Droge Faust

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DROGE FAUST WESTBAM, mit bürgerlichem Namen Maximilian Lenz, ist ein Pionier der Techno-Bewegung, Ikone der Dance-Kultur und der Philosoph unter den DJ's. Zahlreiche Platten, zahllose Hits, Konzerte auf der ganzen Welt. Nebenbei veröffentlichte er gemeinsam mit Rainald Goetz das Buch MIX, CUTS AND SCRATCHES und seine Autobiographie DIE MACHT DER NACHT. Ein Gespräch über FAUST, über Lebenshunger und Erkenntnisgier, über Drogen, Ekstase und den perfekten Augenblick.

Interview Julian Pörksen | Fotos Hagen Tilp 13


Im FAUST geht es um die Suche nach dem perfekten Moment, nach einem Augenblick totaler Erfüllung. Faust ist ein Getriebener, einer, der alles begreifen, alles erleben will. »Vom Himmel fordert er die höchsten Sterne / und von der Erde jede höchste Lust ...« (Mephisto) Der will alles machen, alles ausprobieren – also ein Mann genau wie ich. (Lachen) In Ihrer Autobiographie DIE MACHT DER NACHT gibt es eine Stelle, die einen wahrlich faustischen Erfüllungs-Moment beschreibt: »Kurz vor Krachende riss ich die nächste Platte raus, und sie passte perfekt. Alles war live, und nichts war geplant. Auf diesem DJ-Lebenshöhepunkt gab es kein Publikum, keinen DJ und keine Musik mehr. Musik war unwichtig geworden. Das klingt vielleicht komisch, aber Musik ist für mich wie ein unperfektes Werkzeug. Wenn du oben angekommen bist, kannst du sie wegschmeißen. Der Moment war perfekt.« Einfacher gestrickte Charaktere haben das nicht verstanden. Die haben gesagt: Schau mal einer an, Musik ist für den also nur etwas, was ihn weiterbringen soll, der mag eigentlich gar keine Musik. Die wussten eben nicht, worauf sich das bezieht. Für mich war es ein Highlight, ein Erkenntnishighlight meines DJ-Lebens. Es hat natürlich etwas Asiatisches, diese Idee, dass das Ende, der Höhepunkt, dann erreicht ist, wenn auch die Dinge, um die es eigentlich geht, sich auslöschen, wenn sie unwichtig geworden sind. Das ist so ein bisschen wie bei Wittgenstein, der sein TRACTATUS LOGICO-PHILOSOPHICUS als eine Leiter ver-

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steht, die man, wenn man seine Gedanken verstanden hat, wegwerfen könne. Da heißt es ja dann auch: »Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.« Sie sind von Berufs wegen auf die Organisation von Rausch spezialisiert. Wie erzeugt man als DJ solch einen ekstatischen Moment der Selbstentgrenzung? Es geht ganz oldschool-mäßig mit der Plattenkiste los. Man versucht, seine Plattenkiste so zu organisieren, dass man sich nicht darin verirrt, sie aber gleichzeitig nicht so ordentlich ist, dass man aus dieser Ordnung nicht mehr rausfindet. Man versucht, zu einem Zustand zu kommen, in dem man immer die richtige Platte greifen kann. Und ab da wird es immer schwieriger – wie erreicht man solche perfekten Momente? Ich lege jetzt 35 Jahre Platten auf, und so oft passiert mir das ja auch nicht. Es gibt viele Abende, die sind handwerklich okay, nach den Regeln der Kunst hat man Musik, die gut zusammen passt, schlüssig vorgetragen, und die Leute haben’s auch gefeiert. Durchschnittsabende, die eben nicht die große Kunst sind. Man kann diese besonderen Momente eben nicht programmieren, nicht planen, schlicht und einfach, weil DJing im guten Fall immer eine dialogische Kunstform ist. Man kommuniziert mit den Massen ... Man unterhält sich, man beobachtet alles, kriegt alles mit. Und man hat eigentlich ganz ähnliche Fragen wie in der Malerei, der Schriftstellerei, wie in jeder anderen Kunstform auch: Wie sag ich’s meinen Kindern? Und was kommt von meinen Kindern zurück? Der Unterschied zur Malerei ist,


dass man mit Leuten zusammen malt, dass die eben auch immer noch drin rumschmieren. Andererseits ist das ja auch das Tolle. Wo der Rainald Goetz, mein großer Poetenfreund, auch sagt, da beneidet er den DJ drum, weil man bei der Schriftstellerei immer so ganz alleine sitzt und das eben nicht so richtig mit anderen zusammen machen kann.

»Eigentlich sehr un-rock'n'rollig von mir, aber ich kann Disziplin zeigen, und muss das auch.« Folgt so ein Abend, bei dem Sie auflegen, erzählerischen Mustern? Sind Sie sozusagen der Autor des Abends, der, im Dialog mit den Leuten, eine Geschichte erzählt? Vom Prinzip her schon. Wenn jemand eine Geschichte erzählt, dann sucht der auch danach, irgendwo den ersten Satz zu finden, der die Leute interessiert, der sie neugierig macht und den Wunsch in ihnen weckt, weiterzulesen. Und genauso muss man die erste Platte auswählen. Du musst die Platte auflegen, die den Leuten das Gefühl gibt, sie wissen jetzt, worum es in der nächsten Zeit gehen wird in der Musik, aber sie wissen es noch nicht vollständig, es werden auch Fragen aufgeworfen, die man weiterspinnen kann. Im FAUST ist Mephisto so etwas wie ein Agent der Verschwendung. Er lädt den daseinsmüden Faust ein auf diesen großen, hedonistischen Trip, diverse Mittelchen werden eingenommen, Frauen umgarnt ...

Er ist der Drogendealer, der Maître de Plaisir. Solche Typen gibt es natürlich auch. Da kommst du zu irgendeiner Party, und der wartet schon am Flughafen auf dich, in einer Stretch-Limo mit Nebelmaschine. Und er hat Drogen dabei, Alkohol, vielleicht auch gleich mehrere Chicas, und du denkst: Auweia! Ich finde das zwar toll und dionysisch, aber inzwischen kommt bei mir das Professionelle durch, ich muss dem Mephisto dann ganz spießig sagen: Nee, sorry Alter, wenn ich um zwölf Uhr mittags so anfange, dann wird das mit meinem Set nichts mehr. Fahr mich erstmal ins Hotel, ich leg mich erst nochmal ein bisschen hin und schaue Fernsehen. Eigentlich sehr un-rock'n'rollig von mir, aber ich kann Disziplin zeigen, und muss das auch. In den 90ern war das noch anders. Damals war man aber auch ein bisschen jünger, ein bisschen dümmer, ein bisschen konditionsstärker. Und beim Publikum war es durchaus normal oder sogar gewünscht, dass der DJ mehr oder weniger zu den Turntables getragen wird und mehrmals während seines Sets umkippt – das war der Indikator eines guten Abends. Der DJ musste am Ende genauso blau, genauso druff, genauso drüber sein, am besten noch drüberer. Und heute? Was hat sich, seit Sie angefangen haben, verändert? Die Nachtlebenwelt ist bevölkert von Leuten, die immer um die zwanzig sind, im ewigen Zenit der Jugend. Und man selbst fängt in diesem Alter an, man gehört zu dieser Generation. Dann wird man älter, aber die Leute um einen herum bleiben jung, und irgendwann merkt man die Generationsun-

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zweivondrei | Droge Faust

terschiede. Bestimmte Dinge sehen die ganz anders. Grundsätzlich wird heute weniger Dialog erwartet, mehr Vortrag. Besser ein guter Vortrag als ein völlig verrittener Live-Mix. Und wenn du der wesentlich Ältere bist, und du kommst auf die Bühne und fällst um, dann akzeptieren die das nicht, die sagen dann: Nee, also der kommt ja an und ist schon besoffen, der macht hier keinen guten Job.

»Aber Acid kann ähnlich gut sein, wie FAUST II ganz durchzulesen, auf höchster Intensität.« Der Radikaltheatermacher Einar Schleef hat sich intensiv mit Faust und den Drogen auseinandergesetzt, mit dem Rausch, den ganzen Mittelchen, die in dem Stück eingenommen werden. Gäbe es denn für jemanden wie Faust, für einen, der alles will, die passende Droge? Ja, leider schon. (Lachen) Welche? Sekunde. (unverständliches Gemurmel) Mein 11-jähriger Sohn stand gerade neben mir, da wollte ich das nicht referieren … Die Droge ist leider Kokain. Koks geht ja voll aufs Belohnungszentrum, da werden Gehirnareale stimuliert, die für Liebe zuständig sind, für Erkenntnis, für Ekstase. Gibt es eine Droge, die man im Lauf eines Lebens unbedingt genommen haben sollte? Acid. Acid sollte man wahrscheinlich nehmen, bevor man den zweiten Teil vom FAUST liest. Das ist die totale Selbstentgrenzungsdroge. Wobei man den FAUST in diesem Zustand eigentlich gar nicht mehr braucht, da reicht es auch,

In dieser Spielzeit wagt sich Moritz Sostmann an ein Großprojekt: mit einem Ensemble aus Schauspielern und Puppen wird er beide Teile des FAUST inszenieren. Der Puppenbauer Hagen Tilp begleitet Sostmanns Arbeit schon seit Jahren. Wir zeigen Bilder vom Entstehungsprozess dieser besonderen »Ensemblemitglieder«, Eindrücke aus seiner Werkstatt in Oakland, Kalifornien.

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wenn man sich an eine Bushaltestelle setzt. Im Gegensatz zu Koks ist Acid die tiefere, psychedelischere Erfahrung, das richtige Mittel, wenn es darum geht, die äußere Schale zu knacken und Eins zu werden mit der Umwelt, um Dinge plötzlich ganz anders zu sehen, als man sie sonst sieht. Ich hab das im Leben vielleicht zehn Mal gemacht. Gerade, wenn man Anfang zwanzig ist und den Wunsch hat, alles anders zu sehen, hat diese Erfahrung gute Auswirkungen auf das weitere Leben. Besser als Alkohol, besser als Koks sowieso, Heroin, Betäubung ist alles Scheiße. Aber Acid kann ähnlich gut sein, wie FAUST II ganz durchzulesen, auf höchster Intensität. Weil Sie gerade vom Dionysischen gesprochen haben – Nietzsche und Schopenhauer sind für Sie wichtig gewesen oder sind es noch? Natürlich, ja. Je älter man wird, natürlich, desto mehr Schopenhauer. Am Anfang mehr Nietzsche, später dann mehr Schopenhauer. Worin besteht der Unterschied, wenn man das so einfach sagen kann? Der Hauptunterschied ist: Nietzsche feiert den Willen, Schopenhauer will den Willen überwinden. Das ist, wenn man meine DJ-Theorie kennt, eher mein Ding: Dass man als Künstler nicht versucht, sein Ding durchzuziehen. Zur Not mach ich das auch, ich muss mich ja behaupten in der Disco-Welt. Aber eigentlich will ich mein Ding nicht durchziehen, davon hab ich nichts, denn mein Ding kenne ich schon. Spannend wird’s für mich, wenn ich mich erweitere, wenn ich mich entgrenze und verschmelze mit dem Großen und Ganzen und bei mir, als ein Weltknotenpunkt, etwas Neues passiert, sich ein völlig neuer Kontext erschließt und ich dann eine Platte aus der Tasche ziehe, die ich da gar nicht reingetan habe. Es ist also die Frage, ob man es schafft, sich gemeinsam auf die Suche zu machen, improvisierend, im Dialog, in unbekanntes Terrain vorzustoßen. Genau. Das ist ein viel schönerer Moment, wenn man nicht einfach sein festes Programm abzieht und nachher sagen kann, jeder hat sich mir unterworfen, ich war der große Lehrer, ich hab mein Ding durchgezogen und habe damit alle überwältigt. Sondern wenn man sich gemeinsam entwickelt, wenn man nicht nur Sender, sondern gleichzeitig Empfänger ist. Das ist es auch, was Kunst eigentlich ausmacht, auch wenn die Künstler immer ein Interesse daran hatten, das anders darzustellen und zu sagen: Das hab ich mir alles selber ausgedacht, jetzt zeig ich euch mal, wie es geht. Das ist, wenn man sich die Geschichte der Kunst ankuckt, völliger Irrsinn. Denn die Frage lautet doch: Warum waren die Impressionisten so bedeutende Maler? Weil sie die Möglichkeiten ihrer Zeit und die Sichtweise ihrer Zeit vollendet ausgesprochen haben, und eben nicht ihre persönliche. Das ist ja gerade das Spannende, dass sich die Welt diese


Leute sozusagen ausgesucht hat, um durch sie zu sprechen. Der Künstler will das natürlich als individuelle Leistung verkaufen, weil er davon profitiert. Er trägt ja auch dazu bei, es gibt einen persönlichen Anteil. Die größten Autoren sind aber die, durch die die Zeit am meisten spricht. Und genau das macht den FAUST so faszinierend. Die ganze Moderne wird hier vorweggenommen, ein künstlicher Mensch wird erschaffen, Papiergeld erfunden, es kommt zu Inflation und Krieg. Es gibt eine Szene, da beschwört Faust Helena herauf, die schönste aller Frauen. Und das Wunderbare ist, dass er selbst vergisst, dass sie nur eine Erscheinung ist und versucht, sie festzuhalten. Das ist wunderbar. Virtual reality. Wenn wir schon bei Helena sind: Was heißt Schönheit? Okay, okay … Was heißt Schönheit? Gut, da bin ich Kantianer: also das interesselose Wohlgefallen. Das ist Schönheit. Wenn man etwas als schön empfindet, es einem aber keinen wie auch immer gearteten Vorteil bringt, das ist die Erkenntnis von Schönheit. Der Schluss des FAUST ist faszinierend, ich weiß nicht, ob Sie ihn gelesen haben? Den Schluss hab ich nicht mehr auf dem Schirm, ich hab den zweiten Teil nie ganz gelesen – aber ich bin jetzt eigentlich langsam reif genug, ich muss das nochmal lesen. Ich bin mir sicher: ich versteh das jetzt. Faust hat alles erlebt, war Politiker und Unternehmer, und jetzt ist er ein alter, blinder Mann. Draußen, vor seinem Palast, schaufeln die Lemuren sein Grab. Faust hört die Spaten und glaubt irrtümlicherweise, es handele sich um Arbeiter, die einen Deich errichten, um Land für Millionen zu gewinnen – eine Utopie, er schwingt sich zu einem Menschheitstraum auf. In diesem Moment der Erfüllung, der glücklichen Selbsttäuschung, sagt er schließlich: »Zum Augenblicke dürft' ich sagen, verweile doch, du bist so schön!« Ach, da ist es dann so weit. So geht es zu Ende? Naja, letzten Endes wird er doch erlöst. Mephistopheles wird ausgetrickst, die himmlischen Heerscharen bringen ihn um die versprochene Seele. Das ist natürlich für uns moderne Menschen sehr beruhigend. Das würde uns ja alle fertig machen, wo wir doch alle so ganz persönliche Superstars und Individualisten sind und denken, wir können alles machen, wenn wir nur fest daran glauben. Da ist es natürlich sehr beruhigend, wenn das am Ende des Tages nicht ins Verderben führt. Man hat sich bemüht, man hat versucht, alles aus dem Dasein rauszukitzeln, aber eigentlich war man ja kein schlechter Kerl, man wollte seine Möglichkeiten halt nutzen – dafür in die Hölle wollte man eigentlich nicht. Eigentlich möchte man doch eher denken: Am Ende müsste das auch Gott gefällig sein.


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