Wir wollen Plankton sein

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dreivondrei | Wir wollen Plankton sein

Der Autor und Dramaturg Julian Pörksen hat ein Stück über das Theater geschrieben – eine paradoxe Metakomödie für drei Personen, die gleichzeitig Schauspieler und Schauspielerinnen und über ihr Spiel reflektierende Figuren sind. Es entspinnen sich Situationen, die in ihrer Profanität den wunden Punkt einer überaktiven Gesellschaft suchen und die mit kleinen Gesten zu großen Fragen anregen.

KONSTRUKTION

Die Schauspielerin Melanie Kretschmann wird bei diesem Stück ihre erste Regie übernehmen und selber mitspielen. Sie tritt dabei in die Fußstapfen ihres Großvaters Hans Harloff: Er war Schauspieler, Regisseur und Intendant einer Wanderbühne. So greifen schon im Probenprozess Realität und Theater ineinander, lässt sich nicht mehr genau zwischen Theaterfamilie und Familie unterscheiden; eine reflexive Endlosschleife entsteht, unendlich traurig, unendlich komisch.

Bernadette Damit wir ein Gefühl entwickeln, wo wir gerade sind.

Traurige Stille. Bernadette Und jetzt? Yorick Weiß nicht. Bernadette Vielleicht lassen wir einfach mal ein bisschen Revue passieren, was bisher so war. Die schönsten Momente. Yorick Au ja.

Yorick Das ist gut, ja. Bernadette Dein Anfangsmonolog. Ich fand das sehr schön von dir gemacht. Yorick Und den Tanz? Mochtest du den Tanz? Bernadette Und wie! Da hast du für mich wirklich etwas gehabt von: Wir haben eine Trauer in uns, und diese Trauer ist ganz zart und ein bisschen zäh und eben nicht laut und groß. Das hast du für mich da gesagt. Dass wir eben eher Seetang sein wollen als Feuer. Das hast du ausgedrückt. Yorick Danke. Das wollte ich auch ausdrücken. Bernadette Das hast du auch ausgedrückt.

Stücktext Julian Pörksen Fotos Elisabeth Harloff

Yorick Gut. Das wollte ich. Bernadette Ja.

Stille.

WIR WOLLEN PLANKTON SEIN ist als Buchausgabe im Alexander Verlag Berlin erschienen, bei dem auch die Aufführungsrechte liegen.

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Yorick Und dann hat Micha über das Glück gesprochen. Find ich tief. Find ich tief, von hier aus gesehen. Damals dachte ich noch: Naja. Aber jetzt finde ich tief, was er da gesagt hat.


Bernadette Er ist nur immer so ernst. Ich mach mir manchmal ein bisschen Sorgen. Yorick Das machen die Theorien. Ich sag dir: Das sind die Diskurse, von denen er immer redet. Und die ganzen Kriege. Und Großvater. Und die Postmoderne. Da hat er sich ein bisschen verstrickt, und jetzt glaubt er, dass er für alles zuständig ist und zu allem etwas denken muss und dass er die Leute erziehen muss und dass er etwas sieht, was alle anderen nicht sehen. Bernadette Als wir uns kennen gelernt haben, warst du genauso! Yorick Ja. Schrecklich.

Yorick So richtig hab ich das auch nicht verstanden. Irgendwie will er mit dem Kapitalismus spielen und ihn dadurch pervertieren. Indem er ihn bejaht. Irgendwie so. Bernadette Was heißt denn das schon wieder? Yorick Keine Ahnung. Er schreibt ein Singspiel darüber, hat er gesagt. Das will er uns vorführen. Bernadette Ich freu mich ja auch, dass er so engagiert ist. Aber er hat so etwas Verbohrtes. Warum hat der das? Meinst du, er onaniert nicht genug? Yorick Bitte nicht. Bitte bitte nicht.

Bernadette Du hast immer gesagt: Das ist nur eine Konstruktion! Und das hast du dann ganz, ganz ausführlich dargelegt. Yorick Es tut mir leid. Bernadette Das war wahnsinnig langweilig. Wenn ich gesagt hab »Liebe«, dann hast du sofort losgelegt: Konstruktion! Dabei wusste ich das doch! Ich wusste das doch, das hättest du doch gar nicht immer sagen müssen. Aber du hast es immer gesagt. Immer! Yorick Ich weiß. Tut mir leid. Ich war einfach sehr unsicher, damals. Bernadette Und jetzt Micha, die Sache mit den Geschlechterrollen. Das muss man doch nicht immer sagen. Das weiß ich doch. Aber er erklärt mir trotzdem dauernd, dass ich mein Geschlecht performativ hervorbringe. Damit ist nun wirklich nichts gewonnen. Er sagt das auch gar nicht zu mir. Er sagt das über sich. Eigentlich sagt er zu mir, dass er es durchdrungen hat und dass er zu denen gehört, die die Muster durchschaut haben. Das ist doch eitel. Einfach unendlich eitel. Und er kann sich gar nicht vorstellen, dass auch andere Menschen das verstanden haben, nur weil sie nicht die ganze Zeit darüber reden. Yorick Hat er dir auch schon diese Kapitalismus-Sache erzählt?! Bernadette Ich glaube nicht. Aber ich höre ja so ungern zu, das weißt du doch.

Bernadette Vielleicht hat er einen Luststau. Das kann passieren. Man verlernt, den eigenen Trieben nachzugeben. Dann staut sich das an. Das Gleichgewicht geht verloren. Die Persönlichkeit kippt. In die eine oder andere Richtung. So hat das mein Therapeut mal erklärt. Ich bin ja in Therapie. Ich habe eine Depression. Eine wirklich sehr disparate, hyperkomplexe Depression. Zitat. Früher, hat mein Therapeut gesagt, wäre ich außerdem eine klassische Hysterikerin gewesen. Hat er so gesagt. So hätte man das früher bezeichnet. Eine klassische Hysterikerin. Wie das klingt, oder? Klassische Hysterikerin. Manchmal ist es schon ganz schön traurig, heute zu leben, in dieser Gegenwart. Es war doch einiges besser, damals. Die Krankheitsbilder. Die Künstler. Die Kleidung. Die Architektur.

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Es gab noch weiße Flecken auf der Landkarte. Und Zarah Leander hat noch gelebt. Und die Schilfdommel war noch nicht ausgestorben. Ach ja.

Bernadette Liebling, baust du an einer Wanderbühne?! Meinst du wirklich, er baut an einer Wanderbühne? Yorick Es könnte sein. Er will die Welt sehen, sagt er. Bernadette Die Welt! Warst du in letzter Zeit mal draußen, in der Welt? Scheußlich. Die armen echten Menschen. Es gibt keinen schlimmeren Ort als die Realität. Du kannst wirklich froh sein, dass du hier lebst, mit uns. Auf dieser Bühne. Yorick Das bin ich. Früher wusste ich nie, was mit mir los ist. Ich habe nirgends dazu gehört. Ich war überall fremd. Bis ich zu euch kam, ins Theater. Da wusste ich: Ich bin endlich zuhause.

Sie sehen sich an. Yorick macht merkwürdige Bewegungen. Bernadette Was machst du da? Yorick Das ist ein Balztanz! Bernadette Bist du dir sicher? Das sieht nicht so aus. Woher hast das denn bitte?

Micha läuft einmal über die Bühne, etwas Schweres, Unförmiges schleppend. Er trägt eine Andy-Warhol-Perücke und ein Andy-Warhol-Kostüm. Bernadette Hallo Liebling.

Yorick Aus einer Doku. Das ist der Balztanz der Kraniche, der schönste und komplizierteste Balztanz im gesamten Tierreich.

Auftritt Micha, in Unterhose, eine Krone auf dem Kopf. Er schleppt eine große Pappkuh mit sich herum.

Micha verschwindet wortlos. Bernadette Was machst du denn da wieder?

Bernadette Liebling, was ist denn?

Man hört Micha hämmern.

Micha Ich wollte nur mal Hallo sagen.

Bernadette Was macht er denn da? Das macht mich verrückt. Was macht er da?

Bernadette Das ist allerliebst. Aber du weißt doch, dass wir noch etwas Zeit brauchen.

Yorick Vielleicht baut er wieder an seiner Wanderbühne.

Micha Ich weiß.

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Nichts passiert. Micha Ich hab meine Bühne fast fertig. Bernadette Toll. Ich komm nachher kucken, ja?

Nichts passiert. Bernadette Gehst du jetzt bitte wieder. Micha Damit ihr ficken könnt?! Yorick Ja. Micha Ihr seid ekelhaft. Bernadette Liebling, sei jetzt bitte mal erwachsen, ja? Micha Ich krieg das immer alles mit, da auf der Seitenbühne.

Yorick Dann geh in die Kantine. Micha Halts Maul. Bernadette Liebling, du musst dich langsam damit anfreunden, dass deine Mutter ein Sexualleben hat. Das hat auch mein Therapeut auch gesagt: »Der Micha muss das echt langsam mal lernen.« O-Ton mein Therapeut. Micha Ich werde mich ganz sicher nicht mit deinem Sexualleben anfreunden. Vor allem nicht, wenn dein Sexualleben so alt ist wie ich! Ich habe mein ganzes Leben unter deinen Eskapaden gelitten. Unter all den Männern, dieser Parade von Idioten, die hier durchmarschiert ist. Ich hab es satt. Ich hab es einfach satt hier zu leben, in diesem Treibhaus der Neurosen, in dem alle nur mit sich beschäftigt sind und es nur noch darum geht, schön und originell zu sein und alles nur noch so daher gesagt wird und meine Mama mit einem Typen ins Bett steigt, der so alt ist wie ich und mein Freund sein will, aber ich will keinen Freund, ich will einen Vater, ich will einen richtigen Vater, ich will eine Linie in meinem Leben, an der ich mich abarbeiten kann und ich will endlich, endlich einen ernstzunehmenden Gegner.

Stille.


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