellt, was man in ihren großen, leicht unsicheren Augen sehen kann. Man kann also feststellen, dass diese Schönheit im Sinne der

Beautyindustrie etwas sehr feines und zerbrechliches ist. Wenn nun die Headline »A GALLERY of BEAUTY« weiterhinbetrachtet wird, kann man feststellen, dass so gut wie alle Attribute und Assoziationen aus dem Beauty Segment auch auf diese Headline zutreffen. So ist die Headline in erster Linie sehr zart und dadurch entsteht das Gefühl von Zerbrechlichkeit und Feinheit. Auf der anderen Seite strahlt sie aber auch eine Perfektion und Makellosigkeit aus, die mit dem Thema Hand in Hand geht. Die Aufgabe der Überschrift, die vor einem zentralen Beautyeditorial gesetzt ist besteht darin den Leser / die Leserin in die Welt der Makellosigkeit und Schönheit einzuführen. Dabei muss sich dieses Konzept durch alle Ebenen der Gestaltung ziehen, damit der Leser nicht aus dieser künstlich geschaffenen Welt der perfekten Schönheit entrissen wird.


Abb. 16  Vogue, Nov 1932


1940 19

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bis

1940 bis 1949 – Einleitung, Politik, Frauen

Deutschland befand sich seit dem 1. September 1939 im Krieg. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg im Jahr 1914 war die Bevölkerung nicht von der Kriegsbegeisterung ergriffen. Erst als Deutschland die ersten Siegesmeldungen von der Ost- und Westfront erfuhr machte sich langsam Zuversicht im Volk breit. Bis 1941 konnte Deutschland große Erfolge seiner Armee feiern. Viele Länder wie Polen, Dänemark, Belgien und große Teile Frankreichs vielen unter die deutsche Herrschaft. Das »Großdeutsche Reich« nahm immer größere Form an. Später berichteten die Medien vom Pariser Nachtleben, vom Frühling in Amsterdam, vom schönen Prag und von den Sehenswürdigkeiten in anderen Städten, die von den Deutschen erobert worden wa-

ren. Es wurden Modenschauen für die Besatzungsmacht abgehalten. Gleichzeitig versuchte der Machthaber der inländischen Bevölkerung trotz Krieg Vergnügen zu bieten. Die Frauen versuchten trotz der schweren Kriegszeiten für die Männer attraktiv zu bleiben. Sie trugen weiße Söckchen zu schwarzen Kleidern, weil Kunstseidenstrümpfe längst zu teuer geworden waren. So konnte man die Armut und Entbehrung, die der Krieg mit sich brachte, doch nicht verstecken. Die wichtigste Aufgabe für die Frau war laut Hitler das Gebähren von Kindern. Er sah, dass der Krieg länger dauern würde als angenommen und wollte für spätere Zeiten vorsorgen um neue Soldaten zu bekommen. Es wurden die »Zehn Leitsätze für die Gattenwahl« von der Reichsfrauenführung herausgegeben um die Frauen

Es herrschte Hunger und Armut, die Lebensmittelkarten reichten nicht einmal für die tägliche Ration


49 Anzuleiten und Deutschland gesunde Kinder zu schenken. 1945 war der Krieg dann endlich beendet. Deutschland gehörte zu dem Zeitpunkt nicht mehr sich selbst. Die USA, Sowjetunion, England und Frankreich teilten Deutschland unter sich auf und leiteten es von nun an. Zu diesem Zeitpunkt war die deutsche Bevölkerung nicht nur enttäuscht, sondern schon längst in politische Apathie verfallen. Es herrschte Hunger und Armut. Lebensmittelkarten reichten nicht einmal für die tägliche Ration. Die einst großen Metropolen lagen in Schutt und Asche. Viele der Überlebenden fingen nun an die Trümmer aufzuräumen, die der Krieg hinterlassen hatte. Unter den Helfenden waren die meisten Frauen, deren Männer im Krieg gefallen waren. Die Frau musste sich also von nun an zwangsweise emanzipieren und die Dinge in die Hand nehmen. 1 Der einst von Hitler verbotenen Kunst wurde nun immer größer werdenden Interesse zu Teil. Besonders der abstrakte Expressionismus, der in den Bildern von Kandinsky zum Ausdruck kam, war sehr beliebt. In der abstrakten Malerei galt der Farbe und nicht dem Gegenstand das größte Interesse. Die Anhänger der abstrakten Malerei strebten, wie auch die Surrealisten eine Freisetzung des Unterbewussten an. So wurde oft improvisiert gemalt ohne vorher ein Konzept zu erstellen. Die Leinwand wurde zum Aktionsfeld. Nach 1945 erschienen in


Deutschland eine Flut von übersetzter Literatur aus dem Ausland. Die menschen interessierten sich wieder für das, was außerhalb Deutschlands geschah.2 Auch die Mode hatte unter der Armut der Kriegszeit zu leiden. Stoffknappheit, sowie das Bestreben sich einfach und praktisch zu kleiden behinderte jede modische Entwicklung während des zweiten Weltkrieges. Die bereits vor dem Krieg herrschenden Mode hatte sich in diesen Jahren nicht verändert. Die breiten Schultern und die kurzen Röcke waren noch immer modern. In England wurde die Bevölkerung seit 1941 aufgerufen sich sparsam zu kleiden und Stoff wurde rationiert. In Deutschland lautete der Aufruf sich

Mode zu Kriegszeiten und Headlines

1940 bis 1949

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1940 bis 1949 – Mode

stets adrett und gepflegt aber nie verschwenderisch zu geben. So ziemte es sich nicht einen teuren Pelzmantel in der Öffentlichkeit zu tragen, selbst wenn dieser noch im Besitz war und eigentlich großen Nutzen hätte. Kleider mit Dekolleté waren ebenso verpönt in Deutschland, was in Paris zu Spott führte. Die Pariser nannten die deutschen Frauen »graue Mäuschen«. Nur in ausgewählten Lokalitäten, die für hohe Parteimitglieder und dergleichen geöffnet waren konnte man noch etwas vom früheren Luxus spüren. Der zweite Weltkrieg brachte die Haute Couture in Europa gänzlich zum erliegen. Tücher und Schals wurden genutzt um die Haare bei der Arbeit aus dem Gesicht zu halten. Erst nach 1945 fingen die Modeschöpfer langsam wieder an neue Kollektionen zu zeigen. Die Modeindustrie gehörte in der Nachkriegszeit zu jenen Erwerbszweigen, die am raschesten wieder Fuß fassen konnten. Dior brachte die enge Linie wieder zurück. Ende der 40er Jahre wurde die Taille besonders bei Mänteln und Tageskleider sehr stark betont (Abb. 1).

1940 bis 1949 – Headlines

Abb. 1  Model von Rothe, aus »Berlins Modenblatt« 1948

Das Cover der Vogue vom April 1944 hat niemand geringeres als Surrealist Salvador Dali entworfen (Abb. 2). Dieses Cover ist eine weitere Hommage der Vogue an eine zeitspezifisches Kunstrichtung. Die Wortmarke wurde auf diesem Cover von Dali in gewohnter surrealistischer Manier aus zahlreichen Elementen zusammengestellt, die allesamt ineinander übergehen. Dieses Cover und die damit verbundene typografische Gestaltung zeigt ein weiteres Mal, wie nah Vogue in den 30er und 40er Jahren am Zeitgeschehen war und wie sehr sie dabei über das schmale Interessengebiet der Fashionindustrie geschaut haben. Ein ähnliches Beispiel zeigt das Cover der britischen Vogue vom July 1945 auf dem ein weiterer surrealistischer Star der Zeit sich verewigen durfte (Abb. 3). Der russische Maler Eugene Berman zeigt hier seine ganz eigene


Abb. 2  Vogue, Apr. 1944

Abb. 3  Vogue, Jun. 1945

Interpretation des Covers. Im gleichen Zug beweist Vogue sein zeitgeistiges Verständnis für Kunst und spricht damit eine große Zielgruppe an. Auch Berman hat den Schriftzug »Vogue« in sein Kunstwerk integriert. Dieser ist auch in diesem Beispiel dem surrealistischen Bild angepasst und zeigt fließende Schrift. In einer Patternbeilage der britischen Vogue von 1944 sieht man eine Headline, die in einer Grotesk gesetzt ist, welche der Futura sehr ähnlich ist (Abb. 4). Lediglich das versale »E« und das versale »G« unterscheiden sich in der Headline »VOGUE PATTERN« grundlegend von der Futura. Das besondere an der Type sind die unterschiedlichen Breiten in den Versalien, was an die Schriften aus der Art déco Bewegung erinnert. Die hohe Sperrung des Wortes »VOGUE« kreiert einen Block aus der Headline und lässt die beiden Zeilen gleich abschließen Abb. 5. Die Geradlinigkeit der Schrift findet man hier in den bieder-anmutenden Kostümen der dargestellten Frauen wieder. Die Schnitte der Kleidung sind hier der Zeit entsprechend streng und inspiriert von der militärischen Garderobe. Die Sachlichkeit und Strenge der Kleidung findet sich in der harten Kantigkeit der Type in der Headline wieder. Obwohl Vogue immer wieder groteske Typografie zeigt und somit die »Neue Typografie« unterstützt, sieht man dennoch Gegenbewegungen zu dieser »Neuen Typografie«. Auf dem Cover der britischen Vogue von 1941 wird einmal mehr ein bestimmter Stil in die Wortmarke der Vogue aufgenommen und gezeigt (Abb. 6). Die Type, die hier zu sehen ist gehört zur Klasse der Slab-Serif Schriften, bildet jedoch einen Spezialfall. Da die Serifen dieser Headline derart

Abb. 4  Vogue, 1944

Abb. 5  Vogue, 1944


Headlines

1940 bis 1949

– Seite 58 –

stark betont sind, kann man die Schrift schon zur Klasse der »Italienne«-Schriften zählen, welche zwischen den 1920er und 1940er Jahren ihr Revival feierten, da die Aushebung des Grabes des Pharaos Tutanchamun für Inspiration sorgte. Durch die stark ausgeprägten und verzierten Serifen ist diese Schriftart nicht für den Mengensatz geeignet, macht sich aber im als Überschrift hervorragend. Auch dieses Beispiel zeigt einmal mehr, wie Vogue damals zeitprägende Ereignisse in ihre Gestaltung aufgenommen hat. Verglichen mit der Schwere der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg und der Knappheit an Geld, Stoff, Mode und anderen Gütern, die der Gesellschaft das Leben versüßten, ist die Gestaltung der Headlines in der Nachkriegszeit weniger sachlich, als zu vermuten war. Auch wenn der Sinn in diesem Jahrzehnt weniger nach Mode stand und die Auflagen der Modezeitschriften verringert werden mussten, sieht man eine vielfältige Headlinegestaltung.3


Abb. 6  Vogue, 1941


1950 19

– Seite 60 –

bis

1950 bis 1959 – Einleitung, Politik, Frauen

Die 50er Jahre waren der Beginn des Kalten Krieges mit den westlichen Staaten auf der einen und die Sowjetunion auf der anderen Seite. Konrad Adenauer versuchte die Produktion anzukurbeln und die große Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Er half Unternehmern mit Steuervergünstigungen und Investitionshilfen in die Wirtschaft und brachte so Unternehmer wie Grundig, Liebherr und Bauknecht auf die richtige Spur. West-Deutschland wurde in den 50er Jahren als Wirtschaftswunder bezeichnet. Dies wurde unter anderem auch der steigenden Technisierung zugeschrieben, die zu immer mehr Automation in der Produktion führte und Prozesse vereinfachte. Auch die Kultur wurde sehr gefördert und geschätzt. Es gehörte zum guten Ton ein Abonnement im Theater zu haben und sich eine gute Biblio-

thek anzuschaffen. Kunstschaffende wurden gefördert und öffentliche Stellen wie die Stadtverwaltungen und Sparkassen kauften Kunst an um sie auszustellen. Die Inneneinrichtung wurde betont amerikanisch gehalten und die funktionellen Möbel sollten modern aussehen. Unregelmäßig gerundete Formen, wie der Eierschalensessel waren ein oft gesehenes Möbelstück in den Wohnungen. Musik wurde wichtiger. Die Jugend begann sich mit dem Rock ’n’ Roll zu beschäftigen und grenzte sich klar von ihren Eltern ab. Ihre Stars waren Elvis Presley und Bill Haley. Als die Ed-Sullivan-Show zum ersten Mal Elvis Presley zu Gast hatte waren die Kameramänner zuvor dazu angehalten worden nur seinen Oberkörper ins Bild zu nehmen, da seine Hüftbewegungen als Verletzung der sittlichen Normen betrachtet wurden. Doch diese Anweisungen konnten

West-Deutschland war das Wirtschaftswunder der 50er Jahre


59 nicht die sexuelle Revolution aufhalten, welche noch kommen sollte. Auch wenn Presley nicht der alleinige Auslöser dieser Revolution war, so stand er zumindest am Anfang derselben und entschied sie bedeutend mit. In Deutschland nahm 1952 das Fernsehen seinen Betrieb auf und konkurrierte stark mit dem Medium Film. Das Fernsehen nahm starken Einfluss auf das tägliche Leben zu jener Zeit. Anfangs wurde nur live gesendet, da man dies für die unmittelbarste Art der Übertragung hielt und so noch direkter auf das Geschehen eingehen konnte. Die Kinos und Filmindustrie antworteten auf die Gefahr, die sie durch das Fernsehen wahrnahmen und lockten das Publikum nun mit Cinemascope in ihre Vorführhäuser. Dieses neue anamorphe Filmverfahren und das damit verbundene Breitbild gaben Filmen einen völlig neuen Look und hoben sie vom Fernsehprogramm ab. Die Filme, die in diesem Verfahren produziert wurden waren nun auch aufwendiger und teurer als zuvor. Es entstanden Kassenschlager wie 1953 »Das Gewand« oder auch »Spartacus« und »Ben Hur«. Der amerikanische Film zeigte Helden, die mit der nackten Faust um Gerechtigkeit und Menschlichkeit kämpften, während der deutsche Film dieser Richtung noch mit sentimentalen Themen hinterherhinkte, aber auch die Konkurrenz durch das Fernsehen nicht so sehr fürchten musste.1

Abb. 1  Frau der 50er Jahre


Mode und Wirtschaftswunder

1950 bis 1959

– Seite 62 –

Abb. 2  ‘54 Maiglöckchen-Linie, ‘55 H-Linie, ‘55 A-Linie, ‘56 -Y-Linie, 56’ Pfeillinie

1950 bis 1959 – Mode

1956 schrieb Anny Latour: »Mode ist nicht mehr exklusiv, sie ist in die breite Masse, bis ins letzte Dorf vorgedrungen… Das Interesse am modischen Kleid ist heute, wo die Eleganz demokratisiert ist, weit verbreiteter als je«. Schon an diesem Ausspruch kann man feststellen, dass die 50er Jahre das Zeitalter der Mode waren. Nie zuvor war Mode in allen Schichten ein so wichtiges und so gefragtes Thema. Hierfür spielten die großen Kaufhäuser eine große Rolle. Sie produzierten was der Masse gefiel und brachten dies in großen Mengen auf den Markt, der es annahm. Durch die verbesserten Herstellungsmethoden und die neuen Kunstfasern wurden Mode und Accessoires bedeutend billiger. So konnte sich jeder Mode leisten. Weiterhin führte der Preisverfall und der nun schnelle überregionale Warenaustausch dazu, dass die Mode noch schnelllebiger wurde. Für Westberlin war die Modeindustrie einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der 50er Jahre. Die wichtigsten Modeexportländer für Deutschland waren un-

ter anderem die USA, Kanada und Großbritannien. Das selbstsichere Auftreten der Jugend war ein besonders wichtiger Grund für den Aufschwung der Modeindustrie. Die Jugend verfolgte ihre eigenen Vorstellungen von Mode und eiferten ihren großen Idolen nach. Die Modeindustrie zelebrierte das zurückgewonnene Interesse für die Branche. Gefragte Couturiers luden zu Festen ein und feierten ihren Erfolg. Bei einem Fest von Jacques Fath 1953 zum Beispiel wurden 1800 Gäste gezählt. Wie schon in den Jahrzehnten zuvor waren besonders in den 50er Jahren Filmstars und ihre Garderobe für die Bevölkerung tonangebend in Sachen Mode. Besonders die weiblichen Filmstars wurden zur Leinwand der großen Designer.2 Stars wie Marilyn Monroe waren nicht nur wegen ihres Aussehens sondern besonders auf Grund ihrer Ausstrahlung gefragt. Der Krieg hatte die Zeit der süßen, blonden Mädchen beendet. Die Männer, die zuvor noch an der Kriegsfront gekämpft hatten fühlten sich zu


temperamentvollen »Rassefrauen« hingezogen, die ihren eigenen Kopf durchsetzen wollten.3 Die Pullover dieser Frauen saßen knapp und zeigten oft die darunterliegenden trichterförmigen Büstenhalter, die meistens mehr versprachen, als sie halten konnten. Es wurde viel Wert darauf gelegt sexy zu wirken, jedoch nicht auf Sex selbst. Männer wurden mit weiblichen Rundungen, halboffenen Mündern und gekonnten Hüftschwüngen betört. Üppige weibliche Formen waren attraktiv und galten als »sexy«. In den 50er Jahren gewann das Medium Zeitschrift nochmals an Bedeutung. Die Modejournale fingen an selbst Mode zu kreieren und ließen diese dann in den Zeitschriften von ihren Mannequins vorführen. Diese Fotografieren waren gleichzeitig das Ende für die Modezeichnungen, die bis dato die Zeitschriften illustrierten. Die Magazine berichten dennoch noch immer von den großen Modeschauen, welche zu neuer größe Auftrumpften. Einer der Wichtigsten Teilnehmer dieser Modenschauen war Christian Dior, der mit seinem »New Look« zum König unter den Couturiers geworden war. Christian Dior entwarf in diesem Jahrzehnt unzählige Kreationen und Schnitte. Was viele von diesen miteinander verbunden hat ist die enge Taille, wie die Maiglöckchen-Linie von 1954 oder die Pfeillinie von 1956 (Abb. 2). Seine A-Linie der Mäntel von 1955 dagegen betont die Taille überhaupt nicht und ließ die Hüfte sowie jegliche Körperform verschwinden. Insgesamt waren die 50er Jahre jedoch die Zeit der betonten Taillen. Die Taillen wurden teilweise so eng wie möglich geschnürt um so Hüften und Gesäß, sowie die Brust zu betonen. Es


Mode und Plastik

1950 bis 1959

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Abb. 4

Abb. 3  »Jolie Madame« von Pierre Balmain, 1953

waren die Zeiten des sogenannten »Busen-Looks«. Stars wie Marilyn Monroe gaben diesen vor und wurden besonders von Herren im reiferen Alter sehr gefeiert. 1953 stellte Dior seine Kuppellinie vor, bei der er sich laut seiner eigenen Angaben an den Baudenkmälern von Paris orientiert hatte. Bei den eleganten Cocktailkleidern in dieser Kuppellinie war die Taille etwas tiefer gesetzt, als sie eigentlich wäre. Dies Strecke den Oberkörper optisch leicht und ließ die Frau größer wirken.4 Als Gegenströmung zu Diors Kumpelformen trat Balmain mit seiner »Julie Madame de Paris« ins Bild (Abb. 3). Mit der Form von Champagnerkelchen hatten diese Kleider eine komplett andere Linie als die Entwürfe Diors. Zu den Schultern verbreitete sich das Oberteil dieser Kleider. Sie waren weiterhin sehr Figurbetont. Ab den Knien abwärts wurden die Kleider dann extrem weit und sprangen kelchförmig auf. Die Cocktailkleider, egal in welcher Form, wurden oft zu vornehmen Anlässen getragen und prägten somit das Stadtbild der nächtlichen

50er Jahre. Die Vielfalt der Entwürfe führte erstmal dazu, dass nichtmehr von einer konkreten Linie gesprochen werden konnte. Ebenso führte die rasante Veränderung zu immer wieder neuen Kreationen, die das Nachtleben der 50er Jahre schmückten. Das Geschäft mit Hüten florierte in den 50er Jahren noch mehr als jemals zuvor. Die Zeiten waren vorbei in denen die Frauen ihre Hüte auf Grund von Geldmangel selbst formten. Hüte wurden zur Leinwand für kleine Verzierungen, wie Schleifen und Bändern. Gleichzeitg kamen die schwarz umrandeten Augen auf. Die Augenbrauen wurden beinahe »balkenartig« nachgezogen. Besonders stilprägend war der feine Lidstrich, der gekonnt nach oben aus dem Auge heraus gezogen wurde und ihm eine katzenartige Form verleihen sollte.5

1950 bis 1959 – Interior

Nach 20 Jahren brachten die 50er Jahre die größte Veränderung im Interiordesign bis dato. Das lag nicht nur am Aufschwung nach dem Krieg sondern auch am Zeitgeist, der veränderungswilligen Bevölkerung. »Altes raus, neues rein« war das Motto in der Innenraumgestaltung. Neue Materialien überschwemmten den Markt und mach-


Abb. 5

Abb. 6

ten neue Gestaltung möglich. Man fand nun Produktdesign in kräftigen Farben und Primärfarben aus Plastik, PVC, Gummi und Vinyl in den Wohnungen. Abstrakte geometrische Formen waren sehr beliebt sowie Tierprints, die die großzügigen Räume ausgestalten sollten (Abb. 4). Zu den größten Einflüssen zählt die American Diner Kultur mit ihren Jukeboxes und großen Kühlschränken, sowie der Surrealismus (Abb. 5 & Abb. 6). Künstler entwarfen ganze Möbelstücke und durchbrachen so die Schwelle zwischen Kunst und Produktdesign.6

1950 bis 1959 – Headlines

Die Überschriftengestaltung der 50er Jahre ist vielseitig. Vielseitige Einflüsse aus Kunst und dem täglichen Leben haben sich in der Gestaltung niedergeschlagen. Die Schriftgestaltung ist in den 50er Jahren förmlich explodiert und hat zu Schriften geführt, die noch bis heute das Design grundlegend beeinflussen. Zu diesen Schriften gehören unter anderem »Helvetica« von 1957 (Abb. 7), die von Eduard Hoffmann und Max Miedinger für die »Haas Type Foundry« gestaltet wurde. Ein weiterer bedeutender Name der Schriftgestaltung in den 50er Jahren ist Adrian Frutiger, der bedeutende Schriften wie »Univers« und »Egyptienne« entwarf. Ein weiterer Vertreter der Schriften in den 50er Jahren ist die Futura. Auch wenn diese bereits 1927 von Paul Renner gestaltet wurde, so wuchs sie in den 50er Jahren beträchtlich um die Gewichte Light, Light Oblique, Extra Bold und Extra Bold Italic an. Die Futura ist auch eine der Schriften, die nicht nur in den 50er Jahren immer wieder für die Gestaltung von Headlines genutzt wurde, sondern bis heute zu den beliebtesten Schriften aller Zeiten gehört.7 In den ersten zwei Beispielen Abb. 8 und Abb. 9 sieht man typische 50er Jahre Headlines aus der französischen Vogue vom November 1952. Diese Headlines passen von ihrer Anmutung her sehr zur Fotostrecke, welche sie betiteln. »L’accessoire de FOURRURE devient nécessaire« ist in einer serifenlosen Type gesetzt. Auf den ersten Blick würde man sagen, dass es sich beim

Helvetica

ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz Abb. 7

Frutiger wurde 1928 in Unterseen bei Interlaken geboren und zählt bis heute zu den bedeutendsten Schriftgestaltern seiner Zeit. Er zählt zu den begründern der Schweizer Typografie. Er entwarf bedeutende Schriften wie: Frutiger, Univers, Egyptienne und Avenir


Headlines und »Schweizer Typografie«

1950 bis 1959

– Seite 66 –

Abb. 8  Vogue Paris, Nov. 1952

Wort »FOURRURE« um einen Satz in der Type Helvetica handelt. Der Schwung im Versal »R«, Anstrich und Abstrich vom versalen »U« – beides lässt sofort auf Helvetica schließen. Wenn man sie jedoch genauer betrachtet, fällt die Punze im versalen »R« auf und ebenso »E« und »F«. Es handelt sich also nur um eine der Helvetica sehr ähnlichen Schrift. Wenn man den Rest der Headline betrachtet kann man davon ausgehen, dass der Rest in der selben Schrift gesetzt ist. Schwung, Strichstärkenkontraste und Anmutung scheinen hier sehr ähnlich zu sein, weshalb man davon ausgehen kann. Interessanterweise übernimmt die zweite Headline »LA FOURRURE SOUS TOUTES SES FORMES« das versale F aus der ersten Headline. Der Rest jedoch ist in einer kantigeren Schrift gesetzt, die sehr stark nach der Futura aussieht oder ihr zumindest nachempfunden ist. Die Verbindung der zwei Headlines ist dennoch durch das herausstechende Versal-F gegeben. Besonders markant ist der Größenunterschied zwischen dem Wort »FOURRURE« und dem Rest der Headline im ersten Beispiel und eben-

so zwischen dem versalen »F« und dem Rest der Headline im zweiten Beispiel. Mit dem Mittel des Größenunterschiedes wird hier einerseits ein typografisches Experiment gewagt und andererseits eine gewisse Plakativität erzeugt, die direkt ins Auge fällt. Besonders im ersten Beispiel fällt der ungewöhnliche, verschobene Satz der Überschrift auf, der zusätzlich für Abwechslung sorgt. Wenn man das fotografische Editorial mit der Schrift vergleicht fällt auf, dass man hier im Ausdruck und der grafischen Gestaltung viele Gemeinsamkeiten gefunden werden können. Die dargestellten Frauen bestechen auf den Fotografien mit starrem Ausdruck und einer leichten Überheblichkeit, die zu einem eleganten Gesamteindruck führt. Die schwarz betonten Augenbrauen mit ihren – für weibliche Verhältnisse – strengen Formen unterstützt diesen Eindruck zusätzlich. Die gleichen harten Konturen sieht man in den Headlines. Die stärke der fetten Balken in der Schrift ähneln denen, die die Augenbrauen und die schwarzen Münder erzeugen (Abb. 10). Erstaunlich ist, dass die Schrift in diesem Beispiel nur mäßig die taillier-


Abb. 9 Vogue Paris, Nov. 1952

ten Schnitte oder den ausgefallenen Kragen aufnimmt. Die Silhouette, die vom Designer erzeugt wird scheint für die Gestaltung in diesem Fall nicht so ausschlaggebend zu sein, dass dies in den Mittelpunkt gerückt werden muss. Hier scheint das gestärkte Selbstbewusstsein der Frauen in Verbindung mit den grafischen Akzenten in ihren Gesichtern wichtiger für den Gestalter gewesen zu sein. Ein weiteres Merkmal fällt bei dieser Gestaltung in beiden Headlines stark ins Auge. Man sieht viel Weißraum um die Headline herum und eine asymmetrische Gestaltung. Man könnte vermuten, dass es sich hier um die ersten Ansätze der sogenannten »Schweizer Typografie« handelt, auch wenn diese per Definition erst ungefähr drei Jahre später eingesetzt wurde. Insgesamt ist in der typografischen Gestaltung der 50er Jahre zumindest in der Vogue eine gewisse Schüchternheit zu sehen. Man hat das Gefühl, dass es Tendenzen und neue Ideen gibt die Gestaltung zu verändern, jedoch bleiben diese Versuche relativ zaghaft. Dies führt zu einer relativ gleichförmigen Gestaltung in diesen zehn Jahren. Es werden bevorzugt groteske Schriften mit kleineren Größenunterschieden für die Headlines eingesetzt. Man findet ähnliche Gestaltungsprinzipien in der Umsetzung mit Serifenschriften in Vogue (Abb. 11). Es werden noch immer bevorzugt versale Headlines gesetzt, was auf Grund des hohen Auszeichnungs-

Abb. 10

»Schweizer Typografie« bezeichnet die  Gestaltungsrichtung der Typografie, die seit  ca. 1955 auf der »elementaren Typografie«  aufbaut. Kennzeichnend für die »Schweizer Typografie« sind extreme Weißräume,  Groteskschriften in wenigen Schriftgraden,  assymetrische Darstellung und der Verzicht  auf Schmuckelemente.


Headlines und »Schweizer Typografie«

1950 bis 1959

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Abb. 11  Vogue Paris, Nov. 1952

charakters von Versalbuchstaben nicht ungewöhnlich ist. Eine weitere Auffälligkeit dieser Zeit ist das besondere Hervorheben des ersten Buchstabes in einer Headline. In Abb. 12 sieht man die Headline »Tenues de mer«. Das »T« ist dabei größenmäßig extrem hervorgehoben und bekommt so direkt die Aufmerksamkeit des Betrachters. Es gibt keine inhaltlichen Gründe hier den ersten Buchstaben so hervorzuheben, also kann man von einer gestalterischen Begründung hierfür ausgehen. Es scheint, dass hier ein Umgang mit der klassischen Antiqua »Garamond« gesucht wurde, der ihr eine moderne Anmutung verleiht. Das typografische Experiment der Größenunterschiede verleiht der Garamond einen modernen Hauch – für eine Schrift, die im 16. Jahrhundert entwickelt wurde relativ modernen Hauch. In diesem Beispiel wird die Modernität lediglich über den Satz gesteuert. Das größere »T« in der Versalschreibweise greift weiterhin den harten schwarz/weiß Kontrast des fotografischen Editorials auf. Mit dem erhöhten Schwarzanteil durch die Vergrößerung greift dieser Buchstabe den Kontrast des schwarzen Tops des Models auf.

Eine weitere Form von Überschriften in den 50er Jahren sind handgeschriebene Scriptheadlines wie in Abb. 13. Der dynamische Duktus dieser Headlines passt zur Schnelllebigkeit der 50er Jahre. Diese schwungvolle und schnelle Art des Schreibens erinnert von der Anmutung her an die schnelle Handschrift von Frauen und ordnet sich formal somit sehr gut in die Zeit der sexuellen Revolution ein, in der die Emanzipation der Frau immer weiter vorangetrieben wurde. Natürlich ist es bei Handschrift schwer von einer weiblichen oder männlichen Anmutung zu sprechen, jedoch ist die Eleganz, den die Dynamik dieser Schrift versprüht ein Attribut, dass einer weiblichen Handschrift nicht abgeschlagen werden kann. Ein weiteres weibliches Merkmal dieser Headline ist die starke Ähnlichkeit zum beliebten Lidstrich, der in dieser Dekade von den Frauen weit über das Auge hinaus gezogen wurde. Diese handgeschriebene Headline versprüht also nicht nur diesen besonderen handgemachten Charakter, sondern gleichzeitig auch die verruchte Geselligkeit des wilden Nachtlebens der 50er Jahre. Was man in den Headlines der 50er Jahre sehr vermissen kann, ist die bunte Welt der Kurzlebigkeit aus Plastik, die die 50er Jahre vor allem im Interiordesign zur Zeit der Wegwerfgesellschaft gemacht hat. Man findet keine bunten Headlines, keine Strukturen in der Schrift. Das einzige was in diese Richtung geht, ist die Kantigkeit der grotesken Schriften, welche jedoch in ihrer schwarzen Farbigkeit wenig mit der bunten Welt der 50er Jahre gemeinsam haben. Aus Gründen der Produktion und den damit verbundenen hohen Kosten war in den 50er Jahren eine farbige Gestaltung von Magazinen noch eher selten, was ein weiterer Grund für die einfarbige Gestaltung der Vogue ist.


Abb. 12  Vogue Paris, Nov. 1952

Abb. 13  Vogue Paris, 1952


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bis

1960 bis 1969 – Einleitung, Politik, Frauen

In den 60er Jahren wurde nicht nur die Teilung Deutschlands durch die Sowjetunion auf Grund des Baus der Berliner Mauer verhärtet, sondern auch die außenpolitische Situation zwischen der Sowjetunion und den westlichen Staaten verschärfte sich. Historische Höhepunkte wie die Kubakrise und der Vietnamkrieg heizten die Machtkämpfe zwischen dem demokratischen und dem kommunistischen System weiter an. Die Antwort auf die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West und auf die Studentenunruhen waren die ersten Hippies, die sich im Stadtviertel Haight-Ashbury in San Francisco und in East Village in New York versammelten und »Isn’t life beautiful, isn‘t life gay?« sangen. Mit ihre antibürgerlichen und vor allem pazifistischen Einstellung wollten sie auf gewaltfreiem Weg gegen Klassenunterschiede, Vorurteile, Rassismus, Kriege und Unterdrückung protestieren. Als es immer weniger Hippies gelang, dem »verabscheuungswürdigen Leben« zu entrinnen, begannen viele

damit Drogen wie Haschisch und LSD zu konsumieren. Die Hippies propagierten neben ihren Friedensbotschaften auch die »freie Liebe«, was in den 60er Jahren zu einer regelrechten Sexualisierung führte und der Anti-Baby-Pille die perfekte Zeit bot um auf den Markt zu kommen.1 Die Kunst der 60er Jahre stand im Zeichen von optischen Täuschungen, aber ebenso rückte der neue Realismus in Fo-

»Isn’t life beautiful, isn‘t life gay?« kus. Die sogenannten Op-Art (Abb. 1) machte sich die selbstständige Aktivität des Auges zu Nutze oder täuschte es durch Wechseleindrücke. Die Wechseleindrücke wurden oft durch geometrische Formen erzeugt, die in spezieller Beziehung zueinander standen.


69 Abb. 1  Op Art Swimsuit, F.C. Grundlach, 1966

Die neben der Op-Art entstandene Pop-Art zählt zur Stilrichtung des neuen Realismus (Abb. 2) und schwelgte in der Konsumgesellschaft. Sie stand der modernen Hochkonjunktur positiv gegenüber.2 Alte Schönheitsideale wurden von der Pop-Art in Frage gestellt und überworfen. Außerdem wurden ästhetische Werte in Frage gestellt. So kam es durch die PopArt Bewegung zu einer Ästhetisierung banaler Konsumobjekte, wie in Andy Warhols Serie der »Campbell’s Coup Cans« (Abb. 3). Die Realität wurde somit zur Kunst erklärt. Dabei waren Mittel wie Reihung, Ausschnitte, Vergrößerung oder Isolierung unter Künstlern die beliebtesten Methoden zur Abstraktion. Claes Oldenburg modelierte übergroße Hamburger und Küchenstücke und Roy Lichtenstein entwarf verfremdete Reklame Reklame und Comic Strips. Die Verfremdung erfolgte bei ihm durch einen gerasterten Malstil.3 Ein weiteres stilgebendes Element war das sogenannte Happening. Das Besondere am Happening war, dass es die Grenze zwischen Kunst, Musik und Theater aufhob und von Improvisation geprägt war. Es kam zu einer Wechselwirkung zwischen Publikum und Akteuren, die gemeinsam das Geschehen improvisiert vorantrieben. Das Theater war ebenso vom Experimentalismus geprägt und suchte nach neuen Ausdrucksformen. Kulturell gesehen sind die 60er Jahre eine

Abb. 2  »Crying Girl«, Roy Lichtenstein, 1964


Lifestyle und Mannequins

1960 bis 1969

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Abb. 3  »Campbell’s Coup Cans«, Andy Warhol

Zeit der Neuerung und des Umbruchs. Dies bezog sich nicht ausschließlich auf die benutzte Technik sondern gleichermaßen auf das Denken der Menschen und dem, was Kunst und Unterhaltung ihrem Publikum bieten wollten. Die Pop Musik warf die Musikindustrie und die musik-ästhetischen Gesichtspunkte um. Neu entwickelte Hilfsmittel wie Hall- und Echoeffekte sowie Verstärkungsanlagen führten zu einem neuen Sound. Weiterhin bedienten sich die Musiker nun erstmals neuer Hilfsmittel wie Lichtorgeln und und Räucherstäbchen, um beim Zuschauer eine synästhetische Wirkung zu erzielen. Diese Experimentierfreudigkeit im Einklang mit der Technik führte zu völlig neuen Ausdrucksformen der Künstler. Die Modeszene der 60er Jahre war sehr bewegt und wurde »The swinging sixties« genannt. Vogue sprach von den »Revolutionaries«, womit sie die junge Mode meinte, welche enorm an Bedeutung gewonnen hatte. Die Jugend trat immer mehr in die Rolle des Modevorbilds und gab ebenso in der Freizeitgestaltung den Ton an. Sie war jetzt die wichtigste Käuferschicht für alles, was als modisch galt. Dies beeinflusste den Lifestyle und vor allem den Zeitgeist der 60er Jahre immens. Wie jede Dekade hat auch diese wieder ihre Idole und

Figuren der Öffentlichkeit, die Quelle der Inspiration für viele wurde. In den 60er Jahren war eine dieser Figuren Twiggy (Abb. 4). Sie galt als englisches Star Mannequin und wurde mit ihrer knabenhaften jugendlichen Figur zum Star der Jugend. Wichtig für diese Rolle war in den 60er Jahren ein kleiner Busen und eine äußerst schmale Taille. Dies wurde im Transparentlook gerne gezeigt. Mit dem Einzug der Jugend in die Mode wurde auch die Prêt-à-porter Mode für den kapitalistischen Markt eingeführt. Gemeint ist Haut-Couture für eine breitere Masse, die »von der Stange« für jedermann erwerbbar war. Diese Einführung zielte vor allem auf den gehobenen Mittelstand ab.

1960 bis 1969 – Mode

Mary Quant führte anfang der 60er Jahre den Mini-Rock in die Mode ein und hatte damit enormen Erfolg. Als typisches Zeichen für eine nun sexualisierte Gesellschaft sollte der Mini-Rock in die Geschichte eingehen und wurde zu jedem Anlass getragen. Selbst die Mäntel wurden daraufhin sehr kurz. Eine weitere Errungenschaft der 60er Jahre war der sogenannte Weltraum-Look. Modeschöpfer stellten mit diesem ihre Vision der Frau von morgen vor und zeigten sie mit Helm und »Mondbrille«. Der Einfluss wichtiger Ereig-


nisse wie der ersten Mondlandung sind hier deutlich zu sehen. Klare horizontale Linien wurden von Modeschöpfern wie Louis Féraud bevorzugt und intensiv eingesetzt. Andere wiederum bevorzugten selbst in der Mode Materialen wie Plastik, was Mode Journalisten zu dem Urteilbrachte:« Das Plastikzeitalter hat auch in der Mode begonnen«. Eine Gegenwelle brachte die Hippie-Mode in die Kleiderschränke. Mitte der 60er Jahre schwemmte aus den USA die Hippie-Mode nach ganz Europa. Die Designs waren farbenfroh, nostalgisch und ein Gegenstück zur funktionellen Mode. Hippie-Mode wurde von ihren Anhängern als Sprachrohr benutzt. Sie schmückten sich mit Blumen im Haar und wollten auf die Freuden des Lebens aufmerksam machen. Die Kleidung der Hippiemädchen sollte als Auflehnung gegen »von oben« diktierte Mode sein und entstammt im Grunde der Kleidung der Indianer, Eskimos und fernöstlicher Zivilisationen. Sie bestand aus weiten, langen Röcken oder bequemen Jeans. Am liebsten trugen die Mädchen ihre Haare offen, da jede »Frisur« abgelehnt wurde. Selbst die Jeans konnte sich hier einreihen. Der verspielte Look, den Pop-Art und Hippie-Mode brachten, wurde

Synästhesie bezeichnet die Kopplung mehrerer physisch getrennten Bereiche der Wahrnehmung. Ein Beispiel dafür ist Schmecken und Hören. Menschen, die Wahrnehmungen gekoppelt erfahren, werden als Synästhetiker bezeichnet

Abb. 4  Twiggy by Jeanloup Sieff, October 1967


Lifestyle,Mannequins und Rebellion

1960 bis 1969

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von Teenagern aufgegriffen und auf die Jeans übertragen. Sie bestickten sie mit Blumen oder Sternen und beklebten sie mit bunten Flecken (Abb. 5) »Wenn eine Frau mit dem Make-Up fertig ist, dann ist sie schon halb angezogen.« Dies war die öffentliche Meinung der Modeschöpfer in den 60er Jahren und wurde zum Leitspruch der Frauen. Das Make-Up musste mit der Mode zusammenpassen und war nun nicht mehr so schwarz wie noch in den 50er Jahren. Auf die Farbe der Augen und Kleidung abgestimmte Lidschatten und Puder traten an ihre Stelle. Modeschmuck in den 60er Jahren musste nicht aus teuren Materialen sein, einzig das Design zählte. Es wurde Wert auf Extravaganz und Ultramodernität gelegt. 1961 waren Halsketten, die aus eckigen Glasperlen geschliffen waren modern. Gleichwohl war Schmuck mit schwarz-weißen geometrischen Mustern sehr beliebt.

1960 bis 1969 – Interior

In den Wohnungen der 60er Jahre hatte sich im Gegensatz zu den

50er Jahren einiges verändert. Die Einrichtung bewegte sich weg vom schlichten Modernismus der letzten Jahre und griff nun immer mehr historische Einflüsse auf. Dies war in den 60er Jahren jedoch nicht als stille Entwicklung, sondern vielmehr als Rebellion zu verstehen, die ihre Inspiration von überall her nahm. Besonders beliebt waren die 20er Jahre, Art Nouveau, sowie die viktorianische Epoche als Quelle der Inspiration. Die Einflüsse wurden nicht benutzt um die Vergangenheit zu replizieren, sondern respektlos kombiniert und zu etwas Neuem zusammengestellt. Die Demokratisierung zog sich hier also nicht nur durch die Mode, sondern traf auch auf die Innenraumgestaltung. Künstler wie Andy Warhol brachten die Kunst ins Heim, indem sie Objekte entwarfen, die als Möbelstücke genutzt werden konnten (Foto Andy Warhol Couch). Diese Einflüsse brachten die Pop Art in die Wohnzimmer der 60er Jahre. Die bevorzugten Materialien waren noch immer Plastik und PVC, da diese einerseits günstig waren und andererseits perfekt in die Wegwerfgesellschaft dieser Zeit passten. Tische und Couches wurden gerne tiefer als normalerweise üblich gelassen, was die Räume nach oben wiederum höher wirken ließ. Erinnerungen an Reisen wurden oft mit in die Innenräume aufgenommen. Meistens in Form von Teppichen oder ornamentalen Dekorationen. An den Wänden fand man nun wieder stilisierte Blumenornamente, die bereits zu Zeiten des Art Nouveau sehr beliebt waren. Eine andere Formensprache, aber nicht minder beliebt waren Linienmuster mit Variationen ins Psychedelische. Gerne wurden auch Räume aus Kinofilmen komplett nachgestellt, da das Kino zur immer wichtiger werdenden Inspirationsquelle für die Bevölkerung wurde.

1960 bis 1969 – Headlines Abb. 5  Michelle Phillips, Ende der 60er

In den 60er Jahren veränderte sich die Gestaltung in den Headlines der Vogue plötzlich grundlegend. Es ist ein vielfältigerer Umgang mit grundlegend ver-


schiedenen Typen und Größen zu erkennen. Dies liegt zum einen an neuen technischen Möglichkeiten und Erfindungen. die es nun möglich machten einfacher zu produzieren und zu gestalten und auf der anderen Seite auch an Einflüssen, die der Zeitgeist mit sich brachte. Mit der Verbreitung des Fotosatzes in den 1960er Jahren vereinfachte sich der Entwurf von Headlines, da diese Technik es ermöglichte, Schriften ohne großen Aufwand stufenlos zu vergrößern und zu verkleinern. Abgelöst wurde der Fotosatz bereits im selben Jahrzehnt vom Lichtsatz.8 Eine derart vielfältige Gestaltung der Headlines fand man seit den 20er und 30er Jahren nicht in der Vogue. Das erste Beispiel aus der französischen Vogue des Frühjahres 1962 zeigt den Schriftzug »LA MODE DE PRINTEMPS 1962« (Abb. 6). Die typografische Gestaltung besticht hier durch Linksbündigkeit und vor allem Größe. Die Headline ragt förmlich aus dem Layout der Doppelseite heraus. Die Schriftart, die der Gestalter für diese Headline benutzte, zieht sich durch die gesamte Ausgabe der Vogue für ausgewählte Headlines.

Abb. 6  Vogue Paris, Frühjar 1962

Der Fotosatz wurde schon vor den 1960er Jahren erfunden, fand jedoch seine Verbeitung erst in den 60er Jahren, da die Technik bis dahin stetig weiter entwickelt worden war. Die einzelnen Zeichen werden im Fotosatz nacheinander auf Fotomaterial belichtet. Die Geschwindigkeit des Fotosatzes lag zwar noch etwas unter der des maschinellen Bleisatzes, Schriften konnten hiermit jedoch einfacher und vor allem zum ersten mal stufenlos vergrößert und verkleinert werden. Gefolgt wurde der Fotosatz vom Lichtsatz ab Mitte der 60er Jahre, bei dem der digitale Wandel zum ersten mal die Gestaltung beeinflusste. Für dieses Satzverfahren musste alle Zeichen bereits in einem Vektorformat vorliegen. Mit diesem neuen Verfahren waren nun automatische Trennungen sowie automatischer Blocksatz möglich.9


Headlines

1960 bis 1969

– Seite 76 –

Optima

Abb. 7

ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass es sich bei der Schrift um die von Hermann Zapf gestaltete »Optima« handelt. Die zeitliche Einordnung würde dazu passen, da diese zwischen 1952 und 1955 entwickelt wurde. Die humanistische Form in den Strichstärken spricht ebenso eine Optima-ähnliche Sprache (Abb. 7). Erst beim näheren Hinsehen kann man die kleinen Serifen an der Headline erkennen, die darauf schließen lassen, dass es sich nicht um die Optima handeln kann. Auch Spezialformen im »P«, sowie im »R« zeigen einen klaren Unterschied zur Optima (Abb. 8). Trotz der klaren Abgrenzung zur Optima lässt sich die Schriftart dieser Headline nicht klar identifizieren. Der geringe Strichstärkenkontrast in der Headline führt zu einem Schriftbild ohne viele Rundungen. Als Vergleich lässt sich eine Verbindung zum Trend der knabenhaften jugendlichen Figur von Stars wie Twiggy ziehen. Sie war eine Frau, die mit ihrem androgynen Look die Zeit prägte und vor allem inspirierte. Ähnlich geschlechtslose Attribute kann man in der gewählten Schrift dieser Headline finden. Sie besitzt eine Eleganz, die zu einem frauen-orientierten Magazin wie der Vogue passt,

aber zeigt keinerlei Rundungen auf (Abb. 9). Der Ausdruck des Models auf dem Foto neben der Headlines ist dabei passend zu Überschrift locker: nicht zu ernst und strahlt eine gewisse Leichtigkeit aus. Die Vielfältigkeit in der typografischen Gestaltung der 60er Jahre kann man bereits bei der Betrachtung des zweiten Beispiels erkennen. Im Gegensatz zum ersten Beispiel sehen wir hier keine humanistische, sondern eine groteske, superschmale Type (Abb. 10).Die zweizeilige Headline bildet einen Block, der erst durch den Größenunterschied in der Schrift möglich ist. Der extrem schmale Schnitt der Type schafft eine leichte Eleganz, die das photographische Editorial unterstreicht, welches eine zarte, weiße Mode zeigt. Die wenigen kontrastreichen Akzente in der Fotografie bilden die schwarzen Haare des Models, sowie das tief schwarze Make-Up das sie trägt. Es entsteht das Gefühl, dass in der Typografie die Schönheitsideale umgeworfen wurden, ebenso wie dies beim Frauenbild der Fall war. Der versale Satz der beiden betrachteten Headlines ist zwar seit den 1910er Jahren ein oft benutztes Stilmittel in der Typografie des Fashionbereiches, jedoch sind die


Headline

Abb. 8

Optima

PR

schmale Form, sowie die Reduktion bis hin zur Abwesenheit von Kontrast innerhalb der Typen neue Gestaltungsmittel in diesem Medium. Völlig anders wiederum ist dagegen die Gestaltung in Beispiel Abb. 11 aus der

Der geringe Kontrast in der Headline ist im  Schönheitsideal der 60er Jahre anhand des  Top-Models Twiggy nicht von der Hand zu  weisen. Ihre knabenhafte Figur ist fast rundungslos und so der Type ähnlich. Beachtlich  dabei ist, dass es sich hier um ein weibliches Schönheitsideal  handelt. Abb. 9

Abb. 10 Vogue Paris, Frühjar 1962


Headlines

– Seite 78 –

1960 bis 1969

Abb. 11  Vogue Paris, März 1967

französischen Vogue vom März 1967. Die Bodoni, die den Schriftzug »LA LINGERIE PORTE CULOTTE« bildet, ist mit ihrer klassizistischen Form das komplette Gegenteil zu den zwei vorher betrachteten Headlines. Ihre harten Serifen und der extreme Kontrast geben ihr einen einzigartigen Charakter. Sie strahlt Eleganz und

Klasse aus und wird trotz ihres Alters noch bis heute sehr oft in Fashion Magazinen und sogar für Logos von Modedesignern benutzt. Gesetzt ist die Headline relativ weit links im unteren teil des Layouts. Trotz der Platzierung sticht der zentrierte Satz der Versalheadline sehr heraus, was ein weiteres mal Ausdruck für die


typografische Experimentierfreudigkeit der Zeit ist. Weiterhin fällt der extrem schmale Zeilenabstand sowie die hohe Sperrung der Headline auf, was der Überschrift einen massiveren Charakter verleiht. Die Leichtigkeit, die die dünnen Strichstärken der Bodoni erzeugen greifen die Leichtigkeit der Kleidung im fotografischen Editorial auf. Eine superfette Schrift beispielsweise würde das Thema der Unterwäsche erdrücken. Die Bodoni ist eine der wenigen Konstanten im Headlinedesign der 60er Jahre. In der Vogue findet man sie besonders wenn es um Mode geht, während der Rest der Überschriften aus ungleichförmigen typografischen Experimenten besteht. Die Eleganz der Bodoni bedient nicht nur das Thema Mode äußerst gut, sondern verschafft den Themen der Vogue immer wieder einen gewissen Hauch von Glamour. Sehr wahrscheinlich ist dies der Grund für den häufigen Einsatz dieser Schrift zu der Zeit. Im Beispiel Abb. 12 sieht man wieder den Einsatz der Bodoni als Überschrift für die Kategorie »BULLETIN BEAUTE« der französischen Vogue vom März 1968. Diese Headline soll im Folgenden jedoch nicht im Vordergrund stehen. Die weiter unten stehende Headline »POUR L’HOMME« soll analysiert werden. Die Headline folgt – verglichen mit den anderen Headlines der Zeit – dem typischen Klischee der Männlichkeit, indem sie schwerer und plumper wirkt, als die leichten anderen Headlines. Dies ist sicherlich thematisch bedingt, da es in diesem Artikel um den Mann geht. Trotz dem die Headline fetter und dadurch auch viel massiver als die anderen ist, schafft sie es mit ihren hohen Glyphen ein vergleichsweise elegantes Schriftbild zu wahren und trotzdem Kraft auszustrahlen. Bei der Schrift handelt es sich um die Plakette TS – eine von Walter Florenz Brendel entworfene Schrift aus den 60er Jahren.10 Mit dieser Headline benutzte Vogue neben den klassischen Schriften mit langer Tradition also auch aktuelle neue Schriften, die in der jeweiligen Dekade erst entworfen wurden und so einige Aspekte der Zeit in ihrer Form bereits aufgenommen hatten. So sind viele der Schriften von Brendel sehr bold und blockartig, dass sie an die moderne Architektur und die Blockbauten der 60er Jahre erinnern, die mit ihrer einfachen geometrischen Form als schön und vor allem modern galten (Abb. 13)

Abb. 13

Bodoni ist der Name diverser klassizistischer Antiquas, die auf den Italiener  Giambattista Bodoni zurückgehen. Neben  Didot und Walbaum gehören sie zu den  bekanntesten Schrifttypen des Klassizismus. Zu den eindeutigsten Merkmalen  der Bodoni gehöhrt der extreme Kontrast  zwischen Grund- und Haarstrich, sowie der  geometrische Eindruck, der entsteht. In kleinen Größen brechen die Haarlinien  schnell weg, was den Einsatz der Bodoni für  größeren Satz geeigneter macht.

Abb. 12 Vogue Paris, März 1967


1970 19

– Seite 80 –

bis

1970 bis 1979 – Einleitung, Politik, Frauen

Allgemeine Umstände wie auftretende Arbeitslosigkeit und die Verschlechterung der Aussicht auf Arbeit ließ Teile der der Bevölkerung – besonders die Jugend – resignieren. Viele gerieten in die Versuchung die Sicht auf ihr Leben mit Drogen zu verbessern. Andere fühlten sich von der fortschreitenden Technisierung bedroht und strebten ein Leben im Einklang mit der Natur ohne Leistungsdruck und Konkurrenzprinzip an. Sie wollten zwischenmenschliche Beziehungen intensivieren und zogen dazu in Wohngemeinschaften mit Gleichgesinnten. In der Kunst der 70er Jahre wurde die neue Bewegung der Land-Art berühmt. Hier wurden natürliche Räume künstlich umgestaltet. Robert Smithson beispielsweise ließ die Erde in einem See spiralförmig aufschütten und veränderte so die natürliche Erschei-

nungsform. Diese neue Art der Kunst war der Suche nach einer neuen Ausdrucksform geschuldet. Die Künstler wollten sich gegen die Künstlichkeit der modernen Großstadt und gegen die Kunststoffästhetik der Zeit aufbäumen.

1970 bis 1979 – Mode

Die Mode der 70er Jahre wurde »lässiger«, unkonventioneller und vor allem individueller als jemals zuvor. Es gab viele Strömungen die nebeneinander modern waren. Man kann die 70er Jahre modisch grob in zwei Abschnitte teilen. Die erste Hälfte der Zeit war eher von einer sportlichen und praktischen Mode mit Understatement geprägt, wohingegen die zweite Hälfte modisch noch vielfältiger und durchwachsener wurde. Die Herren trugen Anfang dieser Dekade bevorzugt legere

In den 70er Jahren waren mehrere Strömungen gleichzeitig modern


79 Jeans mit abgetretenen Schuhen und Lederjacken sowie zerbeulte Hüte. Diese Kleidung ließ nun nicht mehr auf den Status des Trägers schließen. Frauen fingen an ihre Kleidung mehr zu kombinieren und entwickelten so einen eigenen Stil. Dies lag zum Teil auch daran, dass es in den 70er Jahren einfach an Leitbildern für die Inspiration fehlte, was die Bevölkerung in die Situation des modischen Experimentierens brachte. Es durfte alles getragen und kombiniert werden. Der Konsument mit modischem Interesse konnte sich nun der Vielfalt bedienen, wohingegen die Verbraucherschicht, die zum Experimentieren nicht fähig oder bereit war in eine Orientierungslosigkeit fiel.1 In der zweiten Hälfte der 70er Jahre war die Kleidung der Punks eine treibende Kraft in der Mode. Diese Subkultur der Gesellschaft stand für das Antibürgerliche und zum Teil Paramilitärische. Die Modeschöpfer ließen sich von der Punkbewegung zur Anarcho-Mode, zum Military-Look, sowie zum Löcher- und Fetzen-Look – der in den 80er Jahren noch mehr etabliert werden sollte – inspirieren. Eine Gegenbewebung zu dieser sehr derben Mode bildete die Disko-Mode. Diese Kleidung wurde – wie der Name schon sagt – besonders zu nächtlichen Tanzveranstaltungen von der Jugend getragen. Wie bereits die Jahre zuvor brach auch in den 70er Jahren der Streit um die Länge der Röcke aus.

Abb. 1  Siouxsie Sioux, Mitte der 70er Jahre

Abb. 2  Disko-Mode, Vogue Paris, 1972


Mode und Kurven

1970 bis 1979

– Seite 82 –

Abb. 3  Slit-Look von Diane von Furstenberg

Abb. 4  Hot Pants, Racquel Welch

Während Modeschöpfer einen wadenlangen Schnitt propagierten, weil er für die Figur der Frauen vorteilhafter sei, wollten die Kundinnen lieber kurze Miniröcke tragen, da diese ein jugendlicheres Image hatten. Erst eine Nostalgie-Welle um 1973 konnte die Midi-Länge unter den Kundinnen etablieren. Diese Röcke waren länger als ein Mini, jedoch nicht bis zum Boden. Einen Kompromiss zwischen Mini- und Midi-Rock bildete der »SlitLook« (Abb. 3). Röcke im Slit-Look waren an ihrer Front geöffnet und wurden von den Frauen maximal bis zu den Knien, die freiliegen sollten, zugeknöpft. Jeder konnte selbst entscheiden, wie weit er diese zuknöpfen wollte und so trugen besonders Jugendliche die Röcke gern sehr offen, so dass die darunter getragenen hot pants zu sehen waren. Hot pants (Abb. 4) waren das beliebteste Kleidungsstück der freizügigeren Mode. Auch hier war wieder die Jugend die Hauptkäuferschicht und Vorreiter für diesen Trend. Die Nostalgie-Welle wurde vom »Slinky- Look«, der an die Mode der ausklingenden 30er Jahre erinnerte, ausgelöst. Kleidung wurde wieder figurbetonter, jedoch nicht einengend getragen. Röcke waren wieder tailliert und sprangen zum

Saum hin glockig weit auf. Die Schultern wurde betont und teilweise sogar ausgepolstert. Breiter-werdende Puff-Ärmel unterstrichen die Form des Oberkörpers. »Liberty-Muster« waren sehr beliebt und zeichneten sich durch kleine Blümchenprints aus, die nach dem exklusiven Warenhaus »Liberty« in London benannt waren. Die Bevölkerung empfand es als schick auf die Mode vergangener Jahre zurückzublicken und wollte damit Individualismus beweisen. Kleider und Accessoires aus alten Zeiten wurden auf Trödelmärkten gekauft. Die Modeindustrie antwortete mit Imitationen. In den folgenden Jahren wurden Einflüsse aus aller Welt zur Inspiration für die Mode. Die modebewussten Teile der Bevölkerung erlebten eine Romantik-Welle, die verruchtes und vampartiges, aber auch verspieltere romantische Kleider brachte. Lange weiße Kleider und spitzendurchbrochener Baumwollkrepp stehen für diesen Look. Kurze Zeit später etablierte Yves Saint Laurent den figurbetonten Overall-Look, während Kenzo aus Japan gleichzeitig die Mode des Fernen Ostens nach Europa brachte. Plötzlich wurde die Mode sehr vielfältig und vielseitig. Die Zeiten in denen nur eine einzige Strömung dominierte waren längst vorbei.2


Abb. 5

1970 bis 1979 – Headlines

Abb. 6

In der ersten Hälfte der 70er Jahre kann man eine klare Tendenz zu mehr Rundungen in der weiblichen Silhouette erkennen, die die Vogue zeigt. Besonders die Hüften wurden in der Fotografie durch Kleidung und die Wahl der Models sehr betont (Abb. 5 – Abb. 7). So verwundert es nicht, dass sich die typografische Gestaltung der Headlines an diesem Wandel beteiligt und man nun vermehrt runde, breitere und vor allem fettere Schriften in der Vogue erblickt. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Headline in Abb. 8. Die Headline ist in der Mitte der linken Magazinseite gesetzt. Der zugehörige Weißraum gibt ihr den nötigen Platz. Durch die unterschiedlichen Größenverhältnisse jeder Zeile schafft der Gestalter einen rechteckigen Block mit dem Satz. Die benutzte Schrift heißt »Carousel« und wurde 1966 vom Typedesigner Gary Gillot entworfen. Die Type besitzt extreme Strichstärkenkontraste. Die dicken Striche sind ultra-fett, während die dünnen hauchzarte Hairlines sind, die in kleineren Größen sofort wegbrechen würden. Eingeordnet werden diese Arten von Schriften in die Kategorie der »Fat Faces«. Diese »Fat Faces« sind Ableger von modernen Schriften wie der Bodoni und Didot, die in den frühen 1800er Jahren zum guten Ton gehörten. Typen wie die Carousel haben gehören im Grunde zu den klassizistischen Schriften – wie ihre Vorbilder – sind jedoch um einiges extremer in ihren Merkmalen – insbesondere im Kontrast. »Fat Faces« sind die ersten Schriften, die ausschließlich für den Gebrauch in Werbeanzeigen gestaltet und somit auch nur für sehr große Punktgrößen entworfen wurden.3 Besonders in den Buchstaben mit Rundungen dieser versalen Headline findet man die große Ähnlichkeit zu den etablierten weiblichen Rundungen, die die Vogue in den 70er Jahren oft zeigte. Die Zahl »72« treibt dieses Prinzip der Run-

Abb. 7


Headlines

1970 bis 1979

– Seite 84 –

Abb. 8  Vogue Paris, September 1971

dungen einmal mehr auf die Spitze und ist somit der deutlichste Vertreter für diese These. In Abbildung Abb. 9 und Abb. 10 begleiten die Überschriften ein fotografisches Editorial. Bemerkenswert ist in der Überschriftengestaltung, dass das erste mal in der Geschichte der Vogue eine Egyptienne oder auch Slab Serif als Type in der Überschrift benutzt wird. Die Clarendon wurde zwar bereits 1850 von Benjamin Fox entworfen und von der Bauerschen Schriftgießerei auf den Markt gebracht, fand jedoch zumindest in der Mode bisher noch keine Verwendung. 1950 wurde die Clarendon dann über Linotype veröffentlicht. Ihr Stil wird als zeitlos bezeichnet, was sie zu einer sehr vielfältigen Schrift macht und der Grund dafür ist, dass sie immer wieder aufgegriffen wird.4 Verglichen mit Fonts wie der Bodoni oder Didot ist die Clarendon weniger elegant, etwas solider und verspielter. Diese Eigenschaften der Clarendon sind auch der Grund dafür, dass sie in diesem Editorial Verwendung findet. Neben den Fotografien der Frauen im Wald kann die Clarendon mit ihrer fetten Linienstärke und dem wenigen Kontrast bestehen und zieht dennoch noch immer die Aufmerksamkeit auf sich. Auch der Ausdruck der abgebildeten Models

passt zur weniger strengen Clarendon. Die Gesichter und Haltungen der Frauen sind auf den Fotografien recht unterschiedlich. Ingesamt transportieren die Modelle jedoch keine besondere Strenge, die eine klassizistische Antiqua oder eine sehr enge Grotesk als Überschrift fordern würde. Der Satz der Headlines verfügt über eine weitere Besonderheit: die Headlines gehen über die Fotos hinaus, was die technische Entwicklung nun mit dem Lichtsatz vereinfacht hatte. Im nächsten Beispiel ist eine stark verfremdete und experimentelle Headline zu sehen, die in der französischen Vogue vom September 1971 zu sehen war (Abb. 11). Sie ziert eine Doppelseite, die typografisch überladen wirkt. Die Headline besteht aus zwei Teilen: zum einen aus einer klassizistischen Antiqua (vermutlich der Bodoni, wie bereits in den 60er Jahren). Dieser Teil steht im Layout ganz oben »LES 10 DÉCOUVERTES RÉVOLUTIONNAIRES POUR«, darunter ist das stark verfremdete Wort »MAIGRIR« geschrieben. Grundlage für diese Verfremdung bildet eine klassizistische Antiqua, wie die Bodoni oder auch Didot. Es scheint, als wäre in der Überschrift » MAIGRIR« in jedem Buchstaben Teile herausgeschnitten worden. Dieser Effekt nimmt nach rechts stark zu, so dass sich die Schrift hier weniger hoch darstellt als links. Es ist schwer sicher zu sagen, wie dieser Effekt kreiert wurde, vermutlich wurden Teile der Schrift wirklich mit einem Cutter weggeschnitten und später die restlichen Teile in einer Fotokopie wieder zusammen gesetzt. »Maigrir« ist ein französisches Wort und bedeutet »schlank«. Die gesamte Headline bedeutet


Abb. 9  Vogue Paris, März 1977

Abb. 10  Vogue Paris, März 1977

so viel wie: »10 revolutionäre Entdeckungen um Gewicht zu verlieren«. Man könnte diesen Effekt als einen typografischen Versuch deuten das Thema zu illustrieren. Es scheint dennoch sinnvoller die Schrift nicht horizontal zu zerschneiden, sondern eher vertikal, um sie so schlanker zu machen. Unbestritten bildet diese Headline einen ungewöhnlichen Blickfang in der Vogue, da sie trashig und unkonventionell wirkt. Dies ist besonders, da die Vogue zwar den Bereich Mode ins Zentrum stellt, aber dennoch einen ganz eigenen Fokus wählt und manch wichtige zeitgeschichtliche Strömungen dabei komplett außer acht lässt. Dies war beispielsweise bei der Hippie-Mode der Fall, die man auch als


Headlines

1970 bis 1979

– Seite 86 –

Antimode bezeichnen könnte. Diese Strömung findet in der – eher für den wohlhabenden Markt – ausgerichteten Vogue keinen Platz. Dies gilt ebenso für die Punkmode und für die eher jugendlichen Looks.


Abb. 11  Vogue Paris, März 1977


1980 19

– Seite 88 –

bis

1980 bis 1989 – Einleitung, Politik, Frauen

Politisch betrachtet standen die 80er Jahre noch immer im Zeichen der Demokratisierung. Zu den entsprechenden Ländern gehörten Polen, die Türkei, Chile, Nicaragua, Afghanistan, Südkorea und Südafrika. Ein weiteres wichtiges Thema war die noch immer voranschreitende Technisierung. Der Reaktorunfall in Tschernobyl im April 1986 und der Absturz der bemannten Raumfähre »Challenger« sollen nur exemplarisch Ereignisse zeigen, in der Teile der Bevölkerung die Technisierung in Frage stellen mussten und Angst vor der neuen Welt bekamen, in der sie lebten. Diese Teile der Bevölkerung begannen nun aus Angst vor der Veränderung nach alternativen Formen des Lebens zu suchen, flüchteten in Drogen oder beziehungsweise religiöse Sekten.

Die gesellschaftlichen Probleme weiteten sich aus. Arbeitslosigkeit und das auftreten von AIDS beunruhigten die Menschen in den 80er Jahren zunehmend. Die »Postmoderne« ist in der Architektur, Kunst und damit verwandten Bereichen angebrochen. Charakterisiert wird die Postmoderne »durch die Rückkehr zu Denkweisen vor dem Funktionalismus und der intellektuellen Abstrakte, das heißt eine Rückkehr zu Gefühlswerten und visueller Symbolik erlaubt.«.1 In der Architektur stehen sich auf der einen Seite der ökologische, also der der Natur angepasste Bau auf der anderen Seite der Hochhausbau mit seiner charakteristischen Spiegelverglasung gegenüber. In den 80er Jahren war das Thema Größe überall von Bedeutung. Besonders die monumental inszenierten Konzerte von Musikern greifen dies auf.

Die »Postmoderne« ist in der Architektur, Kunst und damit verwandten Bereichen angebrochen


89 Abb. 1  Siouxsie Sioux, Mitte der 70er Jahre

1980 bis 1989 – Mode

Mode war bereits in den Jahrzehnten zuvor ein wichtiges Mittel zur Selbstdarstellung und um Gruppenzugehörigkeit zu zeigen. In den 80er Jahren verstärkte sich dies nochmals. Die Frage nach der Angemessenheit von Kleidung wird immer häufiger gestellt. In der Jugend ist die Mode Ausdruck der Identität des einzelnen geworden. Zugehörigkeit wird über diverse gesellschaftliche Subgruppen und ihre Mode definiert, die oft von einer entsprechenden Musik beeinflusst ist. Die erste Hälfte der 80er Jahre Stand in der Frauenmode im Zeichen von Oversize. Schulterpolster für breite Schultern und weite Ärmel kreierten eine Silhouette, die fast zehn Jahre modern war (Abb. 1). Der Grund für den Erfolg dieses legeren Trends ist die Einfachheit und die Unkompliziertheit des Looks, den die Frauen gerne angenommen haben. Besonders deutsche Frauen hielten an dieser figur-verneinenden Mode fest, da sie danach strebten nicht als Sex-Objekt, sondern als intellektuelle Mitglieder der Gesellschaft mit den Männern gleichgestellt zu werden. Frauen engagierten sich nun auch mehr in der Politik. Noch immer waren die Punks eine große Inspiration für die Modeschöpfer. Stilrichtungen wie »Edel-Punk« oder der »Postatomare Fetzen-Look« sind hierfür nur zwei Beispiele von vielen.. Jegliche Farben waren dabei tabu. Schwarz und Grau

Abb. 2  Madonna, 1985


Interior, Pastel und Headlines

1980 bis 1989

– Seite 90 –

in all seinen Abstufungen mussten genügen, da die Strassen der Großstädte laut der Modedesigner bereits ausreichend bunt waren (Abb. 2). Die Japaner beeinflussten den internationalen Modemarkt mit ihren Ansichten extrem. Ihr Konzept, dass Kleidung nicht wie eine zweite Haut auf dem Träger liegen solle, sondern eine formale Eigenständigkeit bekommen müsse (wobei das Geschlecht des Trägers zweitrangig ist) war Inspiration für die westlichen Designer. Diese Auffassung der Modedesigner verhärtete sich mit dem Aufkommen von Popstars wie Boy George, die für einen androgynen Look standen. Das Wort »Luxus« gewann zunehmend an Wichtigkeit. Der »Spiegel« schrieb 1986 von der »Droge Luxus«. Die alltägliche Grundausstattung wurde preisbewusst eingekauft. Der Luxus wurde später mit exklusiven Einzelstücken, wie Schmuck und Pelz hinzugefügt. Der Preis spielte dann nur noch eine untergeordnete Rolle. Diese Art mit Prestige und Exklusivität umzugehen diente einzig und allein der Selbstdarstellung.

1980 bis 1989 – Interior

Das Innenraumdesign der 80er Jahre unterlag diversen Trends. Zum einen waren opulente Gestaltungen in Pasteltönen mit einer Vorliebe für Blumenmuster und prunkvollen Verzierungen sehr beliebt.2 Die sehr stark gemusterten Tapeten bekamen eine klare Umrandung, die die Enden der Tapete zeigen sollte.3 Die Farbkombinationen waren dabei jeglicher Kreativität des Gestalters unterlegen. Es wurden jedoch vorrangig Pasteltöne, die zueinander passten verwendet. Ebenso beliebt war Laminatfußboden mit Mustern in der Küche und dazu eine dominante Wandfarbe. 4 Neben den floralen Mustern und den prunkvollen Möbeln bestand in den eigenen vier Wänden eine minimalistische Form der Gestaltung: klare gemoetrische Formen, große Couches (in großen Räumen) und ausgewählte Kunst an den Wänden. Diese Richtung des In-

Abb. 3

teriordesigns gab nicht dem Retrostil nach, sondern wollte moderner und frischer sein. Hier wurde besonders Technik in Form von Lautsprechern, Hifi-Anlagen usw. zur schau gestellt.5

1980 bis 1989 – Headlines

Die 80er Jahre waren nicht nur modisch das Jahrzehnt der schrillen Farben, auffälligen Outfits und der Extraversion. Auch im Headline Design veränderte sich vieles und die Gestaltungen wurden auffälliger, lauter und größer. Während die Ausgaben der Vogue bis auf das Cover bis zu den 70er Jahren fast zu 100 Prozent noch in Graustufen gedruckt waren, blättert man in den 80ern durch bunte Ausgaben. Dies mag zum einen Teil an der bunten Zeit liegen, wird aber zum größeren Teil seine Begründung im technischen Fortschritt und der weiteren Entwicklung und Vergünstigung des Offsetdrucks finden. Im ersten Beispiel dieser Dekade wird »LA MODE BOUGE« betrachtet (Abb. 4). Hier erkennt man eine klassizistische Antiqua, die um etwa 18 Grad nach links gedreht ist. Diese Richtung wird häufig als positiv bezeichnet, weil das entstandene Bild einen Aufstieg zeigt. Dies passt inhaltlich zu den humorvollen Fotografien, die das Editorial schmücken und greift die Leichtigkeit auf, die der angedeutete Kuss des weiblichen Models mit


Abb. 4  Vogue Paris, März 1986

dem Affen zeigt. Bereits an diesem Foto ist erkennbar, dass die Dinge hier nicht so ernst genommen werden. Auch wenn wir die wilden 80er Jahre betrachten und ein küssender Affe eigentlich nichts besonderes ist, so ist es noch immer die Vogue – »das« High-Fashion Magazin schlecht hin, dass dieses »alberne« Foto zeigt. Daran kann man bereits erkennen, dass sich die Vogue nicht nur in ihrer Bildsprache zumindest Teilweise auf die Zeit eingelassen hat, sondern dies ebenso in die typografische Gestaltung aufnimmt. Die Schrift im Beispiel ist einmal mehr ein Ableger der Didot – welche auch für die Wortmarke »VOGUE« bis heute benutzt wird, wenn diese nicht kreiert wird. Die Didot ist ebenso wie die Bodoni und viele andere klassizistische Schriften sehr elegant und zeichnet sich durch ihren extremen Strichstärkenkontrast aus, der ihr eine besondere Strenge verleiht. Mit dem gedrehten Satz werden diese Attribute der Didot etwas abgeschwächt, sie verliert ein wenig an Wirkung, da der feste Stand der Versalien plötzlich nicht mehr vorhanden ist. Anscheinend ist also der feste Stand das Geheimnis der klassizistischen Antiquas, der ihre elegante Unnahbarkeit ausmacht. Das zweite Beispiel besticht durch Größe. Diese – wahrscheinlich bezahlte – Doppelseite ist ganz dem Designer »VALENTINO« gewidmet. Auch hier sieht man in der Fotografie wieder eine lockere Leichtigkeit, man vergisst beinahe die Strenge der Models aus früheren Zeiten und fragt sich, wo diese wohl geblieben ist. Hier steht eine Headline zum einen im Kontrast zu dieser Beschwingtheit und zum Anderen greift sie jedoch Elemente der Fotografie auf und führt sie fort. Die Headline auf der rechten Seite der Doppelseite ist oben und unten sehr angeschnitten und um 90° gedreht, so dass man im Grunde nur drei bis 5 Buchstaben erkennen kann: »VALEN«. Es ist klar, dass dies nur die Abkürzung für Valentino ist, was man an dem Logo auf der linken Hälfte der Doppelseite erkennbar ist. Der extreme Anschnitt der Headline ermöglicht einen enorm großen Satz und bereichert das Layout mit Spannung. Auch hier wurde wie im ersten Beispiel schon ein Ableger der Didot benutzt,


Headlines zwischen Eleganz und Rebellion

1980 bis 1989

– Seite 92 –

Abb. 5  Vogue Paris, September 1986

der jedoch auf Grund seiner 90° Drehung nicht seine Strenge verliert. Die Horizontale ist nun mehr betont als sonst, was durch den gedrehten verschobenen Kontrast entstanden ist. Die Headline besitzt aber noch eine weitere Besonderheit: sie ist komplett rot. Das verwundert nicht, da man bei Valentino schnell an rote elegante Kleider denkt, hier jedoch sieht man kein rotes Kleid, dafür aber einen roten Schal sowohl am männlichen Model und in der Hand des weiblichen Models. Der technische Fortschritt der Zeit und vor allem die erschwinglichen Preise des 4-farbdruckes haben es nun erlaubt, dass Headlines auch farblich gewisse Inhalte transportieren können. Außerdem konnten Headlines nun einfacher vergrößert werden, was das Layout nochmals sehr veränderte. Die einzige Hommage an das Freche und Rotzige der Punkbewegung zu Beginn der 80er Jahre, die man in der französischen Vogue finden kann, ist in einer Ausgabe aus dem Jahr 1982 (Abb. 6). Die Abbildung zeigt eine Doppelseite, die sich mit dem Thema Kino befasst. Dementsprechend einfach ist die Headline gehalten: »CINEMA CINEMA«. Die Besonderheit ist, dass diese Headline nicht in einfacher

Schrift gesetzt ist, sondern gesprüht wurde. Sie wurde wurde nicht als künstlerisches Graffiti, sondern sehr schnell und dreckig gesprüht. Um die Headline herum erkennt man viele Farbspritzer – es soll sehr rough aussehen. Es besteht die gleiche Sorglosigkeit, die der Look der Strassenpunks mit zerschlissener Kleidung auch hatte. Man kann sogar ein wenig vom Post-Hiroshima- beziehungsweise Punk-Look in dieser Headline erkennen. Das Abgetragene und Löchrige dieser Designs transportiert sehr viel vom Geist der anscheinend sorglos gesprühten Headline (Abb. 6 und Abb. 7). Hier wird die Attitüde auf der Metaebene vermittelt. Im Beispiel Abb. 8 ist erkennbar wie sehr sich selbst in den 80er Jahren noch das Headline Design am Interior Design orientierte. Die Doppelseite zeigt das Design vom Keramik-Hersteller »Villeroy & Boch«. Es ist nicht klar zu konstatieren, ob es sich um eine gesponserte Anzeige handelt oder ob Vogue tatsächlich über das Thema zu schreiben beabsichtigt. Da die Platzierung der Doppelseite im Magazin eher hinten und nicht im Anfangsteil – der bis heute fast ausschließlich für Werbung genutzt wird – ist, liegt die Vermutung nahe, dass diese


Abb. 6  Vogue Paris, September 1982

Abb. 7  Punks 1984

Abb. 6  Comme des Garcons 1982


Headlines

1980 bis 1989

– Seite 94 –

Abb. 8  Vogue Paris, September 1985

Doppelseite zumindest von den Kreativen der Vogue gestaltet wurde, auch wenn eventuell dafür bezahlt wurde. Die Produkte aus dem Hause Villeroy & Boch (Waschbecken, Toilette und Bidet) zeigen auf dem Foto klare Formen mit geometrischem Ursprung. Sie sind geradlinig und wirken sehr solide. Welche Schriftart greift diese Eigenschaften in der Gestaltung besser auf, als die »Futura«? Es liegt nah sie hierfür in einem Bold-Schnitt zu verwenden. Die Formensprachen der gezeigten Designobjekte gehen Hand in Hand. Man kann erkennen, dass die gezeigten Models auf dem Foto eher zweitrangig sind und die Kreationen von Villeroy & Boch hier im Fokus stehen. Die Überschrift orientiert sich optisch wenig an den Modellen, die eleganter wirken, als diese stabile Futura. Zwei weitere Beispiele für geometrische Schriften, die sich ausgestaltet als Headlines an anderen Designdisziplinen orientierten sind Abb. 9 und Abb. 10. Nicht nur das Schmuckdesign der 80er Jahre war vom Minimalismus geprägt6, sondern auch die Gestaltung von alltäglichen Haushaltsgeräten wie das Sieb im Beispiel. Auf der linken Hälfte dieser Doppelseite ziert die

Schriftart »Avant Garde« mit den Worten »PETITS BOUTONS ET GRANDE SAVEUR: LES CAPRES!« das Layout. Sie ist zweizeilig in zwei unterschiedlichen Größen gesetzt um Spannung zu erzeugen. Ihre geometrischen Formen findet man ohne im modernen Design des Küchensiebes wieder, das selbst die Grundform eines Dreiecks besitzt und von kreisförmigen Löchern gespickt ist. Die Reduktion wohnt nicht nur dem Sieb sondern ebenso der Avant Garde im Light-Schnitt besonders auffällig inne. Im anderen Beispiel sind die Verhältnisse nicht ganz so deutlich, jedoch ziert die Helvetica einmal mehr die Doppelseite. »LES PANTALONS PRENNENT LE LARGE« ist in einem mittleren Gewicht, zweizeilig gesetzt. Auch in diesem Beispiel aus der französischen Vogue von Sommer 1988 geht es um Reduktion. Im Foto auf der linken Seite sticht besonders die Uhr des Models heraus, welche sehr prunkvoll, jedoch geometrisch reduziert ist. Die geometrische Reduktion ist besonders im Schmuckdesign der 80er Jahre wiederzufinden. Die einfachen runden und kantigen Formen, die von den Frauen bevorzugt als Ohrringe oder Ketten zu den unterschiedlichsten


Abb. 9 Vogue Paris, März 1989

Abb. 10 Vogue Paris, März 1989

Outfits getragen wurden, sind repräsentativ für das Schmuckdesign jener Zeit. Hier findet man in der unpompösen Reduktion parallellen zwischen den Disziplinen (Abb. 11) Der sogenannte »Tube Look«, den Stars wie Jane Fonda mit ihren Fitnessvideos und dem einhergehenden Fitness-Hype auslösten, ist dabei der Headline sehr ähnlich. Er besteht aus engen, langen Röhren, die in ihrer Grundform sehr viel Gemeinsamkeiten mit den Grotesken Schriften und Hairline Fonts besitzt.7 (Abb. 12) Abb. 11

Am Interior auf der Fotostrecke kann man eine Gegenbewegung zum Design, dass von Reduktion angetrieben wurde, erkennen. Das opulente und prachtvoll verzierte Design von Innenräumen ist typisch für die 80er Jahre und bildet im Zusammenhang mit der Überschrift einen spannenden Kontrast.


Headlines

1980 bis 1989

– Seite 96 –

Abb. 12

Das letzte Beispiel der Headlines aus den 80er Jahren zeigt wiederum eine völlig neue Richtung in der französischen Vogue von 1989 (Abb. 13) .Die Headline »un talent de première« spielt mit den Buchstabengrößen und erzielt dabei einen verblüffenden Effekt. Während der erste Buchstabe jedes Wortes größer als der Rest der Headline ist, wirkt es als ob es mehr als zwei Schiftgrößen in der Headline gibt. Tatsächlich existieren aber nur eine Größe für den ersten Buchstaben und eine zweite Größe für den Rest des Wortes (Abb. 14). Die hohe Anzahl der unterschiedliche langen Worte täuscht jedoch das Auge und suggeriert so dem Gehirn, dass es mehr als zwei Größen in dieser Headline gibt. Eine inhaltliche Erklärung für die Gestaltung liegt nah, da es hier um Talente geht und das Wort »première« hier eine gewisse Wichtigkeit hat. Wenn man sich jedoch in der Typografie der späten 80er Jahre umschaut ist eine neue Inspirationsquelle für diese unge-

wöhnliche Gestaltung zu finden: David Carson. David Carson ist nicht nur ein Typograf, der gerne Regeln bricht, sondern auch der Begründer dieser »wilden« Typografie, die Vogue im Anfangsstadium seiner Enstehung nicht unbeachtet lassen wollte. Wenn man sich die gesamte Doppelseite anschaut, fällt auf, dass die Bilder auf einmal einen sehr klaren schwarzen Rahmen bekommen haben, die Fotos einen kräftigen schwarz/weiß Kontrast besitzen – schon beinahe lomografisch und verzerrt wirken und der eigentliche Text in einer fetten Schrift gesetzt ist, der einen enormen Zeilenabstand besitzt. All diese Elemente findet man auch in den Layouts von Carson. Die Vogue ist zwar in ihrer Gestaltung etwas zurückhaltender, aber bricht mit seiner eigentlichen Ganglinie an diesem Punkt sehr auffällig.


Abb. 13

Abb. 14

Die Abbildungen 15 & 16 zeigen gestaltete  Magazincover von David Carson. Der 1957  geborene Surfer und Designer polarisiert  mit seiner Gestaltung. Da er nie eine Ausbildung der »alten Schule« genossen hat,  geht er ohne gestalterische Regeln an seine  Entwürfe.

Abb. 15

Abb. 16


1990 19

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1990 bis 1999 – Einleitung, Politik, Frauen

In den 90er Jahren veränderte sich die Welt nochmals sehr stark. Politische und technologische Ereignisse warfen ihre Schatten und beeinflussten das Leben der Zeit schwer. Eines der wichtigsten politischen Ereignisse aus globaler Sicht war das Ende der Apartheid und die damit einhergehende Ernennung von Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas. Der immer stärker werdende Multikulturalismus in der westlichen Welt war ein weiterer wichtiger Schritt zu einer friedlichen Welt. In Deutschland fiel die Mauer und brachte auch dort Menschen zusammen, die vorher räumlich voneinander getrennt worden waren und in Amerika wurde der Demokrat Bill Clinton für gleich zwei Legislaturperioden in das Weiße Haus gewählt. Die Politik führte ihren Kampf um Nachhaltigkeit im Handeln der Menschen zu erzielen fort und setzte sich noch mehr für den Umweltschutz ein. Themen wie globale Erwärmung wurde international stark diskutiert und bekamen durch neu erlasse-

ne Gesetze positive Aufmerksamkeit: so wurde in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre die Katalysatorpflicht für Kraftfahrzeuge eingeführt und der »Grüne Punkt« als Zeichen für wiederverwertbare Verpackungen und eine bessere Mülltrennung entwickelt. Das Bild der Frauen war in dieser

Mädchen eiferten dem Bild des »Girlies« hinterher Dekade noch widersprüchlich. Einerseits arbeiteten viele Frauen zusammen mit Männern und wurden in ihren Positionen auch dementsprechend gewürdigt, aber dennoch war in der Gesellschaft das Bild der Frau als Hausfrau, die das Heim hütet und hinter dem Herd steht, noch immer stark verankert. Frauenrechtler/innen kämpften in der dritten Welle der Frauenbewegung für die Rechte der Frauen. Allen voran


99 Abb. 1  Spice Girls, Mitte der 90er Jahre

stand die Aerikanerin Rebecca Walker, die 1997 Gründerin der Frauenbewegung »Third Wave Foundation« war und mit dieser Bewegung für mehr Gleichberechtigung der Geschlechter kämpfte. Junge Mädchen eiferten dem Bild des »Girlies« hinterher, welches sie von Popbands, wie den Spice Girls vorgelebt bekamen. Die sich immer schneller entwickelnde Technologie bereicherte in den 90er Jahren stark die Art zu arbeiten, aber viel mehr noch die Freizeitgestaltung. Computer wurden für die Mittelschicht erschwinglich, genauso wie die Nutzung des Internets. Anfang der 90er Jahre wuchs die Anzahl der Menschen, die das Internet nutzten jährlich um das 3500fache. Es wurden E-Mails statt Briefe geschrieben und auch SMS auf den neuen Mobiltelefonen wurden immer beliebter. Zu hause wurde viel Zeit mit dem Kabelfernsehen verbracht, was dem Nutzer eine größere Auswahl an Programmen gab. Die Jugend erlebte die technologische Revolution am Gameboy, vor der Playstation und mit dem Walkman , dem wenig später der Discman folgte. Durch die problemlose Verfügbarkeit von Musik wurde die Musikindustrie für die Jugend nochmals wichtiger, als sie schon in den Dekaden zuvor war. Die beliebtesten Musikrichtungen, die auch Mode und Zeitgeist beeinflussten, waren dabei Grunge, Hip-Hop und Techno. Spe-

Abb. 2  Gavin Rossdale der Grunge-Band Bush


ziell die Technokultur war für einen erhöhten Konsum von Drogen auf sogenannten Raves verantwortlich. 1234

Schräge Mode und bunte Headlines

1990 bis 1999

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1990 bis 1999 – Mode

Die Mode der 90er Jahre war bunt, schrill und unter anderem inspiriert von der Jugendkultur. In den ersten Jahren der 90er verschwanden die letzten Schulterpolster und die Mode wurde bei den Frauen wieder körperbetonter. Enge Kleidung, die viel vom Körper zeigte, knappe, bauchfreie Tops und enge Jeans wurden vermehrt getragen. Besonders Frauen durften farblich und materialbezogen sehr viel kombinieren. Die Technoszene führte zu einem 70er Revival der Plateauschuhe und brachte somit Marken wie Buffalo zu ihrem Erfolg (Abb. 3). Eine weitere Inspiration der Raves der Technoszene, die es bis in die Modewelt schaffte, waren die schrillen Make-Ups der Raver. Sie benutzten weiße Lippenstifte, kombinierten schrille Farben und Neontöne und klebten sich künstliche Wimpern an. Andere wichtige Einflüsse auf die Mode der Jugend waren Hip Hop und Grunge. So trugen Skater und Hip Hop Fans tief sitzende, weite Baggy Hosen, während die Anhänger der Grunge Szene ka-

Abb. 3  Plateauschuhe der Marke Buffalo

rierte Flanelhemden mit Karomustern bevorzugten. Beide Szenen haben gemeinsam, dass sie einen Hang zur Übergröße der Kleidung um einen »lässigen Look« zu erzeugen. Große Inspiration neben der Musikszene war noch immer das Fernsehen. Die Serie »Friends« hatte in dieser Dekade sehr viele Anhänger, die insbesondere die Figur »Rachel« als Vorbild für ihre Frisuren wählten.

1990 bis 1999 – Headlines

In den 90er Jahren änderte sich der Workflow der Magazingestaltung endgültig. Das Desktoppublishing löste den Lichtsatz nun komplett ab. Magazine wurden nun am Rechner gestaltet, was zu einer gänzlich digitalen Arbeitsweise führte. Da das Ergebnis nun bereits vor dem Druck am Bildschirm so gesehen werden konnte, wie es am Ende auch produziert wurde, konnte viel Zeit gespart werden. Die WYSIWYG-Darstellung (»What You See Is What You Get«) zeigte in allen Grafikprogrammen jede Veränderung der Gestaltung sofort an. Das erste Beispiel (Abb. 4) für diese Dekade aus der französischen Vogue vom März 1991 zeigt den Schriftzug »EFFET MAGIQUE DES COULEURS KANEBO«. Auch diese Headlines ist wieder komplett in Versalien in einer klassizistischen Antiqua gesetzt. Besonders auffällig in der Gestaltung ist die farbige Hervorhebung des Wortes »KANEBO«. »KANEBO« ist nicht nur mehr als doppelt so groß gesetzt, wie der Rest der Headline, sondern greift auch das Violett aus dem Foto auf, welches die gesamte Doppelseite einnimmt. In dem Editorial geht es um die besonders schrillen Make-Ups und Farben, die damals modern waren. Auf dem Foto im Hintergrund ist ein großes Farbspektrum im violetten Bereich zu sehen. Die Überschrift hat bis auf das hervorgehobene farbige Wort wenig Neues zu bieten, was man nicht bereits in den 80ern oder sogar 70ern gesehen hat. Es ist klar, dass das Make Up der 90er Jahre hier mit seiner extremen Farbigkeit die einzige Neuerung ausgemacht hat. Im zweiten Beispiel (Abb. 5) sieht man die


Abb. 4  Vogue Paris, März 1991

Franklin Gothic Condensed in einem Bold-Schnitt. Die Headline »Aux couleurs du temps« steht in weiß auf einem Foto. Die Geradlinigkeit der Headline bildet einen Kontrast zur Verspieltheit und Bearbeitung der Fotografie, welche Blumenmuster und eine imposant gekleidete Frau zeigen. Die Franklin Gothic ist eine Grotesk, die mit ihrer klaren Gestaltung in den 90er Jahren sehr beliebt für Anzeigen und Mode Editorials war, auch wenn sie bereits 1904 von Morris Fuller Benton gestaltet wurde. Auch an dieser Headline kann man erkennen, dass der Satz wenig Neuerung zeigt und man bekommt das Gefühl, dass Vogue eine Richtung in ihrer Gestaltung eingeschlagen hat, die die Gestalter auch gerne beibehalten. Der zentrierte Satz unter der Headline in der klassizistischen Antiqua bietet einen weiteren Beweis für diese These. Während die Modelle auf dieser Doppelseite künstlerische und opulente Kleidung tragen, ist die Überschrift zwar durch ihren Condensed-Schnitt ebenfalls etwas elegant, aber bei weitem nicht im gleichen Maße, wie die Modelle. Die Überschrift hält sich gegen die Fotografien eher zurück und ist etwas ruhiger gestaltet. Im nächsten Beispiel aus der französischen Vogue vom Februar 1993 (Abb. 6) ist eine Überschrift des 70er Revivals in den 90er Jahre zu sehen. In Bezug auf die Schriftwahl zitiert sich Vogue einmal mehr selbst. »PALETTE 70« ist in der Carousel von Gary Gillot gesetzt, die zum ersten mal in den 70er Jahren in der Vogue benutzt wurde. Die Farbigkeit der Fotografie und der Headline scheinen die einzigen Elemente zu sein, die dass das Revival nicht konsequent fortführen.


Headlines

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1990 bis 1999

Abb. 5  Vogue Paris, März 1991

Wenn man sich jedoch ins Gedächtnis ruft, dass der Farbdruck für Vogue erst in den 80er Jahren lukrativ geworden ist, kann man diese Aussage getrost wieder verwerfen. Die Gestaltung dieser Doppelseite ist so der Getsaltung in den 70er Jahren so authentisch ähnlich, dass man meinen könnte, dass hier einfach eine Gestaltung aus den 70er Jahren in Farbe geprintet

wurde. Der Satz im Beispiel ist sehr nah am Original aus den 70er Jahren orientiert und auf den ersten Blick könnte man denken, dass hier ein weiteres mal die Bodoni oder Didot gesetzt wurde. Was die Carousel von diesen beiden klassizistischen Schriften unterscheidet ist lediglich die Kombination aus den Serifen – besonders die Serifen, die an dünne Strichstärken


Abb. 6  Vogue Paris, Februar 1993

anschließen – und der Innenform des »P«, welches auf der unteren Seite runder ist, als bei Didot und noch runder als bei der Bodoni. Dies zeigt am Ende, wie wichtig Authentizität an dieser Stelle für die Gestalter war. Ähnlich ist es in der selben Vogue vom Februar 1993 an einer anderen Stelle. Im Beauty-Teil der Zeitschrift werden drei junge Frauen neben der Headline »LOLITA« gezeigt. Die Headline ist wiederum in der »Carousel« von 1966 gesetzt, die zum ersten mal in den 70er Jahren in der Vogue zu sehen war. Die Fotografie ist dieses mal nicht eindeutig darauf aus die 70er Jahre zu kopieren, auch wenn die drei natürlichen Modelle mit ihrem »ungeschminkten« Look gewisse Aspekte des Schönheitsideals der 70er Jahre aufgreifen. Wenn man an die Hippiebewegung der 70er Jahre denkt, kann man feststellen, dass diese mit ihrem Bild natürlicher Schönheit eben diese Ideale vertreten haben. Die Headline »LOLITA!« (Abb. 7) bildet einen schmalen Block und greift mit ihrer Aufteilung und dem untereinander stehendem Satz »LO« »LI« »TA!« die Trinität der Fotografie auf. Da in den 90er Jahren und den Dekaden zuvor in der Vogue häufig klassizistische Headlines zu sehen sind, ist es nicht nötig zu bewerten, wie sehr die Schriftwahl das Gefühl oder das Aussehen der jungen Mädchen aufgreifen soll. Es geht mittlerweile vielmehr darum Eleganz zu zeigen und über die Wahl der klassizistischen Schrift zu zeigen, dass man sich gerade mit einer Zeitschrift auseinandersetzt die Luxus und guten Stil zeigt. In


Headlines

1990 bis 1999

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Abb. 7  Vogue Paris, Februar 1993

den frühen Jahrzehnten der Vogue hätte eine so strenge Schrift es nicht in den Beauty-Teil geschafft, in dem die Gestaltung meisten etwas zarter sein sollte. Einen auffälligen Kontrast – fotografisch und typografisch – bildet beim Durchblättern der Vogue vom März 1998 das Editorial von Karl Lagerfeld, welches mit der Headline »JITROIS« eingeleitet wird (Abb. 8). Der weiche Tropfen am »J« deutet darauf hin, dass hier eine Variante der Didot benutzt wurde – einmal mehr eine klassizistische Antiqua. Dazu bildet die kleinere Subhead » COLLECTION LE CUIR COUTURE PHOTOS KARL LAGERFELD« in einer Light-Schnitt der Helvetica einen starken Kontrast. Die klassizistische Antiqua in ihrer leichten Sepia-Tönung rundet das Editorial ab und unterstreicht durch den negativen Satz das Makabere der Fotostrecke. Wenn man nur die linke Seite dieser Doppelseite betrachtet entsteht das Gefühl auf ein Filmplakat zu schauen. Dies bildet einen thematischen Rahmen für die stark inszenierte Fotografie von Karl Lagerfeld. Der

starke Kontrast zwischen Schrift und Hintergrund ist auch in den Gesichtern der männlichen und weiblichen Modelle wiederzufinden, auch wenn dieser dort invertiert ist. Man kann feststellen, dass in den 90er Jahren die Typografie noch immer in Anlehnung an die Fotografie gesetzt wurde, wobei die Wahl der Schriftklasse hier eine bestimmte Richtung eingeschlagen hat. Die klassizistische Antiqua und Schriften, die diesen Charakter aufgreifen, sind mittlerweile aus den Modezeitschriften nicht mehr wegzudenken.


Abb. 8  Vogue Paris, März 1998


2000 h

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2000 bis heute – Einleitung, Politik, Frauen

Die 2000er Jahre oder auch 00er Jahre genannt wurden von den Terroranschlägen auf das World Trade Center und Pentagon am 11. September 2001 eingeleitet. Die USA verstanden diese Anschläge als einen Akt gegen die westliche Zivilisation. Die Spannungen zwischen der westlichen und der muslimischen Welt wurden durch die darauffolgenden Kriege (Irakkrieg und Krieg in Afghanistan) weiter verstärkt und halten bis heute an. Unter dem Republikaner George W. Bush als Präsident der USA wurden diese Kriege begonnen. 2009 wurde derDemokrat Barack Obama der erste afroamerikanische Präsident der USA. Auch in Europa veränderte sich viel. Die Einführung der gemeinsamen Währung »Euro« in den teilnehmenden Staaten sollte die Wirtschaftskraft und den Zusammenhalt Europas stärken. Globalisierung ist ein weit diskutiertes Thema seit der Jahrtausendwende. In den Schulen und auch in der Politik werden Themen wie Integration und Toleranz immer

wieder diskutiert. Auch mit der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare im Jahr 2001 in Deutschland wird ein großer Schritt zu einer modernen Welt der Akzeptanz gemacht.

Die Welt wächst zusammen: »Globalisierung« ist in aller Munde Ein weiteres Thema, dem sich die Politik stellen musste, ist der Klimawandel. Während der Ex-Vizepräsident der USA, Al Gore, mit seinem Film durch die Welt tourt und versucht auf die globale Erwärmung und ihre Auswirkungen aufmerksam zu machen, versuchen Gegner dieser Theorie und


eute Abb. 1  Lady Gaga fotografiert von Annie Lebowski

Lobbyisten das Ausmaß der Katastrophe noch immer zu leugnen. Der technische Fortschritt und der damit verbundene Bedarf an Energie fordert seine Tribute. Computer sind seit den 2000er Jahren zu einem selbstverständlichen Bestandteil des täglichen Lebens und der Arbeitswelt geworden und beinahe nicht mehr aus dem Leben wegzudenken. Mit der Einführung von Smartphones und dem iPhone im Jahr 2007 wird die Vernetzung und Computerisierung der Gesellschaft noch weiter vorangetrieben und sogar mobil gemacht. Mittlerweile führt dies soweit, dass Teile des Zeitschriftenmarktes von den Kunden auf mobilen Endgeräten betrachtet werden und nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form als Printprodukt gekauft werden, was für die Branche eine große Veränderung darstellt. Die Zeit nach der Jahrtausendwende ist auf Grund des technologischen Neuerungsfaktors und der Geschwindigkeit, sowie Kurzlebigkeit seiner Trends das rasanteste Zeitalter der Betrachtungen in dieser Arbeit. Der Informationsfluss hat sich seit den 90er Jahren vervielfacht, woran Innovationen wie beispielsweise das Smartphone nicht unbeteiligt sind. Die ständige Verfügbarkeit dank Mobiltelefon und der immerwährende Informationsfluss aus Nachrichten- und Email-

Abb. 2  Rihanna für Balmain


Mode in der Zeit der Revivals

2000 bis heute

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Abb. 3  Y2K Fashion, frühe 2000er Jahre

Abb. 4  Sienna Miller für Vogue 2009

apps lässt die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend verblassen. Das digitale Zeitalter ist seit dem Millennium nicht mehr zu bremsen. Die zweite Realität wird von sozialen Netzwerken, wie Myspace, Twitter und Facebook gebildet. Ein weiterer Grund, dass das Internet in dem heutigen Zeitalter populärer denn je ist. Auch das Home Entertainment wird für Kunden und Firmen immer wichtiger. Die Entwicklung von Fernsehgeräten und Lösungen, die eine optimale Unterhaltung für die Bevölkerung zu Hause bietet, wird seit der zweiten Hälfte der 2000er Jahre immer stärker vorangetrieben. Mittlerweile ist die 7. Generation von Spielekonsolen auf dem Markt und auch hier wird der Konsument immer wieder gezwungen zu investieren, um auf dem neusten Stand zu sein. Das Wegwerfzeitalter ist in vollem Gange. Der Druck auf die Gesellschaft durch Arbeitgebern und durch die Gesellschaft selbst wächst rasant und fordert seine Opfer. Bereits 2002 nehmen in Amerika laut einer Studie 11% der Frauen und 5% der Männer Antidepressiver, die Tendenz ist steigend.1

Die Musikindustrie ist mittlerweile ein Geschäft geworden, in dem horrende Summen umgesetzt und investiert werden. Der Mainstream mit Stars wie Eminem, Britney Spears, Rihanna und Lady Gaga (Abb. 1 und Abb. 2) führt diese Industrie an hier fließen die meisten Gelder, auch wenn es kleinere Interpreten mit kreativem Output gibt.2

2000 bis heute – Mode

D ie Mode ist seit den 2000er Jahren derart rasant, kurzlebig und vielfältig geworden, dass es schwer ist sich einen Eindruck zu verschaffen, der nichts außen vor lässt. Im Folgenden werden daher nur ausgewählte Beispiele aufgegriffen, an denen versucht werden soll, eine Tendenz zu schaffen. Seit den 80er Jahren sind Turnschuhe zu den beliebtesten Freizeitschuhen der westlichen Welt geworden. Es gibt sie in allen erdenklichen Gestaltungen und Formen. Heute sehr beliebt sind noch immer Chucks von Converse, eine Marke die sich zuerst in der Skater-Szene etablierte. Ein weiterer Trend der 2000er Jahre ist die Me-


Abb. 5  Skinny Jeans

trosexualität des Mannes. Männer wie David Beckham wurden zum Aushängeschild des gepflegten Mannes und Leitbild dieses Trends. Der metrosexuelle Mann hat ein ausgeprägtes Körperbewusstein und kleidet sich gut. Ein gutes und selbstbewusstes Auftreten ist für ihn ebenso essenziell wie Modebewusstsein und ein moderner Lifestyle.3 Das Jahrzehnt startete mit der futuristischen Y2K Mode (Abb. 3). Zu sehen war diese Mode in den Clubs und Bars der Metropolen. Schwarz, silber und Grautöne wurden hier bevorzugt getragen. Die Inspiration der folgenden Jahre wurde zum großen Teil aus den vergangenen Jahren gezogen. Die einflussreichsten Revivals waren die der 60er, 70er und 80er. Aus den 80er Jahren wurden gerne große Sonnenbrillen, Trainingsanzüge aus Velour und sehr kurze Jeansröcke übernommen. Männer und Frauen übernahmen außerdem die aufgeschnittenen Jeans und Ponchos aus den 80er Jahren. Die Möglichkeiten, diese Elemente neu zu kombinieren, war schier grenzenlos. Das 60er Revival wurde von Berühmtheiten wie Sienna Miller, Kate Moss und Lindsay Lohan eingeleitet. Der sogenannte »Boho-Chick« zitierte die Hippie Mode der 60er Jahre (Abb. 4). Die Abkürzung Boho kommt vom englischen Begriff »bohemian« und kann als »Freigeist« übersetzt werden. Mit ihrem Auftritt beim Glastonbury Festival 2007 sorgte Sienna Miller für Aufsehen und inspirierte die Modewelt mit ihrem Look. Der Trend umfasste später diverse Outfits mit Komponenten wie langen weißen Röcken, kurze Jacken, Leggings und bestickten Stoffen und wurde sogar in der Vogue 2007 gezeigt.4 Ein paralleler Trend war ab 2005 die Skinny Jeans – hautenge Jeans, die in di-


Headlines und Redesigns

2000 bis heute

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Abb. 6  Vogue Paris, September 2002

versen Kombinationen getragen werden kann (Abb. 5).5 Im Laufe der 2000er Jahre kamen immer wieder kleinere und größere Revivals der vergangenen Jahre auf, die die Modewelt und vor allem die Kunden inspirierten. Noch immer bilden die Stars – Musiker, Models, sowie Filmstars – eine große Inspirationsquelle für die Mode, besonders unter jüngeren Konsumenten. Das ist auch der Grund, warum die Musik- und Filmindustrie heutzutage ein so wichtiges Millionengeschäft geworden ist.

2000 bis heute – Headlines

Nach Jahren der typografischen Gleichförmigkeit und mehr oder weniger Austauschbarkeit von Groteskschriften wie der Helvetica und klassizistischen Schriften wie Bodoni, Didot und Carousel zeigt die Vogue im September 2002 eine völlig andere Type, als zuvor. Man möchte beinahe rufen: »endlich!« (Abb. 6 und Abb. 7) Die neue Gestaltung ist auf ein Redesign der Vogue durch die Pariser Agentur »M/M« im Jahr 2001 zurückzuführen. In diesem Redesign sollte die Vogue wieder »französicher« werden und mehr das Publikum ansprechen, dass sich für Luxus

und Fashion interessiert. »M/M« machte es sich zur Aufgabe das Auge des Lesers laut eigenen Aussagen von der zu viel benutzten Bodoni zu befreien und mehr Abwechslung in die Gestaltung zu bringen.5 Man hat bei dieser Gestaltung seit langem wieder das Gefühl, dass die französische Vogue sich nicht mehr selbst immer und immer wieder kopiert, sondern eine moderne Gestaltung zeigt, die die Zukunft inspirieren könnte. Die Type wurde von »M/M« speziell für Vogue entworfen. Ihr Charakter ist gewagt und eigensinnig. Der Strichstärkenkontrast ist so hoch, dass neben den fetten Strichstärken die dünnen Strichstärken bis hin zu 0 Pt. geschmälert werden und einzelne Buchstaben drohen auseinander zu fallen. Man hat das Gefühl, dass hier versucht wird das Wort »Luxus« neu zu definieren und ihm ein völlig neues Aussehen zu geben. Dieses Statement unterschreibt auch die Agentur »M/M«. Der Kontrast zwischen den toupierten, zerzausten Haaren und dem extrem schmalen Gesicht des dünnen Models findet man nun auch in der Headline wieder. Man kann das Gefühl bekommen, dass hier eine kleine Revolution stattfindet, zumal diese Type nun auch auf dem Cover der Vogue zu finden ist. (Abb. 6) »M/M« entwarf noch eine zweite Type für Vogue. Sie heißt »Gulliver« und wird auch für Headlines in der Vogue seit 2001 genutzt (Abb. 8). Gulliver ist eine Schrift, die »M/M« in einem Schulbuch fand und weiterentwickelt hat. Der Font nimmt der strengen typografischen Gestaltung ein wenig die Ernsthaftigkeit und wirkt etwas skurril und wacklig.5 Besonders das Versale »C« im Beispiel springt sehr aus der Gestaltung heraus, weil es in sich instabil wirkt. Die Minuskeln des Fonts wirken auf den ersten Blick geradliniger. Ein weiteres Novum ist in dieser Headline die Hervorhebung gewisser Inhalte durch Unterstreichung und die Benutzung von Satzzeichen, die ganz im Sinne der 90er Jahre stehen, in denen viele Gestalter alte Konventionen für ungültig erklärten


Abb. 7  Vogue Paris, September 2002

Abb. 8  Vogue Paris, September 2002


Headlines und Redesigns

2000 bis heute

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Abb. 9  Vogue Paris, September 2002

und Gestaltung neu dachten.6 Im Beispiel Abb. 9 aus der Septemberausgabe der französischen Vogue von 2002 ist die Headline »HAUTE COUTURE BY DENNIS HOPPER« in einer sehr ungewöhnlichen Illustration zu sehen. Die dargestellten Objekte bilden 3 dimensionale Körper, auf denen die Schrift räumlich gezeichnet wurde. Die gezeichnete Schrift ist im Grunde eine Grotesk mit sehr eckigen Formen. Sie erinnert an die Univers, ist jedoch zu illustrativ um sich wirklich einordnen lassen zu können. Das einzige Wort, dass aus der Reihe tanzt ist »BY«, welches dünner gezeichnet ist und Serifen besitzt. Das Konzept und die Idee hinter den Illustrationen wurde im Zuge des Redesigns durch »M/M« entwickelt und sollte besonders mit diesem Stilmittel den Markt, der Modemagazine, der in den 2000 Jahren bereits äußerst gesättigt war aufrütteln und verändern.7 Das Neudenken, der Agentur ist ein wichtiger Schritt in Richtung Zukunft gewesen und tut aus gestalterischer Sicht dem Magazin sehr gut, da hier Überra-

schungen geschaffen werden, was Vogue in den Jahren zuvor zumindest über die Gestaltung nicht mehr so häufig gelungen ist. Die Illustration soll vermutlich das Nachtleben der 20er Jahre aufgreifen. In der Fotografie sieht man Outfits, die an das Nachtleben der goldenen Zwanziger angelehnt sind und auf der rechten Seite sogar in einem Umfeld, dass dem der 20er Jahre würdig ist. Die illustrierten Boxen und runden Münzen erinnern an den Trubel und das unbeschwingte Sein der Zeit. Auch hier steht wieder eine Zeit im Fokus, die längst vergangen ist und nun ein Revival feiert. In diesem Fall findet dies jedoch mit einer neuen Gestaltung statt. In der Ausgabe zur Jahreswende 2004/2005 ist die klassizistische Anmutung in der Headline bereits wieder in der Vogue zu finden. Es handelt sich zwar bei der Schrift, die in Abb. 10 die Headline »SOFIA« bildet, nicht um die Klassiker aus den vergangenen Jahren, die Anmutung der Type ist trotzdem fast die Gleiche.


Abb. 10 Vogue Paris, Januar 2005

Die Schriftart im Beispiel besitzt im Gegensatz zu den bekannten klassizistischen Schriften spitz-zulaufende Serifen mit abgerundeten Kehlen, was ihr eine leicht andere Wirkung gibt. In der Headline werden weiterhin die technischen Möglichkeiten der heutigen Zeit sichtbar. An den Stellen wo Schrift ist, wird das Bild, dass im Hintergrund zu sehen ist Invertiert. Das heißt, dass bei diesem Schwarz-Weiß-Bild die dunklen Stellen nun hell sind und umgekehrt. Dieser Effekt sorgt für eine bessere Lesbarkeit der Schrift auf diesem unruhigen Hintergrund und sieht zugegebenermaßen in diesem Fall gar nicht so schlecht aus, wie man es befürchten würde. Die Headline, die aus einem Wort besteht, ist in zwei Zeilen gesetzt: »SO« und »FIA«. Diese beiden Zeilen bilden optisch einen Block, da sie links und rechts so ausgerichtet sind, dass sie eine optische Linie bilden. Zwischen dem »FA« der letzten Zeile, wurde der große Raum, den das versale »A« immer schafft genutzt um das »I« in einer kursiven oder schräggestellten Variante dazwischen zu setzen und somit den Raum optisch gut zu nutzen. Diese Form des Satzes verlangt selbst heute noch einen Gestalter, der dies von Hand tut. Das Spacing ist hier trotz der Handarbeit nicht ganz optimal, da der Raum zwischen »FI« größer ist als zwischen »IA« (Abb. 11). Die extreme Größe der Headline macht sie zu einem starken Blickfang.

Abb. 11 Vogue Paris, Januar 2005


Headlines und Redesigns

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Abb. 12  Vogue Paris, Januar 2008

Da man im Hintergrund eine Frau sieht, wird ein direkter Bezug zwischen der Headline »SOFIA« und der Frau geschaffen. Die gleiche Schriftart sieht man kursiv im Beispiel (Abb. 12) in dem das »L« von »LIGNES & ATTITUDE« die gesamte Seite ausfüllt und so in direkten Bezug zum Model auf der rechten Seite tritt. Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt eine selbstbewusste Frau, die »edgy« ist. Genau in diesem Punkt passt die Antiqua mit ihren spitzen Serifen zur Erscheinung der Frau. Beide wirken kantig, aber keineswegs brav. Im nächsten Beispiel aus der französischen Vogue vom Februar 2009 (Abb. 13) ist eine Headline zu sehen, die die Vogue in dieser Form bereits in den 70er Jahren gezeigt hat. Topmodel Lara Stone posiert in einem 20er Jahre Outfit vor der künstlichen Kulisse New Yorks mit einem schelmischen Grinsen. Die klassizistisch-anmutende Antiqua mit den spitzen Serifen aus den Beispielen von 2004 bildet die Überschrift »LARA À BROADWAY«. Die Type heißt Miller Banner. Auch hier wurde wieder ein kursiver oder zumindest schräggestellter Schnitt mit der nicht-kursiven Variante gemischt. Die zentrierte Headline, die ineinander

ragt ist dekonstruiert und zerstört. Sie wirkt wie eine Scheibe, die in mehrere Teile zersplittert ist. Interessant an der Headline ist, dass es den selben Effekt bereits in den 70er Jahren in der Vogue gab (Abb. 14). Beim Beispiel aus den 70er Jahren konnte man annehmen, dass die Zersplitterung etwas mit dem behandelten Thema Diät zu tun hat. Bei dem Beispiel von 2009 kann wieder nur gemutmaßt werden, was dieser Effekt aussagen soll, beziehungsweise was ihn inspiriert hat. Es wäre denkbar, dass Vogue hier auf die »zersplitterten« Träume anspielt, die der Broadway bei vielen Jungschauspielern zu verantworten hat. Ob dies tatsächlich stimmt, kann jedoch leider nicht sichergestellt werden. Wenn man sich die Headlines der 00er Jahre bis heute aus der Vogue anschaut, bekommt man das Gefühl, dass der Versuch einen neuen Stil für die Modepresse zu kreieren gescheitert ist und die Gestaltung deshalb wieder zu den bekannten Schriften und Satzformen zurückkehrt. Vielleicht ist die klassizistische Antiqua für den Satz von Modeheadlines einfach die eleganteste Wahl, vielleicht hat der Leser die neuen Headlines vom Anfang der 2000er auf Grund des Mangels an Eleganz nicht angenommen, was sich wiederum in den Verkaufszahlen des Magazins widergespiegelt hat. In der Septemberausgabe der französischen Vogue 2012 wird einmal mehr ein komplettes Redesign des Magazins durch Chefredakteurin Emmanuelle Alt vorgestellt (Abb. 15). Von der ersten Ausgabe mit dem neuen Design gab es drei unterschiedliche Versionen des Covers, die allesamt bekannte Topmodels zeigen: Kate Moss, Lara Stone und Daria Werbowy. Mit diesen drei Stars der Modeszene erregt Vogue ein angemessenes aufsehen für das neugestaltete Magazin. Die Headlines auf dem Cover und in dem Magazin sind in der 2010 überarbeiteten »Miller Banner« gesetzt, die Eleganz und Grazilität zeigt. Optimiert ist die Miller Banner für besonders großen Einsatz als Headlines in Magazinen. In der wichtigsten Headline – im zentrierten unteren Teil des Covers – sorgen die


Abb. 13  Vogue Paris, Januar 2008

Abb. 14  Vogue Paris, Januar 2008


Headlines und Redesigns

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zusätzliche Schmuckbuchstaben für Abwechslung im Schriftbild und halten den Leser mit ihren Schwüngen und Tropfen fest. Die Headlines auf dem Cover sind mit viel Fingerspitzengefühl von Hand gesetzt. Die Zeilen besitzen unterschiedliche Schriftgrößen und fließen elegant ineinander über. Durch die Reduktion auf eine Handvoll Titelthemen und dem ruhigen, einfarbigen Hintergrund entsteht hier ein reduziertes Design. Dies war laut eigener Aussage auch das Ziel von Emmanuelle Alt.8 Mit dem Redesign von 2012 wird die Übernahme der Modemagazine durch klassizistisch anmutende Antiquas wie der »Miller Banner« einmal mehr besiegelt.


Abb. 14  Vogue Paris, September 2012


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Fazit In der Analyse ausgewählter Headlines von 1910 bis heute hat man die unterschiedlichsten Gestaltungen mit diversen Einflüssen gesehen. Dabei konnte festgestellt werden, dass in den unterschiedlichen Dekaden der Betrachtungen die Inspiration für die Überschriften aus diversen Disziplinen kamen und die Gewichtung der Einflüsse von außen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Während sich in den 1920er Jahren die Gestaltung der Headlines sehr stark am Bild der Frau und der damit verbundenen modischen Entwicklung orientierte, kamen bereit 10 Jahre später in den 1930er Jahren die bedeutendsten Einflüsse aus dem Produktdesign und der Architektur. Andere Dekaden weisen wiederum keine klare Richtung auf, wenn man nach Impulsen aus der Zeit für die Gestaltung der Headlines sucht. So zum Beispiel die 70er Jahre, in denen die Inspiration nicht nur schwerer zu erklären ist, sondern auch aus den unterschiedlichsten Gebieten kommt. An den Einflüssen auf die Schrift kann abgelesen werden, was eine bestimmte Zeit

stark geprägt hat, ob es die neue ideale Linie der Frau in den 20er Jahren war oder das 70er Jahre Revival in den 90er Jahren – die Überschriften verraten mehr über ihre Zeit, als man es im ersten Moment erwarten würde. Die enge Taille der Frauen und Outfits in den 50er Jahren findet man im Kontrast der Headlines im selben Jahrzehnt wieder und ebenso sind die Rundungen des Frauenbildes aus den 70er Jahren in den »Fat Faces« dieser Zeit wiederzufinden.

Resumé

Bereits in den 20er Jahren fingen die Gestalter der Vogue an mit der Überschrift auf die Sektion des Magazins und so auf das behandelte Thema einzugehen. Während Themen, die sich mit Mode beschäftigten auf die gezeigte Mode angepasste Headlines bekamen, wurde der Beautybereich schon zu dieser Zeit mit weicheren, Art déco inspirierten Headlines eingeleitet. Bis heute sind die Headlines im Beauty Editorial bedeutend weicher und zarter, als die Headlines im Fashionsegment. Diese in den 20er Jahren


entstanden Konventionen für den Einsatz von Schriften geordnet nach den Kategorien der Zeitschriften haben nun bis heute noch bestand. Zeiten, in denen diese Konventionen gebrochen wurden bestätigen diese Erkenntnis, da nach wenigen Jahren immer wieder zu der groben Konvention zurückgefunden wurde, dass Fashion eine strenge, kontrastreiche und elegante Headline braucht und Beauty eine weichere, gefälligere Headline. In den 30er Jahren waren die Vogues von typografischen Experimenten und Variantenreichtum im Heft geprägt während das Cover oft als Leinwand für Hommagen und aktuellen Gestaltungseinflüssen genutzt wurde. Während sich Vogue dem aktuellen typografischen Trend der »elementaren Typografie« zwar in den 30er Jahren hingibt, sieht man diese Gestaltung nicht ausschließlich zu dieser Zeit im Magazin. Die Gestaltung der Vogue bleibt zu dieser Zeit eine interessante Mischung aus »elementarer Typografie«, gespickt mit Elementen aus Art déco und mode-typischer Eleganz. Dieses Headlining zog sich bis in die 40er Jahre so fort und bot dem Leser eine überragende Bandbreite verschiedenster Headlines. Auch in den 50er Jahren blieben die Headlines in den europäischen Vogues noch frei von Konventionen. Die Gestalter nutzten ihren Freiraum um mit Hand-


Einflüsse auf die Headline-Gestaltung

Fazit

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schrift, Schriftgrößen und verschiedenen Schriftklassen zu experimentieren. Eine große Inspirationsquelle waren auch hier wieder die Frauen und ihre Idealmaße, die die Modeschöpfer versuchten zu etablieren. In den 60er und 70er Jahren tauchten dann immer häufiger die klassizistischen Schriften auf, die aber an dieser Stelle gezielt eingesetzt wurden. Der technische Fortschritt, der den Fotosatz mit sich brachte veränderte die Layouts stark und vereinfachte extreme Größen. Besonders in den 70er Jahren transportierten die sogenannten »Fat Faces« das Schönheitsideal der weiblichen Rundungen und der schmalen Taillen. Der technische Fortschritt führte in den 80er Jahren zu den ersten komplett 4-farbigen Ausgaben der Vogue und ermöglichte es Headlines komplett in rot zu setzen und andere Farbakzente auch in die Schrift aufnehmen zu können. In dieser Dekade sind Headlines aus klassizistischen Schriften häufiger zu sehen, als in den Jahren zuvor, werden aber noch durch groteske und andere Schriften aufgelockert. In den 90er und 00er Jahren zieht dann immer mehr die klassizistische Eintönigkeit in die Modemagazine ein. Die Versuche dies durch eine Neugestaltung der Hefte zu verändern sind fehlgeschlagen, so dass man heute klassizistisch anmutenden Schriften im Modesegment nicht mehr aus dem Weg gehen kann.

Einflüsse

Es gibt ein paar wenige Grundeinflüsse, die das Headlining entweder grundlegend geprägt haben oder das Headlining bis heute immer wieder stark beeinflussen: Frauenbild und Schönheitsideal Schon in den 20er Jahren findet man die Proportionen und Silhouette, die von den Designern als schön eingestuft werden und immer wieder in den Illustrationen der Modeentwürfe zu sehen sind in den Headlines wieder. Die schmalen, hohen Buchstaben mit ihren großen x-Höhen greifen dieses Idealbild auf. Die schmalen Taillen der 50er Jahre dagegen stehen im Kontrast zur weiblichen Figur – ähnlich

ist es auch in den 70er Jahren. Auch dies wird in den Headlines über die Strichstärkenkontraste aufgenommen. Die 80er Jahre waren nicht nur vom Fitness-Boom geprägt, sondern feierten auch den »Tube Look«, der durch Stars wie Jane Fonda zelebriert wurde.

Mode Besonders der Schnitt der Mode und Schmuck haben einen großen Einfluss auf die Headlines einer Zeit. Bereits in den 1920er Jahren findet man den großen Hang der Frauen diverse Accessoires zu ihren Abendgarderoben zu tragen in der Verzierung der Headlines wieder. In den 80er Jahren findet man sogar Parallelen zwischen dem Trend des geometrischen Schmuckes und der Nutzung von geometrischen Groteskschriften. Architektur In den 30er und 60er Jahren sieht man gemeinsame Trends in Architektur und den Headlines. Während in den 30er Jahren der Kontrast zwischen den breiten, hohen Gebäuden und den Antennen sowie Spitzen auf den Dächern in den Überschriften wiederzufinden ist beziehen sich die Gemeinsamkeit in den 60er Jahren auf die Grundform der blockigen Gebäude und den dazu Grotesken Schriften, die dieses Schönheitsideal ähnlich inne haben. Interior und Produktdesign Besonders in den 30er Jahren kann man Zusammenhänge zwischen dem Design der Produkte, die den Innenraum schmückten und manchen Schriften nicht von der Hand weisen. Gerade die Strömungen vom Bauhaus haben beide Disziplinen gleichzeitig beeinflusst und geeint. Kunst Kunst hat immer eine große Rolle gespielt. In den 30er und 40er Jahren ließ Vogue sogar ausgewählte Künstler, wie Salvador Dali das Cover des Magazins gestalten. Kunst und De-


Schรถnheitsideal

Mode

Architektur

Headlines Interior-/ Produktdesign

Kunst

Trend


sign sind zwei Disziplinen, die sich immer wieder gegenseitig inspirieren und voneinander profitieren.

Einflüsse auf die Headline-Gestaltung

Fazit

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Trend

Bis zu den 70er Jahren sieht man in den europäischen Ausgaben der Vogue die unterschiedlichsten Schriften in verschiedenen Satzarten. Inspiriert waren diesem Headlines von diversen Trends, die den Zeitgeist der Dekade prägten. Besonders in der Phase von 1930 bis in die späten 1940er Jahre wurde sogar die Wortmarke der Vogue auf dem Cover oftmals als Hommage verändert. Man hat das Gefühl, dass Experimentierfreude in punkto Schriftwahl bestand. Der Satz dagegen war auf Grund von technischen Einschränkungen eher gleichförmig. Extreme Größen konnten nur schwer realisiert werden und kamen daher nur sehr selten vor. In den ersten Jahrzehnten war die zeitgeistnahe Gestaltung immer wieder gezwungen neue Ausdrucksformen zu finden. So wie die Modeindustrie selbst, waren auch die anderen Designdisziplinen im ständigen Wandel und sind es bis heute. Es gab noch keine Konventionen, da die Gestalter bis in die 70er Jahre nach einem einheitlichen Ausdruck für Eleganz, Anmut und teure Mode suchten, den sie auf die Typografie übertragen konnten. Als dann in den 70er Jahren plötzlich vermehrt die klassizistischen Antiquas genutzt wurden bildete sich daraus ein Trend, der bis zu heute nicht nur Headlines in Modezeitschriften ausmacht, sondern selbst Wortmarken für Beautyprodukte und Fashiondesigner standardisierte. Die Headlines nach den 70er Jahren bis heute sind noch immer von aktuellen Trends aus dem Modebereich geprägt, doch im Gegensatz zu früher hat sich die modische Editoriallandschaft zu einem einheitlicheren Ausdruck gewandelt. Es ist heute bedeutend schwerer eine Modezeitschrift zu finden, die komplett ohne klassizistische Schriften in den Headlines gestaltet ist, als noch vor 70 Jahren. Wenn diese Schriften damals benutzt wurden war dies der

Fall, weil die Architektur diesen Trend vorgegeben hat – wie im Beispiel aus den 30er Jahren. Heute ist die klassizistische Antiqua auf Grund ihrer Wandlung zur Modeschrift eine oft genutzte Lösung, wenn der Gestalter außer »Mode« keine anderen Anhaltspunkte zu haben scheint. Die Attribute, die diesem Typ Schrift nachgesagt werden verbinden die typografische Welt mit der Modewelt. Man kann festhalten, dass sich im Laufe des 20. Jahrhunderts erst die Konvention für die Gestaltung von Modeinhalten entwickeln musste. Die Gestalter mussten erst im Laufe der Zeit entdecken, dass klassizistische Schriften und Schriften mit klassizistischer Anmutung für den Betrachter die größte Eleganz ausstrahlen und am treffendsten die Attribute »teuer«, »edel« und »elegant« transportieren. So wurden Eigenschaften, die seit jeher den Modemarkt – den Vogue abdeckt – charakterisiert haben auf das typografische und schriftgestalterische Zeichensystem übertragen und haben sich dort manifestiert. Interessant ist dabei, dass Vogue schon in den frühen Jahren die eigene Wortmarke in unterschiedlichen klassizistischen Varianten gesetzt hat ohne im Magazin selbst Headlines mit diesen Schriften zu schaffen. Im Grunde haben sie den Trend damit bereits am Anfang mit den ersten Magazinen vorbereitet.

Vogue und Bodoni

Der bei Pentagram New York angestellte Designer Abbott Miller sagte 2007 im Eye no. 65 vol. 17, dass er eine starke Entwicklung hin zur klassizistischen Gestaltung der Headlines in Vogue beobachtete. Er beschreibt die Anfänge in der Vogue mit der Gegenseitigen Beeinflussung von Illustrationen und Schrift bis hin zu den 50er Jahren und beobachtet einen Wandel mit der aufkommenden fotografischen Inszenierung von Mode in den 60er Jahren. Diese habe laut Miller zu einer festgesetzten Sprache im Headlining geführt, die bis heute nur Versale Überschriften in klassizistischen Typen zeigt. Diese Aussage trifft auf die Covergestaltung der Vogue zu, wie jedoch im Analyseteil der Arbeit bewiesen wur-


de nur bedingt auf die gesamte Magazingestaltung.1 Interessant ist dennoch, dass die Wahrnehmung der Gestalter eine ganz ähnliche Tendenz zu den Erkenntnissen dieser Arbeit zeigt. Miller zitiert Bodoni über klassizistische Schriften und liefert damit gleichzeitig eine plausible Begründung für die häufige Nutzung von Bodoni, Didot und anderen Schriften dieser Klasse: »… conformity without ambiguity, variety without dissonance, and equality and symmetry without confusion. A second and not minor value is to be gained from sharpness and definition, neatness and finish.«2 Giambattista Bodoni versteht die Werte, die seine Schrift transportiert als ordentlich, ausgereift, spannungsreich ohne aus der Reihe zu fallen, scharf und definiert. Viele dieser positiven Eigenschaften treiben auch die Modeindustrie an, wenn man guten Stil definieren möchte und krönen im Grunde klassizistische Schriften zu dem perfekten Produkt für diese Industrie. Im Interview mit Jürgen Michalski – einem der vier Gründer der Berliner Markenagentur »Realgestalt« bin ich anhand von Fragen nach typografischen Trends von heute und damals auf die gleiche Problematik eingegangen, die mein Fazit nach der Analyse von 100 Jahren Vogue-Headlines zieht. Michalski hat 1987 in der Agentur IMPACT/BBDO in Düsseldorf angefangen zu arbeiten. Auf die Frage, welche Merkmale Headlines im Lifestylebereich damals hatten antwortet Michalski, mit der Beobachtung, dass die Typografie vor einigen Jahrzehnten einen größeren Stellenwert hatte als heute. Er sagt weiterhin, dass die Auswahl der Schriften zwar kleiner gewesen sei, jedoch der Umgang mit ihnen viel bewusster stattgefunden hätte als heute. So wie die klassizistischen Schriften einen Trend mit Bestand für die Modeindustrie darstellen, sieht Michalski im größeren Kontext Lifestyle die Futura als einen Trend, der die kreative Gestaltung beschneidet. Diese Aussage unterstreicht die Erkenntnis, dass die Überschriftengestaltung heute immer wieder Kontextunabhängig stattfindet und Gestalter Schriften wählen, die immer wieder benutzt werden ohne dabei einen bewussten Umgang mit dem Thema zu zeigen. Michalski sieht die Futura im alltäglichen Kontext also als ein Pendant zur klassizistischen Antiqua in der Mode. Die Untersuchungen der Headlines in der Vogue möchte ich mit einem Zitat von Jürgen Michalski abschließen. Auf die letzte Frage nach seiner Lieblingsschrift antwortet Michalski: »Ich liebe den Bodoni Font, der der wichtigsten Modepublikation der Welt – VOGUE – seit Ewigkeiten eine starke Autorität und Wiedererkennung sichert. Ihr Klassizismus wird uns auch noch ins nächste Jahrhundert begleiten. Die Bodoni atmet die Kraft, Eleganz und Würde der Renaissance.«


Quellen 1910 – 1919 1 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 2 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 3 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 4 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 5 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 6 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 7 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 8 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 9 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 10 – http://www.ehow.com/list_7154070_decorating-tips-1910-home.html 11 – https://www.myfonts.com/fonts/linotype/adobe-caslon/ 12 – https://www.myfonts.com/fonts/lanston/ltc-forum-title/ Abb. 1 – »Les Choses de Paul Poiret vues par Georges Lepape«, 1911 Abb. 2 – http://www.pinterest.com/pin/495677502707892695/ 1920 – 1929 1 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 2 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 3 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 4 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München -

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5 – Moden-Spiegel Herbst 1923 6 – http://www.bbc.co.uk/homes/design/period_1920s.shtml 7 – Retrofonts - Gregor Stawinski - Hermann Schmidt Verlag - Seite 149 Abb. 1 – http://songbook1.files.wordpress.com/2010/01/marlene-dietrich_der-blaue-engel-blue-angel_02-f45sh20.jpg Abb. 6 – http://www.pinterest.com/pin/68750331787424845/ 1930 – 1939 1 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 2 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 3 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 4 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 5 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 6 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München 7 – http://www.bbc.co.uk/homes/design/period_1930s.shtml Abb. 1 – Landesarchiv Berlin Fotograf: Waldemar Titzenthaler Abb. 2 – http://www.pinterest.com/pin/197876977348313553/ Abb. 3 – http://www.pinterest.com/pin/522417625496587083/ Abb. 4 – aus »Die Dame« 1934 Abb. 5 – http://de.pinterest.com/pin/407575834998549593/

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1940 – 1949 1 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 145 2 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 155 3 – http://www.zeit.de/2003/20/Feldpostp_8ackchen 1950 – 1959 1 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 179 2 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 184 3 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 190 4 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 195 5 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 198 6 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 200 7 – http://thenextweb.com/dd/2012/02/10/design-flashback-10-iconic-typefaces-born-in-the-1950s/ Abb. 1 – http://de.pinterest.com/pin/292382200783004623/ 1960 – 1969 1 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 179 2 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 184 3 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 190 4 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 195 5 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 198 6 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 200 7 – http://thenextweb.com/dd/2012/02/10/design-flashback-10-iconic-typefaces-born-in-the-1950s/ 8 – Untersuchung über die Veränderung in der Gestaltung von Magazinen durch den digitalen Wandel, Seite 26, Richard Sticke, Schibri-Verlag, 2012 9 – Untersuchung über die Veränderung in der Gestaltung von Magazinen durch den digitalen Wandel, Seite 26, Richard


Sticke, Schibri-Verlag, 2012 10 – https://www.myfonts.com/foundry/TypeShop_Collection/fonts/101-150/ Abb. 1 – http://de.pinterest.com/pin/292382200783004623/ Abb. 4 – http://de.pinterest.com/pin/132082201543323336/ Abb. 5 – http://de.pinterest.com/pin/347903139937265058/ 1970 – 1979 1 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 293 2 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 304 3 – http://www.linotype.com/405/garygillot.html 4 – http://www.linotype.com/de/261/clarendonlt-family.html Abb. 1 – http://de.pinterest.com/pin/34494765267999087 Abb. 2 – http://de.pinterest.com/pin/344947652679991924/ Abb. 3 – http://de.pinterest.com/pin/215258057161962598/ Abb. 4 – http://de.pinterest.com/pin/281475045430839594/ Abb. 5 – Vogue Paris 1973 Abb. 6– http://de.pinterest.com/pin/411657222163924582/ Abb. 7 – Vogue Paris 1973 1980 – 1989 1 – Vgl. Ingrid Loschek - Mode im 20. Jahrhundert - Bruckmann München - 1995 - Seite 323 2 – http://www.housebeautiful.com/photos/1980s-interior-design-trends#slide-1 3 – http://www.huffingtonpost.com/2013/10/31/1980s-ugliest-decade_n_4179811.html 4 – http://vintagegoodness.blogspot.de/2011/07/vintage-80s-home-decorating-trends.html 5 – http://www.houzz.com/ideabooks/8135685/list/pop-culture-watch-12-home-trends-from-the-80s-are-back Abb. 1 – http://www.vogue.fr/mode/news-mode/diaporama/hommage-a-jean-louis-scherrer/13976 Abb. 2 – Madonna 1985 Abb. 3 – http://vintagegoodness.blogspot.de/2011/07/vintage-80s-home-decorating-trends.html Abb. 7 – https://www.morrisonhotelgallery.com/images/medium/punk_boots.jpg Abb. 12 – http://de.pinterest.com/pin/349803096031393097/ 1990 – 1999 1 – http://www.thepeoplehistory.com/1990s.html 2 – http://stylemagazines.com.au/lifestyle/return-90s-trends-2014/ 3 – https://prezi.com/hdnrqmmkn0ql/the-90s-lifestyle/ 4 – http://www.antjeschrupp.de/third-wave-feminismus Abb. 1 – http://de.pinterest.com/pin/59602395038056075/ Abb. 2 – http://stardomreport.com/wp-content/uploads/2013/10/Gavin-Rossdale.jpg 2000 – heute 1 – http://www.reuters.com/article/idUSTRE5725E720090804 2 – http://web.archive.org/web/20110818200111/ 5 – http://www.independent.co.uk/arts-entertainment/the-1990s-in-review-visual-arts--who-wants-to-be-a-yba-theydo-1129125.html 3 – http://der-moderne-mann.com/metrosexuell-info.html 4 – Among the Bohemians: Experiments in Living 1900–1939, 2002


5 – http://www.frieze.com/issue/article/new_faces/ 6 – Retrofonts, Gregor Stawinski, Hermann Schmidt Verlag Seite 539 7 – http://www.frieze.com/issue/article/new_faces/ 8 – http://www.thefashionspot.com/buzz-news/forum-buzz/175377-vogue-paris-features-three-supermodels-and-a-redesignfor-their-september-issue-forum-buzz/ Abb. 1 – Vanity Fair 2009 Abb. 2 – http://de.pinterest.com/pin/75998312435962530/ Abb. 3 – https://nicholsloystudio.files.wordpress.com/2015/01/hilfiger006.jpg?w=835 Fazit 1 – http://eyemagazine.com/feature/article/through-thick-and-think-fashion-and-type 2 – Alexander Lawson, Anatomy of a Typeface, Boston: Godine, 1990



Impressum Theorieteil der Masterarbeit von Sebastian Hilgetag Entworfen und gedruckt 2015 Leitung: Prof. Jutta Simson & Prof. Luc(as) de Groot Entstanden an der Fachhochschule Potsdam Dokumentation auf Incom: incom.org/projekt/5266 Schrift: Beton EF, Dharma Gothic M & Dharma Gothic C Papier: Munken Lynx Kontakt: hello@sebastianhilgetag.com www.sebastianhilgetag.com



Eidesstattliche Erkl채rung Ich versichere, dass ich die Masterarbeit selbstst채ndig verfasst habe. Andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel wurden nicht verwendet sowie Zitate kenntlich gemacht.

Sebastian Hilgetag


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